Paris Hilton hat einem neuen journalistischen Genre zum Durchbruch verholfen — dem Bericht, der sich von sich selbst distanziert.
· · ·
Man kann es verstehen, dass die Leute vom RTL-Mittagsmagazin „Punkt 12“ genervt sind von Paris Hilton. Am Freitag drängte sie sich schon wieder in die Sendung. Ausführlich musste sich das Magazin den neuesten Entwicklungen widmen – und schon wieder Sendezeit für wichtigere Themen opfern. Dem Beweis zum Beispiel, dass auch eingefleischte Rockträgerinnen in diesem Sommer gerne mal Hosen tragen, der mit drei Probandinnen bestimmt überzeugender gewesen wäre als mit zweien. Ohne Paris Hilton hätte „Punkt 12“ sicher auch noch gründlicher auf Britney Spears eingehen können, die irgendeinen Streit mit ihrer Mutter hat und ausgerechnet die Paparazzi fragen musste, wo sie sich gerade aufhält, damit sie ihr einen Zettel geben konnte, von dem manche vermuten, es sei eine richterliche Anordnung, was man aber auf den unscharfen Aufnahmen nicht gut erkennen konnte, und „Punkt 12“ hatte – wegen Paris Hilton! – nur Zeit, sie drei- oder viermal zu zeigen.
Kein Wunder also, dass Beiträge über Paris Hilton bei „Punkt 12“ schon mal ein bisschen bösartig ausfallen – fast widerwillig sogar, sich des lästigen Themas überhaupt annehmen zu müssen.
Und es sind ja nicht nur die Magazinleute von RTL. Paris Hilton hat einem neuen journalistischen Genre zum Durchbruch verholfen: Dem Bericht, der sich von sich selbst distanziert. Ungefähr kein Medium auf der Welt hat darauf verzichtet, über ihren Auftritt bei Larry King zu berichten. Fast alle verbanden ihre Berichte mit der Empörung, dass nun alle Welt über diesen Auftritt berichtet. Die Berichterstattung ist ein Hochfest der Bigotterie.
„Paris Hilton und kein Ende“, stöhnte Spiegel Online gleich am Anfang eines Artikels über das Interview, suggerierte mehrmals die eigene Müdigkeit mit dem Thema, um dann in erstaunlicher Länge jedes Detail des angeblich so unergiebigen Gesprächs zu referieren. Zum Schluss behauptete Korrespondent Marc Pitzke noch, dass „inzwischen ja selbst die US-Klatschpresse langsam die Nase voll hat von der Saga“, was erstens lustig ist, da das für Spiegel Online offensichtlich ja noch nicht gilt – und zweitens falsch. Pitzke ist auf den PR-Gag der Zeitschrift „Us Weekly“ hereingefallen, die damit warb, die aktuelle Ausgabe sei „100 Prozent Hilton-frei“. In Wahrheit hatte das vor allem damit zu tun, dass die Konkurrenz „People“ Hilton exklusiv hatte. Während die gedruckte „Us Weekly“ mit ihrem Hilton-Boykott warb, lockte ihre Homepage mit nicht weniger als fünf Artikeln zum Thema.
Ähnlich überzeugend war es, als Moderator Sean Hannity seine Fox-News-Talkshow zur „Paris-freien Zone“ erklärte – mitsamt passendem Verbotsschild. Schöne Idee, hätte nicht Fox News den Namen Paris Hilton im Juni über 4000 Mal erwähnt und es mit gewaltigem Vorsprung zum Hilton-lastigsten Nachrichtenkanal in den Vereinigten Staaten gebracht.
Bei der Konkurrenz von MSNBC beklagte sich eine Frühstücksfernseh-Moderatorin unterdessen, dass es ein Skandal sei, die Nachrichten mit der Paris-Hilton-Geschichte aufzumachen, versuchte in einem dramatischen Akt des Protests das Manuskript zum Thema zu verbrennen und schredderte es dann. Und während sie noch mit ihren Kollegen zu streiten schien, liefen die Aufnahmen von Hiltons Entlassung aus dem Gefängnis.
Die Medien machen sich abwechselnd und sogar gleichzeitig zum führenden Paris-Hilton-Sender und zum letzten Ort des Widerstandes, und sie fühlen sich dabei auch noch moralisch überlegen.
Aus den lieblos zusammengeklöppelten Filmchen, die die Onlinemedien neuerdings auf ihre Seiten stellen, sickert plötzlich Ironie und Überheblichkeit. Bei Spiegel-TV sind die Bilder, wie Hilton das Gefängnis verlässt und an einer unfassbaren Zahl von Kameras vorbei geht, mit den Worten unterlegt: „Die 23jährige wirkt etwas müde, aber es reicht noch für eine Extra-Einlage vor den Fotografen. Das Starlet hat während seiner Haftzeit offensichtlich nichts verlernt.“ Was ist das für ein Unfug! „Selbst kurz vor ihrem Haftantritt feierte das selbst-ernannte It-Girl noch einmal eine Party.“ Frau Hilton hat sich selbst zum It-Girl ernannt? Und wie lang hätte die Ausgangssperre vor dem Haftantritt sein müssen, um vor den strengen Ausgaben der klickgeilen Spiegel-TV-Leute bestehen zu können? „Fest steht“, schließt der Beitrag, „Hiltons Knast-Story lässt sich exzellent vermarkten.“ Aber ja. Und keiner weiß das besser als das Internetangebot des „Spiegel“, das im vergangenen Monat 28 Artikel zum Thema Paris Hilton veröffentlicht hat.
Für die bemitleidenswerten Boulevardhandwerker im Fernsehen, die sonst ihre Tage damit fristen, „Bild“-Geschichten zu verfilmen und willige Vollstrecker von PR- und Werbestrategen zu sein, scheint das Thema Paris Hilton eine seltene Gelegenheit zu sein, sich einmal als richtige Journalisten zu fühlen. Einmal, ein einziges Mal Distanz beweisen und nicht nur das neue Video, die angebliche Liebe, das teure Produkt von irgendwem bejubeln. Voller Empörung prangert „Punkt 12“ an, dass Hilton bei Larry King gelogen habe, als sie sagte, sie nehme keine Drogen. „Paris beim Kiffen — gleich nach den ‚V.I.P-News'“, sagt Moderatorin Katja Burkard. „Gut geheuchelt, Paris“, heißt es dann im Beitrag selbst. Und, als gehe es hier um die Zukunft der Welt: „Paris, die Lügnerin“.
Selbst die Imitation von Journalimus, die Katja Burkard und ihr Team versuchen, misslingt ihnen. „Zugegeben“, heißt es im RTL-Beitrag , „diese Privatvideos sind zwei Jahre alt, aber erst heute im Internet aufgetaucht.“ Keineswegs. Die Videos sind lange schon öffentlich — selbst auf der Seite, von der RTL sie hat. (Bei „taff“ auf ProSieben wird später eine als „Lady“ angekündigte Frau namens Kader Loth den Auftritt Paris Hiltons kritisch kommentieren — jede Wette: Die ProSieben-Leute haben nicht einmal die Ironie erkannt.)
In der Berichterstattung über die Berichterstattung über Paris Hilton schwingt immer der Vorwurf mit, sie missbrauche die Medien. Längst ist das Gegenteil der Fall: Die Medien missbrauchen Paris Hilton. Und längst nicht mehr nur für gute Quoten und Klickzahlen, das wäre ja ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Durch die Häme, den Hass, die pseudo-journalistische Haltung, die die Medien gegenüber Paris Hilton einnehmen, lenken sie ab von ihrem eigenen Versagen. Davon, dass es sie bei keinem anderen Sternchen und Model, bei keiner anderen Möchtegernberühmtheit stört, dass sie nichts kann außer nett auszusehen und berühmt zu sein. Davon, dass ihnen die Prioritäten, ein auch nur vages Gefühl dafür, was relevant ist und was nicht, längst grundsätzlich verrutscht sind.
Und sie merken nicht einmal, wie lächerlich und verlogen sie sind, wenn sich an Paris Hilton abarbeiten.
(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung