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Oliver Pocher

Guckt mal, wie er sich freut! Da vergluckst er wieder die halbe Pointe, weil er so sensationell lustig findet, was er gleich sagen wird. In seinem Bühnenprogramm wirft ihn sein eigenes Gekicher regelmäßig aus der Rolle, die er gerade spielt. Und als er bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises auf der Bühne steht und alle im Saal abwatscht, die abgewatscht gehören, müssen sich die guten bösen Worte mühsam einen Weg durch eine Art Schluckauf aus Aufregung und Begeisterung bahnen.

Das ist erstmal eine feine Sache, wenn jemandem die eigene Arbeit offenkundig so viel Vergnügen bereitet wie Oliver Pocher. Man sieht das nicht so oft, gerade im Fernsehen. Und es ist der größtmögliche Gegensatz zur ausgestellten Langeweile Harald Schmidt, mit dem sich Pocher von Ende Oktober an eine Show teilen darf.

Nur manchmal scheint es, als sei es gar nicht die eigene Lustigkeit, die Pocher so begeistert, sondern, im Gegenteil: Das Wissen, wie unwahrscheinlich das ist, dass er nur ein bisschen den Kasper machen muss, mit durchaus begrenzten Mitteln, beschränktem Repertoire und Unerschrockenheit als vielleicht größtem Talent, und Tausende zahlen Geld, um sich das live anzusehen, und Millionen schalten den Fernseher ein. Er steht dann da auf der Bühne wie ein Zwölfjähriger, der sich einfach aus dem Publikum aufs Podest geschlichen hat und nun wild entschlossen ist, so lange seine im Kinderzimmer und bei Klassenpartys geprobten und irgendwie von Otto Waalkes abgeguckten Witze zu erzählen, bis der eigentliche Künstler kommt, die Wachmänner oder seine Eltern – und erstaunt feststellt, dass das Publikum nicht buht, sondern sich wegwirft vor Lachen.

Ich kann es nicht glauben, scheint Pochers Dauerlachen dann zu sagen, dass das reicht: Diese Husten-Sie-mal-Musterungswitze, diese Geschichte, dass Mainzelmännchen wohl Ecstasy nehmen, sonst würden sie einem nicht so „GudnAaahmt“ entgegen schleudern, dieser Kalauer, dass der D-Day wohl ein eigener Feiertag für Detlef „D“ Soost sein muss. Man sieht es Pocher in jeder Sekunde an, was für eine außerordentliche Erfahrung es ist, vor einem solchen Publikum zu stehen und tun zu können, was man will, und manchmal treibt ihn diese Energie sogar in einer Weise an, dass gute Unterhaltung daraus wird.

Und selbst das merkwürdig pubertäre Dauergegluckse hat sein Gutes: Weil Pocher die ganze Zeit selber über sich lacht, braucht er keinen Manuel Andrack, der es für ihn tut.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Der kleine blaue Elefant

Für den kleinen blauen Elefanten spricht ja auch, dass er nie Gast bei Reinhold Beckmann war. Fast dreißig Jahre Fernsehkarriere und keine Auftritte in Kochshows, keine Homestories, keine Skandale, kein Fremdgerüssel. Nur freundlich-professionelles Trampeln, Schnaufen, Trompeten, sonntags in der „Sendung mit der Maus“. Dabei wüsste man jetzt, wo er seine eigene Show bekommt, natürlich schon gerne mehr über die Hintergründe: War es ihm dann doch irgendwann zuviel, dieses ewige Augengeklimpere? Hat er es nicht mehr ertragen, wie die Maus sich immer ihren Schwanz abstöpseln konnte, um jedes Problem zu lösen? Hat sie sich geweigert, den Namen auf „Die Sendung mit der Maus und dem Elefanten“ zu erweitern, und der Elefant damit gedroht, das lukrative Angebot anzunehmen, bei den Privaten eine Castingshow zu moderieren, nicht ohne vorher exklusiv in der „Bunten“ über die erschütternden Arbeitsbedingungen im WDR-Kinderprogramm auszupacken? Oder war schon das Engagement der gelben Ente der Anfang vom Ende?

Jetzt jedenfalls tritt der kleine blaue Elefant aus der zweiten Reihe und trompetet ab morgen durch seine eigene Sendung, täglich zweimal im Ki.Ka. Sie richtet sich an Zwei- bis Fünfjährige, hat junge schlanke flippige Menschen statt Armin und Christoph und sogar 16:9. Aber sie ist dem Prinzip der Lach- und Sachgeschichten treu geblieben und schafft es auf wunderbare Weise, sichtlich auf ein Vorschulpublikum zu zielen und trotzdem auch für Erwachsene unterhaltsam, charmant und witzig zu sein.

Und auch wenn Friedrich Streich, der Maus und Elefant erfunden hat, einiges an den neuen Animationen nicht behagt: Auch das rosa Kaninchen, der neue Begleiter des blauen Elefanten, mit dem Streich nichts zu tun hat, ist kein Fremdkörper, sondern ein sympathischer Springinsfeld, der beim Denken nett die Ohren verknotet.

Es ist ein gelungener, sehr behutsam modernisierter Ableger, die Kinder singen „Die Welt ist elefantastisch“, und wenn dem kleinen Blauen der plötzliche Ruhm nicht zu Kopf steigt, ist es ihm zu gönnen, endlich aus dem Schatten der Maus zu treten.

Aber nicht dass Manuel Andrack und Gundula Gause jetzt auf dumme Gedanken kommen!

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Tim Mälzer

Ich mag Tim Mälzer. Ich mag, wie er ein großer Junge geblieben zu sein scheint, für den die Medienöffentlichkeit und eine große Bühne eigentlich kein natürlicher Lebensraum ist. Ich mag seine schnoddrige Art, die nicht routiniert und kalkuliert wirkt wie bei Oliver Geißen. Ich mag, wie er sich immer noch in den Routinefloskeln des Fernsehens verheddert, wenn er zum Beispiel nicht weiß, ob er sich herzlich für den Beifall oder für den herzlichen Beifall bedanken soll und dann im Zweifel beides tut. Und aus unerfindlichen Gründen mag ich auch, dass er zwar irgendwie ein großer Koch ist, ihm aber nie mehr als sechs der sieben Standard-Kräuter einer Frankfurter Grünen Soße gleichzeitig einfallen und ihm die genaue Silbenfolge des Wortes „Pimpinelle“ nicht eingängig ist.

Man müsste Tim Mälzer nur irgendwo hinstellen und kochen und quasseln lassen, und es wäre ein Vergnügen zuzusehen. Aber das macht er ja nun auch schon seit ein paar Jahren erfolgreich, und deshalb hat er seit dieser Woche eine große Abendshow auf Vox, die sich nicht mehr auf seine natürlichen Talente verlässt, sondern wirkt, als hätten ihre Entwickler dauernd gezweifelt, ob das schon reicht, und immer neue Elemente in die Show gepropft. Deshalb kocht Mälzer nicht nur, sondern lässt auch zwei Teams gegeneinander antreten, und die kochen auch nicht nur eine Sache, sondern müssen gleichzeitig für eine andere Sache noch Kartoffeln schälen und Gemüse schnippeln und reden und Quizfragen beantworten, die aber nicht Mälzer stellt, sondern ein anderer Moderator, der aber auch nicht der Experte ist, das ist ein Wissenschaftler, der aber auch nicht der einzige bleibt, es kommt später noch ein Professor, und dass Mälzer dessen Namen vergessen hat, ist auch kein Wunder; man hätte es ihm in dem Durcheinander sogar verziehen, den ganzen Professor vergessen zu haben. „Born to cook“ ist eine Sendung, in der zu keinem Zeitpunkt weniger als vier Sachen gleichzeitig passieren, und die Putzfrauen sind nicht zu beneiden, die hinterher nicht nur die Lebensmittelreste, sondern auch die ganzen abgerissenen Satzfetzen, verkochten Gedankengänge und verlorenen Gesprächsfäden aus der Halle kehren müssen.

Man sieht der Show an, dass sie von Johannes B. Kerner produziert wird, in dessen erfolgreicher freitägliche Kochsendung im ZDF fünf Köche parallel fünf Gerichte kochen, mit all dem Gewusel, Durcheinander und Missverstehen, das daraus folgen muss. Sie folgt dem gleichen Prinzip der Reizüberflutung, der systematischen Überforderung durch Multitasking und dem Credo „mehr ist mehr“. Mit etwas Pech wird das ein Trend.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Andrea Ballschuh

Es fehlen einem dann doch die Kategorien, um Qualitäten in diesem speziellen Beruf bewerten zu können. Natürlich ist es eine Form von Arbeitsverweigerung, eine Sendung „Zauberwelt der Berge“ mit dem Satz zu beginnen: „Den besten Blick hat man einfach immer von oben.“ Und natürlich müsste die Überleitungspolizei einschreiten, wenn die Moderatorin sagt, die „Klostertaler“ würden perfekt ins Salzkammergut passen, weil ihre Karriere nur einen Weg kenne: „steil nach oben – sie sind also richtige Gipfelstürmer“. Aber beim Abspann stellt sich dann heraus, dass die Texte gar nicht von ihr waren, und man weiß nicht, ob das für oder gegen sie spricht.

Das wichtigste für jemanden, der volkstümliche Musik im Fernsehen präsentiert, muss diese Teflonhaftigkeit sein: dieses Lächeln, das immer auf das gleiche Maß an interesseloser Zustimmung eingestellt ist, egal, auf was es sich bezieht, und seien es Nacktschnecken oder gar Brunner & Brunner. Die 35-jährige Andrea Ballschuh macht das schon so glatt wie einst Caroline Reiber, und das Kunststück ist, dass sie dabei jünger, frischer und moderner aussieht, ohne die Zuschauer durch Jugendlichkeit, Frische und Moderne zu verschrecken.

Man muss diese Show übrigens nicht kennen, auch wenn man gerade den Eindruck bekommen konnte, so wie ihre geplante Verlegung plötzlich ein Beleg für die angeblich seniorenfeindliche Entsorgung von Plastikmusikshows aus dem ZDF-Programm wurde. Die „Zauberwelt der Berge“ war in den vergangenen fünf Jahren exakt zweimal zu sehen. Anders als Frau Ballschuh, die sich sonst im ZDF-Vormittagsprogramm einen Wolf moderiert und im MDR ein Quiz hat. Im Osten scheint sie ein „Superstar“ zu sein, jedenfalls nennt die „Super-Illu“ sie so und verfolgt jede berufliche und private Wendung mit größter Anteilnahme und Sympathie.

Zum Konzept der Show gehört, dass Andrea Ballschuh auch Einheimische… nein, „kennenlernt“ wäre falsch. Trifft. Sicherheitshalber gibt man ihr während des, nun ja: Gesprächs aber immer etwas anderes zu tun, lässt sie töpfern mit dem Töpfer, die Krähen füttern mit der Krähen-Aufzieherin, reiten mit dem Wildparkbesitzer. Am schönsten war diese Woche nicht einmal, als eine der Krähen sie nachhaltig, mehrmals und offenkundig leidenschaftlich in den Finger biss. Sondern wie sie und der Wildparkmensch noch mehrere Sekunden noch durchs Bild ritten, aber ihr Gesprächstext schon zuende war: Da sah man allen Beteiligten (die Pferde inklusive) an, dass hier keiner die Landschaft, die Stille oder die Gesellschaft genoß, sondern alle die Sekunden zählten, bis jemand „Schnitt“ rufen würde. Es war eine Szene von frappierender Leere und vielleicht der einzig wahre Moment in der ganzen Show.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Sebastian Kamps

Wenn man einem jungen Paar wie der Fernsehmoderatorin Gülcan Karahanci und dem Bäckersohn Sebastian Kamps Woche für Woche auf ProSieben bei den Heiratsvorbereitungen zuschaut, fragt man sich ja spätestens beim dritten Streit der beiden, was sie wohl aneinander finden. Im Fall von Gülcan liegt die Antwort auf der Hand: Sie hat jemanden gefunden, der nicht mehr sagt, als in die Atempausen ihres Redeschwalls passt. Die Auswahl muss überschaubar gewesen sein.

Aber was findet der Mann an ihr? Sebastian Kamps ist ein wohlhabender 24-jähriger Mann, der sich exakt eines vom Leben wünscht: Ruhe. Er wirkt abwechselnd sediert und griesgrämig, letzteres immer dann, wenn er dazu gezwungen wird, etwas zu tun, was er nicht tun will, also etwas anderes, als auf dem Sofa zu sitzen. Dauernd ist aber auch irgendwas: Mal soll er einkaufen, mal reden, mal heiraten, mal sich um die schlimmen Wasserflecken an der Decke kümmern. Als seine zukünftige Frau die entdeckt, hüpft sie aufgeregt wie ein Flummi durch die Wohnung. Und Kamps tut, was er ungefähr immer tut in Krisensituationen, die schnelles Handeln erfordern: Er setzt sich aufs Sofa, macht den Fernseher an und wartet, dass sich jemand anderes drum kümmert.

Man muss ihn bewundern für sein Talent, den neben ihm weiterhüpfenden Flummi zu ignorieren, und wenn es gar nicht mehr geht, sagt er: „Lackier dir die Nägel“, nimmt die Autoschlüssel und geht. Vielleicht ist das auch gar kein Talent, sondern ein Defekt; ihm fehlen einfach ein paar Sensoren, was den Umgang nicht nur mit Gülcan, sondern auch den Herausforderungen des Lebens überhaupt erleichtert. Warum sich von der Frau ein paar Stunden durch die nervigen Gassen von irgendwo in der Türkei schieben lassen, um ein passendes Geburtstagsgeschenk für den Schwiegervater zu suchen? „Wir holen ihm ’ne Stange Zigaretten.“

Seine Mutter sagt, das komme von seinem Opa, „dieses Langatmige, das Brummige, das Nicht-so-Flexible hat er geerbt, da kann er auch nichts dran machen.“ Die Stellen, an denen bei anderen Männern vereinzelte Höflichkeits- und Romantik-Gene sitzen, sind bei Sebastian Kamps vollständig von Sofasitz- und Autosgeilfind-Genen belegt. Gülcans Schwester nennt er wegen ihrer Figur eine „Dampfwalze“, wenn Gülcan stöhnt: „Mir ist schlecht“, sagt er: „Kotz da raus“, und als sie nochmal von ihm hören will, was ihre Lieblingsblumen sind für den Brautstrauß (richtige Antwort: Orchideen), antwortet er: Rosetten.

Unter normalen Umständen würde man diesen Kerl unausstehlich finden. Aber neben der hyperaktiven, dauerschwätzenden und allestollfindenden Gülcan wirkt der Schweiger und Nichtmitmacher Sebastian Kamps sensationell sympathisch. Und vielleicht ist das ja die Antwort auf die Frage, warum er mit ihr zusammen ist.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Monika Piel

Bestimmt gibt es einen Grund, warum die WDR-Intendantin Monika Piel den „Presseclub“ moderiert und nicht jemand, der sowas kann.

Schön wäre zum Beispiel jemand, der es schaffte, bei der Begrüßung von vier Journalisten die Namen von mehr als zwei Zeitungen richtig auszusprechen. Aber das wäre sogar optional, wenn es nur jemand wäre, der wüsste, wer diese Menschen überhaupt sind, mit denen er oder sie da eine Dreiviertelstunde lang am Sonntagmorgen über Politik redet. Und, in einer idealen Welt, die Zuschauer an diesem Wissen sogar teilhaben ließe.

Also eine Moderatorin, die am vergangenen Sonntag Udo Ulfkotte nicht nur als „Publizisten“ vorgestellt hätte, ohne jeden weiteren Hinweis, was er wo publiziert. Eine Moderatorin, die gewusst und gesagt hätte, dass Ulfkotte, der bis 2003 FAZ-Redakteur war, längst weniger Journalist ist als Politiker, seit einem Monat prominentes Mitglied der rechtspopulistischen Bremer Wählervereinigung „Bürger in Wut“* und bekanntermaßen seit längerer Zeit schon intensiv mit der Gründung einer bundesweiten Anti-Islam-Partei beschäftigt (selbst auf der Homepage zur Sendung fehlt jeder Hinweis darauf). Eine Moderatorin, die es wichtig gefunden hätte, dass die Zuschauer in dieser Diskussion über die Bedrohung durch Terroristen wissen, wie Ulfkotte zum Islam steht, über dessen Möglichkeit zur „Läuterung“ er laut „Tagesspiegel“ gesagt hat: „Der Dialog wird immer als Hoffnung dargestellt, aber es wird ihn nicht geben.“ Eine Moderatorin, die jede Diskussion über Ulfkottes durchaus radikale Positionen, seine mangelnde Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus und seine Rhetorik auch in der Sendung von „den Moslems“ auf der einen Seite und „uns“ auf der anderen, nicht schon dadurch verhindert hätte, dass sie diese Positionen stellvertretend für Ulfkotte verklärte und entschärfte.

Aber der „Presseclub“ wird ja nicht von so einer Moderatorin geleitet, sondern von Monika Piel. Einer ARD-Journalistin, die unbeschwert die überraschende (und falsche) These in die Runde warf, man dürfe in Deutschland, wenn man das Grundgesetz ändern würde, auch vollbesetzte entführte Linienflugzeuge abschießen lassen, um zu verhindern, dass sie als Waffen missbraucht werden. Die sich zum Dolmetscher und Weichspüler eines Populisten machte, dessen politische Ambitionen sie nicht einmal andeutete. Und die die Diskussion mit verblüffender Logik begann: „Die versuchten Anschläge in London und in Glasgow haben gezeigt, dass (…) es nicht nur die Briten, sondern auch die Deutschen treffen könnte.“

Wenn es nicht so schlimm wäre, könnte man darüber lachen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

*) In der „Sonntagszeitung“ steht „Bürger in Not“ statt „Bürger in Wut“, was mein Fehler war und sehr peinlich ist.

Paris Hilton

Paris Hilton hat einem neuen journalistischen Genre zum Durchbruch verholfen — dem Bericht, der sich von sich selbst distanziert.

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Man kann es verstehen, dass die Leute vom RTL-Mittagsmagazin „Punkt 12“ genervt sind von Paris Hilton. Am Freitag drängte sie sich schon wieder in die Sendung. Ausführlich musste sich das Magazin den neuesten Entwicklungen widmen – und schon wieder Sendezeit für wichtigere Themen opfern. Dem Beweis zum Beispiel, dass auch eingefleischte Rockträgerinnen in diesem Sommer gerne mal Hosen tragen, der mit drei Probandinnen bestimmt überzeugender gewesen wäre als mit zweien. Ohne Paris Hilton hätte „Punkt 12“ sicher auch noch gründlicher auf Britney Spears eingehen können, die irgendeinen Streit mit ihrer Mutter hat und ausgerechnet die Paparazzi fragen musste, wo sie sich gerade aufhält, damit sie ihr einen Zettel geben konnte, von dem manche vermuten, es sei eine richterliche Anordnung, was man aber auf den unscharfen Aufnahmen nicht gut erkennen konnte, und „Punkt 12“ hatte – wegen Paris Hilton! – nur Zeit, sie drei- oder viermal zu zeigen.

Kein Wunder also, dass Beiträge über Paris Hilton bei „Punkt 12“ schon mal ein bisschen bösartig ausfallen – fast widerwillig sogar, sich des lästigen Themas überhaupt annehmen zu müssen.

Und es sind ja nicht nur die Magazinleute von RTL. Paris Hilton hat einem neuen journalistischen Genre zum Durchbruch verholfen: Dem Bericht, der sich von sich selbst distanziert. Ungefähr kein Medium auf der Welt hat darauf verzichtet, über ihren Auftritt bei Larry King zu berichten. Fast alle verbanden ihre Berichte mit der Empörung, dass nun alle Welt über diesen Auftritt berichtet. Die Berichterstattung ist ein Hochfest der Bigotterie.

„Paris Hilton und kein Ende“, stöhnte Spiegel Online gleich am Anfang eines Artikels über das Interview, suggerierte mehrmals die eigene Müdigkeit mit dem Thema, um dann in erstaunlicher Länge jedes Detail des angeblich so unergiebigen Gesprächs zu referieren. Zum Schluss behauptete Korrespondent Marc Pitzke noch, dass „inzwischen ja selbst die US-Klatschpresse langsam die Nase voll hat von der Saga“, was erstens lustig ist, da das für Spiegel Online offensichtlich ja noch nicht gilt – und zweitens falsch. Pitzke ist auf den PR-Gag der Zeitschrift „Us Weekly“ hereingefallen, die damit warb, die aktuelle Ausgabe sei „100 Prozent Hilton-frei“. In Wahrheit hatte das vor allem damit zu tun, dass die Konkurrenz „People“ Hilton exklusiv hatte. Während die gedruckte „Us Weekly“ mit ihrem Hilton-Boykott warb, lockte ihre Homepage mit nicht weniger als fünf Artikeln zum Thema.

Ähnlich überzeugend war es, als Moderator Sean Hannity seine Fox-News-Talkshow zur „Paris-freien Zone“ erklärte – mitsamt passendem Verbotsschild. Schöne Idee, hätte nicht Fox News den Namen Paris Hilton im Juni über 4000 Mal erwähnt und es mit gewaltigem Vorsprung zum Hilton-lastigsten Nachrichtenkanal in den Vereinigten Staaten gebracht.

Bei der Konkurrenz von MSNBC beklagte sich eine Frühstücksfernseh-Moderatorin unterdessen, dass es ein Skandal sei, die Nachrichten mit der Paris-Hilton-Geschichte aufzumachen, versuchte in einem dramatischen Akt des Protests das Manuskript zum Thema zu verbrennen und schredderte es dann. Und während sie noch mit ihren Kollegen zu streiten schien, liefen die Aufnahmen von Hiltons Entlassung aus dem Gefängnis.

Die Medien machen sich abwechselnd und sogar gleichzeitig zum führenden Paris-Hilton-Sender und zum letzten Ort des Widerstandes, und sie fühlen sich dabei auch noch moralisch überlegen.

Aus den lieblos zusammengeklöppelten Filmchen, die die Onlinemedien neuerdings auf ihre Seiten stellen, sickert plötzlich Ironie und Überheblichkeit. Bei Spiegel-TV sind die Bilder, wie Hilton das Gefängnis verlässt und an einer unfassbaren Zahl von Kameras vorbei geht, mit den Worten unterlegt: „Die 23jährige wirkt etwas müde, aber es reicht noch für eine Extra-Einlage vor den Fotografen. Das Starlet hat während seiner Haftzeit offensichtlich nichts verlernt.“ Was ist das für ein Unfug! „Selbst kurz vor ihrem Haftantritt feierte das selbst-ernannte It-Girl noch einmal eine Party.“ Frau Hilton hat sich selbst zum It-Girl ernannt? Und wie lang hätte die Ausgangssperre vor dem Haftantritt sein müssen, um vor den strengen Ausgaben der klickgeilen Spiegel-TV-Leute bestehen zu können? „Fest steht“, schließt der Beitrag, „Hiltons Knast-Story lässt sich exzellent vermarkten.“ Aber ja. Und keiner weiß das besser als das Internetangebot des „Spiegel“, das im vergangenen Monat 28 Artikel zum Thema Paris Hilton veröffentlicht hat.

Für die bemitleidenswerten Boulevardhandwerker im Fernsehen, die sonst ihre Tage damit fristen, „Bild“-Geschichten zu verfilmen und willige Vollstrecker von PR- und Werbestrategen zu sein, scheint das Thema Paris Hilton eine seltene Gelegenheit zu sein, sich einmal als richtige Journalisten zu fühlen. Einmal, ein einziges Mal Distanz beweisen und nicht nur das neue Video, die angebliche Liebe, das teure Produkt von irgendwem bejubeln. Voller Empörung prangert „Punkt 12“ an, dass Hilton bei Larry King gelogen habe, als sie sagte, sie nehme keine Drogen. „Paris beim Kiffen — gleich nach den ‚V.I.P-News'“, sagt Moderatorin Katja Burkard. „Gut geheuchelt, Paris“, heißt es dann im Beitrag selbst. Und, als gehe es hier um die Zukunft der Welt: „Paris, die Lügnerin“.

Selbst die Imitation von Journalimus, die Katja Burkard und ihr Team versuchen, misslingt ihnen. „Zugegeben“, heißt es im RTL-Beitrag , „diese Privatvideos sind zwei Jahre alt, aber erst heute im Internet aufgetaucht.“ Keineswegs. Die Videos sind lange schon öffentlich — selbst auf der Seite, von der RTL sie hat. (Bei „taff“ auf ProSieben wird später eine als „Lady“ angekündigte Frau namens Kader Loth den Auftritt Paris Hiltons kritisch kommentieren — jede Wette: Die ProSieben-Leute haben nicht einmal die Ironie erkannt.)

In der Berichterstattung über die Berichterstattung über Paris Hilton schwingt immer der Vorwurf mit, sie missbrauche die Medien. Längst ist das Gegenteil der Fall: Die Medien missbrauchen Paris Hilton. Und längst nicht mehr nur für gute Quoten und Klickzahlen, das wäre ja ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Durch die Häme, den Hass, die pseudo-journalistische Haltung, die die Medien gegenüber Paris Hilton einnehmen, lenken sie ab von ihrem eigenen Versagen. Davon, dass es sie bei keinem anderen Sternchen und Model, bei keiner anderen Möchtegernberühmtheit stört, dass sie nichts kann außer nett auszusehen und berühmt zu sein. Davon, dass ihnen die Prioritäten, ein auch nur vages Gefühl dafür, was relevant ist und was nicht, längst grundsätzlich verrutscht sind.

Und sie merken nicht einmal, wie lächerlich und verlogen sie sind, wenn sich an Paris Hilton abarbeiten.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Monica Ivancan

Sie war für RTL die „Bachelorette“ und durfte sich unter den Augen der Öffentlichkeit aus 25 Schönlingen einen Mann aussuchen. Andere Menschen zerbrechen an solchen Erfolgen. Was soll danach noch kommen? Wie kann man noch Ziele haben im Leben, wenn man schon ganz oben ist?

Monica Ivancan wusste, was sie tun musste, um nicht depressiv zu werden vor lauter Glück: Sie teilte es mit anderen. Sie zog sich aus für ein Männermagazin. Und dann für ein anderes Männermagazin. Sie liierte sich mit einem bekannten Komiker und schenkte dadurch „Bild“ Sätze wie: „An ihr darf nur der Oli pochern.“ Und nun hilft sie anderen Menschen, die nicht schön genug sind, um so erfolgreich zu sein wie sie, und zeigt ihnen, dass es auch für sie Hoffnung gibt: Wenn sie es irgendwie schaffen, ein bisschen weniger scheiße auszusehen. Nebenbei zeigt sie freundlicherweise, dass sie nicht nur gut aussieht, sondern auch eine blöde Kuh ist. Ein Leben für die gute Sache.

Entschuldigung. Es ist schwer, über die ProSieben-Sendung „Das Model und der Freak“ zu schreiben, ohne beleidigend zu werden. Ohne dem dringenden Bedürfnis nachzugeben, alle Beteiligten mit Exkrementen zu bewerfen. Man fühlt sich nach dem Ansehen selbst so schmutzig. Und so hilflos.

Mit unfassbarer Lust und Selbstverständlichkeit macht die Show schwächere Menschen, kontaktscheue, gescheiterte, unsichere Außenseiter verächtlich. Als Menschen kommen die „Freaks“ nicht vor – bis sie den Crashkurs der „Models“ absolviert haben, die mit ihrer hohlen Schönheit zu engelsgleichen Rollenmodellen überhöht werden, die dadurch, dass sie sich überhaupt mit den Freaks abgeben, schon einen Mutter-Theresa-Barmherzigkeitspreis verdient hätten. Aus jeder Szene trieft die Herablassung, die Abscheu. Vor einer Kunstaktion heißt es aus dem Off: „Steckt in dem Arbeitslosen vielleicht ein Kreativer?“ Und: „Freak Ivan soll lernen, seine Hemmungen bei Frauen zu verlieren; Körperlichkeit lässt er nämlich so gut wie nie zu. Das soll Tänzerin Sharon jetzt ändern.“

Die Therapie besteht darin, dass „Tänzerin“ Sharon dem Ivan an ihrem Arbeitsplatz, einer Tabledance-Bar, ausgiebig ihren nackten Hintern ins Gesicht schüttelt.

Und Monica Ivancan holt einen der Männer zu sich in die Umkleidekabine, demonstriert ihm im Detail, woran er ihre Körbchengröße erkennt, und als er später unsicher kichert, weil ihm gesagt wird, er rieche und solle sich die Augenbrauen rasieren, ermahnt sie ihn streng, das sei kein Spaß hier.

Sie hat sich unsere Verachtung redlich verdient.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Ulrich Deppendorf

Man weiß ja nicht, wie das so abläuft, in ARD-Hierarchien. Ob Ulrich Deppendorf, als er vor fünf Wochen wieder Chef der Hauptstadtstudios wurde, gleich am ersten Tag in der Konferenz gesagt hat: Leute, dass eins schon mal klar ist, die Einschätzungen aus Heiligendamm, die mache ich. Oder ob es umgekehrt so war, dass ihm die Leute vorher gesagt haben: Ulli, du hast nur dann eine Chance, wieder Chef des Hauptstadtstudios zu werden, wenn du hier und heute unterschreibst, dass auch jede verdammte Einschätzung von irgendeinem Gipfeltreffen machst.

„Einschätzen“ ist ein merkwürdiges, aber irgendwie treffendes Wort für dieses Ritual, nach einem Nachrichtenbeitrag in einem Live-Gespräch noch einmal nachzufragen, was das denn bedeutet. Meistens nicht, was das für uns oder die Welt bedeutet, sondern für die handelnden Personen. Es geht darum, Haltungsnoten zu verteilen – aber in einer Sportart, bei der man die Atlethen selbst nur über verzerrte Spiegel sieht, oder in der die Wettkämpfe noch gar nicht stattgefunden haben. „Bewegung“ ist dabei das Zauberwort. Teilweise stündlich musste sich Deppendorf von Claus-Erich Boetzkes aus dem Nachrichtenstudio fragen lassen, ob es Anzeichen dafür gibt, dass sich Bush auf die Europäer „zubewegt“, ob es überhaupt „Bewegung“ gibt, wie groß der „Schritt“ ist, den Bush auf Merkel „zugeht“. Und Deppendorf sprach routiniert von „möglichen Annäherungen“ (Dienstag), „nicht so riesig zubewegen“ (Mittwoch), „kann man noch nicht sagen“ (Donnerstag), „sind aufeinander zugegangen“ (Freitag).

Wenn die Metaphern in diesem Genre nicht aus dem Krieg oder Sport stammen („Die Europäer sind geschlossen aufgetreten“), dann kommen sie vom Wetter („Ob das Thema den Gipfel überschattet, weiß man noch nicht“). Und vielleicht war es kein Zufall, dass Deppendorf einmal in einem kurzen Moment der Unkonzentriertheit seine Antwort auf die immergleichen Fragen aus dem Studio mit den Worten „Ja, gut, äh“ begann. Jetzt weiß ich nur noch nicht, ob ich als nächstes von Deppendorf die Einschätzung eines Länderspiels sehen will oder von Beckenbauer die eines Gipfeltreffens.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Kai Pflaume

Kai Pflaume ist gut im Pausenmachen. Wenn er für Sat.1 „Nur die Liebe zählt“ moderiert, ist wenig so wichtig wie die Pausen. Meist sitzt dann ein eingeschüchtertes Wesen neben ihm, das gerade durch eine Videobotschaft erfahren hat, dass ein früherer Partner nicht aufhören kann, es zu lieben, trotz allem, was vorgefallen ist. Aus den meisten sprudeln dann nicht sofort detaillierte Schilderungen über das Intimleben und die eigene Gefühlslage heraus, aber Pflaume hat ja Zeit. Er muss nicht immer gleich eine neue Frage nachschieben. Er schweigt und wartet, dass das eingeschüchterte Wesen die entstehende Pause von ganz alleine füllt.
Und Pflaume macht das gut. Er macht das so, dass man nur gelegentlich das Gefühl hat, es handele sich um eine perfide Technik, die Leute dazu zu bringen, mehr zu sagen, als sie wollen, und meistens so aussieht, als sei er ernsthaft berührt und schweige aus einer Art Respekt.

Vielleicht war dieses Pausentalent der Grund dafür, dass Sat.1 Kai Pflaume zum Moderator der neuen Gameshow „Rich List“ gemacht hat — eine Sendung, die eine Stunde lang ist, aber in einen ProSieben-Werbeblock passen würde, schnitte man die Pausen heraus. Es geht darum, dass Kandidaten möglichst viele bestimmte Dinge aufzählen, zum Beispiel Formel-1-Weltmeister, und Kai Pflaume möglichst lange Pausen macht, bevor er sagt, ob ihre Antwort richtig ist. Anders als bei „Nur die Liebe zählt“ werden die Pausen nicht mit Emotionen gefüllt, sondern mit nichts (deutsche Showproduzenten verwechseln das seit einiger Zeit mit Spannung). Und anders als bei „Nur die Liebe zählt“ muss Kai Pflaume dabei aussehen, als bewerbe er sich um den Titel „Fiesester Folterknecht“ in der Disziplin „ohne Anfassen“. Das steht ihm gar nicht und lässt ihn locker zehn Jahre altern (falls nicht doch einfach die Maskenbildnerin eine schlechte Woche hatte).

Es ist aber auch nicht so leicht, als Moderator in einer Show gut auszusehen, wenn die Kategorie „Länder mit S“ heißt, die Kandidaten „Südafrika“ gesagt haben, und man nun wertvolle Sendesekunden damit füllen muss, die Ungewissheit aufrecht zu erhalten, ob „Südafrika“ ein Land ist, und, vor allem, ob es wirklich mit „S“ anfängt.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung