Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich viele lästige Fragen anhören in diesen Tagen. Fragen wie: Warum seid ihr so gut? Wie schafft ihr es, so unfassbar gut zu sein? Und: Ist es euch nicht schon peinlich, wie gut ihr seid?
Glücklicherweise hat der Norddeutsche Rundfunk ein Forum, um sich solchen Fragen zu stellen: die Sendung „Unser NDR – Reden wir drüber.“ Auf dem „Landpartie“-Fest in Worpswede standen die Verantwortlichen des Senders vor zwei Wochen Rede und Antwort.
von rechts: Bettina Tietjen, „der XXL-Ostfriese“, Pferd, NDR-Intendant Lutz Marmor
Die erste Frage, die der NDR ausgewählt und vorher aufgezeichnet hat, kommt von Bernd und Swaantje Reimers (die der NDR „Reime“ nennt) aus Himmelpforten und lautet so:
„Es passiert so viel in der Welt. Und der NDR deckt auch unheimlich viel auf. Woher bekommt der NDR eigentlich die Informationen, so zum Beispiel den Fall Snowden, so etwas aufzudecken? Der Weihnachtsmann aus unserem Ort, der weiß natürlich vieles. Aber wo bekommt der NDR halt diese Informationen her? Das würde mich halt sehr interessieren.“
„Ja“, flötet Moderatorin Bettina Tietjen, „die Frage gebe ich gleich mal weiter an Anja Reschke“, und gibt sie weiter an Anja Reschke, die dann bestätigt, dass es der Weihnachtsmann meistens eher nicht ist.
Tietjen nutzt die Gelegenheit, dass NDR-Intendant Lutz Marmor höchstselbst nach Walsrode Worpswede gekommen war, um bei ihm direkt nachzufragen:
„Macht Sie das auch ein bisschen stolz, dass sie so ein exzellentes Recherche-Team da am Start haben?“
Marmor kann ihr das bestätigten, aber Tietjen hakt sicherheitshalber nochmal beim Hörfunkdirektor des Senders nach:
„Und Joachim Knuth, der Hörfunk spielt da ja auch ’ne ganz, ganz wichtige Rolle, bei diesen Recherchen.“
Knuth bestätigt ihr, dies sei in der Tat der Fall.
Bettina Tietjen erklärt nun, wie „hip“ der NDR ist:
„Sie können die Sendung zum einen auf ndr.de live verfolgen; Sie können auf Facebook, Twitter oder per E-Mail Ihre Fragen in die Live-Sendung reingeben. Das zeigt doch, wie hip wir sind vom NDR. Immer auf der Höhe der Zeit. Ganz dicht dran an diesen Kommunikationsmitteln, die jungen Leuten ja so wichtig sind. Denn dieser Dialog, der ständige Dialog mit den Zuhörern und den Zuschauern, der liegt uns vom NDR sehr am Herzen.“
Ein junger Mann hat vorab freundlich-zweifelnd in die Kamera formuliert, ob der NDR nicht vielleicht ein bisschen mehr für seine Generation machen könnte, nicht nur so punktuell. Bettina Tietjen gibt die Frage weiter an den Intendanten, nicht ohne sicherheitshalber auch den winzigen Hauch Restschärfe vorher komplett zu herauszufiltern:
„Ist ja schon jung, unser Programm, aber manchen noch nicht jung genug.“
Ja, hey, gut 60 Jahre Altersdurchschnitt beim NDR-Fernsehen, viel jünger kann man sich so ein Programm ja kaum vorstellen.
Lutz Marmor dreht aus der Vorlage die Aufforderung an die Politiker, den Sendern den Auftrag zu geben, einen Jugendkanal zu machen, „das ist ein Appell an die Länder, das können wir selbst nicht machen“.
NDR-2-Moderatorin Elke Wiswedel hat derweil mit den Besuchern vor Ort gesprochen und muss erstmal etwas sagen:
Was ich sagen muss: Ganz viel Lob gibt’s hier aus dem Publikum für den NDR-Hörfunk und das NDR-Fernsehen.
Sie hat aber doch eine Besucherin mit einer kritischen Frage gefunden: Warum ist die Sendung „Mein Nachmittag“ am Nachmittag nicht länger?
NDR-Niedersachsen-Moderatorin Tina Zemmerich stellt eine Frau vor, die „ganz großer NDR-Fan“ sei, sich aber beschweren müsse: Sie komme beim Bingo nie durch. Der Intendant will sich darum mal kümmern.
Elaiza sind zu Gast und singen zwei ihrer Lieder, und für einen winzigen Moment sieht es so aus, als wollte Bettina Tiejen die Gruppe loben. Aber was ist schon das Talent solche Künstler gegen die Leistung des NDR?
„Dass Elaiza, dass diese tolle Band, die wirklich vorher keiner kannte, also jedenfalls die breite Masse nicht, dass die es geschafft haben, dank! — dank! — unserer, dem NDR, dass wir so weit vorne sind mit den sozialen Netzwerken, dass wir es geschafft haben — per YouTube! — diese Mädels ganz nach oben zu holen, das ist doch ne dolle Leistung, oder?“
Lutz Marmor merkt kurz was und widerspricht, mit Geste zu den Künstlerinnen: „Das ist vor allem ihre Leistung.“ Naja, pfff.
Zurück zu Elke Wiswedel ins Publikum, die dort den Auftrag hat, Fragen einzusammeln, aber schon wieder erstmal was sagen muss:
„Ich muss sagen, ich hab vor allem ganz viel Lob. Ich lauf‘ rum und sage: Habt ihr ne Frage? Und die Leute sagen: ‚Wir finden alles ganz großartig!'“
Es finden sich, über voraufgezeichnete Einspielfilme, aber dann doch eine Reihe kritischer Fragen: Warum öffentlich-rechtliche Inhalte im Netz nach einiger Zeit depubliziert werden müssen (aber dafür kann der NDR ja nichts), warum auch Radiohörer den ganzen Rundfunkbeitrag zahlen müssen (aber dafür kann der NDR ja nichts) und warum das NDR-Fernsehen nicht mehr in Bayern zu empfangen ist (aber dafür kann der NDR ja nichts).
Die Redaktion hat für die Sendung eine Frau ausgewählt, die in die Kamera sagt, dass sie morgens gerne Regionales im Radio hört. Sie hat zwar keine Frage, aber Bettina Tietjen improvisiert einfach eine:
Die einen haben gerne Internationales zum Frühstück, die anderen haben lieber Regionales zum Frühstück. Wie teilen Sie das auf? Sie müssen ja alles abdecken.
Das ist das Stichwort für Arno Beyer, den Chef des Landesfunkhauses Hannover, der für diesen Posten offenbar eine vielversprechende Karriere auf dem Fischmarkt, in der Fußgängerzone oder in einem Shopping-Sender aufgegeben hat:
Das versuchen wir möglichst vernünftig aufzuteilen. (…) Wir haben eine Menge Fans. Denn zwei Millionen Menschen schalten täglich morgens NDR 1 Niedersachsen ein, weil sie wissen, sie bekommen: Alles aus der weiten Welt. Alles aus Deutschland. Alles aus Niedersachsen. Und! Vor allen Dingen: alles aus Ihrer Region. 7:30 Uhr, 8:30 Uhr, für Worpswede, zuständig das Studio Oldenburg, wenn die nicht ausreichen noch das Studio Lüneburg, dann haben wir noch unseren Korrespondenten in Otterndorf bei Cuxhaven, und! Wir! Haben! Eine! Korrespondentin! Für! Verden! Das alles für Worpswede und umzu!
An dieser Stelle dreht sich Bettina Tietjen zum Publikum und ruft:
„Da könn’Se aber mal applaudieren, oder?“
Das Publikum applaudiert.
Die aufgezeichnete Frage von Imke Wemken aus Emden hat es auch in die Sendung geschafft. Sie lautet:
Wir fragen uns: Wie findet der NDR immer diese tollen, spannenden Themen aus den Regionen?
Später findet Bettina Tietjen noch Gelegenheit, den überraschenden Satz in der Sendung unterzubringen: „In Sachen Unterhaltung macht uns beim NDR keiner was vor.“
Ungefähr an dieser Stelle entwickelte ich den dringenden Wunsch, dass alle NDR-Verantwortlichen nach dem ganzen Geklopfe wenigstens wochenlang schlimme Hämatome an den Schultern von dieser Sendung zurückbehalten mögen.
Es wäre ein schwacher Trost, aber worauf soll man sonst hoffen? Einsicht?
Ich habe die einstündige Sendung, die sicher unter dem Arbeitstitel entwickelt wurde: „Der NDR ist das Tollste, was es überhaupt gibt auf der Welt“, zufällig und etwas verspätet entdeckt, als ich für die FAZ über die zweite Ausgabe des „WDR-Check“ schrieb, in dem sich Intendant Tom Buhrow den Fragen des Publikums stellt. Auch die WDR-Sendung ist einigermaßen harmlos, überwiegend läppisch und sichtlich nur daran interessiert, den Eindruck einer kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Programm zu erwecken. Aber immerhin hat der WDR gemerkt, dass es eine gute Idee ist, diesen Eindruck zu erwecken.
Der NDR verfilmt stattdessen original, wie eine Eigen-Propagandasendung des DDR-Staats-Fernsehens aussehen würde, wenn es das heute noch gäbe.