Schlagwort: Monika Piel

Die Schimäre von der „Informationsoffensive“ der ARD

Was werden wir rückblickend mit 2012 verbinden? Klar: Die große Informationsoffensive der ARD.

„Wir wollen 2012 zu unserem Informationsjahr machen“, hatte die WDR-Intendantin und amtierende ARD-Vorsitzende Monika Piel schon im November 2011 angekündigt, und tatsächlich: Unermüdlich informierten die Verantwortlichen der ARD und des Ersten im abgelaufenen Jahr darüber, dass bei ihnen gerade eine „Informationsoffensive“ stattfinde.

Deren Auswirkungen im Programm zu finden, ist ein bisschen schwieriger.

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In ihrem Abschiedsinterview als ARD-Vorsitzende nennt Monika Piel in der „taz“ als Erfolg ihrer Amtszeit die angeblich von ihr angestoßene „Schärfung unseres Informationsprofils“ und zählt als erstes von zwei Beispielen auf:

Wir haben viele „Brennpunkte“ gesendet (…).

Konkrete Zahlen nennt sie nicht, was sich vielleicht aus folgender Grafik erklärt:

Die ARD hat 2012 bloß zehn „Brennpunkte“ gezeigt. Nur einmal in den vergangenen Jahren waren es noch weniger.

Richtig ist, dass die Intendantinnen und Intendanten der ARD im Sommer 2011 entschieden hatten, dass „bei aktuellen, relevanten Ereignissen die Information in der ARD künftig einen noch höheren Stellenwert haben soll“ und dass „im Das Erste [sic] bei entsprechenden Anlässen verstärkt aktuelle Sondersendungen ins Programm“ nehmen soll.

Aber irgendwie kam es dann nicht dazu. Ganz sicher ist das nicht der ARD zuzuschreiben, sondern nur der Weltnachrichtenlage, die aufgrund eines Burnouts nach 2011 nicht mehr genug „entsprechende Anlässe“ geliefert hat. Insofern klingt es zwar unglücklich, wenn Monika Piel von „vielen“ „Brennpunkten“ spricht, wenn es besonders „wenige“ waren. Andererseits hätten es ja dank der ARD-„Informationsoffensive“ jederzeit mehr sein können, wenn es nicht weniger gewesen wären.

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Volker Herres, der Programmdirektor des Ersten, fand im Gespräch mit der „Funkkorrespondenz“ ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sehr das Publikum seinen Sender schätzt, wenn es um Informationen geht: die US-Wahlnacht.

In dieser Nacht hatte das Erste mit knapp 1,5 Millionen Zuschauern die mit Abstand meistgesehene Sendung. Das hat kein anderes Programm geschafft. Die anderen lagen bei 500 000 oder darunter.

Das war vermutlich ebenfalls von den Intendantinnen und Intendanten der ARD so beschlossen gewesen; leider scheint niemand Herres hinterher gesagt zu haben, dass sich die Wirklichkeit auch in diesem Fall nicht an den ARD-Plan halten wollte. Zwischen 22:45 Uhr und 3:00 sahen im Schnitt bloß 890.000 Zuschauer das Erste.

Tatsächlich hatte die ARD in der Wahlnacht zwar Sendungen mit 1,5 Millionen Zuschauern. Das lag aber nur daran, dass das Erste abwechselnd immer einige Minuten lang „Die Wahlparty im Ersten“ feierte und dann „Menschen bei Maischberger“ talken ließ und jeden dieser Schnipsel einzeln auswerten ließ. Die ersten 15 Minuten der Wahlparty hatten 1,8 Millionen Zuschauer; die ersten 8 Minuten von Maischberger 1,67 Millionen. Von dieser 23-minütigen „Nacht“ muss Herres reden.

Und von wegen, „die anderen lagen bei 500.000 oder darunter“: Ein „Markus Lanz“-Spezial zum Thema ertrugen im ZDF 1,63 Millionen Menschen; ein „RTL-Nachtjournal spezial“ um Mitternacht kam auf 1,14 Millionen Menschen.

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Worin aber besteht nun diese „Informationsoffensive“? Beim Blättern in den Pressemitteilungen der ARD findet sich unter diesem Stichwort unter anderem folgendes Erklärungsfragment:

Am Samstag, 8. Juli 2012, um 16.30 Uhr startet der „Ratgeber: Haus + Garten“ (WDR), der die „Ratgeber: Bauen + Wohnen“ und „Ratgeber: Heim + Garten“ ablöst. (…) Am Sonntag, 15. Juli 2012, um 16.30 Uhr feiert der „Ratgeber: Auto – Reise – Verkehr“ (SWR/SR) mit Moderator Michael Antwerpes Premiere.

Falls Sie das gerade nicht so präsent hatten: Der „Ratgeber: Auto – Reise – Verkehr“ entstand natürlich durch offensive Zusammenlegung von „Ratgeber: Reise“ und „Ratgeber: Auto + Verkehr“.

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Überhaupt scheint das Wochenendprogramm eine zentrale Rolle bei der „Informationsoffensive“ zu spielen. Der „Schlussbericht der geschäftsführenden Anstalt der ARD“, den der WDR im November der ARD-Hauptversammlung in Köln vorlegte, betont, dass Das Erste im Frühjahr 2012 „sein Informationsangebot am Wochenende um fast 50 Minuten ausgeweitet“ habe.

Es ist mir nicht gelungen, herauszufinden, wo sich diese 50 Minuten im Programm verstecken, abgesehen davon, dass nun sonntags um 16:15 Uhr eine 15-Minuten-„Tagesschau“ läuft statt um 17:00 Uhr eine 3-Minuten-„Tagesschau“.

Im „Schlussbericht“ des WDR heißt es:

Die Reportage „Exclusiv im Ersten“ rückte vom bisherigen Sendeplatz, Sonntag, 13.15 Uhr, auf eine attraktivere, reichweitenstärkere Zeit am Samstagnachmittag um 15.30 Uhr.

Mit der Bedeutung der Wörter „attraktiver“ und „reichweitenstärker“ verhält es sich ähnlich wie mit Frau Piels „viel“. Am Sonntag um 13:15 Uhr hatte „Exclusiv“ 2011 im Schnitt 0,99 Millionen Zuschauer. Am Samstag um 15:30 Uhr hatte „Exklusiv“ 2012 im Schnitt 0,67 Millionen Zuschauer.

Dank der „Informationsoffensive“ der ARD und des Verschiebens auf einen „attraktiveren, reichweitenstärkeren“ Sendeplatz verlor die Reportagereihe also ein Drittel ihrer Zuschauer.

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Insofern muss man vermutlich froh sein, wenn die ARD an anderer Stelle unter einer „Informationsoffensive“ sprachlich etwas unorthodox das bloße Halten der Stellung versteht. So gehörte zur Offensive, dass das Erste 2012 — genau wie 2011 — im Hauptabendprogramm eine Staffel mit Reportagen aus den Redaktionen der politischen Magazine zeigte. Und dass die Zahl der Dokumentationen und Features ebenso wenig verändert wurde wie die der Dokumentarfilme in Spielfilmlänge. (Immerhin wurden die Dokumentationen „stärker profiliert“, indem sie am Montagabend feste Reihentitel bekamen: „Die Story im Ersten“ und „Geschichte im Ersten.)

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Das Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ bekam „20 Prozent mehr Sendezeit“ (nämlich 30 statt 25 Minuten) als Preis für die erfolgreiche Teilnahme am großen „Reise nach Jerusalem“-Spiel, das durch das Engagement von Günther Jauch ausgelöst wurde. Wegen Jauch wechselten bekanntlich Anne Will vom Sonntag auf den Mittwoch, Frank Plasberg vom Mittwoch auf den Montag, „Report“ und „Fakt“ vom Montag auf den Dienstag — und eben „Plusminus“ vom Dienstag auf den Mittwoch.

Der Quote des Wirtschaftsmagazins tat das nicht gut: Auf dem alten Sendeplatz hatte „Plusminus“ zwischen Januar und August 2011 im Schnitt 3,3 Millionen Zuschauer, auf dem neuen zwischen Januar und August 2012 nur 2,6 Millionen.

Im November 2011 hatte die ARD als Teil ihrer „Informationsoffensive“ auch angekündigt:

Damit Wiedererkennbarkeit beim Publikum garantiert ist, wird im neuen Jahr das Wirtschaftsmagazin „plusminus“ von einer Moderatorin/einem Moderator präsentiert (…).

Der forsche Indikativ täuscht. Ein Jahr später wird „Plusminus“ immer noch abwechselnd, je nach diensthabendem Sender, von vier verschiedenen Moderatoren präsentiert.

Ebenso mutig als Tatsache und nicht bloße Absicht hatte die ARD im selben Atemzug formuliert, dass „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ noch 2012 ein „neues, moderneres Studio-Design“ bekommen würden. Nun ja.

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Nun ist es also zum Glück vorbei, das große „Informationsjahr“ der ARD. In der Pressekonferenz zu dessen Abschluss sagte Monika Piel:

Wir haben alle nochmal, alle Intendantinnen und Intendanten, beschlossen, nach langen Strategiediskussionen insgesamt: Der Programmanteil von Informationen im Ersten beträgt 40 Prozent. Den wollen wir unvermindert auch so beibehalten.

Auf Nachfrage von Journalisten konnte niemand der anwesenden ARD-Verantwortlichen sagen, welche Programme man als „Information“ zählen muss, um auf diese 40 Prozent zu kommen. Die ARD-Tier-Wiege-Soaps im Stil von „Ameisenbär, Nacktnasenwombat & Co.“ aus den Zoos der Republik gehörten aber bestimmt dazu.

Und so genau, wie es Frau Piel, Herr Herres und die anderen ARD-Nasen mit den Tatsachen nehmen, im Zweifel auch jedes beliebige andere Programm, das man braucht, um das Ziel scheinbar zu erreichen.

Erkennen Sie die Erkennungs-Melodie?

Die Agentur epd meldet heute Mittag:

Nach der medialen Aufregung um die Neugestaltung der „Tagesschau“-Fanfare hat die ARD-Vorsitzende Monika Piel unterstrichen, dass das altbekannte „Ta-ta, ta ta ta taa“ erhalten bleibt. „Wir wären ja verrückt, wenn wir das ändern würden“, sagte die WDR-Intendantin am Mittwoch in Saarbrücken bei der ARD-Pressekonferenz. „Wir haben ein Marke, die jeder kennt.“

Ja, das glauben alle. Es stimmt aber nicht.

Die Melodie, die am Anfang der „Tagesschau“ zu hören ist und jeder zu kennen glaubt, ist nämlich schon seit sieben Jahren nicht mehr die Melodie, die vorher fast 50 Jahre lang zu hören war. Im Jahr 2005 hat die ARD es nämlich nicht dabei belassen, nur den Sound dem Zeitgeist anzupassen. Sie hat auch die Melodie verändert — gravierend.

Das hier war die Notenfolge seit 1956:

d-g-a-b-c-d: Ein Quintsprung abwärts und dann die Molltonleiter hinauf bis zum Ausgangspunkt.

Seit 2005 geht die Melodie so:

d-g-d-c-f-g: Die Molltonleiter ist verschwunden, und die Melodie endet nicht mehr beim Ausgangspunkt, sondern eine Quarte höher.

Die Harmonien sind ähnlich, deshalb fällt der Wechsel nicht so sehr auf, aber die Melodie ist eine andere.

Wenn ich es richtig sehe, hat das damals nicht einmal ein leises Knistern im Blätterwald ausgelöst. Weshalb die ganze Aufregung, dass die ARD angeblich Hand an eine heilige Institution legen will, doppelt absurd ist: Nicht nur wegen der Peinlichkeit, auf eine „Bild“-Ente hereingefallen zu sein. Sondern weil anscheinend den meisten aufgeregten Berichterstattern nicht einmal aufgefallen ist, dass die ARD dieses vermeintliche Sakrileg längst begangen hat.

Allerdings ist nicht klar, ob das der ARD-Vorsitzenden Monika Piel bewusst ist. Laut epd „betonte“ sie, „dass es wie in den Jahren 1994, 1997 und 2005 lediglich um eine Überarbeitung der Melodie gehe“. Nun: 1994 und 1997 wurde die Melodie nur neu arrangiert; 2005 gab es eine neue Melodie. Welche Art der „Überarbeitung“ für dieses Jahr geplant ist, wäre durchaus interessant. Wenn es jemanden interessieren würde.

Die „Tagesschau“-Fanfare:

(Laut tagesschau.de gibt es die veränderte Melodie verwirrenderweise schon seit 2000.)

[Ich bitte vorsorglich um Nachsicht für den nicht ganz unwahrscheinlichen Fall, dass meine Transkription oben eher amateurhaft ausgefallen ist. Youtube-Links via Markus Anhäuser.]

Die ARD gehört nicht Frau Piel

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört der Gesellschaft.

Ich kann mir keinen amtierenden Intendanten von ARD und ZDF vorstellen, der diesen Satz so sagen, geschweige denn danach handeln würde. Formuliert hat ihn immerhin ein ehemaliger Intendant, der frühere NDR-Chef Jobst Plog. In einem Leserbrief an die „Funkkorrespondenz“ zu einem Artikel von Jakob Augstein schreibt er über die Kamikaze-Strategie der ARD-Vorsitzenden Monika Piel und seines Nachfolgers Lutz Marmor:

Kaum nachvollziehbar ist die Strategie der Rundfunkanstalten in der Auseinandersetzung mit den Verlagen. Das fängt damit an, dass sie Vergleichsverhandlungen ausgerechnet dann begonnen haben, als das Gericht zu erkennen gab, dass die Klage der Verleger abweisungsreif war. Problematischer: Die Rundfunkanstalten sind möglicherweise dabei, eine mühsam erkämpfte und vom Bundesverfassungsgericht gerade bestätigte Rechtsposition aufzugeben. (…)

Man ist auf Vermutungen angewiesen, weil die Gespräche mit den Verlegern seit langen Monaten vertraulich geführt werden. Das ist für die Verleger ein normales Verfahren. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört indessen der Gesellschaft. Sollte er auf Rechtspositionen verzichten wollen, bedarf es einer öffentlichen und transparenten Diskussion mit dieser Gesellschaft, ehe vollendete Tatsachen geschaffen werden.

Ich fürchte, dass Monika Piel, die fast vom ersten Tag ihrer leider immer noch andauernden Amtszeit als ARD-Vorsitzende gegen die Interessen der Gebührenzahler argumentiert hat, diesen Gedanken nicht nur nicht teilt, sondern für komplett irrwitzig hält.

Plog schreibt außerdem:

Erstaunlich, in welchem Umfang sich Journalisten der Printmedien mit der Verlagspolitik ihrer Geschäftsführungen und den dahinter stehenden vermeintlichen Interessen der Gesellschafter identifizieren und wie wenig Mut zur Pluralität vorhanden ist.

Ja.

Vorauseilende Selbstverstümmelung

Es scheint, als hätten alle Proteste von Betroffenen und Experten nichts genützt: Wenn sich die Intendanten von ARD und ZDF am morgigen Dienstag mit Vertretern der Zeitungsverlage treffen, sind sie bereit, einen wesentlichen Teil der öffentlich-rechtlichen Online-Angebote aufzugeben — im Tausch gegen einen medienpolitischen Burgfrieden.

Seit Wochen arbeiten Spitzenvertreter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger BDZV an einer „gemeinsamen Erklärung“. Die Entwürfe sehen unter anderem eine Aufteilung des deutschen Online-Journalismus vor: ARD und ZDF sollen sich in ihren Internet-Auftritten auf Audio- und Videoinhalte konzentrieren. Im Gegenzug würden sich die Online-Ableger der Zeitungen im Wesentlichen auf Texte und Fotos beschränken.

Eine gemeinsame Arbeitsgruppe soll gebildet werden, die exemplarisch Online-Angebote der Beteiligten durchgeht. Dabei sollen auch Kooperationsmöglichkeiten und gegenseitige Verlinkungen geprüft werden.

Sowohl die Redakteursausschüsse von ARD und ZDF als auch die Internetverantwortlichen der ARD in der Redaktionskonferenz Online (RKO) haben die Intendanten eindringlich vor den Folgen einer solchen „Erklärung“ gewarnt. Der Entwurf könne zu „weitreichenden negativen Auswirkungen und Eingriffen in den Bestand und die Entwicklungen der Telemedien der ARD“ führen, schrieb die RKO. „Für die aktuelle Berichterstattung jedes Onlineangebots sind Schlagzeilen, Kurztexte und Langfassungen im Verbund mit Fotos eine notwendige Grundlage, sowohl im Hinblick auf die Quellenlage, als auch auf das Nutzungsverhalten.“ Die „publizistische Relevanz“ der öffentlich-rechtlichen Online-Angebote würde geschwächt und damit die öffentlich-rechtlichen Sender insgesamt.

ARD-Sprecher taten das nach außen mit der Behauptung ab, die Kritiker protestierten auf der Grundlage einer „älteren Version“. Doch auch die aktuelle Fassung, die erst eine Woche alt ist, unterscheidet sich davon nicht grundsätzlich.

Die Federführung bei den Verhandlungen mit den Verlegern hat die WDR-Intendantin und amtierende ARD-Vorsitzende Monika Piel. Außer ihr sind die Intendanten Ulrich Wilhelm (BR) und Lutz Marmor (NDR) beteiligt — nicht aber der für Online in der ARD zuständige SWR-Intendant Peter Boudgoust.

Nach der internen und externen Kritik haben die ARD-Intendanten auf ihrer Sitzung am 6./7. Februar in Erfurt offenbar kontrovers über das Vorgehen beraten. Doch die Appeasement-Fraktion um Monika Piel konnte sich durchsetzen: Die Änderungen, die nachträglich am Entwurf vorgenommen wurden, sind eher kosmetischer Natur. So bleibt es dabei, dass eigenständige Texte in den Online-Angeboten von ARD und ZDF als Ausnahme festgeschrieben werden. Neu hinzugekommen ist in diesem Zusammenhang nur der Hinweis darauf, dass im Sinne eines barrierefreien Zugangs auch Texte erforderlich sein könnten. Umgekehrt sollen auch die Zeitungsangebote im Netz aus Gründen der Barrierefreiheit eigenständige Video- und Audio-Inhalte veröffentlichen dürfen.

Nichts von alldem ergibt Sinn.

Unklar ist schon einmal, warum ARD und ZDF überhaupt mit den Verlegern über ein solches Kompromisspapier verhandeln. Im Streit um die Tablet-Version von tagesschau.de, gegen die mehrere Verlage geklagt haben, hatte der Richter zwar angeregt, dass beide Seiten miteinander reden. Aber erstens geht es in den Gesprächen, die nun geführt werden, gar nicht um die „Tagesschau“-App, sondern ein viel fundamentaleres Abstecken der Grenzen öffentlich-rechtlicher Online-Angebote. Und zweitens spricht wenig dafür, dass die ARD diesen Rechtsstreit am Ende verloren und deshalb ein Interesse daran hätte, den Verlegerforderungen vorsorglich weit entgegen zu kommen.

Erklären lässt sich die als Kompromiss verkleidete Kapitulation von ARD und ZDF nur durch das unbedingte Bedürfnis einiger ihrer Vertreter, in den zu erwartenden Auseinandersetzungen um ihre zukünftige Legitimation Ruhe an dieser Front zu haben. Dafür steht der BR-Intendant Wilhelm, der erst vor gut einem Jahr aus der Bundesregierung in dieses Amt wechselte. Und dafür steht in ganz besonderem Maße Monika Piel.

Sie hatte bereits unmittelbar nach ihrem Amtsantritt als ARD-Vorsitzende mit der Bereitschaft zur öffentlich-rechtlichen Selbstaufgabe kokettiert und Sätze gesagt wie: „Wenn der Verlegerverband die Apps kostenpflichtig macht, dann werde ich mich auch vehement dafür einsetzten, dass unsere öffentlich-rechtlichen Apps kostenpflichtig sind.“

Auch die geplante „gemeinsame Erklärung“ muss man als Teil einer Appeasement-Taktik verstehen. In einer solchen Erklärung liege eine „medienpolitische Chance“, mit der „uns wichtige Spielräume erhalten werden könnten“, schrieb Piel vor drei Wochen in einer internen Mail. Darin interpretierte sie die Gespräche mit den Verlegern ausdrücklich auch vor dem Hintergrund der „Debatte um die Perspektiven des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des Dualen Systems (Stichwort AG Beitragsstabilität)“. In der genannten AG, die von der sächsischen Staatskanzlei initiiert wurde, beraten die Bundesländer, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk eingeschränkt werden kann.

Piel will deshalb wenigstens Ruhe an der Front mit den Verlegern, die behaupten, die nicht kostenpflichtigen und texthaltigen Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verhinderten, dass sie im Internet Geld verdienen können. Piel spricht davon, dass Verleger und öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine „Verantwortungsgemeinschaft“ bildeten.

Der Preis, den die Intendanten von ARD und ZDF bereit sind, für diesen Frieden zu zahlen, ist gewaltig. Fassungs- und verständnislos verfolgen viele, die in der ARD für Online-Angebote zuständig sind, wie dabei bisher selbstverständliche Positionen über Bord geworfen werfen.

Die Entwürfe der „gemeinsamen Erklärung“ sind geprägt von einer Vorstellung des Internets als einer Maschine, die einfach Radio und Fernsehen abspielt oder Zeitungsinhalte veröffentlicht. Der Gedanke eines eigenständigen Mediums, das all diese Formen miteinander verknüpft, ist den öffentlicih-rechtlichen Verhandlungsführern offensichtlich fremd.

Das deutet nicht nur auf eine grundsätzliche und ganz praktische Realitätsferne hin, sondern führt auch dazu, dass sich die „gemeinsame Erklärung“ implizit die Interpretationen der Verleger zu eigen macht. Die unterstellen nämlich, dass ein Internetangebot, das in relevantem Maße auf Texte setzt, „presseähnlich“ und deshalb den Öffentlich-Rechtlichen verboten sei. Dabei ist der Einsatz von Text als Mittel, um Nutzer schnell zu informieren, um Überblicke zu schaffen und multimediale Inhalte sinnvoll miteinander zu verknüpfen, schlicht das Wesen eines modernen Online-Journalismus — und nicht Ausdruck von Presseähnlichkeit.

Dadurch, dass die Intendanten von ARD und ZDF den Verlegern anbieten, auf eigenständige Textberichterstattung fast völlig zu verzichten, machen sie sich deren Anmaßung zu eigen, Online-Texte für „Presse“ zu halten.

In einer extremeren Form suggerieren die Verleger sogar, dass all das, was Zeitungen im Internet machen, automatisch „presseähnlich“ sei. Wenn etwa die „Tagesschau“-App, so die Argumentation, aussehe wie die „Welt“-App, dann könne sie nicht erlaubt sei. Selbst auf dieses Spiel lassen sich die Öffentlich-Rechtlichen in dem Entwurf der „gemeinsamen Erklärung“ noch ein: Die Online-Angebote von ARD und ZDF sollten so geordnet und gestaltet werden, heißt es darin, dass sie anders aussehen als die Online-Angebote der Zeitungen.

Die einen machen Online-Fernsehen, die anderen machen Online-Zeitungen: So einfach verläuft die Waffenstillstandslinie in der Welt der Intendanten. Das wäre an sich schon verrückt genug. Es wird noch verrückter dadurch, dass Piel und ZDF-Intendant Markus Schächter sich gerade erst in einer multipel verunglückten Presseerklärung der „Deutschen Content Allianz“ sogar namentlich zu den letzten Verteidigern der Medien-„Konvergenz“ erklärt haben.

Diese Art der Aufteilung des deutschen Online-Journalismus hat aber noch ein anderes Problem. Doch dass einem aus Gebühren finanzierten Angebot Grenzen gesetzt werden dürfen, wo auch immer sie liegen, steht außer Frage. Warum aber sollten sich privatwirtschaftlich finanzierte Medien einschränken müssen? Warum sollte eine regionale Tageszeitung im Internet nicht ein Webradio veranstalten und täglich drei, dreißig oder dreihundert Videos veröffentlichen, wenn sie das will und es sich rentiert?

Die Kompromiss-Simulation im Entwurf der „gemeinsamen Erklärung“ — wir verzichten auf Text, ihr auf Audio und Video — suggeriert eine grundsätzliche Symmetrie zwischen gebührenfinanzierten und kommerziellen Angeboten, die in keiner Weise besteht. Übrigens sitzen nur Vertreter von Zeitungsverlagen am Verhandlungstisch (Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner Korrektur: FAZ-Geschäftsführer Roland Gerschermann, WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus und BDZV-Präsident Helmut Heinen). Angebote wie „Spiegel Online“ mit starkem Video-Schwerpunkt wären also ohnehin nicht eingebunden.

Wenn die „gemeinsame Erklärung“ tatsächlich verabschiedet wird, sind zwei Szenarien denkbar. Entweder ARD und ZDF nehmen die Selbstverpflichtung sehr ernst. Dann würden sie massiv in die redaktionelle Arbeit ihrer Internet-Auftritte eingreifen müssen und ihren Online-Journalismus amputieren. Oder sie behandeln die — juristisch nicht bindende — Erklärung als reines Lippenbekenntnis, ein folgenloses Papier zur Ruhigstellung der Verleger. Dann würde der Konflikt in einigen Jahren umso heftiger aufbrechen, weil die Gegner von ARD und ZDF ihre Online-Auftritte nicht nur an umstrittenen Definitionen, sondern an den eigenen Selbstverpflichtungen messen könnten.

In jedem Fall wären ARD und ZDF geschwächt. Weshalb die Kritiker im Haus die zentrale Frage stellen: Warum bringt man sich überhaupt mit solchen Verhandlungen und einem solchen Papier in eine solche Situation?

Konvergenz, Konsistenz, Inkontinenz: Die „Deutsche Content Allianz“

In der „Deutschen Content Allianz“ haben sich die Dieter Gornys dieses Landes zusammengeschlossen. Sie versuchen, sich vor dem Ertrinken zu bewahren, indem sie sich gegenseitig umklammern und das Wasser beschimpfen.

Es fiele mir leichter, ihnen dabei zuzusehen, wenn nicht ARD und ZDF ohne Not zu ihnen ins lecke Boot gestiegen wären — zwei Institutionen, die nicht zuletzt aufgrund ihrer Finanzierung durch das Volk in einer fundamental anderen Position sind, was die Herausforderung betrifft, sich in einer digitalen Welt professionelle kreative und journalistische Produktionen leisten zu können.

Insbesondere die WDR-Intendantin und amtierende ARD-Vorsitzende Monika Piel scheint sich aber zu einer Überlebensstrategie entschlossen zu haben, die auf dem Gedanken beruht, dass dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nichts passieren kann, solange er sich nur eng genug an seine natürlichen Gegner kuschelt. Die Interessen der Gebührenzahler müssen demgegenüber im Zweifel zurückstehen. (Mehr dazu in den nächsten Tagen an dieser Stelle.)

Jedenfalls hat die „Deutsche Content Allianz“, die man vielleicht treffender als den Verband der urheberrechteverwertenden Industrie bezeichnen könnte, gestern die Bundesregierung dazu aufgefordert, das ACTA-Abkommen unverzüglich und unverändert zu unterzeichnen. Es sagt schon viel aus, dass die „Deutsche Content Allianz“ ACTA als ein „Abkommen zum Schutz vor Internetpiraterie“ bezeichnet – dass sich die „Piraterie“, mit der sich der Vertrag beschäftigt, keineswegs auf das Internet beschränkt, verschweigen die beteiligten Verbände im Sinne einer klareren Desinformation.

Inhaltlich ist zum Streit um ACTA an anderen Stellen reichlich gesagt worden; ich möchte hier vor allem die verräterische Sprache in diesem Dokument würdigen. Die ganze hilflose Traurigkeit offenbart schon die Überschrift: „Deutsche Content Allianz fordert Bundesregierung zur konsistenten Positionierung zum Urheberrecht auf“. Man muss sich das bildlich vorstellen, Monika Piel und Dieter Gorny auf einer Demonstration vor dem Kanzleramt, in den Händen identische Plakate mit der Aufschrift: „Mehr Konsistenz wagen!“ Die vage und harmlos klingende Forderung steht in Wahrheit für einen Wunsch, wie er radikaler kaum sein könnte: Urheber-, oder genauer: Verwertungsrechte sollen durchgesetzt werden ohne lästige Abwägung mit anderen Rechten, mit denen sie kollidieren. Mit irgendeiner „konsistenten Positionierung“ ist exakt diese Positionierung gemeint — konsistent in ihrer Absolutsetzung eines Interesses.

Die „Deutsche Content Allianz“ fordert weiter laut ihrer Pressemitteilung:

Es seien jetzt eindeutige Signale notwendig, die Reform anpacken und durchsetzen zu wollen, da sonst die Gefahr einer Kluft zwischen der deutschen Kreativwirtschaft und den Gruppen unserer Gesellschaft, die den Schutz des geistigen Eigentums als einen Angriff auf die Freiheit im Internet diskreditierten, bestehe.

Ignorieren wir einmal die Problematik des Begriffes vom „geistigen Eigentums“ an sich, der eine Vergleichbarkeit mit tatsächlichem Eigentum suggeriert, die von der Content-Lobby politisch gewollt, aber in vielerlei Hinsicht irreführend ist. Abgesehen davon also: Ist das nicht rührend? Die Rechtindustrie sorgt sich, dass sich da womöglich, vielleicht, wenn man nicht aufpasst, in Zukunft eine Kluft auftun könnte. Als wäre diese Kluft nicht längst ein gewaltiger Canyon. Als würde es helfen, wenn die Bundesregierung „eindeutige Signale“ geben würde, Reformen „anpacken“ zu wollen. Und als würde sich die Kluft dadurch verringern, dass der Gesetzgeber auf der einen Seite des Grabens ein Flatterband als Absperrung zieht.

Die „Deutsche Content Allianz“ diskreditiert berechtigte Sorgen um die Freiheit des Internets als Diskreditierung. Und dann beteuert sie:

Diese Freiheit sei ein hohes, unbestrittenes Gut, solange sie nicht als Rechtlosigkeit interpretiert werde.

Da hat vermutlich Freud zugeschlagen. Niemand – außer vielleicht die Musikindustrie in ihren feuchtesten Träumen – käme auf die Idee, Freiheit als Rechtlosigkeit zu interpretieren. Freiheit im Internet wäre ja in ihrer extremsten Interpretation gerade das Recht, alles zu tun, was man will. Die Autoren wollten wohl sagen, Freiheit sei gut, solange sie nicht als Gesetzeslosigkeit interpretiert werde. Nicht einmal das ist ihnen gelungen.

Nun wird die „Deutsche Content Allianz“ geradezu selbstkritisch:

Von der Kreativwirtschaft müsse offenbar in diesem Zusammenhang noch stärker als bisher vermittelt werden, dass sie mit dem für alle Kreativen und die Vermittler ihrer Werke existenziellen Schutz des geistigen Eigentums keineswegs Barrieren in der digitalen Internetwelt errichten wolle, sondern es zusammen mit zeitgemäßen Angeboten längst als unverzichtbare Zukunftssicherung begriffen hätte.

Hat jemand eine Idee, worauf sich das kleine „es“ beziehen könnte, das die „unverzichtbare Zukunftssicherung“ (wessen?) darstellt? Es, das „geistige Eigentum“? Es, das hier ungenannte Internet?

Die Content-Industrie braucht geistiges Eigentum zusammen mit zeitgemäßen Angeboten? Sie braucht das Internet zusammen mit zeitgemäßen Angeboten? Was?

Weiter im Text:

Gerade bei einer Generation, in der viele ohne jedes Unrechtsbewusstsein für „digitalen Diebstahl“ aus Schule und Elternhaus in die große Welt des Internets entlassen worden seien, verlange dies viel Aufklärung und vor allem Diskussionsbereitschaft, wie sie die vor knapp einem Jahr gegründete Deutsche Content Allianz bereits bei ihrer Gründung öffentlich angeboten hatte.

Ich weiß nicht, welche Generation die „Deutsche Content Allianz“ genau meint. Ich ahne aber, welche Generation da schreibt, wenn sie das Bild bemüht von Kindern, die „aus Schule und Elternhaus in die große Welt des Internets entlassen“ wird. Es ist ein vielfach perfides Bild: Es behauptet, dass die Kinder klauen wie die Raben. Es gibt Eltern und Lehrern die Schuld, dass die Kinder angeblich klauen wie die Raben. Und es stellt das Internet selbst als verkommenen Ort dar, in den die Kinder umziehen, nachdem sie die bürgerlichen Institutionen verlassen haben.

Der letzte Absatz ist mein Lieblingsabsatz:

Die Vertreter der Deutschen Content Allianz kritisieren, noch gelte für zu viele der Schutz des geistigen Eigentums und die Freiheit im Internet als unüberbrückbare Kluft. Das schlage sich auch in der praktischen Politik durch ein Auseinanderdriften von Medien- und Netzpolitik nieder. Politik, Medien und Gesellschaft seien gemeinsam aber einmal unter der Überschrift „Konvergenz“ angetreten. Auch wenn dies stets eine besondere Herausforderung dargestellt habe, dürfe man es nun nicht aus den Augen verlieren, argumentieren die Köpfe der Deutschen Content Allianz.

Politik, Medien und Gesellschaft sind gemeinsam einmal unter der Überschrift „Konvergenz“ angetreten. Das muss selbst in der Phrasenwelt eines Markus Schächter ein rekordverdächtig quatschiger Satz sein. Man wüsste so gerne, wo sie alle, wir alle, angetreten sind. Und wofür. Und wer die Überschrift gemacht hat. Und ob es auch eine Unterzeile gab. Und natürlich überhaupt, wer oder was da mit wem oder was konvergiert?

Unterdessen befindet sich übrigens Frau Piel in Verhandlungen mit den Zeitungsverlegern, den Online-Journalismus in Deutschland aufzuteilen: In Video und Audio, wofür die Öffentlich-Rechtlichen zuständig wären, und Texte, was die Verlage machen würden. –Frau Piel? Die Konvergenz hat angerufen für Sie. Sie möchte ihre Überschrift zurückhaben.

Immerhin stellen ARD, ZDF, Privatsender, Produzenten, Musikindustrie, Filmwirtschaft, Buchhändler und GEMA am Ende noch einmal gemeinsam fest, das sie „es“ nicht aus den Augen verlieren wollen. Was auch immer damit gemeint sein mag.

Diese Erklärung ist ein aufschlussreiches Dokument. Es macht anschaulich, in welchem Maße ein Verein, der behauptet, für die Existenz hochwertiger Inhalte zu stehen, nicht einmal in der Lage ist, selbst einen Inhalt zu formulieren, der verständlich, sprachlich richtig und inhaltlich korrekt ist. Die Presseerklärung ist mit all ihrem Sprachmüll und ihrer Gedankenlosigkeit ein Dokument der Hilflosigkeit. Aber ich fürchte, so niedlich es wirkt, wie ungelenk da die Branchengrößen mit Förmchen werfen, so hart ist in Wahrheit der Druck, den sie hinter den Kulissen auf die Politik ausüben. Die „Deutsche Content Allianz“ bezieht sich in ihrer Pressemitteilung sogar zustimmend auf einen Brief diverser Verbände an Abgeordnete des EU-Parlaments, der mit zutiefst antidemokratischer Haltung die Proteste gegen ACTA skandalisierte.

Das größte Ärgernis aber bleibt für mich, dass die öffentlich-rechtlichen Sender bei alldem mitmischen. Von Sascha Lobo kommt der treffende Satz: „Inhalte nennt man in Deutschland immer dann ‚Content‘, wenn jemand damit Geld verdienen will.“ Was haben ARD und ZDF, deren Aufgabe es ist, von unseren Gebühren Programme für uns zu machen, in dieser „Content Allianz“ zu suchen?

Das Gebührenwucherphantom

ARD und ZDF haben der zuständigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) mitgeteilt, wieviel Geld sie in der nächsten Gebührenperiode mehr benötigen. Die Summen entsprechen nach Angaben der Sender einer jährlichen Steigerung von 1,1 bzw. 1,3 Prozent. (Nachtrag/Korrektur hier.) Das ist weniger als die aktuelle Inflationsrate von über 2 Prozent. Das nominale Wachstum, das ARD und ZDF beantragt haben, entspricht also einem realen Rückgang ihrer Etats.

Es ist schwer, darin einen Skandal zu sehen. Natürlich kann man der Meinung sein, dass die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland ohnehin schon über viel zu viel Geld verfügen und in Zukunft deutlich schrumpfen sollten. Aber man muss schon ideologisch verblendet sein und irreführend rechnen, um aus einem Wachstum unterhalb der Inflationsrate einen Beleg für Maßlosigkeit und Gier der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu machen.

Den Gegnern von ARD und ZDF in den Verlagsredaktionen, den Lobbyverbänden und der Politik ist das mit vereinten Kräften gelungen. Mit teils bloß reflexhafter, teils sicher bewusst einseitiger Berichterstattung haben sie die Bedarfsanmeldung in den vergangenen Tagen in grotesker Weise skandalisiert. Es ist ein Lehrstück darüber, wie man mit geschickter Propaganda den Verlauf einer Debatte fast vollständig bestimmen kann.

An ihrem Beginn steht ausnahmsweise nicht die „Bild“-Zeitung, sondern die „Zeit“. Sie hat exklusiv in Erfahrung gebracht, welchen Bedarf ARD und ZDF bei der KEF angemeldet hatte, und gibt die Kommentierung gleich in der Überschrift ihres Artikels vor: „Immer in die Vollen“.

„Maßlos“ sei die „Forderung“ von ARD und ZDF, suggeriert die Autorin Anna Marohn, noch bevor sie sie überhaupt genannt hat. Ihr Artikel beginnt so:

Wunschzettel, das lernen Kinder früh, sind ein diplomatischer Akt. Wer sich ein Pony wünscht, bekommt am Ende vielleicht einen Hasen oder einen Wellensittich. Wer es aber übertreibt und auch noch zehn Puppen oder zehn Roller haben will, der zieht sich den Unmut der Eltern zu. So viel zur Theorie der Wunschzettel.

Ironisch spricht sie später angesichts der Zahlen, die sich über vier Jahre auf insgesamt 1,47 Milliarden Euro zusätzlich belaufen, von der „neuen Bescheidenheit“, nennt sie eine „üppige Forderung“.

Weil die „Zeit“ ihre Informationen samt wilder Spekulationen über eine Erhöhung der Rundfunkgebühren vorab an die Agenturen gegeben hat, stehen ihre Zahlen und Interpretationen am Donnerstag auch in anderen Zeitungen. Die „Bild“-Zeitung lässt sie durch irreführende Vergleiche von Zahlen, die sich auf ein einzelnes Jahr und auf vier Jahre beziehen, noch maßloser erscheinen, und brüllt: „Gebühren-Irrsinn“. Die „Stuttgarter Nachrichten“ berichten unter der Überschrift: „Sender halten Hand auf“.

Jürgen Doetz, dessen Beruf es ist, im Auftrag der Privatsender gegen ARD und ZDF zu wettern, nutzt seine Chance. Die Agenturen zitieren ihn: „Diese Zahlen zeugen von einem völligen Realitätsverlust der gebührenfinanzierten Anstalten und im Besonderen beim ZDF.“ Es handle sich um einen „Affront gegenüber den Gebührenzahlern“ sowie „eine Ohrfeige für die Politiker“.

Angesichts der historisch niedrigen Forderungen von ARD und ZDF könnte man seine Lautstärke hysterisch und die propagandistische Absicht durchschaubar finden. Doch im durch „Zeit“ und „Bild“ vorgegebenen Kontext wirkt Doetz‘ Gebrüll genau umgekehrt: Sie lässt die Beteuerungen von ARD und ZDF unwahrscheinlich wirken, die beantragten Steigerungsraten seien historisch niedrig.

Es ist die Stunde von Leuten wie Wolfgang Börnsen, dem medienpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der alliteriert, die Anträge von ARD und ZDF seien „unangebracht, unpassend und unangemessen“. Und natürlich meldet sich auch sein FDP-Kollege Burkhardt Müller-Sönksen mit üblichen Rülpsern zu Wort. Von einer „dreisten Selbstbedienungsmentalität der Intendanten“ spricht er und von einem „Generalangriff auf das duale System“.

Der Tonfall ist ansteckend.

Das „Hamburger Abendblatt“ aus dem Verlag Axel Springer ist ganz außer sich und kommentiert unter der Überschrift „Paralleluniversum ARD und ZDF. Die Gebührenforderung der öffentlichen Sender ist absurd“:

Irgendwo da draußen in den Funkhäusern an der Rothenbaumchaussee, auf dem Mainzer Lerchenberg, am Kölner Appellhofplatz oder am Münchner Rundfunkplatz müssen Menschen leben, die mit einer seltenen Gabe gesegnet sind: Sie bekommen von dem, was um sie herum geschieht, nichts mit. Rein gar nichts.

Sie wissen nicht, dass wir in einer schweren Finanzkrise stecken, deren Ende nicht abzusehen ist. Ihnen ist unbekannt, dass deshalb überall kräftig gespart werden muss. Und davon, dass die Unternehmen ihrer Branche, die sich nicht durch Gebühren finanzieren, auch ganz ohne Finanzkrise schwere Zeiten durchmachen, weil sich viele Mediennutzer und Werbetreibende ins Internet verabschieden, haben sie auch noch nie gehört.

Auch der Rest des Kommentars von Kai-Hinrich Renner ist pure Empörung und verirrt sich am Ende noch in der Behauptung, die Forderungen von ARD und ZDF seien „absurd“, weil sie aufgrund der Haushaltsabgabe ab 2013 eh mehr Geld kriegten. Das ist schlicht falsch, denn selbst wenn es so wäre, müssten sie den Betrag, der ihren angemeldeten und genehmigten Bedarf übersteigt, später wieder abgeben bzw. verrechnen.

Der Medienredakteur des Berliner „Tagesspiegel“, Joachim Huber, schnappt nach Luft: „Das Letzte“ hat er seinen Kommentar überschrieben, in dem er keucht: „Demut sieht anders aus, das erfüllt den Tatbestand der Nötigung.“

Die „Berliner Zeitung“ berichtet unter der Überschrift „schiefergelegt“ und bemüht im Text das falsche Bild von der „Schieflage im Dualen Rundfunksystem“. Es beruht auf der von der Privatsenderlobby kultivierten Annahme, Private und Öffentlich-Rechtliche sollten ungefähr gleich stark sein. Dabei ist die Architektur des Dualen Systems eine ganz andere. Sie ist darauf ausgelegt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer stark sein soll, auch wenn die privaten — aus welchen Gründen auch immer — schwach sind. Dieses System kann man natürlich für falsch halten und verändern wollen. Aber dann muss man das auch sagen anstatt so zu tun, als gefährde ein Inflationsausgleich für ARD und ZDF die Logik des vorhandenen Systems.

Noch einmal: Natürlich hat jeder, zumal in einem Kommentar, das Recht, die Etatsteigerungswünsche von ARD und ZDF zu hoch zu finden. Die Debatte wird aber geführt auf der Grundlage der Behauptung, die Anmeldungen bedeuteten eine massive Zunahme der Etats, was falsch ist. Hilfreich ist dabei natürlich, die Steigerungen nicht in Prozenten, sondern den zweifellos eindrucksvollen absoluten Zahlen auszudrücken, und das auch noch über den Zeitraum von vier Jahren.

Man denke sich versuchsweise die Meldung, dass die „Bild“-Zeitung ihren Verkaufspreis von 60 auf 70 Cent erhöht hat, in dieser Form: Wir würden darüber diskutieren, dass „Bild“ ihre Vertriebsumsätze um 90 Millionen Euro jährlich, um 360 Millionen in vier Jahren steigert.

Überhaupt fällt auf, wie sehr etwas, das in ungefähr jedem anderen Lebensbereich, bei Preisen und Löhnen, selbstverständlich ist, nämlich Inflation bzw. ihr Ausgleich, in Bezug auf ARD und ZDF automatisch anrüchig und Ausweis von „Selbstbedienungsmentalität“ und „Realitätsverlust“ sein soll.

Wie dramatisch sind die Rundfunkgebühren tatsächlich gestiegen? Natürlich ist es etwas grundsätzlich anderes, ob ein privates Medium, das ich kaufen oder es lassen kann, seinen Preis erhöht oder eine Gebühr erhöht wird, die ich unabhängig vom eigenen Medienkonsum zahlen muss. Dennoch ist ein Vergleich der Preisentwicklung erhellend:

Der Preis einer „Bild“-Zeitung hat sich in den vergangenen elf Jahren verdoppelt; ein „Spiegel“ kostet 60 Prozent mehr; die Rundfunkgebühren stiegen um 27 Prozent. Ein Monat ARD, ZDF und Deutschlandradio mit all ihren Fernseh-, Radio- und Internetangeboten kostet heute nicht mehr als ein Monat „Bild“-Zeitung. Von der grundsätzlichen Frage nach der Legitimität der „Zwangsgebühren“ abgesehen: Das klingt im Vergleich nicht nach einem überteuerten Angebot.

Dass die Debatte darüber, welche Gebühren für ARD und ZDF angemessen sind, eine solche Schieflage hat und eine Steigerung unterhalb der Inflationsrate als Wucher dargestellt wird, liegt aber nicht nur an der Bereitschaft der Zeitungsredaktionen, sich ganz in den Dienst des billigen Populismus oder des Kampfes ihrer Verlage gegen ARD und ZDF zu stellen. Es liegt auch an der Unfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender zu Transparenz und Kommunikation.

Sie erwischt die Diskussion zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt: mitten im Ratifizierungsprozess des neuen Rundfunkstaatsvertrages, der die neue Haushaltsabgabe einführen soll. Es ist vermutlich kein Wunder, dass die Zahlen ausgerechnet jetzt lanciert wurden. Dabei stehen sie seit Monaten fest. Warum haben ARD und ZDF sie nicht selbst öffentlich gemacht? Sie hätten nicht nur im gewissen Rahmen selbst bestimmen können, wann sie sie lancieren. Sie hätten auch eine viel größere Chance gehabt, die Dramaturgie der Diskussion zu beeinflussen und von Anfang an ihre eigenen Argumente in die Öffentlichkeit zu bringen.

Die ARD brauchte fast 24 Stunden, bis sie auf die Vorabmeldung der „Zeit“ mit einem Statement der Vorsitzenden Monika Piel reagierte. Zunächst hatte sie sich sogar geweigert, die Zahlen zu bestätigen, und somit auch bewusst darauf verzichtet, sie zu erklären und einzuordnen.

ARD und ZDF können die Hoffnung getrost fahren lassen, dass private Medien unvoreingenommen über sie und die Rundfunkgebühren berichten. Ihre einzige Chance ist es, die Gebührenzahler selbst zu überzeugen. Dazu müssten sie lernen, transparenter zu werden. Das wäre nicht nur strategisch geschickt. Es wäre auch Ausdruck einer Tatsache, die ARD und ZDF gern vergessen: dass sie nicht sich selbst dienen, sondern uns.

ARD-Generalsekretärin: „Zugang für alle“

Die Generalsekretärin der ARD, Verena Wiedemann, hat sich in der Debatte über die verstörenden Äußerungen der WDR-Intendantin und neuen ARD-Vorsitzenden Monika Piel zu Wort gemeldet. Piel hatte kostenlose journalistische Online-Angebote von Verlagen als „Holzweg“ bezeichnet und angekündigt, sich „vehement“ dafür einzusetzen, dass die öffentlich-rechtlichen Anwendungen auf mobilen Geräten kostenpflichtig werden, wenn es auch die Anwendungen der Verlage sind.

Wiedemann geht in ihrem Kommentar hier im Blog kaum direkt auf Piel ein, setzt aber markant andere Akzente. Die Präsenz auf mobilen Endgeräten sei für die ARD „keine Frage ihres Beliebens, sondern eine Frage ihres Programmauftrags und damit ihrer Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit und gegenüber den Gebührenzahlern. Für das Privileg, von den Marktkräften ebenso journalistisch unabhängig zu sein wie von staatlicher Kontrolle, ist die ARD im Gegenzug verpflichtet, qualitätsvolle und vielfältige Inhalte anzubieten und den optimalen Zugang zu ihnen für alle Bürger sicherzustellen.“

Innerhalb der Grenzen, die der Rundfunkstaatsvertrag ARD und ZDF im Internet setze, müssten die gebührenfinanzierten Inhalte „ohne zusätzliches Entgelt für jedermann, der sich für den einen oder anderen Empfangsweg entscheidet, frei zugänglich“ sein, das gelte auch für Computer oder Smartphones. Die von Piel ins Spiel gebrachte Möglichkeit, dass „eines Tages alle Inhalte der Verleger im Internet kostenpflichtig sein könnten“, sei „theoretischer Natur“, formuliert sie diplomatisch und dennoch als deutliche Abgrenzung zur WDR-Intendantin.

Wiedemann versucht, den vielfältigen Protest gegen Piels durchschaubaren Anbiederungsversuch an die Verleger umzulenken auf einen gemeinsamen Kampf für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und gegen die Lobby der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger: „Es wird wichtig bleiben, öffentlich wieder und wieder deutlich zu machen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein gesamtgesellschaftliches Anliegen ist. Denn er gehört uns allen.“

Inzwischen rudert auch Piel zurück. Ein ARD-Sprecher sagte, sie „wäre falsch verstanden worden, wenn ihre Äußerungen als generelle Absage an kostenlose Apps interpretiert worden wären“. Angebote, die vorhandene, bereits über die Rundfunkgebühren bezahlte Internet-Inhalte lediglich „optimieren“ wie die „Tagesschau“-App, müssten nach Meinung von Frau Piel selbstverständlich auch weiterhin kostenfrei bleiben.

Verena Wiedemanns Kommentar im Wortlaut:

Die ARD hat seit jeher die unverzichtbare Rolle der Presse für unsere Demokratie und für die Zukunft der Qualitätsmedien in Deutschland betont. Und so macht auch die neue ARD-Vorsitzende, Frau Piel, deutlich, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Printmedien in der Aufgabe ergänzen, den Bürgern glaubwürdige und umfassende Informationen und das ganze Meinungsspektrum unserer Gesellschaft zu vermitteln. Dort, wo dies sinnvoll und möglich erschien, haben wir bereits seit Jahrzehnten auf vielfältige Kooperationen mit den Verlagen gesetzt: Etwa bei der Berichterstattung über kulturelle Ereignisse oder bei Buchprojekten und in neuerer Zeit auch im Internet, wenn die ARD ausgesuchte audiovisuelle Inhalte für die Webseiten lokaler und regionaler Zeitungen zur Verfügung stellt. All dies stärkt unsere Medienlandschaft insgesamt und trägt zu einem optimalen flächendeckenden Informationsangebot für alle Bürger bei.

Wie aber verhält es sich nun mit den Apps? Mit ihnen optimiert die ARD ihre Internet-Angebote für die Welt der mobilen elektronischen Endgeräte, so wie dies alle anderen Medien auch tun, die künftig noch publizistisch relevant sein wollen. Nur ist die Präsens auf mobilen Endgeräten im Falle der ARD keine Frage ihres Beliebens, sondern eine Frage ihres Programmauftrags und damit ihrer Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit und gegenüber den Gebührenzahlern. Für das Privileg, von den Marktkräften ebenso journalistisch unabhängig zu sein wie von staatlicher Kontrolle, ist die ARD im Gegenzug verpflichtet, qualitätsvolle und vielfältige Inhalte anzubieten und den optimalen Zugang zu ihnen für alle Bürger sicherzustellen. In der analogen Welt war dieser Zugang noch übersichtlich: Für die Verbreitung gab es neben der Terrestrik nur noch Satellit und Kabel. Längst aber haben sich die publizistisch relevanten elektronischen Verbreitungswege vervielfacht. Zugang für alle zu gewährleisten ist heute komplexer und aufwendiger als jemals zuvor.

Der Gesetzgeber hat — übrigens mit ausdrücklicher Zustimmung der Europäischen Kommission — aus dieser Entwicklung die einzige zukunftsfähige Konsequenz gezogen: Der öffentlich-rechtliche Programmauftrag gilt grundsätzlich für alle elektronischen Verbreitungswege und Plattformen. Es kommt also zunächst nicht darauf an, ob der gebührenfinanzierte Inhalt im Radio zu hören oder am Fernseh-, Computer- oder Smartphone-Bildschirm zu sehen ist: Er ist ohne zusätzliches Entgelt für jedermann, der sich für den einen oder anderen Empfangsweg entscheidet, frei zugänglich.

Aber ebenso gilt: Der deutsche Gesetzgeber hat dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Internet — weit mehr als in Hörfunk und Fernsehen — auch massive Grenzen gesetzt. Die Verbotsliste der Inhalte, die die ARD gar nicht oder zeitlich nur sehr eng begrenzt ins Internet stellen darf, ist lang. Und ein wesentliches Motiv für diese Zugangsschranken der Bürger zu den von ihnen finanzierten Inhalten waren die Proteste der publizistischen Konkurrenten, allen voran der Verleger, aber auch des kommerziellen Rundfunks. Sie machten geltend, ihre Geschäftsmodelle im Internet könnten durch die öffentlich-rechtlichen frei zugänglichen Inhalte Schaden nehmen.

Diese Befürchtungen haben sich allerdings als unbegründet erwiesen. Seit dem Sommer 2009 gilt ein Rundfunkstaatsvertrag, der ARD, ZDF und DLR verpflichtet, jedes neue oder wesentlich veränderte Internet-Angebot einem sog. Dreistufentest zu unterziehen. Das heißt, wir dürfen den Nutzern nur Angebote machen, die die Aufsichtsgremien zuvor genehmigt haben. Im Rahmen dieser Prüfung müssen die Rundfunkgremien auch die potenziellen Auswirkungen des geplanten Angebots auf den Wettbewerb mit in Betracht ziehen. Bei den zahlreichen Dreistufentests zum Bestand unserer Telemedien in 2009/2010 hat sich jedoch herausgestellt, dass von unseren Angeboten keine oder allenfalls nur sehr geringe Marktauswirkungen ausgehen. Dennoch dürfte die ARD mit ihren Angeboten auf mobilen Endgeräten überhaupt nicht vertreten sein, wenn es allein nach den Forderungen der Verbände der Zeitungs- und der Zeitschriftenverleger gehen würde.

Es ist deshalb ermutigend zu lesen, mit welcher Leidenschaft sich inzwischen viele Stimmen erheben, die ein frei zugängliches vielfältiges ARD-Angebot auf allen publizistisch relevanten Plattformen für notwendig erachten und dies auch öffentlich einfordern. Und natürlich haben diejenigen Recht, die darauf verweisen, dass die Hypothese, wonach eines Tages alle Inhalte der Verleger im Internet kostenpflichtig sein könnten, theoretischer Natur ist. Ist es nicht allen voran der Axel Springer Verlag selbst, der seit vielen Jahren sogar in seinem klassischen Geschäftsfeld der gedruckten Presse noch verbliebene unabhängige Lokalzeitungen mit „kostenlosen“ Anzeigenblättern bedrängt? Und der längst im werbefinanzierten Internet enorme Umsatzsteigerungen und Gewinne realisiert?

Ich würde mir sehr wünschen, dass sich alle, die sich in Ihrem Blog zu unserem Thema zu Wort melden und auch sonst alle, die das Telemedienangebot der ARD mit Interesse verfolgen, beim nächsten Dreistufentest auch gegenüber unseren Aufsichtsgremien äußern. Denn die Rundfunkräte haben die Aufgabe, das Gemeinwohl insgesamt abzuwägen. Schon bei den Dreistufentests zu unseren bestehenden Telemedien haben sich zahlreiche Organisationen und Internet-Nutzer zu Wort gemeldet und freien Zugang zu „ihren“ Inhalten gefordert. Es wird wichtig bleiben, öffentlich wieder und wieder deutlich zu machen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein gesamtgesellschaftliches Anliegen ist. Denn er gehört uns allen. Und die Fans von Tagesschau- und Sportschau-App können beruhigt sein: Diese Apps haben den Dreistufentest mit Erfolg bestanden. Und das heißt, dass die ARD diese Angebote nicht nur machen darf, sondern auch machen muss.

Dr. Verena Wiedemann
ARD-Generalsekretärin

Frau Piel, wir müssen reden

Sehr geehrte Frau Piel,

Sie haben zu Beginn Ihrer zweijährigen Amtszeit als Vorsitzende der ARD eine Flut von Interviews gegeben, in denen sie viele erstaunliche Dinge gesagt haben. Ein Satz aber ist ganz besonders bemerkenswert. Er lautet:

Wenn der Verlegerverband die Apps kostenpflichtig macht, dann werde ich mich auch vehement dafür einsetzten, dass unsere öffentlich-rechtlichen Apps kostenpflichtig sind.

Ich dachte erst, dass ich mich verlesen hätte. Oder dass die Medien, die diese Stelle zitieren, einen Fehler gemacht haben müssen. Aber genau so scheinen Sie das gegenüber der „Frankfurter Rundschau“ autorisiert zu haben. Im Zusammenhang:

Man ist offensichtlich von Seiten der Verlage auf dem Holzweg, wenn man journalistische Inhalte kostenlos anbietet. Diese Kostenloskultur kann nicht Ziel führend sein. Das kann für die Verlage nur heißen, man muss dahin kommen, die journalistischen Inhalte zu verkaufen. Da sind kostenpflichtige Apps der richtige Anfang. Bei diesen fühlen sich die Verleger jedoch im Markt behindert. Wenn der Verlegerverband die Apps kostenpflichtig macht, dann werde ich mich auch vehement dafür einsetzten, dass unsere öffentlich-rechtlichen Apps kostenpflichtig sind.

Ich halte diese Äußerung für einen Skandal.

Ich weiß nicht, warum Sie der Meinung sind, dass die Verlage ihre journalistischen Inhalte nicht kostenlos anbieten dürfen. „Spiegel Online“ müsste der Teufel reiten, seine Inhalte nur noch gegen Geld anzubieten. Das Geschäftsmodell, möglichst viele Leser zu erreichen und sich über Werbung zu finanzieren, scheint dort gut zu funktionieren. Es hat den Vorteil, nicht nur lukrativ zu sein, sondern zu einem enormen publizistischen Einfluss zu führen.

In Großbritannien macht gerade der Online-Auftritt der Zeitung „Daily Mail“ Furore. Die Besucherzahlen von „Mail Online“ sind im vergangenen Jahr um rund 50 Prozent gestiegen. Während Rupert Murdoch die Inhalte der „Times“ nur noch zahlenden Kunden zugänglich macht, setzt die „Mail“ (mit durchaus zweifelhaften journalistischen Mitteln) ganz darauf, mit einem kostenlosen Angebot möglichst viele Leser zu erreichen, bricht Besucherrekorde und macht Gewinn.

Ich verstehe nicht, inwiefern „Spiegel Online“, „Mail Online“ und viele andere mit dieser Strategie auf dem „Holzweg“ sind oder welche „Ziele“ sie nicht erreichen können. Ich glaube auch nicht, dass das Ihre Sorge sein müsste, Frau Piel. Aber wenn Sie der Meinung sind, dass es im Internet eine schädliche „Gratiskultur“ gibt und dass es gut ist, wenn die Verlage jetzt über den Umweg des iPads versuchen, ihre fehlenden Werbeerlöse online durch Vertriebserlöse auszugleichen, dann ist das halt so.

Wir bekommen aber ein Problem miteinander, wenn Sie auf meinem Rücken und dem von Millionen Gebührenzahlern den Verlegern bei dieser Strategie helfen wollen. Unter bestimmten Bedingungen wollen Sie öffentlich-rechtliche Inhalte, die für Geräte wie das iPad aufbereitet wurden, nur noch gegen Geld zugänglich machen. Ich habe Neuigkeiten für Sie, Frau Piel: Wir haben diese Inhalte schon bezahlt.

Diese Inhalte gehören uns. Nicht im juristischen Sinne, aber in jedem anderen.

Von 2012 2013 an muss jeder Haushalt Rundfunkgebühren zahlen. Egal, ob er ein Fernsehgerät hat. Egal, ob er Fernsehen guckt. Egal, ob er ARD oder ZDF guckt.

Die Logik dahinter ist die, dass es gut für eine Gesellschaft ist, wenn die Produktion von Inhalten in einem Massenmedium nicht vollständig den Gesetzen des Marktes unterworfen ist. Ich bin ein großer Verteidiger dieser Logik und der Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks — auch in Zeiten, in denen es leichter und günstiger denn je ist, Menschen publizistisch zu erreichen.

Zu dieser Logik gehört es aber auch, dass die von allen bezahlten Inhalte dann auch allen zur Verfügung stehen. Das ist ein Kern der Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und eine große Chance gerade im digitalen Zeitalter. ARD und ZDF müssen sich nicht dagegen wehren, wenn ihre Inhalte auf Plattformen wie YouTube weiter verbreitet werden, denn diese Inhalte sind schon bezahlt. Im Gegenteil ist es in ihrem Interesse, wenn sie so viele Menschen wie möglich erreichen.

Die Verleger sehen in der Präsenz von ARD und ZDF in der digitalen Welt eine Wettbewerbsverzerrung. Es ist eine Wettbewerbsverzerrung, und zwar eine gewollte. Sie bietet die Möglichkeit, frei von den Zwängen, denen kommerzielle Anbieter ausgesetzt sind, gute Inhalte zu produzieren. Öffentlich-rechtliche Anbieter sollen auch dann, wenn es privaten Medien schlecht geht, für Qualität bürgen.

Gerade wenn alle anderen Medien hochwertige journalistische Inhalte nur noch gegen Geld anböten, müsste der öffentlich-rechtliche Rundfunk kostenlos bleiben: damit auch diejenigen Menschen, die sich die kostenpflichtigen Angebote nicht leisten können, gut versorgt werden.

(Das Wort „kostenlos“ im Satz vorhin ist natürlich falsch. Wir alle haben diese Inhalte bereits bezahlt. Ich wiederhole mich.)

Anscheinend ist Ihnen das immerhin nicht völlig unbekannt. Sie haben der „Frankfurter Rundschau“ noch im Zusammenhang mit einer möglicherweise kostenpflichtigen „Sportschau-App“ gesagt:

(…) es gibt hundert kostenlose Sport-Apps in Deutschland. In so einer Situation können wir, die wir gebührenfinanziert sind, nicht sagen, bei den Kommerziellen kriegt ihr das alles kostenlos, bei uns, für die ihr Gebühren gezahlt habt, müsst ihr das noch mal bezahlen. Wir könnten das in dem Augenblick machen, in dem andere Angebote auch kostenpflichtig wären.

Nein. Sie können das auch in dem Augenblick nicht machen. Mal abgesehen davon, dass es eine Illusion ist, dass alle Sportseiten kostenpflichtig werden, und vor allem abgesehen davon, dass es erstaunlich ist, dass eine Vorsitzende der ARD von einem Gerät träumt, auf dem alle Inhalte nur noch gegen Geld zugänglich sind, die eigenen eingeschlossen: Der Eindruck, den Sie hier erwecken, dass unter dem Motto „Kostenpflichtige Apps von allen“ ein fairer Wettbewerb stattfände, ist falsch. Sie können die Inhalte Ihrer „Sportschau-App“ aus den Gebühren finanzieren. Die Privaten können das nicht. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist per se eine Wettbewerbsverzerrung.

Sie meinen, wenn es keine kostenlose Alternative mehr gibt, können Sie die Menschen für die Inhalte der ARD „noch mal“ zur Kasse bitten? Das Wort, das ein solches Verhalten beschreibt, wird inflationär gebraucht, hier stimmt es aber: Abzocke.

Über die „Tagesschau-App“ sagen Sie:

Auch die Tagesschau-App kann nicht funktionieren, wenn gleichzeitig im Netz jede Zeitung auch ein kostenloses Info-Internetangebot hat.

Ich vermute, Sie meinen, dass die „Tagesschau-App“ nicht als kostenpflichtiges Angebot funktionieren könnte. Dieser Satz ist gleich doppelt falsch. Erstens glaube ich, dass die „Tagesschau-App“ auch in einer kostenpflichtigen Variante funktionieren könnte, weil die Marke „Tagesschau“ so stark ist und in einem Maß für Seriösität und Relevanz steht, mit dem nicht viele kostenlose Online-Angebote der Zeitungen mithalten können. Zweitens ist der Gedanke, die „Tagesschau-App“ kostenpflichtig zu machen, wenn nur die kostenlose Konkurrenz nicht wäre, sehr abwegig. Wenn der oft missverstandene Gedanke der „Grundversorgung“ im digitalen Zeitalter noch irgendeine Bedeutung haben soll, dann doch den, solide Inhalte frei verfügbar anzubieten und dafür zu sorgen, dass man nicht gut verdienen muss, um gut informiert zu werden.

Ich bin mir bewusst, dass ich hier mit großer Redundanz denselben Sachverhalt viele Male aufschreibe. Ich habe nur das Gefühl, dass das nötig sein könnte, weil Ihnen offenbar zentrale Gedanken des dualen Systems in Deutschland nicht bekannt sind.

Wenn Sie anfangen, Inhalte wie die „Tagesschau“ kostenpflichtig anzubieten, wird es Ihnen noch schwerer fallen, die Rundfunkgebühren zu legitimieren. Die Forderung von Verlegern und Politikern nach der Privatisierung wenigstens eines Teils des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben Sie dann schon selbst halb erfüllt.

[via Dirk von Gehlen]

Monika Piel

Bestimmt gibt es einen Grund, warum die WDR-Intendantin Monika Piel den „Presseclub“ moderiert und nicht jemand, der sowas kann.

Schön wäre zum Beispiel jemand, der es schaffte, bei der Begrüßung von vier Journalisten die Namen von mehr als zwei Zeitungen richtig auszusprechen. Aber das wäre sogar optional, wenn es nur jemand wäre, der wüsste, wer diese Menschen überhaupt sind, mit denen er oder sie da eine Dreiviertelstunde lang am Sonntagmorgen über Politik redet. Und, in einer idealen Welt, die Zuschauer an diesem Wissen sogar teilhaben ließe.

Also eine Moderatorin, die am vergangenen Sonntag Udo Ulfkotte nicht nur als „Publizisten“ vorgestellt hätte, ohne jeden weiteren Hinweis, was er wo publiziert. Eine Moderatorin, die gewusst und gesagt hätte, dass Ulfkotte, der bis 2003 FAZ-Redakteur war, längst weniger Journalist ist als Politiker, seit einem Monat prominentes Mitglied der rechtspopulistischen Bremer Wählervereinigung „Bürger in Wut“* und bekanntermaßen seit längerer Zeit schon intensiv mit der Gründung einer bundesweiten Anti-Islam-Partei beschäftigt (selbst auf der Homepage zur Sendung fehlt jeder Hinweis darauf). Eine Moderatorin, die es wichtig gefunden hätte, dass die Zuschauer in dieser Diskussion über die Bedrohung durch Terroristen wissen, wie Ulfkotte zum Islam steht, über dessen Möglichkeit zur „Läuterung“ er laut „Tagesspiegel“ gesagt hat: „Der Dialog wird immer als Hoffnung dargestellt, aber es wird ihn nicht geben.“ Eine Moderatorin, die jede Diskussion über Ulfkottes durchaus radikale Positionen, seine mangelnde Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus und seine Rhetorik auch in der Sendung von „den Moslems“ auf der einen Seite und „uns“ auf der anderen, nicht schon dadurch verhindert hätte, dass sie diese Positionen stellvertretend für Ulfkotte verklärte und entschärfte.

Aber der „Presseclub“ wird ja nicht von so einer Moderatorin geleitet, sondern von Monika Piel. Einer ARD-Journalistin, die unbeschwert die überraschende (und falsche) These in die Runde warf, man dürfe in Deutschland, wenn man das Grundgesetz ändern würde, auch vollbesetzte entführte Linienflugzeuge abschießen lassen, um zu verhindern, dass sie als Waffen missbraucht werden. Die sich zum Dolmetscher und Weichspüler eines Populisten machte, dessen politische Ambitionen sie nicht einmal andeutete. Und die die Diskussion mit verblüffender Logik begann: „Die versuchten Anschläge in London und in Glasgow haben gezeigt, dass (…) es nicht nur die Briten, sondern auch die Deutschen treffen könnte.“

Wenn es nicht so schlimm wäre, könnte man darüber lachen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

*) In der „Sonntagszeitung“ steht „Bürger in Not“ statt „Bürger in Wut“, was mein Fehler war und sehr peinlich ist.