Eva Hermans Stechschrittmuster

Schon erstaunlich, wie viele Kommentatoren hier und an anderer Stelle zu glauben scheinen, dass Eva Herman bewusst missverstanden und Opfer einer Medienverschwörung wurde.

Ich würde all denen empfehlen, sich den Mitschnitt von Hermans Rede beim „Forum Deutscher Katholiken“ anzuhören. Lukas hat ihn auf osthessen-news.de entdeckt und nimmt drüben bei „Coffee and TV“ die sprachlichen Unfälle im Detail auseinander. Ich möchte nur zwei Punkte aus der Rede herausgreifen.

Eva Herman zitiert als erstes eine Studie, deren Ergebnis sie so zusammenfasst:

„78 Länder wurden untersucht auf Familienfreundlichkeit; Deutschland liegt auf Platz 77.

Die gleiche Behauptung hat sie bei Kerner auch schon aufgestellt. Sie ist falsch. Die Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) (pdf) hat nicht die „Familienfreundlichkeit“ verschiedener Länder verglichen, sondern die Bedeutung von Familien und ihren Zusammenhalt.

Gefragt wurde also nicht danach, wie willkommen zum Beispiel Kinder in einer Gesellschaft sind, wie viele Familienabteile es in Zügen gibt, ob Familien steuerlich geförder werden o.ä. Gefragt wurde danach, wie wichtig einem die eigene Familie ist, ob man die eigenen Eltern bedingungslos, unabhängig von ihren Fehlern, lieben muss, und ob es die Pflicht von Eltern ist, sich für die Kinder auzuopfern, oder ob sie auch ein eigenes Leben führen dürfen. Die Antworten der Befragten auf diese drei Fragen fassten die Autoren Alberto Alesina und Paola Giuliano als Grad der Familienbindung zusammen.

Dass diese Familienbande in Afrika und Asien besonders ausgeprägt sind, schon weil Familien einander unterstützen müssen, weil es sonst keiner tut, während Deutsche sich in Krisen zum Beispiel auf staatliche Hilfe verlassen können, überrascht da nicht sehr. Aber richtig ist: In Deutschland ist der Familienzusammenhalt schwächer ausgeprägt als in fast allen anderen Ländern. (Deutschland fällt übrigens aus dem Rahmen: Das traditionelle Familienrolle schwindet zwar, aber trotzdem gehen vergleichsweise wenige Frauen arbeiten.)

Wenn Herman den Eindruck erweckt, die Studie habe die „Familienfreundlichkeit“ gemessen, also wie sehr Familien gesellschaftlich oder staatlich gefördert werden, und Deutschland liege fast ganz hinten, sagt sie die Unwahrheit.

Herman sagt vor den sie bejubelnden Katholiken:

Ich machte schon damals auch eine ganz neue Erfahrung, nämlich alles, was nach Familie, nach Glück mit Ehepartnern, mit Kindern, nach dem Weiblichen, nach dem Männlichen und dem Muttersein klingt, das wird in unserem Land leider auffallend schnell mit Naziparolen in Zusammenhang gebracht. Der Mechanismus ist inzwischen vollkommen klar. Sofern jemand das Wort erhebt und sich für diese Werte einsetzt, wird er bombardiert, es wird Nazilob in ihn projeziert [sic!] und gleichzeitig wird er als Sympathisant dieser Ideologie öffentlich verurteilt.

Das ist in einem Maße Unsinn, dass einem die Worte fehlen. Was man dann immerhin mit Eva Herman gemein hätte, die sagt:

Wir marschieren im Stechschritt durch einen anstrengenden Alltag voller Widersprüche.

Nachtrag. Ebenfalls bei Lukas: Eva Herman — Der Film.

Ach, Süddeutsche

10 Uhr morgens. Die Menschen sitzen im Büro, und der ein oder andere würde bestimmt in den Online-Medien nachlesen wollen, was da gestern passiert ist bei Johannes B. Kerner mit Eva Herman. Bei stern.de und auf faz.net findet er kluge und gut geschriebene Texte, die nicht nur berichten, sondern auch analysieren.

Und sueddeutsche.de macht immer noch mit dem irreführenden dpa-Vorabtext auf, die Redaktion hat die Zeit aber genutzt, schon mal eine Bildergalerie zu bauen.

Der letzte Auftritt von Eva Herman

Davon stand natürlich nichts in den aufgeregten Vorabmeldungen von dpa: Dass sich in der „Kerner“-Sendung kurz vor Schluss noch so eine Romy-Schneider-Burkhard-Driest’sche Romanze zwischen Senta Berger und Mario Barth andeuten würde. Er erzählte von der Städtereise nach Amsterdam, die er seinem Freund und dessen neuer Freundin geschenkt habe, und sagte bedeutungsschwanger, Amsterdam, das sei ja keine normale Städtereise. Und als Kerner das natürlich nicht so stehen lassen konnte und nachfragen musste, was denn so besonders sei an Amsterdam, antwortete Senta Berger blitzschnell für Mario Barth: „Die Tulpen“, und er lachte, und sie lachte, und wenn sie in diesem Moment die Hand auf seinen Arm gelegt hätte, wer weiß.

Eva Herman war da längst gegangen. „Rausschmiss“, wie dpa das nannte*, in werblicher Mission für Kerner und das ZDF, trifft es gar nicht. Kerner bat sie freundlich zu gehen, vor allem wohl, um das Platzen der Halsschlagader von Margarethe Schreinemakers zu verhindern, und Eva Herman, das sah man ihr an, war ohnehin längst fertig mit allen Anwesenden und ließ sich nicht lange bitten, und Kerner dankte ihr vielmals – keine Frage: fürs Kommen und fürs Gehen.

Das war in einer an bizarren Momenten reichen Sendung einer der bizarrsten: Berger, Schreinemakers und Barth hatten deutlich gemacht, dass es ihnen unmöglich ist, ernsthaft weiterzudiskutieren, solange noch diese Nazitante dabei sitzt. Und im selben Moment, in dem die Nazitante weg ist, köpfen sie einen Prosecco, vergessen die nervigen Diskussionen über Mütter, Kinder und Krippenplätze und machen Party. (Das mit dem Prosecco stimmt nicht, wäre aber in der aufgeräumten Stimmung auch nicht weiter aufgefallen.) Es war eine Reaktion, die Eva Hermans Selbstüberschätzung, sie werde stigmatisiert, damit man über ihre unbequemen Wahrheiten nicht diskutieren muss, auf eine unangenehme Weise zu bestätigen schien. Ohne die Nazitante, schien die Runde zu sagen, kann man nicht nur besser über gesellschaftliche Fragen diskutieren, sondern noch besser nicht über gesellschaftliche Fragen diskutieren.

Und so sprach man stattdessen über die Freundin von Mario Barth und sein Bühnenprogramm und seine Platin-DVD, und es war eine heitere Stimmung, und alles war sehr egal.

Für Johannes B. Kerner hatte diese Sendung mit Eva Herman natürlich eine ähnliche Funktion wie Reinhold Beckmanns demonstrativer Versuch, sich an Jan Ullrich als kritischer Nachfrager zu profilieren. Aber Kerner hatte es nicht auf den Eklat angelegt. Im Gegenteil: Mit jeder der vielen demonstrativ-scharfen Nachfragen trieb er Herman eigentlich nicht in die Ecke, sondern baute ihr eine Brücke nach der nächsten. Kerner weiß, wie das läuft in den Medien: Herman hat etwas gesagt, das sie nicht hätte sagen dürfen, über das Dritte Reich noch dazu. Sie ist zur Paria geworden, und ihre einzige Chance, wieder dazu zu gehören, auch in Zukunft wenigstens als Diskussionspartnerin zugelassen zu werden, ist es, Abbitte zu leisten. Es geht bei diesem Ritual nicht um die Frage, ob Eva Herman in irgendeiner Form nationalsozialistischem Gedankengut anhängt, es geht überhaupt eigentlich nicht um Inhalte. Es geht darum, dass sie sich entschuldigt und zugibt, Fehler gemacht zu haben.

Und dann, danach, kann man über alles reden, auch über ihre merkwürdigen Thesen über Frauen und Mütter und die bösen 68er, und man kann sich darauf einigen, anderer Meinung zu sein, aber dass sie in ihrem Kreuzzugs-Wahn die Familienwerte der Nazis lobt, das muss vorher aus der Welt. (Und sie hat, was gerne vergessen wird, ihren NDR-Job nicht verloren nach der wirren und teilweise falsch wiedergegebenen Buchvorstellungsrede; sondern erst, nachdem sie gegenüber der „Bild am Sonntag“ noch einmal ausdrücklich von den „Werten, die auch im Dritten Reich gefördert wurden“ gesprochen hat.)

Kerner weiß, dass das so ist, dass das die Spielregeln sind, nach denen unsere Medienwelt funktioniert; Spielregeln, die er nicht gemacht hat, denen er aber strikt folgt in seiner Sendung und die er dadurch verstärkt. Er hat Eva Herman in seiner schrecklich teflonhaften Art immer wieder die Möglichkeit gegeben, zu sagen: „Das hätte ich nicht sagen sollen, es tut mir leid“, und damit den einen, kleinen, entscheidenden Schritt zu tun von außerhalb des Kernerschen „Darüber können wir reden“ in diesen Kreis hinein.

Eva Herman hat jede Chance ausgeschlagen, ob aus Trotz oder aus Überzeugung, wer kann es sagen, aber: Wen interessiert es auch? Sie hat sich so vollkommen eingekuschelt in ihrer Opferrolle, in die sie auch von außen getrieben wurde, dass da kein Zentimeter Platz ist für eigenes Fehlverhalten. Das eigentlich Erschreckende an ihrem Auftritt bei Kerner und ihren Auftritten der vergangenen Wochen und Monate, ist weniger die Möglichkeit, dass Eva Herman in ihrem Hass auf die gesellschaftlichen Veränderungen durch die 68er, der auch ein Selbsthass sein muss, sogar im Dritten Reich vergleichsweise positive Zustände sehen könnte. Das eigentlich Erschreckende ist, wie dumm jemand sein kann, wie ahnungslos, wie dilettantisch und laienhaft in einer Medienwelt, in der sie sich seit vielen Jahren professionell bewegt.

Wäre sie kein Profi, es wäre fast mitleiderregend gewesen, mitanzusehen, wie sich Eva Herman immer weiter um Kopf und Kragen redete. Wie sie sich bei jeder Frage für die Antwort entschied, die alles noch schlimmer machte. Wie sie noch den Historiker angriff. Wie sie selbst Mario Barth gegen sich aufbrachte. Und wie sie, innerhalb der Sendung ebenso wie im Laufe des ganzen Konflikts, dadurch, dass sie sich in die Enge getrieben fühlte, sich immer weiter fanatisierte. Sie sah nicht ein, dass ihr ursprüngliches Zitat mindestens missverständlich war. Sie sah nicht ein, dass es, gelinde gesagt, unfassbar idiotisch war, in ihrem Fall ausgerechnet von einer „Gleichschaltung“ der Medien zu reden. Sie bestritt, dass „Gleichschaltung“ ein Wort der Nazis ist. Sie verglich das mit den Autobahnen, über die wir ja heute auch fahren, obwohl sie von den Nazis gebaut wurden. Und am Ende sagte sie zwar, sie würde sich heute nicht wieder so äußern über die Familienpolitik der Nationalsozialisten, begründete das aber nicht mit der Einsicht in eigene Fehler, sondern so:

Ich muss einfach lernen, dass man über den Verlauf unserer Geschichte nicht sprechen kann, ohne in Gefahr zu geraten.

An dieser Stelle befand Margarethe Schreinemakers, zu Recht, aber auch in Kenntnis der Gesetze solcher Sendungen und unserer Medienlandschaft überhaupt, dass der Unsinn, den Eva Herman erzählte, so groß und gefährlich war, dass es nicht mehr reichte, sich von ihr zu distanzieren. Sie drohte damit, die Sendung zu verlassen. Und Kerner entschied sich, nach einer kurzen Weile, für sie, die Empörte, und Berger, die 68erin, und Barth, den Komiker, und gegen Herman.

Und auch wenn das Wort „Eklat“ irgendwie unpassend wirkt angesichts des vergleichsweise freiwilligen Abgangs von Eva Herman aus der Sendung — ich bin mir ziemlich sicher: Dies war der letzte größere Auftritt Eva Hermans im deutschen Fernsehen. Mit der Art, wie sie sich selbst zum Opfer stilisierte, weil sie angeblich nur über die deutsche Geschichte „gesprochen“ hat, hat sie sich mit einer Entschiedenheit selbst ins rechte Abseits gestellt, wie es kein fahrlässig oder böswillig verkürztes Zitat je geschafft hätte.

Sie hat nichts verstanden.

*) Korrektur: dpa hat in seiner Vorabmeldung nicht von einem „Rausschmiss“ gesprochen, sondern davon, dass Kerner Herman „ausgeschlossen“ hat.

AFP verläuft sich ins Bild.de-Archiv

Soeben meldet die Agentur AFP:

Achtung Redaktionen,

bitte streichen Sie in der Meldung «Neues Lebenszeichen von in Afghanistan entführtem Deutschen» von Montagabend um 19.40 Uhr den kompletten dritten und vierten Absatz. Bitte streichen Sie ebenso in der 4.ZF zum selben Thema von 20.58 Uhr den kompletten dritten Absatz sowie die ersten drei Sätze des vierten Absatzes. Die darin unter Berufung auf bild.de zitierten Äußerungen von Rudolf B. sind nicht neu, sondern stammen aus einem bereits im August verbreiteten Video der Geisel. AFP hatte versehentlich auf Archivmaterial von bild.de zurückgegriffen.

Wie peinlich.

Mal abgesehen davon, dass für die Nachrichtenagentur AFP also das Erotik-, Werbe- und Fehlerportal Bild.de eine zuverlässige Nachrichten-Quelle wäre, sie es aber nicht einmal schafft, zwischen aktuellen und Archiv-Artikeln auf Bild.de zu unterscheiden: Ist der Gedanke eigentlich völlig abwegig, dass bei Nachrichtenagenturen mindestens ein Mensch über die Meldungen schaut, der mit dem Thema halbwegs vertraut ist und deshalb merkt, wenn man gerade als falsche Neuigkeit verkauft, was sechs Wochen alt ist?

Gemeldet hatte AFP gestern um 19.40 Uhr:

(…) Die Online-Ausgabe der «Bild»-Zeitung berichtete von einem vom afghanischen Privatsender Tolo TV ausgestrahlten Video, in dem der seit dem 18. Juli entführte Bauingenieur erschöpft wirke. Er halte sich die Brust, während er von einem Hustenanfall geschüttelt werde. «Meine Medizin geht in drei Tagen zu Ende. Ich bitte alle meine Freunde in Deutschland um Hilfe,» sagte der unter Herzproblemen leidende Rudolf B. demnach verzweifelt. «Ich lebe mit den Taliban 3000 Meter hoch in den Bergen. Die Taliban versuchen, mit der afghanischen Regierung zu verhandeln, aber die redet nicht mit den Taliban.»

Bei den Verhandlungen scheine etwas «schief zu gehen», sagt die Geisel laut «bild.de» weiter. Die radikalislamischen Taliban hätten demnach versucht, Verbindung mit der deutschen Botschaft aufzunehmen. «Aber wenn die Zeit vorbei ist, wollen sie uns töten,» sagte Rudolf B. demnach. (…)

Und um 20.58 Uhr:

(…) Die Online-Ausgabe der «Bild»-Zeitung berichtete von einem vom afghanischen Privatsender Tolo TV ausgestrahlten Video, in dem der seit dem 18. Juli entführte Bauingenieur erschöpft wirke. «Meine Medizin geht in drei Tagen zu Ende. Ich bitte alle meine Freunde in Deutschland um Hilfe,» sagte der unter Herzproblemen leidende Rudolf B. demnach verzweifelt.

Bei den Verhandlungen scheine etwas «schief zu gehen», sagt er laut «bild.de» außerdem. Die radikalislamischen Taliban hätten versucht, Verbindung mit der deutschen Botschaft aufzunehmen. «Aber wenn die Zeit vorbei ist, wollen sie uns töten,» sagte Rudolf B. demnach. (…)

Über 14 Stunden vergingen danach, bis AFP sich berichtigte.

In der „Berliner Zeitung“ redigiert die Meldungen offenbar auch niemand, der mit dem Thema vertraut ist. Sie hat die AFP-Falschmeldung in ihre gedruckte Ausgabe übernommen. Sie steht auch nach wie vor unkorrigiert auf Focus Online und Zeit Online. sueddeutsche.de und tagesspiegel.de haben den Fehler ebenfalls übernommen, aber inzwischen korrigiert.

Medizin-Nobelpreisträger-Memory

Die Sache mit den drei Medizin-Nobelpreisträgern ist unübersichtlich:

Oliver Smithies lehrt und forscht an der Universität von North Carolina at Chapel Hill in den USA, Mario Capecchi an der Universität von Utah in den USA und Martin J. Evans an der Universität Cardiff in Großbritannien. Der 70-jährige Capecchi stammt aus Italien und ließ sich in den USA einbürgern. Smithies, 82 Jahre alt, hat ebenfalls einen US-Pass, stammt aber aus Großbritannien. Der Brite Evans ist 66 Jahre alt.

So, und wenn Sie jetzt einmal versuchen, auswendig aufzusagen: Welche Nationalität haben die Preisträger? Aus welchen Ländern stammen sie ursprünglich? Und in welchen Staaten lehren und forschen sie?

Agenturen und Online-Medien haben eine Weile gebraucht, um die Antworten korrekt zu sortieren. Nehmen wir tagesschau.de. Erster Versuch:

Das mit der Nationalität ist natürlich falsch. Zweiter Versuch:

Öhm, nein. Dritter Versuch, immer noch bei tagesschau.de:

Nein, tun sie nicht nicht.

Lustig ist, dass die verschiedenen Agenturen sich aus der Fülle möglicher falscher Kombinationen von Nationalität, Herkunft und Namen jeweils eigene Fehler-Varianten herausgepickt haben. dpa meldet um 11.37 Uhr:

Stockholm (dpa) – Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an den US-Bürger Mario Cappecchi, sowie die Briten Martin Evans and Oliver Smithies.

Und berichtigt um 11:57 Uhr:

Stockholm (dpa) – Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an die US-Bürger Mario Capecchi und Oliver Smithies sowie den Briten Martin Evans.

AP nähert sich der Sache um 11:38 Uhr so:

Stockholm (AP) Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an den Italiener Mario R. Capecchi, den Briten Martin J. Evans und den Amerikaner Oliver Smithies.

Das ist in der Mischung aus Herkunftsländern und Nationalitäten Quatsch, geht aber noch schlimmer. Um 12:19 Uhr schafft es AP, sich in einer Meldung selbst zu widersprechen:

Stockholm (AP) Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an die beiden Amerikaner Mario R. Capecchi und Oliver Smithies sowie an den Briten Martin J. Evans. (…)

Der 66 Jahre alte Amerikaner Evans habe Modelle entwickelt, um das das Gen-Targeting bei Mäusen einzusetzen (…). Der 82-jährige Brite Smithies wendete die Technik vor allem auf die Untersuchung erblicher Krankheiten an.

Um 13:02 Uhr wiederholt AP dieselben Fehler einfach noch einmal. Erst um 13:17 hat AP die Nationalitäten und Herkunftsländer richtig sortiert.

Und bei Reuters setzt man konsequent auf die (korrekte) Angabe der Herkunftsländer anstelle der Nationalitäten (wobei es geholfen hätte, das auch dazu zu schreiben):

Stockholm, 08. Okt (Reuters) – Der aus Italien stammende Wissenschaftler Mario Capecchi sowie seine britischen Kollegen Oliver Smithies und Martin Evans werden mit dem diesjährigen Nobelpreis für Medizin ausgzeichnet.

Ich wüsste gerne, wieviele Online- und Agenturjournalisten heute wegen der Medizin-Nobelpreise Schreikrämpfe bekommen haben.

Folklore, die im Zusammenspiel entsteht

„Sagen Sie mal, warum sind Sie eigentlich so fett: Ist das was Genetisches oder fressen Sie einfach so viel?“

…wäre natürlich auch eine interessante Einstiegsfrage für Dietmar Bär gewesen. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat es dann in ihrem Interview mit dem Schauspieler aber doch ein bisschen anders formuliert:

SZ: Herr Bär, wäre es vermessen zu vermuten, dass Sie gerne essen?

Dietmar Bär: Nee, das ist ziemlich richtig. Mit zunehmendem Alter, wenn man seine Erfahrungschichten übereinanderlegt, wird man ja Nahrungsspezialist.

SZ: Dann sitzen wir nicht grundlos in einem Café dieser Straße.

Bär: Wieso?

SZ: In dieser Straße gibt es ein indisches, ein chinesisches, ein französisches Restaurant, eine Weinhandlung, einen österreichischen Spezialitätenladen, ein Reformhaus, einen Öko-Bäcker und einen deutschen Metzger. Sie wohnen hier.

Sagen Sie jetzt nicht, das sei ja ein merkwürdiges Interview. Also, sagen Sie es nicht, bevor Sie nicht Bärs Erwiderung kennen:

Bär: Nee. Das hier ist Charlottenburg. Ich wohne inzwischen in Wilmersdorf (…).

Oookay. Für mich wäre dies der Punkt im Gespräch gewesen, an dem ich im Stillen zu mir gesagt hätte: Gut, dass du für eine Zeitung arbeitest, da kannst du den peinlichen Anfang einfach streichen.

Man kann sich aber natürlich auch dafür entscheiden, so eine Art Zeitungs-Live-Interview zu führen, in dem man auch den größten Unsinn, der sich ergibt (insbesondere wenn der Interviewer wild entschlossen ist, kein normales Interview zu führen, sondern ein genial irrlichterndes, auf dem Grat zum Wahnsinn jonglierendes Gespräch), einfach eins zu eins dokumentiert.

Und wenn ich „Unsinn“ schreibe und „eins zu eins“, dann meine ich das nicht nur so als Floskel.

Bär: Sie haben sich Tee bestellt?

SZ: Ja.

Bär: Sind Sie auch Teetrinker?

SZ: Ja.

Bär: (Schaut auf die Uhr)

SZ: Mit Ihrer Agentin waren zwei Stunden vereinbart.

Bär: Ich gucke auf den Tee, wie lange er noch ziehen muss.

SZ: Oh.

Hat das was von Pinter?

Bei der folgenden Frage, gegen Ende des Gesprächs, weiß ich nicht einmal, ob ich in der Literaturwissenschaft oder der Psychologie nach Erklärungen suchen müsste, wie der zweite Satz zwischen die anderen gerutscht ist:

SZ: Sie haben einen Kölner Jubiläums-Tatort gedreht mit Ihrem Kollegen Klaus J. Behrendt. Deshalb trinken wir jetzt Tee. In diesem Film singt am Ende die Schauspielerin Anna Loos. Singt sie?

Ja, sie singt, schon seit vielen Jahren, aber reden wir doch lieber über Interessanteres.

Bär: Ich nehme noch einen Earl Grey.

SZ: Was ich überhaupt fragen wollte: Schauen Sie sich Kochsendungen an?

Bär: Klar. Besonders gerne Kerner.

SZ: Sicher wegen Johannes B. Kerner.

Bär: Wegen der vielen Köche, wegen der Folklore, die da im Zusammenspiel entsteht. Den Lafer habe ich sehr schätzen gelernt, und über allen steht Schubeck.

Hier endet das Gespräch.

Ei, Blut, Kakao

Heute nachmittag rausgefunden, dass „Vanish Oxi Action Teppich-Fleckentferner“ keine zwei Wochen alten Rotweinflecken aus meinem hellen Wollteppich holt, „Dr. Beckmanns Fleckenteufel Obst, Rotwein, Gemüse“ aber ganz problemlos, außer da, wo ich schon mit „Vanish Oxi Action Teppich-Fleckentferner“ gearbeitet hatte.

Oliver Pocher

Guckt mal, wie er sich freut! Da vergluckst er wieder die halbe Pointe, weil er so sensationell lustig findet, was er gleich sagen wird. In seinem Bühnenprogramm wirft ihn sein eigenes Gekicher regelmäßig aus der Rolle, die er gerade spielt. Und als er bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises auf der Bühne steht und alle im Saal abwatscht, die abgewatscht gehören, müssen sich die guten bösen Worte mühsam einen Weg durch eine Art Schluckauf aus Aufregung und Begeisterung bahnen.

Das ist erstmal eine feine Sache, wenn jemandem die eigene Arbeit offenkundig so viel Vergnügen bereitet wie Oliver Pocher. Man sieht das nicht so oft, gerade im Fernsehen. Und es ist der größtmögliche Gegensatz zur ausgestellten Langeweile Harald Schmidt, mit dem sich Pocher von Ende Oktober an eine Show teilen darf.

Nur manchmal scheint es, als sei es gar nicht die eigene Lustigkeit, die Pocher so begeistert, sondern, im Gegenteil: Das Wissen, wie unwahrscheinlich das ist, dass er nur ein bisschen den Kasper machen muss, mit durchaus begrenzten Mitteln, beschränktem Repertoire und Unerschrockenheit als vielleicht größtem Talent, und Tausende zahlen Geld, um sich das live anzusehen, und Millionen schalten den Fernseher ein. Er steht dann da auf der Bühne wie ein Zwölfjähriger, der sich einfach aus dem Publikum aufs Podest geschlichen hat und nun wild entschlossen ist, so lange seine im Kinderzimmer und bei Klassenpartys geprobten und irgendwie von Otto Waalkes abgeguckten Witze zu erzählen, bis der eigentliche Künstler kommt, die Wachmänner oder seine Eltern – und erstaunt feststellt, dass das Publikum nicht buht, sondern sich wegwirft vor Lachen.

Ich kann es nicht glauben, scheint Pochers Dauerlachen dann zu sagen, dass das reicht: Diese Husten-Sie-mal-Musterungswitze, diese Geschichte, dass Mainzelmännchen wohl Ecstasy nehmen, sonst würden sie einem nicht so „GudnAaahmt“ entgegen schleudern, dieser Kalauer, dass der D-Day wohl ein eigener Feiertag für Detlef „D“ Soost sein muss. Man sieht es Pocher in jeder Sekunde an, was für eine außerordentliche Erfahrung es ist, vor einem solchen Publikum zu stehen und tun zu können, was man will, und manchmal treibt ihn diese Energie sogar in einer Weise an, dass gute Unterhaltung daraus wird.

Und selbst das merkwürdig pubertäre Dauergegluckse hat sein Gutes: Weil Pocher die ganze Zeit selber über sich lacht, braucht er keinen Manuel Andrack, der es für ihn tut.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung