Schlagwort: Kalle Schwensen

(Nichts) Neues von Kalle Schwensen

Seit vergangenem Freitag gehöre ich zu der stetig wachsenden Zahl von Menschen, die von Karl-Heinz Schwensen abgemahnt wurden. Karl-Heinz Schwensen ist bekannter als Kalle Schwensen und noch bekannter unter seinem Rufnamen, den er vor Jahren als Größe des Hamburger Rotlichtmilieus bekam. Inzwischen scheint ihm dieser Spitzname unangenehm zu sein oder ihn bei seinen neuen Geschäften zu behindern, und so begann er vor ein paar Jahren damit, juristisch gegen Menschen vorzugehen, die ihn bei diesem Namen nennen.

Im Juli 2007 traf es eine Reihe von Blogs, die sich plötzlich mit der Forderung, den Namen zu entfernen, und Kosten von jeweils vielen Hundert Euro konfrontiert sahen. Ich nahm das zum Anlass, in einem Eintrag ausführlich den Sinneswandel von Schwensen zu dokumentieren. Wenige Jahre zuvor noch hatte er zum Beispiel dem „Stern“ einen „Neger“-Witz erzählt, 1998 sogar selbst in einem Musikvideo mitgewirkt, in dem er bei dem Namen genannt wird, unter dem er bundesweite Berühmtheit erlangte.

Nun ist es aber so, dass Schwensen nicht nur verhindern will, dass er heute noch mit dem Namen angesprochen wird, den er inzwischen als rassistisch und diskriminierend empfindet. Es versucht auch, den alten Namen quasi rückwirkend zu tilgen, als hätte es ihn nie gegeben, und er hat bei diesem Versuch starke Verbündete: die Hamburger Pressekammern, die in ihren Urteilen regelmäßig im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit entscheiden.

Erfolgreich zwang Schwensen zum Beispiel die Tageszeitung „taz“, alte Artikel aus ihrem Online-Archiv zu löschen, in denen sein alter, ihm damals offenbar noch genehmer Spitzname genannt wurde. Die „taz“ unterlag mit ihrem Widerspruch in zwei Instanzen vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Hamburg.

Am Freitag nun traf es also mich. In einem „Blogger-Beitrag“ werde er „in rassistischer und diskriminierender Weise als            bezeichnet“, schrieb er per Mail. Er habe den Anspruch, bei seinem richtigen Namen genannt zu werden, gerichtlich durchgesetzt („HansOLG, Az: 7 U 120/05, und LG Hamburg, Az. 324 O 400/05“, „HansOLG, Az: 7 U 53/07, und LG Hamburg, Az. 324 O 395/06“) und verlange „von jedermann“, also auch von mir, „die Unterlassung der Verwendung des diskriminierenden, meine Persönlichkeitsrechte ebenso wie mein Namensrecht verletzenden Pseudonyms“.

Ich habe Schwensen zwar nicht selbst so genannt, aber gestern eine entsprechende Unterlassungserklärung abgegeben.

Die Rechtslage ist nämlich dank des unermüdlichen Wirkens der Hamburger Richter einigermaßen unübersichtlich. Es spricht zwar vieles dafür, dass ich den Eintrag damals veröffentlichen durfte: Es muss eigentlich erlaubt sein, anlässlich einer juristischen Auseinandersetzung die Hintergründe zu schildern. Nicht so eindeutig ist aber, ob mein Eintrag mit der Nennung des Spitznamens nach dem Rechtsverständnis der Hamburger Gerichte auch heute, eineinhalb Jahre später, noch öffentlich sein darf. Es ist möglich, die Richter das in meinem Fall ähnlich verneinen würden wie bei den Archiveinträgen der „taz“.

Nach und nach radiert Schwensen seine Vergangenheit aus den Archiven.

Am 23. Mai 2005 erschien im „Spiegel“ zum Beispiel ein Artikel „Guck mal, ob da was geht!“ über den Berliner Wettkönig Ante Sapina. Er ist allerdings nicht identisch mit der Fassung, die im Online-Archiv zu finden ist. Sie wurde — ohne jeden Hinweis auf eine nachträgliche Zensur — um den von Schwensen nicht mehr akzeptierten Rufnamen bereinigt. Die „Spiegel“-Titelgeschichte „Der Fall Reeperbahn“ aus dem Jahr 1997, in der Schwensen ebenfalls samt Spitznamen vorkam, scheint ganz verschwunden zu sein. In anderen Archiven das gleiche Bild. Artikel, in denen Schwensen unter seinem geläufigen Namen vorkam, fehlen entweder ganz, oder das Wort wurde nachträglich klammheimlich gestrichen — wie in diesem Artikel des „Tagesspiegels“ aus dem Jahr 2000.

Ich habe angesichts der zweifelhaften Erfolgsaussichten darauf verzichtet, mich auf einen Rechtsstreit mit Karl-Heinz Schwensen einzulassen, und deshalb die Unterlassungserklärung abgegeben und die entsprechenden Passagen in meinem Eintrag geschwärzt. Ich hoffe, dass die „taz“ ihre Archive am Ende doch noch erfolgreich vor den Zugriffen Schwensens und möglicher Nachahmer schützt. Sie hat am 14. November 2007 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Bis das entscheidet, kann es dauern.

Wissenswertes über Kalle Schwensen

Nachtrag, 20. Januar 2009. Aufgrund einer Abmahnung von Karl-Heinz Schwensen habe ich alle Nennungen seines langjährigen Spitznamens nachträglich entfernt bzw. geschwärzt.

Am 6. März 1997 veröffentlichte der „Stern“ ein langes Interview mit der damaligen Hamburger Kiez-Größe Karl-Heinz Schwensen. Noch vor seinem bürgerlichen Namen und deutlich fetter nannte das Magazin im Vorspann den Namen, unter dem Schwensen damals bekannt war: „        -Kalle“.

"Ich habe noch nie die CONTENANCE verloren". *****-KALLE Karl-Heinz Schwensen: "Pate von St. Pauli" oder "Roberto Blanco der Unterwelt"? Der Hamburger Rotlicht-King über Sex und Stil, Geschäft und Gewalt

Die Interviewer sprachen Schwensen auch auf diesen eigentlich rassistischen und diskriminierenden Spitznamen an:

STERN: Ihre Kiez-Kollegen hören auf so schöne Namen wie Himbeer-Toni und Corvette-Ralf. Wer hat Sie bloß         -Kalle getauft?

SCHWENSEN: Das ist meines Wissens eine Wortschöpfung der Staatsanwaltschaft Hamburg.

STERN: Schlagen Sie zu, wenn Sie jemand         -Kalle nennt?

SCHWENSEN: Ach was. Ich gehe zur Maniküre. Ich will doch meine Finger nicht ruinieren. Ich habe so zarte Hände, daß ich schon beim Koffertragen auf dem Flughafen Blasen an den Händen bekomme. (…)

STERN: Sind Sie als Kind wegen Ihrer Hautfarbe gehänselt worden?

SCHWENSEN: Aber klar doch. Kinder sind halt ehrlich. Wenn man sich stritt, sagte man „Du Sau“ oder „Du Idiot“. Bei mir hieß es dann eben: „Du Neger!“ Das ist doch bei Kindern ganz normal. Ich mag zum Beispiel ebenso Witze über Neger wie über Ostfriesen, aber deswegen fühle ich mich in keinster Weise als Rassist.

STERN: Eine Kostprobe?

SCHWENSEN: Was ist der Unterschied zwischen einem Winterreifen und einem Neger? Der Winterreifen singt keine Gospels, wenn er in Ketten gelegt wird. Wenn man über bestimmte Menschen oder Rassen keine Witze machen darf, grenzt man sie bereits aus und diskriminiert sie damit indirekt.

Zum Zeitpunkt dieses Interview wurde Schwensen auf dem Kiez schon lange „        -Kalle“ genannt, und Medien wie der „Spiegel“ verbreiteten diesen Namen. Als der „Spiegel“ 1986 beispielsweise über Schwensens mutmaßliche Verwicklung in eine spektakuläre Bluttat berichtete, bezeichnete er ihn als „den farbigen Disco-Besitzer Karl Heinz Schwensen, genannt ‚        -Kalle'“.

Kaum ein Medium verzichtete in den beiden folgenden Jahrzehnten auf diesen farbigen Zusatz, wenn es über Schwensen berichtete, und es berichteten viele über Schwensen: „Süddeutsche Zeitung“, „Zeit“, „Bild“, „Die Woche“, „Welt“, „Playboy“, „Max“, „Kicker“, „FAZ“, „Tagesspiegel“, „Stuttgarter Zeitung“ — selbst die Nachrichtenagentur dpa verwendete „        -Kalle“ erstaunlich distanzlos als Synonym für Karl Heinz Schwensen — und als Erklärung, um wen es sich handelt.

Am 1. April 2001 erschien in der „Welt am Sonntag“ sogar ein Gastbeitrag von Kalle Schwensen. Er machte den Lesern darin unter der Überschrift „Wie werde ich verrucht?“ drei entsprechende Vorschläge. Unter dem Artikel stand: „Karl Heinz Schwensen, 45, ist als ‚        -Kalle‘ eine bekannte Kiez-Größe.“

Wichtig ist: Schwensen benutzt in keiner Quelle, die ich gefunden habe, selbst das Wort         kalle. Es gibt aber Indizien, dass ihm die Bezeichnung früher noch nicht unangenehm war. 1998 trat Schwensen in dem Musikvideo „Dein Herz schlägt schneller“ der HipHop-Gruppe Fünf Sterne Deluxe auf. Er sagt gleich am Anfang den Satz: „Hier kommt die Band, die bald so bekannt ist wie ich auf dem Kiez.“ Die erste Zeile des Stücks selbst, die unmittelbar darauf folgt, lautet: „Hier kommt die Band, die bald so bekannt ist wie         -Kalle auf dem Kiez.“

[Nachtrag, 20. Januar 2009: Aus rechtlichen Gründen darf ich nicht mehr auf das Video verlinken.]

Im Juni 2005 meldete die Nachrichtenagentur AP dann:

Die frühere Hamburger Kiezgröße Karl Heinz Schwensen wehrt sich juristisch gegen die Benutzung seines seit Jahrzehnten bekannten Spitznamens „        kalle“. Der Begriff sei „eine rassistische Bezeichnung, die geeignet ist, Herrn Schwensen herabzuwürdigen und zu beleidigen“, teilte sein Anwalt Sven Krüger am Freitag in Hamburg mit. Eine von ihm beantragte Einstweilige Verfügung gegen die Veröffentlichung des Spitznamens sei vom Landgericht Hamburg erlassen worden, sagte der Anwalt.

Im Dezember 2005 — Schwensen war inzwischen „Manager“ der kurzzeitig wiederbelebten Gruppe „Tic Tac Toe“ — berichtete die „Hamburger Morgenpost“ in ihrer Serie „Paulis Paten“ ausführlich über Schwensen, zählte seine erheblichen Vorstrafen auf und zeigte wenig Sympathie für seinen Versuch, den berüchtigten Namen wieder loszuwerden:

(…) Karl-Heinz Schwensen, am 30. August 1953 in tiefer bayerischer Provinz als Kind eines farbigen US-Soldaten und einer Deutschen geboren, erinnert sich plötzlich daran, dass er schon seit Kindesbeinen unter Diskriminierung leidet: „Ich bin nicht mehr gewillt diesen Rassismus hinzunehmen.“ Und das Hamburger Landgericht gibt dem armen Mann Recht, verbot der MOPO den gemeinen Namen zu drucken. (…)

Auch andere Zeitungen hörten von Schwensens Anwalt, so im Mai 2006 die „taz“. Er verlangte, dass die Zeitung „in etwaiger zukünftiger Berichterstattung“ die „Verwendung des diskriminierenden […] Pseudonyms“ unterlasse. Obwohl die „taz“ danach keinen weiteren Artikel mit der beanstandeten Bezeichnung gebracht hatte, bekam sie wenig später eine Abmahnung. Sie richtete sich gegen lange vorher veröffentlichte „taz“-Artikel, die über das Online-Archiv zugänglich waren. Mitte Juni 2006 erwirkte Schwensen eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg gegen die „taz“, die ihr untersagte, alte „taz“-Artikel, in denen Schwensen als „        kalle“ bezeichnet wird, online zugänglich zu machen.

Die „taz“ legte Widerspruch ein — und unterlag, auch im Hauptsacheverfahren. Am 25. Mai 2007 gab die Pressekammer des Hamburger Landgerichtes der Klage Schwensens statt. Die „taz“ hat nach den Worten von Justiziar Peter Scheibe Berufung gegen das Urteil eingelegt. Für die nächste Instanz, das Hamburger Oberlandesgericht, gibt es zwar wenig Hoffnung auf ein anderes Urteil: Das Hamburger Gericht ist bekannt dafür, im Zweifel in viel stärkerem Maße als andere Gerichte gegen die Meinungsfreiheit zu entscheiden. Es bliebe dann aber noch die Möglichkeit zur Revision beim Bundesgerichtshof.

Und was macht Kalle Schwensen in der Zwischenzeit? Er lässt abmahnen. Eine Reihe von Blogs (neunzehn72.de, ap-project, Pleitegeiger, MC Winkel), in denen Herr Schwensen mit seinem alten Rufnamen bezeichnet wurde, haben in den vergangenen Tagen die Aufforderung von Schwensens Anwalt bekommen, innerhalb von zehn Tagen eine Unterlassungserklärung abzugeben. Allein für die Abmahnung sollen sie jeweils knapp 900 Euro zahlen.

[Anmerkung: Ich habe den Nachtrag, der hier ursprünglich stand, entfernt, weil es den geschäftlichen Zusammenhang zwischen SonyBMG und Herrn Schwensen, den ich unterstellt hatte, vermutlich nicht gibt.]

Nachtrag, 19.30 Uhr. In den Kommentaren bei MC Winkel äußert sich offenbar Herrn Schwensen selbst zu der Sache. Mehr zur Abmahnwelle steht auch im Abmahnblog und im RA-Blog. Thomas Klotz analysiert dort:

Dass sich bei der heutigen political correctness (abgesehen von irgendwelchen Nazis ohne Impressum) überhaupt jemand traut, den „Betroffenen“ als N****-Kalle zu bezeichnen, ist allein dessen eigenem Verhalten geschuldet und der daraus resultierenden Tatsache, dass die Autoren, egal ob Medien, Blogger oder sonstige Schreiber, dessen Einverständnis voraussetzen. Dass derjenige nicht einverstanden ist, müsste die breite Öffentlichkeit erst mal erfahren.