In eigener Sache (2)

Ich habe eine neue Abmahnung von der Firma Callactive bekommen. (Callactive produziert unter dem Titel „Money Express“ Anrufsendungen, die gegen die Regeln der Landesmedienanstalten verstoßen und auf Viva, Nick und Comedy Central laufen.)

Es geht um einen Kommentar, den ein Nutzer am vergangenen Sonntag um 3.37 Uhr früh unter diesem Eintrag abgegeben hat. Ich habe diesen Kommentar unmittelbar, nachdem ich ihn gesehen habe, gelöscht: Das war am Sonntag um 11.06 Uhr.

Das genügt der Firma Callactive nicht. Ihr Anwalt teilt mir mit, dass trotz der Löschung nicht dauerhaft ausgeschlossen sei, dass dieser Kommentar erneut abgegeben werde. Ich sei „als Störer“ verantwortlich, weil ich dieses Blog eingerichtet und in meinem einleitenden Beitrag ausdrücklich zu Kommentaren aufgefordert habe. Es sei deshalb meine Pflicht, die Kommentare vor der Veröffentlichung auf ihre rechtliche Zulässigkeit zu überprüfen.

Hätte Callactive mit diesem Vorgehen Erfolg, wäre das meiner Meinung nach das Ende der offenen Diskussion in Foren und Blogs, in den Leserkommentaren von Online-Medien und im Internet überhaupt. Selbst Beiträge, die unmittelbar nach ihrem Erscheinen vom Seitenbetreiber gelöscht werden, könnten dann kostenpflichtige Abmahnungen nach sich ziehen; sämtliche Kommentare müssten vor ihrer Veröffentlichung überprüft werden.

Ich persönlich halte die neuerliche Abmahnung für einen weiteren Versuch der Firma Callactive, Kritiker ihres zweifelhaften Geschäftsgebarens mürbe und mundtot zu machen. Ich werde mich mit allen Mitteln gegen diesen Versuch wehren.

…braucht eine Mutige, die sie löscht

„Das Gästebuch von Alice Schwarzer soll eine Plattform zur freien Diskussion in einem offenen und freundlichem Klima sein.“

(Aus den Gästebuchregeln von Alice Schwarzer)

Das Gästebuch von Alice Schwarzer ist implodiert. Vor ein paar Tagen standen dort noch über 385 Einträge. Nun sind es noch 135. Verschwunden sind rund 250 Kommentare von Leserinnen und Lesern aus den vergangenen fünf Wochen. Nicht alle. Bewahrt blieb zum Glück zum Beispiel die Anfrage von Prof. Dr. Konrad Schüttauf, ob Frau Schwarzer nicht an seinem Oberseminar „Geschlechterverhältnis in der Philosophie“ im Herbst in Bonn teilnehmen möchte. Aber von der Diskussion, die um diesen Eintrag herum tobte, der Debatte um Alice Schwarzers Werbung für die „Bild“-Zeitung, davon gibt es keine Spur mehr.

Der freundliche Schulterklopfer…

„als ich ihr plakat für bild sah, habe ich mich gefreut, dass sie bei den ‚ehrlichen bedeutis‘ dabei sind“

…ist ebenso verschwunden wie der anomye Wütende…

„Glauben Sie wirklich, Gandhi hätte sich für soetwas hergegeben, nur, damit beispielsweise ein Inder in dieser Reihe auftaucht? Schmutzig!“

…der Metaphorische…

„Diese Werbeaktion hat mitunter ganz offensichtlich die Aufgabe allen Bild-Kritikern ins Gesicht zu spucken. Sie spucken jetzt mit (und gegen den Wind)“

…ebenso wie der Enttäuschte…

„Frau Schwarzer, ich kann nicht glauben, dass Sie Werbung für die BILD-Zeitung machen. Es ist unbegreiflich und traurig.“

…die Moralische…

„Wenn ich lese ‚Das Honorar geht direkt an drei Projekte, die muslimischen Mädchen in Not helfen‘, dann hoffe ich, dass einige dieser Mädchen den Stolz haben, Ihre Unterstützung zurückzuweisen.“

…und der Begeisterte:

„Gerade bei Bild, gerade bei diesem Publikum, gerade dort, wo man Gegner vermutet, müssen Sie doch Überzeugungsarbeit leisten! Wer nur Freundschaftspiele bestreitet und bei Heimspielen punktet, kommt nicht in die erste Liga.“

Die kritischen, empörten und enttäuschten Stimmen waren deutlich in der Mehrheit, und gelegentlich meldete sich die Redaktion, von der alle Kommentare erst freigegeben werden müssen, und wies darauf hin, dass man auch „sehr harsche Kritik“ veröffentliche, aber eine Grenze ziehe bei „persönlicher Diffamierung oder Verleumdung“.

Aber Frau Schwarzer hatte wohl keine Lust mehr, das zu lesen. Oder kein Interesse mehr, dass andere das lesen können. Sie hat jeden Hinweis auf die „Bild“-Werbe-Debatte in ihrem Gästebuch wortlos gelöscht.

Auf meine Bitte um eine Erklärung antwortete mir Angelika Mallmann, Chefin vom Dienst von „Emma“:

Lieber Stefan Niggemeier,

wie schön, dass Sie die Seite von Alice Schwarzer mit einer solchen Aufmerksamkeit verfolgen! Sie fragen, warum die Kommentare zur Bild-Werbung nicht mehr drin sind. Ganz einfach: weil sie passé sind. Das Ereignis hat vom 10. bis 16. Juli stattgefunden — die Kommentare dazu waren bis zum 10. August auf der Homepage von Alice Schwarzer, also einen Monat lang.

Nun kommen neue Themen. Wir freuen uns schon auf Ihre Anfragen dazu.

Lustig.

Und bevor jetzt jemand „Zensur!“ schreit: Natürlich hat Alice Schwarzer das Recht dazu, mit ihrer Homepage zu machen, was sie will. Sie kann sich sorgsam exakt das Gästebuch zusammenklöppeln, das sie gerne hätte. Und sie kann so tun, als hätte ihre Werbeaktion keine Kritik hervorgerufen, sondern nur zu einem einzigen, positiven Zeitungsbericht geführt, den sie natürlich nach wie vor auf ihrer Homepage dokumentiert.

Männer dürften sowas ja auch, hat sie laut „Süddeutscher Zeitung“ über ihre „Bild“-Werbung gesagt. Nur die Frauen müssten immer moralisch wie „Jeanne d’Arc rumlaufen“.

[via Herr Jeh in den Kommentaren]

In der SZ nichts Neues

Betreff: Fragen zu Ihrem SZ-Artikel

Sehr geehrter Herr Boie,

es ermüdet mich ein wenig, die immer gleichen Zeitungstexte über die angeblich fehlende Relevanz von Blogs in Deutschland zu lesen. Ich weiß nicht, ob Zeitungen sich ihrer eigenen Relevanz dadurch versichern können, dass sie immer wieder ausführlich über etwas berichten, das nach ihrer eigenen Aussage so irrelevant ist. Und ganz bestimmt hilft es der Relevanz von Blogs nicht, sich immer wieder mit irrelevanten Zeitungsartikeln über Blogs zu beschäftigen.

Und doch: Ich kann es nicht lassen. Denn ich verstehe es nicht. Ich verstehe grundsätzlich nicht, warum viele Zeitungen sich Blogs einerseits mit einer solchen Hingabe widmen und ihnen andererseits nicht einmal ein Mindestmaß an Interesse entgegen bringen. Und ich verstehe konkret viele Aussagen in Ihrem Artikel nicht.

Sie kommen zu Ihrem ernüchternden Fazit über die deutsche Blog-Landschaft dadurch, dass Sie sie an extrem hohen Ansprüchen messen. Sie geben aber an keiner Stelle einen Hinweis darauf, wer diese Ansprüche aufstellt. Wer schon in der Überschrift „denkt“, deutsche Weblogs würden mehr bewegen. Und wessen „Erwartungen nicht erfüllt“ werden.

Sie schreiben: „Vergrößerung [ist] das erklärte Ziel der deutschen Blog-Szene“. Wer hat dieses Ziel erklärt?

Sie schreiben: „Man will eine Alternative zu den etablierten Medien werden.“ Wer will das?

Sie schreiben: „Großes Vorbild sind dabei die USA (…).“ Wessen Vorbild?

Sie schreiben, man spreche bei dem „Teil der deutschen Bloggerszene, der überhaupt wahrgenommen wird“, „intern stolz von ‚Blogosphäre'“. Das passt natürlich gut zu dem Eindruck von dem Größenwahn und der Selbstüberschätzung, den Sie erwecken wollen. Ich glaube, dass weder die Worte „intern“ und „stolz“ noch die Behauptung überhaupt zutreffen.

Sie schreiben, Weblogs hätten großes Potential, denn: „Zahlreiche Nischen warten auf hochwertige Inhalte.“ Sagen Sie mir ein paar dieser wartenden Nischen?

Sie nennen als gelungenes Beispiel für ein relevantes Blog „das Promi-Blog Viply“. Sie wissen sicher, dass es sich dabei um das Zweitverwertungs- und Eigenmarketing-Produkt einer Paparazzi-Agentur handelt, deren Fotos auch die etablierten Boulevardmedien füllen. Erklären Sie mir, worin die spezielle „gesellschaftliche Relevanz“ dieses Angebotes besteht — und was die Mehrzahl der Blogger daraus lernen kann?

Sie schreiben: „Deutsche Leser wollen spezialisierte Angebote zu ihren Lieblingsthemen anstatt eines weiteren Versuches, klassische Zeitungen zu imitieren.“ Woher wissen Sie das? Woraus schließen Sie das? Was sind die Lieblingsthemen der Deutschen? Und welche Blogs versuchen Ihrer Meinung nach, klassische Zeitungen zu imitieren?

Am Ende berufen Sie sich auf den Kommunikationswissenschaftler und Blogger Jan Schmidt und schreiben: „Die Öffentlichkeit von Weblogs bestünde in ihrer technischen Zugänglichkeit für jedermann. Keinesfalls aber besteht sie in ihrer gesellschaftlichen Relevanz.“ Was heißt das: Die Öffentlichkeit von Weblogs besteht nicht in ihrer gesellschaftlichen Relevanz? Ich vermute, Sie wollen einfach sagen: Blogs sind da, aber unwichtig, aber das würde womöglich nicht relevant genug klingen für die „Süddeutsche Zeitung“.

Gleich zweimal hat sie Ihren Artikel online gestellt, mit unterschiedlicher Aufmachung und Überschrift. In beiden Fällen hat sie es nicht geschafft, auch nur ein einziges Blog zu verlinken. Dafür hat sueddeutsche.de eine zehnteilige Bildergalerie mit Screenshots (aber auch ohne Links) der „Top Ten“ der „Deutschen Blogcharts“ dazu gestellt. Erklärt wird das Zustandekommen dieser Hitparade von sueddeutsche.de so:

Analog zu den deutschen Musikscharts [sic!] gibt es auch die deutschen Blogcharts. Statt Media Control liefert die Echtzeit-Internet-Suchmaschinen [sic!] Technorati die Platzierungen über die populärsten Blogs des deutschsprachigen Raumes. Neben Auswertungen von Zugriffen auf Blogs ist die Zahl der Verlinkungen (Erwähnungen) eines Blogs innerhalb der Blogosphäre die wichtigste Messgröße.

Nein, die einzige. Die Zugriffszahlen spielen bei den Platzierungen in den Deutschen Blogcharts keine Rolle.

Vermutlich können Sie, Herr Boie, nichts für die Online-Präsentation Ihres Artikels. Aber würden Sie mir Recht geben, dass Kompetenz eine Voraussetzung für Relevanz ist?

Entschuldigen Sie die Polemik, aber es fällt mir schwer, nicht polemisch zu werden angesichts der Diskrepanz zwischen der Überheblichkeit und Selbstwahrnehmung der „Süddeutschen Zeitung“ und der Realität ihrer Berichterstattung im und über das Internet. Ich würde mich freuen, wenn Sie trotzdem einige meiner Fragen beantworten würden.

Mit freundlichen Grüßen
etc.

(Herr Boie hat mir geschrieben, dass er gerade unterwegs ist und es mit einer Antwort deshalb ein paar Tage dauern kann.)

Super-Symbolfotos (22)

Man könnte es natürlich schon bemerkenswert finden, dass Spiegel Online die Meldung über einen Jugendlichen, der betrunken in einen Hühnerstall gefahren ist, mit dem Bild eines mutmaßlich unbeteiligten Huhns illustriert — wohl damit man mal weiß, wie diese seltenen Tiere aussehen.

Richtig gut wird es aber erst durch den Bildtext:

Huhn: Nach dem Unfall ging der Jugendliche einfach zurück ins Zeltlager

(mit Dank an Julian für den Tipp!)

Hat alles nichts genützt

Wollte gerade ein paar Bilder aufhängen, konnte den verdammten Hammer nirgends finden und ertappte mich bei dem Gedanken, ihn zu ergoogeln.

(Jedenfalls: Bin wieder da.)

Andrea Ballschuh

Es fehlen einem dann doch die Kategorien, um Qualitäten in diesem speziellen Beruf bewerten zu können. Natürlich ist es eine Form von Arbeitsverweigerung, eine Sendung „Zauberwelt der Berge“ mit dem Satz zu beginnen: „Den besten Blick hat man einfach immer von oben.“ Und natürlich müsste die Überleitungspolizei einschreiten, wenn die Moderatorin sagt, die „Klostertaler“ würden perfekt ins Salzkammergut passen, weil ihre Karriere nur einen Weg kenne: „steil nach oben – sie sind also richtige Gipfelstürmer“. Aber beim Abspann stellt sich dann heraus, dass die Texte gar nicht von ihr waren, und man weiß nicht, ob das für oder gegen sie spricht.

Das wichtigste für jemanden, der volkstümliche Musik im Fernsehen präsentiert, muss diese Teflonhaftigkeit sein: dieses Lächeln, das immer auf das gleiche Maß an interesseloser Zustimmung eingestellt ist, egal, auf was es sich bezieht, und seien es Nacktschnecken oder gar Brunner & Brunner. Die 35-jährige Andrea Ballschuh macht das schon so glatt wie einst Caroline Reiber, und das Kunststück ist, dass sie dabei jünger, frischer und moderner aussieht, ohne die Zuschauer durch Jugendlichkeit, Frische und Moderne zu verschrecken.

Man muss diese Show übrigens nicht kennen, auch wenn man gerade den Eindruck bekommen konnte, so wie ihre geplante Verlegung plötzlich ein Beleg für die angeblich seniorenfeindliche Entsorgung von Plastikmusikshows aus dem ZDF-Programm wurde. Die „Zauberwelt der Berge“ war in den vergangenen fünf Jahren exakt zweimal zu sehen. Anders als Frau Ballschuh, die sich sonst im ZDF-Vormittagsprogramm einen Wolf moderiert und im MDR ein Quiz hat. Im Osten scheint sie ein „Superstar“ zu sein, jedenfalls nennt die „Super-Illu“ sie so und verfolgt jede berufliche und private Wendung mit größter Anteilnahme und Sympathie.

Zum Konzept der Show gehört, dass Andrea Ballschuh auch Einheimische… nein, „kennenlernt“ wäre falsch. Trifft. Sicherheitshalber gibt man ihr während des, nun ja: Gesprächs aber immer etwas anderes zu tun, lässt sie töpfern mit dem Töpfer, die Krähen füttern mit der Krähen-Aufzieherin, reiten mit dem Wildparkbesitzer. Am schönsten war diese Woche nicht einmal, als eine der Krähen sie nachhaltig, mehrmals und offenkundig leidenschaftlich in den Finger biss. Sondern wie sie und der Wildparkmensch noch mehrere Sekunden noch durchs Bild ritten, aber ihr Gesprächstext schon zuende war: Da sah man allen Beteiligten (die Pferde inklusive) an, dass hier keiner die Landschaft, die Stille oder die Gesellschaft genoß, sondern alle die Sekunden zählten, bis jemand „Schnitt“ rufen würde. Es war eine Szene von frappierender Leere und vielleicht der einzig wahre Moment in der ganzen Show.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Die Rückkehr des Königs

Bevor meine kleine Schwangerschaftsvertretung hier vorbei ist und der Hausherr wiederkommt (es sei denn, er ist wirklich geflohen), schnell noch ein kleines Rätsel:
Welche prominente Person wird hier gesucht?

Samentier Gingfee

Erwischen Sie einen Kommentar, dessen laufende Nummer durch 3 oder 4 teilbar ist, und nennen Sie die Lösung. Zu gewinnen gibt es drei gelbe Pakete und einen Flachwitz.

Bitte kommentieren Sie maßvoll. Kommentare von Minderjährigen werden nicht berücksichtigt. Wer seinen Namen vergessen hat, sollte besser seine Eltern anrufen. Die freuen sich auch, wenn sie mal wieder was hören. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Werbeblocksitting

Das menschliche Gedächtnis arbeitet – das wissen wir spätestens, seit irgendjemand irgendwas veröffentlicht hat – höchst selektiv. So war ich davon überzeugt, irgendwo gelesen zu haben, dass die ARD nicht mehr so viel Werbung in der „Sportschau“ bringen wollte.

Korrekt lautete die Meldung aber:

Mit weniger Platz für Sonderwerbeformen als im Vorjahr geht im August die „Sportschau“ an den Start. Die bestehenden werden dadurch teurer. Bei klassischer Werbung bleibt alles beim Alten.

Und so ist es wohl völlig normal, dass ich jetzt seit 18 Uhr mehr Werbeblöcke als Erstligaspiele gesehen habe.

Andererseits: Was guck ich mir das überhaupt an? Borussia Mönchengladbach spielt ja eh erst am Montag.

Ortskenntnisse

Das menschliche Gedächtnis arbeitet – das wissen wir spätestens, seit dieser Forscher da sein Buch veröffentlicht hat – höchst selektiv. Das lässt sich gut an dem überprüfen, was einem zu bestimmten Personen oder Orten einfällt.

Geht es beispielsweise um die Stadt Remscheid, fällt mir immer nur ein, dass dort mal ein US-Kampfjet abgestürzt ist, als ich noch recht jung war. Zwar sind meinen unzuverlässigen Kindheitserinnerungen zufolge (s.o.) in den achtziger Jahren ständig irgendwelche Flugzeuge abgestürzt, aber „Remscheid“ war für mich immer das Schlagwort dafür. (Als mein Patenonkel mich einmal an einem Arm und einem Bein durch das Wohnzimmer meiner Eltern schleuderte und mich auf dem Sofa „aufschlagen“ ließ, nannte ich das „Flugzeugabsturz in Remscheid“.)

Mit Wuppertal verbinde ich hingegen ausschließlich die dortige Schwebebahn (bzw. noch genauer die Elefantendame Tuffi, die Jahrzehnte vor meiner Geburt aus dieser Schwebebahn in die Wupper sprang), mit Leverkusen die Bayer-Werke und würde mich jemand fragen, was mir denn zu Böblingen einfiele, ich könnte allenfalls „Wetten dass…?“ antworten.

Ich habe gut Reden, denn ich bin in Dinslaken aufgewachsen. Lange Jahre war diese Stadt, die sich nicht so recht entscheiden kann, ob sie nun noch zum Ruhrgebiet oder doch schon zum schönen Niederrhein gehört, vor allem für eines bekannt: den „Glaspalast“. Das war eine sogenannte „Edeldisco“, in der glaube ich kein Dinslakener je drin war, obwohl dort Acts wie Scooter, Brooklyn Bounce, Dr. Alban, Boney M. und Culture Beat auftraten. Traf man aber Leute von außerhalb und sollte sagen, wo man denn so hersei, führte die Antwort „Dinslaken“ in der Regel immer zur gleichen Reaktion: „Aaaaach, da wo der Glaspalast ist!“ Heute „ist“ der Glaspalast (oder „Glasi“, wie er manchmal liebevoll genannt wurde) nicht mehr. Das Gebäude wurde vom Präsidenten des MSV Duisburg in Büros (zurück-)verwandelt und beherbergt jetzt Teile der Dinslakener Stadtverwaltung.

Dinslaken hat aber viel mehr zu bieten: Auf der dortigen Trabrennbahn fanden in den ersten Ausgaben der ZDF-Spielshow „Nase vorn“ Prominentenrennen statt, deren genaueren Zweck heute niemand mehr so ganz genau rekonstruieren kann. Für Roger Willemsen war „Dinslaken“ eine Zeit lang ein Synonym für „irgend so ein total hinterwäldlerisches Kaff“, was er meinen Erinnerungen zufolge mindestens zwei Mal in „Willemsens Woche“ unter Beweis stellte: Als Jörg Kachelmann zu Gast war, forderte Willemsen, das Klimaphänomen El Niño möge doch Dinslaken holen, und die Sopranistin Sandra Schwarzhaupt fragte er, warum sie in New York Gesangsunterricht genommen habe und nicht zum Beispiel in Dinslaken.

Ich bin ganz froh, inzwischen in Bochum zu leben, wo man sich hauptsächlich mit Herbert Grönemeyer und der Selbstmordrate unter den dortigen Studenten herumzuschlagen hat.