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Ingolf Lück

Bastian Pastewka holt schon lange nicht mehr den Brisko Schneider aus dem Schrank. Anke Engelke verwandelt sich nur noch zu besonderen Anlässen in Ricky mit ihrem Popsofa. Nur Ingolf Lück gibt immer noch den „Ingolf Lück“ aus der „Wochenshow“.

Ich bin mir nicht sicher, ob das ein gutes Zeichen ist.

„Ingolf Lück“ ist die Parodie eines Fernsehmoderators. Immer eine Spur, nein: drei zu laut, die Gesten zu groß, das Lächeln zu breit. Wenn er lacht, ist es ein demonstratives, comicartiges „Ä-hää-hä“. „Ingolf Lück“ hat das gerääuschvollste Einatmen im deutschen Fernsehen: Jedesmal, wenn er Luft holt, macht das ein heftiges Schnarren, in dem man, wenn man will, die Angst des Fernsehmoderators vor der Stille hören kann, die atemlose Panik vor jedem Zur-Ruhe-Kommen. Und dann das „äh“, das „Ingolf Lück“ fast immer direkt am vorhergehenden Wort andockt: „Herzlich Willkommen bei-äh…“. In schlechten Momenten hängt diese Silbe am Ende jedes einzelnen Wortes. Oder dehnt sich, bei Bedarf, zu scheinbar beliebiger Länge, bis das Publikum endlich lacht oder applaudiert.

Dieser „Lück“ ist natürlich eine Kunstfigur. Die übertriebene und undifferenzierte Euphorie, mit der er jeden Moment jeder noch so belanglosen Show moderiert, muss eine Satire sein. Ein Mittel zu zeigen, wie egal das hier alles ist. Wie künstlich. Und wie frei von jedem Grund, euphorisch zu sein.

Aber längst ist Ingolf Lück im Fernsehen nicht mehr von „Ingolf Lück“ zu unterscheiden. Egal, was er moderiert, ob die Pro-Sieben-Panelshow „Die 100 nervigsten irgendwas“, die ZDF-Panelshow „Nachgetreten“ oder die neue Kabel-1-Panelshow „Darf man das?“, an der das einzig Bemerkenswerte ist, daß sie letzte Woche mehr junge Zuschauer hatte als der gleichzeitig laufende Sat.1-Hochglanz-Thriller „Blackout“ — er moderiert es immer in derselben Art, die einmal eine Parodie war, und heute einfach die Art, wie Ingolf Lück eine Sendung moderiert. Kein anderer Fernsehmoderator ist in den vielen Jahren auf dem Bildschirm so sehr eins geworden mit der eigenen Karikatur wie Ingolf Lück — mit Ausnahme vielleicht von, ja, Servus, Herrschaften, Thomas Gottschalk. Aber im Zweifelsfall ist es dann vermutlich doch angenehmer, als seine eigene Karikatur Claudia Schiffer und die neue Single von Justin Timberlake anzusagen, als Lou Richter und einen gespielten Witz von Christina Plate.

Ich weiß nicht, ob es für Ingolf Lück ein Segen ist, daß die Fernsehsender ihre Sendungen offenbar immer wieder von „Ingolf Lück“ moderieren lassen wollen. Oder ein Fluch.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Birand Bingül

Und dann sagte „Tagesthemen“-Moderator Tom Buhrow, als sei es die normalste Sache der Welt: „Zu den Drohungen gegen die Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz jetzt der Kommentar von Birand Bingül vom Westdeutschen Rundfunk.“ Hö? Hatten die richtigen Kommentatoren alle frei? Dürfen denn Menschen mit Migrationshintergrund bei uns im Fernsehen Kommentare abgeben, und sei es auch nur zum Thema Menschen mit Migrationshintergund? Also, im richtigen Fernsehen, nicht in irgendwelchen Multikulti-Sendungen im Dritten?

Birand Bingül darf das seit Mai. Und hat es am Dienstag zum zweiten Mal getan. Natürlich merkt man, daß ihm noch Erfahrung und Übung fehlen. Sein Kommentar war zwar schon ein bißchen verquast, aber nicht halb so gaga und überbildert wie der eines Profi-Kommentierers wie Stephan Bergmann vom Bayerischen Rundfunk, der an keinem Faß vorbei gehen kann, ohne ihm die Krone ins Gesicht zu schlagen.

Daß Bingül auf der offiziellen Kommentatorenliste der „Tagesthemen“ steht, verdankt er einer „Integrationsoffensive“ des WDR, für den er frei arbeitet und sonst zum Beispiel das Magazin „Cosmo TV“ moderiert*. Natürlich wirkt er, wie er da mit seinem kleinen „ü“ in den „Tagesthemen“ plötzlich zum Thema Islam und Integration spricht, ein bißchen wie ein Quoten- oder Alibi-Deutschtürke. Verstärkt wird der Eindruck noch dadurch, daß es zwar auch zwei „Tagesschau“-Sprecher aus Einwandererfamilien gibt, Tarek Youtzbachi und Michail Paweletz, man beide eigentlich aber nur kennt, wenn man sehr, sehr spät am Abend oder in der Nacht Nachrichten sieht. Übernehmen Migrantenkinder dort die Schichten, die kein anderer machen will?

Egal. Jedesmal, wenn ich Paweletz mit seiner dunklen Hautfarbe in der vertrauten „Tagesschau“-Kulisse sehe und kurz erschrecke, weil das ein so ungewöhnlicher Anblick ist, wird mir erst bewußt, wie monochrom mitteleuropäisch weiß diese Plätze in unseren Informationsprogrammen sonst besetzt sind. Und wie weit ausgerechnet diese Sendungen damit von unserer Lebensrealität entfernt sind. Bei den Deutsch-Türken, glaubt Birand Bingül, könnte das allerdings das auch daran liegen, daß deren Eltern meist einfache Leute waren, die ihren Kindern beibrachten, was respektable Berufe sind: Arzt oder Ingenieur. Aber nicht Journalist.

*) Ich muss mich korrigieren, und das gleich doppelt: Bingül ist beim WDR nicht freier Mitarbeiter, sondern festangestellt. Und bei „Cosmo TV“ nicht Moderator, sondern Redakteur.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Die Nanny

Die Stille Treppe gibt es nicht mehr. Gut, vermutlich gibt es sie noch, millionenfach sogar, in deutschen Familien, als magische Allzweckwaffe gegen nervende Kinder und scheinbar moderne Version des klassischen Du-gehst-jetzt-in-dein-Zimmer-und-bleibst-da-bis. Aber im Fernsehen gibt es sie nicht mehr. Anscheinend schafft es die Super-Nanny von RTL, die die Stille Treppe nachhaltig in das Repertoire der deutschen Amateurerzieherinnen gebracht hat, die Blagen neuerdings ganz ohne ihren Einsatz zu zähmen.

Andere wären längt zur Karikatur ihrer selbst geworden, zur Inkarnation des blöden Sendungstitels. Katharina Saalfrank scheint es irgendwie geschafft zu haben, immer weniger zum Klischee zu werden, sich Freiräume zu erobern. RTL läßt es sogar zu, daß regelmäßig unkontrolliertes Fernsehen als Übel angeprangert wird. Fernsehen! Zwischendurch schien es manchmal, als suche ihr der Sender immer aberwitzigere Aufgaben, und als könnte die Nanny mit ein bißchen Ausdauer dafür sorgen, daß es keine Haareausreißer, Neonazis, Serienmörder im Land, ach was: in der Welt gäbe. Aber gleichzeitig verschob sich die Botschaft Saalfranks: Weg von bizarren Methoden und falschen Patentrezepten hin zum miteinander Reden, sich gegenseitig ernst nehmen. An guten Tagen wirkt es manchmal, als sei Saalfrank nicht Komplizin dieser Fernsehleute, die wie eh und je gnadenlos draufhalten, sondern schütze die Familien sogar vor ihnen. Das ist natürlich eine perfide Illusion. In einer sehr verstörenden Szene rastete vor kurzem eine Mutter völlig aus, schrie, schlug um sich, brach zusammen. Die Kameras wichen keinen Zentimeter zurück, aber Saalfrank hielt die Frau fest, sank mit ihr auf den Boden und ließ ihr meterlanges schwarzes Haar wie einen Vorhang über die Frau fallen. Und man fühlte sich als Zuschauer wie ein schrecklicher Voyeur und verfluchte sich und die Kameraleute und den zynischen Regisseur, der all das nicht herausgeschnitten hat, und kam doch nicht umhin, die Nanny dafür zu lieben.

In dieser Woche besuchte sie nach sechs Monaten noch einmal zwei besondere Härtefälle. Und entweder hat RTL neue Schauspieler für die Rollen der Kinder gecastet, oder die Veränderung der Familiensituation ist wirklich phänomenal und dauerhaft. Aber, hey, es ist Fernsehen: Kann natürlich sein, daß beide das letzte halbe Jahr auf der Stillen Treppe verbracht haben.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Jörg Pilawa

Fangen wir mit dem Positiven an: Jörg Pilawa ist nicht Reinhold Beckmann. Das ist doch was. Und bevor man sich darüber ärgert, wie Pilawa den Deutschen Fernsehpreis oder diese WM-Countdown-Shows oder ähnliche TV-Ereignisse moderiert, sollte man sich kurz vorstellen, wie diese Sendungen mit Reinhold Beckmann wären. Oder mit Maxi Arland (den werden Sie vielleicht, wenn Sie Glück haben, nicht kennen, das ist so ein „junger“ Sänger, der in der ARD die „Feste der Volksmusik“ und den „Musikantendampfer“ moderiert und gerade zu einer Art zweiter Florian Silbereisen aufgebaut wird… was? Florian Silbereisen kennen Sie auch nicht? Also – – -).

Jedenfalls Jörg Pilawa. Ich mochte den immer ganz gern. Ich habe ihn im Kollegen- und Bekanntenkreis immer gegen fiese Kritik verteidigt. Der ist nett. Der kann Sendungen routiniert wegmoderieren, ohne daß es peinlich oder völlig uncharmant wird. Und in der NDR-Talkshow wirkt er, naja, gut gelaunt und entspannt. Also.

Aber wenn man so nach Adjektiven sucht, um Pilawas Eigenschaften zu beschreiben, merkt man natürlich das Problem: Er hat keine. Neulich hat er öffentlichkeitswirksam innerhalb von wenigen Monaten zweimal die gleiche Frau geheiratet, und das ist als PR-Aktion, wenn es eine war, natürlich tausendmal sympathischer als die Verzweiflungstaten vieler Kollegen. Aber ich fürchte, er könnte sich ins Guinness-Buch der Rekorde heiraten, und den Menschen wäre es egal. Das ist ein echtes Problem, denn den Pilawas dieser Welt fehlt die Fallhöhe. Beim Fernsehpreis hat er sich als eine Art Prima Ballerina verkleidet. Tja. Günther Jauch, Hape Kerkeling, Thomas Gottschalk im Tutu, das sind Ausrufezeichen, bei Pilawa ist es ein Schulterzucken.

Neuerdings flüchtet er sich immer mehr in so eine demonstrative Schluffigkeit, die aber natürlich auch nicht hilft, weil der Platz des Superoberschluffis uneinnehmbar von Oliver Geißen besetzt ist.

In seinem Munzinger-Porträt steht, zu seinen Markenzeichen gehörte „früh“ auch die „Berechenbarkeit“. Das ist hart. Bei einer seiner Moderationen beim Fernsehpreis stand er jetzt da mit offenem Jacket, das sich unglücklich hinter dem abstehenden Gürtelende verfangen hatte, das aus einer gewaltig überdimensionierten Schnalle herausragte, und die Krawatte endete weit über dem Hosenbund. Es wirkte alles irgendwie sehr unangemessen. Seitdem frage ich mich, ob das ein erster Akt der Revolution des Jörg Pilawa war. Und weiß nicht einmal, ob es mir gefiele.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Deutscher Fernsehpreis

Wenn die Stifter des Deutschen Fernsehpreises nächste Woche bekannt gäben, daß der Preis 2007 in einer Teeküche von RTL verliehen wird (Raum 27b, hinterm Kopierer links), ohne Bundespräsident, warmes Buffet und Fernsehgala, aber vielleicht, wenn es klappt, mit dem stellvertretenden Kölner Bürgermeister, Schnittchen und einer kleinen Webcam – vermutlich ginge ein großes Aufatmen durch die Branche. Es muß eine schreckliche Last zu sein, diese Veranstaltung Jahr für Jahr durchzuführen. Schon bei den ersten Schnitten ins Publikum gelang es den Kameras kaum, Prominente zu zeigen, denen nicht Leere, Langeweile und Lethargie übergroß ins Gesicht geschrieben stand. Und das, wo die ARD als diesjähriger Ausrichter doch die Show mit einem Feuerwerk aus Humor und Tanz die Show eröffnet hatte: Jörg Pilawa! Tanzte mit dem MDR-Fernsehballett! Begleitet von der WDR-Bigband!

Oder wie Alexander Mazza in der Nachbereitung des Boulevardmagazins „Brisant“ hinterher sagte: „Es war eine gelungene Preisverleihung. Sie hatte alles, was man sich wünschen konnte.“

Die Ideen- und Lustlosigkeit, mit der alle Beteiligten das Programm abspulten (einige Preisträger ausgenommen), grenzte an Arbeitsverweigerung. Ist das nicht die Gelegenheit, bei der das Fernsehen sich einmal im Jahr feiert? Mit Witz und Kreativität oder auch Technik und Bombast zeigt, was es kann oder wenigstens könnte? Wäre das nicht die Veranstaltung, aus der TV-Routine auszubrechen? Die ARD entschied sich stattdessen, den Beweis zu führen, daß ihr schlechtes Image in Sachen moderner Unterhaltung kein Versehen, sondern hart erarbeitet ist. Sie inszenierte die Show wie eine lästige Pflichtübung. Schon am nächsten Tag fällt es schwer, sich an irgendeinen herausragenden Moment aus der Show zu erinnern. Doch: die Sportfreunde Stiller, die ihren WM-Schlager im Big-Band-Arrangement grölten, das war schräg, aber wenigstens originell.

Und vielleicht noch, als die große Show mit Hape Kerkeling als Horst Schlämmer in „Wer wird Millionär“ ausgezeichnet wurde. Kerkeling nahm den Preis mit den Worten entgegen: „Das ist ja gar nicht meine Sendung“ und fügte mit Blick auf Produzent und Redakteur hinzu: „Ich kenne auch die Leute nur ganz flüchtig.“ Und als Günther Jauch erzählte, vor der Tür hätten damals Frauen Schilder „Horst, ich will ein Kind von Dir“ hochgehalten, und der Gattin des Bundespräsidenten zurief: „Sie kennen das ja, Frau Köhler“, warf sich das Publikum minutenlang weg, als sei das der erste gute Witz des Abends. Ach ja: Es war der erste gute Witz des Abends.

Als der Komiker Ralf Schmitz als Laudator auf die Bühne kam, schienen größere Teile des Publikums nicht zu wissen, um wen es sich da auf der Bühne überhaupt handelte. Laudator Peter Kloeppel beklagte sich (zu Recht), daß er zum Millionsten Mal mit seinem Landwirtschaftsstudium angekündigt wurde, Preisträgerin Anne Will (ebenso zu Recht), daß Männer es immer noch bemerkenswert finden, daß Frauen etwas können. Als Bundespräsident Horst Köhler auftrat, wirkte es kurz, als wollten ihm die Zuschauer stehende Ovationen spenden, vielleicht aus der Überraschung, offenbar doch wichtig zu sein.

Es war über weite Strecken ein überraschungsfreier Abend: Natürlich wurde für die WM-Präsentation das ZDF-Team um Johannes B. Kerner ausgezeichnet und nicht die traurigen RTL-Versuche oder Waldorf und Statler von der ARD, die aus einem merkwürdigen Wettbewerbsgeist heraus ebenfalls nominiert waren. Viele Höhepunkte des Fernsehjahres scheint es in jüngerer Zeit nicht gegeben zu haben: Matti Geschonnecks jeweils doppelt ausgezeichnete Filme „Die Nachrichten“ (beste Regie und Dagmar Manzel als beste Hauptdarstellerin) und „Silberhochzeit“ (beste Regie und Gisela Schneeberer als beste Nebendarstellerin) liefen schon im vergangenen Oktober und Januar, die Ausstrahlung der herausragenden Bella-Block-Folge „Die Frau des Teppichlegers“ liegt exakt ein Jahr zurück. Vor der Preisverleihung hatte die Jury davor gewarnt, das vergangene Fernsehjahr auf die großen Ereignisse zu reduzieren, und tatsächlich waren die eher die Verlierer des Abends. Das ZDF-Drama „Dresden“ bekam den Preis als bester Fernsehfilm, ging sonst aber leer aus, für „Die Luftbrücke“ wurde nur Ulrich Noethen als bester Nebendarsteller ausgezeichnet; die RTL-„Sturmflut“ war gar nicht erst nominiert worden. Stattdessen jubelte Jan Fedder über die unwahrscheinliche Auszeichnung als Bester Hauptdarsteller in „Der Mann im Strom“.

Ausgezeichnet wurde die feine Patchworkfamilienserie „Türkisch für Anfänger“. Als beste Sitcom setzte sich „Pastewka“ gegen „Stromberg“ durch, als beste Comedy Kurt Krömers Talkshow-Parodie „Bei Krömers“ – in einer traurigen Kategorie, die mit der Ausstrahlung des Live-Programms von Mario Barth aufgefüllt werden mußte. Und obwohl die Jury ohnehin weniger Preise vergab als in den vergangenen Jahren, nahm sich das Fernsehen noch weniger Zeit, die Preisträger in den Kategorien Kamera, Musik, Schnitt und Ausstattung zu würdigen. Kein Ausschnitt wurde gezeigt, nicht einmal die Namen der Produktionen genannt. Immerhin durften die Preisträger der Kategorien Reportage („Und du bist raus“) und Dokumentation („Die Nacht der großen Flut“) noch auf die Bühne und ein paar Sätze sagen, und für ein paar Momente wenigstens erinnerte man sich daran, daß es noch Leute gibt, die mit dem Fernsehen tatsächlich etwas erzählen oder bewegen wollen. Auch Claus Kleber, der für ein ZDF-Spezial zum Nahostkrieg ausgezeichnet wurde, erinnerte daran mit einem bewegten Appell, ein System zu bewahren, das sich Auslandskorrespondenten leisten kann und auch in schlechten Zeiten gut informiert.

Aber was von dem Abend blieb, war das Gefühl einer Branche, die schon von sich selbst gelangweilt ist. Warum soll man der beim Feiern zusehen?

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Wayne Carpendale

In Schleswig-Holstein gibt es Radiosender, in denen über weite Strecken kein Moderator mehr ins Studio kommt, um die Verkehrsmeldungen vorzulesen. Ein Computer setzt Sprachbausteine zu den passenden Sätzen zusammen. Das klingt nicht ganz so schrecklich, wie man denken könnte. Und womöglich gewöhnt man sich irgendwann daran, daß die immer gleichen Situationen zu den immer gleichen Formulierungen führen. Und daß niemand eine ungewöhnliche Verkehrslage dazu nutzt, etwas ungewöhnliches zu sagen.

Bei RTL müssen sie wahnsinnig neidisch sein. Seit Jahren arbeitet der Sender daran, ein Programm zu produzieren, in dem nichts Unvorhergesehenes passiert. Und fördert Nachwuchsmoderatoren, bei denen er sich darauf verlassen kann, daß sie nicht durch eine eigene Persönlichkeit von diesem perfekten Programmerlebnis ablenken, nicht durch Ausstrahlung, Profil oder, Gott bewahre, Spontaneität. Bei Carsten Spengemann konnte man das noch als Fehlgriff interpretieren (der bekam im Nachhinein ja auch mehr Profil, als RTL recht sein konnte). Aber dann kam als Nachfolger der sehr verwechselbare Marco Schreyl. Und nun überbrückt RTL die Zeit, bis endlich ein Fernsehmoderationsroboter entwickelt ist, mit Wayne Carpendale.

Der Sohn des vergleichsweise coolen Howard und „bekannt“ durch Auftritte in Seifenopern, Serien und Bad Segeberg, moderiert in den nächsten Wochen die Promi-Eislauf-Show „Stars Dancing on Ice“. Wayne hat die Vielseitigkeit eines Eierkochers, die Erotik eines Topflappens und die Natürlichkeit von Tuben-Käse. Ungefähr zwei Emotionen kann er als Moderator mit seinen Augenbrauen anknipsen: Bei der einen legt er seine Stirn in Dackelfalten, die Peter Kloeppel neidisch machen könnten, bei der anderen legt er den Kopf nach unten und guckt nach oben durch seine festbetonierte Fönwelle. Wenn er in die Kamera schaut, schaut er exakt bis in die Kamera und nie in die Wohnzimmer der Menschen zuhause. Und wenn er einen Satz sagt oder mit seiner Co-Moderatorin eine kleine Bauerntheaterszene aufführt, die die Autoren sich als Ersatz für echte Dialoge ausgedacht haben, vergißt man nie, daß es aufgeschriebene und auswendig gelernte Texte sind. „Und mein Gott“, sagt er dann sichtlich unbeeindruckt über die Kandidaten, „was haben sie nicht für einen Mut bewiesen.“ Und wenn ein Satz von ihm bliebe, wäre es dieser: „Ich weiß es ist ’ne Floskel. Aber ich mein‘ es wirklich verdammt ernst: Ihr seid alle Gewinner. Oder?“

Ach, nein, eigentlich man darf Wayne nicht prügeln. Das wirklich Furchteinflößende ist ja nicht er, sondern der Gedanke, daß RTL genau diese Art von Moderator gewollt hat.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Constanze Rick

Hätte Miss Piggy eine Rubrik gehabt, in der sie von ihren Begegnungen mit den anderen Reichen und Schönen berichtete, sie hätte sie genau so inszeniert: Sie hätte sich auf dem Designersofa genau so affektiert die Haare hinter die Ohren geklemmt, wichtig telefoniert, sinnierend die Hand an den Mund gelegt, beinahe etwas ins Laptop getippt, aber dann doch wieder zum Handy gegriffen.

Aber das hier ist nicht Miss Piggy, sondern Constanze Rick, langjährige Reporterin des RTL-Starmagazins „Exclusiv“, und die meint das ernst mit den affigen Posen einer „TV-Kolumnistin“. Jedenfalls so halb ernst. Also, auf eine fast unernste Art, mittelernst. So ironisch gebrochen. Irgendwie.

Denn „Prominent!“, die Sendung, die Frau Rick seit kurzem auf Vox machen darf, ist ein Boulevardmagazin der neuen Art. Der Vox-Chef meinte sogar, es sei falsch, dieses Boulevardmagazin ein „Boulevardmagazin“ zu nennen: „Wir wollen über den Boulevard berichten, ohne ihn selbst zu betreten.“ Das geht so: „Prominent!“ berichtet über exakt dieselben nichtigen Ereignisse wie alle anderen, macht sich aber ununterbrochen über deren Nichtigkeit lustig. Das ist sehr anstrengend.

Frau Rick kommentiert nach dem Muster von „Sex and the City“ alles aus dem Off und moduliert ihre Sätze, bis aus jedem Wort amüsierte ironische Distanz kiekst. Sie klingt total erstaunt über das, was die Promis jetzt schon wieder angestellt haben, und gleichzeitig furchtbar abgeklärt, weil man das ja alles schon x-mal gesehen hat.

Hinter der modernen Fassade macht sich bräsigstes Spießertum breit: Seit 30 Jahren lebe und arbeite Wolfang Joop mit einem Mann zusammen, berichtet „Prominent!“ und staunt: Seine 90-jährige Mutter, „die hat sich mit allem arrangiert. Respekt! Ganz schön fortschrittlich, die alte Dame.“ Ja, wow. Weil Alfred Biolek in seiner Biographie auch sein Schwulsein erwähnt, packt „Prominent“ ihn in eine Schublade mit Desirée Nick, unterstellt ihm „Primitivität“, mit der er ein „ordentliches Zubrot“ verdienen wolle, fantasiert „Geschichten aus seinem Sexualleben“, fragt ihn, ob sich „Peinliches“ besser verkauft und faßt es nicht, daß er keine weiteren Dinge über sein Privatleben preisgeben will. „Nix privates?“, fragt Frau Rick pikiert aus dem Off, wo es in Bios Buch doch auch um etwas „sehr Intimes“ gehe, nämlich seine Homosexualität?

Biolek hat den Boulevard immer als eine Prachtstraße und etwas sehr Großstädtisches interpretiert. Kein Wunder, daß Frau Rick ihn nicht betreten will.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Leser-Reporter

Es war eine dieser üblichen Oktoberfest-Reportagen, vorige Woche auf Vox. Ein Team von „Stern TV“ begleitet Polizisten bei der Arbeit: mit aggressiven Besoffenen, lustigen Besoffenen, halbkomatösen Besoffenen. Plötzlich – ein paar Beamte versuchen gerade, eine Schnapsleiche im Gras aufzuwecken – kommt Aufregung in die Gruppe. Ein Tourist, der ein paar Meter weiter steht, will die Szene mit seinem Kamerahandy festhalten. Ein Polizist brüllt ihn an: „Hey, so lustig ist das hier nicht, daß du das fotografieren mußt!“ Mit ein paar Kollegen geht er rüber und stellt den Mann nachdrücklich zur Rede. Und das Fernsehteam hört kurz auf, Bilder von den Polizisten und der Schnapsleiche zu machen, und macht stattdessen Bilder von dem Mann, der es doch tatsächlich gewagt hat, Bilder von den Polizisten und der Schnapsleiche zu machen.

Der Mann war zu eingeschüchtert, um mit den Polizisten zu streiten. Aber die Diskussion wäre interessant gewesen, in der die Beamten ihm erklären, warum es akzeptabel ist, wenn ein Kamerateam die Szene filmt, um sie als Füllstoff zwischen zwei Werbeblöcken einem Millionenpublikum vorzuführen, aber inakzeptabel, wenn einer sie als hübsche Urlaubserinnerung für sich aufnimmt. Aber vielleicht hätte er das Filmchen ja nicht nur ein paar Freunden gezeigt, sondern ins Internet gestellt. Oder es an „Bild“, den „Stern“ oder sonstwen verkauft und versucht, damit ein paar Euro zu verdienen. Hätte das die Sache schlimmer gemacht? Besser?

Daß heute jeder, der mit einem modernen Mobiltelefon aus dem Haus geht, Aufnahmen wie die Profis machen kann, heißt anscheinend noch lange nicht, daß er es auch darf.

Der Grenzverlauf zwischen guten Fotografen und bösen Fotografen, erwünschten und unerwünschten Fotos wird gerade neu verhandelt. Und einige Leute, die jahrelang die Schmuddelkinder der Branche waren, finden sich im anderen Lager wieder: Als das NDR-Medienmagazin „Zapp“ jetzt über das Problem der zunehmenden Zahl von „Leser-Reportern“ berichtete, diente als Kronzeuge auch ein Mann, der seit Jahren davon lebt, den Polizeifunk abzuhören, schnell zu den Unfallstellen zu fahren und vor Ort zu drehen, bevor die Feuer gelöscht und die Verletzten weggetragen sind, damit sich die Aufnahmen gut an die Medien verkaufen lassen. Er beklagte sich unter anderem, daß die Hilfskräfte inzwischen häufig selbst die Aufnahmen machen. Und, ja: Der Gedanke, daß der Sanitäter, der da neben einem steht, nicht hilft, sondern fotografiert, ist beunruhigend und abstoßend. Aber müssen wir wirklich Mitleid haben mit dem Berufsstand der Katastrophenfotografen, wenn die darunter leiden, daß bald immer schon ein Amateur vor ihnen an der Unfallstelle sein wird? Müssen wir die Leser-Reporter-Schwemme etwa auch deshalb verurteilen, weil sie zweitklassigen Berufs-Paparazzi das Geschäft kaputt machen, die gegen die schiere Allgegenwart von Millionen potentiellen Amateur-Paparazzi nicht ankommen?

Keine Frage: Viele der Sorgen um Anstand und Sorgfalt, um Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte, die sich mit dem Phänomen der Leser-Reporter verbinden, sind berechtigt. Schaulustige und Gaffer können aus ihrem Verhalten nun auch noch Kapital schlagen und sich im Ruhm einer Zeitungsveröffentlichung ihres geilen Unfall-Fotos freuen. Unsere Medienwelt wird noch fixierter auf Bilder und es kümmert sie noch weniger, wie echt sie sind, was sie wirklich zeigen und wie sie entstanden sind.

Aber in der reflexhaften Art, wie die Debatte gerade geführt wird, kommen auch weniger hehre Motive zum Ausdruck. Sie ist auch ein Abwehrkampf von Journalisten, die um ihr Monopol fürchten und Angst haben vor dem massiven Kontrollverlust, wenn Leser sich nicht mehr darauf beschränken, passive Rezipienten zu sein. Natürlich ist die Aufregung der Journalistenverbände verständlich, wenn die „Bild“-Zeitung millionenfach täuschend echt aussehende Presseausweise in Umlauf bringt und aus dem Dokument einen billigen Yps-Gimmick macht. Aber was verteidigen die Verbände genau? Wozu berechtigt der „richtige“ Presseausweis eigentlich? Offiziell heißt es: Er soll die Arbeit von Journalisten „erleichtern“, bei Behörden und „anderen für Informationszwecke wichtigen, aber schwer zugänglichen Orten“. Konkreter wird es nicht. Verbirgt sich hinter der Empörung darüber, daß „Bild“ einfach eine Art wertlose Fälschung dieses Dokumentes in Umlauf bringt, nicht auch die Sorge, jemandem könnte auffallen, daß man mit einem selbstgemalten Presseausweis nicht viel weniger machen kann als mit einem offiziell ausgestellten — außer natürlich, daß man damit keine Super-Journalisten-Rabatte beim Kauf von Autos bekommt? Und warum stehen „richtigen“ Journalisten diese Privilegien noch mal zu?

Das Phänomen der Leser-Reporter geht an das Fundament des journalistischen Selbstverständnisses. In Deutschland darf sich jeder, der will, „Journalist“ nennen. Das ergibt sich aus Artikel 5 des Grundgesetzes, der die freie Meinungsäußerung garantiert. Bislang war das praktisch ohne große Bedeutung. Daß sich Hinz und Kunz „Journalist“ nennen konnten, war egal, solange sie kein Massenmedium als Plattform hatten. Jetzt aber kann jeder mit einfachsten Mitteln im Internet publizieren und ein theoretisch unbegrenztes Publikum haben, und aus der akademischen Frage wird plötzlich eine ganz konkrete. Und die Journalisten versuchen, klare Mauern zu errichten zwischen sich, den „richtigen Journalisten“, und den Bürgern, Leser-Reportern, Bloggern.

Das ist keine leichte Sache. Die „Initiative Qualität im Journalismus“, hinter der unter anderem Verleger- und Journalistenverbände stehen, hat eine Erklärung herausgegeben [pdf], in der sie vor den Gefahren „eines so genannten Bürgerjournalismus“ warnte: Solche Bürgerreporter arbeiteten „ggf.“ ohne „hinreichende Kenntnisse“ etwa über Persönlichkeitsrechte oder ethische Standards journalistischer Arbeit. Wie süß. Wie vielen Profi- Journalisten fehlen diese „hinreichenden Kenntnisse“ auch? Und wie viele von anderen setzen sich trotzdem konsequent darüber hinweg? Der NDR berichtete, daß einige der „Bild“-Leser-Fotos vom Transrapid-Unglück aus einem Hubschrauber aufgenommen wurden, der trotz Überflugverbot aufgestiegen sei. Schlimm, wenn es so war. Aber wenn statt „Bild“-Leser-Reportern nun „Bild“-Profi-Reporter als erstes vor Ort gewesen wären: Jede Wette — sie hätten sich auch einen Teufel um das Flugverbot geschert.

Die Grenze verläuft nicht zwischen professionellen Journalisten und Laien-Reportern. Sie verläuft zwischen Menschen, die ethischen Standards einhalten, und denen, die es nicht tun.

Der Leser-Reporter wird nicht wieder verschwinden. Die Zeiten, in denen nicht-professionelle Augenzeugen bestenfalls als Zitatgeber dienten, sind ein für allemal vorbei. In welcher Form das die Medien verändert, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Die „Bild“-Zeitung, die eine zweistellige Zahl von Redakteuren allein dafür abgestellt hat, sich um die Leser-Fotos zu kümmern, probiert gerade die Möglichkeiten und Grenzen aus. Nicht alles, was nahe liegt, funktioniert. Die Suche nach dem „besten Papst-Foto“, immerhin mit 5000 Euro Honorar für den Sieger ausgelobt, endete ernüchternd: Auf einigen Fotos war der Papst nicht einmal drauf, viele Schnappschüsse, die einem Millionenpublikum vorgeführt wurden, hätten selbst beim Dia-Abend die Nachbarn vergrault. Der Reiz der meisten bestand allein in dem Gefühl des Amateur-Fotografen, dokumentieren zu können, daß er dem Papst so nah kam wie sonst nur Profi-Fotografen. Es gewann ein Foto, das den Papst im Papamobil zeigte, wie er tagelang fast ununterbrochen auch im Bayerischen Rundfunk zu sehen war, nur weniger gut ausgeleuchtet. Herzlichen Glückwunsch.

Bei Bild.de, das die Leser-Fotos wie zum Beispiel auch das Mischmagazin „Max“ ohne Honorar veröffentlicht, kann man mit den Bildern neuerdings Memory spielen. Auch eine schöne Idee. Aktuell ruft „Bild“ dazu auf, Steuer-Verschwendungen in der Nachbarschaft zu dokumentieren. Ein wiederkehrendes Motiv in den „Bild“-Leser-Fotos ist der sich scheinbar nicht ans Gesetz haltende Polizist, der ohne Helm fährt oder im Halteverbot parkt. Der Gedanke liegt nahe, die Leser gezielt auf solche Themen anzusetzen: Zeigt uns, wie verlottert unsere Polizei ist! Wer hat das eindrucksvollste Foto, das die Doppelmoral von Politikern zeigt? Enttarnt den Promi XY beim Fremdgehen!

Der Einsatz von Leser-Reportern an sich ist weder gut noch schlecht. Ein Medium, das sich ernsthaft um die Anliegen seiner Leser kümmern will, kann so den echten Sorgen der Menschen noch näher kommen. Und ein Medium, das sich um Persönlichkeitsrechte noch nie geschert hat, kann sie so noch umfassender verletzen. Und wenn dieses Medium über elf Millionen Leser hat, darf man natürlich zurecht fragen, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, die nur noch aus Schaulustigen, Spannern und Spitzeln besteht. In der jeder Prominente rund um die Uhr überwacht wird. Und in der auch jeder Nicht-Prominente, der etwas tut, was seinem Nachbarn nicht gefällt, damit rechnen muß, sein Foto in der Zeitung wiederzufinden — wie der Mann, den „Bild“ zeigte und verurteilte, weil er seinen Hund mit einem Hochdruckreiniger abduschte.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Kerner

Wenn Johannes B. Kerner morgen bekannt gäbe, daß er gerne alten Frauen die Luft aus den Reifen ihrer Rollstühle läßt, müßte das ZDF natürlich reagieren. Die Sendeanstalt würde eine Krisensitzung einberufen und zum äußersten gehen: Sie würde öffentlich erkären, daß Kerner dieses Hobby nie im Beisein des Intendanten gepflegt habe und sich in Zukunft solche Aktivitäten vom Sender genehmigen lassen müsse. Und wenn Kerner später noch einmal auf den Vorgang zurückkäme und sagte, beim ZDF arbeiteten außer ihm doch eh nur kinderfressende Zombies, würde der Sender auf Nachfrage entspannt erwidern: Das träfe nach ZDF-Recherchen zwar nicht zu, aber natürlich könnte der Herr Kerner seine eigene Meinung…

Das ZDF ist inzwischen in einem Maße von Kerner abhängig, daß nichts (in Worten: nichts) vorstellbar ist, was den Sender zu einer Maßregelung seines Alles-Moderators veranlassen könnte oder gar zu einer Trennung. Das Gefühl, unkündbar zu sein, verändert die Menschen, und jemanden wie Kerner, der schon vorher nicht an Selbstzweifeln litt, läßt es in immer neue, ungeahnte Sphären der Selbstüberschätzung, Blasiertheit und Arroganz entschweben. Der „Zeit“ hat er in dieser Woche ein atemberaubendes Interview gegeben. Thema war seine umstrittene Werbung für den Air-Berlin-Börsengang, und seine Aussagen lassen sich ungefähr so zusammenfassen: Er hat nichts falsch gemacht, nein: nichts, er verbittet sich die Frage, er verbittet sich die Unterstellung, er wird darauf nicht antworten, oh nein, er verdankt dem ZDF nichts, das ZDF verdankt ihm alles, überhaupt: ein bißchen Dankbarkeit hätte er schon erwartet, ich bin wirklich niemandem Rechenschaft schuldig, ihr Arschlöcher.

Der Moderator, der schon vor Jahren in einem Interview aus den Unsummen Geld, die er verdient, den Schluß zog: “Ich habe alles richtig gemacht”, findet an keiner Stelle einen Fehler bei sich, und sei er noch so klitzeklein. Kerner macht keine Fehler. Wenn er trotzdem kritisiert wird, sucht (und findet) er die Ursache dafür allein bei den Kritikern, ihrem Neid, ihrer Jagdlust auf den “netten Herrn Kerner” (er sagt das wirklich). Es gibt ein altmodisches Wort für das, was dem netten Herrn Kerner vor allem fehlt, und das er offenbar nicht einmal mehr glaubt, vorgeben zu müssen: Demut.

Das Interview ist, wie so vieles an Kerner, eines öffentlich-rechtlichen Fernsehmoderators unwürdig. Ein Sender, der sich das gefallen läßt, hat jede Selbstachtung verloren.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Stephanie

Ich wollte eine Kritik über die „Johannes B. Kerner“-Show vom Donnerstag schreiben, in der er mit der 14-jährigen Stephanie sprach, die fünf Wochen in der Gewalt eines Sexualtäters war. Aber das verbietet sich. Diese Sendung war nicht für mich gemacht oder für die anderen Zuschauer. Anscheinend war sie überhaupt auch eigentlich keine Fernsehsendung. Sie war Teil der Therapie des mißbrauchten Mädchens. Und damit es da gar keine Mißverständnisse geben konnte, bestand die Sendung zu einem wesentlichen Teil daraus, genau dies ununterbrochen zu betonen. „Stephanie will zeigen, daß der Täter sie nicht gebrochen hat“, sagte Kerner zur Einführung. Er fragte die Mutter, „warum ist es jetzt wichtig für Ihre Tochter, daß Sie sich selbst zur Wort melden kann“, und sie antwortete: „Wir wollen zeigen, daß Stephanie nicht gebrochen ist“. Stephanie wiederholte das. Stephanies Psychologin bestätigte das. Stephanies Vater sagte, das Fernseh-Interview mit Kerner sei ein „Bestandteil der Therapie oder zur Genesung“. Stephanies Anwalt sagte, ihre öffentlichen Auftritte seien wichtig, „damit sie therapiert wird, damit sie sich selbst therapiert“.

Offenbar stellte die „Johannes B. Kerner“-Show ihre Sendezeit also selbstlos in den Dienst der guten Sache.

Es war, zugegeben, eine der erträglicheren Sendungen Kerners. Weil er sich ganz im Hintergrund hielt und auf die Rolle des Stichwortgebers beschränkte. Und weil die Sendung bewußt, wie Kerner sagte, auf alle Beschreibungen der unbeschreiblichen sexuellen Übergriffe verzichtete (die standen ja auch schon in unerträglicher Liebe zum Detail in der Schwesterzeitschrift von „JBK“, dem „Spiegel“).

Nein: Als Fernsehkritiker steht mir da kein Urteil zu. Was weiß denn ich, wie gut es für Stephanie war, ihre Geschichte vor Millionen Menschen zu erzählen? Und natürlich ist es ein schön, wenn Journalisten (und Showmaster wie Kerner) für ihre Arbeit plötzlich das Kriterium entdecken, ob das, was sie tun, auch gut ist für die Betroffenen.

Aber dieser schale Geschmack im Mund will einfach nicht weggehen. Wie praktisch für die Medien dieser Welt, wenn sich das rumspricht unter den Stephanies und Nataschas dieser Welt: Daß die beste Therapie für sie ist, wenn sie den Medien genau das geben, was die von ihnen haben wollen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung