Eine Sendung wie Wasser aus dem Hahn. Moderator Günther Jauch über ein merkwürdig unbeachtetes, aus der Zeit gefallenes Magazin und seine fehlende Lust auf Neues.
(Langversion eines Interviews für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“)
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Neulich war meine Fernbedienung kaputt. Ich lag auf dem Sofa, war zu faul aufzustehen und habe versehentlich eine ganze Sendung „Stern-TV“ gesehen, ohne ein einziges Mal umzuschalten. Herr Jauch, das war hart.
Na, mit dem Sehverhalten sind Sie auch in der Minderheit. Nur etwa ein Drittel der Zuschauer sieht die komplette Sendung. Klar: Wer um Viertel nach Zehn guckt, hält nicht zwangsläufig bis Zwölf durch. Dafür kommen Leute um elf Uhr von irgendwo anders und bleiben eine Stunde dran. Uns hilft es auch, wenn wir eine Serie über mehrere Sendungen haben, dass wir sie mal am Anfang platzieren und mal am Ende, und nicht jeder sagt: Ach das Thema kenn‘ ich ja schon. Das bringt natürlich den Zwang mit sich, die Filme immer so selbsterklärend zu machen, dass sie auch derjenige versteht, der es zum ersten Mal mitkriegt.
Da lief jedenfalls die erste Folge eines Experimentes „Plötzlich alt“, in dem acht junge Leute vier Tage lang künstlich eingeschränkt wurden und wie in einem Altersheim lebten. Schon die Vorstellung hat Ewigkeiten gedauert, alles war endlos pseudodramatisch ausgewalzt und schleppte sich gefühlt eine Stunde lang hin.
Es waren knapp 30 Minuten. Aber genau das ist auch die Qualität von „Stern-TV“. Natürlich kriegen Sie das zur Not auf „Tagesthemen“-Beitrags-Länge, 3:30: Spezialanzug angezogen / zwei in den Rollstuhl gesetzt / eine ist jetzt blind / schwierig für sie / harte Nummer. Das machen wir eben so nicht. Andere haben für ihre Magazine gerade mal insgesamt 30 Minuten — wir gönnen uns so viel Zeit, wie ein Thema braucht oder verträgt. Sie können dann immer noch nörgeln: Mir ist das langweilig, mich interessiert das Thema nicht. Das ist aber bei „Stern-TV“ seit 20 Jahren so. Sie werden kaum Leute finden, die immer vom ersten bis zum letzten Thema gleichermaßen elektrisiert sind.
Aber ist es nicht alles sehr aufgeblasen? Es ist ein extremer Aufwand, den Sie da betrieben haben …
Ja, der Aufwand war gewaltig. Wir haben ein halbes Jahr daran gearbeitet, alles wissenschaftlich begleiten und prüfen lassen. Das war richtig teuer. Aber am Ende hat diese Reihe ganz besonders viele junge Leute interessiert,es war weltweit der erste Versuch dieser Art, die Bundesfamilienministerin war im Studio und die Ausbilder für Pflegeberufe wollen das jetzt alle auf DVD. Wissen Sie, wie man das auch nennen kann? Qualitätsfernsehen!
Für die schlichte Erkenntnis: Alt werden ist auch nicht schön?
Na gut, man kann es sich so einfach machen. Aber ich finde es schon interessant, dass da acht reflektierte junge Leute sind, die in so kurzer Zeit alle vollkommen aus der Fassung geraten und sagen, dass sie einen völlig neuen Blick gekriegt haben, wie das ist, wenn man alt ist. Also, ich habe da sehr interessiert zugeschaut und mich können Sie ja nicht mehr so leicht begeistern.
„Stern-TV“ hat Redundanz zum Prinzip gemacht. Nach jedem Beitrag setzen Sie die Leute aus dem Film ins Studio und quatschen alles noch mal mit denen durch.
Das ist nur selten so, dass ein Film tatsächlich so komplett ist, dass sich da im Studio etwas wiederholt. Aber glauben Sie im Ernst, dass es die Sendung und mich noch geben würde, wenn wir feststellen, dass die Filme allein eigentlich reichen? Die Zuschauer wollen beides — Film und Studioaktion. Sonst wäre ich ja nur ein überbezahltes Moderationsmaskottchen, dass den Betrieb aufhält.
Auf mich wirkt das oft wie die Not, mit möglichst wenig Stoff möglichst viel Zeit zu füllen, um Geld zu sparen.
Im Gegenteil. Die Sendung ist sehr aufwendig gemacht und damit auch teuer. Es sind auch nicht weniger Themen geworden. Ich finde auch, dass die Filme bei uns sehr oft eine höhere Qualität haben, als das, was Sie sonst so an allgemeiner Schnipselware sehen. Ohne diesen Standard bei den Filmen hätten wir ein Problem — also stecken wir da Geld rein. Nein, was sich geändert hat, sind unsere Sehgewohnheiten. Zum Beispiel dadurch, dass Sie am Computer immer das Tempo bestimmen können, wie es weitergeht. Die gefühlte Geschwindigkeit hat sich komplett verändert. So gesehen mag die Sendung aus der Zeit gefallen sein. Wenn Sie das heute als neues Konzept irgendwo anbieten würde, diese Eindreiviertel-Stunden, auch bei den Öffentlich-Rechtlichen, das bekämen Sie nicht unter.
Sie empfinden diese Langsamkeit als Glück, als Luxus.
Ja, sehr. Dieses lange Erzählen, sich ausführlich um Themen zu kümmern, das ist schon seltener geworden. Das erleben Sie noch bei 3sat-Dokumentationen oder arte-Themenabenden. Und wir holen damit jeden Mittwoch um die drei Millionen Zuschauer und Bestwerte in der jungen Zielgruppe! Vielleicht liegt das auch an dem wirklich breiten Spektrum, das wir abdecken. Dass Sie Unsinn genauso machen können wie wichtige Themen, dass Sie da Minister auflaufen lassen können und danach Seehunde, die aus dem Maul stinken und den Moderator küssen. „Stern-TV“ ist, wie der „Stern“ zu Henri Nannens Zeiten war. Eine Wundertüte. Da kam auch alles drin vor, und die Leute haben das gern gelesen. In dieser Woche hatten wir das Finale der Alters-Serie, eine Geschichte über Videoüberwachung bei Schlecker, Missbrauch in der Kirche, einen Mann, der das Turiner Grabtuch perfekt mit mittelalterlichen Methoden kopiert hat sowie Berliner Jungs, die Break Dance auf Bach tanzen. Da können Sie bei jedem Thema sagen: Geht die Welt unter, wenn das nicht läuft? Nein. Aber es ist eine gute, unterhaltsame, klassische Mischung.
So einfach scheint es ja nicht zu sein, eine Wundertüte zu verkaufen, das merkt Johannes B. Kerner gerade.
Dazu kann ich schlecht was sagen. Wir sind vor 20 Jahren angetreten, das öffentlich-rechtliche Monopol auf die Beschreibung der Zustände in der Gesellschaft aufzubrechen. Aber wir hatten auch den Ehrgeiz, damit am Markt erfolgreich zu sein. Dabei ist „Stern-TV“ am Anfang ziemlich gefloppt. Da war die Heerschar derjenigen, die glaubten, uns genau erklären zu können, woran es liegt, riesig. Bis hin zum Vorstandsmitglied von Bertelsmann, das uns einen Brief schrieb, er habe das zentrale Problem der Sendung erkannt. In Zukunft dürften wir eines nicht mehr tun: weibliche Gäste ohne einen Blumenstrauß verabschieden. Aber es gab früher öfter die Haltung, lass es mal laufen — entweder aus Bequemlichkeit, aus Arroganz, oder weil jemand gewusst hat: Dinge entwickeln sich. Die hektische Ungeduld bestimmt heute das Fernsehen. Einem Neustart von „Stern-TV“ würde kein Senderchef mehr zwei Jahre Bewährungszeit geben. Da werden Programme ja manchmal schon nach zwei Wochen gekillt.
Das heißt, die Leute gucken es auch aus Gewohnheit?
Wir stellen zumindest fest, dass die Sendung für die Leute eine große Bedeutung hat, weil so viele sie regelmäßig schauen. Wir beobachten aber gleichzeitig , dass sie publizistisch kaum mehr wahrgenommen wird. Oft sind wir mit brisanten Themen die ersten auf dem Markt. Wenn Monate später zum Beispiel ein öffentlich-rechtliches Magazin nachzieht, landet das Thema auf einmal in den Zeitungen. Das ist einerseits angenehm, weil wir in Ruhe arbeiten können und nicht dauernd einer reinquatscht. Und auf der anderen Seite ist es eigentlich ungerecht. „Stern-TV“ hat in zwanzig Jahren noch nie einen Fernsehpreis bekommen. Es gab einmal eine Nominierung für den Deutschen Fernsehpreis für eine rechtsradikale Familie in drei Generationen, die wir über 15 Jahre begleitet haben. Ich bin deshalb nicht beleidigt, aber seltsam ist es schon. Mit „Stern-TV“ verhält es sich vielleicht so: Es wird dunkel, und Sie kommen nach Hause und machen das Licht an. Da stehen Sie dann auch nicht, starren an die Decke und sagen: Boah! Oder beim Händewaschen geht Ihnen auch nicht durch den Sinn: Donnerwetter, Trinkwasser! Könnt‘ ich mir sogar die Zähne mit putzen! Vielleicht funktioniert auch „Stern-TV“ ein bisschen so.
Das erklärt vielleicht auch, warum Sie nicht für das geprügelt werden, für das andere geprügelt werden.
Das stimmt auch wieder.
Kerner und Lanz sind schnell Symbole geworden für all das, was schwierig ist an dieser Art Boulevard-Fernsehen. Sie sind erstaunlicherweise fast völlig davon verschont worden.
Ja, manchmal sitzen wir hinterher auch da und sagen bei irgendeinem Thema: Hoffentlich hat das keiner gesehen. Am nächsten Tag waren dann aber doch überdurchschnittliche 3,5 Millionen Leute dabei …
… aber zumindest niemand, der dann noch drüber schreibt.
Genau.
Macht Ihnen RTL keinen Druck, öfter Schlagzeilen zu produzieren?
Wenn Sie 20 Jahre lang zuverlässig zwischen 16 und 23 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe produzieren,sind sie wechselseitig doch etwas entspannter. Vor allem haben wir ja schon an vielen Ufern gestanden. Frau Schreinemakers gegen uns, stundenlang, als Raab anfing mit „TV-Total“, Kerner sowieso. Da hat man viele kommen und gehen sehen.Und fast jeden Mittwoch Champions-League, DFB Pokal oder Länderspiele gegen uns. Und trotzdem: Ich behaupte, dass es kein Magazin gibt, das sowohl formal als auch inhaltlich so frei arbeiten kann wie wir. Uns sagt wirklich keiner was. Das ist ein unglaubliches Privileg gerade im Fernsehen, wo es von Controllern, Bedenkenträgern, Marktforschungsgläubigen und CD-Verkäufern nur so wimmelt. „Stern-TV“ hat zum Beispiel regelmäßig Produkttests. Da gibt es wichtige Werbekunden, die negative Ergebnisse nicht lustig finden. Der Sender steht da seit 20 Jahren, in guten wie in schlechten Zeiten, wie eine Eins hinter uns und läßt uns testen und kommentieren was und wie wir das wollen. Dabei sind da zuweilen siebenstellige Budgets in Gefahr. Soviel Rückendeckung können Sie woanders mal suchen.
Kann es sein, dass Sie die Sendung auch aus einer Art Gewohnheit machen? Es ist bestimmt angenehm, da reinzuschlüpfen wie in einen alten Bademantel. Aber haben Sie mit Ihrer Popularität nicht auch Lust, mal wieder richtig was zu reißen, zu überraschen?
Die Frage kommt gerne auch in der Form: Haben Sie nicht noch einen Traum? Wenn ich den habe, werde ich ihn nicht verraten. Ich gebe aber auch zu, dass die Zahl meiner Träume inzwischen überschaubar ist.
Aufs Fernsehen bezogen.
Ja, nur! Vor 25 Jahren wäre es für mich das Größte gewesen, das „heute-journal“ zu moderieren. Die wollten mich ja mal haben.
Das „heute-journal“?
Ich sollte zweiter Mann hinter Ruprecht Eser werden. Da passte ich allerdings proporzmäßig nicht, den Platz bekam dann Siegmund Gottlieb. Die Sendung gefällt mir, aber das zu moderieren ist für mich heute nicht mehr so reizvoll wie damals. Dazu kommt, dass ich Sachen gerne länger mache. Ich war zehn Jahre beim Radio, habe zehn Jahre das „Aktuelle Sportstudio“ gemacht. Ich mache jetzt im elften Jahr „Wer wird Millionär“. Und jetzt im 20. Jahr „Stern-TV“… Dabei habe ich immer gesagt: „Ich will nicht zum Klaus Bednarz von RTL werden“, weil der doch ewig in seinem Pullover „Monitor“ moderiert hat. Bis ich mal nachgeguckt habe, wie lange der das gemacht hat: nur 18 Jahre. Seitdem lasse ich den Bednarz-Vergleich weg.
Schon nach Ihrer Aufzählung liegt doch auf der Hand, dass ein neues Projekt für die nächsten zehn Jahre hermuss.
Wenn ich jetzt mit „Wer wird Millionär“ aufhören würde …
Nein, mit „Stern-TV“ sollen Sie aufhören!
Sie sind wirklich der herzlichste Gratulant, der mir zum 20. Geburtstag der Sendung begegnet ist. Ich nehme das jetzt mit gebührender Abscheu und Empörung zur Kenntnis, und werte es als exotische Einzelmeinung. — Aber erinnern Sie sich an „Wünsch Dir was“? Die haben gesellschaftliche Veränderungsprozesse auf rührend spielerische Weise erspürt und abgebildet. So etwas wäre reizvoll. Aber das scheitert heute oft daran, dass es kaum noch Tabus gibt. Alles was mit Sexualität zu tun hat, mit Reichtum, Armut, Neid und Korruption findet schon in einer teilweise derart grotesken Weise im Tagesprogramm statt, dass da kaum etwas übrig bleibt.
Warum kommt alle paar Tage wieder die Meldung, dass Sie doch noch zur ARD gehen?
Das fragen Sie einfach mal die, die den Knochen dauernd wieder neu ausbuddeln. Ich äußere mich nicht dazu. Wie sich die Dinge damals entwickelt haben, ist bekannt. Mein Eindruck ist, dass es danach auf beiden Seiten Bedauern gab, wie das gelaufen ist.
Das gescheiterte Projekt Ihrer Christiansen-Nachfolge ist natürlich auch ein Ursprung vieler Fragen danach, ob Sie nicht mal was anders machen wollen. Seitdem ist das als unerfüllter Traum dokumentiert.
Ich bin ja noch jung.
Wenn Sie mit „Stern-TV“ aufhören, setzt das auch neue Energie frei.
Das ist schon toll, wie Sie mir eine seit 20 Jahren erfolgreiche Sendung madig zu machen versuchen. Ich möchte aber kein Buch schreiben oder in die Politik gehen. Das können andere besser. Aber demnächst muß ich mich um ein Weingut an der Saar kümmern, dass seit 1805 in Familienbesitz ist und dessen Riesling zum Glück einen Spitzenruf genießt. Wenn ich es nicht übernehme, wird es aus der Familie herausverkauft.Jetzt gehe ich aus Famiientradition sogar in die Landwirtschaft.Das wird noch ein Abenteuer.
Das „Zeit Magazin“ hat Sie im vergangenen Jahr als eine Art Arbeitstier beschrieben, fast wie ein Bergmann, der nie aus dem Stollen kommt.
Seit meinem 20. Lebensjahr stehe ich regelmäßig in Studios. Dadurch, dass ich jede Woche eingetaktet bin, habe ich von der Welt tatsächlich nicht viel gesehen. Und ich kann nicht so leicht sagen, ich möchte jetzt mal die üblichen zwei Jahre Weltreise machen.
Kann es sein, dass Sie andererseits auch eine Art Bequemlichkeit entwickelt haben?
Man kann es Bequemlichkeit nennen, aber vielleicht auch Weitsicht. Sie können natürlich alle Vierteljahre mit einer neuen Idee mit fliegenden Fahnen untergehen. Dazu habe ich aber keine Lust und es wäre auch nicht sehr klug.
In zwei Wochen feiern Sie in zwei großen Shows — die natürlich Ihre Firma produziert — sechzig Jahre ARD. Da sieht man dann auch den jungen, abenteuerlustigen Günther Jauch, der in der legendären Action-Spielshow „Rätselflug“ am Hubschrauber hängt.
Das finde ich schön, dass Sie da nostalgisch dran hängen. Ich treffe auch immer wieder Leute, die schon im fortgeschrittenen Alter sind und sagen: Als Schulkind habe ich Sie im Radio gehört. Da zucke ich dann schon immer zusammen. Aber es ist wirklich so, dass alles seine Zeit hat.
Sie klingen da weniger verklärt als Ihr Publikum.
Doch, das hat mir damals gefallen. Aber es wird davon nichts bleiben.
Na, die Erinnerung.
Ja, aber wenn ich mir heute Loriot ansehe, finde ich den immer noch so witzig wie damals. Das ist bei meinen Sachen nicht so. Es ist tatsächlich Gebrauchsfernsehen: Das ist für den Moment okay. Deshalb stehe ich auch zu „Stern-TV“. Formal sind wir da vielleicht zehn, 15 Jahre zurück, aber es funktioniert, und so gesehen halte ich die Sendung immer noch für absolut zeitgemäß. Und das Schönste ist: Ein paar Millionen — außer Ihnen — sehen das jeden Mittwoch Abend auch so.