Schlagwort: Christoph Keese

Leistungsschutzrecht: Eine Frage der Ehre?

Zurückrudern ist noch nicht olympisch, aber Christoph Keese übt schon mal in der Disziplin Einer ohne Steuermann. Der Außenminister der Axel-Springer-AG behauptet in seinem privat betriebenen Dienst-Blog jetzt nicht mehr, dass das geplante Presse-Leistungsschutzrecht unproblematisch sei, sondern nur noch, dass es nicht unbedingt problematisch sein müsse, wenn die Rechteinhaber verantwortungsvoll damit umgingen.

Am vergangenen Freitag hatte er noch geschrieben: „In Wahrheit müssen Blogger das Leistungsschutzrecht nicht fürchten (…).“ Heute schreibt er unter der Überschrift: „Keine Abmahnwellen, faire Preise! Wie das Leistungsschutzrecht genutzt werden sollte“ — was implizit wohl bedeutet, dass solche Abmahnwellen theoretisch sehr wohl denkbar wären.

Keeses neuer Text ist ein Appell:

Das Leistungsscutzrecht (sic) für Presseverlage sollte von Verlagen und Bloggern verantwortungsvoll genutzt werden. Dazu gehört, dass die Rechte schnell und unkompliziert geklärt werden können, dass harmlose Nutzer weder kriminalisiert noch mit Abmahnwellen überzogen werden und dass es attraktive Preise gibt. (…)

Harmlose Blogger, die hin und wieder Texte von Verlagen übernehmen, dabei manchmal die Grenzen des Zitierens überschreiten und nebenbei ein bisschen Werbung auf ihren Seiten verkaufen – diese Kreativen sollten völlig angstfrei mit den Leistungen der Verlage umgehen können. (…)

Wer keine Lust hat, eine Flatrate abzuschließen, aber trotzdem weiter kopiert, wird nicht mit Abmahnwellen überzogen, sondern bekommt ab und zu neue Vertragsangebote. Er ist ein potentieller Kunde und sollte nett behandelt werden. Überhaupt sollte das Leistungsschutzrecht nicht mit Abmahnwellen durchgesetzt werden. (…)

Tweets und Links, auch Linksammlungen, beleben das Netz. Man sollte nicht den Leuten nachsteigen, die dieses Leben ins Netz bringen.

Man sollte nicht, sagt Keese, aber er bestreitet nicht, dass man es mithilfe des neuen Leistungsschutzrechtes könnte.

Der Text ist nicht nur ein unterschwelliges Eingeständnis, wie weitreichend und potentiell zerstörerisch die Folgen einer Monopolisierung der Sprache ist, wie sie der Entwurf vorsieht, der auch kleinste Teile eines Presseerzeugnisses schützt. Er erfordert von den Lesern und Betroffenen auch, den Verlagen Maß, guten Willen und Verlässlichkeit zuzutrauen.

Dazu besteht kein Anlass.

Nicht nur wegen Fällen wie dem des Regisseurs Rudolf Thome, dem der „Tagesspiegel“ nachstieg, weil er ohne Genehmigung zwei alte Kritiken über Filme von ihm auf seine Website gestellt hatte. Fast tausend Euro kostete ihn die Abmahnung der Zeitung, für die er früher selbst geschrieben hat.

Sondern zum Beispiel auch wegen der Sache mit den Gemeinsamen Vergütungsregeln. Laut Urheberrecht hat ein Urheber einen Anspruch auf „angemessene Vergütung“. Um die zu bestimmen, gibt es im Gesetz seit 2002 das Mittel der „gemeinsamen Vergütungsregeln“, auf die sich etwa Journalisten- und Verlegerverbände einigen müssen.

Acht Jahre haben danach die Verhandlungen gedauert, bis beide Seiten sich endlich auf einen zweifelhaften Kompromiss mit Mindesthonoraren für Freie Zeitungs-Journalisten geeinigt haben. 2010 traten sie in Kraft. Doch laut dem Verband Freischreiber (bei dem ich Mitglied bin) hält sich die Mehrzahl der Verleger einfach nicht daran.

Freie Journalisten, die auf die Einhaltung der Regeln pochen, bekommen nicht selten keine neuen Aufträge mehr. Der Gang vor Gericht ist für den Einzelnen nur machbar, wenn er dem Auftraggeber ohnehin den Rücken kehren will — eine Verbandsklage zur Durchsetzung der Regeln ist nicht vorgesehen.

Ein Verlegerverband wies seine Mitglieder 2010 darauf hin, dass die Gemeinsamen Vergütungsregeln „nicht zwingend von den Verlagen angewendet werden [müssen]. Die Vergütungsregeln nicht anzuwenden, kann nicht sanktioniert werden.“ Und weiter:

Die Gemeinsamen Vergütungsregeln besitzen nicht die „Qualität“ eines Tarifvertrages. Zeitungsverlage können ihre hauptberuflich freien Journalisten nach der Honorartabelle bezahlen und gelangen dann in den „Genuss“, dass diese Vergütung für journalistische Tätigkeit als angemessen im Sinne des Urheberrechtsgesetzes gilt.

So kann man das also formulieren: Viele Zeitungsverlage verzichten auf die Möglichkeit, in den Genuss zu kommen, ihre freien Journalisten angemessen zu bezahlen.

Auch die Nutzungsverträge und Geschäftsbedingungen, die die Verlage den Urhebern diktieren, verstoßen vielfach gegen geltendes Recht.

Der „Journalist“, das Verbandsorgan des DJV, berichtete im vergangenen November:

Rund ein Dutzend Verfahren führen der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Deutsche Journalisten-Union (dju) in ver.di unter Führung des DJV derzeit. Die Verlage kassieren dabei eine Niederlage nach der anderen, geben aber oftmals nicht auf, sondern ziehen vor die nächsthöhere Instanz. Würde Realität, was Verleger durchsetzen wollen, wäre das das Ende des Urheberrechts, wie wir es hierzulande kennen.

Die Schuldigen sind die vermeintlich renommiertesten Verlage der Republik. Sie kassieren für ihr Vorgehen Urteile, in denen Sätze stehen wie: „Dass von zwingendem Recht nicht abgewichen werden darf, bedarf eigentlich keiner Erwähnung.“ Es wirkt wie ein fast flächendeckender, systematischer Versuch des Rechtsbruchs.

Ironischerweise sagen Verlage wie Springer, sie müssten die Urheber (rechtswidrig) enteignen, weil es ja kein Leistungsschutzrecht gibt. Auch Christoph Keese nennt als Argument für das Leistungsschutzrecht für Verlage, dass man dann den Urhebern nicht mehr so viele Rechte wegnehmen müsste — eine Argumentation, die auf die Logik hinausläuft: Gebt uns ein neues Recht, damit wir das Recht nicht mehr brechen müssen.

Im Entwurf für das neue Leistungsschutzrecht steht übrigens der Satz: „Der Urheber ist an einer Vergütung angemessen zu beteiligen.“ Was das Wort „angemessen“ für Verleger bedeutet, wissen viele freie Journalisten.

Und damit zurück zu Christoph Keese und seinem doppelten Appell: An seine Kollegen in den Verlagen, maßvoll zu sein, und an die Betroffenen, von einem maßvollen Vorgehen der Verlage auszugehen.

Wenn das Leistungsschutzrecht nur ungefährlich ist, solange die deutschen Verlage sich gutwillig, vernünftig, zurückhaltend und maßvoll verhalten, muss man dieses Gesetz fürchten.

Das Leistungsschutzrecht: Selten war es so tot wie heute

„Wir versprechen uns keine großen Einnahmen von diesem Leistungsschutzrecht. Das ist jetzt auch gar nicht unser Ziel. Uns geht es dabei darum: Das ist unser geistiges Eigentum und unser Anspruch. Und wir wollen einfach gerne vorher gefragt werden. Und wichtig ist auch, dass große Martkteilnehmer wie Guggel nicht einseitig den Preis auf null festsetzen. Das wäre so, als wenn ich selber in den Supermarkt gehen würde und würde mir da was rausholen. Da ist ja auch keine Schranke vor dem Supermarkt. Da kann ich ja auch reingehen einfach. Da ist auch nicht alles ausgezeichnet, das vergisst die Verkäuferin ab und zu mal. Und trotzdem würde ich nie auf die Idee kommen, mir die Spreewaldgurken umsonst rauszunehmen. Sondern ich würde dann hingehen und fragen: ‚Was kosten die, bitte?‘, und dann würde ich das bezahlen.“

Dietrich von Klaeden, Leiter Regierungsbeziehungen der Axel Springer AG, 12. April 2011.

Es geht den Verlagen also, wenn man Dietrich von Klaeden glauben darf, wozu natürlich kein Anlass besteht, bei ihrem Leistungsschutzrecht gar nicht wirklich ums Geld. Es geht ihnen ums Prinzip und darum, ihren hinkenden Vergleichen die Holzbeine zu versilbern. Bloß deshalb kämpfen sie seit Jahren mit größter Verbissenheit um ein neues Gesetz.

Wenn das stimmte, wäre noch viel weniger einsichtig, warum der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschieden sollte, das dafür selbstverständliche, natürliche und legitime Formen, Informationen und Inhalte im Netz zu teilen, beschränkt. Das Rechtsunsicherheit schafft und eine Flut von Abmahnungen provozieren könnte. Das Sprache monopolisiert.

Eigentlich müssten die deutschen Zeitungs- und Zeitungsverlage besoffen sein vor Glück. „Wie Weihnachten“ müsste das für „manche von ihnen“ sein, schrieb Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“, dass das Bundesjustizministerium in dieser Woche endlich einen Entwurf für ihr Leistungsschutzrecht vorgelegt hat.

Ich wette, die meisten von ihnen haben stattdessen fiese Kopfschmerzen, und nicht von einem Kater. Ich mag mich irren, aber mir kommt es so vor, als sei die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Leistungsschutzrecht kommt, paradoxerweise selten so gering gewesen wie heute, da ein Textvorschlag vorliegt. Das ist das Schlimmste, das diesem Gesetz passieren konnte, dass seine Folgen endlich konkret greifbar werden. Nun ist die Unmöglichkeit und Untauglichkeit eines solchen Gesetzes unübersehbar. Und der Widerstand dagegen entsprechend breit und entschlossen.

Es gibt, ähnlich wie in der Debatte um ACTA, hysterische Übertreibungen bei den Gegnern. Ein Leistungsschutzrecht, wie es die Bundesregierung jetzt diskutiert, verbietet es nicht, Auszüge aus Online-Medien zu verwenden. Das Zitatrecht, das es erlaubt, solche Ausschnitte als Teil eines eigenen Beitrages zu verwenden, bleibt unangetastet.

Deshalb behauptet Axel-Springer-Außenminister Christoph Keese, normale Blogger müssten das Leistungsschutzrecht nicht fürchten. Er unterschlägt, dass ein großer Teil der Arten, wie im Internet auf interessante Inhalte verwiesen wird, gar nicht durch das Zitatrecht geschützt ist. Tweets zum Beispiel, die nur die Überschrift eines Beitrags und den Link dorthin enthalten. Links auf Facebook, die automatisch Überschrift und Beginn des verlinkten Textes bekommen. Und Listen, wie sie zum Beispiel Felix Schwenzel gerne veröffentlicht, die mit je einem Link und einem kurzen Textausschnitt, nicht immer aber einem zusätzlichen Kommentar, auf lesenswerte Artikel verweisen.

Diese Nutzungen sind nicht durch das Zitatrecht gedeckt, weil die eigene Auseinandersetzung mit dem Zitierten fehlt. Sie sind aber nach geltendem Gesetz erlaubt, solange die Textmenge unterhalb der urheberrechtlichen Schöpfungshöhe liegt.

Der Jurist Till Kreutzer nennt auf iRights.info Beispiele für solche Nutzungen. Zum Beispiel ein Tweet wie dieser, der die Überschrift eines verlinkten Beitrages nennt:

@zeitonline: „Schwarz-Gelb einigt sich auf Leistungsschutzrecht“ http://bit.ly/KtSSrf #lsr

Oder ein Blogeintrag wie dieser:

Habe gerade gesehen, dass Konrad Lischka auf Spiegel Online über das Leistungsschutzrecht (http://bit.ly/OHvhB8) berichtet. Er folgert: „Die Regierungskoalition hat es in den drei Jahren Debatte nicht geschafft, die Unklarheiten bei dem Vorhaben auch nur zu benennen. In dem Protokoll des Koalitionsausschusses vom Sonntag fehlt jeder Hinweis auf neue Ideen, wie ein Leistungsschutzrecht aussehen könnte, das die Zitatfreiheit im Netz sichert und innovative Netzangebote fördert.“

Wenn derjenige, der hier twittert oder bloggt, das in irgendeiner Weise gewerblich tut — und die Grenzen dafür sind in dem Entwurf extrem weit gesteckt — käme er in Zukunft mit dem neuen Leistungsschutzrecht der Verleger in Konflikt. Er müsste eine Lizenz erwerben oder könnte abgemahnt werden.

Sobald das Zitatrecht nicht greift, sind schon winzigste Bestandteile der Artikel durch das Leistungsschutzrecht geschützt. Womöglich reicht es schon, einen Link zu setzen, wenn in diesem Link der Wortlaut der Überschrift enthalten ist, wie es inzwischen meistens üblich ist, etwa so:

http://irights.info/?q=content/referentenentwurf-zum-leistungsschutzrecht-eine-erste-ausfuhrliche-analyse

Es mag schon sein, dass die Verlage diese Art der Nutzung gar nicht einschränken wollten. Es mag sein, dass das nur die Kollateralschäden des Versuchs sind, von den beneidenswerten Einnahmen der Suchmaschinenbetreiber zu profitieren. Auch die dürfen bislang ihren Nutzern Links und kurze Ausrisse („Snippets“) aus den gefundenen Seiten und Nachrichtenartikeln anzeigen, obwohl das nicht durch das Zitatrecht gedeckt ist. In Zukunft sollen sie dafür zahlen. Doch beim Versuch, Google zu treffen, werden auch alle anderen getroffen, die auf Inhalte im Internet mit kurzen Ausschnitten verweisen.

Am Ende wird es am meisten die Verlage selbst treffen. Das zeigt sich nicht nur an den (Über-)Reaktionen im Netz, wenn Blogger erklären, nicht mehr auf Verlagsinhalte verlinken zu wollen. Die Erkenntnis teilt sogar das „Handelsblatt“:

„Die Verleger stellen sich selbst ein Bein“, kommentiert dort Stephan Dörner. Er kommt zu dem Schluss:

Das Leistungsschutzrecht wird damit nicht für Eindeutigkeit, sondern für jede Menge Streit sorgen. Froh können darüber eigentlich nur die sein, die vom Streit anderer gut leben: die Anwälte.

Wenn selbst die Redaktion des „Handelsblatts“, die beim Urheberrecht sonst eher mit der Toleranz und dem Pragmatismus eines Taliban argumentiert, zum Gegner des Leistungsschutzrechtes in der diskutierten Form wird, würde ich mir als Verlagslobbyist ernste Sorgen machen. (Andererseit twittert der ehemalige „Handelsblatt“-Redakteur Thomas Knüwer, dass Obertaliban und Chefredakteur Gabor Steingart nicht im Haus gewesen sei.)

Auch andere gehen auf Distanz. „Spiegel Online“ beendet einen Artikel über das Leistungsschutzrecht mit der Versicherung:

Sie können auch in Zukunft mit Überschrift und Textanriss auf SPIEGEL ONLINE verlinken.

Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, schließt sich dem auf Twitter auf Nachfrage ausdrücklich an. Außerdem verlinkt er mit den Worten „Constanze Kurz hat alles vorausgesehen“ auf einen „FAZ“-Artikel, in dem die Informatikerin und Publizistin sich — bestenfalls halb satirisch — ausmalt, wie düster die Zukunft für Verlage werden könnte, „wenn Suchmaschinenbetreiber journalistische Leistungen künftig angemessen vergüten müssen“. (Darin wird mein eingangs zitierter Springer-Freund Dietrich von Klaeden übrigens 2014 Kulturstaatsminister.)

Unter ihrem Text steht der Satz: „In der Auseinandersetzung um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage, in der diese Zeitung Partei ist, vertritt [Constanze Kurz] als Kolumnistin eine andere Meinung als die der Verlage, auch unseres Verlags.“

Von der Einheit „der Verlage“, die diese Distanzierung suggeriert, scheint nicht mehr viel übrig zu sein. Vor drei Jahren hatten in einer beunruhigenden Allianz „führende Verlage“ von Bauer bis Spiegel und „Zeit“ eine „Hamburger Erklärung“ unterzeichnet, in der sie eine Verschärfung des Urheberrechts und indirekt ein Leistungsschutzrecht forderten. In der Erkärung, die innerhalb weniger Wochen danach angeblich allein eine dreistellige Zahl deutschsprachiger Verlage unterzeichnete, heißt es unter anderem: „Ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums muss verboten bleiben.“

Der jetzt bekannt gewordene Entwurf des Leistungsschutzrechtes zeigt, dass mit „ungenehmigter Nutzung“ schon das bloße Twittern einer Zeitungsüberschrift gemeint sein kann und mit „muss verboten bleiben“ „muss verboten werden“.

Nun könnte man annehmen, dass die Verleger aus dem Debakel um ACTA gelernt haben und sich um eine offene Debatte bemühen, in der sie den tatsächlich Betroffenen und den unnötig Verunsicherten erklären, warum die geplanten Beschränkungen ihrer Meinung nach notwendig und unproblematisch sind. Man könnte sogar annehmen, dass die Verlage als Kommunikationsunternehmen dazu besonders gut in der Lage wären.

Man läge doppelt falsch.

Die Verbände von Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern, BDZV und VDZ, gaben nur eine dürre gemeinsame Erklärung heraus, die sich liest, als seien ihre Sprecher mit Waffengewalt dazu gezwungen worden, sie zu formulieren, und hätten den Zugang zum Presseverteiler nur im Tausch gegen mehrere Konjunktive herausgerückt.

Die Erklärung lautet:

BDZV und VDZ begrüßen die Vorlage des Bundesjustizministeriums zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Der Entwurf bringe den im digitalen Zeitalter notwendigen Schutz der gemeinsamen Leistung von Verlegern und Journalisten voran, auch wenn er nicht alle Erwartungen der Verleger erfülle. 

Außerdem verwehren wir uns natürlich gegen den Vorwurf, dass das LSR die Kommunikations- und Meinungsvielfalt einschränken würde.

Die Verlegerverbände betonten, dass durch das Leistungsschutzrecht keinerlei Einschränkung für die Kommunikations- und Meinungsfreiheit entstehe.

Mehr muss dazu offenbar nicht gesagt werden — obwohl sich eine eindrucksvolle Zahl von Juristen, Experten und Kommentatoren gegenteilig äußert. Womöglich glauben die Verleger auch, dass ihre Zugänge zu den Regierungsparteien gut genug sind, um darauf vertrauen zu können, dass der Entwurf Gesetz wird, und meinen deshalb, darauf verzichten zu können, die Öffentlichkeit zu überzeugen.

Ich hielte das für eine mutige Annahme, nicht zuletzt weil sie unter engagierten Internetbewohnern die Wahrnehmung der Verlage als zu bekämpfende Gegner verstärkt.

Zwei aktuelle Tweets von Dietrich von Klaeden bieten einen kleinen, aber womöglich aufschlussreichen Einblick, wie diese Springer-Leute, die den Kampf für das Leistungsschutzrecht anführen, ticken:

So twittert niemand, der entspannt und an einer offenen Auseinandersetzung interessiert ist.

Christoph Keese ist anscheinend der einzige, der sich ins Kommunikationsgetümmel stürzt und sich sogar aus seinem Blog (in dem er angeblich ausschließlich privat und in seiner Freizeit bloggt) in fremde Kommentarspalten traut.

Aber auch ihn bringt der jetzt bekannt gewordene Entwurf in Argumentationsschwierigkeiten. Am Freitag noch hatte er sich im Wesentlichen zufrieden gezeigt, viele Details gelobt und behauptet, der Gesetzestext würde „faire rechtliche Ausgangsbedingungen“ schaffen und für Blogger ausschließlich Vorteile haben.

Inzwischen ist er mit versprochenen Erläuterungen weit im Verzug und kündigt an, nicht alle Antworten „abschließend und verbindlich“ geben zu können. Denn: „Ich bin weder der Gesetzgeber noch der Richter. Dies gilt auch für die Axel Springer AG.“

Auf Twitter hat er eingeräumt, dass zum Beispiel schon eine bloße „Mehr zum Thema“-Liste mit verlinkten Überschriften unter einem Artikel für jeden nicht völligen Freizeitblogger gebührenpflichtig würde. „Rechteinhaber werden das aber wohl extrem billig anbieten“, fügte er hinzu.

Als sei das Problem die Höhe des Preises. Und nicht eine Konstruktion, in der man diejenigen, deren Beiträge man mit einer Überschrift und einem Link bewirbt, vorher um Erlaubnis fragen und eine Lizenz erwerben muss.

Wie die Verleger glauben können, dass es ihnen nützen wird und nicht schaden, Hinweise auf ihre Artikel zu erschweren, ist eines der zentralen Rätsel dieser ganzen Angelegenheit und Ausweis des Irrsinns, in den sich die Branche in ihrem Überlebenskampf geflüchtet hat.

Christoph Keese wirbt bei Google unter „Mario Sixtus“

Wenn man nach „Mario Sixtus“ sucht, dem Namen eines (befreundeten) Journalisten, Bloggers und Kritikers deutscher Verlage im Allgemeinen und des Verlagslobbyisten Christoph Keese im Besonderen, bekommt man bei Google zu den Ergebnissen gelegentlich eine Anzeige eingeblendet:

Sie führt zum Blog „Der Presseschauder“, in dem eben jener Christoph Keese für die Interessen seines Arbeitgebers, der Axel Springer AG, kämpft.

Keese, der sein Blog nach eigenen Angaben privat und ausschließlich in seiner Freizeit betreibt, hat bei der Suchmaschinenfirma, deren Geschäftsmodell er regelmäßig kritisiert, offenbar gezielt Anti-Werbung für den Suchbegriff „Mario Sixtus“ gebucht und verspricht „alle Fragen und Antworten zu den Plänen der Verlage“. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich das lustig, konsequent oder beunruhigend finden soll.

Nachtrag, 11:40 Uhr. Christoph Keese erklärt die Anzeigen-Schaltung (auch zu den Namen weiterer Verlags- und Keese-Kritiker wie Matthias Spielkamp und Till Kreutzer sowie Begriffen wie „Leistungsschutzrecht“, „Urheberrecht“, „Copright“ und „Copyleft“) als einen Dienst am Leser:

Der interessierte Leser hat es verdient, mit einem sachlichen AdWords-Text auf eine informative Frage-und-Antwortliste zum Leistungsschutzrecht hingewiesen zu werden, so lange einige Blogger-Kollegen fälschlicherweise noch immer von „Zwangsabgaben“, „Leistungsschutzgeld“ und „Subvention“ sprechen.

Christian Nienhaus und die große Ignoranz

Christian Nienhaus ist einer der beiden Geschäftsführer der WAZ-Gruppe („Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, „Westfälische Rundschau“, „Die Aktuelle“) und Landesvorsitzender des nordrhein-westfälischen Zeitungsverlegerverbands. Er kommt von „Bild“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat heute ein erstaunliches Interview mit ihm geführt.

Herr Nienhaus, die WAZ-Gruppe klagt mit sieben Verlagen gegen die Tagesschau-App der ARD. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH gehört dazu. Was haben Sie denn gegen die öffentlich-rechtliche App?

Nienhaus: Der Rundfunkänderungsstaatsvertrag verbietet die Presseähnlichkeit der öffentlich-rechtlichen Internetdienste. Doch darüber entscheiden die Rundfunkräte, also die eigenen Gremien. Und diese verstehen sich häufig als Beschützer ihrer Rundfunkanstalten. Sie identifizieren sich mit der Anstalt statt diese zu kontrollieren. (…) Wir halten zudem die Kostenfreiheit der Apps für nicht korrekt. Hier wird, finanziert durch Quasi-Steuern, das Geschäftsmodell der privaten Presse angegriffen.

Interessant. In der Klage der Verlage geht es allerdings weder um die Frage, wie und von wem die Öffentlich-Rechtlichen kontrolliert werden sollen, noch um die Kostenfreiheit des Angebots.

Ist das ein Hilfeschrei an die Politik?

Nienhaus: Es gibt eine große Ignoranz der Politik und auch eine Angst der Politik. Führende Politiker haben mir gesagt: „Sie haben Recht, aber ich lege mich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr an.“ Bei jeder kritischen Frage würden Politiker sofort mit kritischer Berichterstattung in ganz anderen Punkten überzogen. Im Landtag von Nordrhein-Westfalen wurde Abgeordneten gedroht, wenn Sie gegen die Mediengebühr stimmten, würde das in der WDR-Berichterstattung Folgen haben.

Holla. Im Landtag wurde den Abgeordneten gedroht? Und wem genau? Und von wem? Wenn das stimmte, wäre es ein gewaltiger Skandal. Nienhaus nennt keine Namen, keine Quelle, keine Belege, behauptet es aber als Tatsache.

Andererseits nehmen die Politiker Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten, weil sie in deren Gremien sitzen und die wichtigsten Personalentscheidungen treffen.

Nienhaus: Es ist nicht so, dass die Politik die Rundfunkanstalten beeinflusst.

Schön wär’s. Wenn Nienhaus ARD und ZDF von politischem Einfluss freispricht, ist das doppelt erstaunlich. Nicht nur, weil sich leicht Indizien für das Gegenteil finden lassen und das ein entscheidender prinzipieller Kritikpunkt an den Öffentlich-Rechtlichen ist. Sondern, weil er im FAZ-Interview den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland gleich viermal (falsch) als „Staatsrundfunk“ bezeichnet.

Nienhaus: Riesige Heerscharen von Lobbyisten, Beamten und Juristen aus den Rundfunkanstalten beeinflussen die Politik. Solange wir knappe Frequenzen hatten, war dieses System in Ordnung. Aber im Internet ist überhaupt nichts knapp.

Geld.

Geld ist knapp im Internet. Weshalb man auf die Idee kommen könnte, dass es eine gute Idee wäre, wenn ARD und ZDF, die viel Geld haben und viele Inhalte davon produzieren, diese Inhalte auch im Internet entsprechend anbieten und aufbereiten dürfen.

Nienhaus: Der Staatsrundfunk macht im Internet den Markt kaputt. Ich schätze die Qualität der öffentlich-rechtlichen Angebote sehr, aber sie produzieren diese mit Gebührengeld und machen damit Unternehmen ihr Geschäftsmodell im Internet kaputt.

ARD und ZDF machen auch im Fernsehen den Markt kaputt. Rumpelsender wie n-tv oder N24 zum Beispiel könnten sicher leichter überleben, wenn die ARD nicht viele Male am Tag eine — bei allen Schwächen — ordentliche Nachrichtensendung namens „Tagesschau“ zeigen würde. Es handelt sich auch hier um eine Marktverzerrung, und sie ist gewollt, um sicherzustellen, dass Sendungen hergestellt werden, deren Qualität selbst ein WAZ-Geschäftsführer „sehr schätzt“.

Sollen ARD und ZDF gar nicht online vorkommen?

Nienhaus: (…) Wenn die Nutzer einfach Videos herunterladen können, ist das kein Problem. Aber was die alles machen: Partnerschaftsportale, Jugendseiten, alles Mögliche!

„Die“ machen keine Partnerschaftsportale. Der WDR-Jugendsender Eins Live hatte mal eine Flirtcommunity namens „Liebesalarm“. Es gibt sie nicht mehr, weil ARD und ZDF solche Angebote mit dem 12. Rundfunkstaatsvertrag verboten wurden.

Wenn es nur ein öffentlich-rechtliches Videoportal gäbe, fänden Sie das in Ordnung?

Nienhaus: Wir als Verleger hätten nichts dagegen. Zwischen den Verlegern und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gab es früher nie Streit.

Falsch. Seit sechzig Jahren haben die deutschen Zeitungsverleger und vor allem Axel Springer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer wieder und dauerhaft angegriffen, weil sie seine nicht-privatrechtliche Konstruktion für widernatürlich, unzulässig und existenzgefährdend hielten und selbst Rundfunk veranstalten wollten. Jahrelang kämpften Verleger auch dagegen, dass ARD und ZDF einen Teletext anbieten dürfen.

Nienhaus: Das Lesen der gedruckten Ausgaben ist rückläufig: Wenn wir als Zeitungsleute eine Zukunft haben wollen, müssen wir nicht nur Journalismus umsetzen, sondern auch unser Geschäftsmodell. Journalismus funktioniert ja im Internet. Das ist kein Versagen der Journalisten. Aber keiner bezahlt dafür, alles ist umsonst.

Das ist falsch, wird ungefähr täglich falscher und selbst wenn es richtig wäre, wäre das nicht die Schuld von ARD und ZDF.

Es wird sich kaum ändern, dass Menschen nicht zahlen wollen. Wie soll ein sinnvolles Modell mit Bezahl-Inhalten aussehen?

Nienhaus: Ich bin optimistisch — gerade bei mobilen Geräten. Aber der Markt wird zerstört. Wir können nicht ein Sportportal der WAZ kostenpflichtig machen, wenn in der Sportschau nicht nur alles gezeigt, sondern eben auch beschrieben wird.

Die Frage hat er natürlich nicht beantwortet. Aber wenn die Zukunft der WAZ davon abhängt, dass niemand im Internet kostenlos beschreibt, was in der „Sportschau“ zu sehen ist, ist die WAZ tot.

Sie haben in den vergangenen Jahren 300 Stellen in der Redaktion gestrichen. Planen Sie auch wieder in Journalismus und in Köpfe zu investieren?

Ich glaube, man tut Nienhaus nicht unrecht, wenn man die vielen Sätze, die er anstelle einer Antwort sagt, mit „Nein.“ zusammenfasst. Als Euphemismus für „Stellen streichen“ benutzt er „kreativ werden“.

Wie sieht es mit Ihren Internetaktivitäten unter DerWesten aus? Können Sie mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten mithalten?

Nienhaus: Nein, in keiner Weise können wir konkurrieren. Das ist ja gerade das Ärgernis. Der Staatsrundfunk hat zig Millionen zur Verfügung, die haben wir natürlich nicht.

Die „WAZ“ kann im Internet „in keiner Weise“ mit ARD und ZDF konkurrieren? Nicht einmal bei der Lokalberichterstattung aus dem Einzugsgebiet, die ich jetzt naiv für die ureigene journalistische Aufgabe der „WAZ“ und ihres Internetangebots gehalten hätte?

Und: Meint Nienhaus eigentlich, wenn ARD und ZDF nur Filme im Internet zeigen dürften, bekäme „der Westen“ ein großes Stück von den Millionen des „Staatsrundfunks“? Oder wäre es dann nur so, dass sich das Publikum eher mit der — nach seiner eigenen Aussage — minderwertigen Qualität der „WAZ“-Produkte abgeben würde und müsste?

Ich halte viele der Positionen der Verlagslobby im Kampf gegen ARD und ZDF oder Google für falsch, aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass man über diese Positionen kaum ernsthaft streiten kann, weil die Debatte beherrscht wird von ahnungslosen Lautsprechern wie Nienhaus, der eigentlich nicht satisfaktionsfähig ist und dem tatsächlich in einem Interview über ARD und ZDF im Internet auf die Frage, was ARD und ZDF Schlimmes im Internet machen, nur einfällt: „Partnerschaftsportale, Jugendseiten, alles Mögliche!“

Und Nienhaus ist ja nicht allein — obwohl neben ihm ein Mann wie Springer-Außenminister Christoph Keese fast vernünftig und kenntnisreich wirkt. Keeses Satisfaktionsfähigkeit können Sie aktuell an einem Eintrag in seinem Privatblog überprüfen, in dem er eine lustige Verschwörungstheorie um die Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (IGEL) entwickelt (ich unterstütze IGEL).

[Offenlegung: Ich arbeite frei für die FAZ. Dies ist meine private Meinung.]

Die Tagesschau-App und die Pfeife der Verlage

„Die Axel Springer AG oder Mathias Döpfner verbreiten keine ‚Untergangsstimmung‘, und schon gar nicht aus ’strategischen Gründen‘.“

Christoph Keese, Außenminister der Axel Springer AG.

„Wir kämpfen um unsere Existenzgrundlage.“

Mathias Döpfner, 25. Juni 2011, „Süddeutsche Zeitung“

„Wenn sich bezahlte Applikationen auf mobilen Geräten nicht durchsetzen, wird dies Tausende Arbeitsplätze in der Verlagsbranche kosten.“

Mathias Döpfner, 28. Dezember 2009, „Focus“.

Obwohl interplanetare Kommunikation schwierig ist, muss man sich, fürchte ich, mit dem auseinandersetzen, was Christoph Keese sagt. Als Außenminister der Axel Springer AG ist er der amtierende Lautsprecher einer leider großen Allianz von Verlagen im Kampf gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dieser Kampf wird einerseits juristisch geführt, mit einer Klage gegen die Aufbereitung der Inhalte von tagesschau.de für Smartphones. Und andererseits publizistisch.

Steffen Grimberg hat in der „taz“ dazu vor einigen Tagen festgestellt:

Ein Kollateralschaden der Debatte liegt jetzt schon auf der Hand: der Medienjournalismus. Die klageführenden Blätter beherbergen das Gros der relevanten Medienseiten in diesem Land. Und so wird die Tagesschau-App ganz nebenbei zum Elchtest für die innere Pressefreiheit.

Keese erwidert:

Warum sagt [Grimberg] nicht, was er damit sagen will? Unterstellt er seinen Kollegen, dass sie nach der Pfeife ihrer Verlage tanzen und willfährig über deren geschäftliche Interessen berichten? Dann müsste er Belege für die Beschuldigung anführen, was er aber nicht tut. Eine Sammlung von Belegen würde zeigen, dass die Zeitungen durchaus unterschiedlich auf die Klage ihrer Verlage reagiert haben. Von nachrichtlicher Berichterstattung über abwägende Kommentare bis hin zur leidenschaftlichen Verteidigung. Einen der härtesten Angriffe auf die Öffentlich-Rechtlichen hat Konrad Lischka bei Spiegel Online geschrieben — der Spiegel Verlag gehört jedoch gar nicht zu den Klägern.

Es ist ein typisches Beispiel für die argumentative Unredlichkeit von Christoph Keese. Die Tatsache, dass ein Medium, das nicht an der Klage beteiligt ist, besonders scharf gegen ARD und ZDF schießt, sagt exakt nichts darüber aus, ob und wie die Klage der Verlage die redaktionelle Berichterstattung der dort arbeitenden Journalisten beeinflusst.

Aber ich will Keese gern den Gefallen tun und hiermit meinen und Grimbergs Kollegen unterstellen, dass sie nach der Pfeife ihrer Verlage tanzen und willfährig über deren geschäftliche Interessen berichten. Belege? Bitteschön:

„Die Welt“

22. Juni. Die Überschrift der vermeintlich nachrichtlichen Meldung auf Seite 1 nimmt das Ergebnis der Klage schon vorweg:

Verleger klagen gegen die ARD
„Tagesschau“-App verzerrt Wettbewerb

Am selben Tag erscheint ein langer Artikel von Ekkehard Kern: „Die aggressive Expansionspolitik von ARD und ZDF im Internet torpediert den deutschen Medienmarkt“. Er schreibt:

Sinnvolle Investitionen ins Fernseh-Programm zum Beispiel — das wäre für alle Zuschauer ein Gewinn. Stattdessen fließen bei den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunksendern seit geraumer Zeit Millionen an Gebührengeldern in Online- und Mobil-Portale. Doch davon profitiert lediglich eine geringe Anzahl von Smartphone- und Tablet-Benutzern.

Die „Tagesschau“-App, von der lediglich eine so geringe Anzahl von Menschen profitiert, ist zu diesem Zeitpunkt 1,7 Millionen Mal installiert worden. Zum Vergleich: Das ist knapp sieben Mal soviel wie die tägliche Verkaufsauflage von gedruckter „Welt“ und „Welt kompakt“.

Der juristische Vorstoß kann als ein erster Schritt gesehen werden, um auf die von ARD und ZDF geschaffenen Zustände in der Verlagsbranche öffentlich aufmerksam zu machen.

Die von ARD und ZDF geschaffenen Zustände in der Verlagsbranche. Das steht da wirklich. Und er schreibt es gleich noch einmal:

In Anbetracht des vielfältigen Online- und Mobilangebots der deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft ist der aggressive Expansionskurs der Öffentlich-Rechtlichen in diesem Bereich ebenso unverständlich wie überflüssig. Die wirtschaftlichen Folgen für die deutsche Medienbranche waren schon im vergangenen Jahr vielerorts zu spüren. Die von ARD und ZDF künstlich und ohne ersichtlichen Grund herbeigeführte Konkurrenzsituation mit der Privatwirtschaft sorgt für einen verzerrten Wettbewerb. Dadurch oft nötig gewordene finanzielle Einsparungen auf Seiten der Verlage sorgen mittelfristig dafür, dass die deutsche Medienlandschaft insgesamt ärmer wird.

Weil ARD und ZDF einfach ins Internet gegangen sind, mussten die Verlage bereits sparen und können deshalb nicht mehr so gut sein wie früher oder wie sie sein könnten?

Die Tatsache, dass sich ARD und ZDF neben — so lautet die Definition von Rundfunk — Fernsehen und Radio seit geraumer Zeit auf unnachgiebige Weise als Konkurrent der Print-Branche gebärden, sorgt schon seit Jahren bei vielen Branchenexperten für Unbehagen.

Man beachte, dass Kerns Definition von Rundfunk das elektronische Medium Internet ausschließt, seine implizite Definition von Print aber das elektronische Medium Internet einschließt. Ganz abgesehen davon, dass er — falsch — suggeriert, ARD und ZDF würden schon durch ihre Existenz im Internet ihren rechtlichen und gesellschaftlichen Auftrag überschreiten.

Ekkehard Kern ist übrigens der lustige Mensch, unter dessen Namen bei „Welt Online“ immer noch unkorrigiert die nicht nur falsche, sondern völlig abwegige Behauptung steht, der ZDF-Kulturkanal wolle einen eigenen Jugendkanal. Schon Ende April hatte er in diesem Zusammenhang herrlich unbeschwert getextet:

Schelte für ihre oft wenig durchschaubare Expansionspolitik haben ARD und ZDF reichlich kassiert. Man denke nur an die herrlich überflüssige „Tagesschau“-App für das iPad und überhaupt die digitale Ausbreitung im Internet — einem Terrain, das die Öffentlich-Rechtlichen unangetastet lassen müssten, denn „Rundfunk“ beinhaltet eben schon per definitionem nur Radio und Fernsehen.

„Süddeutsche Zeitung“

22. Juni. In einem scheinbar nachrichtlichen kurzen Artikel, in dem Medienredakteurin Katharina Riehl über die Klage der Verlage gegen die „Tagesschau“-App berichtet, bezeichnet sie ARD und ZDF als „quasi staatlichen Rundfunk“.

25. Juni. Medienredakteur Christopher Keil betätigt sich als Stichwortgeber für Mathias Döpfner und attestiert ihm unter anderem: „Bisher sind Sie immer wieder zu Kompromissen bereit gewesen.“ Er erklärt das nicht.

„Hamburger Abendblatt“

22. Juni. Kai-Hinrich Renner kommentiert:

Der Streit zwischen Zeitungsverlagen und der ARD über die „Tagesschau“-App ist das Symptom eines grundsätzlichen Problems: In der digitalen Welt können bisher — bis auf ganz wenige Ausnahmen — nur gebührenfinanzierte Sender aufwendigen, rechercheintensiven Journalismus finanzieren.

Wirklich? Wenn es so wäre, spräche das nicht dafür, die Position der gebührenfinanzierten Sender im Internet zu stärken? Um aufwendigen, rechercheintensiven Online-Journalismus zu ermöglichen? Andererseits: Kann mir jemand ein Beispiel dafür zeigen, wo ARD und ZDF in der digitalen Welt aufwendigen, rechercheintensiven Journalismus finanzieren?

Nun zeichnet sich ab, dass die Nutzer bereit sind, zumindest für Inhalte auf mobilen Medien zu zahlen. Die Befürchtung der Verlage ist berechtigt, dass es mit dieser Bereitschaft schnell vorbei sein könnte, sollten sich Gratis-Apps wie die der „Tagesschau“ durchsetzen. Wer aber auf die „Tagesschau“-App — die ja nicht wirklich kostenlos, sondern gebührenfinanziert ist — nicht verzichten will, muss sagen, wie sich die Wettbewerber der Öffentlich-Rechtlichen künftig finanzieren sollen. Denn die unabhängige Presse wird in diesem Land vom Grundgesetz garantiert. Sie hat einen hohen Stellenwert: Es gibt keinen Grund, daran etwas zu ändern.

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“

22. Juni. Michael Hanfeld kommentiert auf Seite 1 unter der Überschrift „Für eine unabhängige Presse“:

Mit der Klage und der Beschwerde bei der Europäischen Wettbewerbskommission ergreifen die Verlage die letzte Möglichkeit, ihre Position zu behaupten. Sie kämpfen für das Überleben der unabhängigen Presse.

26. Juni. Im Leitartikel der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (für die ich regelmäßig arbeite)  schreibt Alard von Kittlitz:

Es geht bei der Klage ganz sicher nicht darum, dass die Presse die Konkurrenz von Funk und Fernsehen furchtet. Die Presse hat sich nie darüber beklagt, dass der Staat per Gebühren Anstalten finanziert, die Leute vom Lesen zum Hören, Sehen bringen. Jetzt aber treiben die Öffentlich-Rechtlichen selbst Printjournalismus, und zwar im großen Stil.

Stimmt doch nicht, könnte man einwenden. Gibt es etwa eine gedruckte Tagesschau-Zeitung, ein Tagesthemen-Magazin? Nein. Gegenfrage: Was ist eine App? Apps sind alles Mögliche, aber sie erinnern eher an Papier denn an einen Bildschirm. Die Geräte, auf denen sie laufen, bedient man mit dem Finger. Wie ein Buch, wie eine Zeitung. Man blättert. Man kauft Apps wie Zeitungen an einem digitalen Kiosk. (…)

Die Presse in Deutschland hat schon so zu kämpfen. Staatliche Konkurrenz, aus einem üppigen öffentlichen Topf finanziert, macht ihr das Leben schwer. Dabei erfüllt gerade die Presse den Auftrag, mit dem die Gebührenfinanzierung eines öffentlich-rechtlichen Journalismus in Deutschland begründet wird: dass die Bürger sich vernünftig informieren können.

„Bild“

Die „Bild“-Zeitung hat bislang nur in Form einer kurzen Meldung über die Klage berichtet. Man darf annehmen, dass der Seite-1-Aufmacher von Paul Ronzheimer von Ende 2009 noch Bestand hat, Schlagzeile: „Der Irrsinn mit unseren TV-Gebühren“.

Die nächste große „Bild“-Kampagne ist allerdings in Arbeit. In der ARD bereitet man sich auf das Schlimmste vor und rechnet damit, dass die echten oder vermeintlichen Enthüllungen der „Bild“-Zeitung in den nächsten Tagen oder Wochen maßgeschneidert zum juristischen Vorgehen der Verlage erscheinen werden.

Fazit

Zur Erinnerung noch einmal Keese:

Eine Sammlung von Belegen würde zeigen, dass die Zeitungen durchaus unterschiedlich auf die Klage ihrer Verlage reagiert haben. Von nachrichtlicher Berichterstattung über abwägende Kommentare bis hin zur leidenschaftlichen Verteidigung.

… und bis hin zu beeindruckender Beklopptheit wie in der „Welt“. Ja, das Temperament der Reaktionen und die journalistische Qualität ist unterschiedlich; die Stoßrichtung aber ist identisch.

Ja, ich glaube, dass die Journalisten der klagenden Verlage keine Chance hätten, gegen deren Position zu schreiben. Es bedarf dazu gar keines Pfiffs aus einer Pfeife, weil sie wissen, welcher Tanz von ihnen erwartet wird. Ich glaube  nicht an eine große Abstimmung der Beteiligten untereinander, aber es fällt schon auf, wie oft nun bei jeder Gelegenheit der Begriff „öffentlich-rechtlich“ durch „staatlich“ ersetzt und dass plötzlich Online-Artikel in einer fast orwellschen Umdefinition „Print“-Journalismus“ darstellen sollen.

Das bedeutet nicht, dass jeder einzelne der Journalisten von ihnen gegen seine eigene Überzeugung anschreiben muss, wenn er gegen die ARD wettert. Keese suggeriert in seiner gut gelaunt perfiden Art ohnehin, dass die Erklärung für den Gleichklang ist, dass man in dieser Sache als Journalist, der nicht bei ARD und ZDF angestellt ist, gar nicht anderer Meinung sein könne.

Die Gretchenfrage ist eine andere. Wenn der Journalismus der Verlage so gut ist, wie sie behaupten, wenn gerade die Presse, wie Kittlitz behauptet, den Auftrag erfüllt, „dass die Bürger sich vernünftig informieren können“ — warum zeigen sie der Öffentlichkeit und der ARD nicht, was das bedeutet? Warum machen sie sich nicht unangreifbar und lassen — gerade weil ihre Verlage bei diesem Thema selbst Partei sind — die Gegenseite ausführlich zu Wort kommen? Warum führt die „Süddeutsche“, wenn sie schon mit ihrem Klagepartner Döpfner so viel Raum gibt, nicht ein Interview, das an kritischen Nachfragen keine Wünsche offen lässt? Warum schafft die „Welt“ es nicht einmal, eine Nachricht zu dem Thema streng nachrichtlich zu formulieren? Warum ist es undenkbar, dass in einem Objekt eines der beteiligten Verlage ein Kommentar erschiene, der der Position der Kläger widerspricht?

Was wäre das für ein Beweis für die Qualität des privat finanzierten Journalismus, wenn man sich darauf verlassen könnte, trotz der Parteilichkeit der Verlage in dieser Sache, umfassend und fair und vielleicht sogar sauber nach Nachricht und Meinung getrennt über den Komplex informiert zu werden! Gerade der Verlag, dessen Außenminister Keese ist, scheitert an diesem Test jedesmal.

Verlegerkampf für eine PC-Presse-Gebühr

Ich wüsste gerne, ob irgendwo in dem Springer-Lobbyisten Christoph Keese noch Reste von dem früheren Journalisten Christoph Keese stecken. Und ob der gelegentlich leise wimmert.

Gestern zum Beispiel, als Keese auf der Veranstaltung „Wer verdient mit welchem Recht?“ in Hamburg eine besonders originelle (und mir neue) Begründung nannte, warum ein Leistungsschutzrecht für Verleger auch im Interesse der Urheber sei: Weil die Verleger, wenn sie erst einmal ein eigenes Recht hätten, aufhören könnten, den Autoren ihre Rechte wegzunehmen.

Man muss dazu wissen, dass die deutschen Verlage seit Jahren versuchen, die Presselandschaft zu einem urheberrechtsfreien Raum für Journalisten zu machen. Die Autoren sollen möglichst sämtliche Rechte an ihren Texten an die Verlage abtreten, und zwar gerne kostenlos, rückwirkend und für alle Zeit. Die Verlage überschreiten dabei mit einer Regelmäßigkeit und Konsequenz das Gesetz, dass man fast von krimineller Energie sprechen möchte, wären die ehrwürdigen und demokratietragenden Verlage nicht über jeden solchen Verdacht erhaben.

Erst in dieser Woche untersagte das Hamburger Landgericht einstweilig eine entsprechende Vereinbarung, die der Verlag der „Zeit“ seinen Mitarbeitern diktieren wollte. Zuvor hatten sich schon der Bauer-Verlag, die Axel Springer AG und der Verlag des „Nordkurier“ mit Versuchen, die Journalisten in ähnlicher Form zu enteignen, vor Gericht blutige Nasen geholt.

Aber Christoph Keese sagt, eigentlich wollten die Verlage gar nicht die ganzen Rechte der Journalisten. Im Gegenteil: Eigentlich seien sie gegen Total-Buy-Out-Verträge. Wenn sie gesetzlich ein eigenes Recht hätten, eben das Leistungsschutzrecht, könnten sie sofort damit aufhören, den Journalisten ihre Urheberrechte wegzunehmen.

Das ist angesichts der Rechtsverletzungen, die die Verlage bei ihren Versuchen, sich auf Kosten der Journalisten zu bereichern, offenkundig begangen haben (die Urteile sind noch nicht rechtskräftig), natürlich eine besonders perfide Aussage. Und andererseits ist sie nicht ganz falsch. Durch ein Leistungsschutzrecht würde die rechtliche Position der Verlage nämlich nicht nur gegenüber vermeintlichen Bösewichten wie Google oder der mythischen Masse von Content-Dieben gestärkt, sondern auch gegenüber den Autoren. Die könnten einen Artikel dann nicht mehr einfach so zweitverwerten, weil das mit dem Leistungsschutzrecht des ersten Abnehmers kollidieren würde.

Keese, Außenminister bei Springer und die treibende Kraft auch hinter der traurigen „Hamburger Erklärung“ aus dem vergangenen Jahr, ist von außerordentlicher Geschmeidigkeit, wenn er auf dem Podium für die Sache der Verlage wirbt. Er redet mich als Mitdiskutant ebenso wie irgendwelche Fragesteller aus dem Publikum mit „mein Lieber“ an und hat extra das Urheberrechtsgesetz als dickes, 411-seitiges Buch mitgebracht — mutmaßlich um seinen Argumenten Gewicht zu geben.

Nur konkret mag er nicht werden, zum Beispiel, was die konkrete Frage der Snippets angeht, der Textausschnitte, die Suchmaschinen wie Google in ihren Trefferlisten anzeigen. Das Zitatrecht, beteuert Keese, solle vom gewünschten neuen Leistungsschutzrecht unberührt bleiben; man werde also auch in Zukunft kurze Textstellen aus den Verlagsveröffentlichungen ohne Genehmigung und kostenlos übernehmen dürfen, um sie zu bewerten, einzuordnen, in einen Kontext zu stellen: Der „Perlentaucher“ etwa könne weitermachen wie bisher.

Und was ist mit Google? Keese sieht einen Unterschied zwischen den Texten, die in der Web-Suche von Google angezeigt werden und einen quasi zufälligen Ausschnitt rund um das gesuchte Wort anzeigen, und den Textanfängen, die in der News-Suche von Google auftauchen. Das erste hält er für unproblematischer als das zweite, weil in den so zitierten Vorspännen nach Angaben von Keese oft viel redaktionelle Arbeit stecke, von der Google profitiere. Ob das bedeutet, dass Google bei einem Presse-Leistungsschutzrecht für die Ausschnitte und Verlinkungen in der News-Suche (mit der sie den Zeitungsseiten im Netz viele Leser verschaffen) eine Genehmigung brauchen und zahlen müssen, konnte ich Keeses Ausführungen nicht entnehmen.

Man kann es nicht oft genug sagen: Die Probleme, unter denen Zeitungen und Zeitschriften gerade leiden, haben nichts mit dem Fehlen eines Leistungsschutzrechtes der Verlage zu tun. Auch Google ist nicht Schuld daran. Die Verlage leiden im Print unter rückläufigen Leserzahlen und vor allem einbrechenden Werbeeinnahmen. Und sie leiden online darunter, dass die Werbeerlöse so viel niedriger sind. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es plötzlich sehr viel mehr Werbeflächen und -möglichkeiten gibt, und dass es für die Industrie oft viel attraktiver ist, zielgerichtet auf den Ergebnisseiten bestimmter (Google-)Suchen zu werben, als neben irgendeinem noch so gut geschriebenen oder viel geklickten Artikel, der von Leuten gelesen wird, deren Interessen man nicht kennt.

Die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht ist nur der leicht durchschaubare Versuch, sich subventionieren zu lassen. Deshalb tun sich Leute wie Keese auch so schwer, die juristischen Details und Notwendigkeiten eines solchen Gesetzes zu erörtern. Ihnen ist völlig egal, was in diesem Gesetz steht, solange es nur sein Ziel erreicht: Das Überleben der Verlage zu sichern. Denn die Verlage sind — nach Ansicht der Verlage — die einzigen Garanten dafür, dass die Bevölkerung gut informiert wird. So lange es ihnen gut geht (wohlgemerkt: den Verlagen; das Wohlergehen der Journalisten ist optional), ist das Funktionieren der Demokratie gesichert.

Nun ist es nicht so, dass es der Axel Springer AG schlecht ginge. Der Google-Vertreter auf dem Podium, der Jurist Arnd Haller, zitierte genussvoll aus einer Pressemitteilung des Verlages, in der ihr Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner sagt:

„Axel Springer hat einen neuen Rekord für das Ergebnis eines ersten Quartals erreicht und die Prognose für das Gesamtjahr angehoben – das beweist: Die Transformation in die digitale Welt bietet für ein Inhalte-Unternehmen viel mehr Chancen als Risiken, und die sehr hohen Gewinnmargen der Zeitungen und Zeitschriften zeigen: Der Abgesang auf das Print-Geschäft ist falsch.“

Keese erklärte, dass es nicht der Journalismus sei, mit dem man das Geld im Netz verdiene, sondern Firmen wie idealo.de oder Zanox. Und andere, vor allem regionale Verlage seien nicht so schlau gewesen, sich rechtzeitig an solchen Unternehmen zu beteiligen, um den Journalismus querfinanzieren zu können. Springer kämpft hier also offenbar, wie der Rechtsanwalt und Urheberrechtsexperte Till Kreutzer süffisant feststellte, gar nicht für sich selbst, sondern ganz uneigennützig für das Wohlergehen seiner kleineren, erfolgloseren Mitbewerber.

Und wer soll dafür zahlen, dass die Verlage überleben können? Nicht nur Google, sondern vor allem die Allgemeinheit. Die Verleger wünschen sich ein Leistungsschutzrecht, das den gewerblichen Abruf von kostenlos im Intenet verfügbaren Zeitungsartikeln vergütungspflichtig macht. Anscheinend bestellen gerade Firmenkunden in größerer Zahl Zeitungs- und Zeitschriften-Abonnements ab, weil die Inhalte ja kostenlos im Netz verfügbar sind.

Was für eine geniale Idee: Die Zeitungsverleger stellen ihre Produkte freiwillig kostenlos ins Netz, weil sie nicht glauben, dass die Leser bereit sind, dafür Geld zu zahlen, kassieren sie aber über den Umweg eines Leistungsschutzrechtes dann trotzdem dafür ab.

Bei einer früheren Veranstaltung nannte Keese das Beispiel eines Bank-Mitarbeiters, der sich auf frei zugänglichen Online-Seiten von Zeitungen auf einen Kunden vorbereitet. Dafür müsste er in Zukunft eine Vergütung an eine Verwertungsgesellschaft zahlen, die die Einnahmen dann an die Verlage (und zu einem noch mit den Gewerkschaften zu verhandelnden Teil an die Urheber) ausschüttet. Aber nicht nur Bank-Mitarbeiter nutzen Inhalte von Online-Medien gewerblich; fast jeder Berufstätige tut es, auch freie Journalisten müssten natürlich zahlen. De facto würde mit dem Leistungsschutzrecht eine Presse- oder Verlags-Subventions-Gebühr auf die zig Millionen Dienst-Computer in Deutschland eingeführt.

Hab ich gerade schon wieder „Subvention“ geschrieben? Nein, „Subvention“ ist das ganz falsche Wort, sagt Springer-Lobbyist Christoph Keese; Subventionen wollen die Verlage nicht, Subventionen sind Geld vom Staat. Aber hier kommt das Geld ja von den Bürgern. Der Staat soll nur die Rechtsgrundlage dafür schaffen.

Wer andern eine Grube gräbt, ist Journalist

Christoph Keese, Außenminister der Axel-Springer-AG und früher selbst Journalist, hat endlich eine langgesuchte Definition gefunden:

Wer Blogger ist und wer Journalist, ergibt sich aus dem Verhalten. Ein freier Blogger sollte „Journalist“ genannt werden, wenn er objektiv, wahr, fair, ausgewogen und korrekt berichtet. Umgekehrt müsste ein meinungsstarker, aber rechercheschwacher Redakteur „Blogger“ heißen, wenn er subjektive Eindrücke ohne Recherche verbreitet.

Keese hat einen Aufsatz für das Jahrbuch 2008 des Deutschen Presserates geschrieben, in dem er anregt, eine Grube für den Qualitätsjournalismus zu graben:

Genau dort, wo die Netzpessimisten durch das Seichte waten und am Internet verzweifeln, sollten sie mit dem Graben beginnen und einen tiefen See anlegen. Das Publikum kommt dann von allein. Handeln wird aber nur, wer genau weiß, was ihn von den Laien unterscheidet.

Man könnte Keeses Essay als ein Plädoyer für guten Journalismus und zum Beispiel für „die sorgfältige Redigatur über mehrere Stufen“ durchaus sympathisch, konstruktiv und notwendig finden. Leider hat er sich allerdings dafür entschieden, als Gegensatz zu „gutem Journalismus“ nicht „schlechten Journalismus“, sondern „Blogger“ zu wählen. Wenn Keese dagegen von „Journalisten“ spricht, meint er offenkundig nicht die real existierende Berufsgruppe, deren Ansehen ungefähr so schlecht ist wie das von Politikern, sondern ein fernes, golddurchwirktes Journalisten-Ideal:

Blogger blicken in sich hinein, Journalisten aus sich heraus. Blogger unterwerfen sich keiner Instanz, Journalisten bilden eine Instanz, die Wahres von Unwahrem unterscheiden will. Blogger akzeptieren keine fremden Regeln, Journalisten arbeiten nach Standards. (…)

Bloggern steht es frei, aufgeschnappte Gerüchte weiter zu verbreiten und damit Hysteriekaskaden in Gang zu setzen. Journalisten aber sollten keine Nachricht verbreiten, die sie nicht selbst geprüft haben. Journalismus ist die Schwelle, über die eine Hysteriewelle nicht springen kann.

Sogar Keese selbst scheint an dieser Stelle aufgefallen zu sein, wie wirklichkeitsfern diese Beschreibung ist, und so fügt er ein „Zugegeben“ hinzu:

Zugegeben, in der Praxis sieht das manchmal anders aus. Aus der Unsitte, das Vermelden einer Nachricht durch ein anderes Blatt als das eigentliche Nachrichtenereignis anzusehen und ohne Prüfung der Urnachricht an die eigene Leserschaft weiter zu melden, ist mancherorts eine Sitte geworden. Trotzdem halten zahlreiche Redaktionen den Standard ein.

Beispiele dafür nennt Keese nicht.

Christoph Keeses Klima-Hysterie-Hysterie

Liegengeblieben vom Wochenende war dann noch der Kommentar von „Welt am Sonntag“- und „Welt Online“-Chefredakteur Christoph Keese über Al Gore und den Klimawandel.

Man kann ja darüber streiten (und ich meine das nicht nur als Floskel), ob Gores Rhetorik angemessen ist. Und als jemand, der bei diesem Thema im Zweifel eher auf der Seite der Mahner als der Skeptiker steht, finde ich insbesondere die Frage berechtigt, ob Gores Rhetorik der Sache dienlich ist.

Aber Keese scheint zu glauben, dass es am besten ist, hysterisch auf Hysterie zu reagieren, und schreibt:

Der Klimawandel (…) bedroht kein einziges Menschenleben direkt, auch in hundert Jahren nicht. Es bleibt selbst bei schneller Erwärmung genug Zeit, Dämme zu erhöhen, Städte zu verlegen und neue Lebensräume zu erschließen. Man kann nicht jedes Opfer eines Sturms dem Klimawandel zurechnen.

Naturkatastrophen haben immer Menschenleben gekostet. In diesem Jahr waren es 24.000. Jeder Tod ist eine Tragödie, trotzdem ist die Zahl angesichts einer Weltbevölkerung von 6,6 Milliarden äußerst gering. Es sind gerade einmal 0,00036 Prozent.

Nun hat Keese schon einmal insofern unrecht, als sich die Zahl 24.000 nicht auf dieses, sondern das vergangene Jahr bezieht. Wurscht.

Guckt man sich die Daten, die das Rote Kreuz jährlich veröffentlicht, genauer an [pdf], stellt man fest, dass diese jüngsten Zahlen ungewöhnlich niedrig sind. 2005 gab es mehr als dreimal soviele Tote durch Naturkatastrophen, 2004 sogar zehn mal soviele. Und die Zahl der Menschen, die von Naturkatastrophen insgesamt betroffen waren, war 2006 auch vergleichsweise klein, betrug aber 142 Millionen, was immerhin schon über 2 Prozent der Weltbevölkerung sind.

Aber am besten ist natürlich Keeses Aussage, der Klimawandel bedrohe kein Menschenleben direkt. Ein Leser, der sich darüber so geärgert hat, dass er eine sehr, sehr polemische Mail an Keese samt Abokündigung schrieb, bekam vom Chefredakteur eine Antwort, in der er seinen Satz so erklärt:

Es hieß nicht, dass Naturkatastrophen keine Menschenleben kosten — das ist unbestritten. Sondern dass anders als bei Aids, Krieg etc. keine direkte Gefahr für Menschenleben besteht, sondern nur in direkt. Das ist ein Unterschied.

Aha.

Aids ist ein Super-Beispiel, Herr Keese. Aids bedroht nämlich kein einziges Menschenleben direkt. Aids schwächt das Immunsystem; die HIV-Infizierten sterben nicht an Aids, sondern an anderen, sonst eher harmlosen Krankheiten. Und mal abgesehen davon, dass es mich ein bisschen erstaunt, dass Sie das nicht wissen: Können wir uns dann nicht auch das Geld für die Prävention sparen? Da gibt’s doch dann eh Medikamente gegen!

Programmänderung

Es hat sich da offenbar bei der Diskussion „Von der Edelfeder zum Contentlieferanten? — Printmedien im Wandel“ am 11. September eine kleine Veränderung ergeben:

Vorher:

Jetzt:

Es heißt, der Kommunikationschefin der Axel Springer AG, Edda Fels, sei es trotz besten Bemühens auch leider nicht gelungen, im Haus einen Ersatz für Christoph Keese zu finden.

Wenn er eh nicht kommt, gibt mir das einen Vorwand, auf der Geschichte rumzureiten, die der Branchendienst „Kontakter“ vor gut drei Wochen nebenbei erwähnt hat. Er berichtete, dass ein Portrait Keeses, das Thomas Delekat 2002 für die „Welt“ über den damaligen Chef der „Financial Times Deutschland“ geschrieben hatte, irgendwann aus dem internen Springer-Archiv entfernt worden sei.

Ich habe leider keinen Zugriff auf das interne Springer-Archiv, aber im Online-Archiv der „Welt“ lässt sich der Artikel auch nicht finden. Und wer immer ihn gelöscht hat — er hat ganze Arbeit geleistet: Im Ganzseitenarchiv der „Welt“ fehlt am 8. Juli 2002 die Seite 30 — das war die Medienseite, auf das Porträt stand, gleich über dem Fernsehprogramm, das auch gelöscht wurde, aber wohl niemand vermisst.

Dabei scheint dem sorgfältig entfernten Artikel objektiv Brisanz zu fehlen. Er ist keine Hinrichtung. Er beschreibt Keeses Erfolge, aber auch — mit amüsierter Distanz — sein Machtgehabe und seine Eitelkeit. Delekat erwähnt Keeses demonstrative Begeisterung für Hamlet und für Vito Corleone, den Paten aus „Der Pate“, dem er eine Seite in der „FTD“ gewidmet habe, um den Lesern die elf mafiosen Prinzipien des Machterwerbs und des Machterhalts zu erklärten (Punkt 10: „Macht schwindet schleichend. Wehre dich gegen kleine Niederlagen, denn sie haben große Auswirkungen.“)

Delekat schrieb:

(…) Keese ist 38, ein Jungmanager in unverwüstlich aufgeräumter Stimmung, einer von der Sorte mit überschüssigem Elan. Jeden Tag beschließt er mit der Enttäuschung, den Terminkalender schon um 24 Uhr beenden zu müssen. (…)

Nur die Wirtschaft, das findet er, kann seiner Schaulust auf das Dramatische im Leben genügen: Kampf, Einsamkeit, Gewinn und Verlust. Im letzten halben Jahr, sagt Keese, habe er fast alle Vorstandschefs der Dax- Liste besucht. Die seien zwar Journalisten gewohnt. Aber bei ihm muss es außerordentlich gewesen sein: „Die sind begeistert, wenn sie jemanden haben, mit dem sie auf Augenhöhe reden können.“

Es stimmt, sagt Keese, es duzt sich jeder in der Redaktion. Ein ehrliches „Du“, behauptet der Chefredakteur, und tatsächlich gibt es dafür eine Erklärung: Er habe sich sämtliche 150 Mitarbeiter im persönlichen Examen vorgeknöpft, „mit Röntgenblick“ durchschaut, seinen Instinkt zugeschaltet, seinem persönlichen Geschmack freien Lauf gelassen und dann über eine Einstellung entschieden. Es ist sein Team, auf Keese eingestimmt, abgestimmt. Wenn die Redaktion ein Sandkasten wäre: Keese hätte das Monopol auf die Förmchen. (…)

Ich habe nicht nachgefragt bei Christoph Keese oder Springer, was hinter der Löschung dieses Artikels stand (und von wem sie veranlasst wurde und wann). Ich hätte vermutlich auch keine Antwort bekommen. Mein letzter Kontakt mit Herrn Keese war Anfang des Jahres im Zusammenhang mit dieser Geschichte, und nach einer (zugegeben: sehr verärgerten und unfreundlichen) Mail von mir, antwortete er, er habe genug von meinen „impertinenten Unterstellungen“ und „selbstgerechten Vorwürfen“ und wünsche keine weitere Kommunikation.

Wäre interessant geworden, am 11. September. Wird’s aber bestimmt trotzdem. (Anmeldung hier.)

Was Christoph Keese „für Online“ schreibt

Die Kollegen von onlinejournalismus.de haben mal beim Verlag Axel Springer nachgefragt, was denn aus dem plötzlich verschwundenen Blog von „Welt am Sonntag“-Chef Christoph Keese geworden ist. Sie bekamen folgende Antwort:

„Herr Keese schreibt nach wie vor viel für Online. Den Blog führt er hingegen nicht fort.“

Das „nach wie vor viel“ lässt sich quantifizieren:

Für das von ihm geleitete Internetangebot „Welt Online“ scheint Herr Keese seit dessen Relaunch Anfang Februar laut Archiv drei Artikel geschrieben zu haben (1, 2, 3) — der letzte stammt vom 26. April 2007. Alle anderen Artikel Keeses hier sind Übernahmen aus der Print-Ausgabe. Von den sechs Kommentaren Keeses, die sich auf „Welt Debatte“ finden, erschien nur ein Artikel nicht in der gedruckten „Welt am Sonntag“.

Wenn Herr Keese nach wie vor viel „für Online“ schreibt, muss man ihn für seine Ausdauer bewundern. Wo doch fast nichts davon veröffentlicht wird.