Autor: Stefan Niggemeier

Auch doof

Bisschen merkwürdig ist es schon, dass die „Welt“ heute ein Interview mit dem lustigen Franzosen Alfons bringt und ihm die Überschrift
„Manchmal bin ich auch doof“ gibt.

Nicht nur, weil dasselbe Interview, anders gekürzt, gestern schon in der „Frankfurter Rundschau“ stand. Und nicht nur, weil es auch dort schon die Überschrift „Manchmal bin ich auch doof“ hatte.

Sondern vor allem, weil der Satz „Manchmal bin ich auch doof“ in der „Welt“-Version des Interviews gar nicht vorkommt.

„Welt“-Offenheit

In Dresden beschimpfen zwei Deutsche einen indischstämmigen amerikanischen Studenten als „Kanake“ und greifen ihn und seinen deutschen Dozenten, der dazwischengeht, mit Schlägen und Tritten an.

Unter einem „Welt Online“-Artikel über den Angriff stehen, teils seit gestern Abend, Kommentare wie diese:

Kennt ihr ueberhaupt die Zahlen?
Rund 1000 Verbrechen von Rechts im jahr…
Rund 100.000 von Links im jahr
und eine Million von „Migranten“ auch als Moslems bekannt.

Und dieser Inder hatte in Deutschland sowiso nix verloren.
Warum lassen uns nicht einfach alle in Ruhe…

Als wir nach dem 2ten Weltkrieg am Boden waren, sind sie nicht zu uns gekommen und haben uns geholfen, auch nicht die Tuerken.
Als wir uns aber durch UNSERE EIGENE KRAFT aus der Scheisse gerettet haben, da wollen sie uns alle ganz doll lieb haben und wir sollen ja nicht so sein..

Ja ne is’klar.

Lasst uns alle einfahc in ruhe, dann passiert so ne scheisse auch kuenftig nicht mehr.

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Ich kann es nicht mehr hören!

WARUM, in Dreiteufelsnamen, wird nicht mit der gleichen Akribie über die durch Ausländer an Deutschen begangenen Verbrechen berichtet?

Jede verdammte Ohrfeige an einem Ausländer ist ein „rassistischer Übergriff“, worüber bis zum Erbrechen berichtet wird. Über die „dummen Kartoffeln“, die so blöde waren sich ein Messer von irgendwem mit „Migrationshintergrund“ einzufangen, liest man, wenn es hochkommt, maximal zwischen den Zeilen in den Pressemitteilungen der Polizei.

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Von den vielen weisshäutigen die täglich von Nazis (früher nannte man diese Leute Schläger oder Rocker)
verprügelt werden gibt es keine Berichterstattung .
Die wenigen Fälle wo Ausländer involviert sind werden bis zum Exzess angeprangert. Komischer weise gibt es im Ausland solche Fälle auch aber keiner reagiert so kleptomanisch wie die Deutschen. Ist doch einfach lachhaft.

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…wieso fremdenfeindlich ? (VORVERURTEILUNG durch die Presse !!)
…erstaunlich,dass Amerikaner deutsch verstehen ?!
…was war der Auslöser des Ganzen- endet das so wie der Fall Potsdam ? BITTE SERIÖSE BERICHTERSTATTUNG !!

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Ich frage mich, wo der große überregionale Bericht belibt, wenn mal wieder ein weißer Inländer von einer Horde Ausländer niedergeprügelt wird, was ja in unserem eigenen Land fast täglich vorkommt!

(Plumpe Pointen darüber, dass Meinungsbeiträge von Redakteuren bei „Welt Online“ bekanntlich aus Qualitätsgründen vor der Veröffentlichung gefiltert werden, bitte verkneifen.)

Warum Callactive versucht, Kritiker mundtot zu machen

Die Firma Callactive, die für drei Sender der MTV-Gruppe in Deutschland mehrstündige Anruf-Sendungen produziert, versucht auch weiterhin, eine kritische Auseinandersetzung mit ihren Geschäftsmethoden zu erschweren. Am Montag forderte der Anwalt des Unternehmens den Betreiber des Forums call-in-tv.de auf, die Screenshots von Callactive-Sendungen zu entfernen:

Insbesondere sind derartige Veröffentlichungen nicht von der Zitierfreiheit erfasst. (…) Bei der Durchsicht von Foren-Inhalten konnten wir keinen einzigen Screenshot identifizieren, dessen Veröffentlichung nicht Rechte der Callactive GmbH verletzt.

Schaut man sich die Screenshots an, ahnt man, warum die Firma sie ungern im Netz sieht: Viele beweisen, wie Callactive in „Money Express“ die Zuschauer systematisch in die Irre führt und gegen die Regeln der Landesmedienanstalten (pdf) verstößt.

Bei Kennern berüchtigt ist etwa das im „Money Express“ gern gespielte Rätsel „Zählen Sie alle Liter!“. Vergangene Nacht handelte es sich um eine vergleichsweise einfache Version:

Trotz Dutzender durchgestellter Kandidaten kam niemand auf die richtige Lösung, und so musste die Moderatorin am Ende selbst verraten, wie es geht.

„Und jetzt muss ich Ihnen die Lösung zeigen, was wär‘ denn wirklich rausgekommen? 352! Hier unten — haben Sie das gesehen? Ich hab’s Ihnen andauernd gesagt: Das mittlere Fass! Das eine ist leer, und da drunter, da ist noch eins. Bitte, das nächste Mal machen Sie das richtig. Das da drunter war voll, und voll und leer, da müssen Sie immer oben zählen und das was drin ist zählen, und das nächste Mal, da zählen Sie alles richtig und dann gibt’s hoffentlich auch wieder einen tollen, fünfstelligen Gewinn, eventuell.

Das Zitat ist ungekürzt, und die Sendung damit zuende. Und nun zum Vergleich die Formulierung aus den Gewinnspielregeln der Landesmedienanstalten, an die sich Callactive nach eigenen Aussagen hält:

Die an einen fairen Wettbewerb zu stellenden Voraussetzungen erfordern, dass die Spiele transparent aufgelöst werden. D. h. für den durchschnittlichen Zuschauer muss es, insbesondere auch bei schweren Spielen möglich sein, die Lösungslogik nachzuvollziehen.

Falls Ihnen die Lösungslogik trotz der Auflösung durch die Moderatorin nicht klar ist — es ist doch ganz einfach. Zuerst zählen Sie alle Zahlen mit „Liter“:

15 + 15 + 20 + 20 + 25 + 25 = 120.

Aber in „15 Liter“ steckt ja auch „5 Liter“, also:

5 + 5 + 0 + 0 + 5 + 5 = 20.

Aber Liter kann man ja auch mit „L“ abkürzen, deshalb müssen wir die beiden Summen doppelt zählen: :

120 + 120 + 20 + 20 = 280.

Nun zählen Sie den Inhalt der Fässer dazu, aber nur die vollen (also ohne Loch unten) und inklusive der verdeckten:

280 + 15 + 20 + 25 = 340.

Und die sechs einzelnen Wörter „Liter“ zählt auch jeweils als Liter, ebenso die sechs darin enthaltenen „L“, also:

340 + 6 + 6 = 352!

Ta-daa!

Aber selbst wenn Sie das jetzt verstanden haben sollten und irgendwie logisch finden, würde ich dringend davon abraten, beim nächsten „Liter“-Spiel im „Money Express“ anzurufen. Denn, wie gesagt: Dieses Spiel war vergleichsweise fair. Manchmal fehlen bei den Beschriftungen auf den Tonnen klitzekleine Ecken, dann zählen sie nicht mehr. (Auch das widerspricht übrigens den Regeln der Landesmedienanstalten.) Mal sind die Liter als „Ltr.“ abgekürzt, dann zählen sie, mal steht da nur „Ltr“, dann zählen sie nicht, also, außer das „L“ alleine, das zählt natürlich in jedem Fall als „Liter“. Deshalb kommt bei diesem Rätsel, das im „Money Express“ vor zwei Wochen gespielt wurde, natürlich auch 528 heraus, wie die Lösungsbildschirm anschaulich macht (und nicht 527, wie „Money Express“ am Tag zuvor noch behauptet hatte):

Wissen Sie jetzt, was der Grund sein könnte, dass Callactive und ihr Geschäftsführer Stephan Mayerbacher sich so dagegen wehren, dass man Screenshots von der Sendung im Netz veröffentlicht?

PS: Ich hatte versucht, ein kurzes Video, das die erstaunliche „Auflösung“ der Sendung zeigt, bei Sevenload hochzuladen. Es war innerhalb kürzester Zeit gelöscht. Sevenload scheint auf Wunsch von Callactive alle Beweisvideos entfernt zu haben.

Mit Dank an call-in-tv.de für den Lösungsweg!

Selten so Gl8!

Kleine Bemerkungen am Rande:

Im ZDF-Blog zum G8-Gipfel kann man schön sehen, wieviel Angst auch diejenigen etablierten Medien, die versuchen, sich auf die neuen Möglichkeiten der Kommunikation im Internet einzulassen, vor dem damit verbundenen Kontrollverlust haben. Links in den Kommentaren des Blogs, selbst solche wie dieser, werden entfernt. Nicht auszudenken, wenn jemand auf eine der schlimmen Seiten verlinkte, von denen man immer soviel hört.

Und dann würde ich doch gerne mal mit dem ZDF-Menschen sprechen, der die Idee hatte, die einzelnen Kapitel der interaktiven „Reise durch die Weltwirtschaft“ so zu betiteln:

Nachtrag, 6. Juni, 17.35 Uhr: Andreas Heck, Redaktionsleiter heute.de, antwortet auf die Kritik an der Entfernung des Links im ZDF-Blog:

(…) Wir möchten jedenfalls nicht auf die Form des Blogs als eine Möglichkeit in der Berichterstattung verzichten – müssen aber bei Nutzerbeteiligung durch eine Moderation sicherstellen, dass alle Inhalte neben Recht und Gesetz auch mit den Programmrichtlinien des ZDF vereinbar sind. Darüber hinaus gilt es, die Vereinbarkeit mit Jugendschutz, Anstand und guten Sitten zu gewährleisten. Da das in diesem Fall nicht das Problem ist, war es ein Fehler, die URL herauszunehmen. Nun ist sie drin.

Chronologie einer Falschmeldung

Was für ein Debakel.

Am Samstag um 18.41 Uhr bringt die Nachrichtenagentur dpa einen Bericht ihres Korrespondenten Helmut Reuter aus Rostock, in dem es heißt:

Um 17.30 Uhr werden die ersten Autos angezündet, während unweit vom Tatort auf der Kundgebungsbühne ein Redner die militante Szene noch mit klaren Worten aufstachelt: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.“

Es ist eine Falschmeldung. Das Zitat ist weder wörtlich noch sinngemäß gefallen. Walden Bello hatte auf der Kundgebung um 17.17 Uhr im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg gesagt:

„Two years ago they said: Do not bring the war into the discussions. Just focus on poverty reduction. Well, we say: We have to bring the war right into this meeting. Because without peace there can be no justice.“

Und der Übersetzter auf der Bühne hatte es unmittelbar darauf so übersetzt:

„Vor zwei Jahren hat es geheißen: Wir sollen den Krieg nicht in die Diskussion mit reinbringen. Wir sollen uns nur auf Armutsbekämpfung konzentrieren. Aber ich sage: Wir müssen den Krieg hier mit reinbringen. Denn ohne Frieden kann es auch keine Armutsbekämpfung geben.“

Bellos Sätze sind im Original bereits eine halbe Stunde, nachdem er sie gesagt hat, bei MyVideo zu sehen.

Drei Tage wird dpa brauchen, den Fehler zu korrigieren. Drei Tage sind eine lange Zeit.

Samstag.

Bild.de übernimmt Teile des dpa-Berichtes:

„Auf der Kundgebungs-Bühne stachelt ein Redner die militante Szene noch auf: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration rein tragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.“

„Spiegel Online“ übernimmt das falsche Zitat in seinem Live-Ticker und macht daraus die Überschrift des Artikels:

„Wir müssen den Krieg in diese Demo tragen“

Das „Spiegelfechter“-Blog beweist anhand des MyVideo-Ausschnittes, dass Bello dies nicht gesagt hat.

Um 21.39 Uhr berichtet dpa-Korrespondent Marc Herwig:

Stundenlang lieferten sich gewalttätige Autonome Straßenschlachten mit der Polizei – angestachelt von den Anfeuerungsrufen tausender Demonstranten, die zunächst friedlich gegen den G8-Gipfel kommende Woche in Heiligendamm protestiert hatten. Einer der Redner forderte über die Lautsprecheranlage sogar zum „Krieg“ gegen die Polizei auf.

Sonntag.

Die Berliner Boulevardzeitung „B.Z.“ schreibt:

Kurz darauf stachelt ein Redner der militanten Szene die Chaoten weiter auf. Von der Bühne der offiziellen Kundgebung ruft er ins Mikrofon: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.“

Um 11.40 Uhr gibt Udo Pastörs, der Chef der NPD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, eine Presseerklärung heraus, in der er die „etablierten Parteien“ für den „entfesselten linken Mob“ verantwortlich macht:

Es sei (…) nicht hinnehmbar, daß sich unter den Augen der Versammlungsleitung in Rostock, Gewalttäter und Chaoten versammeln können, ja sogar die Kundgebungsbühne für Aufrufe wie: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.“, genutzt werden darf.

Um 15.20 Uhr bringt dpa eine „Chronologie“ über die „Eskalation der Gewalt“:

17.30 – Die Stimmung schlägt um. Autos werden angezündet. Auf der Bühne stachelt ein Redner die militante Szene auf: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.“

Um 15.59 Uhr verschlimmbessert dpa:

Der Aufruf zum „Krieg“, mit dem ein Redner während der Krawalle am Samstag in Rostock die militante Szene angestachelt hatte, war nach Darstellung der Protest-Organisatoren ein Übersetzungsfehler. Der zitierte Redner Walden Bello habe in seiner englischsprachigen Rede dazu aufrufen wollen, gegen den Krieg im Irak zu protestieren, teilte die globalisierungskritische Organisation Attac am Sonntag mit. In der deutschen Übersetzung wurde daraus: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.“ Die Äußerung sei in diesem Zusammenhang missverständlich gewesen. Sie habe aber nicht auf Krawalle bei der Anti-G8-Demonstration abgezielt, betonte Attac.

Um 16.04 baut dpa-Korrespondent Helmut Reuter die neue, falsche Version in einen weiteren Korrespondentenbericht ein:

Auf der nahen Kundgebungsbühne spricht ein Redner – auf Englisch. Die Übersetzung stachelt die militante Szene weiter an: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.“ Am Sonntag spricht Attac von einem Übersetzungsfehler.

Um 16.17 übermittelt dpa noch einmal die „Chronologie“ mit der neuen, anders falschen Version:

17.30 – Die Stimmung schlägt um. Autos werden angezündet. Auf der Bühne wird ein englischer Redner missverständlich übersetzt: «Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.» Die militante Szene fühlt sich angestachelt. Gemeint war, der Irak-Krieg müsse auch bei der Demonstration thematisiert werden.

Montag.

Korrespondent Fritz Dinkelmann berichtet aus Rostock in verschiedenen Schweizer Zeitungen:

Doch auch offizielle Demo-Redner wie etwa Walden Bello von der interventionistischen Linken hatten vorher eine Stimmung geschürt, die Grenzen verwischte zwischen friedlichen Demonstranten und jenen, die prügeln wollten: „Wir haben hier den Geist von Genua“, rief der Soziologieprofessor aus Manila in das Mikrophon (…).

In anderen Schweizer Zeitungen fantasiert Berlin-Korrespondent Helmut Uwer:

Einer der laut Polizeiangaben 3000 Militanten kletterte auf eine Bühne und gab die Parole aus: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.“

In den Stuttgarter Nachrichten wird die falsche Meldung mit neuen Details angereichert:

Während ein Attac-Vertreter aufrief, Ruhe zu bewahren, heizte ein Redner der Autonomen die Stimmung noch an: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.“ Viele pfiffen und buhten daraufhin.

Auch Annika Fischer, die Autorin der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“, hat die dpa-Ente ausgeschmückt:

„Wir müssen den Krieg in diese Demo tragen!“, ruft ein junger Mann ins Megafon, aber vorn an der Bühne stehen immer noch die (farben-) frohen Linken, beschwören eine „andere Welt“ und reden von einer „schönen Veranstaltung“.

Das viel gelesene islamfeindliche Hassblog „Politically Incorrect“ macht sich „auf die Suche nach den letzten Spuren der Wahrheit“ und meint, sie in der zu diesem Zeitpunkt immerhin halb dementierten ersten dpa-Version gefunden zu haben. Die ersten Korrekturen der Falschmeldung nennt „PI“ eine „entschuldigende Massenverblödung“.

Für die „Kölnische Rundschau“ berichten drei Korrespondenten, von denen offenbar keiner wusste, dass Menschen, die Reden auf englisch halten, nicht unbedingt englische Redner sind (Walden Bello ist Philippiner):

Zu der neue Eskalation nach leichter Beruhigung trug offenbar ein Übersetzungsfehler bei: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts“, sollte ein englischer Redner gesagt haben. Die militante Szene fühlte sich angestachelt. Gemeint war aber, der Irak-Krieg müsse auch bei der Demonstration thematisiert werden.

Um 18.39 Uhr nimmt sich ZDF Online des Themas an und widerlegt in seinem Blog zum G8-Gipfel mit einem Video auch die zweite dpa-Version, wonach das Zitat auf der Bühne falsch übersetzt wurde.

Die Nachrichtenagentur dpa braucht danach noch weitere 18 Stunden, bis sie endlich ihren Fehler einräumt und korrigiert.

Dienstag.

Um 12.59 Uhr meldet dpa endlich:

In einem Korrespondentenbericht zu den Ausschreitungen während der Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Rostock am 2. Juni (…) zitiert dpa einen Redner bei der Kundgebung mit den Worten „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.“. Diese Formulierung ist – wie aus einem TV-Mitschnitt von „Phoenix“ ersichtlich ist – weder in der englischen Original-Rede noch in der deutschen Übersetzung des Beitrags so gefallen.

(…) Die sinnentstellte Fassung des Zitats in den Meldungen der dpa ist auf einen Übermittlungsfehler zurückzuführen, für den dpa allein die Verantwortung trägt. Die dpa hat den Fehler in ihren Archiven entsprechend gekennzeichnet. Wir bitten – auch mit Blick auf den betroffenen Redner Walden Bello – um Entschuldigung.

Um 14.27 Uhr wiederholt dpa noch einmal:

Einen Aufruf eines Redners zum „Krieg“ bei den Demonstrationen von Rostock am vergangenen Samstag hat es nicht gegeben. Eine Überprüfung des Redetextes hat gezeigt, dass die Ansprache des Redners Walden Bello bei einer Kundgebung in Rostock auch nicht falsch übersetzt worden war, wie die Deutsche Presse-Agentur dpa am Samstag berichtet hatte. dpa bedauert die fehlerhafte Berichterstattung und hat sich bei den Veranstaltern entschuldigt.

„Spiegel Online“ hat den Artikel mit der Falschmeldung relativ früh berichtigt und dokumentiert auch die Entstehungs- und Korrekturgeschichte. Aber das ist die Ausnahme. Die meisten Artikel, die die dpa-Ente übernommen haben, scheinen unverändert online zu sein.

Und jede Wette: Die meisten Tageszeitungen werden die Fehler, ihre eigenen und die der dpa, morgen weder berichtigen noch sich dafür bei irgendwem entschuldigen, schon gar nicht bei ihren Lesern.

Nachtrag. Sehr lesenswert: Christiane Link, die bis vor kurzem bei dpa gearbeitet hat, plaudert aus dem Nähkästchen.

Fortsetzung: II, III.

Grimme und die Kirche im Dorf

Ich habe gezögert, mich zu dem Thema zu äußern (mal abgesehen davon, dass dieser Eintrag auf der nach oben offenen Selbstreferenz-Skala rekordverdächtig punktet). Ich bin selbst für den Grimme-Online-Award nominiert. Man kann mir also vorwerfen, befangen und unaufrichtig zu sein oder auch einfach die für mich bequemste Haltung zu dem Thema einzunehmen. Andererseits erzähle ich den Leuten dauernd, dass es sich im Internet auszahlt, offen zu sein und auf Kritik einzugehen. Also wollte ich nicht kneifen.

Wie sehr die Debatte um den diesjährigen Grimme-Online-Award entglitten ist, kann man an vielen Stellen sehen. Zum Beispiel an der heutigen sonntäglichen Wochenschau, die Detlef Borchers alias Hal Faber für Heise Online schreibt. Er zitiert aus der Stellungnahme des Grimme-Institues:

„Im Unterschied zu anderen Medienpreisen, bei denen fachkundige Beobachter und Kritiker in einer Jury nicht unbedingt selbst Akteure sind, ist eine solche Überschneidung beim Medium Internet nicht auszuschließen.“

Hal Faber nennt diese Erklärung „seltsam“ und fügt höhnisch hinzu:

Das muss ja höllisch kompliziert sein, dieses Internet.

Nur geht es weder in der Stellungnahme Grimmes noch bei dem Streit überhaupt um die Frage, wie „kompliziert“ „dieses Internet“ ist. Es geht um die Frage, wie eng die Nominierten und die, die über die Nominierungen und die Auszeichnungen entscheiden, miteinander verbandelt sind.

In der Jury des Grimme-Fernsehpreises sitzen Menschen, die über das Fernsehen schreiben. Das sind in aller Regel keine Menschen, die Fernsehen machen. Diese Trennung zwischen Kritikern und Machern gibt es Internet fast nicht. Wer über das Internet berichtet, publiziert in der Regel auch im Internet. Deswegen sind die meisten Jurymitglieder beim Grimme-Online-Award (anders als beim Grimme-Fernsehpreis) potentiell immer auch Preisträger. Und deswegen gibt es zwischen allen Beteiligten enge Bande.

Das ist ein Problem. Man wird das vermutlich nicht lösen können. Aber man müsste es auch nicht noch dadurch noch dramatisch verschärfen, dass die Jury ein Angebot eines Jurymitglieds für den Preis nominiert. Das geht nicht. Auch dann nicht, wenn das betroffene Jurymitglied daraufhin sofort die Jury verlässt. Das müsste eine Selbstverständlichkeit sein.

Dass die Jury dennoch den „Elektrischen Reporter“ von Mario Sixtus nachnominiert hat, war meiner Meinung nach ein Fehler. Er war, gelinde gesagt, naiv und unsensibel und schadet der Glaubwürdigkeit des Preises. (Mario Sixtus hat es vielleicht am meisten geschadet, weil die Nominierung und der eventuelle Preis nun mit einem Makel versehen ist, den sein feiner „Elektrischer Reporter“ nicht verdient hat.)

Und auch wenn man bei Grimmes anscheinend unbeirrt der Meinung ist, dass das Verfahren korrekt war, scheint die Kritik doch angekommen zu sein: Für das nächste Jahr soll eine „Änderung des Statuts“ erörtert werden, damit die „Klarheit des Verfahrens“ auch „öffentlich nachvollziehbar“ ist.

Nun kann man darüber, dass man bei Grimmes nicht gesehen hat, wie problematisch die Entscheidung der Jury war, noch länger den Kopf schütteln, wenn man will. Für mich aber ist die Sache damit erledigt. Ich war einige Male in der Jury des Grimme-Fernsehpreises. Ich habe die Arbeit dort als diskussionsfreudig, transparent, demokratisch, unabhängig erlebt und habe auch deshalb ein hohes Grundvertrauen in die Integrität des Grimme-Institutes.

Nicht nur deshalb finde ich die Art, wie an manchen Stellen nun über den Grimme-Online-Award diskutiert wird, hysterisch. Kritischen Fragen (auch zu anderen Themen) muss sich der Preis stellen, das hält er auch aus. Aber schon der Vorwurf der „Mauschelei“ ist abwegig: Mauscheleien sind „geheime Absprachen“; die Entscheidung der Jury, ein Bis-gerade-noch-Jurymitglied zu nominieren, geschah aber in aller Öffentlichkeit und jeder konnte sich seine Meinung dazu bilden.

Grotesk finde ich es auch, an diesem Fall nun ganze Korruptionsdebatten aufzuhängen, um den Ruf unseres Landes zu fürchten („Eine Institution, die auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland geachtet wird, wird durch wenige ausgenutzt, die eigene Ziele verfolgen“), eine Verbindung zum Widerstand Adolf Grimmes im Dritten Reich herzustellen etc pp. Wer so argumentiert, dem geht es, glaube ich, nicht um Grimme, sondern darum, die Grenze zwischen den vermeintlich sauberen, ehrlichen, werbefreien Bloggern und den angeblich korrupten, käuflichen, werbeverseuchten Bloggern um jeden Preis weiter zu befestigen.

(Einen Nebenkriegsschauplatz bildet seit gestern übrigens das Medienmagazin DWDL, das die außerordentlich schlechte Idee hatte, den Redakteur ein Interview zum Thema führen zu lassen, der jahrelang die Pressearbeit für den Preis gemacht hat.)

Was ich mir im konkreten Fall und grundsätzlich wünschen würde: Dass es häufiger gelingt, den Einzelfall zu kritisieren, ohne ihn immer gleich zum Beleg für den Untergang des Grimme-Instituts / der Blogkultur / des kritischen Journalismus / des Abendlandes aufzublasen. Schon weil es eine fruchtbare Diskussion über den Einzelfall so erschwert.

Kai Pflaume

Kai Pflaume ist gut im Pausenmachen. Wenn er für Sat.1 „Nur die Liebe zählt“ moderiert, ist wenig so wichtig wie die Pausen. Meist sitzt dann ein eingeschüchtertes Wesen neben ihm, das gerade durch eine Videobotschaft erfahren hat, dass ein früherer Partner nicht aufhören kann, es zu lieben, trotz allem, was vorgefallen ist. Aus den meisten sprudeln dann nicht sofort detaillierte Schilderungen über das Intimleben und die eigene Gefühlslage heraus, aber Pflaume hat ja Zeit. Er muss nicht immer gleich eine neue Frage nachschieben. Er schweigt und wartet, dass das eingeschüchterte Wesen die entstehende Pause von ganz alleine füllt.
Und Pflaume macht das gut. Er macht das so, dass man nur gelegentlich das Gefühl hat, es handele sich um eine perfide Technik, die Leute dazu zu bringen, mehr zu sagen, als sie wollen, und meistens so aussieht, als sei er ernsthaft berührt und schweige aus einer Art Respekt.

Vielleicht war dieses Pausentalent der Grund dafür, dass Sat.1 Kai Pflaume zum Moderator der neuen Gameshow „Rich List“ gemacht hat — eine Sendung, die eine Stunde lang ist, aber in einen ProSieben-Werbeblock passen würde, schnitte man die Pausen heraus. Es geht darum, dass Kandidaten möglichst viele bestimmte Dinge aufzählen, zum Beispiel Formel-1-Weltmeister, und Kai Pflaume möglichst lange Pausen macht, bevor er sagt, ob ihre Antwort richtig ist. Anders als bei „Nur die Liebe zählt“ werden die Pausen nicht mit Emotionen gefüllt, sondern mit nichts (deutsche Showproduzenten verwechseln das seit einiger Zeit mit Spannung). Und anders als bei „Nur die Liebe zählt“ muss Kai Pflaume dabei aussehen, als bewerbe er sich um den Titel „Fiesester Folterknecht“ in der Disziplin „ohne Anfassen“. Das steht ihm gar nicht und lässt ihn locker zehn Jahre altern (falls nicht doch einfach die Maskenbildnerin eine schlechte Woche hatte).

Es ist aber auch nicht so leicht, als Moderator in einer Show gut auszusehen, wenn die Kategorie „Länder mit S“ heißt, die Kandidaten „Südafrika“ gesagt haben, und man nun wertvolle Sendesekunden damit füllen muss, die Ungewissheit aufrecht zu erhalten, ob „Südafrika“ ein Land ist, und, vor allem, ob es wirklich mit „S“ anfängt.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung