Das Problem mit Internetangeboten wie dem der „Rheinischen Post“ ist, dass sie sich einer Kritik inzwischen fast vollständig entziehen. Es ist nicht so, dass das, was sie produzieren, journalistisch schlecht wäre. Das, was sie produzieren, lässt sich auf einer journalistischen Skala gar nicht mehr verorten. Es ist nicht damit getan, die Etage, die man bislang „unterstes Niveau“ nannte, noch einmal zu unterkellern. Das, was RP-Online produziert, befindet sich unter einem ganz anderen Haus.
Das Problem mit Internetangeboten wie dem der „Rheinischen Post“ ist, Sie merken es, dass mir die Superlative ausgehen. RP-Online symbolisiert für mich wie kein zweites Angebot einer deutschen Tageszeitung, was schiefläuft im Onlinejournalismus in Deutschland: Die Möglichkeit einer Bildergalerie oder Klickstrecke als wichtigstes Auswahlkriterium von Nachrichten. Die enthemmte Boulevardisierung. Der Verzicht auf Quellenangaben, transparente Korrekturen, Sorgfalt jeder Art. Die völlige Irrelevanz von Relevanz.
Man kann natürlich versuchen, das Grauen systematisch zu erfassen. Man kann sich zum Beispiel Checklisten vorstellen, mit Punkten, die die Autoren von RP-Online beim Schreiben ihrer Artikel abhaken müssen, und wenn nicht mindestens vier von sieben Kriterien erfüllt sind (unglaubwürdige Quelle / unwahrscheinlicher Inhalt / Rechtschreibfehler / Symbolfoto / unnötige Bildergalerie / latenter Sexismus / Text-Bild-Schere), verweigert das Redaktionssystem die Veröffentlichung.
Aber man wird dem täglichen Wahnsinn damit nicht gerecht. Dafür muss man die Vogelperspektive verlassen und ganz nah rangehen. Muss sich einzelne Artikel ansehen und versuchen, die verschiedenen Krusten von geronnenem Irrsinn von ihnen abzuknibbeln.
Nehmen wir diesen Artikel aus dem Gesellschafts-Ressort von RP-Online:
Versuchen wir doch einmal gemeinsam, den nächsten Satz zu erraten. Auf welche Veränderungen im Liebesleben von Katie Holmes mag ihre neue Frisur hindeuten? Hat sie sich neu verliebt? Getrennt? Ist sie schwanger?
Sie kommen nicht drauf.
Der Artikel selbst beginnt dann mit einem Rückblick auf die Haarhistorie der Katie Holmes.
Und falls Ihr Gehirn nicht längst den Not-Aus-Knopf gedrückt hat (oder sich freut, dass das Adjektiv „flott“ gar nicht, wie vermutet, Ende der sechziger Jahre ausgestorben ist), könnte es sich jetzt mit einem „Hm?“ melden und fragen, warum die schöne, schöne Katie Holmes ausgerechnet mit dem Kurzhaarschnitt jetzt wieder aussieht wie früher mit den langen Haaren.
Nein, kürzer wirklich nicht. Sonst ist sie womöglich auch nicht mehr so gut gelaunt wie früher mit den langen Haaren, und das will ja keiner.
Der Artikel endet hier, aber das Beste kommt natürlich erst noch: die Bildergalerie. In diesem Fall besteht sie aus 17 Bildern, von denen eines unbeschriftet blieb. Die anderen 16 Texte habe ich der Einfachheit halber mal untereinander gelegt:
Nun gilt bei RP-Online aber die Regel „Eine Klickstrecke ist keine Klickstrecke“ (oder genauer, vermutlich: „[Beliebige Zahl] Klickstrecken sind keine Klickstrecke“). Und so ist in dem Katie-Holmes-hat-jetzt-kürzere-Haare-Artikel eine zweite Bildergalerie verlinkt, die erstaunlicherweise ebenfalls von der „Tropic Thunder“-Premiere handelt, diesmal nur in elf Teilen und u.a. mit diesen Beschriftungen:
Diese Galerie war als Begleitmaterial für einen anderen Artikel über dieselbe Veranstaltung veröffentlicht worden, in dem die Leute von RP-Online bereits gestern Mittag ihrer Haarchronistenpflicht nachgekommen waren — quasi schon mal vorab als Breaking News:
Eigentlich ging es in dieser Holmes-Story aber vor allem um ein anderes Thema, mit dem die Schauspielerin die Welt in Atem hält:
Und wenn Sie bis hierher durchgehalten und mitgedacht und sich in die kranke Welt von RP-Online eingefühlt haben, können Sie womöglich sogar erraten, welche Überschrift dieser Artikel trägt.
Beim Online-Dienst der „Rheinischen Post“ schreibt man einen Artikel nicht nur (mitsamt Rechtschreibfehler und abwegiger Interpretationen) von der Konkurrenz ab. Die Redaktion wüsste auf Nachfrage auch nicht, was dagegen spricht.
Am 20. Mai ist der Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin gestorben. Erwin war ein höchst umstrittener Politiker. Aber das ahnt man nicht, wenn man sieht, wie die „Rheinische Post“ publizistisch mit seinem Tod umgeht. Die Sonderseite, die sie in ihrem Online-Auftritt angelegt hat, lässt einen erahnen, wie das Zentralkomitee der SED die Möglichkeiten des Internets genutzt hätte (unter der Voraussetzung natürlich, sie hätte für jeden Mausklick Devisen bekommen).
Der folgende Überblick ist sicher unvollständig.
Erwins Leben dokumentieren drei Bildergalerien: „Sein Leben in Bildern“ (35 Bilder), „Erwin mit großem Herz für Fortuna“ (10 Bilder), „Erwin: Chronologie seiner Krankheit“ (6 Bilder) und ein Nachruf im Video. Weil Erwin in vielen Gremien und Vereinen saß, widmet „RP-Online“ dem Thema nicht nur einen Artikel, sondern auch eine 47-teilige Klickstrecke mit je einem von Erwins Ämtern („ohne Anspruch auf Vollständigkeit“). 274 Teile hat die Übersicht über die „Wünsche für Düsseldorf“, die die Leser äußern konnten.
24 Bilder dokumentieren, wie die Düsseldorfer um Erwin trauern. In rund einem Dutzend kurzen Filmen, die teilweise aus anderen Gründen erschütternd sind, als die „Rheinische Post“ glaubt, erzählen einzelne Düsseldorfer zum Beispiel, dass sie sich jetzt gleich ins Kondolenzbuch eintragen werden.
Von der Beerdigung hat der Videoreporter der „RP“ kleine, karg kommentierte Filme gedreht: über das Versammeln der ersten Trauergäste, das Versammeln weiterer Trauergäste, das Versammeln noch weiterer Trauergäste, eine leichte Verzögerung, das Heraustragen des Sarges aus der Kapelle, den Abschied der Karnevalsgesellschaften, das Verlassen der Kapelle durch die Trauergäste, den Marsch zum Grab, den Auszug aus der Kirche, den Weg durch den Friedhof, das Grablied, die Blumenkränze.
Ein Videobericht von Center.TV schildert, dass bei der Beerdigung „gedrückte Stimmung“ herrschte, die Schützen aber in „voller Uniform“ gekommen seien, ein anderer fasst in einer Viertelstunde die Trauerfeier zusammen, an der unter anderem „Vertreter aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Brauchtum, Sport und Medien“ teilgenommen hätten.
Eine Reporterin schildert den Ablauf von Trauerfeier und Beerdigung in einem minutengenauen Live-Ticker („9.48 Uhr vor der Lambertuskirche: Die Atmosphäre vor der Kirche ist gedämpft. Einige wenige Menschen unterhalten sich leise flüsternd. Alle anderen hören dem Gottesdienst, der über die Lautsprecher nach außen dringt, aufmerksam und bewegt zu.“).
Erwins Tochter Angela hielt eine bewegende Rede, die „RP-Online“ zu einer achtteiligen Bildergalerie, einem Artikel und einer Wortlaut-Dokumenation veranlasst hat. Ihre Zitate und die anderer Redner finden sich außerdem in einer 18-teiligen Bildergalerie und einer 27-teiligen Klickstrecke sowie in einem Bericht „Der Tag begann in Sankt Lambertus“ und einem anderen Bericht „Totenmesse für Joachim Erwin: Passanten bleiben spontan stehen“. Ein langer Artikel schildert zudem den „würdigen Abschied“.
Eine 28-teilige Bildergalerie zeigt die Trauer an der Lambertikirche, eine 7-teilige Bildergalerie die Trauer auf dem Stiftsplatz, eine 24-teilige Bildergalerie die Ankunft der Trauergäste an der Tonhalle.
Die Erschütterung der Bürger („Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet, ich habe Herrn Erwin für einen Titanen gehalten …“) drückt sich in diversen Klickgalerien aus: „Auch die Vereine nehmen Abschied“ (25 Teile), „Leser trauern weit über Düsseldorf hinaus“ (43 Teile), „Wie der Abschied von einem guten Freund“ (24 Teile), „Leser berichten von ihren Erlebnissen mit Joachim Erwin“ (12 Teile), „Leserreaktionen: „Sein Tod ist ein großer Verlust“ (45 Teile), „Weitere Leserreaktionen: ‚Der beste Bürgermeister'“ (34 Teile), „Düsseldorf verliert sein Herz“ (51 Teile), sowie in einem Video. Die Reaktion der Leser auf die Trauerfeier schildert eine weitere, 7-teilige Klickstrecke.
Am Tag danach besucht die „Rheinische Post“ noch einmal das Grab, schildert die Atmosphäre auf dem Friedhof („Es ist so still, dass ein Eichhörnchen ganz in der Nähe des Ehrengrabes über das Gras hüpft“) und gibt den Lesern in einer 26-teiligen Bildergalerie die Möglichkeit, den Kranz des Verwaltungsvorstandes der Stadt Düsseldorf mit dem des Oberbürgermeisers der chinesischen Partnerstadt Chongqing, des Abiturjahrgangs 1968 des Humboldt-Gymnasiums und der FDP zu vergleichen.
Was immer noch passieren mag am Rande des NPD-Parteitages in Bamberg — ich würde, anders als der Online-Auftritt der „Rheinischen Post“, ausschließen, dass italienische Carabinieri zum Einsatz kommen.
(Und, nein, das ist nicht die Staatssekretärin.)
[entdeckt von Jan-Philipp]
Nachtrag, 17:20 Uhr. RP-Online scheint die komplette Bildergalerie entfernt zu haben.
Um 10.25 Uhr hat gestern ein Leser die Redaktion des Online-Angebotes der „Rheinischen Post“ darauf hingewiesen, dass es sich bei ihrer von AFP übernommenen und (wie bei „RP Online“ üblich) zum Eigenbericht umdeklarierten Meldung über das geplante EU-Verbot von Synchronisationen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen um eine Falschmeldung handelte:
Er fügte als Beweis einen Link zur Homepage des Europaparlamentes bei und fasste seinen Kommentar sicherheitshalber mit den Worten zusammen:
Nochmal: Niemand im EP hat vor, Synchronisierungen zu verbieten.
Vier Minuten später kommentierte ein anderer Leser an der gleichen Stelle:
Vielleicht hat die RP hier etwas missverstanden?
(…) Wer sich die Pressemitteilung des Parlaments einmal anschaut, wird schnell feststellen, um was es dabei wirklich geht: darum, TV-Informationen generell mit Untertiteln für Hörgeschädigte zu versehen. (In ARD und ZDF ist das bei vielen Sendungen auch jetzt schon üblich.) Dass man dies so interpretiert, als wolle das Europäische Parlament die Synchronisierung von Filmen verbieten, ist … tja, was? Dummheit? Böse Absicht?
Am Fuß der Presseinfo http://www.europarl.europa.eu/news/expert/… ist ein Link zum Text der Erklärung. Einfach mal nachlesen. :)
Und was machten also die Leute von „RP Online“ mit diesen sachdienlichen Hinweisen? Was sie ungefähr immer machen: Sie ignorierten sie.
Und als dann am Nachmittag um 16:40 Uhr die Agentur AFP ihre Falschmeldung endlich zurückzog, was machten die Leute von „RP Online“ dann? Was sie ungefähr immer machen: Sie löschten kommentarlos die ganze Seite, mitsamt den Hinweisen. Stattdessen steht da nur noch eine Fehlermeldung:
Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Umgang mit Kritik bei den beiden hilfreichen Kommentatoren und denen, die ihre Kommentare gelesen haben, das Ansehen der „Rheinischen Post“ gemehrt hat. Aber das ist sicher ohnehin nur eine verschwindend kleine Minderheit. Sicher kann die „Rheinische Post“ auf diese paar Leute als Leser gut verzichten. Sie macht dann halt ein Medienangebot für all die Ahnungslosen, Unkritischen, Desinteressierten. (Und für diejenigen, natürlich, denen es vor allem wichtig ist, dass ein „Artikel“ über ein angebliches Sex-Video mit Shakira nicht weniger als vier Fotogalerien enthält. Ich schweife ab.)
Es sind nicht alle so. Der „Spiegel“ hat seinen Gaga-Artikel über die angeblichen EU-Pläne immerhin korrigiert und mit einem ausführlichen Hinweis auf die Korrektur versehen. Das Medienmagazin „DWDL“ hat seine Meldung (ohne Erklärung) überarbeitet und sich im Redaktionsblog entschuldigt.
Hier enden die positiven Beispiele.
Die „Bild“-Zeitung hat den Fehler, den sie gestern auf ihrer ersten Seite verbreitete, der Einfachheit halber gar nicht korrigiert.
Das erscheint mir allerdings fast weniger unanständig als das, was „WAZ“-Autor Heiko Kruska heute zu schreiben gefiel:
Die Diskussion um EU-Pläne, deutsche Synchronisation abzuschaffen, löste sich am Donnerstag in Luft auf. Eine Nachrichtenpanne in Brüssel hatte Öffentlich-Rechtlichen und der Synchronbranche die Sprache verschlagen.
Das Europaparlament will TV-Filme in öffentlich-rechtlichen Sendern nur noch als Original ohne deutsche Synchronübersetzung laufen lassen, hieß es am Mittwochnachmittag aus Brüssel. Eine glatte Fehlmeldung, wie sich gestern herausstellte. Eine Nachrichtenagentur hatte sich verzettelt – was indes einige Politiker nicht davon abhielt, ernsthaft zur fiktiven Materie Stellung zu beziehen. (…)
Die „Nachrichtenpanne“ einfach mal klar in Brüssel zu verorten, weit weg vom „WAZ“-Sitz in Essen — soviel Schönung ist vielleicht normal. Aber wie sehr muss man seinen Lesern (und sich selbst) etwas vormachen wollen, wenn man sich über „einige Politiker“ mokiert, die „ernsthaft zur fiktiven Materie Stellung“ bezogen, und nicht erwähnt, dass das Verzetteln einer Nachrichtenagentur „indes“ ihn selbst nicht davon abhielt, einen schwachsinnigen Kommentar zum Thema zu verfassen und per Pressemitteilung in die Welt zu pusten — wo er hoffentlich auf alle Zeit als Mahnmal für die Dämlichkeit und Verlogenheit von Herrn Kruska ergoogelt werden kann.
Natürlich ist der Fehler auch im sogenannten Korrekturblog des „WAZ“-Onlineportals „Der Westen“ nicht korrigiert. Um das zu wissen, hätte ich dort aber auch nicht nachgucken müssen. Nachdem dort in den letzten fünf Monaten kein einziger Fehler korrigiert wurde: Könnte man diesem Blog vielleicht endlich den Gnadenschuss verpassen?
Rührend auch die Kollegen von „Welt Online“. Die haben sogar gestern nachmittag noch einen eigenen Beitrag zur Ente veröffentlicht:
Als irgendjemandem schließlich auffiel, dass ARD und ZDF zu Recht ein Missverständnis vermuteten, wurde der Artikel einfach wieder entfernt. Ohne Kommentar, ohne Erklärung, ohne Ersatz. Mit anderen Worten: Der Journalisten von „Welt Online“ sehen sich nicht in der Lage, dieses Missverständnis aufzuklären. Sie können den Fehler nur entweder verbreiten oder ihn nicht verbreiten.
Was für eine Bankrotterklärung.
Heute mittag gelesen, wie der Online-Auftritt der „Rheinischen Post“ aus einer schwachsinnigen „Bild“-Meldung eine noch schwachsinnigere eigene Meldung gemacht hat.
Heute nachmittag gelesen, wie die „Rheinische Post“ aus einer nicht ganz richtigen ddp-Meldung eine ganz falsche eigene Meldung gemacht hat.
Und gerade im Feed von rp-online.de dies gefunden: