Theo Zwanziger, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, bereitet eine Unterlassungsklage gegen den freien Sportjournalisten Jens Weinreich vor. Der hatte ihn, wie berichtet, in einem Kommentar in einem Blog als „unglaublichen Demagogen“ bezeichnet. Zwanziger hatte deshalb bereits eine einstweilige Verfügung gegen Weinreich beantragt, war damit aber in zwei Instanzen gescheitert. Das Gericht widersprach der Argumentation seines Anwaltes Christian Schertz, wonach das Wort „Demagoge“ Zwanziger mit dem „menschenverachtenden Verhalten der Nationalsozialisten in Verbindung gebracht“ habe und erklärte: „Dass Diktatoren demagogisch agieren mögen, führt jedenfalls nicht dazu, dass derjenige, den man einen Demagogen nennt, mit einem Diktator gleichzusetzen wäre.“
Auf Initiative des DFB äußerte sich Zwanziger gegenüber dem Blog „Direkter Freistoß“ zu dem Fall und erklärte u.a.:
Zwanziger: Ich bin kein Prozesshansel, ich kann Kritik einstecken. Doch in diesem Fall muss ich darauf verweisen, dass Artikel 5 unseres Grundgesetzes nicht nur die Meinungsfreiheit schützt, sondern auch die persönliche Ehre. Herr Weinreich hat mich Demagoge genannt. Daraufhin habe ich im Duden nachgeschlagen, und der definiert dieses Wort genau wie ich es empfinde: „Volksverhetzung“. Das ist laut § 130 des Strafgesetzbuches eine strafbare Handlung, die mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Und nun will ich von Gerichten geprüft wissen: Darf man mich als Volksverhetzer bezeichnen? (…) Der Prozess muss übrigens nicht sein. Wenn Herr Weinreich nicht will, dass ich mich von ihm als Volksverhetzer denunziert verstehe, dann soll er mir zwei Zeilen schreiben, dann ist die Sache vom Tisch. (…)
df: Sie verlangen von ihm, dass er etwas zurücknimmt, was er nie gesagt hat.
Zwanziger: Das stimmt nicht. Ich kann nicht akzeptieren, dass eine nach dem Duden klare Interpretation plötzlich nicht gelten soll. Dann soll Herr Weinreich mit einem klaren deutschen Begriff sagen, was er meint. Er nimmt die Deutung „Volksverhetzer“ billigend in Kauf.
df: Haben Sie versucht, mit ihm darüber zu sprechen oder Kontakt mit ihm aufgenommen, so wie mit mir?
Zwanziger: Nein, ich erwarte von ihm, dass er auf mich zukommt. Jedenfalls geht die Sache weiter, wir bereiten eine Unterlassungsklage vor. Auf die mündliche Verhandlung freue ich mich schon. Ich werde dem Gericht die Frage stellen, ob Demagogie Volksverhetzung meint. Wenn nicht, dann irrt der Duden.
df: … der ja auch nicht mehr das ist, was er mal war.
Zwanziger: Wenn der Duden unrecht hat, könnte ich auch damit leben.
Womit Zwanziger stattdessen leben muss: dass er selbst unrecht hat. Denn der Duden definiert das Wort keineswegs „genau wie ich es empfinde“ als Beschreibung eines Straftatbestandes. Im normalen Duden („Die deutsche Rechtschreibung“) steht sogar nur:
De|m|a|go|ge der; -n, -n ‹griech.› (Volksverführer, -aufwiegler)
Im Fremdwörterduden heißt es:
De|m|a|go|ge der; -n, -n ‹gr.; „Volksführer“›: (oft abwertend) jmd., der andere politisch aufhetzt, durch leidenschaftliche Reden verführt; Volksverführer;
Die erste Definition bezeichnet genau das, was Jens Weinreich an einem konkreten Beispiel Zwanziger tatsächlich vorwarf: andere politisch aufzuhetzten und durch leidenschaftliche Reden zu verführen.
Im Universalwörterbuch des Duden steht:
De|ma|go|ge, der; -n, -n [griech. dēmagōgós, urspr. = Volksführer, Staatsmann, zu: dẽmos, Demokratie] (abwertend): jmd., der andere durch leidenschaftliche Reden politisch aufhetzt, aufwiegelt; Volksverführer, Volksaufwiegler: das von skrupellosen -n verhetzte Volk.
Der nicht-kursive Halbsatz am Schluss ist, wohlgemerkt, ein Beispiel für den möglichen Gebrauch des Wortes.
Das Herkunftswörterbuch des Duden erklärt:
Demagoge »Volksaufwiegler, politischer Hetzer, Wühler«:
Das Fremdwort wurde Ende des 17. Jh.s aus gleichbed. griech. dēmagōgós entlehnt, das ursprünglich allgemein »Volksführer, Staatsmann« bedeutete. Es ist eine Bildung aus griech. dēmos »Volk« (vgl. demo…, Demo…) und griech. agōgós »führend«. Letzteres gehört zu ágein »führen, treiben« (vgl. Achse). – Dazu: Demagogie »gewissenlose politische Hetze« (17. Jh.; aus griech. dēmagōgía); demagogisch »Hetzpropaganda treibend« (18. Jh.; nach griech. dēmagōgikós, evtl. unter Einfluss von gleichbed. frz. demagogique).
Der „Volksverhetzer“ findet sich beim „Demagogen“ nur im Synonymwörterbuch des Duden — zusammen mit einem halben Dutzend anderer und unproblematischer Synonyme:
Demagoge, Demagogin
Agitator, Agitatorin, Aufwiegler, Aufwieglerin, Hetzer, Hetzerin; (bildungsspr.): Provokateur, Provokateurin; (abwertend): Volksverführer, Volksverführerin, Volksverhetzer, Volksverhetzerin; (bes. Politik abwertend): Scharfmacher, Scharfmacherin.
Zwanziger erklärt, dass er, was das Wort „Demagoge“ angeht, deshalb empfindlicher sei als vielleicht andere Leute oder Jüngere, weil er seinen Vater im Krieg verloren habe und „in Yad Vashem war“.
Trotz der Niederlagen in den einstweiligen Verfügungsverfahren ist er sicher, dass er den Prozess gewinnen wird. Während Jens Weinreich Anwalts- und Gerichtskosten selber tragen muss, übernimmt das Risiko der Prozesslust von Herrn Zwanziger die Rechtschutzversicherung des DFB. Im Fall einer Niederlage will er aber „natürlich“ den gleichen Betrag an die European Gay & Lesbian Sports Federation spenden.
Noch ein Grund, ihm eine Niederlage zu wünschen.
Mehr im Blog von Jens Weinreich.
Nachtrag, 7. November. Bei einer Diskussionsrunde in Gießen warf Zwanziger gestern dem Moderator Herbert Fischer-Solms vor, „demagogische Fragen“ zu stellen. Sein Anwalt ist nicht zu beneiden.