Autor: Stefan Niggemeier

Heidi Klum

Dann geht sie rüber zu den Mädchen, die gerade noch Rouge und Mascara vor ihr geheult haben, junge, hübsche, hoffnungsvolle, ehrgeizige, emotionale Wracks, die sie allesamt wieder bis kurz vor den totalen Zusammenbruch gebracht hat, zwängt sich zwischen sie aufs Sofa, als wäre sie ihre Freundin, und fragt: „Und? Seid ihr alle superhappy? Dass ihr alle noch hier seid? Dass keine Tränen geflossen sind?“

So ist Heidi Klum.

In ihrer Pro-Sieben-Erfolgsshow, die auf der Illusion beruht, „Germany’s Next Topmodel“ zu suchen, ist sie eine fiese Ober-Schickanöse, die ihre Schutzbefohlenen erfolgreich glauben lässt, sie sei die Vertrauenslehrerin. Als eines der Mädchen eher beiläufig erzählt, dass andere manchmal keinen Bock mehr hätten, reagiert Klum mit der Sensibilität eines Panzers: „Wer sagt das, der nach Hause will?“, fragt sie und fordert erfolgreich Denunziation. Eine Woche später spricht sie über eines der geschassten Mädchen den Satz: „Anja hat uns leider letzte Woche verlassen“ und schafft es wie üblich nicht, zum Wort „leider“ eine passende Gefühlsregung anzuknipsen. Sie sagt über eine Fotografin: „Ich habe vor sechs Jahren zum ersten Mal mit ihr fotografiert“, was eine lustig anmaßende Verdrehung der Rollen ist. Einmal kontrolliert sie in Abwesenheit der jungen Rekrutinnen ihre Stuben, kommentiert einzelne dahingeworfene Kleidungsstücke oder offene Schminkutensilien, als handele es sich um einen Kriegsschauplatz, und erklärt mit großer Ernsthaftigkeit, dass man so ganz sicher kein Top-Model werde. Und ich weiß nicht, was erschütternder war: Die unfassbare Spießigkeit dieser Rolle oder der unfassbare Stolz, mit dem Heidi Klum sie ausfüllte.

Sie ergänzt das schlimme Leistungs- und Ihr-müsst-es-nur-wollen-Mantra der anderen Castingshows um eine ungehemmte Zuhälter-Mentalität: Hier wird getan, was verlangt wird, und nicht gezickt und gezögert. Als ein Mädchen es nicht auf Anhieb das natürlichste von der Welt findet, sich an einem Strand bemalt, aber vollständig nackt, breitbeinig und auf allen Vieren in Pose zu bringen, kommentiert Klum das gleichzeitig in die Kamera: „Hana schämt sich so’n kleinen bisschen vor den Leuten hier. Ich mein‘, so was muss man auch abschütteln können, ne?“ — und aus jeder Pore strömt Herablassung. „Die Hana tut so, als ob hier ein ganzes Fußballfeld voll mit Jungs gewesen wär“, sagt sie noch. Kurz darauf sind überall Paparazzi.

Warum war es eigentlich der vergleichsweise liebenswürdige und, vor allem: irgendwie aufrichtige Dieter Bohlen, der sich wegen „sozialethischer Desorientierung von Kindern und Jugendlichen“ rechtfertigen musste?

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Was RTL bei DSDS von 9Live gelernt hat

In dem Interview, das DSDS-Aussteiger Max Buskohl „Spiegel Online“ gegeben hat, steckt Sprengstoff. Ich fürchte nur, er wird nicht explodieren.

Buskohl: Ich bin am Donnerstag zu den Leuten von RTL gegangen und habe ihnen gesagt, dass ich bei DSDS nicht mehr mitmachen will. Daraufhin ist dort die totale Panik ausgebrochen. (…) Die drehten völlig am Rad, weil sie Angst hatten, dass mein Ausstieg ihre Show kaputt macht.

SPIEGEL ONLINE: Dann hat RTL Ihnen einen Deal vorgeschlagen?

Buskohl: Ja, die Absprache war: Ich trete am Samstag noch in der Show auf und mache meinen Abgang erst am Sonntag öffentlich.

Eine RTL-Sprecherin widersprach, verausgabte sich aber nicht:

„Seiner Darstellung haben wir bereits vor rund zwei Wochen widersprochen (…).“

Damals hatte Pressechef Christian Körner gesagt, Buskohl habe dem Sender erst am Sonntag „endgültig“ mitgeteilt, dass er gehen wolle.

Ich glaube das nicht. Buskohl hat keinen Grund, die Unwahrheit zu sagen. RTL schon. Nach Buskohls Darstellung hat der Sender die Zuschauer betrogen. Und nicht in irgendeinem übertragenen Sinne, sondern in einem ganz materiellen. RTL hätte die Fans wie üblich immer und immer wieder aufgerufen, Geld auszugeben für eine Entscheidung, die längst gefallen war.

Und es geht hier nicht um Peanuts. RTL gibt grundsätzlich keine Auskünfte, wieviel Geld der Sender mit Telefonanrufen erlöst. Nach der ersten Staffel DSDS 2004 berichtete der „Spiegel“ aber, im Finale hätten 4,5 Millionen Anrufe dem Sender Einnahmen von 1,2 Millionen Euro beschert. Das mal so als Größenordnung.

Wenn Buskohl und sein Vater die Wahrheit sagen, hat RTL seine Zuschauer unter Vorspiegelung falscher Tatsachen wohl um Millionen gebracht.

Preisgekröntes… na, äh, Dings

Katrin Passig und Sascha Lobo waren heute früh extra unrasiert bei Kurt Beck in Mainz, um sich für die „Riesenmaschine“ den Erik-Reger-Literaturpreis und 2500 Euro geben zu lassen. Glückwunsch!

Die Pressestelle der Landesregierung hatte offenbar ein bisschen Mühe, sich zu entscheiden, worum es sich bei riesenmaschine.de handelt, entschied sich dann aber für den Begriff „Online-Projekt“ und die schöne Formulierung:

„Die Riesenmaschine“ ist ein Weblog aus täglich wechselnden Internet-Artikeln.

Und dpa machte aus dem „aus“ ein „mit“.

Ajax, PHP und Liveblogging

Gibt es unter den freundlichen Unbekannten, die hier mitlesen, zufällig jemanden, der sich mit Ajax und PHP und möglicherweise WordPress auskennt und sich mal anschauen könnte, wie man mein halb geklautes, halb handgestricktes und leider auch nur halb funktionierendes Liveblogging-Plugin optimieren könnte?

Vor dem Call-TV-Gipfel

Nachher treffen sich dann also 9Live und seine Konkurrenten und Nachahmer mit den Landesmedienanstalten, und das ist insofern eine gute Sache, als es einen Anlass gibt für Medien von dpa bis zur „International Herald Tribune“, über Methoden dieser Call-in-Programme zu berichten, die neuerdings immerhin vom Sprecher der bayerischen Landesmedienanstalt BLM als „bewusstes Irreführen“ und von seinem nordrhein-westfälischen Kollegen von der LfM als „nah an dem, was man Betrug nennen könnte“ bezeichnet werden.

Viel mehr sollte man vermutlich nicht von der Veranstaltung erwarten.

Zwei Stunden sollen für das Treffen vorgesehen sein. Bereits für 13.15 Uhr lädt die Gemeinsame Stelle Programm, Werbung, Medienkompetenz (GSPWM) der Landesmedienanstalten zum Pressegespräch — vermutlich bleibt da noch genug Zeit für einen gemeinsamen Ausflug mit Mittagessen von München nach Hornberg.

Einigermaßen erschütternd ist es, wenn BLM-Sprecher Wolfgang Flieger laut „Berliner Zeitung“ sagt, man wisse „nicht im Detail, wie diese Technik funktioniert“ und damit den Auswahlmechanismus meint, nach dem die Anrufer durchgestellt werden. Dabei ist das das zentrale Element der Irreführung, bei allen deutschen Call-TV-Veranstaltern: der falsche Eindruck, ein Zufallsmechanismus entscheide darüber, wann ein weiterer Kandidat die Chance bekommt, ein Rätsel zu lösen.

Die Sender machen daraus vielfältige Lügen, zum Beispiel die, dass es trotz vieler „geöffneter Leitungen“ „leider“ noch keinem Anrufer „gelungen“ sei, die richtige „zu treffen“. Nein: Der „Auswahlmechanismus“ besteht in der Regel offenkundig schlicht daraus, dass ein Mitarbeiter entscheidet, wann jemand durchgestellt wird: ob nach wenigen Sekunden oder mehreren Stunden. Anders lässt sich der Ablauf der Sendungen gar nicht erklären. Wenn die BLM das nach all den Jahren, in denen sie für die Kontrolle über die Dauerhütchenspieler von 9Live und dem DSF zuständig ist, nicht weiß, dann kann man genauso gut eine Gruppe gefesselter Nacktnasenwombats mit der Medienaufsicht beauftragen.

Eine Hoffnung bleibt: Ich habe in den vergangenen Monaten sowohl Hinweise von 9Live auf Regelverstöße bei den MTV-Sendern (Produzent: Callactive) bekommen als auch umgekehrt. Vielleicht haben wir Glück, und der Konkurrenzkampf und der Druck von außen führen dazu, dass sie sich gegenseitig das Handwerk legen.

Alle Beiträge im Blog zum Thema Call-TV.

Die „Welt“ geht auf den Strich

Auf dem Nachrichtensender n-tv läuft zur Zeit dieser Werbespot der „Welt“, einer der „führenden Zeitungen Europas“:


„Wenn ein Auto, das edles Design …

… und technische Intelligenz miteinander vereint, jetzt zusätzlich mit dem neuen Modell Passat BlueMotion …

… einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leistet und ab 2,9 Prozent effektiven Jahrezins bequem zu finanzieren ist, …

… dann nennen wir das: WELT-KLASSE.“

Der richtige Text hätte natürlich gelautet:

Wenn eine Zeitung, die seit vielen Jahren publizistische Tristesse und wirtschaftliche Erfolglosigkeit miteinander vereint, seit einigen Monaten zusätzlich mit dem neuen „Crossmedia-Werbeformat“ für „Premiumprodukte“ „Welt-Klasse“ auch noch die letzten Reste von Haltung und Selbstachtung aufgibt und ihre journalistische Glaubwürdigkeit ab 500.000 Euro Brutto-Werbevolumen verkauft, dann nennen wir das: BANKROTT.

[via ms 6950]

Blogsitting

So. Ich mache ’ne Woche Urlaub. Aber die erprobten Fachkräfte ix und Lobo haben versprochen, in der Zwischenzeit hier ein Feuerwerk an guter Laune und investigativer Recherche abzufeuern.

Okay, haben sie nicht. Aber ich hab ihnen einfach mal die Schlüssel dagelassen und bin gespannt, was passiert.

Warum tut denn keiner was? (2)

Die rheinland-pfälzische Landesmedienanstalt LMK hat am Montag zwei Ausgaben der von 9Live für Sat.1 produzierten Abzock-Sendung „Quiz Night“ beanstandet. In einer sei ein nicht vorhandener Zeitdruck aufgebaut worden, bei einer anderen fehlten die passenden Teilnahmebedingungen. Beide Sendungen liefen vor rund einem halben Jahr.

Es handelt sich also um eine schnelle Entscheidung.

Die Beanstandung ist begrüßenswert, zeigt aber auch die Hilflosigkeit der Landesmedienanstalten. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa sagte der LMK-Chefjustiziar Rolf Platho, materielle Folgen für den Sender hätten die Beanstandungen nicht. „Aber der Druck wird größer nach dem Motto: Da muss sich was ändern.“

Es ist ein sehr, sehr immaterieller Druck. Im Fall der Schleichwerbung in der Sat.1-Ostersendung „Jetzt geht’s um die Eier!“, die die LMK in derselben Sitzung bestätigte, hat die LMK längst ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Bei Verstößen gegen die Regeln der Landesmedienanstalten für die teuren Anrufsendungen, droht den Sendern nichts dergleichen. Denn dabei handelt es sich nicht um eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages.

Dabei ist die entsprechende Liste durchaus eindrucksvoll. Einem Sender, der es zum Beispiel wagt, die Ausstrahlung eines Gottesdienstes durch Werbung zu unterbrechen, droht nach dem Rundfunkstaatsvertrag eine Geldbuße von bis zu 500.000 Euro. Einem Sender, der die Zuschauer systematisch und dauerhaft über Gewinnmöglichkeiten bei kostenpflichtigen Anrufsendungen täuscht, droht nach dem Rundfunkstaatsvertrag — keine Geldbuße.

Das zu ändern, wäre Aufgabe der Bundesländer. Sie müssten bei der nächsten Novellierung des Rundfunkstaatsvertrages entsprechende Verstöße in den Katalog der Ordnungswidrigkeiten aufnehmen. Die Beanstandung wäre dann zwar immer noch Sache der teils unwilligen, teils unfähigen Landesmedienanstalten. Aber immerhin stünden ihnen dann überhaupt wirkungsvolle Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung.

Es wäre an der Zeit.