Schlagwort: Spiegel Online

„Spiegel Online“ exklusiv: Nadja B. liest!

Bei „Spiegel Online“ stehen sie ja irgendwie doch auch in der großen Tradition des investigativen Journalismus. Und im Panorama-Ressort, das von zwei ehemaligen „Bild“-Redakteuren geleitet wird, hat man natürlich ganz besondere Kontakte zu Insidern in der Unterhaltungsbranche.

So musste sich das führende deutsche Nachrichtenportal bei seiner Berichterstattung über die Verhaftung der Sängerin Nadja B. nicht auf die Agenturen beschränken, und Vize-Ressortleiter Jörg Diehl konnte exklusiv enthüllen:

Nadja B. wird von Beobachtern der Musikszene als "sehr intelligent, sehr eloquent" beschrieben. "Allerdings ist es nicht so, dass sie diese Eigenschaften einsetzte, um innerhalb der Band den Ton angeben zu wollen", sagte ein Insider SPIEGEL ONLINE. "Bei Diskussionen wartet Nadja zum Beispiel am längsten, bis sie sich einmischt. Sie hört aufmerksam zu und bringt dann sehr überlegt ihre Argumente vor." B. sei ein introvertierter Typ, "man sieht sie fast nie ohne ein Buch in der Hand". Es gehe ihr nicht um den Starrummel, sondern um die Musik. "Deshalb war es für sie nicht dramatisch, als sich die No Angels 2003 vorläufig trennten. Sie will Musik machen - in welcher Form, in welcher Formation, ist zweitrangig." Die 26-Jährige sei ein Familienmensch, habe besonders zu ihrer Tochter ein inniges Verhältnis, "die beiden sind wie Freundinnen", sagte der Szenekenner.

Ob sie auch guten Linseneintopf kochen kann, dieses Talent aber nicht missbrauchte, um sich gegenüber dem Catering zu profilieren, scheint Diehl allerdings nicht in Erfahrung gebracht zu haben.

Inzwischen hat „Spiegel Online“ die Passage ersatzlos aus dem Artikel gestrichen. Das widerspricht zwar der allgemeinen Annahme, dass das Medium für deutsche Verhältnisse vorbildlich transparent mit Korrekturen und Änderungen an Artikeln umgeht, deutet aber wenigstens darauf hin, dass dort noch nicht alle Kollegen im Boulevardisierungswahn und Produktionsrausch den Verstand verloren haben.

Korrektur, 13.25 Uhr. „Spiegel Online“ hat doch nichts gestrichen. Ich habe nur zwei Artikel zum Thema verwechselt. Die oben zitierte Passage ist weiter online. Ich habe „Spiegel Online“ überschätzt. Entschuldigung!

Nachtrag, 16. April. Ich habe nachträglich versucht, die Beschuldigte, so gut es geht, unkenntlich zu machen. Ich weiß, dass man das lächerlich finden kann, weil ihr Name überall steht. Aber das ist ja kein Grund, dass er hier stehen muss.

Er sacht Willem, ich sach Wat?

„Spiegel Online“ hat jetzt eine Erklärung abgegeben, wie es dazu kommen konnte, dass sie den falschen Namen des neuen Wirtschaftsministers aus der Wikipedia abgeschrieben haben, eine Bankrotterklärung.

Der anonyme Autor des „Spiegel Online“-Artikels ist hörbar genervt. Er schreibt:

Ein Fälscher, der sich inzwischen in einem Blog damit brüstet, hatte in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia den Guttenberg-Eintrag verändert.

Dann macht er diverse Nebenkriegsschauplätze auf:

Guttenbergs Vornamen werden allerdings nicht im von SPIEGEL ONLINE standardmäßig genutzten biographischen Archiv „Munzinger“ aufgelistet. Sie werden weder auf seiner eigenen Homepage, der Seite der Unionsfraktion im Bundestag, der CSU-Landesgruppe, im Bundestagshandbuch noch auf den Internetseiten der CSU oder des Wirtschaftsministeriums genannt.

Ja. — Und?

(Die Leute von „Spiegel Online“ hätten den kompletten Namen übrigens in einer dpa-Meldung vom 31.10.2008 finden können, sogar mit Quellenangabe: „Der Name des neuen CSU-Generalsekretärs ist lang und eindrucksvoll: Als Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jakob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg führt ihn das Handbuch des Adels.“)

„Übrigens“, schreibt „Spiegel Online“ weiter:

Nahezu alle Medien saßen am Montag dem „Wilhelm“-Fälscher auf. Und der Zeitdruck war groß. Selbst Guttenbergs Mitarbeiter hatten bei der SPIEGEL-ONLINE-Namensrecherche am Mittwochmorgen keine schnelle Antwort parat.

Der Zeitdruck war groß? Die wesentliche Information über den neuen Minister, die am Montag unverzüglich der deutschen Öffentlichkeit mitgeteilt werden musste, war die komplette Liste seiner Vornamen? Obwohl der Minister selbst, wie es in ungefähr jedem Artikel über ihn heißt, auf all diese Namen nicht einmal Wert legt? Und obwohl es Guttenberg bei der Rettung der deutschen Wirtschaft auch nicht helfen würde, wenn er zwanzig, dreißig oder acht Milliarden Vornamen hätte?

Wie war da die Vorgabe bei „Spiegel Online“ genau? „Jungs, ich habe gehört, bei der Konkurrenz arbeiten sie schon an einem detaillierten Vergleich der Vornamen von Guttenberg und dieser Frau Langstrumpf, wir müssen da als Leitmedium sofort einen eigenen Vornamens-Artikel raushauen, verdammtnochmal ZACK-ZACK-ZACK“?

Die „Spiegel Online“-Leute merken schon gar nicht mehr, was sie da produzieren und wie dumm ihre Regeln sind und wie sehr sie sich ihnen ausgeliefert haben. Sie halten ihre Hysterie, gegen die ein Börsenhändler fast gelassen wirkt, ganz ernsthaft für notwendig — und für Qualitätsjournalismus.

Dass „Spiegel Online“ am Montag schnell den Namen bei Wikipedia abgeschrieben hat, ist ein Fehler, den ich verstehen und leicht verzeihen kann. Nicht aber diese lächerliche Rechtfertigung mit ihrer Mischung aus selbstgemachten Zeitdruck und kindischem „Die anderen aber auch“ und „War aber auch schwer rauszukriegen“.

Den vielleicht dümmstmöglichen Beitrag zum Thema (abgesehen natürlich von der „Glosse“ auf sueddeutsche.de, die aber in einer eigenen Liga spielt) hat taz.de veröffentlicht. Da musste es anscheinend auch schnell gehen, jedenfalls hat den Artikel offenbar niemand mehr gelesen:

Lang ist die Liste der Namen des neuen Bundeswirtschaftsministers Freiherr von und zu Guttenberg. So lang, dass ein Vorname weniger [sic] schon nicht auffallen wird – dachte sich ein gewisser „Anonym“ – und fügte dem Wikipedia-Eintrag über von Guttenberg einfach einen weiteren hinzu: Wilhelm. (…)

Journalisten wissen das [dass Wikipedia-Einträge fehlerhaft sein können]. Doch auch sie möchten öfters informieren, um dies dann in ihren Medien zu verbreiten. Das nennt sich im Fachjargon Recherche – ein Vorgang, der stets gründlich geschehen sollte.

Das Stück endet wie folgt:

„Anonym“ hat uns hinters Licht geführt und uns daran erinnert, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint. In Zukunft werden wir misstrauischer sein, aber solche Täuschungsversuche dürfen nicht zur Regel werden. Dann nämlich ist auf Wikipedia gar kein Verlass mehr. Wär‘ schade drum.

Das ist niedlich. Das lässt sich fast wie eine Drohung lesen: Wikipedia, reiß Dich gefälligst zusammen, sonst schreiben wir Journalisten nicht mehr ungeprüft aus Dir ab.

Solche Täuschungsversuche wird es bei Wikipedia immer geben, und im Zweifelsfall werden sie handfestere Motive haben als der in diesem Fall harmlose „Fälscher“. Journalisten sind anscheinend die einzigen, denen das bis gestern Abend nicht klar war.

Der Fall des „Wilhelm“ Guttenberg beschädigt nicht in erster Linie die Wikipedia. Er zeigt allerdings die gefährliche Macht der Rekursion, wenn Belege sich plötzlich selbst belegen.

Der Fall des „Wilhelm“ Guttenberg beschädigt meiner Meinung nach vor allem die Glaubwürdigkeit der professionellen Medien und entlarvt ihr Gerede von der eigenen Überlegenheit als eitle (Selbst-)Täuschung — oder bestenfalls als theoretisch einzulösenden Anspruch. Und ist es nicht komisch, dass keines dieser ganzen Qualitätsmedien, die den Namen aus der Wikipedia oder „Spiegel Online“ abgeschrieben haben, auf die Idee kam, die Quelle anzugeben?

Rauch aus dritter Hand

Und dann war da noch die Gruppe amerikanischer Wissenschaftler, die im Grunde nicht mehr gemacht haben als rund 1500 Leute zu fragen, ob sie glauben, dass es Kindern oder Kleinkindern schadet, in einem Raum zu sein, in dem am Tag zuvor geraucht wurde. Rund 65 Prozent der Nichtraucher und 43 Prozent der Raucher sahen diese Gefahr. Und wer diese Gefahr sah, sorgte mit größerer Wahrscheinlichkeit dafür, dass in seinem Haus gar nicht geraucht wurde — und nicht nur dann nicht, wenn Kinder anwesend waren.

Und wie sehr können Partikel, die noch vorhanden sind, wenn der Rauch längst verzogen ist, der Gesundheit tatsächlich schaden? Dazu hat die Studie keine neuen Erkenntnisse, denn das war nicht ihr Thema, und genau so stand es auch schwarz auf grün vor dem Artikel über die Umfrage in der Fachzeitschrift „Pedriatics“ [pdf]:


Weil die Verfasser aber clever sind und vermutlich das ein oder andere über PR wissen, gaben sie den Journalisten ein paar knackige Zitate und das schöne Schlagwort „Third-Hand Smoke“, um das Phänomen zu beschreiben — und Journalisten können dann nicht widerstehen. Und so wurde aus einer jenseits von Fachkreisen eher sehr uninteressanten Umfrage unter 1500 Amerikanern darüber, was sie über „Third-Hand Smoke“ glauben, eine spektakuläre Nachricht über die angeblich neu erforschten Gefahren des „Third Hand Smoke“, die um die Welt ging.

Die „New York Times“ widmete ihr einen langen Artikel, „Telepolis“, ORF.at, der österreichische „Standard“ — und natürlich „Spiegel Online“:

Der Autor verweist erst korrekt darauf, dass die Möglichkeit, dass Rauchrückstände gefährlich sein können, längst bekannt ist. Das wäre aber natürlich noch keine „Spiegel Online“-Geschichte. Also muss es zum „riesigen Problem“ werden — und vor allem zu einem größeren als bisher angenommen:

Die Forscher um Winickoff verweisen nun darauf, dass Kinder von Rauchern den schädlichen Stoffen weit stärker ausgesetzt sein könnten als vielfach gedacht. Die gefährlichen Rückstände aus dem blauen Dunst hielten sich zum Beispiel in Wohnräumen lange – selbst wenn diese nach dem Rauchen gelüftet würden. Kindern drohe Gefahr, weil sie die Substanzen auch über kontaminierte Oberflächen und Teppiche aufnehmen könnten.

Dabei haben Winickoff und seine Kollegen, wie gesagt, all das gar nicht überprüft. Sie haben sich ausschließlich auf bereits vorhandene Studien berufen. Sie haben exakt keine neuen Ergebnisse darüber, wie groß das Gesundheitsrisiko durch „Third-Hand Smoke“ ist.

Mehr in Ulrich Bergers Scienceblog „Kritisch gedacht“.

[mit Dank an sapereaude]

Nachtrag, 18.05 Uhr. Markus Becker, Ressortleiter Wissenschaft bei „Spiegel Online“, widerspricht.

Die Medien sind für mehr getötete Kinder

Gestern morgen gab die Nachrichtenagentur ddp eine alarmierend klingende Pressemitteilung heraus:

Kriminalistenverband: Deutlich mehr gewaltsam getötete Kinder

Berlin (ddp). Die Zahl der durch Gewalt und Vernachlässigung getöteten Babys und Kleinkinder ist polizeilichen Erhebungen zufolge in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt deutlich gestiegen. Wie der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) unter Berufung auf die Polizeistatistik berichtet, kamen im vergangenen Jahr 173 Jungen und Mädchen unter sechs Jahren gewaltsam ums Leben. In 20 Fällen gingen die Ermittler im Jahr 2007 von Mord aus, in 91 Fällen von Totschlag und in 62 von fahrlässiger Tötung, sagte der stellvertretende BDK-Bundesvorsitzende Bernd Carstensen der Nachrichtenagentur ddp in Berlin. Vor zehn Jahren waren Schätzungen des Kinderhilfswerks UNICEF von bundesweit rund 100 gewaltsam gestorbenen kleinen Kindern jährlich ausgegangen. (…)

Angesichts dieser Zahlen sprach sich der Kriminalistenverband für Veränderungen beim Datenschutz im Interesse des Kinderschutzes aus. (…)

Außer dem vagen Vergleich mit irgendwelchen älteren Unicef-Schätzungen findet sich in der ganzen Meldung kein Beleg dafür, dass die Zahl gewaltsam getöteter Kinder deutlich gestiegen sei. Die Behauptung widerspricht zudem den von Kriminologen seit Jahren geäußerten Hinweisen, dass die Zahl der Gewaltdelikte gegen Kinder in Deutschland — anders, als es die Berichterstattung der Medien glauben macht — nicht zu-, sondern abnimmt. Erst am Samstag hatte die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen gemeldet: „Trotz zahlreicher aufsehenerregender Fälle in diesem Jahr ist die Zahl der Kindstötungen in Deutschland nach Einschätzung von Forschern stabil.“

Gründe genug, gegenüber der Meldung skeptisch zu sein.

Sollte man denken.

„Zeit Online“ übernahm die Meldung wie gewohnt vom „Tagesspiegel“, der sie ebenso wie der „Kölner Stadtanzeiger“ unbesehen von ddp übernommen hatte. „RP-Online“ deklarierte die Meldung („Wöchentlich sterben drei Kinder gewaltsam“) wie üblich zum Eigenbericht um. Die „Welt“ machte aus der „deutlichen“ Zunahme gleich eine „dramatische“ (und fügte reflexartig hinzu, die Dunkelziffer sei vermutlich „noch viel höher“ — was auch sonst). Und das „Panorama“-Ressort von „Spiegel Online“ unterbrach sogar seine Krisenberichterstattung und meldete:

Zahl gewaltsam getöteter Kinder steigt

173 Jungen und Mädchen unter sechs Jahren kamen 2007 in Deutschland gewaltsam ums Leben. Experten warnen, dass die Zahl der Kinder, die durch Vernachlässigung und Gewalt sterben, stetig steige — und fordern Veränderungen beim Datenschutz. (…)

Sie alle sind der PR und dem politischen Kalkül des Bundes Deutscher Kriminalbeamter auf den Leim gegangen. Denn die Angaben, wie sie ahnungslos von ddp verbreitet werden, sind doppelt falsch. Der BDK gibt nicht die Zahl der getöteten Kinder an, sondern zählt auch die versuchten, aber vereitelten Fälle hinzu. Das tut er aber nur bei den Zahlen von 2007 — nicht denen von vor zehn Jahren. Kein Wunder, dass sich so eine Zunahme ergibt.

Man muss aber ohnehin nicht auf irgendwelche Schätzungen zurückgreifen, um die Entwicklung nachzuvollziehen. Die konkreten Zahlen werden jedes Jahr in der Polizeistatistik des Bundeskriminalamtes veröffentlicht. Sie stehen in Tabelle 91 [pdf], „Aufgliederung der Opfer nach Alter und Geschlecht“:

Ja, das wird den Berichterstatter von ddp verwundern, der in seine Meldung den Satz geschrieben hatte:

In der offiziellen Kriminalstatistik werden Kindstötungen nicht extra ausgewiesen.

Das Bundeskriminalamt bietet auf seiner Internetseite sogar eine Zeitreihe an, die die Entwicklung der Opferzahlen nach Delikt, Geschlecht und Alter sortiert über die Jahre dokumentiert [pdf] — da hätte man gar nicht den komischen Herrn Carstensen fragen müssen.

Und so sieht die angebliche deutliche Zunahme von Fällen gewaltsam getöteter Kinder in Wahrheit aus:

Es ist übrigens relativ egal, ob man die versuchten Tötungen mit in die Rechnung hineinnimmt oder die fahrlässigen Tötungen (die zum Beispiel auch Kinder mitzählen, die vom Balkon gestürzt sind, weil die Aufsicht fehlte) aus der Rechnung herausnimmt: Der Trend bleibt immer der gleiche. Es gibt keine Zunahme, schon gar keine dramatische.

Darauf wies gestern auch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen noch einmal hin (was es ja bereits in der vergangenen Woche getan hatte) und widersprach dem BDK deutlich. Mit Erfolg? Wie man’s nimmt. Diejenigen Berichte, die sich nicht auf die falschen Angaben von ddp und BDK verlassen, tragen Überschriften wie: „Kindstötungen: Experten sind uneins über Zahl der Todesfälle“ oder „Opferzahl bleibt ungewiss: Wie viele Kindstötungen gibt es wirklich? Forscher und Kriminalbeamte streiten“.

Auch die „Rheinische Post“ erwähnt die Zweifel an dem Anstieg der Kindstötungen in Deutschland. Ihr Artikel trägt die Überschrift: „Mehr Kindstötungen in Deutschland“.

Nachtrag, 18:20 Uhr. „Spiegel Online“ hat seinen Artikel geändert und eine Erklärung und Entschuldigung hinzugefügt. Von einer Zunahme der Fälle ist nun nicht mehr die Rede, aber nach wie vor heißt es: „173 Jungen und Mädchen unter sechs Jahren kamen 2007 in Deutschland gewaltsam ums Leben.“ Das ist, wie gesagt, falsch. Die Zahl 173, die der BDK und ddp verbreiten, beinhaltet neben den tatsächlichen auch die versuchten Tötungsdelikte. Das heißt, ein Teil dieser Kinder ist glücklicherweise nicht tot. Wie erkläre ich das so, dass „Spiegel Online“ es versteht?

Nachtrag, 2. Januar. „Spiegel Online“ hat noch einmal nachgearbeitet. Jetzt heißt es: „173 Jungen und Mädchen unter sechs Jahren wurden 2007 Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten.“

Nachtrag, 3. Januar. ddp hat gestern eine Art Korrektur veröffentlicht:

Nach der Veröffentlichung von Zahlen der durch Gewalt und Vernachlässigung getöteten Babys und Kleinkinder in Deutschland hat der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) seine Aussagen relativiert. „Tötungen, Misshandlungen und Vernachlässigungen finden aus unserer Sicht auf gleichbleibend hohem Niveau statt“, sagte BDK-Vize Bernd Carstensen am Freitag.

In der Folge darf Carstensen dann wortreich und offenkundig uneinsichtig die Tatsache verschwurbeln, dass seine Aussagen sowohl konkret als auch in der Tendenz schlicht falsch waren.

Schnee von gestern

Ein schepperndes Vibrieren geht durch den Hubschrauber. Nach kurzer Zeit stehen wir so über der Autobahn, dass sich eine Zentralperspektive im modellierenden Gegenlicht ergibt, die die dramatische Situation der versunkenen Autos in den Schneewellen deutlich macht. Ich belichte dieses Motiv alternativ noch eine Blende unter bevor wir endgültig abdrehen und weiß, dass ich die Szene der Schneekatastrophe im Kasten habe.

Im Ressort „Eines Tages“ auf „Spiegel Online“ erzählt der Fotograf Kai Greiser, wie er seine spektakulären Aufnahmen von der Schneekatastrophe in Norddeutschland vor 30 Jahren machte. Unterwegs war er damals im Auftrag von „Spiegel“ und „Geo“, aber auch der „Stern“ wollte hinterher seine exklusiven Fotos haben — das von der Autobahn sogar für seine Titelseite.

Das entsprechende „Stern“-Cover sieht bei „Spiegel Online“ so aus:

Aber das muss eine Fotomontage sein. In der Bildergalerie mit den Fotos von Greiser sieht dieselbe Autobahn-Szene nämlich so aus:

Es fehlen die beiden Menschen im Vordergrund. Die tauchen stattdessen auf einer anderen Aufnahme von Greiser auf:

Legt man beide Bilder übereinander, bleibt kein Zweifel, dass jemand die Menschen aus dem eingeschneiten Dorf ausgeschnitten und auf die Autobahn verfrachtet hat:

War dem „Stern“ damals das dramatische Autobahn-Bild nicht dramatisch genug? Brauchte die Illustrierte den gestikulierenden Mann im Vordergrund, um die menschliche Dimension zu zeigen? Hat man sich damals beim „Stern“ routinemäßig Fotos zur Effektmaximierung zusammengeklöppelt? Ging das damals, ohne Photoshop und die Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung, so einfach? Oder hat Greiser selbst im Labor schon aus zwei Bildern eins gemacht? Und warum ist die Manipulation bei „Spiegel Online“ niemandem aufgefallen — obwohl sogar ein Leser schon darauf hingewiesen hat? Ist das womöglich gar nicht das Original-„Stern“-Titelbild, sondern eine nachträgliche Collage? Aber warum sollte jemand die anfertigen?

[mit Dank an Cédric Menge!]

Nachtrag, 30. Dezember. „Spiegel Online“ berichtet nun:

Der „Stern“ hat vor dreißig Jahren ein Titelbild getürkt – unbemerkt, bis einestages-Mitglied Dennis Winckler aufdeckte, dass die Illustrierte zwei Fotos der Schneekatastrophe von 1978/79 zu einem besonders dramatischen montiert hatte. Jetzt stürzen sich auch Medienblogs [sic] auf den Fall. (…)

„Ja, das ist so“, gibt der heutige „Stern“-Chefredakteur Thomas Osterkorn gegenüber einestages unumwunden zu, nachdem er zwei Negative aus dem Archiv auf den Schreibtisch bekommen übereinandergelegt hat. Und betont, dass beim „Stern“ nicht gekennzeichnete Bildmanipulationen heute „tabu“ seien – auch wenn das früher offenbar „etwas laxer gehandhabt“ worden sei. (…)

Chefredakteur Osterkorn schwört Stein und Bein, dass ein ähnlicher Schnitzer heute nicht möglich wäre. Im Zeitalter der digitalen Bildbearbeitung sei man längst hochsensibilisiert für mögliche Manipulationen – schon, weil sie heute so viel einfacher herzustellen und so viel schwerer zu entdecken seien als damals, als mit Schere und Klebestift getrickst wurde. „Wann immer wir feststellen, dass in einem Foto rummontiert wurde, fliegt das Bild raus“, erklärt Osterkorn kategorisch.

Fotograf Greiser sieht den Fälschungsfall von vor dreißig Jahren entspannt. „Ich habe das damals erst beim zweiten Hingucken gemerkt“, sagt der heutige Yachtfotograf. Den Retoucheuren beim „Stern“ ist er jedenfalls nicht Gram: „Das war so minimal in der Dramaturgie, ich habe das einfach hingenommen.“

Was „Spiegel Online“ nicht weiß, aber Alexander Svensson: Die Szene, die es später manipuliert auf den „Stern“-Titel schaffte, war als Bewegtbild am 1. Januar 1978 sogar in der „Tagesschau“ zu sehen (bei 1:10 Min.).

Klickstrecken-Innovation bei Spiegel Online

„Spiegel Online“ scheint den Tod von Jörg Haider dafür zu nutzen, eine neue (zumindest mir bisher unbekannte) Form der Klickstrecke auszuprobieren.

Fast sämtliche aktuellen Artikel von „Spiegel Online“ über Haider, insgesamt sechs, tun am Ende so, als würden sie noch weitergehen. Die folgenden Teile sind aber bei allen identisch: Es handelt sich nur um eine Klickstrecke mit Zitaten Haiders.

Konkret sieht das so aus (beachten Sie die jeweils wechselnde Überschrift des ersten „Teils“):






Womöglich lohnt sich das zur Aufblähung der Klickzahlen schon durch die Zahl der Leser, die nur versehentlich darauf klicken, weil sie denken, der eigentliche Artikel gehe noch weiter.

[via Jörg-Olaf]

Schleichinspiration bei Spiegel Online

Na sowas! Anscheinend wiederholt die ARD gerade wieder einmal alte Folgen der Krankenhausserie „In aller Freundschaft“, die komplette Handlungsstränge enthalten, die auf von der Pharma-Industrie bezahlten Drehbüchern beruhen. Die konkreten Namen wurden nach dem Bekanntwerden des ARD-Schleichwerbeskandals zwar entfernt, aber die gekauften Plots blieben enthalten.

GlaubenSe nicht? Doch! Berichtet „Spiegel Online“ seit einer guten Stunde.

Wie das führende deutsche Internetangebot plötzlich auf dieses Thema gekommen ist, steht da nicht. Auf irgendeine Quellenangabe hat die Autorin verzichtet.

Gut, die kann man ja vielleicht bei der nächsten Geschichte über die fehlende Relevanz von Blogs nachreichen.