Autor: Stefan Niggemeier

Wiederholungstäter V

(nur fürs Protokoll)

Oktober 2006. Die „Frankfurter Rundschau“ schreibt über Blogs — und verwechselt Monate mit Tagen. Zwei Wochen später macht derselbe Autor denselben Fehler noch einmal.

Dezember 2006. „Jetzt.de“ schreibt über Blogs — und verwechselt Monate mit Tagen.

März 2007. Die „Fach“-Zeitschrift „werben & verkaufen“ schreibt über Blogs — und verwechselt Monate mit Tagen.

März 2007. Die Morgenzeitschrift „Tomorrow“ schreibt über Blogs — und verwechselt Zehntausend mit Tausend.

25. Mai 2007. Der Hamburger Kommunikationswissenschaftler Siegfried Weischenberg spricht über Blogs — und verwechselt Monate mit Tagen*:

[audio:http://www.stefan-niggemeier.de/weischenberg.mp3]

(Die Leute, die da im Hintergrund so fies lachen und ihre Ahnungslosigkeit zur Schau stellen, sind übrigens Journalisten, die glauben, es sei schlecht für das Volk, wenn sie ihr Informationsmonopol verlieren. Und ja, Weischenberg spricht danach auch noch von größeren und vermeintlich „interessanteren“ Blogs. Die ganze Deutschlandfunk-Sendung als mp3 hier.)

Um es noch einmal auszuschreiben: Man kommt laut einer Untersuchung von Jan Schmidt nicht mit 450 Lesern im Monat unter die Top 100 der deutschen Blogs, sondern mit 450 am Tag. Und selbst das reicht längst nicht mehr.

[via Medienblogger]

Blinde sorgen sich um Zukunft der Farbe

Auf Einladung des Deutschlandfunks diskutierte heute abend ein so genanntes „Medienquartett“ die Frage: „Verändern Leserreporter und Blogger den Journalismus?“ Es ist eine Sendung, die sich aufzuheben lohnt [mp3]. Schon um in ein paar Jahren, falls „der Journalismus“ tot aufgefunden werden sollte, belegen zu können, dass es sich nicht um Mord handelte, sondern um Selbstmord.

Das Gespräch begann (leicht gekürzt) so:

Moderator: Tissy Bruns vom „Tagesspiegel“ in Berlin, gibt es bei Ihnen auch Bürgerjournalismus?

Bruns: Es gibt ihn in Form von Teilnahme an Blogs. Es gibt in der Online-Abteilung des „Tagesspiegel“ Blogs, an denen sich natürlich nicht nur Redakteure beteiligen können.

Moderator: Warum? Haben die Journalisten nicht genügend zusammengebracht an interessanten Stoffen?

Bruns: Naja, das ist ja der Teil, der online läuft, also nicht in der gedruckten Zeitung selber erscheint.

Man muss Frau Bruns dankbar sein, dass sie einem gleich am Anfang eines solchen Gesprächs keine Illusionen lässt, dass sie für das Thema qualifiziert sein könnte. Offenkundig kennt sie die „Tagesspiegel“-Blogs nicht. Sie weiß nicht, dass sämtliche „Tagesspiegel“-Blogs von professionellen Journalisten geschrieben werden, überwiegend von „Tagesspiegel“-Redakteuren. Es gibt keinen Bürgerjournalismus in der „Online-Abteilung“ des „Tagesspiegel“.

Und zur Ahnungslosigkeit kommt Arroganz. Die gedruckte Zeitung ist das, worauf es ankommt. Online kann man natürlich allen möglichen Unsinn ausprobieren, scheint sie zu sagen, solange wir einen Damm haben, der unsere „gedruckte Zeitung“ vor irgendwelchen Ausflüssen schützt.

Moderator: Gibt es bei Ihnen denn auch Blogs zum Thema Doping beispielsweise?

Bruns: Ich hab jetzt heute leider nicht danach geguckt. (…) Ich würde mal auf Verdacht sagen: Ja. Weil die Erfahrung ist, immer wenn Themen dieser Art hochkommen in der Öffentlichkeit, also zum Beispiel Berliner Themen über Kindesmisshandlung, über die Frage, ob McDonald’s in Kreuzberg das erste Geschäft aufmachen darf, dann ist die [unverständlich] aus unserem Leser-Publikum besonders hoch. Insofern sag ich ungeschützt mal, es wird auch beim Doping-Thema besonders hoch sein.

Leider hat Frau Bruns nicht nur heute nicht danach geguckt, sondern auch gestern nicht, sonst hätte sie natürlich den Blog-Eintrag zum Thema gesehen. Insofern sag ich ungeschützt mal, Frau Bruns hat die „Tagesspiegel“-Blogs in ihrem ganzen Leben noch nicht besucht. Muss sie natürlich auch nicht, sie schreibt ja für die „gedruckte Zeitung“, und Blogs sind ja nur online. Und was die Erregung des Leser-Publikums mit der Frage zu tun hat, ob es einen entsprechenden Blog-Eintrag zum Thema gibt, bleibt völlig offen, es sei denn, man verwechselt „Blogs“ mit „Leser-Foren“ (die es aber beim „Tagesspiegel“ auch nicht gibt), mit Bürgerjournalismus (den es aber beim „Tagesspiegel“ auch nicht gibt) oder mit Kommentaren unter Artikeln (na also).

Als nächstes wurde Manfred Bissinger, Ex-Chefredakteur der Zeitschriften „Konkret“, „Natur“ und „Merian“, gefragt, ob die von ihm herausgebene und gegründete frühere Zeitung „Die Woche“ heute bei Blogs ganz vorne dabei wäre.

Bissinger: Damals [zu Lebzeiten der „Woche“] gab es das Internet auch schon und Internetauftritte, natürlich hat die „Woche“ auch da mitreagiert, aber wir haben keine Blogs gemacht, wir waren eigentlich mit unseren Leserbriefen zufrieden, das hat uns gereicht, und die Zeitung war nicht so auf Exhibitionismus angelegt wie Leserreporter, die auf Exhibitionismus angelegt sind.

Gut, Herr Bissinger hat offenbar gedacht, was Frau Bruns kann, kann ich schon lange, und sich noch schneller und noch weiter ins Aus geschossen. Leserreporter sind auf Exhibitionismus angelegt? Vielleicht meint er Voyeurismus, und hätte so pauschal trotzdem Unrecht. Wirklich entlarvend ist aber die Formulierung, „das hat uns gereicht“. Den „Woche“-Machern hat es es gereicht, ein paar Leserbriefe abzudrucken. Ob es den „Woche“-Lesern reichte? Who cares?

Bissinger: Bei der Schwierigkeit, in der sich Printmedien befinden, glaube ich nicht, dass es eine Lösung ist, dass man über Leserreporter oder Blogs versucht, da rauszukommen, weil: Das beschädigt die Glaubwürdigkeit noch mehr, die so Produkte haben. Und ich glaube, dass nur Kundenprodukte überleben können, wenn sie eine hohe Glaubwürdigkeit haben und wenn das Publikum das Gefühl hat, da bekomme ich etwas vorgesetzt, das nachgedacht, recherchiert, genau erörtert ist und da wird nicht nicht so was hingerotzt. Und Blogs sind ja eine Aneinanderreihung von persönlichen Befindlichkeiten von Leuten, die eigentlich für den Journalismus oder für die Öffentlichkeit keine wirkliche Bedeutung haben.

Da dies ein Blog ist, könnte ich nun natürlich ganz beleidigt sein. Aber ich sage das mal ganz ungeschützt: Herr Bissinger kennt dieses Blog so wenig wie irgendein anderes. Bissinger hat weder nachgedacht, noch recherchiert, noch etwas genau erörtert. Er hat, vermutlich aus persönlicher Befindlichkeit, irgendwelchen Unsinn in die Öffentlichkeit gerotzt. Und trotzdem wären die meisten Blogger, die ich kenne, beleidigt, wenn man sie mit Manfred Bissinger vergliche.

Ich habe danach ausgemacht. Ich habe es nicht mehr ertragen zuzuhören, wie Leute meines Berufsstandes, die sich für klug, professionell und vor allem sehr überlegen halten, ihre Ahnungslosigkeit und Untauglichkeit öffentlich so stolz zur Schau stellen.

Nachtrag, 29. Mai: Tissy Bruns antwortet auf meine Kritk.

Don’t Panic!

(via Lukas)

Nachtrag. Jojo Beetlebum ist bereit!

Nachtrag, 20.23 Uhr. Gut, heute morgen hätte das vielleicht ein bisschen albern aussehen können, mit einem Handtuch rumzurennen. Aber gerade, nachdem der Himmel mal so richtig gezeigt hat, was in ihm steckt, wäre ich damit echt der Größte gewesen. Geschieht mir recht.

9Live erklärt erstmals den „Hot Button“ (2.Update)

9Live hat in einer langen und schwer verständlichen Presseerklärung auf die Vorwürfe geantwortet. Der Sender räumt dabei (soweit mir bekannt) erstmals öffentlich ein, dass der „Hot Button“, der einen Anrufer ins Studio durchstellt, kein reines Zufallssystem ist, sondern wesentlich davon abhängt, wann der verantwortliche Redakteur diesen Mechanismus auslöst. Das genaue Verfahren sei der Aufsichtsbehörde BLM ebenso bekannt wie der Staatsanwaltschaft München, behauptet 9Live.

Damit steht nun Aussage gegen Aussage. Wolfgang Flieger, Sprecher der BLM, sagte der „Berliner Zeitung“: „Wir wissen nicht im Detail, wie diese Technik funktioniert.“

Darüber hinaus stelle ein Zufallsmechanismus sicher, so 9Live, dass gelegentlich auch vor dem vom Redakteur bestimmten Zeitpunkt Anrufer ins Studio durchgestellt werden können. Deshalb habe jeder Anrufer jederzeit eine Gewinnchance. Wenn das stimmt, muss dieser Zufallsmechanismus auf extrem kleine Gewinnchancen eingestellt sein. Anders ließe es sich nicht erklären, warum oft über Stunden kein Anrufer ins Studio gestellt wird.

Dass es der Redakteur ist, der maßgeblichen Einfluss darauf hat, wann der „Hot Button“ „zuschlägt“, scheint auch 9Live endlich nicht mehr wirklich zu bestreiten. Der Sender erklärt, es sei „ganz offensichtlich, dass es allein der Redakteur“ (und nicht der Moderator) „der eigenverantwortlich und nach strengen Maßstäben die Entscheidung über die Aktivierung des Zufallsmechanismus ‚Hot Button‘ trifft“. Und hier zum Vergleich die Aussage von 9Live-Moderator Robin Bade am 18. Mai live auf 9Live:

„Auf den Hot-Button hat niemand Einfluss. Und wer das behauptet, der lügt und hat keine Ahnung, glauben Sie mir.“

Oder in den Worten von 9Live-Sprecherin Sylke Zeidler: „9Live (…) ist (…) auch im Hinblick auf die Verantwortung gegenüber seinen Zuschauern Marktführer im Bereich des Mitmachfernsehens.“

Nachtrag, 25. Mai, 9.40 Uhr. Keine Frage, die 9Live-Erklärung wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Mindestens in einem entscheidenden Punkt scheine ich sie missverstanden zu haben. Gelegentlich scheint man beim Anrufen bei 9Live, wenn der „Hot Button“ noch nicht „zugeschlagen“ hat, nicht die übliche Ansage zu bekommen, nicht gewonnen zu haben, sondern etwa folgenden Satz: „Noch hat der Hot Button nicht zugeschlagen. Sie haben die Möglichkeit, sich zu registireren und die Chance, später zurückgerufen zu werden und Ihre Lösung zum laufenden Spiel dennoch zu nennen. Sind sie damit einverstanden wählen Sie die 1.“ Auf diese Weise würde ein Redakteur zwar ganz alleine entscheiden, ob zum Beispiel drei Stunden lang niemand durchgestellt wird. Aber wenn nach drei Stunden jemand durchgestellt wird, könnte es auch jemand sein, der schon zwei Stunden früher angerufen hatte. Insofern wäre die 9Live-Behauptung richtig, dass jeder Anrufer zu jeder Zeit gewinnen könne. Wie groß diese Wahrscheinlichkeit ist, sagt 9Live nicht.

Nachtrag, 25. Mai, 18.05 Uhr. 9Live hat mir gegenüber diesen Ablauf mit dem Rückruf bestätigt. Die Ansage, die einzelne, zufällig ausgewählte Mitspieler hören, die vor dem „Zuschlagen“ des „Hot-Button“ angerufen haben, laute genau:

„Noch hat der Hot Button nicht zugeschlagen. Gleich noch mal versuchen. Außerdem haben Sie nun die Möglichkeit, sich zu registrieren. Mit etwas Glück rufen wir Sie zurück. Sie erhalten dann eine neue Chance, die aktuelle Gewinnspielfrage zu beantworten. Wenn Sie damit einverstanden sind, dann drücken Sie jetzt bitte die 1.“

Wie hoch die Chance ist, diese Ansage zu hören, wollte 9Live nicht sagen.

CallActive will Kritiker mundtot machen

Es ist ja nicht nur 9Live.

Da gibt es auch noch Stephan Mayerbacher und seine Firma CallActive, die täglich im Auftrag von MTV dubiose Anrufsendungen produziert. Zu den Spezialitäten seiner Sendungen, die von Frauen moderiert werden, die man nicht „Animösen“ nennen darf, gehört es, über einen längeren Zeitraum mit sehr hohen Gewinnsummen zu locken, die später wieder reduziert werden. Während der Phasen mit hohen Gewinnsummen wird oft niemand durchgestellt. Oder, wenn doch, ist auffallend oft niemand dran, jemand legt sofort wieder auf, der Anrufer ist nicht zu verstehen oder er gibt (selbst bei leichten Rätseln) eine grotesk falsche Antwort.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese merkwürdigen Anrufe zufällig zu diesen für CallActive günstigen Zeiten so ballen, ist gering. Wer die Sendungen häufig sieht, kommt fast zwangsläufig auf den Gedanken, diese Anrufe würden vom Veranstalter gefälscht.

Als im Forum call-in-tv.de, das sich intensiv mit den entsprechenden Shows beschäftigt, diese merkwürdigen Anrufe aus naheliegenden Gründen „Fake-Anrufe“ genannt wurden, ging Stephan Mayerbacher aus ebenso naheliegenden Gründen dagegen vor. Marc Doehler, Betreiber des Forums, musste eine Unterlassungserklärung abgeben. Nun ja: Der Beweis, dass es sich wirklich um „Fake-Anrufe“ handelt, ist schwer und wäre wohl nötig.

Um zu verhindern, dass andere Forennutzer weiter das verbotene Wort benutzten, baute Doehler in das Forum eine Sperre ein: Begriffe wie „Fake-Anrufer“ werden von der Software automatisch in „verwirrte Anrufer“ umgewandelt.

Dennoch wurde Doehler gestern wieder von CallActive abgemahnt. Meyerbachers Anwalt schreibt:

„Inzwischen hat sich (…) auf der Website der Begriff ‚verwirrte Anrufer‘ als Synonym für ‚Fake-Anrufer‘ durchgesetzt. Jeder User weiß, dass mit ‚verwirrte Anrufer‘ tatsächlich ‚gefakte‘ Anrufe gemeint sind, und die User benutzen inzwischen den Begriff ‚verwirrte Anrufer‘ auch entsprechend.

Bei den von unserer Mandantin produzierten Programmen gibt es keine gefälschten bzw. gefakten Anrufe. Durch die bewusste Verwendung des Wortes ‚verwirrte Anrufer‘ für ‚Fake-Anrufe‘ behaupten Sie aber gerade dies.“

Doehler wird aufgefordert, es künftig zu unterlassen,

„unter Bezug auf Quizsendungen in den Fernsehprogrammen VIVA plus [gemeint ist vermutlich Viva], NICK oder Comedy Central, zu behaupten und/oder behaupten zu lassen,

dort gäbe es ‚verwirrte Anrufer‘, insbesondere wenn dieser Begriff ‚verwirrte Anrufer‘ als Synonym für ‚Fake-Anrufe‘ verwendet wird.“

Als Gegenstandswert haben die Anwälte 50.000 Euro festgelegt; allein für die Abmahnung verlangen sie daher von Doehler 1379,80 Euro.

Nachtrag: Marc Doehler wird die geforderte Unterlassungserklärung nach Angaben seines Anwaltes nicht abgeben.

BLM kapituliert vor 9Live

Die Bayerische Landesmedienanstalt (BLM) hat 9Live nichts vorzuwerfen.

Dass Alida live on Air zu hören war, wie sie offenbar dem Redakteur empfahl, den Hot Button noch nicht auszulösen, stelle keinen Verstoß gegen die Gewinnspielregeln dar:

Zum aktuellen Fall, bei dem der Eindruck erweckt wurde, dass eine Moderatorin von 9Live direkt Einfluss nimmt auf das Auslösen des sog. Hot Buttons, erklärte Ring, dass der Sender diesen Eindruck in seiner Stellungnahme plausibel widerlegt hätte. Da nach den Äußerungen der Moderatorin, den Hot Button nicht auszulösen, kurze Zeit später eine Anruferin in die Sendung gestellt wurde, muss die Landeszentrale davon ausgehen, dass der Redakteur die Entscheidung über die Aktivierung des Zufallsmechanismus eigenverantwortlich getroffen hat und insoweit kein Verstoß gegen die Gewinnspielrichtlinien vorliegt.

Nochmal langsam zum Mitdenken: Die BLM erklärt, weil nicht die Moderatorin, sondern der Redakteur den „Hot Button“ auslöst, ist das Verfahren in Ordnung. Als spiele das irgendeine Rolle. Die Frage ist nicht, ob die Moderatorin oder der Redakteur oder die Schwippschwägerin von Edmund Stoiber den Hot Button auslösen. Die Frage ist: Ist der „Hot Button“ ein Zufallsmechanismus, der jederzeit „zuschlagen“ kann, wie die Moderatoren auf 9Live und den anderen Sendern quasi ununterbrochen suggerieren. Oder wird der Zeitpunkt, zu dem er „zuschlägt“, von einem Menschen bestimmt, wie es ehemalige Mitarbeiter, langjährige Beobachter, sämtliche Kenner behaupten.

Die BLM ist entweder noch weniger kompetent, als ich bisher angenommen habe. Oder sie hat sich in ihrer Doppelrolle, die Privatsender sowohl zu kontrollieren, als auch ihre Interessen zu vertreten, klar für das zweite entschieden.

Selbst die Kollegen vom Medienmagazin DWDL, übertriebener Polemik unverdächtig, nennen die BLM-Entscheidung „unerklärlich“. Ihre Stellungnahme gehe „völlig am Thema vorbei“.

Lesetipp in eigener Sache: Schafft die Landesmedienanstalten ab!

Nachtrag, 16.50 Uhr. Laut DWDL hat die BLM wirklich nicht kapiert, worum es ging, und dass es auch ein Problem darstellt, wenn nicht der Moderator, sondern ein Redakteur den „Hot Button“ „eigenverantwortlich“ auslöst:

Dr. Wolfgang Flieger, Pressesprecher der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, räumt auf Anfrage des Medienmagazins DWDL.de ein, dass man dieser Frage nicht nachgegangen sei und dies Anlass einer neuen Prüfung werden müsse.

Hilfe.

Ein Anschlag auf Diekmanns Kindersitze?

Ich habe eine Frage, was den Brandanschlag auf das Auto von „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann angeht.

dpa berichtete gestern mehrmals unter der Überschrift „Familienauto mit Kinderwagen und Kindersitzen verbrannt“. AP meldete: „In dem Mercedes-Kombi befanden sich drei Kindersitze und ein Kinderwagen.“ Der Sprecher des Axel-Springer-Verlages erklärte: „Es handelt sich um den Privatwagen von Herrn Diekmann mit drei Kindersitzen, nicht um eine Dienstlimousine.“ Diekmann selbst sagte: „Das war kein Luxusauto, sondern ein Familienkombi.“

Was ich nicht verstehe: Welche Relevanz haben diese Kindersitze?

Als Detailschilderung in einer Reportage würde ich es verstehen; auch als Mittel, den Leser dazu zu bringen, den Menschen hinter dem Amt des „Bild“-Chefredakteurs zu sehen. Aber in nachrichtlichen Agenturmeldungen? Oder als fast einzige Aussage des Arbeitgebers des Opfers zum Thema überhaupt? Wäre der Inhalt des Autos auch so prominent erwähnt worden, wenn es sich um eine Gitarre, eine Tauchausrüstung, die Gesamtausgabe des Brockhaus gehandelt hätte? Schon klar, die Kindersitze sind nur ein Symbol, aber wären Anschläge gegen kinderlose oder gar kindersitzlose Menschen weniger zu verurteilen?

Und welchen Unterschied macht es, dass das Auto Diekmanns Privatwagen war? Wäre es weniger schlimm gewesen, seinen Dienstwagen anzuzünden? Reicht es nicht, dass das Fahrzeug unmittelbar vor seinem Haus stand, um keine Zweifel daran zu lassen, dass der Anschlag im bedrohlichsten Sinne persönlich gemeint war?

Der Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“ ließ seinen Kommentar zum Thema in dem Satz gipfeln: „Brennende Kindersitze in Privatautos kann und will ich mir als Teil der politischen Auseinandersetzung bei uns nicht vorstellen.“

Ja, Himmel, aber brennende Angelausrüstungen in Dienstwagen von Singles doch hoffentlich auch nicht!

Was Stefan Aust albern findet

Wenn ich’s richtig gesehen habe, hat noch niemand etwas über die kleine Testwagen-Affäre von „Spiegel“-Chef Stefan Aust gebloggt, und das wäre doch schade, dafür ist sie zu entlarvend.

Also: Die „Automobilwoche“ berichtet, dass Aust von VW zwei Autos testweise zur Verfügung bestellt bekam. Nein, keinen Polo, keinen Passat — den neuen Audi R8, 420 PS, 300 km/h Spitze, 14,6 Liter auf 100 Kilometer, Grundpreis jenseits von 100.000 Euro.

Die „Automobilwoche“ schreibt wohl über merkwürdige Umstände, unter denen Aust die Autos angeblich zurückgegeben habe, aber spannend wird die Geschichte für mich erst, als die „Welt am Sonntag“ sie aufgreift und bei Aust nachfragt, ob solche Geschichten denn vereinbar seien mit seiner Funktion als Chefredakteur eines unabhängigen Nachrichtenmagazins.

Die „WamS“ veröffentlicht Austs schriftliche Antwort in voller Länge, weil er sie ausdrücklich darum „bat“. Ich habe sie gekürzt:

„Die Albernheit kennt offenbar keine Grenzen. Es ist in der Tat so, dass ich gelegentlich zu Testzwecken für ein paar Tage neue Automodelle verschiedener Hersteller zur Probe fahre (…). Es handelt sich dabei jeweils nicht um wochenlange Testfahrten, sondern um ein paar Tage. Normalerweise gebe ich die Autos mit vollem Tank zurück. Tatsächlich habe ich auch den neuen Audi R8 ausgetestet. (…) Generell gesehen halte ich es für richtig und notwendig, dass auch Chefredakteure sich mit Produkten der deutschen Industrie befassen. Zu meinem Privatgebrauch habe ich im Übrigen meine eigenen Wagen, die Testwagen in nichts nachstehen.“

Ja, da bleiben ein paar Fragen offen. Zum Beispiel:

Herr Aust, wie geht der „Spiegel“ mit „Bitten“ von Gesprächspartnern um, sich nicht ein markantes Zitat aus einem Gespräch auszusuchen, sondern eine schriftliche Stellungnahme ungekürzt abzudrucken? Lachen die Redakteure da einmal kurz und trocken? Und lachen sie immer noch, wenn der Gesprächspartner sagt: „Aber Ihr Chefredakteur macht das doch auch so!“?

Was passiert in den Ausnahmefällen, Herr Aust, wenn Ihre Zugehfrau es versäumt hat, den Wagen rechtzeitig wieder vollzutanken? Legen Sie dann einen Scheck ins Handschuhfach? Zusammen mit einer Notiz, etwa in der Art: „Vielen Dank, dass Sie mir Ihren Wagen im Wert von 100.000 Euro mehrere Tage kostenlos zur Verfügung gestellt haben, aber Sie werden verstehen, dass es mit meiner Unabhängigkeit als ‚Spiegel‘-Chef nicht vereinbar ist, mich auf mehrere Liter Sprit von einem unserer Werbekunden einladen zu lassen. Ich muss daher darauf bestehen, die enstandenen Benzinkosten zu begleichen“?

Inwiefern ist es „richtig“ und „notwendig“, dass sich „auch Chefredakteure“ mit Produkten der deutschen Industrie befassen? Wie würde es die redaktionelle Qualität des „Spiegels“ beeinträchtigen, wenn sein Chefredakteur nicht aus eigener Erfahrung wüsste, wie sich der neue Audi R8 fährt, er also etwa in der gleichen Situation wäre wie 99 Prozent der deutschen Bevölkerung und selbst der „Spiegel“-Leser?

Testen Sie, Herr Aust, auch andere „Produkte der deutschen Industrie“ außer Autos? Kühlschränke? Gabelstapler? Aschenbecher? Füllfederhalter? Und auch solche, die weniger als einen sechsstelligen Euro-Betrag kosten? Und lassen Sie sich die auch von den Herstellern zur Verfügung stellen? Oder übernimmt das dann der „Spiegel“-Verlag, die Kosten, wenn der Chefredakteur sich für ein paar Tage aus beruflichen Gründen mit bestimmten Produkten „befassen“ muss? Oder müssen Sie sogar, ein abwegiger Gedanke, ich weiß, gelegentlich Teile Ihres Gehaltes aufwenden, um Produkte der deutschen Industrie, an denen Sie besonders interessiert sind, mit nach Hause nehmen zu dürfen, womöglich auf Dauer?

Dürfen andere „Spiegel“-Redakteure, sagen wir: aus dem Wirtschafts- oder Auto-Ressort, auch mal mit Ihrem R8 fahren (wenn sie hinterher wieder volltanken, natürlich)? Oder kriegen die eigene, kleinere Testwagen von der Industrie gestellt? Oder dürfen die solche Vergünstigungen gar nicht annehmen, weil sie selbst keine „eigenen Wagen“ haben, „die den Testwagen in nichts nachstehen“? Ist das Voraussetzung, einen Porsche Cayenne und einen VW Touareg in der Garage zu haben, damit keine Gefahr besteht, dass man sich von einem Audi R8 beeindrucken und in seiner Urteilskraft trüben lassen könnte?

Passiert es Ihnen manchmal, dass Sie ins Büro kommen und auf dem Schreibtisch liegt ein offenes Wörterbuch, in dem jemand das Wort „Realitätsverlust“ umkringelt hat?

Oh, Entschuldigung, Herr Aust, das war albern von mir.

Der Heilige Gral von 9Live

Allmählich glaube ich wirklich, dass es mit 9Live zu Ende geht. Mit 9Live-„Moderator“ Robin Bade allemal. Ich habe schon viele Stunden in meinem Leben 9Live gesehen. Aber dieser Monolog vom vergangenen Freitag schlägt alles:

Über eine Million Euro gehen hier Monat für Monat raus. (…) Und trotzdem versuchen es Leute schlechtzureden. Das geht nicht, liebe Zuschauer. Das geht nicht! Die Leute, die das hier schlechtreden wollen, sind dumm. So isses. Vollidioten. So sieht’s aus. Ernsthaft. Früher haben auch Vollidioten gemeint, die Welt ist eine Scheibe, aber meinten natürlich, sie wären im Recht. Bis dann einer kam, die Welt ist rund, und der wurde ausgelacht. Ja. Aber gut, mein Gott, was soll man machen, liebe Zuschauer. Was soll man machen? Ganz ehrlich: Wie willste mit nem Vollidioten reden? Ich weiß es nicht. Ich weiß es echt nicht. Was sollste da sagen? (…)

Rufen Sie mich jetzt an und holen Sie sich das Geld. Ich kann Sie bis zu einem gewissen Grad an die Hand nehmen. Und wir können zusammen den stolprigen Weg des Erfolges gehen. Aber den Griff an den Heiligen Gral, den müssen Sie alleine machen. (…)

Man kann alles im Leben schlecht reden, aber nicht 9Live. (…)

Ich weiß, dass 9Live wirklich funktioniert. Wenn Sie’s nicht erkennen, kann ich Ihnen nicht helfen. Will ich Ihnen auch gar nicht helfen. Weil, wenn man selber seinen Lebensweg so verhunzt, dann verhunzen Sie ihn halt, das ist mir egal. (…)

Ich hab’s satt, dass schlecht über 9Live geredet wird. Dafür gibt’s keinen Grund. Über mich redet sowieso keiner schlecht, weil sich gar keiner traut. Weil mich die Leute nämlich kennen. Da werden Sachen behauptet, noch und nöcher, und mit mir spricht keiner. Das ist unfassbar, liebe Zuschauer, da fasst man sich doch an den Kopf. Da diskutieren Leute, die wirklich keine Ahnung haben, und fragen nicht mal — es ist unfassbar. Da fass ich mir an den Kopf. (…)

Auf den Hot-Button hat niemand Einfluss. Und wer das behauptet, der lügt und hat keine Ahnung, glauben Sie mir. (…)

Es sind die Lügen, die Glücksversprechen, der Wahnsinn einer Sekte.

(via call-in-tv.de, DWDL)

Sven Gösmann glaubt nicht an Zufälle

Der Chefredakteur der „Rheinischen Post“, Sven Gösmann, vermisst Empörung in diesem Land.

Der Termin mag Zufall sein, aber irgendwie glaubt man nicht dran: Am 16. Juni – einen Tag vor dem früheren Tag der deutschen Einheit – wollen sich die bisherige Linkspartei.PDS und die westdeutsche Linksgruppierung „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ (WASG) in Berlin zur gesamtdeutschen Partei „Die Linke“ zusammenschließen. Die Geschmacklosigkeit ist wahrscheinlich in der hektischen, oft geschichtsvergessenen Berliner Republik kaum noch erklärbar: Dass die Nachfolger des SED-Regimes in der Nähe zum Datum des Gedenktages für den Volksaufstand in der DDR 1953 ihren bisher größten Tag im wiedervereinigten Deutschland erleben, sorgt nicht mehr für Aufsehen.

Ja, krass. Diese Berliner Republik ist so abgestumpft. Nichts bringt sie mehr aus der Fassung. Diese ganze PDS-WASG-Fusionsgeschichte ist voller geschmackloser Anspielungen. Da ist nicht nur „die Nähe zum Datum des Gedenktages für den Volksaufstand in der DDR 1953“. Da ist auch die Wahl des Ortes: Berlin! Und nicht irgendwo in Berlin, nein: ausgerechnet im Estrel Convention Center, das es 1953 zwar noch nicht gab, aber in Neukölln liegt, einem Westberliner Stadtteil, der ganz in der Nähe zu Ostberlin liegt, wo ja exakt 54 Jahre früher und einen Tag später der Volksaufstand stattfand! Und laut vorläufiger Tagesordnung soll die Gründung der neuen Partei ausgerechnet unter Tagesordnungspunkt fünf stattfinden, und was ist die Quersumme aus 17.6.1953? Fünf! Gut, das mag Zufall sein, aber irgendwie glaubt man nicht daran.