Die Geschichte vom Mord an Robert Wone wird mit Sicherheit einmal verfilmt werden. Sie hat alles, was ein großer Krimi braucht: Verdächtige, die in einer ungewöhnlichen Dreier-Beziehung zusammen leben, bizarren Sex, schlampige Polizeiarbeit, durch die entscheidende Spuren unbrauchbar werden, ein Tatwerkzeug, das nicht das Tatwerkzeug ist, unerklärliche Widersprüche in den Aussagen der Verdächtigen, die andererseits aber eigentlich auch viel zu wenig Zeit hatten, um ihr Opfer ermordet und die Tat vertuscht zu haben — und am Ende, nach vielen vergeblichen Tests, nur noch genug Blut des Opfers für eine einzige weitere Untersuchung, um herauszufinden, was jemand dem Mann injiziert hat, bevor er erstickt und erstochen wurde.
Genau genommen hat die Geschichte viel zu viel von dem, was ein großer Krimi braucht. Im Zweifelsfall wird der Drehbuchautor vor allem damit beschäftigt sein, Dinge wegzulassen, die einfach zu unwahrscheinlich erscheinen.
Die „Washington Post“ hat den ganzen Fall jetzt aufgeschrieben, in einem grandiosen, akribischen, schier endlosen und bis zur letzten Zeile packenden Text. Er ist nicht in der gedruckten Zeitung erschienen, sondern nur online, in zwei Teilen. Paul Duggan, der den Artikel geschrieben hat, erklärt:
[…] some stories, to be told right, need A LOT of space, and there is a finite amount of it available in the printed paper. Fortunately in this age we have a boundless digital venue that can accommodate narratives like this one.
Nehmen Sie sich eine Stunde Zeit und lernen Sie dank dieses erstaunlichen Stücks Journalismus die unglaubliche Geschichte kennen vom unerklärlichen unnatürlichen Tod des Robert Wone.
[via Gawker]
Nach der lobhudeligen Empfehlung bin ich von dem Stück fast ein wenig enttäuscht.
Zehn Seiten voller privater Details und schlussendlich werden doch nur die beiden unterschiedlichen Erklärungen von Staatsanwaltschaft und Tatverdächtigen gegeneinander gestellt.
Letztlich bleibt nur, dass nichts zu beweisen ist und beide Varianten auf ihre Art unglaubwürdig sind.
Selbstverständlich sind Vorverurteilung der Polizei und Ratlosigkeit der Forensik/Gerichtsmedizin schräge Randnotizen, aber irgendwie fehlt mir der Erkenntnisgewinn für ein 50.000-Zeichen-Stück.
twitter ist da wohl ungeeignet
In Las Vegas, New York oder Las Vegas wäre der Mord anhand der Beweise schon lange eindeutig geklärt!
In einem anderen Blog würde ich es nicht kommentieren, aber gerade hier fällt es doch ein wenig auf, wie ein Mord auf Unterhaltung reduziert wird.
Als Jäger und Sammler der langen Textstrecken kann ich jetzt einfach nur DANKE sagen. Langes Echo folgt…
@4: „Tatort“ Blog. Haha. (Nicht nur) jeden Sonntag-Abend sind Morde der Anstoß jeglicher Unterhaltung.
Und sehen wir es positiv, also merke:
Hast dein Leben du verschlafen
ward großer Ruhm dir nie vergönnt?
so ist die letzte Rettung
für ersehnten Gang in die Gazetten
dass wenn du wirst erschlagen
dein Verleben amüsant sein könnt.
Immer diese notorischen Nörgler.
Ich werde noch ein ganz Großer!^^
PS: Als druckreifes PDF umfasst die Story samt Chat und aller Blogeinträge 76 A4-Seiten (zweispaltiges Layout). Wer über den Sinn und Zweck von schnell druckbaren PDF-Dateien philosophieren möchte, schicke eine Mail [email protected] (<- nadeln zu Englisch).
Bin mal gespannt, aus wievielen Kommentaren dieses Artikels später hervorgeht, dass ihre Verfasser den Artikel auch gelesen haben. Im Moment steht es 4:2.
@baddiel:
„In einem anderen Blog würde ich es nicht kommentieren…“
da wird sich Stefan aber geehrt fühlen!
Ich kann das leider nicht lesen, weil es zu lang ist, würde mich aber über eine deutsche Kurzzusammenfassung in den Kommentarspalten sehr freuen. Das wäre wirklich sehr nett, wenn das jemand machen würde.
hehe, das wird ja immer besser (10)!
Ich kann das leider auch nicht lesen, weil ich mich i.d.R. nicht am Leid anderer Leute aufgeile. Und ja, ich finde es eigentlich schon zumindest etwas gedankenlos, diesen Text als Unterhaltung anzupreisen.
@ baddiel & Batman:
Vielleicht habt Ihr einen anderen Blogeintrag gelesen, aber Stefan hat nirgendwo geschrieben, dass der Artikel unterhaltsam sei. Und wenn wörtlich von einem“grandiosen, akribischen, schier endlosen und bis zur letzten Zeile packenden Text“ die Rede ist, dann ist es klar, dass hier keineswegs ein Mord auf Unterhaltung reduziert wird. Ist es so schwer 27 Zeilen auch erst einmal zu lesen, bevor man seinen Senf dazugeben muss?!?!
Und wenn man meinem kurzen Text vielleicht vorwerfen kann, die Tat als Unterhaltung zu verkaufen, weil sie mich mit ihren vielen Rätseln so sehr an einen Krimi erinnert — dem „Washington Post“-Artikel kann man es mit Sicherheit nicht vorwerfen.
Ich habe Stefan Niggermeiers Text natürlich gelesen und meiner Ansicht nach auch verstanden. Mag sein, dass der Artikel aus der WP nicht „unterhaltsam“ gemeint war.
Ich muss aber zugeben, dass ich in dieser Hinsicht etwas empfindlich bin. Ich persönlich sehe und lese grundsätzlich nichts, was damit zu tun hat, dass Leute ums Leben kommen (Winnenden, 9/11 etc.). Ich persönlich finde es den Toten gegenüber respektlos (ebenso diese öffentliche Trauer etc.). Das Problem der Medien ist eben nicht, dass sie auch unterhaltsam sind, sondern alles zu Unterhaltung machen (wie Adorno, Neil Postman oder so, ich erinnere mich nicht mehr so genau, einmal sagte).
Ob der Artikel unterhaltend gemeint ist oder nicht: ich finde es ernüchternd, dass neun Seiten lang die Biografie und Privatsphäre ausgebreitet wird und man doch nicht schlauer ist als nach einer Agenturmeldung. Gut, es ist für die Länge gut geschrieben. Aus den Ermittlungspannen hätte man aber einen spannenderen und verblüffenderen Text machen können.
Wer wen wann wo kennen gelernt hat und so weiter finde ich in dieser Detailverliebtheit überflüssig. Weglassen ist oft eine Stärke eines Autors. Ein Stück mit 35000 Zeichen Einstieg ist eher oldschool als modern.
Aber vermutlich sind diese Dutzenden Details das Novum in der Berichterstattung über diesen Fall und deshalb in der US-Presse die Existenzberechtigung eines derart ausschweifenden Artikels.
Wer den Fall aber nicht kennt…
also die lobpreisungs/unterhaltungs-argumentation ist schon ziemlich geil. solche leute schauen weihnachten sicher titanic im fernsehen.
OT: John Pilger – „Freedom Next Time“, ein Vortrag zur Pressefreiheit als Video, 43 min, lang={EN:us} http://video.google.com/videoplay?docid=-4258131083758254736&hl=en
scheint mir für Relevanzsucher ein lohnendes Stück, auch wenn es von 2007 zu sein scheint. Von mir heute erst auf Wikileaks entdeckt.
Titanic …. Boahhh. What an insult.
Wer es ein bißchen kürzer hätte, schaue nach bei der englischen Wikipedia:
http://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Wone#cite_ref-post061008_3-0
Wollten die das perfekte Verbrechen begehen? Wie diese hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_und_Loeb
(siehe auch das Buch von Meyer Lewin und der Film „Cocktail für eine Leiche“ von Hitchcock)
Skeptisch stimmt mich, daß einer der Verdächtigen ein hochqualifizierter Jurist ist (wenn auch kein Strafrechtler), der genau wissen dürfte, was für Anforderungen an Beweismittel gelten.
Wenn es aber ein „perfekt“ geplantes Verbrechen sein soll, erstaunt doch, daß die drei stundenlange Verhöre ohne anwaltlichen Beistand überstanden haben. Warum man NIEMALS mit der Polizei sprechen sollte (zumindest nicht ohne Anwalt), selbst wenn man selber Anwalt ist, erläutert auf witzige und anschauliche Art dieser amerikanische Strafrechtsprofessor:
http://www.youtube.com/watch?v=i8z7NC5sgik
48.000 Zeichen? Das hätte Die Zeit in den 80ern noch als Glosse gedruckt.
Wow. Ich bin kurz davor, „viral marketing“ zu brüllen und im Mai 2010 einen Kinofilm zum Thema zu erwarten.
Ich finde es sehr schade, dass die Post das auf 10 PIs verteilt hat, das fördert nicht gerade den Lesefluss. Erstaunt bin, ich, wie schlecht mein amerikanisch hinsichtlich der Mord-/Staatsanwaltschaft-/Gerichts-Fachterminologie ist, wo ich doch seit über neun Jahren für britische Anwälte arbeite.
Der Chat und der Blog sind sehr ergiebig.
Alles in allem: Ein schönes Beispiel, wie man im Web Mehrwert und Qualität liefern kann, wenn man will. Und das sogar kostenlos.
Nebenbemerkung: Ich bin mir sicher, dass die jetzt (sic!)Beschuldigten von Polizei und Staatsanwaltschaft anders behandelt worden wären, wenn sie nicht schwul wären.
@SvenR: Wenn Du auf die Druckversion gehst, kriegst Du die Geschichte auf insgesamt zwei Seiten.
[…] Crime: → Stefan Niggemeier weist auf einen sehr lesenswerten Artikel in der Online-Ausgabe der “Washington Post” […]
Hm..Hmmm..ist ja alles sehr interessant und unterhaltsam und spannender als der Tatort und so weiter….
Aber ich frage mich doch mit welchem Recht intimste Details über 3 Menschen veröffentlicht werden, die -auch nach amerikanischem Recht glaube ich- bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten haben?
…und grade lese ich ein bischen im zugehörigen Blog rum.
Dort werden die Angeklageten in einer Galerie vorgestellt und man kann Kommentare abgeben und eine gewisser David schreibt:
„Is anybody going to talk about Price’s drug addiction? I think it is pretty well known. It’s been going on at least since the late nineties. Not that it means he’s a murderer but he would get extremely angry sometimes on that stuff. Scarily so.“
Einfach so, ohne Belege, ohne irgendwas.
Das ist dann schon richtig zum Kotzen.
Danke, Stefan, war spät gestern.
Beim ersten Lesen dachte ich noch, nach DER Ankündigung ist das ja jetzt nicht so doll. Je mehr ich mir das allerdings durch den Kopf gehen lasse, desto verrückter wird es.
Vor allem die Timeline ist eigentlich völlig unwahrscheinlich. Wenn man sich überlegt, was alles in gut einer Stunde passieren mußte, um den Toten praktisch spurenfrei in dem Zimmer abzulegen. Wenn man das sorgfältig machen will, muß man alles mehrfach reinigen. Und vor allem, wohin mit den Wischlappen, Spritzen, Ampullen, blutigen Kleidungsstücken, Bettwäsche, Handtücher? Wie bringt man das möglichst weit weg außer Hauses in den paar Minuten, ohne von Nachbarn gesehen zu werden? Feuchte Sachen rückstandsfrei im Kamin zu verbrennen dürfte auch schwer sein.
#28: Nach einer Spontantat im Drogenrausch sieht mir das auch nicht aus. Die offenbare Beseitigung der Spuren spricht doch eher für kühlen Kopf und lange Planung. Wenn einer im Drogenrausch einen Wutanfall kriegt, wird er wohl kaum warten wollen, bis die injizierten k.o.-Tropfen Wirkung zeigen, damit er gemütlich das Opfer erstechen kann.
Hallo Stefan und Kommentatoren,
ich möchte mich bedanken für diesen Link. Der Artikel und vor allem auch der Blog hat mich beschäftigt und inspiriert. Natürlich gibt es hier Spekulation, Voyeurismus, Unterhaltung. Aber es gibt hier auch einen unglaublich Fundus an Interesse, Aufmerksamkeit und Fachwissen. Und das alles in einer meist höchst kultivierten, respektvollen Form.
Für mich ist diese Art der Kommunikation im Internet eine echte Entdeckung. Kurz gesagt, wird hier die Aufklärung eines Falls, den Polizei und Medien schon fast verschlampt haben, durch engagierte (und natürlich zum Teil profilierungsfreudige) Menschen vorangetrieben.
Wozu sollte ein Kommentar unter einem Artikel und in einem Blog im besten Fall dienen? Vielleicht den anderen seinen Willen zu signalisieren, daß man bereit ist, Aufmerksamkeit zu schenken, sich Zeit zu nehmen, eine Auseinandersetzung anzunehmen?
Danke also noch einmal Gruß akibrasil
P.S. Noch eine Frage: In welchem deutschsprachigen Medium, online oder print, würde so ein Artikel am ehesten erscheinen?