Am Sonntagnachmittag habe ich hier im Blog ein dapd-Feature über Baku kritisiert. Das veranlasste den Chefredakteur Cord Dreyer, am nächsten Tag folgende Rundmail an alle Redakteure zu verschicken:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
offensichtlich ärgern sich viele von Ihnen über die Kritik in einem Medienblog an einem unserer Texte aus Aserbaidschan. Bitte lassen Sie sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen oder gar verunsichern. Es ist in der Tat so, dass die Arbeit von Unternehmen, die auf Erfolgskurs sind, in der Branche mitunter besonders kritisch beäugt wird.
Fakt ist:
- Kein anderes Medium ist im Vorfeld des ESC für seine Kunden so lange vor Ort und berichtet so ausgiebig und ausgewogen über Aserbaidschan wie dapd. Teil unserer Berichterstattung sind selbstverständlich viele Berichte über Menschenrechtsverletzungen, Aktivitäten der Opposition und regierungskritischer Organisationen.
- Zu einer solch ausgewogenen und insgesamt kritischen Berichterstattung gehört als eine Stilform auch ein Städteporträt mit subjektiven Eindrücken. Nicht jeder Text über Aserbaidschan kann drei Hintergrundabsätze über die Menschenrechtsverletzungen in dem Land enthalten, die es ohne Zweifel gibt. Im Internet finden Sie ein Beispiel dafür, wie dpa in einem ähnlichen Feature kaum anders mit dem Thema umgegangen ist.
- Als Nachrichtenagentur sind wir selbstverständlich unabhängig und berichten auch unabhängig. Wir lassen uns die Form und den Tenor unserer Berichterstattung nicht vorschreiben.
- Von dieser Unabhängigkeit können Sie sich leicht überzeugen, wenn Sie all die Beiträge über Aserbaidschan in unserem Dienst lesen.
Ich möchte Sie ermutigen, Ihre gute Arbeit fortzusetzen und sich durch solcherlei Angriffe nicht beeindrucken zu lassen. Wer Erfolg hat, steht auch immer in der Kritik. Daran müssen wir uns gewöhnen. Wir sollten mit dieser Kritik aber selbstbewusst umgehen.
Herzliche Grüße
Ihr
Cord Dreyer
Entweder ist ein dapd-Redakteur also ein so sensibles Geschöpf, das schon auf öffentliche Kritik an der Arbeit eines Kollegen mit Selbstzweifeln, Panik und Alleshinwerfgedanken reagiert, dass der Chef gleich eine Durchhalte-, Kopfhoch- und Wir-lassen-uns-nicht-unterkriegen-Notfall-Mail verfassen muss.
Oder die Angst und der Ärger liegen doch eher auf Seiten des Chefredakteurs.
Sein Vorschlag, sich von der „Unabhängigkeit“ der dapd-Berichterstattung über Aserbaidschan durch einen Blick ins Archiv zu überzeugen, ist allerdings ein überraschend guter. Der Unternehmenssprecher von dapd hatte mir am Dienstag dieselbe Anregung gegeben und freundlicherweise gleich ein umfangreiches PDF mit entsprechenden Agenturmeldungen geschickt, die belegen sollen, dass dapd die notwendige kritische Distanz hält.
Mein Eindruck nach dem Lesen war ein ganz anderer.
Eine Meldung des dapd-Korrespondenten in Baku über eine regierungskritische Demonstration am vergangenen Sonntag endete mit folgenden Sätzen:
[Präsident] Alijews Sprecher Ali Hasanow sagte der dapd vergangene Woche, er sehe Demonstrationen von Regierungsgegnern als Beweis für „eine funktionierende Zivilgesellschaft“. Er wies den Vorwurf zurück, es gebe „politische Gefangene“. „Die sitzen wegen konkreten Straftaten wie beispielsweise Hooliganismus im Gefängnis“, sagte Hasanow. Jedem stehe der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte frei.
Das ist blanker Hohn. Nach Angaben der Bundesregierung hat Aserbaidschan aktuell 46 Urteile des Gerichtshofs wegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonventionen nicht umgesetzt.
Am selben Tag lieferte der Baku-Korrespondent von dapd auch ein längeres „Hintergrund“-Stück zum Thema. Anders als dessen Titel „Vor dem ESC in Aserbaidschan formiert sich die Opposition“ suggeriert, kommt in dem Bericht kein Oppositionspolitiker zu Wort. Stattdessen erhält wieder die Regierung das Wort:
(…) Erstmals seit rund zehn Jahren finden in der Hauptstadt Baku regelmäßig Demonstrationen statt. (…) „Es gibt also eine funktionierende Zivilgesellschaft“, kommentierte Ali Hasanow, der Sprecher von Staatspräsident Ilham Alijew, zuletzt im Gespräch mit dapd. (…)
„Das Internet ist völlig frei“, betont auch Hasanow, dem die kritische internationale Berichterstattung über sein Land zu undifferenziert erscheint. So sei etwa immer wieder zu lesen, dass regimekritische Demonstrationen in der Vergangenheit nicht genehmigt worden seien. „Es ging nicht darum, ob demonstriert werden darf, sondern darum, wo“, sagt Hasanow. Die Opposition habe darauf bestanden, im Zentrum von Baku auf die Straße zu gehen. Wegen des dichten Verkehrs und den Baudenkmälern habe die Stadtverwaltung Sicherheitsbedenken angemeldet und Versammlungsplätze auf Brachflächen in Vororten vorgeschlagen. „Erst jetzt wird das von Jugendorganisationen und Oppositionsparteien akzeptiert“, sagt Hasanow: „Es ist gut, dass sie nun dort demonstrieren.“ (…)
Laut Meinungsumfragen kommt Präsident Alijew unter den knapp fünf Millionen Wahlberechtigten weiterhin auf traumhafte Zustimmungsquoten von über 70 Prozent.
Das mag zum Beispiel Ausdruck dessen sein, was die Friedrich-Ebert-Stiftung die „paternalistische Auffassung von Staatsgewalt“ bei einer Mehrheit der Aseris nennt, „wonach die Regierung für die Gesellschaft sorgt wie Eltern für ihre Kinder“. Aber in einem Land, in dem der Opposition nur wenig Raum in der Öffentlichkeit und den Medien eingeräumt wird, was natürlich einen Meinungsbildungprozess behindert, wäre es für eine seriöse Nachrichtenagentur vielleicht eine gute Idee, die angebliche Zustimmungsquote nicht unqualifiziert mit dem Wort „traumhaft“ zu bejubeln.
Am Tag zuvor war es der aserbaidschanische Energie- und Industrieminister Natig Alijew, den dapd ausführlich zu Wort kommen ließ: „Im Gespräch mit Jakob Lemke beantwortete Alijew auch Fragen zu internationaler Kritik an Aserbaidschan (…).“
dapd: Ein anderes Thema, bei dem Aserbaidschan internationale Kritik einstecken muss, sind Zwangsräumungen durch die staatseigene Öl- und Gasfirma Socar. Zuletzt wurden dabei sogar Journalisten verletzt, der Presserat protestierte. Was sagen Sie zu solchen Vorfällen?
Alijew: Ich denke, wenn Socar Maßnahmen ergriffen hat, ist dies durch das Rechtssystem geregelt. Das Gesetz steht höher als Personen oder Firmen. Nach meinen Informationen hat Socar Gerichtsurteile erwirkt, weil diese Häuser ohne Genehmigung errichtet wurden. Socar hat die Grundstücke für Öl- und Gasprojekte bekommen — das sind keine Grundstücke für Häuser. Wenn also die Häuser illegal errichtet wurden, dann liegt Socar richtig. Aber ich wiederhole: Das Gesetz steht über den Firmen.
Und zum Weltfrauentag am 8. März schenkte dapd Aserbaidschan ein „Feature“, das zwar auch die Kritik von Nichtregierungsorganisationen an Benachteiligungen von Frauen thematisierte („Licht und Schatten prägen die Rolle der Frau in Aserbaidschan“), aber Raum fand, dem Präsidentenpaar ein paar Blumenkränze zu flechten:
Nach amtlichen Statistiken sind rund 45 Prozent der Angestellten im Land weiblich. Vorbild ist die „First Lady“ Mehriban Alijewa, die ihren Mann bei der Modernisierung des Landes durch intensive Stiftungsarbeit und viele öffentliche Auftritte unterstützt. Auch ihre eigene Website betreibt Alijewa, die Medizin und Philosophie studiert hat.
Wie gesagt: All diese zitierten Meldungen sind ausschließlich solche, die mir dapd eigens herausgesucht hat, um die journalistische Distanz der Berichterstattung aus Baku zur Regierung zu belegen. Wer sie liest, erfährt tatsächlich gelegentlich etwas über die Kritik an dem Regime. Vor allem aber wird er ausführlich und weitgehend ungefiltert mit dessen Propaganda versorgt.
Es sind Meldungen, die dazu passen, dass ihr Autor für die teetrinkenden Polizisten in Baku schwärmt und Sätze schreibt wie: „Angst vor Uniformierten ist in Aserbaidschan nicht notwendig.“
Das muss es sein, was dapd-Chefredakteur mit der „insgesamt kritischen“ Berichterstattung seiner Agentur über Aserbaidschan meint.
Aber bitte, Herr Dreyer, lassen Sie sich von diesem Eintrag nicht beeindrucken, aus der Ruhe bringen oder gar verunsichern.