Vor kurzem brachten eine Frau und ihr Mann ihren zweijährigen Jungen namens Yusuf zu uns. Er war nur noch Haut und Knochen und zu schwach, um zu atmen. Die Familie waren Hirten und all ihre Tiere sind gestorben. Die Mutter erzählte mir, dass das Kind Durchfall hatte und nichts mehr essen konnte. Der Junge war in so einem schlechten Zustand, dass man mit dem Stethoskop seinen Herzschlag hören musste, um sagen zu können, dass er noch am Leben war. Seine Eltern hatten ihn aufgegeben. Sie glaubten, er habe keine Überlebenschance. Sie wollten die Klinik verlassen, um sich um ihre anderen Kinder zu kümmern. Der Vater ging zu seinen anderen Kindern, doch wir konnten die Mutter überzeugen, den kleinen Yusuf nicht aufzugeben.
Wir brachten das Kind auf unsere Intensivstation. Dort reanimierten wir ihn zwei Stunden lang, bis er endlich seine Augen öffnete. Danach haben wir ihn mit spezieller Milch und Nahrung durch einen Schlauch gefüttert. Nach 24 Stunden bewegte er schon wieder seine Arme. In diesem Moment begannen die Augen der Mutter plötzlich zu leuchten — wir konnten sehen, dass sie wieder Hoffnung schöpfte.
Nach einer Woche konnte Yusuf wieder selbständig Milch trinken und „Mama“ sagen. Wenn man seinen Namen sagte, dann lächelte er sogar schon wieder. Innerhalb von zehn Tagen hat sich sein Gewicht mehr als verdreifacht. Nach drei Wochen in der Klinik spielte Yusuf mit den anderen Kindern.
Dr. Hussein Sheikh, Arzt im Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Marere, Süd-Somalia
Am Horn von Afrika sind mehr als zehn Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. In acht Ländern leiden die Menschen; die Ursachen sind ausbleibende Regenfälle, Missernten und Preissteigerungen.
Was außer Regen noch ausbleibt, ist Hilfe:
Das Welternährungsprogramm, das die humanitäre Soforthilfe leisten sollte, verlangte am 1. Juli für diesen Monat einen Sonderbeitrag seiner Mitgliedstaaten von 180 Millionen Euro. Nur 62 Millionen kamen herein. Das normale WPF (World-Food-Programm) Budget betrug 2008 sechs Milliarden Dollar. 2011 liegt das reguläre Jahresbudget noch bei 2,8 Milliarden.
Warum? Weil die reichen Geberländer — insbesondere die EU-Staaten, die USA, Kanada und Australien — viele tausend Milliarden Euro und Dollars ihren einheimischen Bank-Halunken bezahlen mussten: zur Wiederbelebung des Interbanken-Kredits zur Rettung der Spekulations-Banditen. Für die humanitäre Soforthilfe (und die reguläre Entwicklungshilfe) blieb und bleibt praktisch kein Geld.
Wegen des Zusammenbruchs der Finanzmärkte sind die Hedgefonds und andere Groß-Spekulanten auf die Agrarrohstoffbörsen (Chicago Commodity Stock Exchange, u. a.) umgestiegen. Mit Termingeschäften, Futures, etc. treiben sie die Grundnahrungsmittelpreise in astronomische Höhen.
Die Tonne Getreide kostet heute auf dem Weltmarkt 270 Euro. Ihr Preis lag im Jahr zuvor genau bei der Hälfte. Reis ist um 110% gestiegen. Mais um 63%.
Was ist die Folge? Weder Äthiopien, noch Somalia, Djibouti oder Kenia konnten Nahrungsmittelvorräte anlegen — obschon die Katastrophe seit fünf Jahren voraussehbar war. Dazu kommt: Die Länder des Horns von Afrika werden von ihren Auslandsschulden erdrückt. Für Infrastrukturinvestitionen fehlt das Geld. In Afrika südlich der Sahara sind lediglich 3,8% des bebaubaren Bodens künstlich bewässert. In Wollo, Tigray und Shoa auf dem äthiopischen Hochland, in Nordkenia und Somalia noch weniger.
Die Dürre tötet ungestört. Diesmal wird sie viele Zehntausende töten.
Jean Ziegler in seiner nicht gehaltenen Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele
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