Was werden wir rückblickend mit 2012 verbinden? Klar: Die große Informationsoffensive der ARD.
„Wir wollen 2012 zu unserem Informationsjahr machen“, hatte die WDR-Intendantin und amtierende ARD-Vorsitzende Monika Piel schon im November 2011 angekündigt, und tatsächlich: Unermüdlich informierten die Verantwortlichen der ARD und des Ersten im abgelaufenen Jahr darüber, dass bei ihnen gerade eine „Informationsoffensive“ stattfinde.
Deren Auswirkungen im Programm zu finden, ist ein bisschen schwieriger.
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In ihrem Abschiedsinterview als ARD-Vorsitzende nennt Monika Piel in der „taz“ als Erfolg ihrer Amtszeit die angeblich von ihr angestoßene „Schärfung unseres Informationsprofils“ und zählt als erstes von zwei Beispielen auf:
Wir haben viele „Brennpunkte“ gesendet (…).
Konkrete Zahlen nennt sie nicht, was sich vielleicht aus folgender Grafik erklärt:
Die ARD hat 2012 bloß zehn „Brennpunkte“ gezeigt. Nur einmal in den vergangenen Jahren waren es noch weniger.
Richtig ist, dass die Intendantinnen und Intendanten der ARD im Sommer 2011 entschieden hatten, dass „bei aktuellen, relevanten Ereignissen die Information in der ARD künftig einen noch höheren Stellenwert haben soll“ und dass „im Das Erste [sic] bei entsprechenden Anlässen verstärkt aktuelle Sondersendungen ins Programm“ nehmen soll.
Aber irgendwie kam es dann nicht dazu. Ganz sicher ist das nicht der ARD zuzuschreiben, sondern nur der Weltnachrichtenlage, die aufgrund eines Burnouts nach 2011 nicht mehr genug „entsprechende Anlässe“ geliefert hat. Insofern klingt es zwar unglücklich, wenn Monika Piel von „vielen“ „Brennpunkten“ spricht, wenn es besonders „wenige“ waren. Andererseits hätten es ja dank der ARD-„Informationsoffensive“ jederzeit mehr sein können, wenn es nicht weniger gewesen wären.
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Volker Herres, der Programmdirektor des Ersten, fand im Gespräch mit der „Funkkorrespondenz“ ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sehr das Publikum seinen Sender schätzt, wenn es um Informationen geht: die US-Wahlnacht.
In dieser Nacht hatte das Erste mit knapp 1,5 Millionen Zuschauern die mit Abstand meistgesehene Sendung. Das hat kein anderes Programm geschafft. Die anderen lagen bei 500 000 oder darunter.
Das war vermutlich ebenfalls von den Intendantinnen und Intendanten der ARD so beschlossen gewesen; leider scheint niemand Herres hinterher gesagt zu haben, dass sich die Wirklichkeit auch in diesem Fall nicht an den ARD-Plan halten wollte. Zwischen 22:45 Uhr und 3:00 sahen im Schnitt bloß 890.000 Zuschauer das Erste.
Tatsächlich hatte die ARD in der Wahlnacht zwar Sendungen mit 1,5 Millionen Zuschauern. Das lag aber nur daran, dass das Erste abwechselnd immer einige Minuten lang „Die Wahlparty im Ersten“ feierte und dann „Menschen bei Maischberger“ talken ließ und jeden dieser Schnipsel einzeln auswerten ließ. Die ersten 15 Minuten der Wahlparty hatten 1,8 Millionen Zuschauer; die ersten 8 Minuten von Maischberger 1,67 Millionen. Von dieser 23-minütigen „Nacht“ muss Herres reden.
Und von wegen, „die anderen lagen bei 500.000 oder darunter“: Ein „Markus Lanz“-Spezial zum Thema ertrugen im ZDF 1,63 Millionen Menschen; ein „RTL-Nachtjournal spezial“ um Mitternacht kam auf 1,14 Millionen Menschen.
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Worin aber besteht nun diese „Informationsoffensive“? Beim Blättern in den Pressemitteilungen der ARD findet sich unter diesem Stichwort unter anderem folgendes Erklärungsfragment:
Am Samstag, 8. Juli 2012, um 16.30 Uhr startet der „Ratgeber: Haus + Garten“ (WDR), der die „Ratgeber: Bauen + Wohnen“ und „Ratgeber: Heim + Garten“ ablöst. (…) Am Sonntag, 15. Juli 2012, um 16.30 Uhr feiert der „Ratgeber: Auto – Reise – Verkehr“ (SWR/SR) mit Moderator Michael Antwerpes Premiere.
Falls Sie das gerade nicht so präsent hatten: Der „Ratgeber: Auto – Reise – Verkehr“ entstand natürlich durch offensive Zusammenlegung von „Ratgeber: Reise“ und „Ratgeber: Auto + Verkehr“.
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Überhaupt scheint das Wochenendprogramm eine zentrale Rolle bei der „Informationsoffensive“ zu spielen. Der „Schlussbericht der geschäftsführenden Anstalt der ARD“, den der WDR im November der ARD-Hauptversammlung in Köln vorlegte, betont, dass Das Erste im Frühjahr 2012 „sein Informationsangebot am Wochenende um fast 50 Minuten ausgeweitet“ habe.
Es ist mir nicht gelungen, herauszufinden, wo sich diese 50 Minuten im Programm verstecken, abgesehen davon, dass nun sonntags um 16:15 Uhr eine 15-Minuten-„Tagesschau“ läuft statt um 17:00 Uhr eine 3-Minuten-„Tagesschau“.
Im „Schlussbericht“ des WDR heißt es:
Die Reportage „Exclusiv im Ersten“ rückte vom bisherigen Sendeplatz, Sonntag, 13.15 Uhr, auf eine attraktivere, reichweitenstärkere Zeit am Samstagnachmittag um 15.30 Uhr.
Mit der Bedeutung der Wörter „attraktiver“ und „reichweitenstärker“ verhält es sich ähnlich wie mit Frau Piels „viel“. Am Sonntag um 13:15 Uhr hatte „Exclusiv“ 2011 im Schnitt 0,99 Millionen Zuschauer. Am Samstag um 15:30 Uhr hatte „Exklusiv“ 2012 im Schnitt 0,67 Millionen Zuschauer.
Dank der „Informationsoffensive“ der ARD und des Verschiebens auf einen „attraktiveren, reichweitenstärkeren“ Sendeplatz verlor die Reportagereihe also ein Drittel ihrer Zuschauer.
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Insofern muss man vermutlich froh sein, wenn die ARD an anderer Stelle unter einer „Informationsoffensive“ sprachlich etwas unorthodox das bloße Halten der Stellung versteht. So gehörte zur Offensive, dass das Erste 2012 — genau wie 2011 — im Hauptabendprogramm eine Staffel mit Reportagen aus den Redaktionen der politischen Magazine zeigte. Und dass die Zahl der Dokumentationen und Features ebenso wenig verändert wurde wie die der Dokumentarfilme in Spielfilmlänge. (Immerhin wurden die Dokumentationen „stärker profiliert“, indem sie am Montagabend feste Reihentitel bekamen: „Die Story im Ersten“ und „Geschichte im Ersten.)
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Das Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ bekam „20 Prozent mehr Sendezeit“ (nämlich 30 statt 25 Minuten) als Preis für die erfolgreiche Teilnahme am großen „Reise nach Jerusalem“-Spiel, das durch das Engagement von Günther Jauch ausgelöst wurde. Wegen Jauch wechselten bekanntlich Anne Will vom Sonntag auf den Mittwoch, Frank Plasberg vom Mittwoch auf den Montag, „Report“ und „Fakt“ vom Montag auf den Dienstag — und eben „Plusminus“ vom Dienstag auf den Mittwoch.
Der Quote des Wirtschaftsmagazins tat das nicht gut: Auf dem alten Sendeplatz hatte „Plusminus“ zwischen Januar und August 2011 im Schnitt 3,3 Millionen Zuschauer, auf dem neuen zwischen Januar und August 2012 nur 2,6 Millionen.
Im November 2011 hatte die ARD als Teil ihrer „Informationsoffensive“ auch angekündigt:
Damit Wiedererkennbarkeit beim Publikum garantiert ist, wird im neuen Jahr das Wirtschaftsmagazin „plusminus“ von einer Moderatorin/einem Moderator präsentiert (…).
Der forsche Indikativ täuscht. Ein Jahr später wird „Plusminus“ immer noch abwechselnd, je nach diensthabendem Sender, von vier verschiedenen Moderatoren präsentiert.
Ebenso mutig als Tatsache und nicht bloße Absicht hatte die ARD im selben Atemzug formuliert, dass „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ noch 2012 ein „neues, moderneres Studio-Design“ bekommen würden. Nun ja.
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Nun ist es also zum Glück vorbei, das große „Informationsjahr“ der ARD. In der Pressekonferenz zu dessen Abschluss sagte Monika Piel:
Wir haben alle nochmal, alle Intendantinnen und Intendanten, beschlossen, nach langen Strategiediskussionen insgesamt: Der Programmanteil von Informationen im Ersten beträgt 40 Prozent. Den wollen wir unvermindert auch so beibehalten.
Auf Nachfrage von Journalisten konnte niemand der anwesenden ARD-Verantwortlichen sagen, welche Programme man als „Information“ zählen muss, um auf diese 40 Prozent zu kommen. Die ARD-Tier-Wiege-Soaps im Stil von „Ameisenbär, Nacktnasenwombat & Co.“ aus den Zoos der Republik gehörten aber bestimmt dazu.
Und so genau, wie es Frau Piel, Herr Herres und die anderen ARD-Nasen mit den Tatsachen nehmen, im Zweifel auch jedes beliebige andere Programm, das man braucht, um das Ziel scheinbar zu erreichen.