Schlagwort: Landesmedienanstalten

Schlaf- und Skandalbehörden

Ich hätte die „Funkkorrespondenz“ lesen sollen. Oder mir einen Merkzettel machen mit der Warnung an mich selbst: „Wenn du einen Artikel schreibst, der zum Ergebnis kommt, dass die Medienaufsicht in Deutschland womöglich funktioniert, hast du vermutlich nur nicht gründlich genug recherchiert.“

Am Sonntag habe ich für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ eine Bilanz der Gewinnspielsatzung gezogen. Seit eineinhalb Jahren drohen 9Live und den anderen Call-TV-Anbietern Bußgelder, wenn sie gegen die Regeln verstoßen, die ein Mindestmaß von Fairness und Transparenz garantieren sollen. Die Landesmedienanstalten haben seitdem über eine halbe Million Euro Bußgeld verhängt und sind der Meinung, das habe Wirkung gezeigt — obwohl noch kein Sender Geld gezahlt habe. (Tatsächlich haben Kabel 1, Super RTL und Das Vierte schon Bußgelder bezahlt. Davon wusste nur der zuständige Sprecher der baden-württembergischen Medienanstalt LfK, den ich gefragt hatte, angeblich nichts.)

Die aufregendere Geschichte stand zwei Tage zuvor im Branchendienst „Funkkorrespondenz“: Einen Teil dieser Summe werden die Sender nämlich nie zahlen müssen, weil die Landesmedienanstalten Fristen versäumt haben und die Verfahren einstellen mussten, weil es verjährt war. 115.000 Euro hat die Bayerische Landesmedienanstalt BLM auf diese Weise dem Sender 9Live geschenkt — weil die Mitarbeiter in den Osterferien waren. Oder im Deutsch der Beamten:

„Die Verjährung kam dadurch zustande, dass durch ein äußerst bedauerliches Büroversehen während der Urlaubszeit die fünf Fälle in der BLM liegengeblieben sind und es so versäumt wurde, die Bescheide der Staatsanwaltschaft fristgerecht zuzustellen.“

Als Konsequenz aus der Schlamperei sei „umgehend eine doppelte Terminkontrolle eingeführt“ worden, teilte die BLM der „Funkkorrespondenz“ mit, verweigerte aber die Auskunft, ob gegen Mitarbeiter dienstrechtliche Maßnahmen eingeleitet wurden.

Die Landesmedienanstalten werden, was viel zu wenig bekannt ist, zum größten Teil von den Rundfunkgebühren bezahlt: Sie bekommen knapp zwei Prozent davon, weit über 100 Millionen Euro jährlich. Wir, die Gebührenzahler, finanzieren also ein — aufgrund der föderalen Struktur der Medienaufsicht — ohnehin außerordentlich aufwändiges Verfahren, das einem Bußgeldbescheid vorausgeht. Und am Ende ist dieser ganze Aufwand für die Katz, weil die Mitarbeiter der BLM vergessen haben, sich die damit verbundene Frist irgendwohin zu schreiben, und sich in den Osterurlaub verabschiedet haben?

Es ist nicht so, dass es sich um Ausnahmen in einem sonst funktionierenden System handelte. Die „Funkkorrespondenz“ berichtet von zwei weiteren Fällen, in denen durch Schlamperei in der BLM die Verfahren verjährten. Auch bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg MABB musste ein Bußgeldverfahren wegen abgelaufener Fristen eingestellt werden, weil — wie die Behörde mitteilte — „die Weihnachtszeit dazwischen kam“.

Bei den Landesmedienanstalten — und insbesondere den beiden genannten — verbindet sich in einzigartiger Weise der ganze Albtraum einer föderalen Bürokratie mit Inkompetenz und schlichtem Unwillen. Ich bin überzeugt davon, dass die Bayerische Landesmedienanstalt unter Wolf-Dieter Ring (seit 21 Jahren im Amt) kein Interesse daran hat, die von ihr lizensierten (und im Land angesiedelten) Sender wirkungsvoll zu kontrollieren. Und der Aufsichts- und Auskunftswiderwille der MABB unter Hans Hege (seit 19 Jahren im Amt), die theoretisch für Pro Sieben zuständig wäre, ist ein fortdauernder Skandal.

Ich habe vor fünf Jahren zusammen mit Peer Schader für die „Sonntagszeitung“ einen Text über das Elend der Medienaufsicht in Deutschland geschrieben. Dessen Überschrift „Schafft die Landesmedienanstalten ab!“ wurde leider gelegentlich als bloße Polemik missverstanden.

Auch Fernsehshow-Anrufer haben Rechte – in Großbritannien

Die Briten haben eine erfrischend eindeutige Haltung zu Fernseh- und Radiosendungen, in denen das Publikum dazu aufgefordert wird, die ein oder andere kostenpflichtige Telefonnummer anzurufen: Wenn der Zuschauer Geld ausgibt, muss er auch etwas dafür bekommen. Eine tatsächliche Chance auf einen Gewinn, zum Beispiel. Oder die Möglichkeit, eine Wahl mit einer abgegebenen Stimme tatsächlich zu beeinflussen.

Es war keine böse Absicht, dass die BBC am vergangenen Wochenende gegen diese Regel verstieß und wieder einmal den Volkszorn provozierte. Es war reine Dusseligkeit. Und das ausgerechnet bei der seit Monaten unter größter Anteilnahme der Nation laufenden Show „Strictly Come Dancing“, die auf deutsch in Deutschland „Let’s Dance“ heißt und in der Prominente um die Wette tanzen. Heute Abend ist das große Finale – es werden weit über zehn Millionen Zuschauer erwartet.

Eigentlich hätte im Halbfinale am vergangenen Samstag eines von drei verbliebenen Paaren ausscheiden sollen. Die Wertungen von vier Juroren einerseits und die Abstimmung des Publikums andererseits bestimmen jeweils zur Hälfte die Platzierung der Kandidaten. Die beiden schlechteren Paare müssen in ein Duell, in dem dann die Jury alleine entscheidet.

Es ergab sich aber, dass die Jury zufällig zwei Paare punktgleich auf den ersten Platz gesetzt hatte. Das drittplatzierte Paar hatte aufgrund des Punktesystems keine Chance mehr, den ersten Platz zu erreichen und so vor dem entscheidenden Duell gerettet zu werden – ganz egal, wie das Publikum abgestimmt hätte. Entgegen der ununterbrochenen Aufrufe, für das eigene Lieblingspaar zu stimmen und es so vor dem Duell zu bewahren, war jede Stimme für die Drittplatzierten verschenkt.

Leider fiel das den Verantwortlichen erst auf, als die Abstimmung längst lief. Und leider gab es keine Regel, was in einem solchen Fall zu tun sei. Und so beschloss die BBC, die Abstimmung nach einer Stunde „einzufrieren“ und alle drei Paare ins Finale kommen zu lassen. Die bereits abgegebenen Stimmen sollen dann dort gelten.

Ein Anruf in der Sendung kostet nur vergleichsweise lächerliche 15 Pence (16 Cent), aber das Ausmaß an Empörung und Schiebung-Rufen war dennoch gewaltig. Es legte sich erst dann ein wenig, als die BBC öffentlich erklärte, all die Anrufer, die wirklich unglücklich seien über den veränderten Ablauf, könnten ihr Geld zurück bekommen – zunächst hatte die BBC genau das abgelehnt. Aber bei kostenpflichtigen Telefonspielen sind die Briten besonders sensibilisiert, seit herauskam, dass nicht nur Sender und Sendungen nach dem Vorbild von 9Live die Zuschauer in die Irre führten, sondern die Anrufer auch in großen Shows und sogar Benefiz-Galas getäuscht wurden. Die Aufsichtsbehörde Ofcom griff mit Strafen in Höhe von mehreren Millionen Euro durch. Noch in dieser Woche verhängte sie eine Geldbuße von rund 100.000 Euro, weil vorher aufgezeichnete Radiosendungen der BBC so taten, als könne man live anrufen.

Eine funktionierende Medienaufsicht aber ist in Deutschland ähnlich unvorstellbar wie die Art, in der sich ein BBC-Verantwortlicher in den BBC-Nachrichten unangenehme Fragen vom Moderator nach dem peinlichen Chaos bei „Strictly Come Dancing“ gefallen lassen musste (Video). Vor allem aber fehlt bei uns fast jedes Gefühl, dass mit dem Geld, das die Fernsehsender durch die teuren Anrufe einnehmen, eine Verpflichtung verbunden ist.

Als im vergangenen Jahr der Kandidat Max Buskohl die RTL-Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ außer der Reihe verließ, behaupteten er und sein Vater hinterher, der Sender habe ihn überredet, nicht sofort zu gehen, sondern erst nach der nächsten Entscheidungsshow. So konnte RTL am Samstag durch die Telefonanrufe der Zuschauer noch Einnahmen in schätzungsweise sechsstelliger Höhe generieren – bevor am Sonntag klar wurde, dass all diese Anrufe bedeutungslos waren, weil Buskohl ging und deshalb der vom Publikum herausgewählte Kandidat bleiben durfte. Die zuständige Landesmedienanstalt sah sich nicht veranlasst, bei RTL überhaupt nachzufragen, was denn da los war, ein öffentlicher Aufschrei über den Betrug an den Zuschauern blieb aus. Vermutlich hätte man das Gelächter der RTL-Verantwortlichen durch die halbe Republik gehört, wenn einer der Anrufer versucht hätte, sein Geld zurück zu bekommen.

Medienanstalten outen Beschwerdeführer

Auf der Seite programmbeschwerde.de der Landesmedienanstalten, die Zuschauer dazu einlädt, „Programmverstöße“ zu melden, schreibt die zuständige Landesmedienanstalt Saarland:

Die Sicherheit Ihrer Daten im Internet ist uns ein großes Anliegen. Selbstverständlich befolgen wir streng die Bestimmungen der Datenschutzgesetze (BDSG, SDSG) und verwenden Ihre Daten nur für solche Zwecke, zu denen Sie uns berechtigt haben. Der Schutz der von Ihnen zur Verfügung gestellten Informationen wird durch die Verwendung moderner Sicherheitssysteme bestmöglich gewährleistet. Alle Daten werden streng vertraulich behandelt. Das heißt: Es ist für Dritte nicht ersichtlich, welche Beschwerden, von wem abgegeben werden.

Schön wär’s.

Bereits im vergangenen Jahr staunte ein Zuschauer, der sich bei der Bayerischen Landesmedienanstalt über eine Call-TV-Sendung beschwert hatte, dass die Behörde offenbar seine persönlichen Daten an den damaligen Geschäftsführer der Produktionsfirma weitergeleitet hatte.

In dieser Woche entdeckte ein Mitglied des Forums call-in-tv.net, dass die Beschwerden von vermutlich Hunderten Beschwerdeführern im Wortlaut, zusammen mit sämtlichen Angaben wie E-Mail-Adressen oder Telefonnummern auf www.programmbeschwerde.de offen unter dem Logo der Landesmedienanstalten zu lesen waren. Dies ist nur ein winziger Ausschnitt der Übersichtsseite:


(Unkenntlichmachung von mir)

Das ganze bunte Bild der Beschwerden ließ sich nachlesen: Klagen über verschobene Werbeblöcke in der RTL-Seifenoper „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und das Niveau der „sogenannten Telenovellas“; Empörung über die „widerwärtige“ „übermäßige Verwendung englischer Sprachfetzen“ in der Werbung und den Nachrichten; Beschwerden über die Schleichwerbung in „Wetten dass“, und detaillierte Beschreibungen der systematischen Irreführung der Hörer in der Call-In-Show „Lars Vegas“ des Radiosenders RPR1.

Erst nach dem Hinweis eines Users von call-in-tv.net hat jemand die Daten am Mittwoch von der Seite entfernt.

Die saarländische Landesmedienanstalt hatte das Projekt programmbeschwerde.de vor vier Jahren gestartet und anfangs ununterbrochen Erfolgsmeldungen dazu herausgegeben. Inzwischen würde ich annehmen, dass bis zum Datenschutz-Skandal dieser Woche die Medienwächter vergessen hatten, dass es die Seite überhaupt noch gibt.

So, wie die Seite im Moment vor sich hinrottet, ist es erstaunlich, dass sich dort überhaupt jemand über das Programm beschwert. Aber das sollte man vielleicht eh niemandem empfehlen.

[via Twipsy]

Medienanstalt entdeckt Call-TV-Sendung

Die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen hat festgestellt, dass die von der Firma Callactive für MTV produzierte Anrufshow „Money Express“ am 29. November 2007 unzulässigerweise einen nicht vorhandenen Zeitdruck aufgebaut und Anrufer so in die Irre geführt habe. Sie hat die Sendung „formell beanstandet“.

Die einzige konkrete Konsequenz für den Sender und seinen Produzenten ist diese:

Callactive-Geschäftsführer Stephan Mayerbacher hat gegenüber dem Medienmagazin DWDL angekündigt, rechtliche Schritte gegen die Entscheidung prüfen zu lassen — „auch, um von der Medienaufsicht eine klare Definition zu erhalten, was denn genau ein ’nicht vorhandener Zeitdruck‘ ist“.

Recht hat er.

In der beanstandeten Sendung, die bis 3.04 Uhr ging, wurde laut (gewöhnlich zuverlässigem) Protokoll von call-in-tv.de erstmals für 1.05 Uhr angekündigt, die Telefonleitungen zu schließen. Dasselbe geschah bis zum Ende der Sendung noch ungefähr ein halbes Dutzend Mal. Bereits um kurz vor 2 Uhr wurde ein erster sogenannter „FINAL COUNTDOWN“ heruntergezählt. Je ein weiterer „FINAL COUNTDOWN“ folgte um 2.26 Uhr und 2.57 Uhr. Hinzu kamen mutmaßlich Dutzende folgenlose Countdowns, die nicht ausdrücklich als „final“ angekündigt wurden. Um 2.40 Uhr wurde „LETZTE CHANCE“ eingeblendet, um 2.50 Uhr ein weiteres Mal.

Mayerbacher fragt zu Recht: Was ist „nicht vorhandener Zeitdruck“? Die Täuschung durch „final Countdowns“, die weder final sind noch zu irgendeinem Ereignis herunterzählen, die falschen Ankündigungen von „letzten Chancen“ oder die fast ununterbrochenen falschen Aussagen der Moderatoren über den Spielablauf können es nicht sein. Denn damit führt „Money Express“ seine Zuschauer fast jeden Abend in die Irre.

Ich hoffe, Mayerbacher klagt wirklich. Entweder er verliert. Oder die Gewinnspielregeln und ihre Auslegung durch die Landesmedienanstalten werden als die Farce entlarvt, die sie sind. Für die Allgemeinheit wäre es in jedem Fall ein Gewinn.

(Tafelgag nach einer Idee von „Twipsy“.)

[Disclosure: Ich befinde mich in mehreren Rechtsstreiten mit der Firma Callactive.]

Die lustige Welt der Mediennichtkontrolle

Vor drei Jahren habe ich zusammen mit Peer Schader für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ einen Artikel geschrieben: „Schafft die Landesmedienanstalten ab!“ Die Überschrift war nicht nur eine rhetorische Zuspitzung. Ich bin überzeugt, dass das besser wäre, denn dann käme niemand auf den falschen Gedanken, es gebe in diesen Land so etwas wie eine funktionierende Medienaufsicht.

Peer hat für die FAS jetzt eine Art Update geschrieben, das sich mit dem Satz zusammenfassen lässt: Es ist alles noch schlimmer.

Wussten Sie zum Beispiel, dass ProSieben und Sat.1 sich an die „Gemeinsamen Richtlinien der Landesmedienanstalten für die Werbung, zur Durchführung der Trennung von Werbung und Programm und für das Sponsoring im Fernsehen“ (pdf) nicht nur nicht halten (was offenkundig ist), sondern überzeugt sind, sich auch nicht daran halten zu müssen, weil diese Richtlinien nicht verbindlich seien?

Oder können Sie erraten, was ProSieben gemacht hat, nachdem der Sender dazu gezwungen wurde, seine Dauerwerbesendung „Mein Styling, meine Quelle“ bis zu einer gerichtlichen Entscheidung nicht mehr auszustrahlen? Der Sender reichte die Show einfach an Schwestersender Sat.1 weiter.

Weitere Beispiele aus der lustigen Welt der Mediennichtkontrolle direkt beim Peer.

Der Weihnachtsskandal von 9Live

Folgendes trug sich am 2. Weihnachtstag im Programm von 9Live zu:


Link: sevenload.com

Das wirft doch Fragen auf, und ein paar davon habe ich Sylke Zeidler, der Unternehmenssprecherin von 9Live gestellt:

  • Ist es richtig, dass 9Live am Nachmittag und Abend dieses Tages über 13 Stunden lang keinen einzigen Anrufer ins Programm durchgestellt hat?
  • Wenn ja: Warum war das so?
  • Plant 9Live weitere Sendungen dieser Art?
  • Gibt es Überlegungen, nur noch alle paar Tage einen Anrufer ins Programm durchzustellen? Oder einfach gar keine Anrufer durchzustellen? Wäre das nicht konsequent?
  • Warum haben die verschiedenen Moderatoren immer wieder falsche Angaben über das Ende der Sendung und des Rätsels gemacht?
  • Inwiefern sind diese falschen Angaben in Verbindung mit diversen Countdowns, darunter auch einem „Finalen Countdown“, vereinbar mit den Gewinnspielregeln der Landesmedienanstalten? [pdf]
  • Zu den „9Live-Qualitäten“ gehört nach Angaben von 9Live, „dass die Zuschauer über die maximale Spieldauer informiert werden“. Gelten diese „Qualitäten“ nur an bestimmten Wochentagen? Oder warum hat 9Live die Zuschauer nicht über die tatsächliche maximale Spieldauer informiert?
  • Inwiefern hat die Sendung dem Wunsch des Zuschauers in Hinblick auf Orientierung sowie Transparenz in besonderer Weise Rechnung getragen?

Frau Zeidler war so nett zu antworten, und der Fairness halber möchte ich die Stellungnahme von 9Live ungekürzt veröffentlichen:

9Live stellt durch einen technischen Mechanismus sicher, dass zu jedem Zeitpunkt in jeder Sendung für die anrufenden Zuschauer eine Gewinnchance besteht. Dieses technische System ist einzigartig im deutschen Call-TV Markt. Darüber hinaus garantieren wir fortlaufend Zusatzgewinne außerhalb des Liveprogramms, die direkt über unser Service-Center abgewickelt werden. So hat 9Live an dem von Ihnen angefragten 26. Dezember 2007 insgesamt 788 Anrufer zu Geldgewinnern gemacht, davon 41 on Air und 747 off Air. Im Übrigen zählte 9Live allein im Dezember vorigen Jahres insgesamt 48.894 Gewinner, davon 2.673 on Air-Gewinner.

Weil ich ahnte, dass die Antwort von 9Live in manchem Wortsinne erschöpfend sein könnte, hatte ich auch der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) geschrieben, die theoretisch für die Aufsicht über das Programm von 9Live zuständig wäre, und sie unter Hinweis auf das Video oben gefragt:

  • Ist der BLM dieser Fall bekannt?
  • Ist die BLM in diesem Fall bereits tätig geworden?
  • Ist dieses Vorgehen vereinbar mit den Gewinnspielregeln der Landesmedienanstalten?
  • Angenommen, 9Live würde ab sofort überhaupt keinen Anrufer mehr ins Studio durchstellen: Wann, schätzen Sie, würde die BLM das bemerken?
  • Und was würde sie dann tun?
  • Täuscht mein Eindruck, dass die zweifelhaften Praktiken von 9Live für die BLM eine extrem niedrige Priorität haben?
  • Warum ist das so?
  • Würden Sie sagen, dass es eine Medienaufsicht in Deutschland gibt, die das Programm von 9Live kontrolliert?

Eine Antwort habe ich noch nicht bekommen, was daran liegen kann, dass der zuständige Pressereferent gerade im Urlaub ist — oder natürlich, zugegeben, am Tonfall meiner Anfrage.

BLM kapituliert vor 9Live

Die Bayerische Landesmedienanstalt (BLM) hat 9Live nichts vorzuwerfen.

Dass Alida live on Air zu hören war, wie sie offenbar dem Redakteur empfahl, den Hot Button noch nicht auszulösen, stelle keinen Verstoß gegen die Gewinnspielregeln dar:

Zum aktuellen Fall, bei dem der Eindruck erweckt wurde, dass eine Moderatorin von 9Live direkt Einfluss nimmt auf das Auslösen des sog. Hot Buttons, erklärte Ring, dass der Sender diesen Eindruck in seiner Stellungnahme plausibel widerlegt hätte. Da nach den Äußerungen der Moderatorin, den Hot Button nicht auszulösen, kurze Zeit später eine Anruferin in die Sendung gestellt wurde, muss die Landeszentrale davon ausgehen, dass der Redakteur die Entscheidung über die Aktivierung des Zufallsmechanismus eigenverantwortlich getroffen hat und insoweit kein Verstoß gegen die Gewinnspielrichtlinien vorliegt.

Nochmal langsam zum Mitdenken: Die BLM erklärt, weil nicht die Moderatorin, sondern der Redakteur den „Hot Button“ auslöst, ist das Verfahren in Ordnung. Als spiele das irgendeine Rolle. Die Frage ist nicht, ob die Moderatorin oder der Redakteur oder die Schwippschwägerin von Edmund Stoiber den Hot Button auslösen. Die Frage ist: Ist der „Hot Button“ ein Zufallsmechanismus, der jederzeit „zuschlagen“ kann, wie die Moderatoren auf 9Live und den anderen Sendern quasi ununterbrochen suggerieren. Oder wird der Zeitpunkt, zu dem er „zuschlägt“, von einem Menschen bestimmt, wie es ehemalige Mitarbeiter, langjährige Beobachter, sämtliche Kenner behaupten.

Die BLM ist entweder noch weniger kompetent, als ich bisher angenommen habe. Oder sie hat sich in ihrer Doppelrolle, die Privatsender sowohl zu kontrollieren, als auch ihre Interessen zu vertreten, klar für das zweite entschieden.

Selbst die Kollegen vom Medienmagazin DWDL, übertriebener Polemik unverdächtig, nennen die BLM-Entscheidung „unerklärlich“. Ihre Stellungnahme gehe „völlig am Thema vorbei“.

Lesetipp in eigener Sache: Schafft die Landesmedienanstalten ab!

Nachtrag, 16.50 Uhr. Laut DWDL hat die BLM wirklich nicht kapiert, worum es ging, und dass es auch ein Problem darstellt, wenn nicht der Moderator, sondern ein Redakteur den „Hot Button“ „eigenverantwortlich“ auslöst:

Dr. Wolfgang Flieger, Pressesprecher der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, räumt auf Anfrage des Medienmagazins DWDL.de ein, dass man dieser Frage nicht nachgegangen sei und dies Anlass einer neuen Prüfung werden müsse.

Hilfe.

Vor dem Call-TV-Gipfel

Nachher treffen sich dann also 9Live und seine Konkurrenten und Nachahmer mit den Landesmedienanstalten, und das ist insofern eine gute Sache, als es einen Anlass gibt für Medien von dpa bis zur „International Herald Tribune“, über Methoden dieser Call-in-Programme zu berichten, die neuerdings immerhin vom Sprecher der bayerischen Landesmedienanstalt BLM als „bewusstes Irreführen“ und von seinem nordrhein-westfälischen Kollegen von der LfM als „nah an dem, was man Betrug nennen könnte“ bezeichnet werden.

Viel mehr sollte man vermutlich nicht von der Veranstaltung erwarten.

Zwei Stunden sollen für das Treffen vorgesehen sein. Bereits für 13.15 Uhr lädt die Gemeinsame Stelle Programm, Werbung, Medienkompetenz (GSPWM) der Landesmedienanstalten zum Pressegespräch — vermutlich bleibt da noch genug Zeit für einen gemeinsamen Ausflug mit Mittagessen von München nach Hornberg.

Einigermaßen erschütternd ist es, wenn BLM-Sprecher Wolfgang Flieger laut „Berliner Zeitung“ sagt, man wisse „nicht im Detail, wie diese Technik funktioniert“ und damit den Auswahlmechanismus meint, nach dem die Anrufer durchgestellt werden. Dabei ist das das zentrale Element der Irreführung, bei allen deutschen Call-TV-Veranstaltern: der falsche Eindruck, ein Zufallsmechanismus entscheide darüber, wann ein weiterer Kandidat die Chance bekommt, ein Rätsel zu lösen.

Die Sender machen daraus vielfältige Lügen, zum Beispiel die, dass es trotz vieler „geöffneter Leitungen“ „leider“ noch keinem Anrufer „gelungen“ sei, die richtige „zu treffen“. Nein: Der „Auswahlmechanismus“ besteht in der Regel offenkundig schlicht daraus, dass ein Mitarbeiter entscheidet, wann jemand durchgestellt wird: ob nach wenigen Sekunden oder mehreren Stunden. Anders lässt sich der Ablauf der Sendungen gar nicht erklären. Wenn die BLM das nach all den Jahren, in denen sie für die Kontrolle über die Dauerhütchenspieler von 9Live und dem DSF zuständig ist, nicht weiß, dann kann man genauso gut eine Gruppe gefesselter Nacktnasenwombats mit der Medienaufsicht beauftragen.

Eine Hoffnung bleibt: Ich habe in den vergangenen Monaten sowohl Hinweise von 9Live auf Regelverstöße bei den MTV-Sendern (Produzent: Callactive) bekommen als auch umgekehrt. Vielleicht haben wir Glück, und der Konkurrenzkampf und der Druck von außen führen dazu, dass sie sich gegenseitig das Handwerk legen.

Alle Beiträge im Blog zum Thema Call-TV.

Warum tut denn keiner was? (2)

Die rheinland-pfälzische Landesmedienanstalt LMK hat am Montag zwei Ausgaben der von 9Live für Sat.1 produzierten Abzock-Sendung „Quiz Night“ beanstandet. In einer sei ein nicht vorhandener Zeitdruck aufgebaut worden, bei einer anderen fehlten die passenden Teilnahmebedingungen. Beide Sendungen liefen vor rund einem halben Jahr.

Es handelt sich also um eine schnelle Entscheidung.

Die Beanstandung ist begrüßenswert, zeigt aber auch die Hilflosigkeit der Landesmedienanstalten. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa sagte der LMK-Chefjustiziar Rolf Platho, materielle Folgen für den Sender hätten die Beanstandungen nicht. „Aber der Druck wird größer nach dem Motto: Da muss sich was ändern.“

Es ist ein sehr, sehr immaterieller Druck. Im Fall der Schleichwerbung in der Sat.1-Ostersendung „Jetzt geht’s um die Eier!“, die die LMK in derselben Sitzung bestätigte, hat die LMK längst ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Bei Verstößen gegen die Regeln der Landesmedienanstalten für die teuren Anrufsendungen, droht den Sendern nichts dergleichen. Denn dabei handelt es sich nicht um eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages.

Dabei ist die entsprechende Liste durchaus eindrucksvoll. Einem Sender, der es zum Beispiel wagt, die Ausstrahlung eines Gottesdienstes durch Werbung zu unterbrechen, droht nach dem Rundfunkstaatsvertrag eine Geldbuße von bis zu 500.000 Euro. Einem Sender, der die Zuschauer systematisch und dauerhaft über Gewinnmöglichkeiten bei kostenpflichtigen Anrufsendungen täuscht, droht nach dem Rundfunkstaatsvertrag — keine Geldbuße.

Das zu ändern, wäre Aufgabe der Bundesländer. Sie müssten bei der nächsten Novellierung des Rundfunkstaatsvertrages entsprechende Verstöße in den Katalog der Ordnungswidrigkeiten aufnehmen. Die Beanstandung wäre dann zwar immer noch Sache der teils unwilligen, teils unfähigen Landesmedienanstalten. Aber immerhin stünden ihnen dann überhaupt wirkungsvolle Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung.

Es wäre an der Zeit.

Wok-WM 2015 gefährdet!

Man tut Fernsehsendern manchmal Unrecht. Dass diese Wok-WM, die Stefan Raab seit vier Jahren veranstaltet, randvollgestopft ist mit Werbung — das darf man wirklich nicht Pro Sieben in die Schuhe schieben. Denn Pro Sieben veranstaltet die Wok-WM nicht, sondern überträgt die Sendung nur. Pro Sieben wird diese Werbung auf den Leibchen, den Geräten, den Kulissen und in den Namen der teilnehmenden Teams, nur „aufgedrängt“, wie der Sender gegenüber epd Medien erklärte.

Pro Sieben hat das Senderecht von Stefan Raabs Produktionsfirma Brainpool erworben. Aber auch Brainpool ist nicht direkt Veranstalter der Wok-WM, sondern hat dafür der Firma PS Event eine Lizenz erteilt. Die durfte sich dafür exklusiv darum kümmern, die Werbeflächen vor Ort zu vermarkten.

Warum dieser Aufwand? Ganz einfach: Der Sender oder die Produktionsfirma dürfen nicht von den Markenpräsentation im Programm profitieren — das wäre unzulässige Schleichwerbung. Aber wenn man so tut, als handele es sich gar nicht um eine Fernsehsendung, die da verkauft wird, sondern um ein ohnehin stattfindendes Event, das vom Fernsehen nur zufällig bzw. zusätzlich übertragen wird, ist die Situation eine andere. Dann hätte Pro Sieben so wenig Einfluss auf den Verkauf von Werbung durch den Veranstalter vor Ort wie RTL bei der Formel 1 oder die ARD bei der Fußball-Bundesliga. Und würde natürlich auch nicht davon profitieren.

Das „PS“ im Namen der Firma „PS Event“, die sich um die Vermarktung vor Ort kümmerte und Pro Sieben die Werbung „aufdrängte“, steht übrigens, wer hätte das gedacht, für Pro Sieben. Es handelt sich um eine 67-prozentige Tochter der 100-prozentigen Pro-Sieben-Tochter PSH Entertainment.

Tja: Man sollte die kriminelle Energie geschäftliche Kreativität von deutschen Privatsendern nicht unterschätzen.

epd-Medien-Chef Volker Lilienthal hat all das vor vier Wochen schon aufgeschrieben. Sein Artikel beginnt mit dem schönen Satz:

Vier Jahre, nachdem ProSieben mit der Übertragung der „TV Total Wok-WM“ begonnen hat, beschäftigt die Sendung nun auch die Landesmedienanstalten.

Am Mittwoch dieser Woche berichtet epd, aufgrund der Recherchen hätten die Landesmedienanstalten nun einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer damit beauftragt, festzustellen, inwieweit Pro Sieben direkt von der Werbung vor Ort profitierte. Dass die PS Event eine Pro-Sieben-Tochter ist, sei den Landesmedienanstalten „bis dahin“, also bis zu dem epd-Bericht, unbekannt gewesen.

Gott ja, wer soll denn auch drauf kommen, dass solche Informationen im Geschäftsbericht der ProSiebenSat.1 Media AG stehen!

Nun wartet die fünfköpfige „Prüfgruppe“ der zuständigen Medienanstalt Berlin-Brandenburg auf das Votum des Wirtschaftsprüfers, gibt dann ein Votum an die Gemeinsame Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz der Landesmedienanstalten ab, die dann ein Votum abgibt, bevor die Medienanstalt Berlin-Brandenburg entscheidet, ob sie eine Beanstandung ausspricht.

Und wenn es ganz schlecht läuft für Pro Sieben und Stefan Raab, würde ich schätzen, dass sie sich schon in acht, neun Jahren ein neues Werbekonzept für ihre Wok-WM überlegen müssen.