Schlagwort: ARD

An einem aus Tischen geformten Quadrat!

Nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hat Caren Miosga die besten Chancen, Nachfolgerin von Anne Will als Moderatorin der „Tagesthemen“ zu werden.

Dieser Satz hat 165 Anschläge und würde damit schon knapp ein Fünftel des Platzes füllen, den die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Dienstags-Ausgabe für eine Meldung zum Thema freigeräumt hat. Gut, die Kollegin könnte vielleicht die Konkurrentin „FAZ“ als Quelle weglassen, dann hätte sie noch etwa vier Sätze zur Verfügung, zu erklären, wer Frau Miosga ist und wer wann darüber entscheidet, ob sie wirklich Nachfolgerin von Anne Will wird.

Das wäre die eine Möglichkeit.

Die „Süddeutsche“ hat sich für eine andere erschienen. Ihre Caren-Miosga-Meldung beginnt so:

Ein bisschen sind sie schon stolz in Stuttgart auf ihr Funkhaus, das in seiner anthroposophischen Architektur manche Eigenheit verbirgt.

Zum Beispiel den großen Studiosaal, Ebene 7, der für Orchesteraufnahmen sehr geeignet ist, in dem aber auch einhundert Menschen Platz finden, und wenn es sein muss, neun Intendanten der ARD samt Programmdirektor und Mitarbeiterstab an einem aus Tischen geformten Quadrat untergebracht werden können.

Und an diesem Tisch-Quadrat wird Caren Miosga in Zukunft immer um 22.15 die Tagesthe… — nein: An diesem Tisch-Quadrat wird Anne Will in Zukunft immer sonntags ihre Talksh… — nee, auch nicht, sondern:

Am Montag wurde in dieser Runde auch über die Nachfolge von Tagesthemen-Moderatorin Anne Will diskutiert, …

Immerhin, das muss man sagen, bleibt die „Süddeutsche“ ihren Prioritäten treu. Nach einem einzigen Satz über Caren Miosga schwenkt sie wieder zurück auf die wirklich wichtigen Dinge und informiert uns zum Abschluss der kleinen Meldung noch, dass die Entscheidung heute „im 17. Stock, dem Sitzungszimmer von SWR-Chefs Peter Voß“ fallen wird.

(Ich find’s ja gut. Also, nicht den 17. Stock, sondern die Miosga. Ich werde Anne Will in den Tagesthemen ein bisschen weniger vermissen, wenn an ihrer Stelle Caren Miosga dasitzt. Aber das nur am Rande.)

Logorrhoe

Freitag, 12. Januar 2007. Die ARD-Intendanten beschließen in einer Schaltkonferenz, dass sich nun keiner mehr öffentlich zum Fall Jauch äußert, nur noch der amtierende ARD-Vorsitzende Fritz Raff.

Montag, 15. Januar 2007. SWR-Intendant Peter Voß publiziert einen „Offenen Brief“ an Jauch.

Die ARD, konkret

Günther Jauch, im „Spiegel“:

Ich musste zum Beispiel eine lächerliche Diskussion um die Archivöffnungszeiten der ARD führen. Da sollte ich für eine aktuelle Sonntagabendsendung akzeptieren, dass ab Freitagnachmittag wegen fehlender Planstellen kein Filmmaterial mehr abrufbar sei. So absurde Probleme werden zwar mit einem Anruf von ganz oben gelöst, erklären aber zugleich die innere Verfasstheit des Systems.

Nach allem, was ich über die ARD weiß, trifft es das sehr genau.

2+2-6=4

Joachim Huber, Medienredakteur des Berliner „Tagesspiegels“, versucht anlässlich der Jauch-Geschichte das Wesen der ARD mathematisch zu erklären:

Die ARD besteht aus neun Landesrundfunkanstalten. Das sind eine Intendantin und acht Intendanten, multipliziert mit rund 600 Gremienmitgliedern, potenziert durch Dutzende Kommissionen.

Das ist rechnerisch abwegig, aber wenigstens ahne ich, was er meint: Die ARD hat zuviele Entscheider. Aber es geht weiter:

Im Leben des gemeinen Zuschauers ist zwei und zwei gleich vier. Im ARD-Leben geht das anders: zwei und zwei ist zehn minus sechs macht vier.

Hä?

Plogs Klartext über die ARD

So deutlich wie heute NDR-Intendant Jobst Plog hat wohl selten ein leitender ARD-Mitarbeiter in einer Pressemitteilung den Anachronismus und die selbstzerstörerischen Mechanismen des Senderverbundes formuliert:

„Der Vertragsschluss [mit Günther Jauch] wurde durch eine Reihe von Indiskretionen und Nachforderungen aus einigen Landesrundfunkanstalten und deren Gremien gefährdet. Vor diesem Hintergrund habe ich Verständnis für den Entschluss von Günther Jauch. Ich bin zugleich in Sorge, ob es der ARD in Zukunft noch gelingen wird, einen Fernsehstar ähnlichen Formats für sich zu gewinnen.“

Olli Dittrich

Die erfolgreichste Kochshow gerade ist eine, in der Menschen für andere kochen, die aus gutem Grund ihren Lebensunterhalt nicht damit verdienen, für andere zu kochen. RTL und ProSieben lassen in Eislaufarenen fachfremde Prominente (an deren eigentliche Talente man sich schon kaum erinnern kann) gegeneinander antreten – um zu zeigen, wie in ein paar Wochen mit viel hartem Training aus Menschen, die kaum gerade auf dem Eis fahren können, Menschen werden, die kaum eine Pirouette auf dem Eis fahren können. Nachmittags spielen Richter, Staatsanwälte und Polizisten Schauspieler, die Richter, Staatsanwälte und Polizisten spielen. Die langlebigsten Serien sind von jungen Leuten bevölkert, die die Darstellerei offenbar als Durchgangsstation zum Job als „Moderator“, „Sänger“ oder „Gast“ verstehen. Selbst die Show „Let’s Dance“ „You Can Dance“, in der Tanztalente gesucht werden, besteht daraus, HipHopper zum Wiener Walzer zu zwingen und Jazztanzer zum Rap.

Man muß sich diesen Kult des Amateurhaften, Halbfertigen, Dilettantischen vergegenwärtigen, um die Leistung von Olli Dittrich wirklich würdigen zu können. Jemand wie er wäre mit seinem fast beunruhigenden Perfektionismus und Ehrgeiz vermutlich in jeder Form von Fernsehkultur eine Ausnahmeerscheinung. Aber in dieser, in unserer ist er ein Wunder.

Am Donnerstag verkörperte er in einem „Harald Schmidt“-Special Franz Beckenbauer, und schon die ersten Sekunden, während Schmidt ihn ankündigte, waren ein erstaunliches Schauspiel. Die Art, wie Dittrich in seinem Stuhl saß und Schmidts Worte wortlos kommentierte, einmal mit einem Wangenzucken, einmal indem er den Daumen leicht bewegte – er war mit jeder Faser Der Kaiser. Jemand, der die Rituale dieses Millionsten Interviews erträgt, mit Würde, Routine und mildem Desinteresse – das Gefühl, daß diese Huldigungen sehr angemessen, aber auch sehr langweilig sind, goß Dittrich in kleinste Regungen. Er schuf ein Beckenbauer-Konzentrat – keine Parodie, eine Imitation, bei der alles noch einen Tick beckenbaueresker war als bei Beckenbauer (was schon als Möglichkeit schwer vorstellbar war, bevor man Dittrich gesehen hatte).

Er zeigte die ganze Vielfalt beckenbauerschen Lachens: das zeitgewinnende Öhöhö, das routiniert-amüsierte in Worten wie „FC Ba-ha-hayern“, das eine eigene Pointe ankündigende Hähä, das irritierte Ä-ä-ä-ä, wenn eine Frage ihn tatsächlich amüsierte. Auf die Eingangsfrage, ob in Kitzbühl Schnee liegt, antwortete er: „Der Willi Bogner, es ist ein Freund von mir, hat jetzt ein, zwei Schneekanonen in Position gebracht, die große Freude in diesem Jahr, es wird auch unter dem Weihnachtsbaum immer eine Rolle spielen, die Weltmeisterschaft, die wir gehabt haben, die uns einfach in den nächsten hundert, achtzig, fuchzig, zwanzig, dreißig, ja: drei, bis vier Jahren wahrscheinlich nicht mehr ins Haus schneien wird.“ Von seiner Audienz beim Papst berichtete er mit den Worten: „Er hat gesagt, Sie sind eine Lichtgestalt, ich hab gesagt: Sie aber auch. Da ham wir beide gelacht.“ Und als Schmidt ihn auf Rudolf Nurejew ansprach, hatte Dittrich-Beckenbauer noch vor dem Ende des Nachnamens „der Rudi!“ eingeworfen (und dann vom Ein-Zimmer-Appartment erzählt, das sie sich in New York teilten: „im Big Apple, wie man heutzutage sagt“).

Anstatt nach Sollbruchstellen zu suchen, an denen die Imitation vom Original abweicht, ließ Dittrich einen viele Abgründe des Beckenbauerschen Mediendaseins überhaupt erst bewußt werden. Und daß die Gedankengänge und Formulierungen des Franz an manchen Stellen ein bißchen so klangen wie die eines gewissen Dittsche, kann nur damit zu tun haben, daß es da bisher unerforschte Parallelen gibt. An Dittrich lag es nicht.

Beckenbauer hätte noch am Donnerstagabend zurücktreten müssen. So gut wie Olli Dittrich ist er als Beckenbauer einfach nicht.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Anneliese Rothenberger

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Ich wußte gar nicht, dass Anneliese Rothenberger noch lebt. Aber in dieser Woche saß sie bei Reinhold Beckmann, und quicklebendig ist gar kein Ausdruck. Beckmanns Redaktion hat anscheinend lange, lange gebraucht, sie zu überreden. Und als er sie nun fragte: „Warum haben sie sich so rar gemacht?“ antwortete sie: „Ganz einfach. Weil ich ja nicht mehr aktiv bin im Beruf.“

Was für ein Unsinn. Und was für eine wunderbare Haltung.

Gelohnt hat sich ihr Besuch schon für die Erkenntnis, daß es anscheinend ein Substantiv zu „flapsig“ gibt: „Unmöglicher Flaps“ sei das gewesen, erzählte die Rothenberger, die freche Art, mit der ihr späterer Mann sie zuerst angemacht habe. Und das Risiko, die Lulu zu spielen, beschrieb sie mit den Worten: „Das hätte auch schwer in den Eimer gehen können.“

Fein und vornehm wirkte sie noch immer, aber zugleich hatte sie eine vergnügte Lockerheit, die unvorstellbar schien, wenn man sich an ihre parfümierten, föngefestigten, festgetackerten Auftritte in ihrer Fernsehshow „Anneliese Rothenberger gibt sich die Ehre“ erinnerte. Weil mit Beckmann offenbar abgesprochen war, daß sie auch von ihrer Krankheit erzählen soll, wegen der sie sich aus der Öffentlichkeit zurückzog, kam es gleich am Anfang zu dem schönen Dialog: „Die Stimme ist noch da?“ – „Ja! Von einer Darmoperation verliert man ja nicht die Stimme.“ Entspannt, zurückhaltend aber unverhohlen stolz erzählte sie von ihrem Auftritt an der Metropolitan Opera: „Es war ein ganz großer Erfolg. Das darf ich sagen.“ Die „New York Times“ hätte ja ein Bild auf der Titelzeile gehabt und den Satz: „She was great“, und Frau Rothenberger strahlte, als sei das gestern gewesen. Einen Besuch bei Ruth und Willy Brandt faßte sie so zusammen: „Sie war entzückend. Er war muffelig. Wahrscheinlich hat er gewußt, daß ich seine Partei nicht wähle.“ Und Yoga? Yoga mache sie nicht mehr. „Yoga soll man morgens um sieben machen, und da schlaf ich noch, das ist gesünder.“

Nicht mal der schreckliche Beckmann, der ihren Satz „Die Kindheit wollen wir bitte vergessen, das war nicht schön“ als Aufforderung nahm, mehr über die Gefühle in ihrer Kindheit zu reden, konnte den wunderbaren Glanz dieser Frau überschatten. Sandra Maischberger und er scheinen ohnehin entdeckt zu haben, wie angenehm es ist, alte Menschen in die Talkshow einladen, Menschen, die etwas zu erzählen haben, die konkret werden anstatt vage zu bleiben und gelassen sind, aber nicht gleichgültig. Man kann das natürlich als Eingeständnis sehen, daß junge Leute ohnehin nicht zugucken. Und sie tun das tatsächlich nur in verschwindender Zahl. Aber das ist ihr Verlust.

ARD und ZDF

Mit den Dritten sieht man besser. Junge Leute meiden ARD und ZDF, und es spricht wenig dafür, daß sich das ändert, wenn sie älter werden.

Nicht, daß seine vorzeitige Wiederwahl zum ZDF-Intendanten in Frage gestanden hätte. Aber sicherheitshalber hatte Markus Schächter in den Tagen zuvor in mehreren Pressegesprächen dezent auf seine Erfolge hingewiesen. Und so las man in vielen Artikeln den Hinweis, daß es das ZDF in diesem Jahr vermutlich (wenn auch ganz knapp) schaffen werde, Marktführer zu sein.

Feine Sache. Wirklich wichtig sind diese Zahlen nicht. Wirklich wichtig wäre es für das ZDF, ein paar junge Zuschauer zu gewinnen. Das gelang dem Sender unter Schächter weniger denn je: Bei den 14- bis 49jährigen hat das ZDF nicht einmal mehr halb so viele Zuschauer wie RTL und liegt nur noch knapp vor RTL 2 und Vox. Bei Zuschauern, die jünger als dreißig sind, schrumpft das ZDF auf die Größe eines Spartensenders und liegt nur auf Platz acht – weit abgeschlagen hinter Kabel 1 und der ARD.

An dieser Stelle könnte Herr Schächter nun ein paar wohlklingende Worte gegen den Jugendwahn unserer Gesellschaft sprechen. Und natürlich ist nichts daran verwerflich, wenn das ZDF, wie es gerade geschieht, seine Dominanz bei den Alten weiter ausbaut. Die Frage ist nur, wer den Sender in zwanzig, dreißig Jahren schauen wird, wenn ein Großteil derer, die heute das ZDF einschalten, nicht mehr lebt.

Es gibt eine Hoffnung, an die sich die alternden öffentlich-rechtlichen Sender klammern: Vielleicht verändert sich die Motivation zum Fernsehen mit dem Lebensalter der Menschen. Vielleicht werden die Dreißigjährigen, die heute RTL und Pro Sieben schauen, die Vorzüge von ARD und ZDF entdecken, wenn sie erst einmal ihre wilden Jahre hinter sich und eine Familie gegründet haben. Vielleicht kommen auch die Jungen von heute irgendwann in das Alter, in dem sie erkennen, daß Fernsehen mehr sein kann als „Deutschland sucht den Superstar“. Dann wäre die Vergreisung für ARD und ZDF kein wachsendes Problem: Auch bei zukünftigen Generationen würden die Älteren öffentlich-rechtliche Programme schauen und die Jüngeren Private.

Leider gibt es auch die gegenteilige These. Was, wenn nicht das Lebensalter über den Fernsehkonsum entscheidet, sondern die Generationenzugehörigkeit? Wenn Menschen, die mit „RTL aktuell“ groß geworden sind, auch im Alter von vierzig, sechzig und achtzig Jahren die „Tagesschau“ verschmähen? Wenn sich herausstellt, daß manche Menschen nie des Ulrich-Meyer-Empörungsjournalismus überdrüssig werden und die Reife entwickeln, sich endlich gepflegt von „Monitor“ informieren zu lassen?

Die ARD wollte es endlich genauer wissen. Ihr oberster Medienforscher Camille Zubayr hat versucht, aus der Entwicklung der Quoten in den vergangenen zwanzig Jahren Prognosen über das zukünftige Zuschauerverhalten abzuleiten. Ein bißchen sei er sich dabei vorgekommen wie ein Klimaforscher, sagt er: Wirklich verläßliche Aussagen über die Zukunft ließen sich nicht treffen, aber alles spreche dafür, daß man jetzt handeln müsse, weil es in ein paar Jahren zum Reagieren zu spät sei.

Zubayr fand Belege für beide gegensätzlichen Effekte: Wenn die Menschen älter werden, ändert sich ihr Fernsehverhalten – hin zu ARD und ZDF. Andererseits bleiben sie dem treu, was sie bisher gesehen haben – die Dreißigjährigen von heute werden auch als Fünfzigjährige noch lieber RTL und Sat.1 schauen. Das ist auch nicht erstaunlich: „Die Angehörigen etwa der sogenannten ,Generation Golf‘ teilen viele Lebensentwürfe und Meinungen und legen die nicht einfach ab, wenn sie älter werden“, sagt Zubayr.

Das beunruhigende Ergebnis seiner Studie ist für ARD und ZDF, daß offenbar der Generationeneffekt sehr viel stärker ist als der Alterseffekt. Die zu erwartenden Zuschauerverluste werden nicht einmal annähernd durch die zu erwartenden Zuschauergewinne ausgeglichen. Wenn das stimmt, ergibt sich ein düsteres Bild für die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen. Für die nächste Zuschauergeneration läßt sich prognostizieren, daß die ARD selbst bei den Zuschauern, die sie am meisten einschalten, den Über-65jährigen, dann nur noch auf knapp zehn Prozent Marktanteil kommt. In der übernächsten Generation könnte die ARD ein Kleinstsender sein. Beim ZDF sieht es vermutlich noch düsterer aus – die Neigung der jüngeren Generationen, den Sender einzuschalten, ist noch geringer.

Verkompliziert wird die Lage dadurch, daß sich das wachsende Problem im Gesamtmarktanteil, den nicht nur Schächter so stolz errechnen läßt, vorläufig nicht bemerkbar macht: Dadurch, daß die älteren Menschen viel mehr Fernsehen schauen als jüngere, prägen sie den Durchschnittswert besonders stark. Und ein Mann, der heute fünfzig ist, kann damit rechnen, 86 Jahre alt zu werden. Eine gleichaltrige Frau hat sogar eine Lebenserwartung von noch vier Jahrzehnten. Die heute Über-Fünfzigjährigen werden in zehn Jahren (dann als Über-Sechzigjährige) immer noch vierzig Prozent des gesamten Fernsehkonsums ausmachen. Diese treuen ARD- und ZDF-Zuschauer prägen also noch lange die Statistik und überdecken das fortschreitende Fehlen jüngerer Generationen.

Erkennbar wird die Schieflage allerdings schon heute am Durchschnittsalter vieler öffentlich-rechtlicher Sendungen. Der ARD-„Presseclub“ am Sonntagmittag zum Beispiel hat zwar regelmäßig sehr anständige eineinhalb Millionen Zuschauer – die jedoch im Schnitt fast siebzig Jahre alt sind.

Zubayrs Prognosen sind nicht unumstritten. Aber auch wenn man das Szenario für realistisch hält, liegen die Konsequenzen, die man daraus zieht, keineswegs auf der Hand. „Ab wann und in welchem Ausmaß muß sich das Programm ändern?“ lautet die Kernfrage nach Meinung des Medienforschers. Er würde zum Beispiel nicht dazu raten, auf Volksmusik-Sendungen zu verzichten, nur weil die jungen Leute vor ihnen in Scharen flüchten. Wichtig sei es, „Inseln“ im Programm zu schaffen, die auch junge Leute einschalten, die die ARD sonst überhaupt nicht sehen – denn realistischerweise wird ein Zuschauer, wenn er älter wird, nur zu einem Programm wechseln, das er vorher überhaupt als Angebot wahrgenommen hat. Vor allem das ZDF scheint für viele junge Leute aber nicht einmal mehr als Programmalternative wahrgenommen zu werden.

Der gutgemeinte Versuch, gegenzusteuern, führt zu einigen erstaunlichen Reaktionen. So ließ das ZDF im Bemühen, seine Marke jüngeren Zuschauern ins Bewußtsein zu bringen, die halbe Republik mit Fotos der kolumbianischen Popsängerin Shakira (und dem ZDF-Logo) zuplakatieren – eine scheinbar absurde Investition angesichts einer einzigen Konzert-Übertragung nachts ab 0.30 Uhr. Auch die Ausstrahlung von „Bravo TV“ im ZDF stellt den Versuch dar, eine solche Insel zu schaffen – er wurde vergangenes Jahr nach zwei weitgehend erfolglosen Jahren abgebrochen.

Auch die Strategie der ARD, in ihrem Werberahmenprogramm am Vorabend zu großen Teilen auf junge Zuschauer zu setzen, ist nicht frei von Rückschlägen. Theoretisch schien es eine so gute Idee zu sein, eine Serie rund um Yvonne Catterfeld zu bauen (und auch diese in außerordentlichem Maße zu bewerben). Catterfeld begann ihre Karriere als Star in der RTL-Seifenoper „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, und eigentlich hätte man sich vorstellen können, daß sie viele ihrer jungen Privatfernsehfans mit zur ARD ziehen könnte. Tatsächlich sind die Quoten mit einstelligen Marktanteilen bei den jungen Zuschauern „ernüchternd“, wie es Camille Zubayr formuliert. Und die älteren gucken „Sophie – Braut wider Willen“ auch nicht mit größerem Interesse. Die tägliche Serie läuft nur noch bis Anfang Februar.

Das ist das größte Risiko für ARD und ZDF: mit ihren Verjüngungsversuchen nicht nur die Jungen nicht zu gewinnen, sondern auch die Alten zu verschrecken. Und der Fernsehkonsum individualisiert sich – das große Familienprogramm, das sich alle Generationen gemeinsam ansehen, gibt es jenseits von „Wetten, daß…“ und „Wer wird Millionär?“ praktisch nicht mehr.

Wenn ARD und ZDF auch in Zukunft große Marken sein wollen, werden sie Strategien entwickeln müssen, die nicht nur über den Tag, sondern auch das Jahr hinausschauen. Markus Schächter hat immerhin nach der Wahl zum ZDF-Intendanten bis 2012 davon gesprochen, das Problem der fehlenden jungen Zuschauer jetzt verstärkt angehen zu wollen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

„Sophie“

Das Mädchen mit den Schokowaffeln. Yvonne Catterfeld trüge gern mal einen Kartoffelsack: “Sophie – Braut wider Willen”

Man hat sich das ja immer schon gefragt, was diese Lindt-Herren mit ihren gestärkten weißen Mützen und Kitteln eigentlich machen, wenn sie abends oder sonntags einmal kurz den endlosen Rührprozeß unterbrechen, mit dem sie unsere Schokoladen herstellen. Wohin die edlen Ritter reiten, wenn sie genügend Brennholz gesammelt haben, damit das schöne Hanuta-Mädchen ihre Nußwaffel-Täfelchen weiter von Hand für uns backen kann. Und wie die Landliebe-Sennerin nach getaner Butterproduktion ihre Abende in den Alpen verbringt. Denn daß alle diese Menschen, die im Werbefernsehen liebevoll Lebensmittel für uns veredeln, tatsächlich unter uns sind, daß man sie abends in der Kneipe treffen könnte oder morgens in der S-Bahn auf dem Weg zu ihren Back-, Rühr- und Puppenstuben, war immer schon sehr unwahrscheinlich.

Von heute an erfahren wir endlich, daß auch für die Hanuta-Mädchen das Leben kein Zuckerschlecken ist. Daß das nicht immer so reibungslos klappt mit ihnen und den Rittern. Und daß es böse Menschen gibt, die ihnen ihre kleine Waffelproduktion neiden. Denn auch wenn die ARD behauptet, daß ihre neue Serie „Sophie – Braut wider Willen“ im ausgehenden 19. Jahrhundert spielt, lebt Sophie doch eigentlich in einer Welt, die uns viel vertrauter ist: in diesem fiktiven Früher der Werbefernsehfiktion, in der es noch echte Märkte, urige Wohnstuben und ehrliches Handwerk gibt, in der die Kleider seidig sind, die Gesichter makellos und die Gefühle rein. Und bei aller behaupteten Liebe zum historischen Detail fehlt auf den herrschaftlichen Tischen im Gutshof von Ahlen doch eigentlich der Teller mit den Rocher-Kugeln, um das Szenenbild wirklich authentisch zu machen.

Die Szenen sind fast komplett in edles Königsblau und warmes Gold getaucht; es ist eine seriengewordene Pralinenpackung. Das perfekte Porzellangesicht von Yvonne Catterfeld strahlt inmitten dieser Puppenhausszenerie, die manchmal jemand zu schütteln scheint, und dann geraten zwar die Leben der kleinen Figuren heftig durcheinander, aber dafür schneit es auch in dicken, großen, falschen Flocken.

Keine zehn Minuten dauert es, bis Sophie, die junge Gräfin, zum ersten Mal Max, den einfachen Schneidersohn, sieht. Es ist, natürlich, Liebe auf den ersten Blick – einen ersten Blick, der nicht enden will, während die Streicher einen spannungsreichen Ton in die Ewigkeit dehnen und das Klavier perlt, und alle wissen, daß beide nun nicht mehr voneinander lassen können, egal was ihre standesbewußte Umgebung sagt, egal welche Prüfungen und Umwege das Schicksal ihnen auferlegen wird, egal ob der Weg zum Glück dreißig Folgen lang sein wird oder (wenn die Quoten stimmen) hundertzwanzig.

Sie trifft ihn auf einer Bauernhochzeit in der Gastwirtschaft, ein Ort, an dem sie als Gräfin natürlich überhaupt nichts zu suchen hat, in den sie sich aber geschlichen hat, weil ihr eigenes reiches Leben so leer und langweilig ist im Vergleich zu dem Spaß, den die Dienstboten haben. „Sag mal, wird da heute abend auch getanzt?“ fragt Sophie, und ihre Zofe Rike antwortet: „Jaja, auch auf den Tischen. Was wäre das sonst für eine Hochzeit?“ Und Sissi, nein: Sophie schnappt sich den kleinen Bruder von Rike, dem sie gerade freundlicherweise einen Saft vom Markt mitgebracht hat gegen seinen bösen Husten, und tanzt mit ihm schon mal, heißa, probeweise durch die Küche. „Aber du bist die Gräfin von Ahlen“, wendet Rike noch ein, und Sophie sagt: „Kein Mensch wird mich erkennen.“ Und Rike sagt: „Selbst in einem Kartoffelsack siehst du noch aus wie eine Gräfin“, und der Zuschauer sagt: „Hach!“, und die Kartoffelsäcke dieser Welt sagen: „Was würden wir darum geben, einmal von Yvonne Catterfeld getragen zu werden.“

So perfekt zerbrechlich und trotzig und lebenshungrig und verzweifelt spielt Yvonne Catterfeld die Sophie, als hätte sie die letzten Jahre nur deshalb in den Seifenopern und den Charts verbracht, um heute diese Rolle geben zu dürfen. Es scheint, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht, als den Kopf effektvoll zur Kamera zu drehen, wie sie es gleich im Vorspann zweimal machen darf, einmal trotzig und einmal schmachtend. Und während sich alle um sie herum mit ihren großen Koteletten und wallenden Kleidern steif und fremd in dieser künstlichen Welt bewegen, die in jeder einzelnen Sekunde nach einem Fernsehstudio aussieht, wirkt Catterfeld, als sei das ihr natürlicher Lebensraum. (Allerdings ist schwer zu sagen, ob das dieses Vorabendmärchen als einziges erträglich oder vollends unerträglich macht.)

Die ARD meidet den Begriff „Telenovela“ für ihre neue „Vorabendserie im historischen Gewand“. Vielleicht liegt das daran, daß der gerade erst ausgerufene Trend der nächsten Jahre schon ein wenig schwächelt: Nach dem großen Erfolg von „Bianca – Wege zum Glück“ (ZDF) und „Verliebt in Berlin“ (Sat.1) kommen die deutschen Telenovelas drei („Julia“, ZDF) und vier („Sturm der Liebe“, ARD) beim jungen Publikum längst nicht mehr so gut an. Und von „Sturm der Liebe“, das die Qualitätsgrenzen des neuentdeckten Genres nach unten auslotet, trennen den Edelkitsch von „Sophie“ tatsächlich Welten.

Wer mag, kann in „Sophie“ auch Parallelen zu unserer Zeit finden. Wie große Ausrufezeichen stehen Sätze wie der von Sophies Vater in der Gegend herum, der über einen konkurrierenden Geschäftsmann sagt: „Er gehört zu denen, die wie eine Heuschreckenplage in das Land einfallen und sich ohne Rücksicht nehmen, was sie wollen. Mag sein, daß ich altmodisch bin, aber es geht mir um mehr als Geld in meinem Leben.“ Eigentlich aber funktioniert „Sophie“ ganz gut ohne Ton. Besser sogar, so muß man den Besitzer eines Weingutes nicht mit sorgenvollem Blick aus dem Fenster Sätze sagen hören wie: „Manchmal wünschte ich mir ein Geschäft, das weniger wetterabhängig ist.“ Aber sicher kommt spätestens morgen eine Frau vorbei, die die Qualität seiner Piemontkirschen prüft und mit ihm im güldenen Abendlicht die ersten Byzantiner Königsnüsse probiert, und dann wird auch für ihn alles gut.

(c) Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wie lebensmüde ist das Erste?

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

ARD-Programmdirektor Günter Struve über Schleichwerbung, Boulevardfernsehen und erboste Chefredakteure.

Herr Struve, wie geht es Ihnen im Jammertal?

Ich komme aus einem Gebiet, das unterhalb des Meeresspiegels liegt. Von daher befinde ich mich irgendwie immer relativ weit unten. Jammern ist aber eine der wenigen negativen Eigenschaften, die ich bei mir persönlich noch nicht kennengelernt habe. Es geht mir also den Umständen entsprechend gut.

Dabei ist das Jammertal, wie ich der ARD-Sendung „Wellness TV“ entnahm, doch ein höchst empfehlenswertes, wunderbares, entzückendes, traumhaftes Hotel.

Ja, das war in der ersten Sendung vergangene Woche. Die Ausgabe gestern sah schon ganz anders aus.

Inwiefern?

Sie geht deutlich sensibler mit den Dingen des Lebens und den diversen Angeboten um. Wobei „Wellness TV“ die Ungerechtigkeit angetan wurde, daß man es für einen Ratgeber hielt. Es war nie die Absicht, einen Ratgeber zu machen. Dann wäre die Präsentation in der Tat inakzeptabel gewesen.

Was ist es sonst?

Eine Unterhaltungssendung mit einigen unterhaltenden Hinweisen. Es ist eine — völlig außerhalb der Verantwortung der Chefredakteure liegende — Nachmittagssendung, hergestellt vom Familienprogramm. Mehr ist es nicht, weniger auch nicht. Und natürlich müssen auch da Grenzen beachtet werden.

Die waren wohl nicht klar genug.

Ja. Ich glaube, die letzte Sendung ging sehr unbefangen damit um. Es gab keine Rechtsverletzungen, aber sicher Fragen von Zweideutigkeit, das sieht auch der produzierende Saarländische Rundfunk so. Aber es ist natürlich ein Problem: Die kleineren ARD-Anstalten, denen es finanziell nicht sonderlich gut geht, möchten auch Angebote ins Gemeinschaftsprogramm einbringen und greifen eher auf Finanzierungsquellen zurück, die am Markte zu haben sind, die auch keine Schande sind, die aber natürlich das Profil des Ersten nicht verwischen dürfen. Und da gab es beim ersten „Wellness TV“ schon Nachbesserungsbedarf.

Sind Sie plötzlich sensibilisiert?

Wir sind natürlich stark sensibilisiert: Eine Vermischung mit werblichen Botschaften darf es bei uns nicht geben, und es gibt sie nicht, schon gar nicht in der Nähe von Ratgebersendungen, die neben den Nachrichten als besonders profilprägend für die ARD gelten. Deshalb muß man dort den Laden besenrein halten. Wenn Zweifel aufkommen, muß man handeln. Wir werden rechtlich mögliche Kooperationen mit Firmen nicht mehr bis an den Rand des Erlaubten, nicht mal mehr bis an die Nähe des Randes austesten.

Sie reden von den Werbegewinnspielen in Sendungstrailern für „Bunte TV“ und Bambi?

Das können Sie mit einbeziehen. Aber es ist kein Zufall, daß „Wellness TV“ und „Bunte TV“ von kleineren ARD-Anstalten kommen, die besonders findungsreich sein müssen im Aufspüren von Mitfinanzierungspartnern. Wir werden jedoch nicht ganz auf Gewinnspiele verzichten, damit würde man das Kind mit dem Bade ausschütten. Bei der Bundesliga ermöglichen sie uns, die Refinanzierung zu schaffen. Beim Sport sind sie auch redaktionell unschädlich. Aber bei Gewinnspielvarianten in Programmtrailern, da werden wir uns extrem zurückhalten. Die werden Sie im neuen Jahr nicht mehr sehen.

Es gab nach der verheerenden Presse einen Beschluß der Fernsehdirektoren, das sofort zu stoppen, aber Sie kommen so schnell nicht aus den Verträgen heraus.

Stimmt. Der Bambi ist vorbei, jetzt läuft noch der Werbetrailer für „Bunte TV“, aber auch da wird in Zukunft Zurückhaltung die Mutter der Porzellankiste sein.

Wieviel Werbung außerhalb der Werbeblöcke, wieviel Schleichwerbung, werbliche Beiträge sind gut für die ARD?

Schleichwerbung ist Gift und Galle. Wenn man sie findet, muß man sie bekämpfen. Einige Sonderwerbeformen sind dagegen völlig problemlos. Wenn man zum Beispiel den ganzen Tag die Tour de France überträgt und dann zwei oder drei Gewinnspiele zeigt, ist das sicher kein Problem. Es ist überall dort ein Problem, wo unser Informationsprofil in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Da sind wir wieder bei „Wellness TV“: Unsere Auffassung war, daß wir hier eine nachmittägliche Unterhaltungssendung machen, das ist aber beim unbefangenen Zuschauer völlig anders angekommen. Der sieht Bilder irgendeines Heilbades und empfindet das als einen Rat. Deshalb müssen wir an diese Dinge strenger herangehen: Könnte der Zuschauer glauben, ein Wellness-Format ist ein Teil des Informationsangebotes oder nicht? Die Bambi-Verleihung sieht kein unbefangener Zuschauer als eine Darbietung der ARD-Information.

Wie ist das bei „Bunte TV“?

Es gibt Kritiker, die sagen: Eigentlich ist das Wirtschaftswerbung für den Burda-Verlag, das sehe ich nicht so. Das zweite, was die Sendung auffällig gemacht hat, sind die Gewinnspieltrailer, von denen werden wir uns verabschieden.

Noch eine Auffälligkeit ist, daß das ein Boulevardformat ist, das für die ARD-Informationskompetenz nicht vorbildlich sein kann.

Nein, „Bunte TV“ ist ja nun eine ausgesprochene Unterhaltungssendung — wie Loriot, der vorher auf dem Sendeplatz lief. Das hat mit Information nicht das geringste zu tun, hat auch nicht den Anspruch. Abgesehen davon: Ist es wirklich so boulevardesk, Frau Merkel als ersten Gast zu haben?

Kommt darauf an, worüber und wie man da mit ihr redet.

Was das Format soll, ist klar: einen Einblick in die Welt von Prominenten ermöglichen, den wir ohne die Hilfe von Frau Riekel nicht haben könnten. Das halte ich auch für sehr legitim. Ob die Sendung dieses Ziel schon erreicht, muß jeder Zuschauer selbst entscheiden.

Gerade tobt eine Diskussion über den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, und Sie starten ausgerechnet „Bunte TV“, „Wellness TV“, nachmittags „Speck“, bald Schreinemakers…

Speck und Schreinemakers würde ich da völlig rausnehmen. Speck macht eine Lebensberatung, die weder gesponsert ist noch sonstwas.

Sie wird von der Firma von Vera Int-Veen produziert, und er sitzt da Alzheimer-Angehörigen gegenüber, die vor Publikum heulen — das ist schon ein Format, das man in der ARD so nicht kannte.

Ich kenne das Vorbild in den USA, Dr. Phil. Das ist ein common sense Lebensrat-Magazin, das durchaus auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein kann. Frau Schreinemakers wird ebenfalls nicht darüber sprechen, wie siamesische Zwillinge Sex haben, das wird ein sehr journalistisches Format. Und bei „Bunte TV“ dürfen Sie nicht vergessen: Das kommt, wenn es einschlägt, nur einmal im Monat. Es läuft nur zu Beginn wöchentlich, um ihm eine Chance zu geben.

Groß ist das Interesse der Öffentlichkeit noch nicht.

Die Klassiker von Loriot hatten vorher die gleiche Quote. Der Sendeplatz ist verteufelt schwer.

Man kann auch anders rechnen: Die neuen Versuche, mit „Bunte“, „Wellness“, „Speck“ Privatfernsehen zu machen, sind dramatisch erfolglos. Die Zuschauer erwarten diese Farben nicht von der ARD.

„Speck“ ist, wie die anderen, kein kommerzielles Format, die Privaten hätten es abgelehnt, weil sie es für zu weich hielten. Und Sie müssen auch sehen: Was hat Herr Speck verdrängt? Dritt-Wiederholungen von Serien, die wir im Programm hatten, weil der Nachmittag bei uns so unterfinanziert ist.

Das ZDF sendet parallel Naturdokumentationen und freut sich über steigende Quoten.

Die ARD ist das einzige Programm, in dem Sie heute mehr Information am Hauptabend finden als vor zehn Jahren, weil wir Unterhaltungsplätze geschleift und beispielsweise der Dokumentation zugeführt haben. Ich teile Ihren Ansatz nicht, daß das alles kommerzielle Formate sind. Und: Wir korrigieren rasch. Wenn Speck keinen Erfolg hat, ist er nach 32 Folgen weg. Und ein „Bunte TV“, das keinen Erfolg hat, wird auch schnell korrigiert werden, und zwar auch im Wissen und Wollen der Protagonistin und der Produzentin. Ich halte Konvergenz im dualen System für die gefährlichste Bedrohung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, denn wenn wir nicht mehr unterscheidbar sind, sind wir entbehrlich. Aber bei diesen Formaten sehe ich es nicht. Schauen Sie es sich mal an, was Frau Schäfer früher für Formate gemacht hat. Dagegen ist sie jetzt bei „Wellness TV“ wie die Nonne Gretl aus einem Musterkloster. Bei einer Befragung im „Stern“ kam heraus, daß 73 Prozent der Menschen überhaupt keine Probleme haben, ARD und ZDF von den Kommerziellen zu unterscheiden. Die Trennungsschärfe ist stärker als 1995, weil völlig eindeutig ist, was wir für Programme anbieten und was die anderen.

Dafür haben Sie gerade die Kulturmagazine am Sonntag noch später in den Abend geschoben.

Das halte ich nachweislich für eine Verbesserung. Der Ablauf „Christiansen“, Kultur, „Tagesthemen“ war für eine Regelsendung wie die „Tagesthemen“ nicht bekömmlich, und die Kulturmagazine sind keine Regel-, sondern eine Feinschmeckersendung. Jetzt haben „Tagesthemen“ und Kulturmagazine zusammengerechnet viel bessere Quoten.

Trotzdem: Haben Sie es den Kritikern in den vergangenen Wochen nicht sehr leicht gemacht? Es muß Ihnen doch zu denken geben, daß Sie von wirklich allen Seiten Prügel beziehen.

Es ist wie immer ein Bandwaggon-Effekt, mal sind es die Flugmeilen, dann der öffentlich-rechtliche Rundfunk, jetzt Herr Gerster. Aber wer 24 Stunden am Tag Fernsehen macht, macht Fehler. In einigen Zeiten werden die kaum wahrgenommen, in anderen Zeiten — und in solchen sind wir jetzt — wird gesucht und jedes mittlere Fehlverhalten, jede Unbedachtheit gefunden und aufgebauscht. Dieser Kritik müssen wir uns stellen, aber mir liegt schon daran, festzuhalten, daß sich an unserer Grundtendenz, am Gesamtauftritt des Ersten überhaupt nichts und schon gar nichts negativ verändert hat.

Davon müssen Sie noch Ihre eigenen Chefredakteure überzeugen.

Wir haben mehr Chefredakteure als jedes andere Medienunternehmen. Die werden von mir hoch geschätzt. Die wissen, daß ihre eigenen Auftritte immer gut sind (das stimmt auch), und es ist legitim, anderes, was außerhalb des eigenen Einflußkreises liegt, zu kritisieren.

Die Lancierung der Kritik aus der Chefredakteurskonferenz richtete sich persönlich gegen Sie.

Natürlich, aber gegen mich wird ja alles mögliche lanciert. Selbst bei Planungen, die seit einem halben Jahr in den Häusern lagen und von allen abgenickt wurden, wie die gelegentliche Verschiebung der politischen Magazine am Donnerstagabend auf 21.45 Uhr, über die es vor einem halben Jahr so eine Aufregung gab. Dabei ist das „Panorama“, „Monitor“ und „Kontraste“ fast immer ausgesprochen gut bekommen. Dann schweigen die und sagen nicht: Hei, der große Struve, der wunderbare, hat uns einen Vorlauf geschaffen, der uns mit höherem Marktanteil ausstattet. Natürlich reden sich die Chefredakteure, vor allem, wenn ich nicht dabei bin, sehr in Rage. Das sollen sie tun, das ist gesund für die Seele.

Und Sie werden ihnen weiter Anlaß dazu geben.

Immer und gern. Ich sehe einen Teil meines Gehaltes dadurch gerechtfertigt, daß man jemanden hat, auf den man was abladen kann.