Autor: Stefan Niggemeier

Qualitätsmedien im Netz, Folge 3272

Vor ein paar Tagen habe ich den Chef von sueddeutsche.de Hans-Jürgen Jakobs gefragt, wie seine Redaktion mit „Bild“ als Nachrichtenquelle umgeht. Antworten ist er mir schuldig geblieben. Das von ihm geleitete Online-Angebot gibt sie auch so.

Am späten Donnerstag unserer Zeit zitiert die amerikanische Nachrichtenagentur AP exklusiv und ausführlich aus den Tagebüchern von Anna Nicole Smith. Am Freitagnachmittag berichtet die deutsche Nachrichtenagentur dpa ebenfalls ausführlich und mit vielen Zitaten über den Inhalt der Bücher. Am Samstagmorgen bringt „Bild“ einen größeren Artikel, der keine exklusiven Information enthält, über den Inhalt der Tagebücher. Am Samstagmittag meldet die französische Agentur AFP, dass die „Bild“-Zeitung aus dem Tagebuch von Anna Nicole Smith zitiere. Eine Stunde später berichtet sueddeutsche.de über den Inhalt der Tagebücher von Anna Nicole Smith.

Also: sueddeutsche.de zitiert die Agentur AFP, die „Bild“ zitiert, die die Agentur AP zitiert, die aus den Tagebüchern zitiert.

Erstaunlicherweise scheinen sich diesmal bei dem Stille-Post-Spiel keine Fehler eingeschlichen zu haben. Aber vielleicht könnte jemand den Qualitätsjournalisten von sueddeutsche.de den Tipp geben, dass es in Deutschland gar keine Pflicht gibt, ein Boulevardthema erst dann aufzugreifen, nachdem „Bild“ darüber berichtet hat. Und dass es in Zeiten des „Zukunftsmediums“ Internet möglich ist, sich ohne den Umweg über mehrere Agenturen und eine unzuverlässige Boulevardzeitung über solche Dinge zu informieren.

Bill O’Reillys Meltdown auf Fox News

Ich übernehm einfach mal die Zusammenfassung aus Oliver Willis‘ Blog:

In the entire, dark, black history of Fox News‘ The O’Reilly Factor, this is probably the craziest clip ever. A young girl was tragically killed by a drunk driver. But this was not enough for O’Reilly. Instead, because the criminal was an illegal alien he added this incident to his ongoing crusade against the brown people. Luckily Geraldo was on the show and he – to his credit – called out O’Reilly’s xenophobia for exactly what it was. This drove Bill O’Reilly insane. I was almost certain he was going to reach across the table and hit Geraldo.

(via Kai Pahl, mediabistro, News Hounds)

Wie 9Live sich die Zukunft vorstellt

9Live will die Regeln verschärfen lassen, die für Call-TV-Programme wie 9Live gelten. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik, denn schon an der Entwicklung der bisher geltenden Regeln der Landesmedienanstalten war 9Live maßgeblich beteiligt, und nicht einmal die hält der Sender ein.

Dennoch hat die 9Live-Besitzerin ProSiebenSat.1 vor der anstehenden Diskussionsrunde mit den Aufsichtsbehörden eine „Initiative Call-TV“ ins Leben gerufen und einen „Maßnahmenkatalog“ vorgeschlagen. Einzelne Formulierungen darin scheinen einer fremden Parallelwelt zu entstammen:

Das Konzept einer Call-In Sendung birgt immer das Risiko, dass Aussagen des Moderators durch den Zuschauer subjektiv gewertet werden bzw. aufgrund der Call-TV-typischen Dramaturgie missverstanden werden.

Es ist aber auch ein Kreuz mit den Zuschauern. Wenn der 9Live-Moderator sagt: „Das sind die letzten Sekunden“, werten sie das einfach subjektiv als Aussage: „Das sind die letzten Sekunden“. Wenn er ihnen zuruft, sie müssten sofort anrufen, interpretieren sie das als Aufforderung, sofort anzurufen. Oder missverstehen einen eingeblendeten Countdown als Countdown.

Gut, mit diesem „Risiko“ muss 9Live leben. Call-TV-Veranstalter haben’s auch nicht leicht.

Dennoch enthält das Papier auch konkrete Vorschläge. So sollen die Veranstalter von Call-in-Sendungen der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt monatlich Protokolle über alle Telefonverbindungen, Gewinner und ausgezahlten Gewinne vorlegen. Das ist theoretisch sicher eine gute Idee. Praktisch stelle ich mir das allerdings so vor, dass die Mitarbeiter der Landesmedienanstalten die Protokolle in Empfang nehmen und sich danach wieder hinlegen ihren anderen wichtigen Aufgaben widmen.

Allerdings könnte man dann in Zukunft bei der Bayerischen Landesmedienanstalt nachfragen, wie viele Gewinner es bei 9Live tatsächlich gibt. Geschäftsführer Marcus Wolters sprach im vergangenen September von 60.000 Gewinnern im Jahr, gegenüber der FAZ nannte er jetzt die Zahl von 10.000 im Monat. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die Zahl der 9Live-Gewinner in einem halben Jahr verdoppelt hat?

Überhaupt: 9Live macht täglich ungefähr 14 Stunden Live-Call-in-Shows. 10.000 Gewinner im Monat bedeuten 24 Gewinner pro Stunde. Das heißt: Etwa alle zwei Minuten müsste jemand etwas gewinnen. Angesichts der endlosen Zeit, die in vielen 9Live-Sendungen vergeht, bis überhaupt jemand ins Studio gestellt wird, halte ich diese Zahl für sehr unrealistisch.

9Live schlägt weiter vor, dass eine einmal ausgelobte feste Gewinnsumme im Laufe eines Rätsels nicht reduziert werden darf, wie es der 9Live-Konkurrent CallActive in seinen Sendungen auf Nick, Comedy Central und MTV gerne macht: Gelockt wird mit hohen Gewinnsummen. Durchgestellt wird ein Anrufer in aller Regel aber erst, nachdem sie wieder gesenkt wurden. Solches Geschäftsgebaren hält selbst 9Live (zu recht) für unseriös.

Bei den beliebten Wortfindungsspielen (an der Tafel stehen verdeckt mehrere Tiere mit „S“, die der Zuschauer erraten soll), schlägt 9Live vor, dass „nur Begriffe verwendet werden dürfen, die am Tage der Rätselerstellung mindestens 100 Mal in der Internet-Suchmaschine ‚Google‘ dokumentiert sind“. Auch das klingt gut, würde aber zum Beispiel nicht verhindern, dass 9Live auch in Zukunft wieder als (angeblich leichtes) Tier mit „S“ den Stirnlappenbasilisk suchen wird. Der sympathische Leguan kommt auf über 40.000 Google-Treffer.

Wie sehr sich 9Live auch für die Zukunft das Recht vorbehalten will, die Zuschauer an zentraler Stelle in die Irre zu führen, zeigen einige „Formulierungsvorschläge“ zur „Verbesserung der Kommunikation“. 9Live schlägt für die Moderation unter anderem folgenden Satz vor:

„Ob ein Rätsel schwer oder leicht ist, entscheiden Sie!“

Das wäre sogar ein Rückschritt gegenüber der bestehenden (von 9Live natürlich gern ignorierten) Regel, die lautet:

Dem Zuschauer sind bei allen Spielen in angemessenem Umfang Hinweise zum Schwierigkeitsgrad und zur Lösungslogik zu erteilen.

Bemerkenswert ist in dem „Maßnahmenkatalog“ allerdings ein Punkt, den das 9Live-Papier „Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit“ nennt. Darin heißt es:

(…) die Zuschauer [müssen] jederzeit die Chance haben, die von den Moderatoren entsprechend ausgelobten Preise zu gewinnen. (…)

Jeder Veranstalter hat sicherzustellen, dass über ein technisches System (…) der Auswahlmechanismus derart konzipiert wird, dass jederzeit die Chance besteht, ausgewählt zu werden.

Das wäre allerdings tatsächlich revolutionär. Bislang beschränkt sich der Zufallsmechanismus bei den meisten Spielen auf 9Live, Nick, MTV, DSF und den anderen darauf, dass aus den Anrufern, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Leitung sind, zufällig einer ausgewählt wird. Der Zeitpunkt selbst ist aber nicht zufällig, sondern wird vom Redakteur bestimmt. Wenn über Stunden niemand ins Studio gestellt wird, wie es immer wieder vorkommt, liegt das also nicht am Zufall. Das heißt: Wer in dieser Zeit anruft, hat (ohne dass er es weiß) effektiv keine Chance zu gewinnen.

Wenn die Landesmedienanstalten 9Live in diesem Punkt beim Wort nähmen und es schafften, die Einhaltung zu überprüfen und Verstöße zu bestrafen (das sind viele Wenns!), dann wäre tatsächlich viel gewonnen. Dann könnte es zum Beispiel passieren, dass der große Hauptgewinn, den 9Live bislang fast immer erst nach Stunden des künstlichen Verzögerns und Einnahmen-Generierens ausgibt, schon in den ersten Minuten einer Sendung rausgeht.

Und Call-TV wäre plötzlich fast so fair wie ein Glücksspiel.

Dokumentation: Maßnahmenkatalog der „‚Call-TV‘-Initiative“ der ProSiebenSat.1 Media AG.

Eitel bis wolkig

Ich bin immer noch hin- und hergerissen, welches innovative Feature auf der lang erwarteten zu spät fertig gewordenen „Vanity Fair“-Homepage mich mehr beeindruckt.

Der „Themenfinder“ (bei dem sicher die zweite Hälfte des Wortes englisch ausgesprochen wird), der mir die Möglichkeit gibt, direkt zu wählen, ob ich die „Seite 58“ oder die „Seite 76“ aus dem Magazin lesen will?

Oder doch die Faktenwolke, in der Begriffe wie „PARIS HILTON BENZIN“ vor sich hinwabern und „SARAH CONNOR“ gestern abend, ich schwöre, sogar auf dem Kopf geschrieben stand? (Herr Svensson hat’s auch gesehen.)

Die Abbildung oben rechts ist übrigens in Originalgröße. Wenn man vor dem Klick wissen will, was für ein „Fact“ da rechts vom „PARIS HILTON BENZIN“ oder links von „EVA PADBERG“ herumschwimmt, muss man es unter dem Mikroskop betrachten:

Mh. Vielleicht sind das gar keine Fakten, die da mit rumschwimmen. Vielleicht ist das Futter für die anderen Begriffe? Oder, im Gegenteil: Faktenkot?

Und dann die Idee, einen Online-Auftritt zu schaffen, der ganz erheblich auf große Flash-Filme setzt, diese dann aber so zu programmieren, dass man sie nur am Stück von vorne bis hinten sehen und nicht zu einer bestimmten Stelle vor- oder zurückspringen kann. Auch die Lautstärkeregelung beschränkt sich auf An und Aus. Ist das eigentlich technisch aufwändig, ein digitales Medium so konsequent auf analoge Funktionen runterzuprogrammieren?

Ich jetzt?

Das hier auf der Startseite von n-tv.de ist entweder ein bisschen ungeschickt formuliert oder die Rache der n-tv.de-Redaktion hierfür.

Wieder was gelernt

Telefonanschlüsse der Deutschen Telekom kann man nicht im T-Punkt kündigen, sondern nur „schriftlich“. Hilft auch nichts, was zu schreiben dabei zu haben.

Programmhinweis

Am Donnerstag bin ich um 17.10 Uhr hier:

Das Thema lautet:

Blogs, You Tube, Second Life — verdummt uns das Internet?

(Ich würd ja gern mal diskutieren zur Frage: Verdummen wir das Internet?)

An einem aus Tischen geformten Quadrat!

Nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hat Caren Miosga die besten Chancen, Nachfolgerin von Anne Will als Moderatorin der „Tagesthemen“ zu werden.

Dieser Satz hat 165 Anschläge und würde damit schon knapp ein Fünftel des Platzes füllen, den die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Dienstags-Ausgabe für eine Meldung zum Thema freigeräumt hat. Gut, die Kollegin könnte vielleicht die Konkurrentin „FAZ“ als Quelle weglassen, dann hätte sie noch etwa vier Sätze zur Verfügung, zu erklären, wer Frau Miosga ist und wer wann darüber entscheidet, ob sie wirklich Nachfolgerin von Anne Will wird.

Das wäre die eine Möglichkeit.

Die „Süddeutsche“ hat sich für eine andere erschienen. Ihre Caren-Miosga-Meldung beginnt so:

Ein bisschen sind sie schon stolz in Stuttgart auf ihr Funkhaus, das in seiner anthroposophischen Architektur manche Eigenheit verbirgt.

Zum Beispiel den großen Studiosaal, Ebene 7, der für Orchesteraufnahmen sehr geeignet ist, in dem aber auch einhundert Menschen Platz finden, und wenn es sein muss, neun Intendanten der ARD samt Programmdirektor und Mitarbeiterstab an einem aus Tischen geformten Quadrat untergebracht werden können.

Und an diesem Tisch-Quadrat wird Caren Miosga in Zukunft immer um 22.15 die Tagesthe… — nein: An diesem Tisch-Quadrat wird Anne Will in Zukunft immer sonntags ihre Talksh… — nee, auch nicht, sondern:

Am Montag wurde in dieser Runde auch über die Nachfolge von Tagesthemen-Moderatorin Anne Will diskutiert, …

Immerhin, das muss man sagen, bleibt die „Süddeutsche“ ihren Prioritäten treu. Nach einem einzigen Satz über Caren Miosga schwenkt sie wieder zurück auf die wirklich wichtigen Dinge und informiert uns zum Abschluss der kleinen Meldung noch, dass die Entscheidung heute „im 17. Stock, dem Sitzungszimmer von SWR-Chefs Peter Voß“ fallen wird.

(Ich find’s ja gut. Also, nicht den 17. Stock, sondern die Miosga. Ich werde Anne Will in den Tagesthemen ein bisschen weniger vermissen, wenn an ihrer Stelle Caren Miosga dasitzt. Aber das nur am Rande.)

„Ondit“ ist eh ein doofes Wort

Blogger sind kritische Menschen, auch und gerade gegenüber Mit-Bloggern. Sie fragen nach, sie graben tiefer …

Schrieb Peter Turi vor ein paar Tagen in einem ganz anderen Zusammenhang. Ist natürlich Quatsch. Ohne nachzufragen oder überhaupt eine Schüppe in die Hand zu nehmen, bloggte Turi nun dies:

Marl-Korrespondent Stefan Niggemeier hat bei der Grimme-Preis-Verleihung ein interessantes Ondit aufgeschnappt und es seinem "FAS"-Kollegen Harald Staun als "offizielles Exklusiv-Gerücht" gesteckt: die "Sportschau"-Moderatorin Monica Lierhaus soll Nachfolgerin von Anne Will bei den "Tagesthemen" werden. Auch Will kam aus dem ARD-Sport.

Dabei war ich nicht mal in Marl, geschweige denn, dass ich dort oder irgendwo irgendwas aufgeschnappt oder irgendwem gesteckt hätte.

Puh. Ein denkbar glatter Fehlstart in die neue Kolumne, die Turi für vanityfair.de schreiben soll. Gut dass Sascha Lobo nicht so schludert.