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Das Katastrophen-Interview

Das ist zwar jetzt schon drei Tage alt, aber solche Dinge werden ja nicht wirklich schlecht. Sehen Sie Udo Gümpel, Italienkorrespondent des Rumpelsenders n-tv, im Gespräch mit zwei Überlebenden des Schiffsunglücks von Giglio:
 

Weiß eigentlich jemand, ob das damals auch schon die Original-Frage war, die Überlebenden der „Titanic“ gestellt wurde? Ob Wandern in der Eifel im Nachhinein die bessere Wahl gewesen wäre?

Vorgerichterstattung und Nachverurteilung: Das Kachelmann-Urteil im Fernsehen

Reporterin: Wieso äußert sich Herr Kachelmann denn jetzt nicht vor der Presse?

Anwalt Johann Schwenn: Warum sollte er das tun? Damit Sie ihn fragen, wie es ihm geht?

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Eines muss man den n-tv-Leuten lassen: Sie schaffen es, ihre eigene Hölle anzumoderieren, als sei sie das Paradies.

Stolz und Vorfreude spiegeln sich im Gesicht von Moderator Ulrich von der Osten, als er um 8.30 Uhr eine Sondersendung zum Kachelmann-Prozess mit den Worten eröffnet:

„Um 9 Uhr verkündigt die Strafkammer des Landgerichts Mannheim das Urteil gegen den ehemaligen Wettermoderator, und wir werden ganz viel bis dahin auch schon nach Mannheim schalten.“

Natürlich hatte n-tv auch zuvor schon „ganz viel“ nach Mannheim geschaltet, zu einem routinierten und doch bemitleidenswerten Reporter namens Thomas Präkelt. Erst dreizehn Minuten zuvor hat der Moderator ihn gefragt: „Wann werden die ersten Beteiligten im Gerichtsgebäude erwartet?“ Und Präkelt hat die Schlange von Zuschauern vor dem Gebäude gezeigt und die „relative Leere“ im Foyer: „Es sind also noch nicht so viele Kollegen reingekommen“, stellt er fest, als hätte das irgendeine Bedeutung für ihn, die Zuschauer, Jörg Kachelmann, das Gericht, die Welt.

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Das tollste und schlimmste an Tagen wie diesen ist immer die Vorberichterstattung im Fernsehen. Der Zuschauer ist das von Sportereignissen so gewohnt, dass man nicht erst anfängt, wenn es losgeht, und für einen Sender wie n-tv ist so ein Prozess („einer der aufsehenerregendsten in der deutschen Nachkriegsgeschichte“) auch nichts anderes als ein Sportereignis. Konsequenterweise bezeichnet n-tv die Urteilsverkündung als „Finale“ im Kachelmann-Prozess.

8.32 Uhr, Nachfrage beim Reporter: „Thomas, was tut sich denn bei Ihnen? Herrscht so kurz vor dem Urteilsspruch weiter reger Andrang?“ Man wünschte sich, er antwortete nur einmal: „Nein, Ulrich, die Leute sind jetzt plötzlich alle nach Hause gegangen, um sich das lieber im Fernsehen anzusehen.“

Er weiß zu berichten, dass Kachelmann „in wenigen Minuten in die Tiefgarage des Landgerichtes einfahren wird“. Er habe den Kopf wieder auf die Hand gestützt, so dass man sein Gesicht nicht so gut erkennen könne: „Auch an diesem letzten, finalen Tag hat er sich der Öffentlichkeit verweigert.“ Im Gerichtssaal sei jede Form von elektronischen Gerät verboten, mit dem man die Urteilsverkündung aufnehmen könne, was streng kontrolliert werde, erzählt Präkelt und weiß auch wieso: „Ich glaube, dass YouTube und andere Verbreitungswege sehr dankbar wären, wenn es sowas gäbe.“ YouTube und andere Verbreitungswege, natürlich.

Zwei Stunden später wird der n-tv-Kameramann hinter dem Wagen hinterherlaufen, in dem Kachelmann und zwei seiner Anwälte sitzen. „Jeder versucht natürlich, jetzt nochmal ein Foto von Jörg Kachelmann in Freiheit zu bekommen“, erklärt Präkelt. Der n-tv-Kameramann beweist in dem ganzen Chaos besondere Sprintqualitäten, erwischt den Wagen noch einmal an der nächsten Kreuzung und filmt erneut ins Innere. Präkelt kommentiert: „Zufrieden, aber auch auf der Flucht vor der Öffentlichkeit, fährt Kachelmann jetzt nach 43 Verhandlunngstagen in die Freiheit.“

Wohin genau, weiß er nicht zu sagen, es klingt aber so, als hätte Kachelmann noch eine Verabredung mit dem Sonnenuntergang – und wer, wenn nicht Kachelman, wüsste, wo der zu treffen ist?

Etwas später, in „Punkt 12“, nutzt Moderatorin Katja Burkard die Gelegenheit, in dieser wichtigen Sache noch einmal nachzuhaken: „Thomas, wo ist Jörg Kachelmann jetzt? Was wird er heute und in den nächsten Tagen tun, was meinen Sie?“ Thomas Präkelt weiß es nicht, meint aber:

„Er wird sich jetzt natürlich Ruhe gönnen. Er wird auch seine Frau wiedersehen wollen und einige Tage der Ruhe seien ihm auch zu gönnen nach diesem Freispruch.“

Es bleibt unklar, was der RTL- und n-tv-Mann meint, wo Kachelmann in den vergangenen Monaten eingekerkert war.

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Bei der Konkurrenz von N24 ergibt sich nach der Urteilsverkündung die verwirrende Situation, dass der Sender zu seiner Reporterin schaltet, die vor dem Gerichtsgebäude steht und deshalb leider noch nicht die Frage beantworten kann, wie genau das Gericht denn seine Entscheidung begründet habe. Gleichzeitig sieht man aber auf dem Split-Screen, wie Menschen vor dem Saal, aus dem sie gerade gekommen sind, genau das erzählen. Man sieht sie, aber man hört sie nicht, denn zu hören ist ja die N24-Moderatorin draußen. Bis die Regie sich endlich entschließt, sie einfach für den Moment rabiat vom Sender zu nehmen.

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Aus Berlin ist bei n-tv, wie so oft, der Medienbewohner Jo Groebel zugeschaltet. Vor der Urteilsverkündung fragt ihn die Moderatorin, ob in der Berichterstattung über den Prozess oft über das Ziel hinausgeschossen wurde. Groebel antwortet:

„Ganz ehrlich? Ich möchte auch da mit meinem Urteil etwas zurückhaltend sein.“

Um unmittelbar hinzuzufügen:

„Aber mein Eindruck ist, dass hier sehr häufig übers Ziel hinausgeschossen wurde. Ich fand’s, ganz ehrlich, atemberaubend.“

Groebel hat irgendwas mit Medien studiert, deshalb kann er fundiert analysieren, warum dieser Prozess die Menschen und Medien so bewegt hat:

„Sex & Crime, das ist jetzt sehr flapsig formuliert, aber sehr ernst gemeint, Sex & Crime ist natürlich immer etwas, das sehr, sehr, sehr interessant für Menschen ist.“

Das klingt vielleicht banal. Andererseits hätte eine Fernsehserie mit dem Arbeitstitel „Dinge, die sich Jo Groebel vorstellen kann“ durchaus große surreale Momente:

„Ich kann mir gut vorstellen, dass [Kachelmann] im Sinne einer Fast-Rehabilitation auch für sich selbst durchaus vor die Kamera strebt. Nicht als der nette Mann, aber vielleicht als ein Talkmaster für eine Gesprächsrunde, in der schwere menschliche Dramen herauskommen. Und da weiß er dann wahrlich, was er fragen muss und wovon er spricht.“

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Einig ist sich Groebel dennoch mit ungefähr allen Fernsehleuten, dass Kachelmann trotz oder wegen des Freispruchs, den insbesondere RTL konsequent als „Freispruch zweiter Klasse“ bezeichnet, erledigt ist:

„Kachelmann hat nicht nur einen Karriere-Knick, der hat einen kompletten Karriere-Einbruch, eine Karriere-Katastrophe erlebt.“

ZDF-Vormittags-Frau Nadine Krüger formuliert in „Volle Kanne“ volle Kanne:

„Gibt es eine Entschädigung für den verlorenen Ruf? Die Karriere ist ja nun hin, das kann man ja so sagen.“

Bei n-tv wusste die Moderatorin das schon morgens um sechs in den (offenkundig aufgezeichneten) Nachrichten:

„Eines ist klar: Ob das Ergebnis nun gut oder schlecht ausfällt für Kachelmann – Spott und Verachtung werden bleiben.“

Es ist eine typische Form einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Je häufiger Medien behaupten, dass Kachelmanns Rückkehr auf den Bildschirm undenkbar ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass das schließlich auch stimmt.

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Aber für irgendeine Form von Selbstreflexion ist an diesem Vormittag keine Zeit, geben wir lieber noch einmal zu Thomas Präkelt, der vor dem Gerichtssaal gerade in Bezug auf Kachelmanns Anwalt Johann Schwenn formuliert:

„Verteidigung ist Krieg.“

Und Medienberichterstattung, mutmaßlich, auch. Bei RTL gibt man sich jedenfalls alle Mühe, den Eindruck zu erwecken, Kachelmann sei jedenfalls ein Täter. Gleich in der ersten Minute von „Punkt 12“ heißt es zweimal: „Sie konnten ihm die Tat nicht nachweisen“ bzw.: „Man konnte ihm die Vergewaltigung nicht nachweisen“ – so als habe sie zweifellos stattgefunden.

Die Zusammenfassung des Prozessverlaufes ist dann bemerkenswert:

Off-Sprecher: Zuerst sah es so aus, als würde sich die Schlinge um [Kachelmanns] Hals immer weiter zuziehen. Reinhard Birkenstock war Kachelmanns Verteidiger. Doch er hatte immer wieder Probleme, seinen Mandanten als glaubwürdig darzustellen.

Birkenstock: Dieser Prozess (…) wird zu dem Ergebnis kommen, dass Jörg Kachelmann unschuldig ist.

Off-Sprecher: Obwohl genau das jetzt eingetroffen ist: Kachelmann ist offenbar unzufrieden, wechselt den Anwalt.

Das ist eine hübsche Verrückung des Zeit-Kontinuums sowie der Kausalitäten: Obwohl Kachelmann heute freigesprochen wurde, hat er damals den Anwalt gewechselt.

Weiter im Text:

„Kachelmann punktet immer mehr. Und die Nebenklägerin, das angebliche Opfer Sabine W., gerät, wie es aussieht, immer mehr in die Situation, beweisen zu müssen, dass sie Opfer ist.“

Sie geben sich bei RTL also offensichtlich Mühe, dass die vorproduzierten Beiträge sich nicht zu positiv von den hektischen Live-Berichten absetzen. Und Katja Burkard formuliert den hübschen Satz:

„Dann stürmen Journalisten aus dem Saal, um die Nachricht wie ein Lauffeuer zu verbreiten.“

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Bei n-tv hatte sich die Moderatorin, als alles vorbei war und alle alles gesagt hatten, von dem Reporter mit den Worten verabschiedet:

„Vielen Dank für den Moment. Und wir behalten die Lage in Mannheim natürlich weiter im Auge.“

Man weiß nicht, was da noch hätte passieren können. Aber als Abmoderation passt das natürlich immer. Ob da in Mannheim ein Haus brennt, ein Kind weint oder ein Prozess zuende geht.

Käßmann

Das Gute an der Sache war, dass man endlich einmal erfuhr, wie das eigentlich aussieht, was Frau Käßmann da überfahren hatte: eine „rote“ „Ampel“. Der Fernsehsender n-tv hatte Filmaufnahmen von mehreren Exemplaren aufgetan und zeigte sie viele Dutzend Mal in einer Dauerschleife, zusammen mit Archivbildern von Autos, Polizisten, anderen Autos, anderen Polizisten und einer Szene, bei der jemand der Bischöfin ein Glas Wasser eingießt. Aufgrund einer Panne konnte n-tv am Mittwoch nicht live die Rücktritts-Pressekonferenz übertragen. Also schaltete der Sender nach Berlin statt nach Hannover und ließ dort Heiner Bremer in seiner gewohnt rostigen Art spekulieren, was Käßman wohl „gleich in der Pressekonferenz“ tun wird, die längst auf N24 und Phoenix lief.

Nun erweckt der Rumpelsender schon an guten Tagen den Eindruck, man hätte vielleicht ein halbwegs ordentliches Nachrichtenprogramm machen können, wenn bloß nicht dauernd die Nachrichten dazwischen gekommen wäre. Dieses endlose Nichts aber hatte selbst für n-tv-Verhältnisse eine eigene Qualität. Bremer mutmaßte hinter dem Rücktritt einen Racheakt von Scheidungsgegnern in der Kirche und meinte, Käßmann hätte als Alkoholsünderin „glaubwürdiger vor Alkohol warnen können“. Moderatorin Petra Schwarzenberg analysierte ähnlich steil: „Der Schuss ist nach hinten losgegangen: Sie wollte Reue zeigen, und gleichzeitig bedauern jetzt alle den Verlust.“ Expertenimitator Jo Groebel erklärte, es sei „von außen ganz schwer zu beurteilen“, ob der Rücktritt notwendig war, aber „wir werden’s ja gleich hören“, und man könne gar nicht spekulieren, wer Käßmann jetzt folgen werde, aber: „Wahrscheinlich eine moderatere Persönlichkeit.“ Der n-tv-Internetreporter berichtete, dass es bei Twitter unterschiedliche Meinungen zum Thema gebe.

Nach zwanzig Minuten, in denen die Moderatorin um ebenso viele Jahre gealtert war, stand endlich die Leitung nach Hannover. Der Reporter berichtete live aus dem Raum, in dem Käßmann gerade ihren Rücktritt erläutert hatte, ihre Stimme sei „brüchig“ gewesen. Petra Schwarzenberger sagte dann zu ihm: „Sie haben ja sicher schon Reaktionen der Bürger in Hannover eingefangen, bevor die Mitteilung bekannt war.“ Und er erwiderte: „Die Reaktionen davor werden genau so sein wie sie jetzt auch sein werden: gespalten“. Es war wieder Alltag eingekehrt bei n-tv.







(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

„Fragen stellen ist nun mal unser Beruf“

Wenn in Zukunft jemand fragt, was das eigentlich ist, was wir in Deutschland anstelle eines Nachrichtensenders haben, wird man ihm nur diesen Ausschnitt zeigen müssen.

Es ist fast, als hätte ein Satiriker ein Drehbuch geschrieben, um in knappster Form all die Katastrophen dieser Art von „Berichterstattung“ bloßzustellen — bis hin zu der Ironie, dass n-tv, während der Mann am Telefon davor warnt, sofort unkommentierte Bilder vom Tatort zu zeigen, in der Dauerschleife unkommentiert Bilder vom Tatort zeigt.

[via Alexander Svensson, dem auch ein Detail im Laufband aufgefallen ist]

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Der ähnlich eindrucksvolle Live-Bericht einer RTL-Reporterin aus Winnenden bei „Punkt 12“ („Es ist Wahnsinn, hier blinken die Lichter. Man hat nicht erwarten können, dass ein solches Großereignis hier heute eintritt. Es ist hier ein Chaos vom Feinsten!“) ist bei YouTube übrigens nicht mehr zu sehen. Stattdessen heißt es:

Das Merkwürdige daran ist, dass RTL beteuert, keine Löschung veranlasst haben. Bei YouTube heißt es dagegen, der Hinweis, der anstelle des Videos angezeigt wird, sei korrekt. Genauere Auskünfte gibt die Firma Google, zu der YouTube gehört, traditionell nicht. Auch auf nochmalige Frage kann man sich bei RTL den Vorgang nicht erklären.

Vielleicht könnte jemand, der den Ausschnitt zufällig hat, ihn nochmal hochladen? (Oder einfach mir schicken.)

Nachtrag, 17.50 Uhr. Georg hat mir freundlicherweise den Auftritt geschickt, so dass man ihn sich jetzt wieder ansehen kann:

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Unbedingt in Erinnerung blieben sollte von der medialen Aufbereitung dieses Ereignisses auch die „ZDF-Reportage“ zum Thema, die nicht unter den hektischen Bedigungen einer Livesendung entstand, sondern am darauffolgenden Sonntag ausgestrahlt wurde.

Sprecher: Tim K., der Amokläufer. Wenig erfährt man über ihn und seine Familie in den Tagen nach der Tat. Die meisten Menschen in Winnenden sind Reportern gegenüber sehr zurückhaltend. Das Elternhaus von Tim K. am Abend nach dem Amoklauf. (…) Die Familie wird als wohlhabend und eher zurückhaltend beschrieben. Bei Nachbarn wollen wir nachfragen.

Reporter: Bei dieser Wohnung, wo da noch Licht brennt, ist das Ihre Wohnung? Dann würde ich da natürlich nicht nochmal klingeln wollen.

Nachbarin: Nein, Sie dürfen im ganzen Haus nicht klingeln. Ich verbiete Ihnen des.

Sprecher: Distanz überall.

Reporter: (an einer Tür) … okay, gut, dann entschuldigen Sie die Störung, ich Danke Ihnen.

Sprecher: Reporterschicksal. Winnenden will Ruhe. Aber Fragen stellen ist nun mal unser Beruf.

Reporter: (an einer anderen Tür) … natürlich. Danke schön.

Sprecher: Deutschland will daheim am Fernseher Neuigkeiten sehen, aber in Winnenden möchte keiner von Reportern an der Haustür belästigt werden. Auch wir spüren den Unmut der Nachbarn.

Reporter: (an einer weiteren Tür) …gut, dann haben wir nicht länger gestört, danke schön.

Sprecher: Rechtschaffene Leute seien Tims Eltern, hören wir, als die Kamera nicht läuft. Ein paar Kilometer vom Wohnort hat der Vater einen Zulieferbetrieb für Verpackungen. Damit schirmen die Mitarbeiter jetzt die Fenster ab. Niemand möchte sich zeigen oder gar mit ihnen sprechen.

Reporter: (zu einem Mann, der gerade mit dem Auto vor dem Haus geparkt hat) Schönen guten Tag, dürfen wir Sie ganz kurz stören? Sie sind sicherlich ein Kunde des Hauses.

Passant: Ich geb dazu keine Antwort.

Reporter: Wie geht’s Ihnen heute mit der Situation?

Die Sendung kann man sich in der ZDF-Mediathek ansehen — dieser Ausschnitt ab ca. 13.15 Minuten.

Zitterpartie für Hessens Riesenkräne

Kurz nach acht. In Hessen ist ungefähr alles offen: Ob es doch noch für eine CDU/FDP-Koalition reicht, ob die Linke in den Landtag kommt, ob es ein Patt wird. Beim Rumpelsender n-tv musste man sich allerdings aus der aktuellen Berichterstattung ausblenden, um eine dringende Reportage über „Riesenkräne“ zu senden.

Aber gerade an solchen Abenden kann man ja auch mal in den Teletext schauen, und da überrascht n-tv mit dieser, nun ja: Exklusivmeldung:

Nachtrag und Korrektur, 21.50 Uhr:
Ich muss mich für meine voreilige Behauptung entschuldigen, n-tv habe für die Riesenkran-Reportage die Wahlberichterstattung unterbrochen. Tatsächlich hat n-tv natürlich für die Wahl kurz seine Riesenkran-Berichterstattung unterbrochen. Die n-tv-Reportage „Riesenkräne“ lief zuletzt in der vergangenen Nacht um 0:15 Uhr, gestern um 15:10 Uhr, vorgestern um 22:10 Uhr und am:
24.11.2007
23.11.2007
19.08.2007
18.08.2007 (zweimal)
16.08.2007
01.06.2007 (zweimal)
14.04.2007
13.04.2007
12.04.2007
11.04.2007 (zweimal)
02.12.2006
30.11.2006
24.09.2006
23.09.2006
22.09.2006
22.07.2006
21.07.2006
20.07.2006 (zweimal)
20.05.2006
19.05.2006
18.05.2006
25.03.2006
24.03.2006 (zweimal)
23.03.2006
04.02.2006
03.02.2006
02.02.2006 (zweimal)
03.08.2005
02.08.2005 (dreimal)
01.08.2005.
(Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.)

Entspannt am Brand mit n-tv

In einem alten Busdepot im Osten Londons ist heute Mittag ein Feuer ausgebrochen. Hubschrauber liefern nonstop Aufnahmen, die eine große Rauchwolke in einem Industriegebiet zeigen. Und obwohl zunächst nichts dafür spricht, dass es sich um einen Terroranschlag handelt, und bald darauf alles dagegen, lassen sich die Sender nur widerwillig aus ihrer Möglicher!-Terroranschlag!-in!-London!-Routine bringen…

…die ja immer auch eine Gelegenheit für die Nachrichtenmoderatoren ist, zu zeigen, was sie können. Schalten wir also um zu n-tv:

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Andreas Franik: Mittlerweile wird der Rauch auch eher weiß. Also, diese schwarze Rauchfahne sehen wir nicht. Auch der Hinweis, es handelt sich nicht um eine Papstwahl, obwohl wir hier schwarzen und weißen Rauch abwechselnd sehen. Es ist so, Ulli Klose, dass es sehr weit außerhalb ist, dass diese Rauchentwicklung sehr stark ist. Wird die Londoner Bevölkerung in irgendeiner Form von diesem Brand auch über Radio informiert, weil immerhin ist es ja so, dass möglicherweise sehr schnell auch Fenster und ähnliches geschlossen werden müssen, gerade eben, weil es auch für Kinder möglicherweise schnell gefährlich werden kann.

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Andreas Franik: (zu Korrespondent Ulli Klose) Wie ist insgesamt die Sicherheitssituation zur Zeit in London einzuschätzen? Wie und was sagen die Sicherheitsbehörden, ist der aktuelle Zustand? Weiß man irgendetwas, ob irgendwas ansteht, oder, wie schaut’s aktuell aus?

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Petra Schwarzenberg: Und auch die Bilder, die wir im Augenblick sehen, sprechen doch dafür, dass es sich um einen ganz normalen, in Anführungsstrichen, aber großen Brand handelt, und die Feuerwehrleute löschen, aber so wie es aussieht, einigermaßen entspannt diesen Brand.

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Andreas Franik: „Nichts weist darauf hin, dass es sich um etwas anderes als ein Feuer handelte“, so auch nochmal das Zitat eines Polizeisprechers, der allerdings nichts Näheres zur Ursache des Brandes sagte, wahrscheinlich deshalb, weil man auch noch nichts Näheres weiß zu diesem Brand im Stadtteil Stratford. Die Angaben über die Löschzüge, die ausrückten, schwanken. Einige Agenturen sprechen von 6 Einsatzfahrzeugen, zudem waren zwei Rettungswagen im Einsatz. Andere sagen, es sind acht Löschzüge mit mehr als 40 Einsatzkräften gewesen. Manch andere Angaben wieder 80 Einsatzkräfte. Sei es drum. Fakt ist: Feuer in London, nicht in der Innenstadt, sondern in einem Außenbezirk. Es brennt, ja, möglicherweise eine Baustelle, möglicherweise eine Fabrikhalle, das lässt sich aus der Luft auch sehr, sehr schwer erkennen. Und möglicherweise waren es kohlenstoffartige Dinge, die dort gebrannt haben. In jedem Falle kann man davon ausgehen, dass nichts Großartiges, nichts Schlimmes passiert ist.

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Andreas Franik: Wir können Hartmut Zieps, Vizepräsident des deutschen Feuerwehrverbandes, auch ansprechen. Es ist ein Feuer in sehr, sehr großer Ausdehnung — oder recht großer Ausdehnung, wir wollen es auch nicht übertreiben, keine Frage. Aber es scheint offenbar doch sehr, sehr schwierig zu sein, mit dem Löschstrahl quasi jede Ecke und jedes Ende dieses Feuers zu erreichen. Erzählen Sie uns mehr über besondere Herausforderungen bei solchen Großbränden.

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Petra Schwarzenberg: Herr Zieps, kann man denn jetzt schon erkennen, ich weiß nicht, Sie haben die Bilder sicherlich gesehen, ob und dass der Brand unter Kontrolle ist, und wie lang es möglicherweise dauert, bis keine Rauchwolken mehr aufsteigen?

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Andreas Franik: Bei diesen Großfeuern, wo man auch noch nicht 100-Prozent-genau weiß, was da brennt, kommt da sofort immer und in erster Linie Wasser zum Einsatz oder arbeitet man hie und da auch mit Löschschaum? Ich muss so, ja, fast naiv auch nachfragen, weil ich kein Feuerwehrexperte bin, aber dafür haben wir Sie ja auch am Telefon.

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Petra Schwarzenberg: Herr Zieps, in Deutschland hatten wir Gottseidank noch nicht den Fall, aber gesetzt den Fall, es brennt irgendwo, bekommt die Feuerwehr Informationen darüber, um welche Art von Feuer es sich handelt? Dass es sich möglicherweise um einen Anschlag handeln könnte? Und agiert die Feuerwehr unter diesen Umständen, würde sie anders agieren als bei einem normalen Brand? Wie sind da die Instruktionen?

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Andreas Franik: Wir fassen das Geschehen noch einmal zusammen, liebe Zuschauer. Wir haben es gleich 14.15 Uhr. Wir wissen, dass viele, viele Zuschauer immer zur vollen oder zur halben Stunde oder eben auch zur Viertelstunde einschalten, viele, die sich jetzt erst zugeschaltet haben.

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Petra Schwarzenberg: Wenn man diese Bilder mit gesundem Menschenverstand sich anschaut, dann kann man eigentlich das auch aus den Bildern herauslesen [dass es kein Anschlag war]. Also, es ist wenig Dramatik. Es sind zwar viele Löschfahrzeuge vor Ort, die Feuerwehr löscht und es gelingt auch, diesen Brand zu löschen. Der Rauch wird schwächer und er ändert auch seine Farbe. Und es ist vor allen Dingen kein wirkliches Anschlagsziel vorhanden. Es sind Lagerhallen dort, aber terroristische Anschläge zielen auf Menschen, und Menschen sind dort, äh, kaum vorhanden.

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Andreas Franik: Immer wieder müssen wir sagen, das sind Livebilder, aus einem Helikopter aufgenommen, der sich sehr, sehr nah an das Feuer heranwagt. Der Qualm versperrt uns natürlich auch die Sicht, und wir können an der Stelle auch nicht genau sage, was im einzelnen da brannte, da müssen im Verlaufe des heutigen Nachmittags auch nähere Informationen von Scotland Yard abgewartet werden. Aber das wichtigste, und das wollen wir nicht müde werden zu betonen, wir wollen hier keine Panik verbreiten, wir wollen Ihnen erklären, was in London passiert ist: Es ist einzig und allein ein Feuer, und das bestätigt uns auch Scotland Yard. (Plötzlich sind Bilder von einer Pressekonferenz mit Angela Merkel zu sehen.) Und jetzt sehen wir Angela Merkel, die versucht auch hier und da vielleicht ein Feuer zu löschen, aber das deutsch-französische Verhältnis ist glaube ich zur Zeit nicht allzu belastet.

Petra Schwarzenberg: Nicht brandgefährdet.

Andreas Franik: So ist es. (Beide lachen.)

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Petra Schwarzenberg: Großbrand in der Nähe des Olympiageländes 2012. Daher natürlich auch erstmal Spekulationen, ob es sich um einen Anschlag handeln könnte, allerdings: Was hätte dieser Anschlag treffen sollen? Es steht noch nichts von den geplanten Anlagen.

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Petra Schwarzenberg: Ulli, London ist natürlich, auch wenn das in diesem Fall nicht der Fall war, ist terrorgefährdet. Es gibt immer wieder Terrorwarnungen. Wie ist die Situation im Moment? Wiegt sich die Bevölkerung in Sicherheit oder ist man ständig auf sozusagen auf dem Quivive in dieser Stadt?

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Andreas Franik: (nach einer Schaltung an die Börse, die sich von dem Feuer erwartungsgemäß unbeeindruckt zeigt) Ich meine, da wo nichts ist, kann auch nichts passieren, gar keine Frage. Und eben, wir haben es immer wieder betont, hier ist de facto – wir müssen natürlich immer in Anführungszeichen reden, natürlich ist hier etwas passiert, es ist ein Großfeuer. Aber es ist eben kein Anschlag, und nur dann gäbe es tatsächlich Reaktionen, ganz extreme Reaktionen und teilweise auch Verwerfungen an den Finanzmärkten, so ist es dort zumindest relativ ruhig. Petra.

Petra Schwarzenberg: So ist es, Andreas, und wir kommen zu den Nachrichten, zu den erwartbaren Nachrichten diese Tages zurück. Obwohl auch das nicht erwartbar war, denn am Rande eines Besuchs von Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Staatspräsident Sarkozy in einem Berliner Gymnasium ist es zu einem Zwischenfall gekommen…

Ich jetzt?

Das hier auf der Startseite von n-tv.de ist entweder ein bisschen ungeschickt formuliert oder die Rache der n-tv.de-Redaktion hierfür.

Programmhinweis

Am Donnerstag bin ich um 17.10 Uhr hier:

Das Thema lautet:

Blogs, You Tube, Second Life — verdummt uns das Internet?

(Ich würd ja gern mal diskutieren zur Frage: Verdummen wir das Internet?)