Neulich hat „Focus Online“ bekanntgegeben, sich nicht am allgemeinen Wettherunterziehen von Bezahlschranken zu beteiligen. Das Angebot soll kostenlos bleiben. Zu groß sei die Gefahr, Stammleser zu verprellen.
Doch die Umsonstheit hat ihren Preis. Die Stammleser müssen dafür an anderer Stelle besonders hart im Nehmen sein (vom Journalismus jetzt mal ganz abgesehen): Sie müssen sich darauf einstellen, dass „Focus Online“-Artikel mitten im Absatz von Werbebotschaften im Fließtext unterbrochen werden.
Nach Angaben des Werbevermakters Tomorrow Focus handelt es sich um einen Test. Die Werbeform werde den Kunden noch nicht angeboten, ob sie bei „Focus Online“ eingeführt wird, sei noch offen, sagt eine Sprecherin. Die ersten Erfahrungen seien aber „sehr positiv“. (Ich hatte konkret nach Reaktionen von Lesern gefragt, halte es aber eher für unwahrscheinlich, dass sich die Antwort darauf bezieht und stimmt.)
Es handelt sich um eine verschärfte Form von In-Text-Advertising. Das besteht sonst in der Regel daraus, dass einzelne Wörter im Text unterstrichen sind und beim Überfahren mit der Maus dazu vermeintlich passende Werbung angezeigt wird. Hier nun schiebt sich die Anzeige auch ohne (absichtliches oder versehentliches) Zutun des Lesers in den redaktionellen Text.
Selbst für den durchschnittlich desinteressierten Online-Medien-Nutzer muss dank solcher und ähnlicher Zudringlichkeiten längst unübersehbar sein, wie groß die Not der Angebote ist. Werbeformen wie diese sind Monumente der Verzweiflung, eine weitere Eskalation im zunehmend gewaltsamen Versuch, die Aufmerksamkeit der ebenso zunehmend abstumpfenden Leser auf die Botschaften der Werbekunden zu lenken.
Vermutlich muss man froh sein, dass die Werbung nicht mitten im Satz steht oder einzelne Wörter unterbricht, aber wahrscheinlich ist auch das nur eine Frage der Zeit. Die Kreativität, die man im deutschen Onlinejournalismus vermisst, sie scheint in die Erfindung solch immer neuer, immer noch aufdringlicherer Werbezumutungen zu fließen.
Sie haben übrigens noch weitere originelle Ideen bei „Focus Online“. Wenn man einen Artikel eine Weile offen lässt, erscheint oben eine Zeile, die einen informiert, dass es seit dem letzten Besuch „neue Artikel von FOCUS Online“ gebe, und dazu auffordert, die Seite „jetzt“ zu „aktualisieren“. Mit einem Klick kommt man dann auf die Startseite.
Die Einblendung erscheint natürlich unabhängig davon, ob tatsächlich in der Zwischenzeit neue Artikel auf „Focus Online“ veröffentlicht wurden. Sie kommt einfach immer automatisch nach zehn Minuten.
Erinnert mich an ‚Unterbrecherwerbung‘ im TV. Ich teile Dein Kopfschütteln, aber das wäre andererseits ein recht offensichtlicher Qualitätsindikator.
Das Problem für die Werber ist vielleicht, dass sie eigentlich nie die Werkzeuge entwickeln, sondern eher deren Anwendung koordinieren und sich für die Botschaft zuständig erklären. Dass andere Titel ohne Paywall an besseren Konzepten der Refinanzierung arbeiten, kann man ja dem Werber nicht vorwerfen. Beim Focus hat eben der Topf sein Deckelchen gefunden.
Da muss ich an ein Buch denken, das ich mir mal aus der Bücherei ausgeliehen hatte. Es ging gerade darum, dass sich die Hauptperson was zu essen gemacht hat, dann blättere ich um und… sah eine ganzseitige Anzeige für Maggi-Suppen. Ich war völlig fassungslos. Werbung in Büchern – Blasphemie!
Es wird doch wohl nicht zu viel verlangt sein, Werbebotschaften in Fließtexten mit einer Umrandung zu versehen oder sonstwie abzuheben, damit man nicht immer drüber stolpert. Das ist, wie in Kommentar 1 gesagt, genau wie diese schrecklichen Werbebanner, die mitten in einem Film oder einer Serie durchs Bild laufen. Was, glaube ich, von der EU ausdrücklich erlaubt worden ist.
Der Bürger ist halt in erster Linie nur Konsument und nichts anderes…
„Unterstützt durch Produktplatzierung – P“
Wo ist diese EU eigentlich wenn man sie mal wirklich braucht?
,,Da muss ich an ein Buch denken, das ich mir mal aus der Bücherei ausgeliehen hatte. Es ging gerade darum, dass sich die Hauptperson was zu essen gemacht hat, dann blättere ich um und… sah eine ganzseitige Anzeige für Maggi-Suppen. Ich war völlig fassungslos. Werbung in Büchern — Blasphemie!“
Oh ja, die ,,5 Minuten Terrine“ Anzeigen von Maggi in den BattleTech Romanen von Heyne. Ich erinnere mich mit Schaudern daran. Bei dt. Veröffentlichungen von Terry Pratchett ist das Anfangs auch passiert. Hat er sich dann aber vertraglich verbieten lassen.
(Man liest ja Terry Pratchett auch nicht auf deutsch.)
Mir schwebte gerade eine Excel-Liste vor dem geistigen Auge:
Eine Auflistung aller deutschen Medien von 1 bis xx und dann ab Spalte B alle bisher möglichen „Werbemaßnahmen“* von der einfachen Foto-Klickstrecke bis zum unsäglichen „Schreib quiez“.
Der Focus hätte sicherlich ein gut gefüllte Reihe.
*Werbemaßnahmen, die sich einem Werbe-Blocker entziehen.
Der Tagesspiegel packt inzwischen werbevideos in seinen rss-Feed. Wunderschön, wenn man unterwegs mit dem smartphone drüber schauen will. Konsequenz: fliegt aus dem Reader.
@ Nr. 2: Das war nicht zufällig so ein Doppelroman von John Saul? Mir kommt das nämlich extrem bekannt vor mit der Suppenterrinenwerbung.
@#2: Dann waren Sie aber in den 60er oder 70er Jahren noch nicht auf der Welt. Da haben Rowohlts Rotationsromane das schon vorgemacht. In meiner arg zerfledderten, zehnbändigen Tucho-Ausgabe (die ist allerdings schon 80er) findet sich in jedem Band mindestens einmal eine Unterbrecherwerbung für „Pfandbriefe und Kommunalobligationen“. Und der Werbetext nimmt sogar jedesmal ausdrücklich Bezug auf den gerade umgeblätterten Tucholsky-Text. Aufgemerkt, Focus!
Aha, einen neue Episode aus Reihe „How to Shoot Yourself In the Foot“.
Google, übernehmen Sie! So sahen nämlich auch die Suchmaschinen vor Google aus. Man konnte die Suchfelder vor lauter Werbung nicht mehr finden. Auch beim „Ergebnis“ sah es nicht besser aus. Die ersten zwei Seiten waren schlicht unbrauchbar.
Dann kam Google, denen nur das Logo prangte und darunter die Eingabezeile und auch die Ergebnisse waren brauchbar und nicht mit Werbung zersetzt.
Wenn die so weitermachen wird das Google der Online-Magazine kommen und den Markt aufräumen. Jedes Geschäft ist am Ende angelangt, wenn man es überzieht und seine „Produkte“ (also die Leser) vergrault. Und ohne Produkte auch keine Kunden.
Besser als wenn meine Werbung ständig durch Text oder Fernsehen unterbrochen wird – wie soll man da noch seiner Konsumentenpflicht nachkommen!
Wie Hr. Niggemeier bereits anmerkte: die letzten Zuckungungen einer sich aussterbenden Branche …
(@ Alberto Green, #5: Natürlich nicht. Aber es geht ums Prinzip. Wenn Werbung in Groschenromanen noch hingehen mag, ist sie bei Autoren wie Pratchett einfach nicht akzeptabel. Oder sie müsste so gut sein, dass sie selbst Kultpotenzial hätte, aber solche Werbung gibt es ja praktisch nicht. VW-Werbung der sechziger Jahre in den USA vielleicht, aber sonst?)
@ Oliver, #9: Ja, das kenne ich auch noch. Pfandbriefe. Ob jemals jemand Pfandbriefe gekauft hat, weil in einem Rowohlt-Buch eine auf das Buch abgestimmte Anzeige stand? Immerhin haben sie sich damals einige Mühe beim Texten gemacht.
Das könnte man kreativ umdrehen: Der redaktionelle Text wird in die Werbung eingestreut. Oder, nächste Stufe, in der Werbebotschaft ist ein Gewinnspiel integriert: Wer weiß wie die Suppe heißt, darf den Text (umsonst!) lesen.
Das ist jetzt unglaubliche 12 oder 13 Jahre her, dass ich mit einem Kollegen zusammen die „Internet-Redaktion“ unserer kleinen lokalen Tageszeitung gebildet habe. Wir fühlten uns ja sowas von als Trendsetter… Wir wussten aber damals auch schon immer, dass das alles keinen Sinn ergibt, wenn man mit der Homepage kein Geld verdient. Dass das nicht über Werbe-Anzeigen geht, zumal lokale, war schnell klar. Also haben wir immer wieder angeregt, mit anderen Zeitungen zusammen das Klein-Anzeigen-Angebot ins Netz zu stellen. Stattdessen kamen mobile.de und autoscout24, die jetzt das Geld verdienen. Auch alle Trends danach, zuletzt die Couponing-Websites, haben die Verleger verpennt. Jetzt kommen die ersten (verlagsübergreifenden) Paywalls, siehe zum Beispiel Polen, und die deutschen Verleger raffen es schon wieder nicht. Stattdessen so was! Dabei wäre es doch eigentlich ganz einfach: Hochwertige Inhalte verschenkt man halt nicht. Und man unterbricht sie schon gar nicht durch Werbung.
Ein faire Herangehensweise wäre, die Werbebotschaften durch andere Werbebotschaften zu unterbrechen, natürlich durch die des besser zahlenden Werbekunden.
Pft: Wahre Profis haetten Erotik-Layer-Adds mit Ton eingefuehrt, so dass der Werbewert sich nicht nur auf den Leser sondern auch auf die Kollegen im Buero erstreckt.
Kommt aber bestimmt bald zusammen mit dem Werbetrojaner, der sich per email ueber das gesamte Addressbuch versendet.
@4, 8, 9: Hm, war das tatsächlich mal üblich? Ich bin ein Kind der Achtziger und habe das wirklich nur in zwei Büchern bisher erspäht. Das eine war „Im Limbus“ von Christopher Evans (nicht empfehlenswert) und das andere war ein Band der Asimov-Chroniken… beides Heyne.
Ich finde, es gibt Grenzen. Bücher sind nicht für Werbung gemacht!
Ich frage mich, wann die Werbebombe aus Transmetropolitan kommt… wahrscheinlich 5 Minuten, nachdem das technisch möglich ist.
@17: Ich bin zwar auch ein Kind der 80er aber habe viele Rowolths aus den 60ern bis 80ern. Der Standard war eine Anzeige pro Buch (normalderweise Pfandbriefe) die direkt Bezug auf die Handlung nahm.
So in etwa: Wenn #Protagonist# sein Geld in Pfandbriefe gesteckt haette, muesste er jetzt nicht #Konflikt der Geschichte#…
Ein ähnliches Werbeprinzip hat Spreeblick vor einigen Jahren mal getestet. Da wurde in ihrem Podcast textabhängige Werbung eingeblendet – auf dem einem Kanal der Podcast auf dem anderen die Werbung.
Nannte sich Poodle-Ads (eine Kreuzung aus Podcast und Google):
http://www.spreeblick.com/2005/09/21/podcast-vom-2192005/
Seit dem ich darüber gestolpert bin, habe ich für den Finanzierungsbedarf der allermeisten sog. großen Onlinemedien noch weniger Verständnis.
Jetzt stellt euch mal nicht so an. Zahlen wollt ihr nicht für die Artikel und irgendwie müssen sich die Publisher finanzieren.
Ich verstehe etwas überhaupt nicht: Wenn die Methoden, User zum Lesen von Werbebotschaften zu bringen, immer mehr nach schierer Verzweiflung aussehen, warum wandern dann Millionen und Milliarden an Werbegeldern in diesen Bereich? Befinden wir uns immer noch in der Beta-Phase? Kann es sein, dass klassische Werbung im Internet irgendwann nicht mehr funktioniert, weil der Nervfaktor einfach zu groß wird? Gestern hat Coca-Cola in den USA seine eigene „journalistische“ Web-Site ins Rennen geschickt. Sieht so vielleicht die werbefinanzierte Zukunft des Journalismus aus?
Gibt es tatsächlich noch viele Leute, die sich Werbung auf Webseiten antun? Hat das wirklich Zukunft für die Finanzierung?
Man kann die Werbung doch automatisch ausfiltern lassen, wenn es einen stört.
Bei mir ist die Focus und die Spiegelseite völlig frei von Werbung (außer deren Eigenwerbung). Und die Blöd-Zeitung online ist noch unzumutbarer ohne Werbeblocker.
Ich habe aber grundsätzlich nichts gegen Werbung, aber online-Werbung ist meist dämlich, aufdringlich und uninteressant. Beim gedruckten Spiegel zB (ähm, ich nutze nur die PDF Version davon), bevorzuge ich klar die komplette Ausgabe mit Werbung (man kann im Netz auch gesäuberte Ausgaben finden, wo die Werbeseiten weiß sind).
Aber, wenn die Masse Werbung will und weiter anschaut, und es sich für die Verlage daher rechnet, warum nicht? Wen es wirklich stört, wie mich, der blendet es einfach aus.
Geht ja genauso bei den privaten TV-Sendern. Aufnehmen und Werbeblöcke automatisch überspringen bzw. ausschneiden.
@17: Die Maggi Werbung kenen ich aus mindesten 4 verschiedenen Büchern, war aber meiner Erinnerung nach schon mit ****** „Sternchenzeilen“ ***** oder ähnlichen Blockzeichen „umrahmt“… aber der erste Satz hatte schon mit der Handlung zu tun, weswegen mich das als Jugendlicher beim ersten mal lesen auch zunächst irritierte…
Bei Fischer und/oder Schneider -Jugendbücher gab es auch oft einen Postkarte mit „Gewinnspiel“, welches aber meist schon lange abgelaufen war…
Da hat doch einfach nur jemand den
BauplanBaukasten von ix verinnerlicht.Quasi die Zukunft des Publizierens…