Jedem Land sein eigenes MTV – die Pläne des Musiksenders.
Brent Hansen ist in diesen Tagen auf großer Europa-Tournee. Allein am Donnerstag vergangener Woche reiste der MTV-Europa-Chef von London nach Hamburg, Mailand, Stockholm und wieder zurück, um seinen Mitarbeitern und der Presse überall die gleiche Botschaft zu verkünden: Der Musiksender wird vom kommenden Jahr an deutscher, italienischer, schwedischer – und weniger englisch. Aus der starken Londoner Zentrale mit ein paar Außenposten soll ein wahres Netzwerk von MTV-Sendern in den meisten europäischen Staaten werden, die Programme für sich und einander produzieren, verspricht Hansen.
Im SZ-Gespräch nennt er erstmals Zahlen: 35 Millionen Pfund (rund 100 Millionen Mark) will er bis zum Jahr 2000 investieren, vor allem in das Programm, aber auch in die Technik. Erst die digitale Verbreitung nämlich hat die Ausstrahlung von verschiedenen MTV-Versionen in verschiedenen Ländern möglich gemacht: ‚Früher hätte jeder neue Kanal die Kosten vervielfacht – das wäre nicht finanzierbar gewesen‘, sagt Hansen. Doch es waren nicht nur die Möglichkeiten der Technik, sondern auch die Notwendigkeiten des Wettbewerbs, die zu der Entscheidung führten. MTV ist immer noch einer der wenigen Sender, die Geld verdienen. Der Erfolg aber war nur so lange ungefährdet, als es keine nationalen Konkurrenten gab. In Deutschland eroberte Viva in kürzester Zeit die Herzen der Mehrheit der Teenager und damit einen Platz in den Werbeetats der Industrie.
‚Keine kleinen Schritte mehr‘
In den vergangenen zwei Jahren hatte MTV mit kleinen Schritten auf die Entwicklung reagiert, in Deutschland und anderswo eigene Werbefenster und Programme in der Landessprache eingeführt. Jetzt will Hansen keine ‚kleinen, defensiven Schritte‘ mehr gehen, sondern gibt wirkliche Entscheidungsmacht über Marketing, Personal und Produktion in die Hände derjenigen Leute, die ihren Markt am besten kennen. Vor allem in London regte sich daher offenbar Widerstand. Hier baut MTV 80 Stellen ab, dafür sollen 150 Mitarbeiter in den anderen Ländern neu eingestellt werden – vermutlich ein paar Dutzend am deutschen Standort Hamburg. In Skandinavien, Holland und Osteuropa will MTV noch im nächsten Jahr eigene Kanäle aufbauen.
Das Konzept, von London aus ein jugendverbindendes Musikprogramm für ganz Europa zu machen, sei lange ein Erfolgsgeheimnis von MTV gewesen – heute bezeichnet es Hansen aber auch als ’schwierigen Kompromiß‘, was die Auswahl der Musik, den Informationsfluß und die Beziehung zu den Zuschauern angeht. Geändert habe sich auch das Zuschauerverhalten: Lag vor ein paar Jahren noch alles im Trend, was international war, begeistern sich zum Beispiel Italiener und Deutsche heute zunehmend für ihre eigenen Pop-Kulturen. ‚Wir wußten seit geraumer Zeit, daß wir in Richtung Regionalisierung gehen mußten.‘ Den internationalen Charakter der Marke MTV will Hansen nicht aufgeben, aber Programme, die aus irgendeinem undefinierbaren europäischen ‚Cyberspace‘ stammen, soll es in Zukunft nicht mehr geben.
Technisch ist es dank der digitalen Übertragung möglich, Dutzende von Musikkanäle für wenig Geld zu verbreiten, wirtschaftlich sind wahrscheinlich schon die fünf zuviel, die es in Deutschland zur Zeit gibt. ‚Die Stärke einer Marke wird über den Erfolg bestimmen‘, meint Hansen. ‚Wir müssen daran arbeiten, daß MTV nicht als Marke der achtziger Jahre, sondern der neunziger wahrgenommen wird.‘ Dazu sei es nötig gewesen, klare Prioritäten zu setzen und jetzt Geld dort zu investieren, wo auch sofort Geld zu holen ist. Die Entscheidung, Millionen in die Marke MTV zu investieren, ging mit dem Beschluß einher, den Etat der Tochter VH-1 um Millionen zusammenzustreichen. VH-1 richtet sich an Zuschauer, die aus dem MTV-Alter herausgewachsen sind. Im Gegensatz zu dem älteren Musiksender sei MTV stärker ein Teil der Pop-Kultur, habe eine emotionalere Beziehung zu seinen Zuschauern, kurz: sei mittelfristig wettbewerbsfähiger, sagt Hansen. ‚Wir müssen die Größe der Sender der Größe des potentiellen Marktes anpassen.‘
Anstatt in Schönheit zu sterben, soll VH-1 lieber etwas weniger glanzvoll leben. ‚Ich werde kein Geld verschwenden, nur um anderen etwas zu beweisen.‘