Manchmal, wenn ich keine Lust zum Arbeiten habe, klicke ich mich durch das Internet-Angebot von RTL. Da gibt es immer was zu entdecken. RTL.de ist mit über 1,5 Millionen Visits am Tag eines der erfolgreichsten Online-Angebote in Deutschland und schafft das durch konsequenten Verzicht auf Qualität.
Ich bin immer versucht, die Texte, die dort erscheinen, dadurch zu erklären, dass sie von indischen Kindern neben ihrer Teppichknüpfarbeit geschrieben werden, aber dann wären sie besser. Wahrscheinlicher ist die Theorie, dass es sich um Rückübersetzungen aus dem Klingonischen handelt.
Mein aktueller Favorit ist das „60 Jahre BRD“-Special von „RTL aktuell“. Man täte ihm Unrecht, wenn man es auf die schlichten Fehler reduzierte wie die These, dass der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder 1998 wegen der Oderflut im Vorjahr Bundeskanzler wurde:
Beeindruckend ist vielmehr die Kunst, aus den Möglichkeiten, die die deutsche Sprache bietet, konsequent immer jene zu wählen, die einen Sachverhalt so haarscharf nicht ganz trifft, dass es sich schlimmer liest, als wäre es völlig daneben:
Jemand, der viele deutsche Formulierungen schon mal gehört, aber nie richtig verstanden hat, schreibt über Dinge, von denen er schon mal gehört, die er aber nicht richtig verstanden hat.
Bestenfalls liest es sich, als hätte jemand in der Redaktion aus dem Bestücken der Rubrik einen Wettbewerb gemacht und zum Beispiel gerufen: „Die Geschichte der deutschen Kanzler in einem Satz!“, und wer als erstes antwortete, bekam den Zuschlag:
„Willy Brandts Biographie in drei Sätzen, passend zu einem Foto von ihm im Zug!“?
Manche Formulierungen klingen zunächst wie aus einem Privatfernseh-Wetterbericht und enthüllen ihre ganze vage, Metaphern mischende Schönheit erst beim zweiten oder dritten Lesen:
Im Abschnitt über Konrad Adenauer erfährt man erstaunliche Neuigkeiten über einen amerikanischen Präsidenten:
(Gut, dass JFK Katholik war, ist bekannt.)
Gelegentlich flüchtet sich die Formulierungsschwäche überraschend in Meinungsstärke:
Unter die Überschrift „Negative Momente der BRD-Geschichte“ bzw. „Die trüben Momente unserer Republik“ hat rtl.de auch die Demonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss, gegen die Startbahn West („Der Flughafenausbau war unvermeidlich, doch es gab militante Gegner, die ein Lager im Kelsterbacher Wald errichteten“) und gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf einsortiert. Und dann:
(Muss ich dazu sagen, dass das zugehörige Foto nicht Winnenden zeigt?)
Und wo bleibt das Positive, das extrem Positive? Hier:
Nachtrag, 13:30 Uhr. Ein paar der oben genannten Formulierungen hat RTL.de geändert. Keine Sorge: Die meisten Stilblüten blühen weiter, aber JFK ist zum Beispiel nicht mehr so leicht mit Adenauer zu verwechseln, das Foto zu Winnenden zeigt nicht mehr Erfurt, und über Angela Merkel heißt es jetzt: „Anfangs sammelte sie große Lorbeeren, doch in der derzeit herrschenden Finanzkrise werfen ihr Kritiker ein zögerliches Verhalten vor.“
Im Zweifel hat sich „RTL aktuell“ für den Zweifel entschieden. Über Orkan Lothar ist nun zu lesen: „Ob Klimawandel oder nicht: Immer heftigere Stürme in Mitteleuropa setzen den verbliebenen Wäldern zu.“
Und was die Oderflut 1997 angeht, behauptet RTL.de sicherheitshalber nur noch, dass sie Gerhard Schröder „möglicherweise“ die Wahl 1998 gerettet hat. Noch wahrscheinlicher ist natürlich, dass es weder die Oder noch 1997 war.
Nachtrag, 22.15 Uhr. Jetzt geht RTL.de kein Risiko mehr ein und hat den ganzen Absatz über die politische Dimension der Oderflut 1997 ersatzlos gestrichen — mitsamt dem eigentlich richtigen Verweis auf die Rolle Platzecks. Aber was sollen die „RTL aktuell“-Leute auch machen? Sowas nachschlagen??