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Aktenzeichen XY … unzutreffend

Das FBI hat in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ am Mittwoch mit dem Foto eines völlig unbescholtenen Urlauberpaares aus Deutschland nach einem Schwerverbrecher gesucht. Der Sender nahm den Fehler mit „Bestürzung“ auf, gab aber laut dpa Entwarnung:

Das unverdächtige Paar könne sicher sein, dass sein Urlaubsfoto nicht weiter um die Welt gehe.

Na, dann ist ja nicht so schlimm.

(Aber sollte nicht wenigstens jemand dem FBI Bescheid sagen?)

Falschparker auf Eva Hermans Autobahn

Eva Herman erzielt gegen das deutsche Meinungskartell einen juristischen Sieg nach dem nächsten, aber weil die Medien gleichgeschaltet sind, berichtet keiner darüber. Kann das sein? Es sieht so aus. Auf ihrer Homepage hat die frühere Fernsehmoderatorin und „Tagesschau“-Sprecherin vor zwei Wochen eine Pressemitteilung veröffentlicht, wonach sie erfolgreich gegen das ZDF und die Nachrichtenagentur dpa vorgegangen sei. Widerhall fand diese Meldung aber fast nur in, sagen wir: speziellen Medien – bei der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“, der evangelikalen Agentur „Idea“ und dem erzkatholischen Verein „Kath.net“.

Warum steht das sonst nirgends? Hatte Eva Herman vielleicht Recht mit ihrer Rede von der „Gleichschaltung“ der deutschen Medien?

Nicht ganz. Je genauer man sich die vermeintlichen juristischen Erfolge von Frau Herman ansieht, umso weniger spektakulär sind sie. Deshalb wird es jetzt ein wenig fisselig.

In der Auseinandersetzung mit dpa geht es um eine Formulierung, die die Nachrichtenagentur verwandte, als sie über Hermans Auftritt bei Johannes B. Kerner berichtete:

Zuvor hatte Kerner fast 50 Minuten lang die 48-Jährige immer wieder gefragt, ob sie ihre Äußerungen zu den familiären Werten im Nationalsozialismus heute so wiederholen würde. Doch Herman wich mehrfach aus und ergänzte: Wenn man nicht über Familienwerte der Nazis reden dürfe, könne man auch nicht über die Autobahnen sprechen, die damals gebaut wurden.

Es ist kein Zufall, dass der letzte Satz nicht in Anführungszeichen steht, denn Eva Herman hat ihn nicht gesagt, auch nicht ungefähr. Tatsächlich ging es bei ihrem inzwischen berüchtigten Autobahn-Vergleich nicht um die Familienwerte der Nazis, sondern darum, dass sie auch auf mehrfache Nachfrage nicht davon lassen wollte, von einer „gleichgeschalteten Presse“ in der heutigen Bundesrepublik zu sprechen. Auf die Vorhaltung, es handele sich um einen Begriff aus dem Dritten Reich, sagte sie:

Natürlich ist er da benutzt worden. Aber es sind auch Autobahnen damals gebaut worden und wir fahren heute drauf.

Die irreführende Formulierung aus der dpa-Meldung verbreitete sich besonders rasch, weil dpa exklusiv aus der Aufzeichnung der Sendung berichtete. Die Meldung lief schon um 20.09 Uhr, also mehr als zwei Stunden, bevor die Show ausgestrahlt wurde. dpa wiederholte die Darstellung um 20:41 Uhr und noch einmal spät in der Nacht. Vom Mittag des folgenden Tages an zitierte dpa Herman wörtlich, korrekt und im richtigen Zusammenhang, korrigierte die vorherige Darstellung aber nie ausdrücklich.

Frau Herman verlangte von dpa nun unter anderem, die Meldungen zurückzuziehen, was die Agentur ablehnte. Das Landgericht Köln schlug einen Vergleich vor. Danach muss dpa die damaligen Meldungen nicht nachträglich zurückziehen oder korrigieren, verpflichtet sich aber, in Zukunft nicht wieder zu verbreiten, dass Eva Herman gesagt habe: „Wenn man nicht über Familienwerte der Nazis reden dürfe, könne man auch nicht über die Autobahnen sprechen, die damals gebaut wurden.“ Das Gericht erließ ein entsprechendes „Teilanerkenntnisurteil“.

Dieser Vergleich ist zwar ein Erfolg für Eva Herman, bleibt aber hinter ihren ursprünglichen Forderungen zurück. Im Protokoll der Gerichtsverhandlung formuliert die Kammer es nur als Frage, ob die dpa-Meldung „im Kern wahr, aber vergröbernd“ war oder es sich um ein unzulässiges Zitat handelte. Bezeichnend ist auch, dass dpa nach diesem Vergleich nicht für die Anwaltskosten Eva Hermans aufkommen müsse, sondern beide Seiten ihre eigenen Auslagen tragen und sich die Gerichtskosten teilen würden.

Mit dieser Aufteilung ist Frau Herman aber nicht einverstanden. Sie hat deshalb, wie ihr Anwalt Gerrit Schohe erklärt, jetzt nachträglich ihre Zustimmung zu dem Vergleich im Bezug auf die Kosten zurückgezogen. Nun muss das Gericht diesen Punkt entscheiden. (Ich hatte Sie ja gewarnt, dass es fisselig werden würde.)

Im Streit mit dem ZDF geht es um einen offenbar satirisch gemeinten Jahresrückblick in der Sendung „Aspekte“ vom 14. Dezember 2007. Wolfgang Herles hatte darin Hermans Äußerungen so zusammengefasst, „bei den Nazis sei nicht alles schlecht gewesen, ja sogar manches gut“ und: „Das sind Werte, das sind Kinder, Mütter, Familien, das ist Zusammenhalt.“ Wie das ZDF bestätigt, hat der Sender tatsächlich nach Aufforderung durch die Anwälte Hermans eine entsprechende Unterlassungserklärung abgegeben. Allerdings, und das ist nicht unwesentlich: ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Das bedeutet im Grunde, dass das ZDF der Meinung ist, freiwillig auf eine Wiederholung der Formulierungen zu verzichten (was dem Sender leicht fällt, da es sich ja um einen Jahresrückblick 2007 handelt), sie aber im Grunde insbesondere im Rahmen einer satirischen Darstellung für zulässig zu halten. Um die Übernahme der Anwaltskosten streiten sich Herman und das ZDF noch — womöglich bald auch vor Gericht. Einen großen „juristischen Erfolg“ Hermans zu verkünden, wäre also mindestens voreilig.

Eva Herman aber sagt:

„Es wurde Zeit, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Das war erst der Anfang. Nun geht es weiter.“

Grimme-Kandidaten gucken

Wer sehen will, was wir vergangene Woche in der Grimme-Jury in Marl gesehen haben: Das ZDF zeigt heute abend „Eine Stadt wird erpresst“, einen ungewöhnlichen Polizeithriller von Dominik Graf. Der Film war zwar nicht mein persönlicher Favorit auf einen Grimme-Preis (ob er einen bekommen wird, ist noch geheim), aber spanned, ungewöhnlich und vor allem mit dem gewagten Bruch in der Mitte, wenn Tempo und Genre wechseln, sehenswert. Und Uwe Kockisch ist wunderbar.

Eine Stadt wird erpresst, heute, 20.15 Uhr, ZDF.

Wenn „Bild“ das schreibt, wird’s stimmen

Kommen wir zu weiteren Antworten auf die beliebte Frage: „Wer glaubt schon, was in der ‚Bild‘-Zeitung steht?“

Die Nachrichtenagentur AP glaubt es. Sie übernahm bekanntlich aus „Bild“ die ebenso doofe wie falsche Behauptung, das „Gerangel um die Aust-Nachfolge … zieht offensichtlich auch die Auflage [des ‚Spiegel‘] nach unten“, die „Bild“ zufällig einfiel, nachdem der „Spiegel“ über den Auflagenrückgang von „Bild“ berichtete.

Die „taz“ glaubt es auch. Sie ließ die Quelle „Bild“ weg, machte sich die Interpretation aber zu eigen und vermeldete sie sogar unter der Überschrift „Nach Posse um Chefredaktion / „Spiegel“-Verkauf bricht ein“:

(…) Die Einzelverkäufe sind im vierten Quartal 2007 auf 337.500 Exemplare gesunken. (…) Ein Einbruch von fast 20 Prozent und das schlechteste Ergebnis seit 2003. Möglicherweise liegt das an der schlechten Presse, die im vierten Quartal ordnerweise über den Spiegel erschien und nicht gut fürs Image war.

Und im Zweifel glaubt es auch „turi2“, der „Aufsteiger unter den Branchendienst für Medien und Kommunikation“ und BILDblog-Kritiker, der gestern berichtete:

Übrigens hat die dilettanische [sic] Nachfolgersuche für Aust dem „Spiegel“ einen erheblichen Imageschaden verpasst: Im vierten Quartal 2007 ging der Einzelverkauf laut IVW um 20 Prozent zurück.

(Von einem Rückgang um 20 Prozent zu sprechen, wie „taz“ und „turi2“ es tun, ist ohnehin unzulässig, weil nur ein Vergleich mit dem Vorjahresquartal aussagekräftig ist; nicht der des Herbstes mit dem Sommer.)

taz.de und turi2.de demonstrieren auch schön die Attrappenhaftigkeit vieler Kommentarfunktionen. Unter beiden Artikeln stehen Kommentare von Lesern, die unter Verweis auf BILDblog schreiben, dass der behauptete Zusammenhang zwischen der Personalie Aust und dem Auflagenrückgang nicht stimmen könne. Und bei beiden Artikeln gibt es keine Reaktion auf diese Hinweise: Keine Korrektur, Ergänzung oder wenigstens Antwort eines Redakteurs oder Mitarbeiters in den Kommentaren. Das ist so interaktiv und Web-2.0-ig wie ein Anrufbeantworter.

Und wer glaubt noch, was in der „Bild“-Zeitung steht? Das Fernsehen natürlich. Die Mär, dass der Hai, der auf einem „Bild“-Leserreporter-Video zu sehen ist, 3,50 Meter lang sein soll, verbreiteten nach Informationen von BILDblog-Lesern gestern „Brisant“ (ARD) und „Hallo Deutschland“ (ZDF), ProSieben und der „Nachrichtensender“ N24 — und betonten dabei teilweise auch noch diese unglaubliche Länge, die schon bei einem Blick auf das Video selbst noch unglaublicher wird.

Trash-Fernsehen

Erstaunlich, dass die Leute sich für sowas hergeben. Gut, das ist nicht die erste Riege der Stars, die da mitmacht, eher schon das etwas abgetakelte Personal, ein Soap-Darsteller, einige Schauspieler, von denen man noch nie etwas gehört hat, ein früher umjubelter Late-Night-Moderator, B-Prominenz.

Aber es ist dann doch einigermaßen erschütternd, das mitanzusehen: Allein wie sie mit den Tieren ihr Essen teilen müssen, zwischen ihnen schlafen und sogar mit ihnen reden. Die erbärmlichen Geschichten, die traurigen Dialoge, die billigen Witze, das Fehlen jeder Relevanz, jedes Anspruchs, jeder Qualität. Und wie das dann alles zusammengeschnitten ist. Es ist schwer, sich das anzusehen, es sei denn aus Häme. Um sich über diese Art des Fernsehens und seine Protagonisten lustig zu machen.

Natürlich: Die Quote ist prima, das hat sich über die Jahre nicht verändert. Trotzdem muss man sich fragen, warum sich Menschen immer wieder für so etwas hergeben. Ist es nur das Geld? Oder doch die Hoffnung, hinterher groß rauszukommen?

Aber hat es wirklich jemals jemand geschafft, eine Karriere darauf aufzubauen, dass er bei Unser Charlie mitgespielt hat?

Der Doping-Skandal-Skandal

Um gleich mit der Kritik anzufangen: Eigentlich steige ich bei Artikeln, die als Synonym für ARD oder ZDF Begriffe wie „zwangsgebührenfinanzierter Kuschelsender“ benutzen, gleich wieder aus.

In diesem Fall wäre das ein Fehler, denn der Text, der folgt, ist unbedingt lesenswert. Jens Weinreich, Sportchef der „Berliner Zeitung“ und herausragender kritischer Sportjournalist, hat in seinem Blog über den vermeintlichen Doping-Skandal im Biathlon geschrieben, der dann zum vermeintlichen ARD-Skandal wurde. Überhaupt sehen ungefähr alle in der Geschichte schlecht aus: die kritischen Journalisten, die als Journalisten verkleideten Fans, die ARD, der lustige Michael Antwerpes, die „Tagesschau“, die Nachrichtenagenturen dpa und sid — und Weinreich schont niemanden.

Im Sport kenne ich mich wenig aus, aber vieles, was Weinreich formuliert, geht weit über das Thema Doping und die Besonderheiten des Sportjournalismus hinaus und betrifft grundsätzliche journalistische Untugenden:

(…) Wer nicht dokumentieren kann, dass angeblich Dutzende deutsche Wintersportler zu den Kunden einer Wiener Blutbank zählen, der sollte daraus keine Exklusivmeldung basteln, sondern einfach mal schweigen — und weiter recherchieren. (…)

Eine absolute Unsitte im deutschen Journalismus sind die so genannten Vorabmeldungen. Täglich werden die Nachrichtenagenturen mit einem Wust an exklusiven Nichtigkeiten belästigt. Was davon ausnahmsweise exklusiv, was aber nur nichtig ist, können Agenturjournalisten oft nicht unterscheiden. Zum Gegencheck fehlt meistens die Zeit, oft auch der Wille – und überhaupt das Verständnis. Hinzu kommen handwerkliche Mängel. (…)

Kaum einer der Betroffenen, am ehesten noch die Deutsche Presse-Agentur (dpa), hatte die Größe, seine Fehler zu dokumentieren. Dabei handelt es sich hier um eine ganze Fehlerkette. Anders gesagt: Das System ist der Fehler.

Dieses komplexe Beispiel korrespondiert übrigens sehr schön mit meiner These, dass sich die herkömmlichen Medien, die doch stets behaupten, Qualitätsjournalismus gepachtet zu haben, auf Dauer überflüssig machen, wenn sie weiter so mit ihren Kunden umgehen. (…)

Lesen! Und bookmarken: jensweinreich.de

Namedropping mit Andrea Kiewel

Das hätt‘ ich auch nicht gedacht, dass es sich noch mal lohnen würde, „Schmidt & Pocher“ zu gucken. Die Sendung zeigte gestern Ausschnitte aus der MDR-Talkshow „Riverboat“ mit diesen Zitaten Andrea Kiewels (die eingeblendeten Geldbeträge sind fiktiv, bzw. witzig gemeint):


„Also ich hab vorher, bevor Johnny gezeugt wurde, 25 Kilo mit Weight Watchers abgenommen und hab dann, doof wie ich bin, drei Monate dieses Gewicht gehalten…“


„Die letzten acht, neun Kilo, die ich als Frau zuviel finde, sollen noch weg bis zum Mai, und bin wieder bei Weight Watchers, und die helfen mir da so richtig schön auf die Sprünge…“


„Aber für mich ist Weight Watchers der Weg zurück zum normalen, gesunden Essen…“


„Und du bist bei Weight Watchers zum ersten Mal nicht die Dicke unter Dünnen…“


„Das ist ja schon meine zweite Episode bei Weight Watchers. Beim ersten Mal war’s mir ein bisschen saudoof…“

Und nun noch einmal zum Vergleich, was der Pressesprecher des MDR gestern im Zusammenhang mit der Schleichwerbung Andrea Kiewels zu „Spiegel Online“ gesagt hat:

„Die auf SPIEGEL ONLINE genannten Vorwürfe gegen Frau Kiewel beziehen sich ausschließlich auf Ihre Tätigkeit für das ZDF“, sagt Sendersprecher Stefan Mugrauer. Im MDR habe sie in keiner Sendung einen Bezug zum Thema „Weight Watchers“ hergestellt oder sei in irgendeiner Weise werblich für Weight Watchers aufgetreten.

ZDF und MDR haben Kiewel inzwischen gekündigt.

PS:


„Und dann war irgendwann der Punkt, wo ich gedacht habe: Jetzt ist auch mal gut, eine Kollegin hat bei Weight Watchers angefangen. Weight Watchers klingt ja erstmal ein bisschen, hmm. Bin hin, Berlin-Spandau…“

Claus Kleber

Ganze Dossiers werden in den nächsten Tagen noch veröffentlicht mit klug und informiert erscheinenden Analysen über die strategischen, politischen und persönlichen Gründe dafür, dass ausgerechnet Claus Kleber neuer Chefredakteur des „Spiegel“ werden soll. Geschrieben werden die allerdings von Leuten, die in den vergangenen Wochen in genauso klug und informiert erscheinenden Analysen dasselbe für jeden Kandidaten außer Claus Kleber getan haben, und deshalb ist diese Erklärung so gut wie ihre:

Es war der Abend des 2. Dezember, im „Spiegel“ brannte noch Licht. Ein paar Strippenzieher saßen beim Wein zusammen, verwarfen Namen und schauten nebenbei, in einer komplizierten Mischung aus Trotz und Selbsthass, den Jahresrückblick „Menschen“ im ZDF, mit Johannes B. Kerner, dessen Talkshow von einer „Spiegel“-Tochter produziert wird. Während sie saßen und tranken, wurde Claus Kleber live aus Moskau zugeschaltet, und er begann mit den Sätzen: „Es ist Mitternacht in Moskau und bitterkalt und eine spannende Nacht.“ Kindlich rein und klar schienen ihnen diese Sätze, so unprätentios wie nichts, das sie je in ihrer Zeitschrift gelesen oder geschrieben hätten. „Das ist ein Riesenland“, fuhr Kleber fort, und als sie sich gerade fragten, ob es vielleicht ein Fehler war, dass sie all die Jahre richtige Verben und sogar Nebensätze benutzt hatten, fügte er hinzu: „Im Osten geht bereits wieder die Sonne auf – so groß ist dieses Land, das Putin heute noch einmal fester unter seine Kontrolle bekommen wollte.“ Das war nun von großer Anschaulichkeit, aber fehlte da nicht ein bisschen die kritische Analyse? Sie fehlte nicht mehr lange, denn Kleber, der nicht hemdsärmlig war wie der Mann, den sie sonst oft auf dem Bildschirm sahen und in ihren Konferenzen, sondern dick in einen Mantel eingepackt war, was ihn noch staatsmännischer aussehen ließ im eisigen Wind, und der, ganz ohne Podest, hinter einem Tisch zu stehen schien und eine Hand lässig darauf ablegte, fuhr fort: „Es ist in einem so riesigen Gebiet auch dann schwierig, eine faire und gerechte Wahl zu machen, wenn man es ernsthaft versucht. Die Frage ist: Ob das heute probiert worden ist. Und es sieht nicht danach aus.“

Das war kritisch und auf den Punkt und doch so ganz anders als diese miesepetrige, zynische, nicht nur immer alles besser wissende, sondern vor allem immer schon alles gewußt habende Haltung, die sie von ihrem Chef und aus ihren Fernsehmagazinen und aus ihrer Illustrierten kannten, die früher einmal ein Nachrichtenmagazin war. Es war weder zynisch noch naiv, sondern auf eine fremde Art pädagogisch und menschenfreundlich.

Und einem der „Spiegel“-Leute fiel plötzlich ein, dass er ein paar Tage zuvor schon gesehen hatte wie dieser Claus Kleber mit Kurt Beck gesprochen hatte, der gerade Olaf Scholz zum Arbeitsminister gemacht hatte und sich augenscheinlich vorgenommen hatte, nicht ganz so offen und zugänglich auf die Fragen zu antworten wie es ein Stück Granit getan hätte. Kleber aber blieb entspannt und fragte mit der freundlichsten Boshaftigkeit, die man sich vorstellen kann: „Sehen Sie verborgene Qualitäten in Olaf Scholz?“ Nachdem der „Spiegel“-Mensch das erzählt hatte, durchzuckte es alle: Sowas wollten sie auch.

Genau so war das.

Und solange die Redaktionskonferenzen nicht vollständig live übertragen werden, sehe ich überhaupt keine Veranlassung, warum der blöde „Spiegel“ seinen Willen bekommen und dieser Mann dem Fernsehen verloren gehen soll.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Medien im Blutrausch (upd.)

Eigentlich hatte ich auch den Glauben, dass die Öffentlich-Rechtlichen ziemlich objektiv wären. Ich hatte auch gedacht, dass nach dieser verfälschenden Berichterstattung eine Richtigstellung erfolgen würde. Da habe ich mich aber wohl geirrt.

Ich bin gespannt, ob irgendjemand von „Panorama“, „Hart aber Fair“, „Kontraste“ oder „Frontal 21“ zumindest den Versuch unternehmen wird, Matthias Dittmayer den Glauben an das Gute im deutschen Fernsehjournalismus wieder zu geben, und ersthaft Stellung nimmt zu dieser Anklage von ihm:

Ich habe die Richtigkeit von Dittmayers Aussagen nicht überprüft, aber seine Argumentation ist beeindruckend und allemal überzeugender als die ahnungslosen, berufsempörten Gesichter und Floskeln der gezeigten Protagonisten.

Und ich kann es nicht fassen, dass in Großbritannien zum Beispiel eine breite Diskussion stattfindet über Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit in den Medien, die sogar dazu führt, dass die „Noddys“ in Frage gestellt werden, die Gegenschüsse auf nickende Fragesteller, die nachträglich gedreht und in Fernsehinterviews geschnitten werden, und bei uns kann die Redaktion von „Kontraste“ einfach die Kritiker blöde anpöbeln und der Intendant des Norddeutschen Rundfunks, Jobst Plog, kann in einer Erklärung sinngemäß sagen: Klar haben wir die lachenden Gesichter von zwei Leuten einfach hinter eine Szene geschnitten, über die sie in Wahrheit gar nicht lachen, das machen wir immer so, na und? Und das vermeintliche Kontrollorgan, der Rundfunkrat, sagt dann: Wenn der Intendant das so sagt? Und es bricht kein Sturm der Entrüstung los und keine breite Debatte über den Zustand des öffentlich rechtlichen Vorzeigefernsehjournalismus und stattdessen reden wir über das Nazometer von Schmidt & Pocher? Im Ernst?

[via Medienlese, via jetzt.de]

Nachtrag, 30. November: Claus Richter, Redaktionsleiter des ZDF-Magazins „Frontal 21“, weist in einer ausführlichen Stellungnahme (pdf) die Vorwürfe als „gänzlich unbelegt, nicht stichhaltig oder irreführend“ zurück. Zum Vergleich: Dittmayers detaillierte Auseinandersetzung mit dem „Frontal 21“-Beitrag steht hier.

Nachtrag, 4. Dezember: Chris Winkler nimmt auf d-frag.de die Stellungnahme von „Frontal 21“ auseinander und urteilt: „(…) noch immer fehlt der zuständigen Redaktion die Einsicht, was damals schief gelaufen ist und womit sie die wütenden Reaktionen eigentlich provoziert hat. (…) die jetzige Stellungnahme [offenbart] erschreckend viel Unkenntnis gepaart mit unerschütterlichem Glauben an die eigene Unfehlbarkeit.“

Dieter Thomas Heck

Dr. Heindl war der Mann, der in der Ratesendung „Die Pyramide“ in den achtziger und frühen neunziger Jahren dafür zuständig war, heikle Entscheidungen zu treffen. Etwa: Kam die richtige Antwort noch in der Zeit? Zu sehen war Dr. Heindl nie. In Zweifelsfällen nahm Dieter Thomas Heck per Telefon Kontakt zu ihm auf, und die Gespräche haben tiefe Spuren im Gedächtnis des Teils der Generation Golf hinterlassen, der seine Samstagabende vor dem Fernseher verbrachte.

Heindl schien ein humorvoller, gradliniger Jurist zu sein, vor allem aber war er für Heck „Herr Doktor Heindl“. Der Titel stellte einen unverzichtbaren Bestandteil des Namens dar (ähnlich wie das MDR-Fernsehballett bei Heck grundsätzlich das „fabelhafte MDR-Fernsehballett“ war), und wenn Heck ihn aussprach, deutete er dazu gerne eine Verbeugung an. Jedes Gespräch nutzte Heck zu einer Demonstration des richtigen Umgangs mit Autoritätspersonen: Weil man ihrer Willkür ausgeliefert ist (und Heck sprach mit Heindl immer, als könne der ihn mit einem Knopfdruck dauerhaft vom Bildschirm entfernen), empfiehlt sich ein überkorrektes Auftreten, notfalls jenseits der Grenze zur Unterwürfigkeit. Die Entscheidungen sind zu befolgen, aber zum Ausgleich darf man sich hinterher über sie und Diedaoben lustig machen. Der eigene Status Hecks zeigte sich nur darin, dass er sich manchmal sogar im Gespräch selbst Spuren von Ironie erlauben durfte.

In den ebenso witzigen wie unerträglichen Telefonaten mit Dr. Heindl zeigte sich, was Heck ausmacht: Da steht kein weltläufiger Mensch auf der Bühne, sondern jemand, der es aus kleinen Verhältnissen nach oben geschafft hat und sich nun so verhält, wie der kleine Deutsche glaubt, dass die großen, weltläufigen Menschen es tun, mit all den Umgangsformen und –formeln, mit den Wichtigkeitsgesten, die bei ihm hoffnungslos übertrieben und manieriert, aber ernst gemeint sind: der im freien Stand auf die andere Hand aufgestützte Arm; das rotierende Handgelenk; der um Aufmerksamkeit heischende Zeigefinger, und nicht zuletzt, wie er Frauen an beiden Händen nimmt, bevor er sie mit gespitzten Lippen beinahe auf den Mund küsst. Dazu trägt er einen korrekten, konservativen Zweireiher und als kleines exzentrisches Accessoire: Armkettchen, die klimpernd die Gesten untermalen.

Heute um 20.15 Uhr moderiert er seine letzte Sendung. Zum 70. Geburtstag im Dezember schenkt sein ZDF ihm noch eine Gala mit Johannes B. Kerner, der längst in Hecks Rolle geschlüpft ist: ohne das Schlagergedöns natürlich, aber mit der Garantie, dass der Oberbürgermeister mit dem korrekten Titel und einer kleinen Verbeugung angesprochen wird und auch das MDR-Fernsehballett nicht auftreten muss, ohne dass irgendein tönernes Adjektiv vor seinem Namen steht.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung