Autor: Stefan Niggemeier

Max Giermann

Es ist ja nicht so, dass es im deutschen Fernsehen an Parodien mangeln würde. Wesentliche Teile des Abendprogramms scheinen genau dafür reserviert zu sein. Ein ausländischer Besucher, dem man versuchsweise das „Frühlingsfest der Volksmusik“ zeigen würde, käme doch im Leben nicht darauf, dass es sich bei diesem Florian Silbereisen nicht um die lustig überdrehte Karikatur eines Volksmusik-Moderators handelt. Stefan Raabs Idee, aus einem sechs Runden kurzen Promi-Boxkampf einen vierstündigen Marathon zu machen, kann doch nur ein selbstreferenzieller Kommentar auf das unerträgliche Auswalzen eigentlich überschaubarer Inhalte im Fernsehen sein. Und was ist „Kerners Köche“ anderes als die wöchentliche Satire auf den Koch-Wahn im deutschen Fernsehen?

Kein Wunder also, dass sich das Genre der Parodie anderer Fernsehformate gerade ein bisschen schwertut. Jeder, der Reinhold Beckmann parodieren will, muss erst einmal besser sein als die wöchentliche Reinhold-Beckmann-Parodie montags um 22.45 Uhr im Ersten. Es gibt einen, der das schafft. Er ist immer kurz vorher bei Pro Sieben zu sehen und heißt Max Giermann. Wie er sich in seinen Gesprächspartner hineinlehnt, wie er seine Stirn in Falten legt und das Kinn nach vorne schiebt, wie er beckmannesk seine Stimme moduliert und bedeutungsschwanger knarzen lässt — das ist entlarvend, komisch und zutiefst beunruhigend. Der fleischgewordenen Schnoddrigkeit eines Oliver Geißen, der längst auch von seiner eigenen Parodie nicht mehr zu unterscheiden ist, fügt Giermann ebenfalls eine neue Dimension zu. Und Tim Mälzer und Günther Jauch kann er auch.

Giermann arbeitet sonst als Schauspieler, Clown und Straßenkünstler, improvisiert bei „Frei Schnauze“ auf RTL — und hatte schon in der vergessenen RTL-Show „goXX“ feine Auftritte als Imitator. Gemeinsam mit den grandiosen Peter-Kloeppel-Parodien von Michael Kessler sind Giermanns Glanzlichter schon Grund genug, sich trotz einiger Längen jeden Montag „Switch Reloaded“ anzuschauen. Statt „Beckmann“, zum Beispiel.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Call-TV: Medienanstalt räumt Scheitern ein

Wie egal den Senderfamilien ProSiebenSat.1 und MTV, dem DSF und anderen bei ihren teuren „Gewinn“-Spielen die Regeln für Call-in-Sendungen sind, die sie mit den Landesmedienanstalten verabredet haben, kann man jeden Tag in ihren Programmen sehen. Allmählich scheinen es auch die Medienanstalten zu bemerken.

Gegenüber „Was mit Medien“ wurde Peter Widlok, der Sprecher der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt LfM, vergleichsweise deutlich:

„Es gibt eine ganze Reihe von Sendern, die in den letzten Monaten auffällig geworden sind. Die Moderatoren dieser Call-In-Shows halten sich oft an diese Vereinbarungen nicht.“

Konkret kritisierte Widlok zum Beispiel, dass die Moderatoren immer wieder den falschen Eindruck erwecken, man müsse in den nächsten dreißig Sekunden anrufen, um zu gewinnen:

„Bei solchen moderativen Elementen wird der Anrufer, der spielen will, genötigt, innerhalb dieser 30 Sekunden anzurufen, obwohl es diesen Zeitdruck faktisch nicht gibt.“

Auch andere Gebote würden verletzt:

„Was wir beobachten, ist, dass vermeintlich leichte Fragen gestellt werden, dass die Antwort aber so außerhalb des eigenen Vorstellungsvermögens liegt, dass man da von einer Transparenz oder von einer gewissen Logik nicht sprechen kann. Ob das schon Betrug ist, will ich mal dahingestellt lassen.“

Widlok räumte ein, dass sich die Praxis trotz Beanstandungen durch die Medienanstalten nicht bessere. Bislang hatten die Anstalten auf eine sogenannte „weiche Medienaufsicht“ gesetzt: Die Regeln wurden gemeinsam mit den Veranstaltern entwickelt und haben keinen besondere Rechtsverbindlichkeit.

„Wir sind sehr unzufrieden damit, wie diese Regeln, die wir gemeinsam formuliert haben, umgesetzt werden. (…) Wir sehen, dass das Prinzip der weichen Aufsicht so in diesem Fall nicht funktioniert hat. (…) Die Sender halten sich (…) durch die Bank nicht in dem Maße an diese Regeln, wie wir uns das eigentlich vorstellen. Wir wollen den Sendern deutlich machen, dass die Praxis, wie wir sie jetzt eineinhalb Jahre durchgeführt haben, nämlich hier und da eine Beanstandung auszusprechen, für uns nicht mehr ausreicht. Wir wollen den Sendern deutlich machen, dass wir jetzt schärfer reagieren werden. (…) Die Sender bewegen sich nah an dem, was man Betrug nennen könnte.“

Bei dem geplanten Treffen Anfang Mai soll 9live und den anderen nun klargemacht werden, dass es eine „deutliche Korrektur in der Praxis“ geben müsse. Sonst könnte es „gegebenenfalls zu Sanktionen kommen, die vielleicht auch über eine Beanstandung im Einzelfall hinausgehen.“

Wie solche Sanktionen aussehen könnten, sagte Widlok nicht.

Betrugsalltag im DSF

Mittwochnachmittag im DSF, und die Aufgabe im „Sportquiz“ scheint wirklich lösbar:

Screenshot: DSF

Gut, das Problem ist natürlich, dass über eine Stunde lang …

Screenshot: DSFScreenshot: DSF

…zwar angeblich die Gewinnchancen vervielfacht werden…

Screenshot: DSFScreenshot: DSF

… (zehn mal null ist allerdings auch null) …

Screenshot: DSFScreenshot: DSF

… das unmittelbare Bevorstehen des Spielendes verkündet wird…

Screenshot: DSFScreenshot: DSF

… und Countdowns heruntergezählt werden…

Screenshot: DSFScreenshot: DSF

… aber niemand durchgestellt wird. Eine Stunde lang nicht.

Aber dann:

Screenshot: DSF

Na? Wie lautet die Antwort?

Gute Fragen

Neulich von zwei Schülern der Deutschen Journalistenschule in München für deren Abschlusszeitschrift interviewt worden, die aus dem langen Gespräch ein feines kompaktes Interview gemacht und mal andere als die üblichen Fragen gestellt haben.

Die erste geht so:

Herr Niggemeier, hat sich die Bild-Zeitung schon überlegt, Ihnen Ihr Bild-Abonnement zu kündigen?

Und die letzte so:

Und Ihre Perspektive? Wenn man böse wäre, könnte man sagen, Sie haben schon fast Ihr ganzes Leben lang genörgelt, was wollen Sie denn als Rentner noch machen?

Schön, oder?

Experten-Casting bei „Zapp“

Eine Zeitlang war ich so oft als „Experte“ im NDR-Medienmagazin „Zapp“ zu sehen, dass sich schon Leute lustig gemacht haben. Diese Woche wollten sie mich nicht haben.

Vor ein paar Tagen rief eine Kollegin von „Zapp“ an und sagte, sie wollten etwas darüber machen, dass „Extreme Activity“ den Grimme-Preis gewinnen würde, und ob ich das nicht auch schlimm fände. Ich sagte ihr, dass ich das nicht schlimm fände. Sie sagte, dass ich dann leider nicht der geeignete Interviewpartner zum Thema sei, und fragte noch, ob ich nicht jemanden wüsste, der das schlimm fände. Ich empfahl ihr Jana Hensel, aber wenn ich mich recht erinnere, war sie auf die schon selbst gekommen.

Lustigerweise weiß ich inzwischen von einem Kollegen, dass er genau so einen Anruf von „Zapp“ bekommen hat, leider auch nicht mit Empörung dienen konnte und deshalb ebenfalls als Gesprächspartner ausschied.

Der fertige „Zapp“-Beitrag zeigt dann, dass es nicht darin lag, dass man schon 27 Fürsprecher für „Extreme Activity“ gefunden hatte. Sondern weil man keinen Fürsprecher in dem Beitrag haben wollte.

Damit es keine Missverständnisse gibt: Ich halte das nicht für einen Skandal. Ich finde es nur ein kleines, anschauliches Beispiel dafür, wie Journalisten arbeiten.

Und damit auch der letzte „Zapp“-Zuschauer versteht, was für ein Skandal es ist, einer solchen Kindergartenshow den Adolf-Grimme-Preis zu verleihen, schraubt die Anmoderation des Beitrags die Fallhöhe ins Schwindelerregende:

Adolf Grimme war ein Mann mit Mut. Unerschrocken engagierte er sich für die „Freiheit des Wortes“ — ob im Widerstand gegen das NS-Regimes oder später als erster Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks. Mit dem nach ihm benannten Fernsehpreis des Deutschen Volkshochschul-Verbandes sollen deshalb Sendungen und Filme gewürdigt werden, die im Sinne Adolf Grimmes vorbildlich sind.

Wow. Welche Fernsehsendung würde diesem Anspruch genügen: dem Vorbild des unerschrockenen Freiheit-Verteidigers und NS-Widerstandskämpfers zu folgen? Zum Glück ist das — anders als uns „Zapp“ glauben machen will — keineswegs der Maßstab für einen Grimme-Preis. Die ausgezeichneten Sendungen sollen „nur“ vorbildlich für die „Programmpraxis“ sein.

Ungleich einseitiger, irreführender und bösartiger als der Grimme-Beitrag ist allerdings der „Zapp“-Beitrag über Günther Jauch und seinen verlorenen Prozess gegen einen „Bild am Sonntag“-Reporter. Aber ich weiß noch nicht, ob ich Lust habe, mich damit hier im Detail auseinanderzusetzen.

Die Hauptstadt von Knut ist Yan Yan

Was man ja nicht vergessen darf bei der „Bild“-Zeitung: Sie hat viele Regionalausgaben, die teils sogar bis in die Titelseitenaufmachung dramatisch unterschiedliche Prioritäten bei der Nachrichtenauswahl setzen. Um das mal exemplarisch an der gestrigen „Bild“ zu demonstrieren:

„Bild“ Mainz-Wiesbaden:

„Bild“ Berlin-Brandenburg:

Qualitätsmedien im Netz, Folge 3271

Gelegentlich wird BILDblog ja vorgeworfen, unsere Arbeit sei schon deshalb unsinnig, weil die meisten Leser eh nicht glaubten, was in der „Bild“-Zeitung steht. Interessanterweise aber glauben Journalisten, was in der „Bild“-Zeitung steht. Tag für Tag übernehmen sie „Bild“-Meldungen ungeprüft in ihre eigenen Medien — nicht nur in den Redaktionen der Boulevardmagazine im Fernsehen, auch bei vermeintlich seriösen Medien und deren Online-Ablegern.

Am vergangenen Wochenende fielen sie reihenweise auf das „Bild“-Märchen von Angelina Jolies „Schock-Beichte“ herein, mit dem das Blatt groß aufmachte.

Zum Beispiel das Online-Angebot von der „Rheinischen Post“. Nach meiner Wahrnehmung bestückt kaum ein anderer Online-Ableger sein Angebot so konsequent mit selbst umgeschriebenen „Bild“-Meldungen, was natürlich damit zusammenhängen könnte, dass sowohl Zeitungs- als auch Online-Chef von „Bild“ kommen. Jedenfalls hieß es auf „RP Online“:

Angelina Jolies schockierende Sex-Beichte

Sie gehört zu den schönsten Frauen Hollywoods aber auch zu den exzentrischtsten. Angelina Jolie ist Schauspielerin, Mutter und Femme fatale zu gleich. Jetzt geht die 31-Jährige mit einem intimen Buch an die Öffentlichkeit und gesteht: „Ich wollte eine Frau heiraten!“ (…)

Das ist Quark und (mal ganz abgesehen von den sprachlichen Schwächen) sogar noch falscher als die „Bild“-Geschichte. „Bild“ hatte nämlich nur geschickt suggeriert, das Buch sei von Angelina Jolie selbst. Inzwischen glaubt anscheinend auch „RP Online“ nicht mehr an die Richtigkeit des eigenen und des „Bild“-Artikels:

„Spiegel Online“ konnte ebenfalls nicht widerstehen, verbreitete den Unsinn von „Bild“ ebenfalls weiter — und nannte das aus alten Zitaten zusammengequirlte Buch entsprechend schon in der Dachmarke ein „ENTHÜLLUNGSBUCH“. Bei „Spiegel Online“ ist der Artikel auch heute noch online, aber in einer leicht veränderten Version. Der ursprüngliche Satz „In wenigen Tagen kommt die Biographie der schönen Schauspielerin in Deutschland auf den Markt“, bekam den Nebensatz: „die allerdings nicht autorisiert ist.“

Hm. Sah es zwischenzeitlich nicht mal so aus, als würde „Spiegel Online“ solche nachträglichen Korrekturen kenntlich machen? Oder gilt das nicht für Verschlimmbesserungen — denn um die Frage der Autorisierung geht es eigentlich gar nicht. Die Zitate, die „Bild“ aus dem Buch bringt, kommen teilweise durchaus aus respektablen Quellen, sind also vermutlich auch autorisiert, aber eben schon viele Jahre alt. Was will uns „Spiegel Online“ also mit dieser Änderung sagen? Auf eine Anfrage an „Spiegel Online“-Chef Mathias Müller von Blumencron habe ich leider keine Antwort erhalten.

Geantwortet hat mir aber Hans-Jürgen Jakobs, Chef von sueddeutsche.de. Der Internet-Auftritt der „Süddeutschen Zeitung“ hatte, wie „RP Online“, die „Bild“-Fehler noch verschärft:

Nachdem BILDblog über den Fall berichtet hatte, wurden ein paar merkwürdige Sätze in den Text redigiert, die (wie bei „Spiegel Online“) am Kern vorbeigingen:

Bei diesem Buch handelt es sich um eine unautorisierte Biographie. (…) Aber wie gesagt: Das Buch „Angelina Jolie“ zitiert Angelina Jolie rauf und runter, aber Angelina Jolie selber hat dieses Buch nie autorisiert.

Am Dienstagnachmittag teilte mir Jakobs auf meine grundsätzlichen Fragen zum Umgang mit „Bild“ folgendes mit:

Gibt es bei sueddeutsche.de Regeln für den Umgang mit Quellen im Allgemeinen und „Bild“ im Besonderen?

Der Umgang mit Quellen unterscheidet sich bei sde nicht von den Prinzipien der Süddeutschen Zeitung oder anderer etablierter Medien. In der Regel werden Nachrichten mit Quellenangaben zitiert, wie auch in dem von Ihnen betrachteten Fall.

Gelten vermeintliche „Bild“-Exklusiv-Meldungen bei sueddeutsche.de grundsätzlich als vertrauenswürdig? Und sogar so vertrauenswürdig, dass die Redakteure auf eine Plausibilitäts-Kontrolle durch eine kurze Google-Suche verzichten können?

Die Meldung beruhte auf einer „Bild“-Geschichte, die am Samstag erschien. Am Wochenende sind in der Regel die Personenen aus den Ressorts Panorama und Leben & Stil nicht im Büro. Zu einer gesonderten Überprüfung kam es in diesem speziellen Fall nicht. Die sde-Seite, auf die BildBlog zunächst verlinkt hat, ist längst gelöscht.

Ich kann mich ja irren, aber ich habe das Gefühl, Herr Jakobs hat zwar meine Mail, aber nicht meine Fragen beantwortet.

Tatsächlich erhält aber, wer den Angelina-Jolie-Artikel auf sueddeutsche.de aufruft, nun dies:

Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil sich unter dem Artikel eine lange, heftige und teilweise kontroverse Diskussion entwickelt hatte:

Mehrere Dutzend Leserkommentare sind nun, zusammen mit dem Artikel, gelöscht worden. Wenn diese Kommentare ein Mittel sein sollen, um Leser zu binden, und wenn Hans-Jürgen Jakobs beim Relaunch von sueddeutsche.de einen „verstärkten Dialog mit den Lesern“ ankündigte: Wie wirkt das eigentlich auf Leser, wenn eine Diskussion, an der sie sich beteiligt haben, und ihr Gegenstand ohne Erklärung von einer Minute auf die andere verschwindet?

Und: Woran erkennt man nochmal ein Qualitätsmedium im Netz? An seinem Umgang mit zweifelhaften Nachrichtenquellen? An der Transparenz, wie es mit eigenen Fehlern umgeht? An seinem Umgang mit Leserkommentaren? Oder doch nur daran, dass es sich für etwas Besseres hält?

Jürgen von der Lippe

Der Handwerker. Ausgerechnet Jürgen von der Lippe kriegt schon wieder den renommierten Grimme-Preis.

· · ·

Er hat in der sonst gerne halbwegs seriösen Gesprächssendung „Unter vier Augen“ im Bayerischen Fernsehen diese Woche erstmal ein Wasserglas und eine Aspirin-Tablette ausgepackt und der Moderatorin gezeigt, wie man diesen Requisiten ein Kondom sich selbst aufblasen lassen kann. Soviel mal vorweg, um die Fallhöhe des Humors von Jürgen von der Lippe deutlich zu machen, beziehungsweise: ihr Fehlen.

Es ist noch nicht ganz so weit, dass sich die langjährigen Abonnenten auf den Adolf-Grimme-Preis Sorgen um ihren Platz in der Fernsehgeschichte machen müssten. Dass die Gefahr bestünde, dass ein vermeintlich kleiner Witze-Erzähler wie Jürgen von der Lippe die großen Geschichten- und Geschichte-Erzähler wie Heinrich Breloer oder Georg Stefan Troller irgendwann in den Schatten stellen könnte. Aber von der Lippe erhält diese Auszeichnung, die eine der renommiertesten des deutschen Fernsehens ist und Sendungen würdigt, die „nach Inhalt und Methode Vorbild für die Fernsehpraxis sein können“, kommende Woche nun schon zum zweiten Mal* und war sogar doppelt nominiert. Da wird es langsam schwer, die Wahl als bloßes Versehen abzutun. Da müsste man, wenn man wollte, schon ganz grundsätzlich fragen, wie es sein kann, dass ein Mann, dessen Werk Elke Heidenreich in den Worten „5000 Jahre Herrenwitz im Bierzelt“ bündig zusammenzufassen glaubte, einen so ehrenvollen Preis gewinnt. Da müsste man, wie es manche auch getan haben, schon sehr besorgt fragen, ob dieser Preis nicht beschädigt wird durch solche Entscheidungen. Und ob es in Deutschland jetzt endgültig alle Maßstäbe, was Qualität ist, verloren gegangen sind.

Man könnte natürlich auch fragen, warum es den Deutschen so schwer zu fallen scheint, Menschen zu würdigen, die nichts mehr wollen, als ihr Publikum gut zu unterhalten, vor allem aber auch: nichts weniger.

Der 58-jährige Jürgen von der Lippe bezeichnet sich gerne als unterhaltenden Dienstleister – ganz in der Tradition seines Vaters, der als Cocktail-Mixer in einer Rotlicht-Bar gearbeitet hat. Das Bild vom Dienstleister markiert ganz gut, welche Ansprüche an sich hat und welche nicht. Von der Lippe ist kein Magier – auch wenn er auf der Bühne gerne Zaubertricks vorführt. Mit der ganz großen Illusion hat von der Lippe nichts am Hut, er strebt nicht nach Höherem oder gar Tieferem. Von der Lippe ist Handwerker – im besten Sinne. Er weiß, wie er sein Publikum zum Lachen bringt. Er ist ein Meister des Timings, der eine Pointe, je nach Bedarf, endlos verzögert oder unmittelbar verschießt. Der einen misslungenen Witz mit einem Blick oder einer Geste retten kann.

Es ist ein bisschen desillusionierend, von der Lippe über das Humorhandwerk reden zu hören. Es scheint, vor allem, harte, aber ehrliche Arbeit zu sein. Es hat damit zu tun, alle Witze dieser Welt zu kennen (der Vorrat scheint letztlich doch überschaubar zu sein) und die Tricks der großen Komiker gründlich analysiert zu haben. Von der Lippe hat regelrechte Dienst- und Studienreisen in die Vereinigten Staaten unternommen. Es geht um Recherche und Training, viel Raum für ein wunderbares Humor-Geheimnis bleibt da nicht.

Man darf nicht den Fehler machen, den Verzicht auf irgendeinen höheren Anspruch mit Schludrigkeit zu verwechseln. Von der Lippes Auftritte zeichnet, anders als die vieler jüngerer „Comedians“, eine große Präzision aus: Wie er artikuliert, phrasiert, Lautstärke und Tempo dosiert und mit dem Publikum spielt. Es ist ja nicht so, dass es damit getan wäre, sich eine alberne rote Nase aufzusetzen, lustige Hemden zu tragen und schlüpfrige Witze aufzusagen. Ja, das ist sehr dämlich, wenn von der Lippe auf der Bühne steht und zur Gitarre das Lied von den „Saunafreunden ‚Aufguss ’09′“ singt, in dem es etwa heißt: „Wenn wir in unsrer Schwitzeklitsche / auf der Glitschepritsche schwitzen, / Schwitzeschweiß verspritzen, / dabei Zwetschgenschnäpschen zwitschern.“ Aber wenn er sich dann („Jetzt Sie!“) mit dem Gestus eines Studienrates daran macht, mit dem Publikum das Lied einzuüben und alle gemeinsam in die von ihm aufgestellten Sprachfallen tappen, entstehen kleine Momente großer Unterhaltung. Und wenn sich das Publikum danach die Tränen aus den Augen wischt, mag die Kritikerfrage, ob es nicht ein bisschen mehr Anspruch sein dürfe, zu Recht sehr abwegig erscheinen.

Diese Bühnenauftritte bezeichnet von der Lippe als seine eigentliche Arbeit, das Fernsehen ist angeblich nur ein Hobby. Vielleicht sei das ein Geheimnis seines Erfolges dort, meint er: „Die Entspanntheit, mit der ich Fernsehen gemacht habe, weil ich es nicht musste.“ Über Jahrzehnte war er ein öffentlich-rechtliches Urgestein, etablierte im WDR mit der Sendung „So isses“ eine einzigartige Mischung aus größter Albernheit und ernsthaftem Interesse an Menschen. Seine Show „Geld oder Liebe“, für die er 1994 seinen ersten Grimme-Preis bekam, war lange Jahre eine der erfolgreichsten Shows und zelebrierte seine große Leidenschaft für das Gesellschaftsspiel in allen Formen, besonders der des Geschlechterkampfes. Das war, wie es bei guten Spielen so ist, nur oberflächlich völlig sinnfrei, in Wahrheit war es eine wunderbare Möglichkeit, Menschen kennenzulernen.

Seit dem Ende von „Geld oder Liebe“ 2001 ist er ein bisschen heimatlos und tingelt durch viele Shows. Wirklich am Herzen liegt ihm seine Sendung im Dritten: „Was liest Du?“ Darin liest er mit einem Gast aus Büchern vor. Es ist eine ganz kleine Form, die die scheinbaren Widersprüche von der Lippes wunderbar vereinigt. Er ist ja ein bisschen wie jemand, der unglaublich belesen ist, weil er sich durch die gesamte Weltliteratur gearbeitet hat – wenn auch nur auf der Suche nach den besten schweinischen „Stellen“. Und so liest er, in scheinbarer Verschwendung der Möglichkeiten des Mediums Fernsehen, die deftigsten Passagen oder auch die kühnsten Wortspiele aus eher massentauglichen Werken vor, und behauptet, seine Show verkaufe mehr Bücher als Elke Heidenreichs. Es ist leicht, auch „Was liest du“ als läppisch zu verachten, und die Leidenschaft für Sprache zu übersehen, die von der Lippe darin ausstrahlt.

Dabei ist er Harald Schmidt gar nicht so unähnlich und hat mit ihm dem Fernsehen schon einige Sternstunden beschert, vor allem, wenn beide ihre angebliche Hypochondrie pflegen und sich lustvoll in freier Improvisation mit Krankheitsbildern, lateinischen Fachausdrücken und Behandlungsirrtümern überbieten. Aber anders als Schmidt taugt von der Lippe nicht zum Maskottchen für irgendeine Elite. Er beruft sich auf Epikur, dem alles Elitäre fremd war und für den das Streben aller nach Glück und Lust so zentral war – der aber dazu riet, sich vorher über die Folgen des Handelns Gedanken zu machen: Ich mag gerne Wein, aber ich mag auch ein gutes Gespräch, was ich aber nach drei Glas Wein nicht mehr führen kann. „Ich denke“, sagt von der Lippe, und er klingt dabei ganz unironisch, „viel Klügeres ist der Menschheit nicht mit auf den Weg gegeben worden.“

Man kann, mit etwas gutem Willen, seine Karriere als einen langen Kampf gegen die Unvereinbarkeit von Zote und Goethe lesen. Dass er dabei nicht völlig erfolglos war, zeigt der neuerliche Grimme-Preis – auch wenn die Auszeichnung für die von ihm moderierte ProSieben-Spielshow „Extreme Activity“ (eine Mischung aus Scharaden, „Montagsmaler“ und Kindergeburtstag) heftig umstritten ist. Andererseits: Mindestens so sehr, wie über die Anerkennung selbst, wird er sich wohl darüber freuen, dass sie für so viele Feuilletonisten einen Affront darstellt.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

*) Ich war Mitglied der zuständigen Grimme-Jury für Unterhaltung.

Echo, live on tape

Frage: Was bedeutet das Wort „LIVE“, das RTL in die Aufzeichnung der Echo-Verleihung einblendet?

Zusatzfrage: Ist denen das nicht zu doof, wenn das, was mit über zwei Stunden Verzögerung „live“ auf RTL zu sehen ist, lange vorher schon woanders zu sehen war? (Okay, ich ziehe die Zusatzfrage zurück.)

Konsequent allerdings, dass RTL.de als Aufmacher auf seiner Seite zum Echo auch jetzt, hinterher, noch Karten für die Veranstaltung verlost: