Die alten Reflexe funktionieren noch. Ungefähr einmal im Jahr macht der „Spiegel“ ein großes Interview im Harald Schmidt, und alle tun so, als müsse irgendetwas Großes drinstehen. Dabei ist das einzige Neue, das Schmidt auf rund drei Seiten sagt: Er sehe sich gegenüber seinem zukünftigen Showpartner Oliver Pocher in der Rolle des Sidekick und nicht umgekehrt.
Schon „Spiegel Online“ ist beim Versuch, aus dem Interview eine Nachricht zu machen, gescheitert und verdreht die Aussage Schmidts, eine tägliche Late-Night, wie er sie früher bei Sat.1 gemacht hat, ruiniere das Privatleben, zu einem Statement, das sich auf seine aktuelle ARD-Show zu beziehen scheint. Die Hilflosigkeit gipfelt in dem Einstiegssatz: „Der Rückzug von Harald Schmidt hat Programm.“
Andere haben sich die fehlende News kurzerhand selbst erfunden. Bei vanityfair.de haben sie in die Vorabmeldung des „Spiegel“ hineinhalluziniert, Schmidt ziehe sich „aus dem Abendgeschäft zurück“ und werde seine Show aufgeben. Schmidt sagt nichts dergleichen.
Diese leicht hysterische Bedeutungshuberei wird Schmidt gefallen. Dem „Spiegel“ sagte er:
„Ich brauche all diese Reaktionen. Ich brauche sie wie ein Junkie die Spritze.“
Andere hätten vielleicht einfach von „Freude“ gesprochen. Aber Freude ist ein Konzept, das nicht zu Schmidt passt. Freude ist unironisch, undistanziert, unmittelbar. Die Blöße gibt er sich nicht. Vielleicht kann er das auch einfach nicht.
Schmidt wirkt inzwischen wie einer der freudlosesten Menschen überhaupt. Und einer der gelangweiltesten. Gelangweilt von der Welt. Und gelangweilt von sich selbst. Harald Schmidt langweilt inzwischen sicher viele Menschen, mich eingeschlossen, aber niemanden langweilt er annähernd so sehr wie sich selbst. Er ist wie ein hochbegabtes Kind, das nicht auf die Elite-Schule gehen darf und an der ständigen Unterforderung leidet. Nur dass für das Genie von Harald Schmidt nicht nur die Schule, sondern die ganze Welt eine Unterforderung ist.
Schon 1996, als seine Sat.1-Late-Night-Show noch neu war und von der Kritik verrissen wurde, sagte er dem „Spiegel“ auf die Frage, wie er seine Zukunft sehe:
Was der Feind nicht weiß, ist: Diese enormen Prügel, die ich kriege, das ist genau das, was mich 200prozentig motiviert. Mein größerer Feind ist die Langeweile, und die würde ich schnell empfinden, wenn sich meine Sendung sofort etabliert hätte.
2001, als er kurz vor der Heiligsprechung stand, fragte ihn der „Spiegel“, ob er überhaupt noch Feinde habe. Schmidt antwortete:
Das Problem ist: Ich bin in der Cocooning-Phase. Ich lebe zurückgezogen und lasse mich treiben. Bob Dylan wird auch nicht mehr gefragt, wie viele Platten er verkauft oder warum er das alles macht. Er ist einfach nur auf einer nie endenden Tournee. Ich mache es eigentlich gegen die Langeweile.
Das hat man vermutlich damals als Ironie genommen. (Obwohl Schmidt im Jahr zuvor, ebenfalls im „Spiegel“, bereits unter größter Anteilnahme der Feuilletons das „Ende der Ironie“ ausgerufen hatte – ohne dass sich jemals endgültig klären ließ, ob das nicht ironisch gemeint war.)
Im aktuellen „Spiegel“-Interview kommt es an einer Stelle zu folgendem Dialog:
SPIEGEL: Wie ist das, wenn Ihnen vor Studiopublikum ein Gag verreckt?
Schmidt: Wenig überraschend. Ich weiß es ja vorher.
In diesen paar Sätzen steckt für mich das ganze Elend Harald Schmidts. Nichts überrascht ihn. Er weiß es alles vorher. Aber er sieht auch keinen Anlass, dieses Wissen zu nutzen; den Gag zu ändern, besser zu machen, wegzulassen — irgendwie dafür zu sorgen, dass das Publikum lacht. Den Ehrgeiz hat er schon lang nicht mehr; es wäre auch eine völlig unnötige Verausgabung. Denn Schmidt kann es sich erlauben, dass seine Gags vor dem Publikum verrecken. Man vergibt es ihm nicht nur; man bewundert ihn auch dafür.
Viele Kritiker schaffen es, alles, was Schmidt macht, als Zeichen seiner Klasse zu deuten. Er hat Erfolg? Kein Wunder: Schmidt kann’s! Keiner guckt ihn? Ja, sein Humor ist so fein, den verstehen die Massen nicht. Er strengt sich an? Grandios! Er gibt sich keine Mühe? Toll, der Teufelskerl, was der sich rausnimmt!
Und wenn sich doch irgendwann nur noch schwer verleugnen lässt, dass seine Sendung schlecht ist, und zwar auf eine Art schlecht, die nicht auf irgendeine ironische Art schon wieder genial gut ist, dann liegt es nicht an Schmidt, sondern entweder an der Sendung, die einfach nicht oft genug läuft, oder im Zweifelsfall mindestens an der Großen Koalition und der Welt insgesamt, die für ein Genie wie Harald Schmidt inzwischen einfach zu klein und zu berechenbar geworden sind.
Vielleicht kann man Schmidt gar nicht vorwerfen, dass er keinen Ehrgeiz hat und kein Interesse an irgendwas. Vielleicht ist das nur eine logische Konsequenz, wenn man jahrelang öffentlich für jedes Scheitern genauso bejubelt wurde wie für jedes Gelingen, für jeden Versuch ebenso wie jeden Nicht-Versuch. Ich habe zum Beispiel bis heute nicht verstanden, warum Schmidt so dafür gelobt wurde, dass er nach dem 11. September 2001 seine Sendung zwei Wochen lang ausfallen ließ, und danach einfach zur Tagesordnung überging. Das war keine Heldentat, sondern eine Kapitulation. Schmidt hat sich nicht getraut. Das kann man ihm nicht vorwerfen. Aber muss man ihn dafür noch preisen? (Dies ist übrigens der Anfang der ersten „Daily Show“ mit Jon Stewart nach dem 11. September. Vermutlich hätte Schmidt nur Verachtung dafür übrig.)
Nachdem Schmidt im vergangenen Jahr den Bambi moderierte, schrieb „Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner an Harald Schmidt: „Weil Sie sich langweilen, werden Sie ein Langweiler.“ Und nur weil Wagner es schreibt, muss es ja nicht falsch sein.
Ich habe das damals schon für die „FAZ“ aufgeschrieben, und nun kann man natürlich fragen, wie absurd das denn ist: Schon wieder so viele Worte zu verlieren über jemanden, der doch angeblich nur langweilig ist.
Aber am Freitag zeigte der WDR eine Sendung zum 70. Geburtstag von Herbert Feuerstein, in der sich Schmidt und Feuerstein bei einem Abendessen unterhalten. Es war über weite Strecken eine langweilige Sendung, nicht zuletzt, weil sich Schmidt für nichts interessierte, schon gar nicht für Feuerstein, aber Feuerstein interessierte sich für Schmidt. Und in zwei Szenen hatte ich das Gefühl, dass die beiden nicht nur ihre üblichen Rollen spielten, sondern kurzzeitig die Masken fielen und es zu einem echten, ehrlichen Dialog kam.
Feuerstein: Hast du nicht Bedürfnisse, die du Lust hast, jetzt, wo du älter wirst, auszuleben?
Schmidt: Was soll das sein? Was sollte das sein?
Feuerstein: Das musst du doch haben. Du hast deine Bach-Wurzeln, du hast Deine Orgel-Wurzeln, du hast diese ganzen Geschichten. Soviel Erfolg auf der Welt kann man ja gar nicht haben, dass man nicht irgendwas anders braucht, wohin man die Fühler ausstrecken mag.
Schmidt: Aber wohin? Wohin? Es endet ja in Dilettantismus.
Feuerstein: Alles endet in Dilettantismus.
Schmidt: Ja, nicht alles.
Feuerstein: Mein Leitmotiv ist nur die Neugier. Würde ich eine Sache immer konsequent weitermachen, hätte ich jetzt den Nobelpreis in dieser eienen Sache. Aber das hat mich nie interessiert. Ich wollte immer irgendwas Neues, was anderes…
Schmidt: Aber was soll ich machen? Soll ich, soll ich Bach-Orgelkonzerte geben? Oder, äh – malen?
Feuerstein: Ich frag dich ja nur, ob Du nicht ein Bedürfnis hast. Das weiß ich ja nicht.
Schmidt: Nein.
Feuerstein: Du hast es nicht.
Schmidt: Ich habe Theater gespielt und gemerkt, es reicht bis zum gewissen Punkt, sehr früh, Feierabend. Soll ich versuchen, einen Roman zu schreiben?
Feuerstein: Du bist doch nicht am Ende angelangt. Du musst doch weitermachen.
Schmidt: Nein, aber man steht so auf, man trinkt’n Kaffee, geht’n bisschen einkaufen, schaut ein bisschen aus dem Haus.
Wie gesagt: Man muss sich diese Stelle nicht Form eines lustigen Schlagabtausches, der üblichen Frotzelei zwischen den beiden vorstellen. Sondern mit einem großen, ratlosen, leeren Gesicht Schmidts. Später nahm Feuerstein den Faden noch einmal auf:
Feuerstein: Ich hab öfter gedacht, du hörst auf. Weil du eigentlich die Sachen erreicht hast. Was motiviert dich, weiterzumachen?
Schmidt: Gegen die Langeweile.
Feuerstein: Also, deine jetzt, nicht der anderen.
Schmidt: Ja, klar, wessen sonst?
Feuerstein: Ich weiß es nicht. Es klingt wahnsinnig glaubwürdig, wenn du es so sagst.
Schmidt: „Die Wolllust der Disziplin“. Deine Worte.
Feuerstein: Ja, aber das ist was anderes. Die Wolllust der Disziplin, die zwingt mich zum Machen. Die Neugier erfüllen…
Schmidt: Das ist bei mir genauso.
Feuerstein: Ja, aber das ist nicht Langeweile. Ach so, wenn Du Langeweile definierst als: „Was soll ich denn sonst tun?“ Kannst du nichts anderes?
Schmidt: schüttelt ernsthaft den Kopf.
Feuerstein: Hm. Ich wahrscheinlich auch nicht, aber ich denk mir, ich könnt‘.
Schmidt: Aber Du machst doch auch wahnsinnig viel!
Feuerstein: Ich mach sehr viel…
Schmidt: Aber da kannst Du doch nicht im Ernst neugierig drauf sein.
Feuerstein: Du wirst lachen: Doch.
Schmidt: Wirklich.
Feuerstein: Ja: Kann ich das, wie stell ich mich dazu…? Es ist die Herausforderung. Dass man sich immer wieder so ’n bisschen rausfordert, was zu probieren, woran man ja eh scheitert…
Nein, Schmidt versteht das nicht. Er ist 49 Jahre alt, aber alles, was er kann, hat er gemacht, und alles, was er vielleicht nicht kann, traut er sich nicht oder es interessiert ihn nicht. Er ist satt und leer.
Über Pocher sagt er im aktuellen „Spiegel“:
Schmidt: Er ist jedenfalls einer, der mit hundert Ideen kommt.
SPIEGEL: Neuen?
Schmidt: Natürlich nicht. Alles war schon mal da und wurde im Zweifel auch von mir erfolgreich versendet. Aber er hat diesen Elan … das gefällt mir.
Was für eine tragische Figur.