Ich habe mich heute in der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ über den „Medienexperten“ Jo Groebel aufgeregt. Anlass war seine von „Bild“ bestellte Kritik an der Pro-Sieben-Sendung „Popstars“ in dieser Woche.
Groebel wehrt sich nun dagegen, dass ihm vorgeworfen wird, er hätte sich über eine Szene erregt, die er nicht einmal gesehen hat. „Pardon“, schreibt er in einer Erklärung, „aber man muss kein Experte sein, um Pro7 den bewussten Einbau der Sequenz mit der Todesnachricht in die Unterhaltungssendung zu attestieren.“ Das ist ein merkwürdig sinnloser Satz. Natürlich hat Pro Sieben den Todesfall und die Reaktion der anderen Kandidatinnen darauf, bewusst in seine Doku-Soap eingebaut. Die Frage ist doch, wie Pro Sieben das gemacht hat.
Aber Groebel hat schon Recht: Man muss kein Experte sein, um jeweils das zu finden, was Groebel regelmäßig auf Kommando in die Aufnahmegeräte aller Boulevardzeitungen im Lande spricht. Das macht ja gerade seine Attraktivität als Experte aus: Dass er als Professor exakt das sagt, was der Volkszorn im Affekt auch meint.
Groebel sagt, der Redakteur der Zeitung habe ihm als Grundlage für sein Urteil in einem „sehr ausführlichen BILD-Gespräch“ den Ablauf in der von ihm nicht gesehenen Folge „völlig korrekt“ geschildert. Was für ein Schock muss es für ihn, den Medienexperten, gewesen sein, dass das Blatt wider besseres Wissen den Ablauf dann in der Zeitung ganz anders geschildert hat. Damit war ja überhaupt nicht zu rechnen, dass die „Bild“-Zeitung die Wahrheit verdrehen würde.
Komischerweise macht er in seiner Stellungnahme aber der „Bild“-Zeitung, der er sich immer wieder als „Experte“ zur Verfügung stellt, keine Vorwürfe, dass sie es mit ihrer falschen Darstellung so aussehen lässt, als hätte er etwas kritisiert, was gar nicht stimmt. Die Vorwürfe macht er denen, die seine Kritik genau in dem Kontext gelesen haben, in die die Zeitung seines Vertrauens sie gestellt hat.
Im Folgenden ungekürzt die Erklärung von Professor Dr. Jo Groebel, Direktor, Deutsches Digital Institut, in der er, wenn ich ihn richtig verstehe, für eine völlige Tabuisierung des Todes in der Unterhaltung plädiert und meint, dass es weniger schlimm gewesen wäre, wenn Pro Sieben tatsächlich gezeigt hätte, wie die Kandidatin vom Tod ihrer Mutter erfährt, wie „Bild“ behauptet hatte:
UND DER SKANDAL IST DOCH EINER! KEIN „SI TACUISSEM“ ZU TODESNACHRICHT IN POPSTARS
Ein schönes Klischee: Der Experte, Jo Groebel, verurteilt eine Sendung, die er gar nicht gesehen hat. Hier „Popstars“ mit der angeblich nicht gezeigten Szene, in der Victoria vom Tod ihrer Mutter erfahre. Pardon, aber man muss kein Experte sein, um Pro7 den bewussten Einbau der Sequenz mit der Todesnachricht in die Unterhaltungssendung zu attestieren. Konkret wird gezeigt, wie die Kandidatin zum Telefon gerufen wird, die meisten Zuschauer ahnen bereits, dass etwas Schreckliches passiert sein muss, erfahren vom Tod spätestens an der Reaktion der anderen Kandidaten danach. Genau das war mir im sehr ausführlichen BILD-Gespräch vorab durch den Redakteur mitgeteilt worden, völlig korrekt, wie die Ausstrahlung dann belegte. Und in einem Telefonat bestätigt wurde durch einen Produzenten von „Popstars“, der mich am Vorabend des BILD-Berichts wegen meines Zitats anrief. Dass Detlev D!Soost betroffen war, genau wie alle an der Produktion Beteiligten, ist nachvollziehbar und stelle ich überhaupt nicht in Frage.
Das Skandalon ist nicht das von mir auch nicht behauptete voyeuristische Zeigen des Gesichts der Betroffenen, Victoria, im Moment der Nachricht. Spätestens seit Hitchcock wissen wir, dass die Vorahnung des Schrecklichen in Bildern, hier sehr wohl gezeigt, viel wirksamer ist als das Faktum selbst. Das Skandalon ist die Vermarktung der Gesamtszene im Unterhaltungskontext. Dabei unterstelle ich nicht einmal, dass der Vorabbericht dem Sender mindestens gelegen kam, zumal man ja dem „Experten“ hinterher Nichtwissen nachsagen konnte.
Ungeheuerlich finde ich das Argument in einigen Reaktionen, die Dramaturgie der Sendung habe die entsprechende Sequenz erfordert. Umgang mit Tod per Marktpostulat? Auch eine karge Text- oder Off-Information hätte das Geschehen erklären können.
Wenn man die Grenzen zwischen Unterhaltung, Medium und Realität aufhebt, ist der Kick einer Todesnachricht bei „Popstars“ folgerichtig. Wenn realer Tod trotz der vom Sender berichteten „Zufriedenheit“ (!) der sechzehnjährigen Victoria über die Sendung nicht zur Dispositionsmasse von Unterhaltung gehören soll, ist er es nicht.