Übers Bloggen

Wer bin ich? Warum das Schreiben eines Blogs so befriedigend ist.

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Für mich ist es eine Sucht. Ein unstillbarer Hunger nach Aufmerksamkeit. Oder, um es positiver und weniger egozentrisch zu sagen: nach Kommunikation.

Das trifft natürlich nicht auf alle Blogger zu, so wie ungefähr nichts auf alle Blogger zutrifft. Außerdem gehört zum Selbstverständnis vieler Blogger das Postulat, nicht für die Leser zu schreiben, sondern für sich selbst. Wer scheinbar auf möglichst große Quote bloggt, gilt als zutiefst verdächtig. Das machen die Massenmedien ja schon zur Genüge: alles der Pflicht unterordnen, möglichst viele Menschen zu erreichen.

Aber gerade wenn einer nicht für ein Publikum schreibt, sondern für sich selbst, aber nicht in eine Kladde, sondern ins Internet, ist es umso beglückender, wenn plötzlich ein Leser vorbeikommt, dem das gefällt. Der begeistert ist, einen Geistesverwandten zu finden. Oder interessiert genug, seinen Widerspruch zu hinterlassen. Vielleicht sogar ein eigenes Blog hat und einen Link setzt.

Links sind eine Währung in der Welt der Blogs, aber der eigentliche Lohn ist Aufmerksamkeit. Die lässt sich messen, anhand von Leserzahlen, Seitenabrufen und Verlinkungen. Aber so fixiert viele auf diese Hitparaden sind (ich auch) – das zutiefst befriedigende am Bloggen ist nicht eine wachsende Zahl, sondern die Kommunikation an sich. Der eine Kommentar von jemandem, der genau verstanden hat, was ich sagen wollte, und meine Sätze durch eine Pointe krönt. Der Fremde, der zum Stammgast wird, zum Dauer-Kommentierer, zum Freund. Auch der Gegner, an dem ich mich immer wieder reiben kann.

Mein Blog kann ein ständiger Abgleich meiner Realitätswahrnehmung mit der anderer sein: Wer bin ich? Wie sehen die anderen mich? Worüber lachen sie? Was lässt sie kalt, was verstehen sie falsch? Die Konversationen, die entstehen, sind immer wieder Experimente in sozialer Interaktion: Welcher Kommentar lässt eine Debatte entgleiten? Wo formieren sich viele Blogs mit gemeinsamem Ziel? Wann macht die Größe einer solchen Welle aus der Masse einen Mob? Und wann eine schlaue, mächtige Bewegung?

Anders als für die meisten Blogger ist für Journalisten die Möglichkeit, zu vielen Leuten zu sprechen, nicht neu. Aber auch sie kannten selten etwas wie diese Unmittelbarkeit der Reaktion, diesen direkten Austausch mit dem Publikum, diese Chance zur virtuellen, aber echten Konversation.

Ich hatte bislang nur eine sehr vage Vorstellung davon, wer meine Texte liest und wie sie gelesen werden. Nun werden Leser und ihre Reaktionen sichtbar für mich (und jeden, den es interessiert). Das ist ein unschätzbarer Gewinn. Und eine Gefahr: Es ist leicht, die engagierten Kommentatoren und die mich zitierenden Internetseiten für das Ganze zu halten, und zu vergessen, dass sie nur einen kleinen Teil des Publikums darstellen, und womöglich nicht einmal einen repräsentativen.

Und dann kann die Internetwelt, die theoretisch so viel größer, reicher und vielfältiger ist als die konkrete nicht-virtuelle Lebenswelt vor unserer Haustür, plötzlich wieder ganz klein und eng werden. Wir lieben die fortgeschrittenen Formen der Kommunikation, die wir pflegen können, weil die anderen, die wir lesen und die uns lesen, die Anspielungen, Running-Gags und Seitenhiebe verstehen. Wie gehen auf in einem Netzwerk, das uns glücklich macht, weil wir uns verstehen oder wenigstens wissen, warum wir uns nicht verstehen; in der sich alles um Kommunikation dreht, um Sprache; um einen Austausch, der ebenso albern sein kann wie tiefgründig — und befriedigender als das nicht-virtuelle, aber flüchtige Gespräch zuhause, in der Kneipe, im Café.

Ich merke, dass mir das Gespräch mit Leuten, die in dieser digitalen Welt nicht zuhause sind, manchmal schwerer fällt. Und ich ahne, warum die Welt der Blogs, die eigentlich so offen und grenzenlos ist, plötzlich hermetisch wirken kann, weil es scheint, als würden alle nur noch für sich selbst schreiben oder für einander.

Aber das täuscht.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

[Dieser Artikel erschien als Ergänzung zu diesem Text von Harald Staun.]

Fehler-Outsourcing mit der „Netzeitung“

Deutschlands zweitgrößter Privatsender Sat.1 kann oder will es sich nicht leisten, eigene Nachrichten für seinen Online-Auftritt zu produzieren. Deshalb ist das, was unter Thomas Kauschs Gesicht veröffentlicht wird, „powered by N24.de“.

Aber auch Deutschlands größter privater Nachrichtensender N24 kann oder will es sich nicht leisten, eigene Nachrichten für seinen Online-Auftritt zu produzieren. Er lässt sich die Inhalte von der „Netzeitung“ zuliefern.

Und so erscheinen viele Nachrichten wortgleich auf netzeitung.de, N24.de und sat1.de. Das ist vielleicht nicht ideal, sagt auch etwas über die Nachrichtenkompetenz von N24 aus, könnte aber ja Vorteile für die Leser haben: Durch die mehrfache Verwertung einmal erstellter Inhalte wachsen die Erlöse, die man in eine höhere Qualität der Inhalte investieren könnte.

Ja, das ist graue Theorie. Wie grau — das zeigt beispielhaft ein Artikel über „Second Life“, angefertigt offenbar bei der „Netzeitung“, der in all seiner Grottigkeit nun auch sat1.de und N24.de schmückt, wo ganz offensichtlich niemand auch nur einen flüchtigen Blick auf die zugelieferten Inhalte wirft.

Die Zahl der deutschen Second-Life-Bewohner stieg laut Studie nicht in den letzten zwölf Monaten, sondern von Januar bis März um 70 Prozent. Darauf bezieht sich auch das 92-Prozent-Wachsum in den USA. Besonders schön ist die Rechnung, dass 61 Prozent der Nutzer männlich, aber „nur knapp ein Drittel weiblich“ sein sollen.

Und überhaupt ist die Überschrift „Deutsche fallen in Second Life ein“, die man von der britischen Seite „The Register“ übernommen hat, abwegig, da der Vorsprung der Deutschen vor den Amerikanern (oder wie die „Netzeitung“ sie nennt: „die Amerikanische“) ja geschrumpft ist. Genau genommen leben in den USA übrigens auch nicht „mehr als“ vier Mal so viele Menschen wie in Deutschland. Und dann sind da noch ein paar Fehler in Grammatik und Zeichensetzung, die nun auch gleich doppelt und dreifach erscheinen. (Ob die „Netzeitung“ den Unsinn auch noch in ihren Radionachrichten verbreitet hat, habe ich nicht kontrolliert.)

Das ist Outsourcing mit Synergie-Effekt im Online-Journalismus: Sat.1 und N24 lagern die Fehlerproduktion aus und lassen sie zentral von einem günstigen Experten erledigen.

Heidi Klum

Dann geht sie rüber zu den Mädchen, die gerade noch Rouge und Mascara vor ihr geheult haben, junge, hübsche, hoffnungsvolle, ehrgeizige, emotionale Wracks, die sie allesamt wieder bis kurz vor den totalen Zusammenbruch gebracht hat, zwängt sich zwischen sie aufs Sofa, als wäre sie ihre Freundin, und fragt: „Und? Seid ihr alle superhappy? Dass ihr alle noch hier seid? Dass keine Tränen geflossen sind?“

So ist Heidi Klum.

In ihrer Pro-Sieben-Erfolgsshow, die auf der Illusion beruht, „Germany’s Next Topmodel“ zu suchen, ist sie eine fiese Ober-Schickanöse, die ihre Schutzbefohlenen erfolgreich glauben lässt, sie sei die Vertrauenslehrerin. Als eines der Mädchen eher beiläufig erzählt, dass andere manchmal keinen Bock mehr hätten, reagiert Klum mit der Sensibilität eines Panzers: „Wer sagt das, der nach Hause will?“, fragt sie und fordert erfolgreich Denunziation. Eine Woche später spricht sie über eines der geschassten Mädchen den Satz: „Anja hat uns leider letzte Woche verlassen“ und schafft es wie üblich nicht, zum Wort „leider“ eine passende Gefühlsregung anzuknipsen. Sie sagt über eine Fotografin: „Ich habe vor sechs Jahren zum ersten Mal mit ihr fotografiert“, was eine lustig anmaßende Verdrehung der Rollen ist. Einmal kontrolliert sie in Abwesenheit der jungen Rekrutinnen ihre Stuben, kommentiert einzelne dahingeworfene Kleidungsstücke oder offene Schminkutensilien, als handele es sich um einen Kriegsschauplatz, und erklärt mit großer Ernsthaftigkeit, dass man so ganz sicher kein Top-Model werde. Und ich weiß nicht, was erschütternder war: Die unfassbare Spießigkeit dieser Rolle oder der unfassbare Stolz, mit dem Heidi Klum sie ausfüllte.

Sie ergänzt das schlimme Leistungs- und Ihr-müsst-es-nur-wollen-Mantra der anderen Castingshows um eine ungehemmte Zuhälter-Mentalität: Hier wird getan, was verlangt wird, und nicht gezickt und gezögert. Als ein Mädchen es nicht auf Anhieb das natürlichste von der Welt findet, sich an einem Strand bemalt, aber vollständig nackt, breitbeinig und auf allen Vieren in Pose zu bringen, kommentiert Klum das gleichzeitig in die Kamera: „Hana schämt sich so’n kleinen bisschen vor den Leuten hier. Ich mein‘, so was muss man auch abschütteln können, ne?“ — und aus jeder Pore strömt Herablassung. „Die Hana tut so, als ob hier ein ganzes Fußballfeld voll mit Jungs gewesen wär“, sagt sie noch. Kurz darauf sind überall Paparazzi.

Warum war es eigentlich der vergleichsweise liebenswürdige und, vor allem: irgendwie aufrichtige Dieter Bohlen, der sich wegen „sozialethischer Desorientierung von Kindern und Jugendlichen“ rechtfertigen musste?

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Was RTL bei DSDS von 9Live gelernt hat

In dem Interview, das DSDS-Aussteiger Max Buskohl „Spiegel Online“ gegeben hat, steckt Sprengstoff. Ich fürchte nur, er wird nicht explodieren.

Buskohl: Ich bin am Donnerstag zu den Leuten von RTL gegangen und habe ihnen gesagt, dass ich bei DSDS nicht mehr mitmachen will. Daraufhin ist dort die totale Panik ausgebrochen. (…) Die drehten völlig am Rad, weil sie Angst hatten, dass mein Ausstieg ihre Show kaputt macht.

SPIEGEL ONLINE: Dann hat RTL Ihnen einen Deal vorgeschlagen?

Buskohl: Ja, die Absprache war: Ich trete am Samstag noch in der Show auf und mache meinen Abgang erst am Sonntag öffentlich.

Eine RTL-Sprecherin widersprach, verausgabte sich aber nicht:

„Seiner Darstellung haben wir bereits vor rund zwei Wochen widersprochen (…).“

Damals hatte Pressechef Christian Körner gesagt, Buskohl habe dem Sender erst am Sonntag „endgültig“ mitgeteilt, dass er gehen wolle.

Ich glaube das nicht. Buskohl hat keinen Grund, die Unwahrheit zu sagen. RTL schon. Nach Buskohls Darstellung hat der Sender die Zuschauer betrogen. Und nicht in irgendeinem übertragenen Sinne, sondern in einem ganz materiellen. RTL hätte die Fans wie üblich immer und immer wieder aufgerufen, Geld auszugeben für eine Entscheidung, die längst gefallen war.

Und es geht hier nicht um Peanuts. RTL gibt grundsätzlich keine Auskünfte, wieviel Geld der Sender mit Telefonanrufen erlöst. Nach der ersten Staffel DSDS 2004 berichtete der „Spiegel“ aber, im Finale hätten 4,5 Millionen Anrufe dem Sender Einnahmen von 1,2 Millionen Euro beschert. Das mal so als Größenordnung.

Wenn Buskohl und sein Vater die Wahrheit sagen, hat RTL seine Zuschauer unter Vorspiegelung falscher Tatsachen wohl um Millionen gebracht.

Preisgekröntes… na, äh, Dings

Katrin Passig und Sascha Lobo waren heute früh extra unrasiert bei Kurt Beck in Mainz, um sich für die „Riesenmaschine“ den Erik-Reger-Literaturpreis und 2500 Euro geben zu lassen. Glückwunsch!

Die Pressestelle der Landesregierung hatte offenbar ein bisschen Mühe, sich zu entscheiden, worum es sich bei riesenmaschine.de handelt, entschied sich dann aber für den Begriff „Online-Projekt“ und die schöne Formulierung:

„Die Riesenmaschine“ ist ein Weblog aus täglich wechselnden Internet-Artikeln.

Und dpa machte aus dem „aus“ ein „mit“.

Ajax, PHP und Liveblogging

Gibt es unter den freundlichen Unbekannten, die hier mitlesen, zufällig jemanden, der sich mit Ajax und PHP und möglicherweise WordPress auskennt und sich mal anschauen könnte, wie man mein halb geklautes, halb handgestricktes und leider auch nur halb funktionierendes Liveblogging-Plugin optimieren könnte?

Vor dem Call-TV-Gipfel

Nachher treffen sich dann also 9Live und seine Konkurrenten und Nachahmer mit den Landesmedienanstalten, und das ist insofern eine gute Sache, als es einen Anlass gibt für Medien von dpa bis zur „International Herald Tribune“, über Methoden dieser Call-in-Programme zu berichten, die neuerdings immerhin vom Sprecher der bayerischen Landesmedienanstalt BLM als „bewusstes Irreführen“ und von seinem nordrhein-westfälischen Kollegen von der LfM als „nah an dem, was man Betrug nennen könnte“ bezeichnet werden.

Viel mehr sollte man vermutlich nicht von der Veranstaltung erwarten.

Zwei Stunden sollen für das Treffen vorgesehen sein. Bereits für 13.15 Uhr lädt die Gemeinsame Stelle Programm, Werbung, Medienkompetenz (GSPWM) der Landesmedienanstalten zum Pressegespräch — vermutlich bleibt da noch genug Zeit für einen gemeinsamen Ausflug mit Mittagessen von München nach Hornberg.

Einigermaßen erschütternd ist es, wenn BLM-Sprecher Wolfgang Flieger laut „Berliner Zeitung“ sagt, man wisse „nicht im Detail, wie diese Technik funktioniert“ und damit den Auswahlmechanismus meint, nach dem die Anrufer durchgestellt werden. Dabei ist das das zentrale Element der Irreführung, bei allen deutschen Call-TV-Veranstaltern: der falsche Eindruck, ein Zufallsmechanismus entscheide darüber, wann ein weiterer Kandidat die Chance bekommt, ein Rätsel zu lösen.

Die Sender machen daraus vielfältige Lügen, zum Beispiel die, dass es trotz vieler „geöffneter Leitungen“ „leider“ noch keinem Anrufer „gelungen“ sei, die richtige „zu treffen“. Nein: Der „Auswahlmechanismus“ besteht in der Regel offenkundig schlicht daraus, dass ein Mitarbeiter entscheidet, wann jemand durchgestellt wird: ob nach wenigen Sekunden oder mehreren Stunden. Anders lässt sich der Ablauf der Sendungen gar nicht erklären. Wenn die BLM das nach all den Jahren, in denen sie für die Kontrolle über die Dauerhütchenspieler von 9Live und dem DSF zuständig ist, nicht weiß, dann kann man genauso gut eine Gruppe gefesselter Nacktnasenwombats mit der Medienaufsicht beauftragen.

Eine Hoffnung bleibt: Ich habe in den vergangenen Monaten sowohl Hinweise von 9Live auf Regelverstöße bei den MTV-Sendern (Produzent: Callactive) bekommen als auch umgekehrt. Vielleicht haben wir Glück, und der Konkurrenzkampf und der Druck von außen führen dazu, dass sie sich gegenseitig das Handwerk legen.

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