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Kuscheln mit Politikern ist nicht

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Sie will nicht im Salon kellnern, sondern hart an der Wirklichkeit arbeiten: Maybrit Illner fragt sich für das ZDF durch.

Sie hat diese unangemessen gute Laune. Sitzt da zwischen alten Männern, die miteinander über Renten, Reformen und Regierungskoalitionen streiten, und ihre funkelnden Augen und ihre Körperhaltung zeigen: Sie vergnügt sich. Nicht daß sie die Probleme, um die es geht, nicht ernst nähme. Sie weiß einfach: Dies ist eine Fernsehsendung. Hier geht es nicht nur darum, daß sich Menschen unterhalten, sondern auch darum, daß Menschen unterhalten werden. Sie selbst eingeschlossen. Fast erinnert Maybrit Illner darin an Michel Friedman, von dessen Aggression sie nichts hat, aber dem man auch immer die Lust am Streit ansieht, an politischen und rhetorischen Auseinandersetzungen.

Schelmisch ist ihr Lächeln in der Sendung – der größtmögliche Gegensatz zum abgeklärten, wissenden Lächeln von Sabine Christiansen. Die Talkmasterin der ARD, deren Sendung aus unerfindlichen Gründen immer noch viel mehr Zuschauer erreicht, strahlt in ihren Männerrunden das Gefühl aus: Hey, wir hier oben wissen längst, wie Deutschland zu retten wäre, aber kauen wir den Stoff einfach noch einmal durch. Maybrit Illner strahlt in „Berlin Mitte“ das Gefühl aus: Gut, vermutlich werden wir Deutschland mit dieser Gesprächsrunde nicht retten, aber laß uns wenigstens ein paar ketzerische Fragen stellen, zusehen, daß wir den einen oder anderen Teilnehmer aus der Reserve locken und uns und die Welt nicht langweilen.

Während Sabine Christiansen mit jeder Pore und Party demonstriert, daß sie Teil des politischen Establishments ist, strengt sich Maybrit Illner an, das Gegenteil zu vermitteln. Inzwischen ist sie viel zu wichtig, als daß sie tatsächlich den politischen Betrieb wirklich noch von außen betrachten könnte und nicht von innen. Und Menschen aus ihrer Umgebung berichten, daß sie keineswegs gefeit ist vor den Veränderungen, die Leute durchmachen, wenn sie prominent werden; vor der Gefahr, sich zu wichtig zu nehmen. Aber trotz allem scheint sie mehr Wert als andere auf einen gewissen Abstand zu legen. Und sei es durch gute Laune und Ironie.

Sie kann aber auch staatstragende Sätze zum Thema formulieren: „Es besteht ja grundsätzlich die Gefahr, daß der Zuschauer politische Talkshows nur als einen Salon wahrnimmt, in dem sich die politische Elite zum Plaudern trifft. Diesem Eindruck muß man entgegenwirken, mit jeder Sendung, jeder Frage. Wir verstehen uns nicht als Programmkellner, die auf silbernen Tabletts nette Fragen servieren. Und wir laden nie nur Politiker ein. Diese Gratwanderung müssen wir hinbekommen: einerseits mit den Verantwortungsträgern über ihre Entscheidungen zu diskutieren, andererseits dem politischen Souverän das Wort zu geben – in Gestalt von Fachleuten, Freidenkern und Querdenkern. Das kann nur hinhauen, wenn man sich eben nicht als politischer Salon versteht, sondern als Werkstatt, in der wirklich gearbeitet wird.“

Und was die Nähe zwischen Politikern und Berichterstattern angeht: „Es gibt Kollegen, die schreiben Politikern ihre Biografien, tummeln sich auf deren Privatfeten und coachen sie für Wahlkampfauftritte. Und am nächsten Tag tun sie dann in ihren Blättern so, als wären sie unbestechliche Kritiker. Das sollten deutsche Journalisten endlich mal diskutieren. Wir brauchten einen Verhaltenskodex, wie es ihn bei der ,New York Times‘ gibt. Kuscheln mit Politikern verstößt dort gegen die Hausordnung.“

Maybrit Illner ist 1965 in (Ost-)Berlin geboren und arbeitete nach dem Journalistik-Studium in Leipzig als Sportjournalistin im DDR-Fernsehen. Nach der Wende moderierte sie dort ein Reisemagazin und das „Abendjournal“. Schließlich wurde sie Reporterin im ZDF-Morgenmagazin und 1998 dessen Leiterin, vertrat Ulrich Kienzle in „Frontal“ und bekam 1999, als der Sender beschloß, das Feld der politischen Talkshow nicht mehr allein der ARD zu überlassen, überraschend die Moderation von „Berlin Mitte“. Das ist nicht gerade der typische Werdegang eines politischen Journalisten, und es ist ein großes Glück für Illner, daß ihr dieser ungewöhnliche Hintergrund einerseits hilft, positiv aufzufallen, und sie andererseits nicht als „Dreifachquote“, wie sie sagt, wahrgenommen wird: „Jung, aus dem Osten und auch noch Frau.“

Sie hat gerade ein Buch herausgegeben über „Frauen an der Macht“. Dabei war das eigentlich gar nicht ihr Thema. „In der DDR war es für gewöhnlich kein Drama, nicht als Mann auf die Welt zu kommen. Mein Bruder und ich hatten eine sehr selbstbewußte Mama, die uns immer das Gefühl gegeben hat, daß wir zwar ihre Augäpfel sind, aber daß sie neben uns schon noch andere Hobbys hat. Sie hat uns vorgelebt, was Emanzipation im Alltag bedeutet. Insofern war meine Weltsicht nicht geprägt durch die Erfahrung von trotziger Selbstbehauptung und Geschlechterkampf. Nach der Wende kamen dann — mit einem gewissen Erfolg — ständig Fragen nach meiner spezifisch weiblichen Sicht auf die Dinge. Die ich eigentlich gar nicht hatte. Also habe ich meinen Blick scharf gestellt und mich umgesehen. Und die gesellschaftliche Realität hierzulande sieht immer noch so aus: zu wenig Professorinnen, Politikerinnen in Spitzenpositionen, viel zuwenig Frauen in Vorständen und überhaupt in politisch und gesellschaftlich relevanten Positionen. Und da das so ist, denke ich mittlerweile über meine ’spezifisch weibliche Sicht‘ öfter mal nach.“

Daß es auf dem Fernsehschirm inzwischen keinen Mangel an Frauen mehr gibt, erklärt sie mit typischem Spott: „Ende der Neunziger gab es so eine Art Aufholjagd. Frauen waren plötzlich nicht mehr nur auf die weichen Themen abonniert. Sie durften Männer-Domänen besetzen und Wirtschaftsmagazine und Nachrichtensendungen und sogar Polit-Talks moderieren. Das Pendel schlug kurzzeitig heftig in die entgegengesetzte Richtung aus und ist jetzt in der Mitte zur Ruhe gekommen. Also kein Grund zur Panik!“

Natürlich hat ihre kokette Art, die meist männlichen Gesprächsteilnehmer aus der Reserve zu locken, viel damit zu tun, daß sie eine Frau ist. Aber als prägend für ihr Berufsverständnis empfindet sie weniger ihr Geschlecht als ihr Alter: „Die Journalisten meiner Generation sind vielleicht einfach pragmatisch. Sie dienen sich keiner Partei an, sind keine verkappten Missionare, sondern verstehen sich als Beobachter, als Informations-Staubsauger und Analytiker. Diese Sorte Journalisten ist schwer erpreßbar.“

Auf über 250 Sendungen hat es „Berlin Mitte“ gebracht, und was die Talkshow im Gegensatz zu ihrem ARD-Gegenstück auch auszeichnet, ist, daß sie nicht erstarrt ist. Seit einem Jahr nutzt sie die Möglichkeit, die Diskutanten mit Zitaten, Zahlen und kleinen Erklärstücken zu konfrontieren, und immer häufiger ist sie Interviewerin von nur einem Gesprächspartner statt Moderatorin von fünf „Quälgeistern“ (Illner). „Wir lehnen uns nicht zufrieden zurück“, sagt sie, „sondern fragen uns: Wie können wir aus unserem spröden Werkstoff – der Politik – ein möglichst ansehnliches Format bauen. Auch eine Talkshow braucht, wenn sie bleiben will, ständige Veränderung.“

Ihre Kollegen stöhnen manchmal über die Besessenheit, mit der sie alles Politische verfolgt, und manchmal ahnt man, daß die Entspanntheit, die sie in ihrer Sendung zeigt, hart erarbeitet ist und eine sehr unentspannte Kehrseite jenseits des Bildschirms hat. Aber vor allem ist Maybrit Illner wohl ein glücklicher Mensch. Spricht man sie auf ihre Entspanntheit an, sagt sie: „Ich glaube, ich habe auch allen Grund dazu. Wovor sollte ich mich fürchten? wäre die Gegenfrage. So elend sich das vielleicht anhört: Es gibt wirklich nichts, worunter ich leide.“

Sie werde immer wieder danach gefragt, was nach „Berlin Mitte“ kommen könnte. „Aber ich finde den Job, den ich momentan mache, überhaupt nicht langweilig. Ich muß mich zu nichts überreden, mich nicht zwingen, Politik aufregend zu finden. Und offensichtlich merkt man mir das auch an. Wie lange das so bleibt, kann ich natürlich nicht sagen. Ich weiß, daß Fernsehen nicht mein ganzes Leben ist“, sagt Maybrit Illner. „Vielleicht nicht mal mein halbes. Und ich bin trotzdem fasziniert von diesem Medium, von seiner Schnelligkeit, Authentizität und Emotionalität.“

Und wenn sie eines Tages doch niemand mehr auf dem Schirm sehen wollte, werde sie das auch verkraften, sagt sie. Dann werde sie das als Wink des Schicksals verstehen und neue Pfade einschlagen, vielleicht mit ihrem Mann Krimis schreiben oder nach London gehen. „Das Leben — vor allem im ZDF ist bekanntlich eine Telenovela. Das gilt auch für ‚Maybrit – Wege zum Glück‘.“

ZDF.reporter

Tatütata, das ZDF ist da. Die “ZDF.reporter”, die nächste Woche ihre 150. Sendung feiern, kämpfen unermüdlich für Recht und Ordnung

Zu den wirklich drängenden Problemen unserer Zeit gehört der Mittelspurschleicher. Tag für Tag blockieren sie die Autobahn: junge Frauen, die Angst haben, die Spur zu wechseln; alte Männer, die glauben, die rechte Spur sei nur für Laster; blöde Mercedesfahrer, die meinen, sie hätten es nicht nötig. Egal, wie dicht wir auffahren oder wie knapp vor ihnen wir demonstrativ auf die rechte Spur ziehen, sie werden nicht weniger: die Mittelspurschleicher.

Im Mai nahm sich „ZDF.reporter“ des heiklen Themas an. Ein Reporter fuhr mit zwei Polizisten auf der A5 und war erschüttert: „Schon nach kurzer Zeit haben sie einen Kleintransporter im Visier, der partout nicht wieder auf die rechte Spur einscheren will. Ein typischer Mittelspurschleicher.“ Wenig später: „Ein Mercedesfahrer blockiert seit sechs Kilometern die Mittelspur.“ Und dann: „Ein Golf bleibt stur in der Mitte, und das schon seit mehr als acht Kilometern. Ein notorischer Mittelspurschleicher.“ Alles doppelt auf Video festgehalten: von der Polizei und vom ZDF. Junge Frauen, alte Männer, blöde Mercedesfahrer. Neun Minuten Mittelspurschleicher pur.

So was sieht man ja sonst nicht im Fernsehen. Auch nicht bei „ZDF.reporter“. Sonst jagen die mit der Polizei Raser und Drängler, Motorradfahrer, böse Laster und betrunkene Jugendliche, wieder Raser und Drängler, noch mal Motorradfahrer und sicherheitshalber ein weiteres Mal Raser und Drängler. Kaum eine Ausgabe, in der die Reporter nicht mit der Polizei auf Streife gehen: im Videowagen oder zu Fuß, in Uniform oder in Zivil. Und wenn es keine Polizisten sind, die begleitet werden, dann andere Kontrolleure.

„ZDF.reporter“ ist das mit Abstand monotonste Magazin im deutschen Fernsehen. Es nimmt die Welt fast ausschließlich aus der Perspektive von Ordnungshütern wahr. Andere Menschen kommen nur als reuige Sünder oder uneinsichtige Missetäter vor, bestenfalls als Zeugen oder zu Unrecht Verdächtige. Es sind oft Bagatelldelikte, die im Mittelpunkt stehen, aber bei „ZDF.reporter“ ist klar, daß es keine Bagatelldelikte gibt: Es geht um Recht und Ordnung, im Kleinen wie im Großen, und wenn man genug Sendungen gesehen hat, beginnt man selbst zu glauben, daß der Unterschied zwischen einem Menschen, der achtlos eine Bananenschale wegwirft, und einem Terroristen möglicherweise nur in Nuancen besteht.

Die Reportage „Sommer, Sonne, Sittenwächter: Ordnung muß sein – auch beim Sommerspaß“ beginnt am Isarufer. „Grillen ist hier nur in ausgewiesenen Bereichen erlaubt, Lagerfeuer grundsätzlich verboten“, erklärt der Reporter. Er begleitet zwei Wachleute: „Ihnen entgeht nichts. Die Sicherheitsleute nähern sich vorsichtig. Pirschen sich im Schutze der Bäume an die illegalen Griller heran.“ Natürlich werden sie gestellt. Der Bericht endet mit den Worten: „Die Grill-Sheriffs aus München haben das Isarufer im Griff. Hier wird diesen Sommer wohl niemand ein illegales Feuer entfachen.“ Es gibt keinen Hauch von Distanz oder Ironie in den Kommentaren, auch nicht am Ende einer Reportage über Schwarze Nordsee-Sheriffs: „Die Leute vom Wachdienst übernehmen wieder. Ihr Strand soll schließlich sauber bleiben.“

Die Off-Texte klingen wie Sätze aus dreißig Jahre alten „Aktenzeichen XY“-Sendungen oder frühen „Derrick“-Folgen: In der Wohnung eines jungen Kriminellen riecht es „wie in einer Marihuana-Höhle“ (was immer das sein mag). Ein „Sozialschmarotzer“ schläft bis mittags und würde nie putzen, „nicht mal bei sich zu Hause“. Zwei Sechzehnjährige nachts um zwei weit von ihren Wohnungen, klarer Fall: Die müssen Böses im Schilde führen. „Lautes Hundegebell in der Wohnung, nicht gerade ein Zeichen für gute Erziehung.“ Immer heißt es: „Für die Beamten ist er kein Unbekannter“, „die Dunkelziffer ist hoch“ oder: „Frank ist kein Einzelfall“. Und wenn ein Ertappter sprachlos ist, reicht es den Reportern nicht, seine Sprachlosigkeit zu zeigen. Sie müssen sagen: „Er ist sprachlos.“

Die Reportagen übernehmen konsequent die Perspektive der Ordnungshüter. Wie zweifelhaft ihre Entscheidungen sein mögen, wie problematisch die Vorschriften, daran verschwendet „ZDF.reporter“ keinen Gedanken. Hintergründe oder Zusammenhänge gibt es nicht, nur das Hier und Jetzt.

Gejagt werden die Kleinen. Notfalls wird der ZDF-Reporter selbst zum Ordnungshüter: In einem Bericht über eine Gruppe polnischer Fliesenleger genügt es ihm nicht, durch eine Indizienkette zu belegen, daß sie wohl illegal arbeiten, nein, er muß sie auch noch persönlich befragen („Wir haben eigens eine eigene Dolmetscherin mitgebracht!“), was, wie zu erwarten, nichts bringt, außer die Polen noch einmal gründlich bloßzustellen. Das persönliche Elend eines Mannes, der im Supermarkt vier Gänsekeulen geklaut hat, weil er seine Familie kaum zu ernähren weiß, wird von „ZDF.reporter“ gnadenlos ausgestellt. Ein Familienvater und Hartz-IV-Empfänger, an dem es ausnahmsweise nichts zu kontrollieren gibt, putzt für einen Euro die Stunde im Zoo, und der Reporter behauptet, er sei für viele Besucher damit selbst eine merkwürdige Spezies, die man begafft, und filmt ihn in einer Art, daß ihn auch die Fernsehzuschauer so erleben müssen: als ganz armes Schwein.

Daß die Reportage einmal eine journalistische Form war, die den Menschen zeigte, was sie nicht kannten, die Neues erzählte, Überraschendes, Wichtiges, läßt sich bei „ZDF.reporter“ nicht mehr erahnen. Hier passiert nichts, was man nicht erwartet: Motorradfahrer rasen, österreichische Polizisten zocken deutsche Urlauber ab, in Kreuzberg lauert an jeder Ecke die Gefahr, Haschischraucher sind Verbrecher, Verbrecher rauchen Haschisch. Jeder zweite Satz aus dem Off ist wohlfeile Empörung und Verurteilung.

„ZDF.reporter“ ist eine öffentlich-rechtliche Kapitulation. Die Sendung fragt nicht mehr: „Welches Thema hatten wir noch nicht?“, sondern: „Welches Thema sollten wir noch einmal machen, weil es gute Quote brachte?“ Norbert Lehmann, der Redaktionsleiter und Moderator, nennt sein Magazin eine „Nahaufnahme Deutschland“ mit Reportagen „aus dem deutschen Alltag, aus der deutschen Lebenswirklichkeit“. Irgendwie hat er recht: „ZDF.reporter“ ist auf eine sehr kleinkarierte Art das deutscheste Fernsehmagazin. Vielleicht stimmt auch deshalb die Quote einigermaßen: Weil sich die Zuschauer in diesen ungewissen Zeiten zurücklehnen können in dem guten Gefühl, daß wenigstens noch Fahrkarten und Mittelspurschleicher kontrolliert werden.

Ein Thema der Jubiläumssendung am Mittwoch ist der angeblich massive Mißbrauch bei Hartz IV. Es fehle vor allem an: Kontrollen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Machen Sie sich bitte mal nackt

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Die Fortsetzung der „Bild“-Zeitung mit anderen Mitteln: ARD und ZDF erobern den Boulevard.

Am Dienstag morgen ist in Hamburg eine ehemalige Angestellte in ein Reisebüro gelaufen und hat die Chefin mit einem Küchenmesser getötet. Schlimm. Nicht schlimm genug fürs ZDF. Dessen Nachmittagsmagazin „Hallo Deutschland“ machte mit dieser Meldung auf, und Moderator Marco Schreyl formulierte: „Ein blutiger Rachefeldzug mitten in Hamburg! Noch sind’s nur vage Spekulationen, die kursieren. Der Fall allein aber hat eine ganze Stadt in Aufregung versetzt.“ Die Mörderin wurde am Tatort überwältigt und vor laufender ZDF-Kamera abgeführt, aber eine ganze Stadt ist in Aufregung. Die Stadt heißt Mainz und ist der Sitz der ZDF-Boulevardredaktion.

Am nächsten Tag ist bei „Hallo Deutschland“ gleich ein komplettes Land in Aufruhr: „Dieser Prozeß bewegt die ganze Nation“, sagt Schreyl. „Zwei Kinder müssen sterben, weil zwei erwachsene Männer ihre sexuellen perfiden Phantasien ausleben wollen. Zwei Männer stehen für diesen gemeinsamen Mord seit heute vor Gericht, und halb Deutschland wünscht sich die beiden vor Wut und Zorn lieber tot als lebendig.“ Und das ZDF läßt halb Deutschland reden, und halb Deutschland sagt, was halb Deutschland immer sagt: daß Gefängnis nicht schlimm genug ist für solchen „Dreck“, der kein Mensch mehr sei.

Woher kennen wir diese Sprache? Richtig: Aus der „Bild“-Zeitung. Das paßt ja. In der „Bild“- Zeitung stehen auch die intimen Details aus dem Leben von Prominenten, die abends bei „Kerner“ noch einmal besprochen werden, und umgekehrt. Manchmal gibt es eine gewisse Zeitverschiebung, wie bei Boris Beckers Autobiographie, die diese Woche bei „Bild“ durchgenommen wurde und erst nächste Woche bei „Kerner“. Bis es soweit ist, wird das, was Becker macht, übrigens auch im ZDF und bei „Hallo Deutschland“ als „öffentlicher Seelenstrip“ bezeichnet. Wenn er sich später im eigenen Programm auszieht, wird man dafür sicher einen anderen Namen finden.

Thomas Bellut, Programmdirektor des ZDF, bezeichnet Johannes B. Kerner im Gespräch als „Boulevardjournalisten“. Das ist sicher nicht böse gemeint, auch wenn es Kerner nicht gefallen wird. Aber vielleicht könnte man das einmal festhalten: Das Gesicht, das das Programm und das Image des ZDF mehr prägt als jedes andere, ist das eines Boulevardjournalisten. Das ist ja nichts Unehrenhaftes, würde Kerner jetzt erwidern, aber interessant ist es doch. Und obwohl Hartmann von der Tann, stellvertretender Programmdirektor des Ersten, bei Reinhold Beckmann das Wort „Boulevard“ sorgfältig vermeidet und von einer „People-Show“ spricht, gilt für die ARD ähnliches.

ARD und ZDF sind auf dem Boulevard zu Hause, in einem Maße, wie es vor ein paar Jahren nicht vorstellbar gewesen wäre. Manche Straßenzüge haben sie allein gepachtet. In den Talk-Redaktionen wird geklagt, wie unfaßbar hart und unfair der Kampf um Talkgäste geworden sei, was die Moderatoren alles bieten müssen – und dabei findet dieser Kampf exklusiv zwischen ARD und ZDF statt. Kein Privatsender, der die Sitten verroht oder die Preise versaut: Die „People-Show“ am Abend, in der Prominente und weniger Prominente wie in einer Peep-Show möglichst viel von sich preisgeben sollen, läuft so nur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Grund dafür ist natürlich nicht, daß es den Privaten zu intim, geschmacklos, schmuddelig wäre, Menschen beim „öffentlichen Seelenstrip“ zuzusehen. Sie haben sich aus diesem Geschäft zurückgezogen, weil sich damit nur wenige junge Menschen anlocken lassen. Die Öffentlich-Rechtlichen dagegen nehmen jeden und sind so um 23 Uhr zur Fortsetzung von „Bild“ mit anderen Mitteln geworden.

Ist das schlimm? Das ist Unterhaltung, sagen ARD und ZDF. „Der Erfolg von Unterhaltung mißt sich allein an der Zahl derer, die sich dafür interessieren“, sagt von der Tann. „Das ZDF ist ein Informationssender mit starker Unterhaltung, und an diesem Auftrag wirke ich mit“, sagt Kerner. Thomas Bellut fragt: „Hat der Zuschauer, der sich bei uns den ganzen Tag seriös informiert hat, nicht auch mal das Recht, sich mit Bobbeles Besenkammer zu beschäftigen?“

„Auch mal“ ist gut: Boris Becker sitzt innerhalb von acht Tagen insgesamt sechs Mal in drei verschiedenen ZDF-Sendungen, um seine Memoiren zu verkaufen. Es ist eine Werbefläche, wie sie bislang allenfalls RTL für Bohlen und seine (immerhin in der eigenen Sendung gekürten) Superstars freigeräumt hat, aber in dieser Penetranz noch nie ein öffentlich-rechtlicher Sender. Bellut bestreitet, daß es einen Masterplan gegeben habe: Der Auftritt Beckers bei „Unsere Besten“ falle zufällig in die gleiche Zeit; zu „Wetten daß“ kämen Leute wie er ohnehin nur, wenn sie für ein Produkt werben dürften, und das einwöchige „Kerner“-Special sei Kerners Idee gewesen. Bislang stehe fest, daß Becker in je einer Folge auf Familie, Sportler und Show-Freunde treffen werde. Wenn Kerner ihm kein journalistisch überzeugendes Gast-Konzept für die vierte Becker-Show vorlege, werde es keine geben.

Na, es wird schon eine geben.

„Wir haben uns gefragt: Wie kann man dem Phänomen Becker gerecht werden“, sagt Kerner. „Ich mache mir die Marketing-Überlegungen der Verlage nicht zu eigen.“ Vielleicht, philosophiert man beim ZDF, werde Becker sogar weniger Bücher verkaufen, weil nach dem Overkill viele Zuschauer das Gefühl hätten, es sei schon alles gesagt.

Das wäre tatsächlich eine langfristig hoffnungsvolle Strategie: Wir quatschen so lange und so viel, bis es keiner mehr hören mag. Dieser Zeitpunkt ist allerdings noch fern, der feste Platz für den Boulevard im Programm steht nicht zur Debatte. „Ich stehe voll und ganz hinter dieser Programmstruktur“, sagt Programmchef Bellut. „Sonst kann sich das ZDF nicht unter den Top 4 der Fernsehsender halten.“ Das ist das Dilemma: In der Gebührendebatte hätten die Öffentlich-Rechtlichen es kurzfristig leichter, wenn sie auf den Boulevard und seine Auswüchse verzichten würden. Wenn dadurch aber die Quoten sinken, würde langfristig die Gebührenfinanzierung wegen mangelnder Zuschauerresonanz in Frage gestellt.

Warum gibt es Sendungen wie „Beckmann“ in der ARD, Herr von der Tann? „Weil es ganz offensichtlich ein großes Interesse der Zuschauer an dieser Form der Unterhaltung gibt.“ Und warum muß da Susanne Juhnke am Rande des Nervenzusammenbruchs private Dinge über ihr Leben mit Harald Juhnke erzählen? „Eine People-Talkshow wie ,Beckmann‘ kommt an solchen Themen nicht vorbei.“ Es ist alles von großer Logik, aber erschreckender Konsequenz: Für Grenzüberschreitungen und das Bohren nach dem Intimsten sind am späten Abend ARD und ZDF zuständig. Natürlich weisen die Verantwortlichen das in großer Selbstzweifellosigkeit weit von sich. Interessanterweise fällt jedem aber ein, daß der Umgang der Konkurrenz etwa mit dem Thema Juhnke abscheulich gewesen sei.

„Unterhaltung gehört zu unserem Auftrag wie Bildung und Information“, sagt von der Tann, „Boulevardmagazine und People-Shows gehören dazu.“ Offensichtlich aber liegt es jenseits der Vorstellungskraft von ARD und ZDF, daß ein öffentlich-rechtliches Boulevardmagazin sich von einem privaten dadurch unterscheiden könnte, daß es bestimmte Grenzen nicht überschreitet. Daß es aus einem Mord im Reisebüro keine Stadt in Angst machen muß. Daß es sich leisten könnte, Little Ali, den Jungen, der im Irak-Krieg beide Arme verlor, nicht in eine „People-Show“ einzuladen, Susanne Juhnke ihr Buch woanders verkaufen lassen könnte. Die Frage nach den Grenzen der Shows bleibt weitgehend unbeantwortet, ja: unverstanden. Hartmann von der Tann reicht die Verantwortung gleich mal weiter: „Natürlich gibt es Grenzbereiche, aber die muß die Redaktion selbst ausloten. Das ist eine Frage des Geschmacks, und da weiß Herr Beckmann schon selbst, was er tut.“ Und was wäre für die ARD nicht akzeptabel? „Alles, was die Würde der Menschen verletzte: gnadenloses Vorführen der Menschen, absolutes Abstellen auf Sex und Crime.“ (Man beachte die Adjektive. Einfaches Vorführen und relatives Abstellen auf Sex und Crime sind völlig okay. Beckmann wird es wissen.) Sein Kollege Kerner sagt: „Mich interessieren nicht Körperflüssigkeiten und Sexualpraktiken, bei mir hat es noch keine Vaterschaftstests gegeben. Den großen Unsinn machen nach wie vor die Privaten, zum Beispiel Talkshows, wo es um Vaterschaftstests geht. Das ist ein signifikanter Unterschied.“ Und: „Ich würde prinzipiell Leuten wie Schill kein Forum bieten.“

Öffentlich-rechtlich, das fällt allen dann noch ein, sei an diesen Sendungen, daß neben den Bohlens und Küblböcks da manchmal Politiker säßen, mit denen man manchmal auch über Politik rede, oder eine Runde aus Experten und Betroffenen, mit denen man über Kindesmißbrauch rede. „Wenn ich Kerner nicht als populäre Figur positionieren würde“, sagt Thomas Bellut, „würde ich die Zuschauer nicht für solche Themen bekommen.“ Immerhin räumt er ein, daß die „Bild“-Zeitung im Boulevard mehr als früher die Themen setze und überhaupt heute nur noch Mainstream die nötige Aufmerksamkeit erreiche und Kampagnen die nötige Lautstärke. „Wir müssen versuchen, auch mal dagegenzuhalten“, sagt er, „aber beim Unterhaltungsfernsehen muß man mitmachen, sonst liegt man daneben.“

Was, wenn bei ARD und ZDF jenseits von „heute“, „Tagesschau“ und einzelnen Nischen längst alles Unterhaltungsfernsehen geworden ist?

Rundfunkgebühren

Gebt’s ihnen! Die Interessen der Privatsender sind nicht unsere: Warum die Rundfunkgebühr für ARD und ZDF erhöht werden muß.

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Die ARD hat etwas Schlimmes gemacht. Sie hat vergangenen Monat ihre Online-Angebote so umsortiert und zusammengefaßt, daß man sie sogar nutzen mag. Wer nach aktuellen Meldungen und Hintergrundinformationen im Internet sucht, wird unter tagesschau.de tatsächlich fündig. „Eine scharfe Attacke auf Angebots- und Meinungsvielfalt im digitalen Bereich“, nennt Spiegel Online das. „Während allerorten Premiuminhalte oder Archivrecherchen kostenpflichtig werden, gibt es bei den öffentlich-rechtlichen Adressen weiterhin alles umsonst.“ Pfui! Ein reichhaltiges Angebot zuverlässiger Informationen im Internet für jeden? Nicht nur für die Reichen, die dafür zahlen können? Was für ein Skandal! Wie kann es die ARD wagen, unsere Rundfunkgebühren einfach für etwas zu nutzen, das für uns alle so nützlich ist?

Die Empörung der Kollegen von Spiegel Online läßt sich noch erklären: Sie konkurrieren mit ihrem Nachrichtenangebot direkt mit dem Internetauftritt der „Tagesschau“. Da kann man das eigene unternehmerische Interesse schon mal mit dem der Leser verwechseln. Das wäre nicht der Erwähnung wert, entspräche es nicht exakt dem Muster, in dem jede Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Finanzierung geführt wird. Die Prämisse ist immer dieselbe: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse eingedämmt werden, alles andere koste uns nur unnötig Gebühren und die Privatsender Arbeitsplätze; überhaupt sei die natürliche Form des Rundfunkveranstalters die eines privatwirtschaftlichen Unternehmens. Der Diskurs ist so fest in diesen Annahmen verankert, daß es fast tollkühn scheint, sie in Frage zu stellen. Aber ist es nicht viel abwegiger anzunehmen, daß einer Gesellschaft am besten damit gedient ist, wenn sie ihre Information, ihre Unterhaltung, fast ihr ganzes Weltbild von Firmen bekommt, deren einziger Zweck es ist, möglichst viel Geld zu verdienen?

Das Bundesverfassungsgericht ging in seinen Urteilen eher nicht davon aus, daß kommerzielle Anbieter die gleiche Qualität und Bandbreite liefern würden wie öffentlich-rechtliche Programme, und wenn doch, könnten sie es zumindest nicht auf Dauer garantieren. Die Anforderungen an das Programm der Privatsender sind nicht so hoch – das sei zu akzeptieren, entschied das Gericht 1986, solange die Öffentlich-Rechtlichen alles liefern, was eine Gesellschaft, eine Demokratie, eine Kultur an Rundfunk braucht, vom Bildungsfernsehen bis zur Unterhaltungsshow. Für dieses umfassende Angebot erfand das Gericht den Begriff der „Grundversorgung“. Damals war eindeutig, welcher Teil im „dualen Rundfunksystem“ die beste Garantie für ein gutes Programm ist und welcher der Luxus, den sich eine Gesellschaft zusätzlich leisten kann.

Heute hat sich dieses Verständnis umgekehrt: Die Bedeutung des Wortes „Grundversorgung“ ist in der öffentlichen Diskussion geschrumpft vom Anspruch der Komplettversorgung, die auch dann ausreicht, wenn die Privaten ausfallen sollten, zur Mindestversorgung. Man denkt an klassische Konzerte, Schulfernsehen, schwierige Dokumentationen, philosophische Diskussionsrunden und das Wort zum Sonntag, Sachen, die keiner wirklich sieht, aber die es natürlich schon irgendwie geben sollte, Luxus halt, den man den Privatsendern wirklich nicht zumuten kann.

Unter dieser Voraussetzung steht von vornherein fest, wie jede Diskussion um eine Gebührenerhöhung für ARD und ZDF verlaufen wird. Entsprechend wenig Mühe geben sich die beteiligten Politiker und Lobbyisten, wenigstens sprachliche und argumentative Mindeststandards zu erfüllen. Der medienpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion verschickte eine Pressemitteilung, in der das Signalwort „Abzocke“ schon in der Überschrift steht (als entschieden ARD und ZDF selbst über ihre Gebühren) und in der er sich beschwert, daß die Öffentlich-Rechtlichen einen „kräftigen Schluck aus der Gebührenpulle nehmen“ wollen, was gleich mehrere Fragen aufwirft: Wo steht diese Flasche? Wem gehört sie? Wieviel ist noch drin? Und wer trinkt sie aus, wenn ARD und ZDF was drinlassen?

Voller Empörung werden die zehn Prozent Zuschlag zitiert, die ARD und ZDF bei der zuständigen Kommission KEF beantragt haben. Zehn Prozent! Nur gelegentlich steht in den Artikeln, daß die Gebührenperiode vier Jahre dauert, zehn Prozent also nicht einmal zweieinhalb Prozent jährlich entsprechen, was immer noch etwas mehr ist als ein Inflationsausgleich, aber die Massen kaum auf die Barrikaden bringen würde. Natürlich ist es skandalös, wenn ARD und ZDF das Geld dazu verwenden, absurd teuere Preise für WM- oder Bundesliga-Übertragungen zu zahlen. Natürlich ist das beste Argument gegen eine Gebührenerhöhung Johannes B. Kerner, der in einem Interview fragte: „Wissen Sie, wie viel Geld ich verdiene? Es ist unglaublich, wie viel Geld ich mit diesem Image machen kann. Besser geht’s nicht.“ (Der Mann redet von unseren Gebühren.) Natürlich ist der Soap- und Boulevard-Wahn von ARD und ZDF ein Ärgernis. Doch darum geht es nicht. Auch wenn die Forderung von Edmund Stoiber und anderen erfüllt würde, die Gebühren „einzufrieren“, sprich: netto zu senken, müßte kein Beckmann, kein Kerner um sein Auskommen bangen, leider.

Wer fordert, ARD und ZDF de facto weniger Geld zu geben, will ihren Einfluß und ihre Möglichkeiten beschneiden und sie langfristig marginalisieren. Das freut Bertelsmann, die Kirch-Nachfolger und, wenn es ums Internet geht, auch die Verlage. Ob es im Interesse der Gesellschaft und der Zuschauer ist, ist eine andere Frage.

Die Realität als Konkurrent von ARD und ZDF ist manchmal bitter und nicht immer gerecht: Als sie ihren Kinderkanal starteten und dafür beste Kabelplätze bekamen, bedeutete das das Aus für die private Konkurrenz von Nickelodeon, die ein sehenswertes und innovatives Kinderprogramm gemacht hatten. Das wurde, zu Recht, von vielen beklagt. Aber auf einen werbe- und gewaltfreien Kinderkanal würden Millionen Eltern, gerade angesichts der täglich zu betrachtenden Programmalternative namens RTL 2, nicht verzichten wollen.

Die privaten Veranstalter fordern eine Art Chancengleichheit: Weil sie unter den wegbrechenden Werbeerlösen leiden, sollen sich auch ARD und ZDF stärker einschränken. Das Gegenteil ist richtig: Gerade weil die Qualität, die die Privaten liefern, immer von Konjunkturschwankungen abhängen wird, müssen die Öffentlich-Rechtlichen davon frei sein. Damit wir auch in schlechten Zeiten gutes Fernsehen bekommen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Einen links, einen rechts, das ZDF fallenlassen

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Markus Söder kämpft für die CSU gegen die Sozis im Sender und für einen konservativen Programmdirektor – uns zuliebe natürlich.

Am Freitag entscheidet der ZDF-Verwaltungsrat, wer neuer Programmdirektor werden soll. Alles spricht für Fernsehspielchef Hans Janke – außer, daß er nach der schlichten Farbenlehre als „Roter“ gilt und Intendant Markus Schächter der einzige „Schwarze“ in der vierköpfigen ZDF-Spitze wäre. In der CDU gibt es inzwischen Stimmen, die sich trotzdem für Janke aussprechen. Wortführer der Gegner ist Markus Söder, Chef der CSU-Medienkommission und Mitglied im ZDF-Fernsehrat.

Herr Söder, Sie haben das ZDF öffentlich kritisiert: Im Wahlkampf sei „in den Redaktionsstuben linke Politik gemacht“ worden. Sie haben das Thema in den Fernsehrat gebracht. Gab es Beschlüsse dazu?

Wir haben gemeinsam festgestellt, die Debatte künftig in den zuständigen Ausschüssen zu führen.

Das heißt, Sie äußern sich in Zukunft weniger und anders?

Das hängt von Fall zu Fall ab. Die Situation ist nach der Wahl mehr als schwierig. Es gibt schon sehr viele Kritikpunkte an der Berichterstattung. Ob es um die „Endspurt“-Reportage ging, die Themenauswahl in „Frontal 21“ und das dortige „Kanzlerduell“ zweier Puppen, die Zusammensetzung des Publikums bei Sendungen wie „Nachtduell“, die Auswahl der Gäste von „Berlin Mitte“, bei der es meistens ein Verhältnis von drei zu zwei für Rot-Grün gab. Diese Fälle wollen wir jetzt intern aufarbeiten. Dann sehen wir, ob sich das bessert oder sich der Trend fortsetzt.

Dem ZDF ist schon vieles vorgeworfen worden, aber selten, ein linker Sender zu sein.

Ich würde nicht pauschal sagen, das ZDF ist links. Das ist viel zu einfach und würde dem Gesamthaus nicht gerecht. Aber es gibt aus unserer Sicht eindeutige Tendenzen bei der Themensetzung in der Aktualität und bei Magazinen.

Ein Trend, daß die meisten ZDF-Journalisten links sind?

Einige schon. Das sind natürlich alles professionelle Journalisten – aber die Art, wie die Themen aufbereitet wurden, war sehr oft an die Regierungssicht angelehnt.

Deshalb drohen Sie, man müsse „an die Rundfunkgebühren ran“.

Diese Debatte ist sehr ernst und wichtig. Das ZDF ist eine Länderanstalt, da müssen sich die Menschen auch wiederfinden. Die Bayern sind treue und unglaublich viele Gebührenzahler – und bei uns hat die CSU über 58 Prozent erreicht. Diese Bürger wollen sich auch im Programm wiederfinden. Sonst stellt sich schnell die Frage: Gebühren zahlen für etwas, bei dem man sich nicht repräsentiert fühlt? Oder diese noch erhöhen?

Kann es sein, daß Sie Ihr Interesse und das Parteiinteresse mit dem Zuschauerinteresse verwechseln?

Ich verstehe mich als Anwalt der Gebührenzahler und als Kontrolleur einer öffentlich-rechtlichen Anstalt. Ein Fernsehrat ist kein Lobbyist des ZDF. Meine Aufgabe besteht darin, darauf zu achten, für was Gebühren verwendet werden.

Der Gebührenzahler hat also ein Interesse, daß der neue ZDF-Programmdirektor konservativ ist?

Das ZDF ist zur Ausgewogenheit verpflichtet. Alle gesellschaftlich relevanten Gruppen müssen sich entsprechend ihrer Stärke wiederfinden; im Programm und letztlich in der personellen Mannschaft.

Sie kämpfen nicht für die Union, sondern für die Zuschauer gegen einen Programmdirektor Hans Janke? Ist das Ihr Ernst?

Ich nehme an, Sie wollen darauf hinaus, daß es dem Zuschauer letztlich egal sein kann, wer da sitzt.

Nein, aber welcher Partei er angeblich nahesteht.

Natürlich wäre es zu kurz gegriffen, allein aufs Parteibuch zu schauen. Daß die Leute Kompetenz haben müssen, ist keine Frage. Kompetenz steht an erster Stelle, aber an zweiter, aus welchem gesellschaftlich-politischen Milieu er kommt und ob sich damit die gesellschaftlich relevanten Gruppierungen repräsentiert fühlen. Es geht nicht darum, ob die CSU glücklich ist. Es geht darum, ob das ganze komplizierte Geflecht der gesellschaftlich-relevanten Kräfte repräsentiert wird im ZDF.

Und Thomas Reitze oder Thomas Bellut wären eine gute Wahl, weil sie als konservativ gelten?

Weil sie es können und weil es im Rahmen der Intendantenwahl bezüglich des Programmdirektors eine klare Vereinbarung gab. Ich denke, es wäre sinnvoll, diese Strukturen zu erhalten.

Hatten Sie den Eindruck, daß die Art, wie die Intendantenwahl auf der Grundlage dieser Strukturen stattfand, gut war fürs ZDF?

Nicht unbedingt. Ich würde manches ändern. Ich halte es für falsch, daß nicht nach zwei Wahlgängen eine einfache statt einer Dreifünftel-Mehrheit genügt. Das hat ja zu dieser Problemlage geführt.

Das? Oder eher, daß es immer allein darum geht: Welcher Partei steht jemand nahe? Sie sprechen von „gesellschaftlich relevanten Gruppen“, aber was zählt, ist nur, daß Janke als SPD-Mann gilt, Bellut als CDU-Mann.

Völlig unbedeutend ist es nicht.

Ist das gut fürs Fernsehen? Ist das im Interesse der Gebührenzahler?

Wir haben eine repräsentative Demokratie in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, und die definiert sich über diesen pluralistischen Ansatz. Das hat sich 50 Jahre in vielen Bereichen von Gesellschaft und Politik bewährt. Das ZDF unterliegt den gleichen Prinzipien. Ich finde nicht, daß man das in Frage stellen sollte, bloß weil man mal bei einer Personalentscheidung nicht gleich die augenscheinlich „schnellste“ Lösung hat.

Viele, die sich auskennen, sagen öffentlich, sie halten Janke für die beste Wahl. Beeindruckt Sie das?

Natürlich nimmt man diese Stimmen ernst. Ich weiß allerdings nicht, ob zum Beispiel das massive Werben von Gottschalk dem Kandidaten nützt. Entscheiden müssen andere. Ich bin fest überzeugt, daß der Intendant am Freitag dem Verwaltungsrat einen Vorschlag macht, der mehrheitsfähig ist.

Sind Sie selbst mehrheitsfähig? Der Fernsehratsvorsitzende Polenz, CDU, sagt, der Einfluß der Parteien solle nicht zu groß werden, man dürfe nicht jeden Personalvorschlag politisch diskutieren.

Ich habe das so verstanden – und da stimme ich ihm auch zu -, daß man nicht jede Personalie öffentlich dauerhaft diskutieren soll.

Genau das tun Sie.

Nein, das tue ich nicht mehr.

Haben Sie aber getan.

Ich habe einen Diskussionsbeitrag zu dem Thema gegeben. Ich denke, das war wichtig und richtig. Aber ich habe Herrn Polenz so verstanden, daß wir das nicht dauerhaft fortsetzen wollen. Vor allem nicht bei jeder kleinen Personalie.

Polenz sagt: „Ich halte es nicht für sachgerecht, wenn öffentlich über Personen debattiert wird.“

Der Fernsehratsvorsitzende hat im übrigen eine andere Aufgabe als ich. Ich bin der Meinung: Ein bißchen Transparenz schadet nie. Es muß doch Kritik möglich sein, ohne daß gleich gesagt wird, „da wird jemand beschädigt“. Es nützt doch dem ZDF nur, wenn manche Sachen kritisch hinterfragt werden. Ich bin schließlich einer der jüngsten im Fernsehrat, vielleicht formuliere ich manches auch plakativer als ein Etablierter.

Etablierter als Sie kann man kaum sein: Sie halten jeden Unions-Mann für qualifiziert, jeden SPD-Mann für unqualifiziert.

Das habe ich nicht gesagt.

Darauf läuft es hinaus.

Ich habe gesagt, Qualifikation ist das erste. Aber stellen Sie sich vor, es gibt zwei Gleichqualifizierte.

Sie wollen einen Konservativen.

Halte ich insgesamt für die ausgewogenere Lösung. Aber entscheiden müssen es andere.

Sie sitzen als Vertreter der CSU im Fernsehrat. Es gibt Vertreter von CDU und SPD. Ich frage mich, ob da irgend jemand als Vertreter des Publikums oder der Interessen des ZDF sitzt.

Aber das ZDF-Programm ist doch ganz gut. Oder haben Sie den Eindruck, das ist alles schlecht?

Nein.

Dann haben wir doch gute Arbeit gemacht!

Wenn das Programm gut ist, dann trotz des Einflusses der Parteien, nicht wegen.

Das sehe ich nicht so.

Wie sehen Sie jetzt die Chancen für Janke oder für Bellut?

Ich bin optimistisch.

Inwiefern?

Ich bin optimistisch, daß wir eine gute Lösung finden.

Und Sie haben gesagt, daß Sie Reitze und Bellut für gute Lösungen halten und Janke nicht.

Ja, das habe ich gesagt.

Wäre Janke schlecht fürs ZDF oder schlecht für die Union?

Ich glaube, es würde eine schwierige Situation auslösen, die das Gesamtvertrauen zwischen ZDF und Kontrollgremien betreffen könnte.

Haben Sie überhaupt Indizien, daß Leute wie Janke oder Schächter Entscheidungen aufgrund ihrer Parteipräferenzen fällen?

Es sind ja Leitungspositionen bei der größten Fernsehanstalt in Europa. Da hat jede Aufgabe eine politische Dimension.

Carrell verachtend

taz

Fernsehkritik: „Traumjob“, ZDF, Samstag, 20.15 Uhr.

Die Premiere fand nicht statt. Angekuendigt war Sabrina Fox als erste Frau, die eine grosse Samstagabend-Show im Fernsehen moderieren darf. Frau Fox war da. Was fehlte, war die grosse Show. In einem revolutionaeren Akt hatte sich das ZDF nicht nur endlich ueber die goldene Regel aus dem orthodoxen Standardwerk „Wie mache ich eine grosse Samstagabend-Show“ hinweggesetzt („Maenner muessen moderieren“), sondern offenbar – wie das bei Revolutionen so ist – gleich das ganze Buch weggeworfen.

Dabei haetten sie darin zum Beispiel die Grundregel finden koennen „Die Samstagabend-Show ist live“. Aber die Spielchen, bei denen KandidatInnen darum kaempften, zumindest fuer wenige Tage in ihren Traumjob schnuppern zu duerfen, waren aufgezeichnet. Die Bayern, die dafuer um die Wette fluchen mussten, konnten so getrost beim Ablesen vom Zettel (!) den Faden verlieren, Schnitt, das Ganze noch mal – das Ergebnis blieb Stueckwerk.

„Wuensch dir was“ oder „Wetten dass…?“ gehorchten dem kleinen Einmaleins der grossen Show: Sie schufen selbst Ereignisse. Ohne das Fernsehen haette vermutlich nie ein Auto auf Saftglaesern gestanden. Der „Traumjob“ zeigte dagegen nur, was ohnehin stattgefunden haette: zum Beispiel die Auswahl einer neuen Taenzerin fuer das „Phantom der Oper“.

Mit der einfallslosen Dekoration missachteten die Traumjob- MacherInnen auch noch das Gebot der Show-Vorfahren, die Familie vor dem Bildschirm in eine traumhaft-schillernde Umgebung zu entfuehren. (Bei Thomas Gottschalk konnte man sich, waehrend Al Bano und Romina Power sangen, wenigstens noch durch die bunte, rotierende, explodierende Kulisse wachhalten.)

Das Lehrbuch-Kapitel „Wie erzeuge ich grosse Gefuehle?“ ignorierte die Crew von „Traumjob“ komplett. Im Minutentakt schob Moderatorin Sabrina Fox, die frueher Sat.1 zu Diensten war, die BewerberInnen durch die Show, so dass Sympathien beim Zuschauer gar nicht erst entstehen konnten.

Und die Gefuehle bei den KandidatInnen? „Aufgrund der gesammelten Eindruecke ist dieser Job auch sehr interessant fuer mich geworden“, fasste einer seine grenzenlose Begeisterung in Worte.

„Wuensche werden wahr“, hiess der Untertitel der Show. Das hatten wir doch schon mal besser. Schlag nach bei Carrell!