Schlagwort: ARD

Geht sterben

Die Beklopptheit deutscher Medien ist grenzenlos.

Fast überall steht die Meldung, dass nach einem Vorstoß des EU-Parlaments die Synchronisation ausländischer Beiträge bei ARD und ZDF abgeschafft und durch Untertitel ersetzt werden soll. Das ist Humbug. Tatsächlich sollen öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme alle untertitelt werden. Mit der Synchronisation hat das sehr wenig zu tun. Genauer gesagt: nichts.

Aus diesem Grund kommt das Wort oder auch nur der Gedanke der Synchronisation fremdsprachlicher Programme zum Beispiel in der Pressemitteilung des EU-Parlaments zum Thema nicht vor. Er fehlt auch in der „schriftlichen Erklärung“, die die Mehrheit der Parlamentarier beschlossen hat [pdf]. Der entscheidende Satz dort lautet:

Das Europäische Parlament […] vertritt die Ansicht, dass die Untertitelung aller öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme in der EU unerlässlich ist, um zu gewährleisten, dass alle Zuschauer, einschließlich der Tauben und der Schwerhörigen, Zugang zum vollständigen Programmangebot haben; ist der Auffassung, dass dadurch außerdem das Erlernen von Fremdsprachen gefördert wird (…).

Vermutlich hat die Nachrichtenagentur AFP das mit dem „Erlernen von Fremdsprachen“ falsch verstanden: Die Fremdsprache, um die es geht, wäre im Fall von ARD und ZDF natürlich Deutsch.

Jedenfalls hat AFP (anders als die Agentur AP, die nüchtern und korrekt berichtet) aus dem Beschluss eine Meldung gemacht, die auf der Grundlage dieses Missverständnisses den Fehler mit freien, fantasievollen Improvisationen zum Thema Synchronisation zu schwindelerregender Größe aufpumpt:

Fernsehfilme in Englisch oder anderen Sprachen sollen nach dem Willen des Europaparlaments künftig in ARD und ZDF nur noch im Original mit Untertiteln laufen. Eine entsprechende Erklärung gegen die Synchronisierwut nahmen die Abgeordneten in Brüssel an. Das Parlament forderte die EU-Kommission auf, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, nach dem öffentlich-rechtliche Fernsehsender in der EU künftig alle Sendungen untertiteln müssten. Auch eine Rede von US-Präsident George W. Bush in der Tagesschau müsste danach im Original gezeigt werden.

Originalversionen trügen nicht nur zum Lernen von Fremdsprachen bei, sondern seien auch besser für Schwerhörige oder Taube, heißt es in dem Beschlusstext. Die Abgeordneten verwiesen auf einen Beschluss der britischen BBC, die seit Anfang des Monats alle Programme mit Untertiteln versieht. Auch in Ländern wie Belgien oder den Niederlanden sind Originalversionen im Fernsehen üblich.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Das ist alles, alles Unfug. Das Wort „Originalversion“ kommt im Beschlusstext nicht einmal vor. Um die „Synchronisierwut“ (was immer damit gemeint sein mag) geht es in keinem Nebensatz. Ob George W. Bush im Original gezeigt werden müsste, steht da nicht. Und die langjährige Praxis der Niederlande und Belgiens hat nichts mit dem Thema zu tun. Nur der Verweis auf die BBC stimmt — und wäre ein Hinweis darauf gewesen, dass es überhaupt nicht um die Frage der Synchronisation geht.

Was AFP meldet, wäre, wenn es stimmt, der Hammer. Und was machen deutsche Medien mit einer Meldung, die total unwahrscheinlich ist und nach einem Aprilscherz klingt? Richtig: Man recherchiert sie erst einmal nach druckt sie sofort ungeprüft nach.

Und so zieht der Schwachsinn seine Kreise. Zunächst über die üblichen Verdächtigen wie den Online-Ableger der „Rheinischen Post“, „RP Online“, der Nachrichten von Agenturen einfach als seine eigenen Meldungen mitsamt „RPO“ als Quelle umdeklariert, aber ansonsten praktisch unbearbeitet übernimmt:

Gegen Synchronisierung
EU-Parlament: Fernsehfilme nur noch mit Untertiteln

„Spiegel Online“ berichtet:

ABSCHAFFUNG DER SYNCHRONISIERUNG: Bush bald nur noch mit Untertiteln? Anhänger fremdsprachiger Originalversionen dürfen sich freuen: Wenn es nach dem Willen des Europaparlaments geht, sollen Fernsehfilme in Deutschland bald im Original und mit Untertiteln gezeigt werden. Selbst die "Tagesschau" wäre betroffen.

Die „Bild“-Zeitung meldet heute auf ihrer Titelseite:

Ausländische TV-Filme nur mit Untertiteln? Brüssel - Fernsehfilme in Englisch oder anderen Sprachen sollen nach dem Willen des Europa-Parlaments künftig in ARD und ZDF nur noch im Original mit Untertiteln laufen. Das Parlament forderte die EU-Kommission auf, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, nach dem öffentlich-rechtliche Fernsehsender in der EU künftig Sendungen untertiteln müssten.

Die „Westfälische Rundschau“ fantasiert:

Würde der Plan in die Tat umgesetzt, hieße das für deutsche Zuschauer: "Inspector Barnaby" spricht Englisch - und "Dr. House" Deutsch. Unterschied: Barnaby fahndet im ZDF, Dr. House praktiziert bei RTL.

Selbst der Medienredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ [Disclosure: für deren Sonntagsausgabe ich regelmäßig schreibe] hat den Schmarrn unbesehen geglaubt und empört sich:

Alles auf Englisch?
EU soll Synchronisation verbieten

Das Europaparlament hat ein seltsames Verständnis von Pressefreiheit. Die Abgeordneten haben nämlich, wie die Agentur AFP meldet, die EU-Kommission aufgefordert, die Synchronisation fremdsprachiger Programme im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu untersagen. So dürften Fernsehfilme bei ARD und ZDF nur noch im Original mit Untertiteln laufen, betreffen würde dies sogar die Nachrichten. Originalversionen trügen zum Lernen von Fremdsprachen bei und seien besser für Schwerhörige oder Taube geeignet, heißt es in dem Beschluss.

Der Kölner „Express“ sieht alle seine Vorurteile bestätigt:

Neuer EU-Wahnsinn
Ausländische Filme nur noch mit Untertiteln

Brüssel — Die Spannung steigt, Schüsse fallen. Aber leider hat keiner gesehen, wer im Krimi geschossen hat … So könnte es in Zukunft TV-Zuschauern ergehen. Denn statt gebannt die Handlung zu verfolgen, müssen sie künftig Untertitel lesen…

Das EU-Parlament fordert jetzt nämlich, dass ausländische Filme nur noch in Originalsprache mit Untertiteln laufen dürfen!

Schon wieder so eine irre Forderung der EU-Politiker. Sophie Marceau spricht im Film französisch und Keira Kneightley englisch. Synchronsprecher haben ausgedient. Statt dessen läuft ein Untertitel mit: So stellen sich die EU-Parlamentarier die schöne neue Fernsehwelt vor. (…)

In der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ kommentiert Heiko Kruska:

Thank you, EU!

(…) Dem Europaparlament ist also zu gratulieren für seinen Vorstoß. Bleibt zu hoffen, dass niemanden Skrupel beschleichen ob der unzähligen Arbeitslosen in der Synchronbranche oder einer Wettbewerbsverzerrung. Der Konkurrenz vom Privatfernsehen soll ja nicht der Mund verboten werden.

Heute sahen sich dann mehrere Online-Medien offenbar unter Zugzwang und fügten der Falschmeldung einen weiteren Fehler hinzu: So nennt das Medienmagazin DWDL als Quelle für den Schwachsinn nicht mehr AFP — sondern „Spiegel Online“, obwohl im dortigen Artikel die Agentur angegeben ist. DWDL schreibt:

Im Zuge der Europäischen Union könnte die Luft für die deutsche Synchronisationskultur in Film und Fernsehen eng werden. Wie "Spiegel Online" berichtet, forderten die EU-Abgeordneten die EU-Kommission auf, ein Gesetz zu entwickeln, das öffentlich-rechtlichen Sendern vorschreibt, fremdsprachige Sendungen im Originalton mit Untertiteln zu zeigen.

Seiten wie wunschliste.de und digitalfernsehen.de scheinen das nun wiederum bei DWDL abgeschrieben haben.

Nur ein Kollege von Heise Online hat das getan, was eigentlich mal die Aufgabe von Journalisten war: recherchiert. Entsprechend meldet er:

Keine Aktion des EU-Parlaments gegen „Synchronisationswut“ bei ARD und ZDF

Es klingt wie ein verspäteter Aprilscherz: Unter Berufung auf die Nachrichtenagentur AFP berichten aktuell mehrere deutsche Medien, dass das EU-Parlament die EU-Kommission auffordere, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, der die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in der EU verpflichte, Fernsehfilme „nur noch im Original mit Untertiteln“ auszustrahlen. Auch eine Rede von US-Präsident George W. Bush in der Tagesschau würde danach angeblich im Original gezeigt werden müssen. Stutzig hätte man jedoch bei der angeblichen Begründung für diese Aktion „gegen die Synchronisierwut“ (RP-Online) werden können: So trügen Originalversionen laut Beschlusstext nicht nur zum Lernen von Fremdsprachen bei, sondern „seien auch besser für Schwerhörige oder Taube“.

Die Menschen haben allen Grund, das Vertrauen in klassische Medien zu verlieren.

Nachtrag, 16:50 Uhr. Nachdem ich bei AFP nachgefragt habe, hat die Agentur die falsche Meldung vor wenigen Minuten zurückgezogen:

DRINGENDER HINWEIS
Achtung Redaktionen,
bitte verwenden Sie unsere Meldung «Fernsehfilme sollen nur noch mit Untertiteln laufen» von gestern (Mittwoch) um 16.11 Uhr nicht mehr. Sie beruht auf einem Missverständnis. Nach Angaben der zuständigen Parlaments-Abgeordneten Lidia Joanna Geringer de Oedenberg richtet sich die Erklärung des Europaparlaments nicht gegen Synchronisationen; es geht stattdessen um die Untertitelung aller Programme im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Dabei können auch synchronisierte Filme untertitelt sein.

Damit wird klargestellt, dass nach dem Willen des EU-Parlaments Fernsehfilme keineswegs nur noch im Original gezeigt werden sollen. Vielmehr geht es in der Erklärung allein um die Untertitelung von Sendungen.

[Fortsetzung hier.]

Wenn „Bild“ das schreibt, wird’s stimmen

Kommen wir zu weiteren Antworten auf die beliebte Frage: „Wer glaubt schon, was in der ‚Bild‘-Zeitung steht?“

Die Nachrichtenagentur AP glaubt es. Sie übernahm bekanntlich aus „Bild“ die ebenso doofe wie falsche Behauptung, das „Gerangel um die Aust-Nachfolge … zieht offensichtlich auch die Auflage [des ‚Spiegel‘] nach unten“, die „Bild“ zufällig einfiel, nachdem der „Spiegel“ über den Auflagenrückgang von „Bild“ berichtete.

Die „taz“ glaubt es auch. Sie ließ die Quelle „Bild“ weg, machte sich die Interpretation aber zu eigen und vermeldete sie sogar unter der Überschrift „Nach Posse um Chefredaktion / „Spiegel“-Verkauf bricht ein“:

(…) Die Einzelverkäufe sind im vierten Quartal 2007 auf 337.500 Exemplare gesunken. (…) Ein Einbruch von fast 20 Prozent und das schlechteste Ergebnis seit 2003. Möglicherweise liegt das an der schlechten Presse, die im vierten Quartal ordnerweise über den Spiegel erschien und nicht gut fürs Image war.

Und im Zweifel glaubt es auch „turi2“, der „Aufsteiger unter den Branchendienst für Medien und Kommunikation“ und BILDblog-Kritiker, der gestern berichtete:

Übrigens hat die dilettanische [sic] Nachfolgersuche für Aust dem „Spiegel“ einen erheblichen Imageschaden verpasst: Im vierten Quartal 2007 ging der Einzelverkauf laut IVW um 20 Prozent zurück.

(Von einem Rückgang um 20 Prozent zu sprechen, wie „taz“ und „turi2“ es tun, ist ohnehin unzulässig, weil nur ein Vergleich mit dem Vorjahresquartal aussagekräftig ist; nicht der des Herbstes mit dem Sommer.)

taz.de und turi2.de demonstrieren auch schön die Attrappenhaftigkeit vieler Kommentarfunktionen. Unter beiden Artikeln stehen Kommentare von Lesern, die unter Verweis auf BILDblog schreiben, dass der behauptete Zusammenhang zwischen der Personalie Aust und dem Auflagenrückgang nicht stimmen könne. Und bei beiden Artikeln gibt es keine Reaktion auf diese Hinweise: Keine Korrektur, Ergänzung oder wenigstens Antwort eines Redakteurs oder Mitarbeiters in den Kommentaren. Das ist so interaktiv und Web-2.0-ig wie ein Anrufbeantworter.

Und wer glaubt noch, was in der „Bild“-Zeitung steht? Das Fernsehen natürlich. Die Mär, dass der Hai, der auf einem „Bild“-Leserreporter-Video zu sehen ist, 3,50 Meter lang sein soll, verbreiteten nach Informationen von BILDblog-Lesern gestern „Brisant“ (ARD) und „Hallo Deutschland“ (ZDF), ProSieben und der „Nachrichtensender“ N24 — und betonten dabei teilweise auch noch diese unglaubliche Länge, die schon bei einem Blick auf das Video selbst noch unglaublicher wird.

Der Doping-Skandal-Skandal

Um gleich mit der Kritik anzufangen: Eigentlich steige ich bei Artikeln, die als Synonym für ARD oder ZDF Begriffe wie „zwangsgebührenfinanzierter Kuschelsender“ benutzen, gleich wieder aus.

In diesem Fall wäre das ein Fehler, denn der Text, der folgt, ist unbedingt lesenswert. Jens Weinreich, Sportchef der „Berliner Zeitung“ und herausragender kritischer Sportjournalist, hat in seinem Blog über den vermeintlichen Doping-Skandal im Biathlon geschrieben, der dann zum vermeintlichen ARD-Skandal wurde. Überhaupt sehen ungefähr alle in der Geschichte schlecht aus: die kritischen Journalisten, die als Journalisten verkleideten Fans, die ARD, der lustige Michael Antwerpes, die „Tagesschau“, die Nachrichtenagenturen dpa und sid — und Weinreich schont niemanden.

Im Sport kenne ich mich wenig aus, aber vieles, was Weinreich formuliert, geht weit über das Thema Doping und die Besonderheiten des Sportjournalismus hinaus und betrifft grundsätzliche journalistische Untugenden:

(…) Wer nicht dokumentieren kann, dass angeblich Dutzende deutsche Wintersportler zu den Kunden einer Wiener Blutbank zählen, der sollte daraus keine Exklusivmeldung basteln, sondern einfach mal schweigen — und weiter recherchieren. (…)

Eine absolute Unsitte im deutschen Journalismus sind die so genannten Vorabmeldungen. Täglich werden die Nachrichtenagenturen mit einem Wust an exklusiven Nichtigkeiten belästigt. Was davon ausnahmsweise exklusiv, was aber nur nichtig ist, können Agenturjournalisten oft nicht unterscheiden. Zum Gegencheck fehlt meistens die Zeit, oft auch der Wille – und überhaupt das Verständnis. Hinzu kommen handwerkliche Mängel. (…)

Kaum einer der Betroffenen, am ehesten noch die Deutsche Presse-Agentur (dpa), hatte die Größe, seine Fehler zu dokumentieren. Dabei handelt es sich hier um eine ganze Fehlerkette. Anders gesagt: Das System ist der Fehler.

Dieses komplexe Beispiel korrespondiert übrigens sehr schön mit meiner These, dass sich die herkömmlichen Medien, die doch stets behaupten, Qualitätsjournalismus gepachtet zu haben, auf Dauer überflüssig machen, wenn sie weiter so mit ihren Kunden umgehen. (…)

Lesen! Und bookmarken: jensweinreich.de

Im Hamsterrad der Geschichte

Vergangenen Sonntag hab ich in meiner Kolumne in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ über Thomas Kausch und seinen Auftritt als ARD-Guido-Knopp in der neuen Reihe „Geheimnis Geschichte“ geschrieben. Ich fürchte nur, dass man sich keine echte Vorstellung macht von dem Grauen, wenn man es nicht selbst gesehen hat. Sehen und staunen Sie also:


Link: sevenload.com

(Und mein Artikel dazu steht hier.)

Thomas Kausch

Er läuft durch etwas, das wie eine große Röhre aus Beton aussieht, oder genauer: wie ein Fernsehsstudio, das aussehen soll, als wäre es eine große Röhre aus Beton. Da die Sendung „Geheimnis Geschichte“ heißt, soll das womöglich irgendeine Art von Zeittunnel symbolisieren, vielleicht ist es aber auch ein Ärmel des Mantels der Geschichte, was aber alles nicht diesen komischen Fächer an der Rückwand erklärt und vor allem: warum Thomas Kausch vor ihm wegläuft, nicht schnell, aber unaufhörlich.

Kausch läuft, während er moderiert. Das sieht schon bei den Reportern affig aus, die in Nachrichten oder Magazinen auf der Straße immer sieben Schritte auf die Kamera zugehen müssen, um irgendwelche Dinge aufzusagen, aber bei Kausch sprengt es jedes bekannte Maß an Affigkeit: Er bewegt seine Arme nicht mit beim Gehen, weil er mit beiden Händen die Moderationskarten hält, von denen er nicht abliest. Er läuft nicht nur beim Moderieren, sondern auch beim Gucken, wenn auf die „Beton“-Wand neben ihm Filmaufnahmen projiziert werden und schaut dann auf eine groteske Art nicht in die Richtung, in die er läuft, was aber auch egal ist, weil er sich ohnehin nicht vom Fleck bewegt, sondern offenkundig auf einem Laufband steht, damit Kausch beim Moderieren und Gucken laufen kann und beim Laufen moderieren und gucken.

Manchmal, wenn man seine Füße nicht sieht, wirkt es, als laufe er nicht, sondern stampfe Wein. Oder treibe auf eine altmodische Art einen Generator an, der die Kameras mit Strom versorgt. Und während sein Oberkörper steif bleibt und sein Unterkörper in Bewegung, sagt er Sätze wie: „Wenn jemand glaubt, dass unter den Nazis doch nicht alles schlecht war, zum Beispiel die Rolle der Mütter, dann irrt er, oder er lügt“, und ich habe seit langer Zeit nichts gesehen im an bizarrem Schwachsinn nicht armen deutschen Fernsehen, das derart bizarr und schwachsinnig war wie diese Inszenierung.

Das scheint Strategie zu sein, bei der ARD, sich nicht durch Inhalte, sondern durch merkwürdige Inszenierungen von der Konkurrenz abzusetzen: Auch Denis Schecks Büchermagazin setzt darauf, und bei „W wie Wissen“ moderiert Ranga Yogeshwar aus einer gewollt gleißenden Kunstwelt. Aber das hat auch faszinierende, gelungene Momente und ist nichts im Vergleich zu diesem Herumgelaufe von Herrn Kausch, der schon unbewegt hinter einem Schreibtisch gekünstelt wirkt, und eher nur versehentlich bei Sat.1 zu einem Inbegriff für journalistische Kompetenz wurde.

Jeder Hamster mit einem Funken Restrespekt hätte sich geweigert, sich auf dieses Laufband zu stellen. Und ich soll mir von jemandem, der sich für so einen Unsinn hergibt, Geschichte erkären lassen?

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Medien im Blutrausch (upd.)

Eigentlich hatte ich auch den Glauben, dass die Öffentlich-Rechtlichen ziemlich objektiv wären. Ich hatte auch gedacht, dass nach dieser verfälschenden Berichterstattung eine Richtigstellung erfolgen würde. Da habe ich mich aber wohl geirrt.

Ich bin gespannt, ob irgendjemand von „Panorama“, „Hart aber Fair“, „Kontraste“ oder „Frontal 21“ zumindest den Versuch unternehmen wird, Matthias Dittmayer den Glauben an das Gute im deutschen Fernsehjournalismus wieder zu geben, und ersthaft Stellung nimmt zu dieser Anklage von ihm:

Ich habe die Richtigkeit von Dittmayers Aussagen nicht überprüft, aber seine Argumentation ist beeindruckend und allemal überzeugender als die ahnungslosen, berufsempörten Gesichter und Floskeln der gezeigten Protagonisten.

Und ich kann es nicht fassen, dass in Großbritannien zum Beispiel eine breite Diskussion stattfindet über Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit in den Medien, die sogar dazu führt, dass die „Noddys“ in Frage gestellt werden, die Gegenschüsse auf nickende Fragesteller, die nachträglich gedreht und in Fernsehinterviews geschnitten werden, und bei uns kann die Redaktion von „Kontraste“ einfach die Kritiker blöde anpöbeln und der Intendant des Norddeutschen Rundfunks, Jobst Plog, kann in einer Erklärung sinngemäß sagen: Klar haben wir die lachenden Gesichter von zwei Leuten einfach hinter eine Szene geschnitten, über die sie in Wahrheit gar nicht lachen, das machen wir immer so, na und? Und das vermeintliche Kontrollorgan, der Rundfunkrat, sagt dann: Wenn der Intendant das so sagt? Und es bricht kein Sturm der Entrüstung los und keine breite Debatte über den Zustand des öffentlich rechtlichen Vorzeigefernsehjournalismus und stattdessen reden wir über das Nazometer von Schmidt & Pocher? Im Ernst?

[via Medienlese, via jetzt.de]

Nachtrag, 30. November: Claus Richter, Redaktionsleiter des ZDF-Magazins „Frontal 21“, weist in einer ausführlichen Stellungnahme (pdf) die Vorwürfe als „gänzlich unbelegt, nicht stichhaltig oder irreführend“ zurück. Zum Vergleich: Dittmayers detaillierte Auseinandersetzung mit dem „Frontal 21“-Beitrag steht hier.

Nachtrag, 4. Dezember: Chris Winkler nimmt auf d-frag.de die Stellungnahme von „Frontal 21“ auseinander und urteilt: „(…) noch immer fehlt der zuständigen Redaktion die Einsicht, was damals schief gelaufen ist und womit sie die wütenden Reaktionen eigentlich provoziert hat. (…) die jetzige Stellungnahme [offenbart] erschreckend viel Unkenntnis gepaart mit unerschütterlichem Glauben an die eigene Unfehlbarkeit.“

Werbeblocksitting

Das menschliche Gedächtnis arbeitet – das wissen wir spätestens, seit irgendjemand irgendwas veröffentlicht hat – höchst selektiv. So war ich davon überzeugt, irgendwo gelesen zu haben, dass die ARD nicht mehr so viel Werbung in der „Sportschau“ bringen wollte.

Korrekt lautete die Meldung aber:

Mit weniger Platz für Sonderwerbeformen als im Vorjahr geht im August die „Sportschau“ an den Start. Die bestehenden werden dadurch teurer. Bei klassischer Werbung bleibt alles beim Alten.

Und so ist es wohl völlig normal, dass ich jetzt seit 18 Uhr mehr Werbeblöcke als Erstligaspiele gesehen habe.

Andererseits: Was guck ich mir das überhaupt an? Borussia Mönchengladbach spielt ja eh erst am Montag.

Was Jens Voigt an die DDR erinnert

Kann mir jemand erklären, was Radprofi-Sprecher Jens Voigt damit meint, wenn er über die Entscheidung von ARD und ZDF, nicht mehr live von der „Tour de France“ zu berichten, sagt:

Das ist ja wie früher in der DDR: Zwei Leute entscheiden gegen den Willen des Volkes.

Soweit mir bekannt ist, haben ARD und ZDF niemandem verboten, sich Live-Bilder von der Tour de France anzusehen, zum Beispiel auf Eurosport, einem Sender, der in über 90 Prozent der deutschen Fernsehhaushalte zu empfangen ist. Meines Wissens haben ARD und ZDF auch nicht verhindert, dass ein anderer Sender an ihrer Stelle von dieser Veranstaltung berichtet; im Gegenteil: Sie haben die Rechte zurückgegeben, damit Sat.1 sie erwerben kann. Und nach jetzigem Kenntnisstand haben ARD und ZDF nicht einmal den Versuch unternommen, die „Tour de France“ an sich abzusagen, sie verbieten zu lassen, ihre Fans zu verfolgen.

Was also genau ist an dieser Entscheidung, „wie früher in der DDR“?

Ich bin kein Sportexperte, aber das bringt mich auf die Palme: Dass diese Leute nicht einfach nur ihr ultrakommerzielles, skrupelloses Geschäft veranstalten, sondern gleichzeitig so tun, als gebe es ein Menschenrecht darauf, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich daran beteiligt und die Einnahmen der Veranstalter und Sponsoren mehrt — durch Lizenzzahlungen und die Aufmerksamkeit, die es dem Unternehmen „Tour de France“ verschafft.

Die „Berliner Zeitung“ hat sich in diesem Jahr übrigens für eine besondere Art der Berichterstattung entschieden: Redakteur Christian Schwager ist vor Ort, berichtet aber unter dem Titel „Die Spritztour“ ausschließlich über „die Tour und die Drogen“ sowie den „Radsport und die organisierte Kriminalität“. Die (vermeintlich) sportlichen Ergebnisse sind auf einen lapidaren Satz am Ende jeder Kolumne reduziert: „Übrigens, in Gelb fährt … .“

Jens Weinreich, Sportchef der „Berliner Zeitung“ und profilierter Sportjournalist der Art, die Kritiker „Nestbeschmutzer“ nennen würden, schrieb vor dem Auftakt:

Kann man sich für einen aufrechten, unabhängigen Sportjournalismus einsetzen, der nicht Promoter von Ereignissen sein will, sondern kritischer Begleiter; der mehr im Blick hat, als nur eine Unterhaltungsfunktion zu erfüllen? Und dann doch wieder, wie üblich, von der Tour berichten? Über die täglichen verlogenen Dramen, die gefallenen und neuen Helden, die wenig später mit gespenstischer Regelmäßigkeit als Betrüger enttarnt werden? (…)

Im Prinzip könnten wir uns hinter dem Allerwelts-Argument verstecken, Journalisten hätten Chronisten zu sein, im Auftrag ihrer Leser. Das stimmt selbstverständlich, aber es wäre zu billig. Denn es gibt Grenzen. Für das, was sich Radsport nennt, wäre ein täglicher Gerichtsreport die angemessene Form. (…)

Diese Form der Berichterstattung, die gewiss nicht nur Freunde finden wird, erscheint uns in diesem Jahr angemessen. Die Aufräumarbeiten im Radsport haben gerade erst begonnen. Es mag einige positive Entwicklungen geben, aber es wird immer noch betrogen und gelogen, vertuscht und geschwiegen, geleugnet und verborgen, verheimlicht und bestritten.

Im Prinzip ist es so: Wer in Gelb fährt, ist völlig unerheblich.

Sein Kommentar zum Ausstieg von ARD und ZDF ist ebenfalls lesenswert.

Wie ich mal im „Nachtmagazin“ war

Bis gestern dachte ich, der Satz „Wir haben dieses Gespräch vor der Sendung aufgezeichnet“ sei nur eine Floskel. Eine merkwürdiges Ritual, mit dem öffentlich-rechtliche Nachrichtensendungen ungefragt ihre Transparenz beweisen.

Ist aber nicht so. Ist ein wichtiger Satz. Und bedeutet in Wahrheit ungefähr: „Gehen Sie nicht so streng mit dem Interviewpartner ins Gericht, den sie gerade gesehen haben, denn im Zweifelsfall weiß der gar nicht so genau, in welchem Kontext wir seine Aussagen gebracht haben.“

Fernsehen ist merkwürdig. Ungefähr alles am Fernsehen ist merkwürdig.

Da sitzt man dann um zwanzig nach acht in einem sehr kühlen Studio zwischen Reichstag und Bahnhof Friedrichstraße, weil das „Nachtmagazin“, das vier Stunden später beginnt, ein „Schaltgespräch“ mit einem führen will. Das Studio ist, glaube ich, ganz schön groß, aber davon sieht man nichts, weil alles dunkel ist. Bis auf eine kleine, sehr helle Ecke, in der der unscheinbarste Stuhl steht, den man sich vorstellen kann, und davor eine Kamera und zwei Monitore. Ich bekomme so einen Knopf ins Ohr und ein Mikrofon ans Revers, die Maskenbildnerin tupft mich noch einmal ab, dann geht sie raus, und ich bin allein.

Ich habe bei diesen Fernsehleuten ohnehin immer das Gefühl, ganz auf mich allein gestellt zu sein. Ich bin sicher, wenn ich nicht selbst merke, dass sich der Hemdkragen fies verkantet hat oder mir etwas aus der Nase hängt, wird mich niemand darauf hinweisen, und am nächsten Tag bin ich das Gespött der Leute. Es gibt einem auch keiner so Tipps wie: „Wenn Sie den Kopf ein bisschen so drehen, können Sie locker ein Drittel ihres Doppelkinns verbergen“ oder: „Nein, bei Ihrer Statur müssen Sie sich auf keinen Fall / auf jeden Fall nach vorne beugen“. Nix.

Man sitzt da, und die einzige Anweisung, die man bekommt — über den Knopf im Ohr — lautet: „Immer schön nach vorne in die Kamera gucken.“ Das ist einerseits ein bisschen schwierig, denn diese Kamera ist ein großes schwarzes Loch, in dem nichts zu sehen ist außer ein paar weißen Markierungen. Viel mehr zu sehen wäre auf dem Monitor links von der Kamera, wo ich mich selbst sehe. Und vor allem auf dem Monitor rechts von der Kamera, in dem das fertige Fernsehbild erscheint mit dem Moderator, mit dem ich ja rede (und mit der Reichstagskuppel bei Nacht, dabei war es noch hell). Andererseits sehe ich, sobald ich rechts auf den Monitor sehe, wie ich auf dem Fernsehbild merkwürdig aus dem Bild sehe. Ja, das ist so verwirrend, wie es sich anhört.

Ich bin fast sicher, dass ich das theoretisch sogar gelernt habe, das semiprofessionelle In-die-Kamera-Gucken, damals, an der Journalistenschule in München, bei Sabine Sauer. Die sollte uns in kürzester Zeit zumindest eine Ahnung vom Moderieren und dem Umgang mit der Kamera beibringen, und wenn ich mich recht erinnere, war das schon damals nicht meine Stärke.

Und es hilft nicht, dass ich den Beitrag nicht kenne, der in der Sendung dann unmittelbar vor dem Gespräch mit mir laufen wird und von dem jeder Zuschauer annehmen muss, dass sich meine Sätze irgendwie auf ihn beziehen. Es gab zwar ein kurzes Vorgespräch mit dem Moderator. Und ich weiß, dass die erste Frage ungefähr lauten wird: „Herr Niggemeier, wird im Internet gerade alles schlimmer?“ (Okay, wäre auch ein Grund, das Gespräch an sich abzusagen.) Aber es ist natürlich ein Unterschied, ob die Zuschauer unmittelbar vor meiner relativierenden Antwort einen Beitrag über eine neue Welle von Kinderpornos im Netz oder nur über lautstarke Auseinandersetzungen in Weblogs gesehen haben. Die Autorin des Beitrags hatte mich eigentlich vor der Sendung noch anrufen und grob über den Inhalt informieren wollen. (Naja, hat sie auch, wie ich am nächsten Tag erfuhr, als ich den Anrufbeantworter im Büro abgehört habe. Da war ich wohl schon zuhause, Hemd bügeln und gucken, ob das zur Not noch mit dem grauen Jackett geht.)

Ja. Und dann spricht man drei oder vier Minuten nach geradeaus in diese weißen Markierungen auf der großen Kamera, versucht, nicht zu viel Gehirnzellen mit dem Gedanken zu blockieren, wie das wohl im Fernsehen aussieht, wie man gerade guckt und sitzt und den Kopf hält, und dann ist alles vorbei und noch schlimmer. Denn den Fernsehleuten, soviel ist ja mal klar, ist es völlig egal, ob ich mich da gerade um Kopf und Kragen geredet habe. Die sagen mir sicher nicht: „Äh, Herr Niggemeier, sind Sie sicher, dass Sie das so sagen wollten? Wir könnten das sonst zur Not auch nochmal…“ Und ich stehe auf der Straße und bin auf eine merkwürdige Weise gleichzeitig euphorisiert und verunsichert und weiß wieder, dass ich eigentlich sehr gerne einfach hinter meinem Computer sitze und jeden Satz dreimal umschreiben kann und mir nicht einmal überlegen muss, wie ich dabei aussehe.

Ulrich Deppendorf

Man weiß ja nicht, wie das so abläuft, in ARD-Hierarchien. Ob Ulrich Deppendorf, als er vor fünf Wochen wieder Chef der Hauptstadtstudios wurde, gleich am ersten Tag in der Konferenz gesagt hat: Leute, dass eins schon mal klar ist, die Einschätzungen aus Heiligendamm, die mache ich. Oder ob es umgekehrt so war, dass ihm die Leute vorher gesagt haben: Ulli, du hast nur dann eine Chance, wieder Chef des Hauptstadtstudios zu werden, wenn du hier und heute unterschreibst, dass auch jede verdammte Einschätzung von irgendeinem Gipfeltreffen machst.

„Einschätzen“ ist ein merkwürdiges, aber irgendwie treffendes Wort für dieses Ritual, nach einem Nachrichtenbeitrag in einem Live-Gespräch noch einmal nachzufragen, was das denn bedeutet. Meistens nicht, was das für uns oder die Welt bedeutet, sondern für die handelnden Personen. Es geht darum, Haltungsnoten zu verteilen – aber in einer Sportart, bei der man die Atlethen selbst nur über verzerrte Spiegel sieht, oder in der die Wettkämpfe noch gar nicht stattgefunden haben. „Bewegung“ ist dabei das Zauberwort. Teilweise stündlich musste sich Deppendorf von Claus-Erich Boetzkes aus dem Nachrichtenstudio fragen lassen, ob es Anzeichen dafür gibt, dass sich Bush auf die Europäer „zubewegt“, ob es überhaupt „Bewegung“ gibt, wie groß der „Schritt“ ist, den Bush auf Merkel „zugeht“. Und Deppendorf sprach routiniert von „möglichen Annäherungen“ (Dienstag), „nicht so riesig zubewegen“ (Mittwoch), „kann man noch nicht sagen“ (Donnerstag), „sind aufeinander zugegangen“ (Freitag).

Wenn die Metaphern in diesem Genre nicht aus dem Krieg oder Sport stammen („Die Europäer sind geschlossen aufgetreten“), dann kommen sie vom Wetter („Ob das Thema den Gipfel überschattet, weiß man noch nicht“). Und vielleicht war es kein Zufall, dass Deppendorf einmal in einem kurzen Moment der Unkonzentriertheit seine Antwort auf die immergleichen Fragen aus dem Studio mit den Worten „Ja, gut, äh“ begann. Jetzt weiß ich nur noch nicht, ob ich als nächstes von Deppendorf die Einschätzung eines Länderspiels sehen will oder von Beckenbauer die eines Gipfeltreffens.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung