Ja, das wirkt sehr unspektakulär, das „gute alte Kreuzworträtsel“, das „Welt Online“ seinen Lesern täglich neu präsentiert. Der Clou ist unsichtbar: Das Spiel ist so programmiert, dass jeder einzelne Buchstabe, den ein Leser hier einträgt, als ein Seitenaufruf zählt. Eine einzelne Kniegeige verbessert die Bilanz von „Welt Online“ um fünf PageImpressions; wer das Rätsel komplett löst, produziert über 100 PageImpressions mindestens.
Das ist eine stattliche Zahl verglichen mit den Klicks, die sich durch einzelne Artikel oder sogar Bildergalerien produzieren lassen — vom minimalen Aufwand ganz zu schweigen. Und deshalb ist der Trick auch keine exklusive Erfindung von „Welt Online“. Der Online-Auftritt der „Süddeutschen Zeitung“ hat sein Sudoku genauso produziert: Jede einzelne Zahl, die in das Gitter eingetragen wird, wird als kompletter Seitenaufruf der IVW übermittelt, deren Werte die Standardwährung im Online-Werbegeschäft sind.
Dasselbe gilt für dieses Sudoku der „Zeit“:
Das Puzzle „Klick it like Beckham“, das sueddeutsche.de in immer neuen Varianten auflegt, ist sogar so programmiert, dass jeder Spielzug gleich zwei Klicks produziert:
Mit allen Mitteln versuchen die Online-Medien die Zahl ihrer PageImpressions künstlich in die Höhe zu treiben, denn diese Zahl wird gerne fälschlicherweise für eine Messgröße für Erfolg und gar Qualität gehalten. Die Vermarkter werben mit ihr, Medienjournalisten erstellen Rankings und küren Sieger und Verlierer.
Das künstliche Aufblähen dieser Zahlen durch entsprechend programmierte Rätsel und Spiele widerspricht dabei nach Ansicht der IVW nicht einmal ihren Regeln. Danach gilt als PageImpression zwar nur, wenn durch die Aktion eines Nutzers (also einen Klick oder eine Eingabe) „eine wesentliche Veränderung des Seiteninhaltes“ bewirkt wird. Aber wenn da in einem Kreuzworträtsel nicht mehr „CELL“, sondern „CELLO“ steht, sieht die IVW darin schon eine „wesentliche Veränderung des Seiteninhaltes“.
Und man kann sich nicht einmal darauf verlassen, dass die auf diese Weise massenhaft produzierten PageImpressions in der IVW-Statistik unter „Spiele“ ausgewiesen werden. Die Medien dürfen sie auch als „redaktionellen Content“ deklarieren, in der Rubrik „Entertainment & Lifestyle“, als handele es sich um journalistische Inhalte. Das Sudoku von „Zeit Online“ zum Beispiel lässt auf diese Weise das redaktionelle Angebot attraktiver erscheinen als es ist.
Hans-Jürgen Jakobs, Chefredakteur von sueddeutsche.de, mag darin kein Problem sehen: „Wie Sie wissen, bieten viele Zeitungen und Zeitschriften auf Papier Rätsel- und Sudoku-Ecken an, weil sie zurecht davon ausgehen, hier auf Publikumsinteresse zu stoßen. Sollen wir solche Formen ignorieren? Geht es nicht immer daran, eine Mischung anzubieten — aus Information, Investigation, Bildung und auch Unterhaltung?“
Per E-Mail teilte er mit mit: „Seien Sie versichert, dass wir uns — so wie die FAZ — ganz nach den Vorgaben der IVW richten.“ Nun ja: Die IVW hat angekündigt, eine frühere Version von „Kick it like Beckham“ kritisch zu überprüfen. Es handelte sich um eine Art Puzzle, das selbst dann eine PageImpression zählte, wenn das Puzzlestück, das der Leser einzusetzen versuchte, nicht passte und zurück an seinen alten Platz schnappte. Das entspricht womöglich nicht einmal nach Ansicht der IVW einer „wesentlichen Änderung“.
Auf meine Frage, ob er sich vorstellen kann, auf solches Klickdoping zu verzichten, wenn sich andere Verlage auch dazu verpflichten — analog seiner Forderung nach gemeinsamen Beschränkungen der Suchmaschinen-Manipulation — antworte Jakobs klar mit Nein: „Spiele habe ich nicht gemeint.“
In der Pressestelle der Axel-Springer-AG stellt man sich dumm, was die Problematik dieser Art von Klickdoping angeht, und erklärt, mein Anliegen „verwundere“ die Kollegen von „Welt Online“. Verlagssprecher Dirk Meyer-Bosse fügt hinzu: „Wir bewegen uns mit all unseren Angeboten auf WELT ONLINE, also auch mit Online-Spielen, voll und ganz im Rahmen der Richtlinien der IVW, mit der wir auch im engen Austausch stehen“.
Was Meyer-Bosse nicht sagt: Dieser „enge Austausch“ kann auch darin bestehen, dass die IVW die Zählung beanstandet. Neulich stellte sich heraus, dass „Welt Online“ die Klicks, die das Kreuzworträtsel generierte, als Zugriffe auf „Nachrichten“ auswies. Sicher waren die Kollegen von „Welt Online“ verwundert, als das herauskam.
Der Sprecher deutet aber zumindest begrenzte Aussagekraft der IVW-Zahlen an, indem er sagt, für „Welt Online“ sei „die wichtigste Zählgröße die AGOF“, eine repräsentative Studie, die aus verschiedenen Erfassungsmethoden die Reichweite der Online-Medien berechnet. (Das hindert Springer natürlich nicht, mit den durch groteske Klickstrecken und eben Kreuzworträtsel aufgepumpten PageImpressions regelmäßig zu prahlen.)
Im vertraulichen Gespräch räumen Verantwortliche von Online-Medien durchaus ein, dass das IVW-Verfahren Unsinn ist und die Zahlen nur noch wenig Aussagekraft haben. Auch bei der IVW sieht man die Notwendigkeit zur Reform. „Alle sind sich darüber im Klaren, dass wir daran gehen müssen“, sagt Online-Bereichsleiter Jörg Bungartz, der von einer „sich verschärfenden Problematik“ spricht. Als Beispiel nennt er auch Videos, die so programmiert sind, dass es schon als PageImpression gewertet wird, wenn der Zuschauer zwischendurch bloß die Pausetaste drückt. Immer wieder stelle sich die Frage: „Ist es das, was wir zählen wollen?“ Die IVW wolle aber nicht voreilig die Definitionen ändern, um einzelne Lücken zu schließen, sondern arbeite an einer zukunftssicheren Reform. Die ist für nächstes Jahr geplant.
Die Zeit, bis es soweit ist, können Sie ja nutzen, um bei faz.net ihr Gehirn zu trainieren, zum Beispiel mit dem Silbenrätsel. Und ärgern Sie nicht, wenn Sie Fehler machen. Jeder einzelne Klick, sogar ein falscher, zählt als PageImpression und poliert die Online-Bilanz von faz.net auf. Das ist doch auch was.