Es gibt Neuigkeiten von zwei Prozessen, die die Firma Callactive gegen mich angestrengt hat. In beiden Fällen geht es um die Frage, in welchen Fällen ein Betreiber eines Blogs für Kommentare haftet, die von anderen auf seiner Seite abgegeben wurden. In beiden Fällen hatte ich möglicherweise rechtswidrige Kommentare innerhalb weniger Stunden unaufgefordert gelöscht. Die Firma Callactive hatte mich dennoch jeweils hinterher abgemahnt: Ich hätte von vornherein verhindern müssen, dass die Kommentare überhaupt abgegeben wurden.
Das Hamburger Verfahren
In dem ersten Verfahren, über das viel berichtet wurde, hatte das Hamburger Landgericht gegen mich entschieden. Ich habe daraufhin Berufung eingelegt. (Mehr über die Hintergründe hier; Auszüge aus der Urteilsbegründung hier.)
Die Verhandlung vor der nächsten Instanz, dem Hamburger Oberlandesgericht, sollte in dieser Woche stattfinden. Doch dazu kommt es nicht. Die Firma Callactive hat ihren (in der ersten Instanz erfolgreichen) Antrag gegen mich zurückgenommen. Sie hatte mir das angeboten unter der Voraussetzung, dass beide Seiten ihre Anwaltskosten selbst tragen und die Gerichtskosten geteilt werden. Was das Unternehmen zu dieser Kehrtwende veranlasst hat, weiß ich nicht.
Ich habe diesen Vorschlag von Callactive angenommen. Dieser Ausgang des Verfahrens ist zwar insofern etwas unbefriedigend, weil die grundsätzliche Frage der Kommentarhaftung, die in Deutschland von verschiedenen Gerichten sehr unterschiedlich beantwortet wird, nicht von einer höheren Instanz geklärt wurde. (Und die grundsätzliche Haltung des Hamburger Landgerichtes hat sich natürlich nicht dadurch verändert, dass der konkrete Fall juristisch nicht mehr existiert.) Dieser Ausgang stellt auch keinen juristischen Sieg meinerseits dar. Andererseits war der Ausgang der Berufungsverhandlung ungewiss. Und dadurch, dass Callactive quasi die Abmahnung zurückgezogen hat, ist die Sache, die mich im schlimmsten Fall noch viel Zeit und Geld hätte kosten können, aus der Welt. Die gegen mich erlassene einstweilige Verfügung gilt nicht mehr.
Das Münchner Verfahren
Zuvor hatte Callactive einen Prozess gegen mich vor dem Amtsgericht München verloren. Der Richter urteilte Anfang Juni, dass das Unternehmen keinen Unterlassungsanspruch gegen mich wegen des Kommentars eines Unbekannten in meinem Blog hatte, weil ich meinen „Prüfungspflichten“ nachgekommen sei.
Am Montag, 3. Dezember 2007, hatte ein „Andreas“ um 17:44 Uhr unter diesem Eintrag einen Kommentar abgegeben, in dem er der Firma Callactive und ihrem damaligen Geschäftsführer Stephan Mayerbacher in mehrfacher Hinsicht Betrug vorwarf. Ich war an diesem Nachmittag und Abend nicht im Büro, kontrollierte aber gegen 19 Uhr die neu eingegangenen Kommentare auf meinem Handy. Ich habe dann den Kommentar löschen lassen – das war exakt um 19:06 Uhr. Dennoch ließen mich Herr Mayerbacher und die Firma Callactive am folgenden Tag abmahnen. Ich habe daraufhin eine Unterlassungserklärung abgegeben – allerdings „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“. Konkret bedeutete das, dass ich mich weigerte, die mit der Abmahnung verbundenen Anwaltskosten zu bezahlen.
Callactive klagte daraufhin vor dem Amtsgericht auf die Zahlung der 949,14 Euro (plus Zinsen). Juristisch ist das Verfahren dadurch ein ganz anderes als das in Hamburg: Es geht um Schadensersatz, nicht um eine einstweilige Verfügung. Verhandelt wurde deshalb auch nicht vor einer Pressekammer, sondern einem Amtsrichter. In der Sache geht es aber um die gleiche Frage: Hafte ich für den Kommentar? Hätte ich durch eine Vorabprüfung verhindern müssen, dass er überhaupt auf der Seite erscheint?
Das Münchner Amtsgericht antwortete anders als das Hamburger Landgericht mit einem klaren Nein. Ich sei zwar dazu verpflichtet, die Kommentare zu prüfen — insbesondere, weil mein Artikel „bewusst provokant, gefühlsbetont und polemisierend formuliert“ sei und es in ähnlichen Fällen bereits zu unzulässigen Kommentaren gekommen sei. Im ausdrücklichen Widerspruch zum Hamburger Urteil erklärt das Münchner Amtsgericht aber, diese Pflicht gehe nicht soweit, dass ich alle Kommentare vorab hätte filtern müssen. Wäre eine solche Vorabprüfung in Blogs und Foren notwendig, „würde der vom Verfassungsgeber gewünschte, wohl zum Großteil nicht rechtsverletzende Meinungsaustausch ‚abgewürgt'“. In der Regel genüge es, „die Prüfungspflicht auf eine regelmäßige, effektive Kontrolle der eingestellten Kommentare zu beschränken“, um einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung in den Kommentaren eines Blogs und dem Persönlichkeitsrecht dort erwähnter Personen zu erreichen.
Callactive und Mayerbacher können gegen das Urteil Berufung einlegen.
Nachtrag, 1. August. Callactive und Mayerbacher haben keine Berufung gegen das Münchner Urteil eingelegt, es ist damit rechtskräftig.
Auszüge aus der bemerkenswerten, ausführlichen Urteilsbegründung habe ich hier veröffentlicht.