Ich hätte die „Funkkorrespondenz“ lesen sollen. Oder mir einen Merkzettel machen mit der Warnung an mich selbst: „Wenn du einen Artikel schreibst, der zum Ergebnis kommt, dass die Medienaufsicht in Deutschland womöglich funktioniert, hast du vermutlich nur nicht gründlich genug recherchiert.“
Am Sonntag habe ich für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ eine Bilanz der Gewinnspielsatzung gezogen. Seit eineinhalb Jahren drohen 9Live und den anderen Call-TV-Anbietern Bußgelder, wenn sie gegen die Regeln verstoßen, die ein Mindestmaß von Fairness und Transparenz garantieren sollen. Die Landesmedienanstalten haben seitdem über eine halbe Million Euro Bußgeld verhängt und sind der Meinung, das habe Wirkung gezeigt — obwohl noch kein Sender Geld gezahlt habe. (Tatsächlich haben Kabel 1, Super RTL und Das Vierte schon Bußgelder bezahlt. Davon wusste nur der zuständige Sprecher der baden-württembergischen Medienanstalt LfK, den ich gefragt hatte, angeblich nichts.)
Die aufregendere Geschichte stand zwei Tage zuvor im Branchendienst „Funkkorrespondenz“: Einen Teil dieser Summe werden die Sender nämlich nie zahlen müssen, weil die Landesmedienanstalten Fristen versäumt haben und die Verfahren einstellen mussten, weil es verjährt war. 115.000 Euro hat die Bayerische Landesmedienanstalt BLM auf diese Weise dem Sender 9Live geschenkt — weil die Mitarbeiter in den Osterferien waren. Oder im Deutsch der Beamten:
„Die Verjährung kam dadurch zustande, dass durch ein äußerst bedauerliches Büroversehen während der Urlaubszeit die fünf Fälle in der BLM liegengeblieben sind und es so versäumt wurde, die Bescheide der Staatsanwaltschaft fristgerecht zuzustellen.“
Als Konsequenz aus der Schlamperei sei „umgehend eine doppelte Terminkontrolle eingeführt“ worden, teilte die BLM der „Funkkorrespondenz“ mit, verweigerte aber die Auskunft, ob gegen Mitarbeiter dienstrechtliche Maßnahmen eingeleitet wurden.
Die Landesmedienanstalten werden, was viel zu wenig bekannt ist, zum größten Teil von den Rundfunkgebühren bezahlt: Sie bekommen knapp zwei Prozent davon, weit über 100 Millionen Euro jährlich. Wir, die Gebührenzahler, finanzieren also ein — aufgrund der föderalen Struktur der Medienaufsicht — ohnehin außerordentlich aufwändiges Verfahren, das einem Bußgeldbescheid vorausgeht. Und am Ende ist dieser ganze Aufwand für die Katz, weil die Mitarbeiter der BLM vergessen haben, sich die damit verbundene Frist irgendwohin zu schreiben, und sich in den Osterurlaub verabschiedet haben?
Es ist nicht so, dass es sich um Ausnahmen in einem sonst funktionierenden System handelte. Die „Funkkorrespondenz“ berichtet von zwei weiteren Fällen, in denen durch Schlamperei in der BLM die Verfahren verjährten. Auch bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg MABB musste ein Bußgeldverfahren wegen abgelaufener Fristen eingestellt werden, weil — wie die Behörde mitteilte — „die Weihnachtszeit dazwischen kam“.
Bei den Landesmedienanstalten — und insbesondere den beiden genannten — verbindet sich in einzigartiger Weise der ganze Albtraum einer föderalen Bürokratie mit Inkompetenz und schlichtem Unwillen. Ich bin überzeugt davon, dass die Bayerische Landesmedienanstalt unter Wolf-Dieter Ring (seit 21 Jahren im Amt) kein Interesse daran hat, die von ihr lizensierten (und im Land angesiedelten) Sender wirkungsvoll zu kontrollieren. Und der Aufsichts- und Auskunftswiderwille der MABB unter Hans Hege (seit 19 Jahren im Amt), die theoretisch für Pro Sieben zuständig wäre, ist ein fortdauernder Skandal.
Ich habe vor fünf Jahren zusammen mit Peer Schader für die „Sonntagszeitung“ einen Text über das Elend der Medienaufsicht in Deutschland geschrieben. Dessen Überschrift „Schafft die Landesmedienanstalten ab!“ wurde leider gelegentlich als bloße Polemik missverstanden.