Deutschland will Pleite-Griechen mit bis zu 5 Milliarden helfen! / Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen! / Statt zu sparen, streiken die Pleite-Griechen lieber ihr Land kaputt! / Deutsches Steuergeld für die Pleite-Griechen? / Gestern haben die Pleite-Griechen offiziell Finanzhilfen von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) beantragt. / DIESE PLEITE-GRIECHEN! / BILD gibt den Pleite-Griechen die Drachmen zurück. / Reißen die Pleite-Griechen ganz Europa runter? / Pleite-Griechen: Heute General-Streik. / Ackermann ehrt Pleite-Griechen. / Pleite-Griechen, also doch! / Pleite-Griechen wollen ihre Politiker „fressen“. / Noch mehr Milliarden für die Pleite-Griechen. / Keine neuen Milliarden für Pleite-Griechen? / Schafft die Privilegien ab und hört auf zu randalieren, ihr Pleite-Griechen! / Warum war Rösler so nett zu den Pleite-Griechen? / Die Euro-Staaten wollen den Pleite-Griechen einen Teil ihrer Schulden erlassen. / Zahlreiche Politiker fordern nun den Euro-Austritt der Pleite-Griechen. / Wir bürgen für Hunderte Milliarden Euro, um die Pleite-Griechen zu retten. / Am Mittwochabend hatten Merkel und Sarkozy mit den Pleite-Griechen endlich Klartext geredet! / Heftige Schelte für die Pleite-Griechen! / So denken die Pleite-Griechen über BILD.
Das hier oben ist nur eine kleine Auswahl. 48 Artikel hat die „Bild“-Zeitung (Bundesausgabe) in den vergangenen knapp zwei Jahren veröffentlicht, in denen von „Pleite-Griechen“ die Rede war; 30 waren es allein in den vergangenen sechs Monaten.
Nun gibt es bei den Komposita, die „Bild“ so gerne schöpft und benutzt, häufiger semantische Trennunschärfen, und nicht alle sind beabsichtigt. (Anfangs hatte „Bild“ die rechtsradikalen Mörder aus Zwickau „Nazi-Killer“ genannt, bis jemandem offenbar die Doppeldeutigkeit auffiel und „Killer-Nazis“ das Standard-Synonym wurde.)
Theoretisch wäre es denkbar, dass „Bild“ mit den „Pleite-Griechen“ nur diejenigen Griechen meint, die für die gegenwärtige Krise des Landes verantwortlich sind (dass das Land genaugenommen nicht pleite ist, lassen wir mal als Spitzfindigkeit außen vor). Es wäre ebenso theoretisch auch möglich, dass „Bild“ den Ausdruck ganz nüchtern-faktisch meint: die Mitglieder eines Staates, der vom Bankrott bedroht ist.
Doch beides ist nicht der Fall. „Bild“ benutzt den Begriff ohne Zweifel als Schimpfwort. Und „Bild“ bezeichnet explizit auch die normalen Bürger des Landes, nicht nur die Politiker, als „Pleite-Griechen“. Es gibt für und in „Bild“ de facto keine Griechen mehr, nur noch Pleite-Griechen.
„Bild“ arbeitet seit Monaten systematisch daran, dass niemand an griechische Menschen denken soll, ohne das Wort Pleite mitzudenken. Die Methode ist dieselbe, die Christa Wolfs Kassandra benutzt, wenn sie den verhassten Achill immer und immer und immer wieder als „Achill, das Vieh“ bezeichnet. „Bild“ macht systematisch nicht nur einen Staat, sondern alle seine Angehörigen verächtlich. Es ist eine Form von Volksverhetzung.
Am vergangenen Wochenende hat die „Bild“-Zeitung einen Negativ-Preis für ihre Griechenland-Berichterstattung bekommen. Die „Europa-Union Deutschland“ überreichte ihr die „Europa-Diestel“, weil sie die europäischen Bürger gegeneinander aufbringe. Der Leiter des „Bild“-Hauptstadtbüros und stellvertretende Chefredakteur Nikolaus Blome nahm den Schmähpreis dummstolz entgegen.
„Bild“ widmet seiner Erwiderung heute erstaunlich viel Platz im Blatt. Es ist ein erhellendes, erschütterndes Dokument.
Es beginnt damit, dass er die bloße Kritik an der „Bild“-Berichterstattung als etwas Anrüchiges darstellt und in die Nähe eines Zensurversuchs rückt:
Man kriegt die Distel für etwas, was man besser unterlassen hätte. Für eine Zeitung heißt das: Was sie besser nicht geschrieben hätte. Soll uns der Preis ex post nahelegen zu schweigen, uns also irgendwie „mundtot“ machen?
Und dann nimmt Blome die Zuhörer mit auf eine Reise in die irre Welt, die ein leitender „Bild“-Redakteur für die Wirklichkeit hält.
Was hätten wir also nicht schreiben sollen:
Etwa den Kommentar: Tretet aus, Ihr Griechen! (im April 2010). Nun, die Forderung, sich bitte endlich zu entscheiden, haben sich die Bundeskanzlerin und der französische Präsident zwischenzeitlich ganz offiziell zu eigen gemacht.
So klingt es also, wenn „Bild“ fordert, sich bitte endlich zu entscheiden:
Darum ist die einzige wirkliche Lösung der klare Schnitt: Griechenland muss den Euro verlassen.
Ich wär gern mal bei Blomes zuhause dabei, wenn er sagt: „Uschi, du musst dich jetzt aber mal entscheiden, was du kochen willst: Erbseneintopf.“
Dass „Bild“ den preisgekrönten Nachwuchshetzer Paul Ronzheimer nach Athen schickt, um ihn dort als Deutschen mit Geldscheinen wedeln zu lassen („BILD gibt den Pleite-Griechen ihre Drachmen zurück“), ist in Blomes Welt ein:
Versuch, mit dem medienüblichen Mittel der Straßenumfrage zu erhellen, ob die Griechen ihre alte Währung zurückwollen. Inzwischen vergehen in Griechenland keine sieben Tage, ohne dass eine solche Umfrage gemacht wird.
Blomes Paralleluniversum ist ein glückliches, denn es gibt in ihm keine Häme. Jede Verächtlichmachung ist bloß eine Zustandsbeschreibung, jede hämische Forderung bloß eine Zukunftsprognose. Er zitiert die „Bild“-Schlagzeile „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“ und stellt fest:
Auch hier verspreche ich Ihnen: Exakt so wird es kommen.
„Exakt so“ im Sinne von:
… UND DIE AKROPOLIS GLEICH MIT!
(…)
Wenn wir den Griechen doch noch mit Milliarden Euro aushelfen müssen, sollten sie dafür auch etwas hergeben — z. B. ein paar ihrer wunderschönen Inseln. Motto: Ihr kriegt Kohle. Wir kriegen Korfu.
(Und da wundert sich „Bild“, dass griechische Demonstranten immer wieder auf die Idee kommen, das Deutschland von heute mit Symbolen aus einer noch nicht ganz vergessenen Zeit in Verbindung zu bringen, als Griechenland von Deutschen besetzt war.)
Blome halluziniert, dass „Bild“ bloß anderen, seriösen Zeitungen in der Analyse voraus war. Und an der folgenden Stelle seiner Rede kann ich nur hoffen, dass er so hinter dem Rednerpult stand, dass niemand eine Erektion bemerkt hätte:
Kurzum: Ich gebe zu. Rechthaben macht Spaß. In diesem Maße recht zu haben, und zu behalten, macht fast ein bisschen Angst.
(Ein winziger Realitätscheck dazu beim geschätzten Pleite-Kollegen Pantelouris.)
Ich verdanke Blomes Text aber auch — ganz unironisch — eine brauchbare Kurzformel für die Art von populistischem Pragmatismus, die „Bild“ heute von „Bild“ etwa in den siebziger Jahren unterscheidet — einem ideologischen Kampfblatt in einer ideologischen Zeit. Blome sagt nämlich, „Bild“ hätte „Haltung“ bewiesen. „Haltung“ ist ein schöner, großer Begriff. Wie lautet die „Haltung“, die die Position von „Bild“ in dieser Sache bestimmt, Herr Blome?
Die lautet seit Anfang 2008: Rettet den Euro. Aber nicht so.
Das ist wunderbar und bringt die Postideologie von „Bild“ auf den Punkt. Rettet den Euro, aber nicht so. Rettet die Umwelt, aber nicht so. Rettet den Haushalt, aber nicht so.
Und noch etwas Fundamentales über das Selbstverständnis von „Bild“ verrät Blome, wenn er fragt:
Und glauben Sie im Ernst, BILD hätte die Griechenland-kritische Stimmung gemacht?
Dann drehen Sie es in Gedanken einmal um. Stellen Sie sich vor, BILD hätte von Anfang gesagt: „Ja, gebt Ihnen das Geld, ganz egal was sie angestellt haben, ganz gleich, ob es ökonomisch sinnvoll ist. Das ist europäische Solidarität, das schulden wir Europa.“ Hätte das die Meinung der Deutschen mehrheitlich umgepolt? Ich glaube nicht.
Man möchte lieber mit jedem Vierjährigen in der Trotzphase diskutieren als mit diesem leitenden „Bild“-Redakteur, aber tatsächlich hält man das ja bei seinem Blatt für die Alternative. Am 3. November veröffentlichte das Blatt einen „Wahlzettel zum Volksentscheid“ mit folgenden Antwortmöglichkeiten:
JA, schmeißt ihnen weiter die Kohle hinterher!
NEIN, keinen Cent mehr für die Pleite-Griechen, nehmt ihnen den Euro weg!
Sie trauen der Überzeugungskraft ihrer eigenen, nun ja, Argumente so wenig, dass sie nicht einmal fair Pro und Contra referieren können.
Das schlimmere Fundamentale steckt allerdings in Blomes als Verteidigung gemeinten Satz, dass „Bild“ die „Griechenland-kritische Stimmung“ ja nicht selbst gemacht hätte. Richtig: Das Ressentiment oder wenigstens der Reflex war sicher schon da. „Bild“ hat es nur gehegt, gepflegt und verschärft, um davon zu profitieren. Je mehr „Bild“ hetzte, um so größer wurde das Ressentiment, und je größer das Ressentiment, umso mehr wurde „Bild“ scheinbar zur Stimme des Volkes.
Man denke sich die Argumentation, dass die Hetze nicht so schlimm sei, weil die kritische Stimmung im Volk doch eh schon vorhanden war, übertragen in die zwanziger und dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die Juden-kritische Stimmung war schon da.
Blomes Vortrag endet mit den Worten:
Seien Sie froh, dass es uns gibt.
Nachtrag, 20:40 Uhr. Ganz ähnliche Gedanken in den Worten von Stefan Sichermann stehen nebenan im BILDblog.