Kommentare müssen polarisieren, subjektiv sein, auch mal wehtun. Nur das macht gute Kommentare aus.
Der stellvertretende Chefredakteur der „Bild am Sonntag“, Nicolaus Fest, hat heute von Kai Diekmann, dem Herausgeber des Blattes, eine Art öffentliche Abmahnung bekommen. In dem Kommentar, der morgen in der gedruckten „Bild“-Zeitung erscheint und in dem Diekmann den Eindruck erweckt, auch im Namen des Unternehmens Axel Springer zu schreiben, wird Fests pauschale Ablehnung von Islam und Moslems als unvereinbar mit den Grundsätzen der „Bild“-Zeitung und des Verlages dargestellt.
Diekmann schreibt:
Bei BILD und Axel Springer ist (…) kein Raum für pauschalisierende, herabwürdigende Äußerungen gegenüber dem Islam und den Menschen, die an Allah glauben.
Wer eine Religion pauschal ablehnt, der stellt sich gegen Millionen und Milliarden Menschen, die in überwältigender Mehrheit friedlich leben.
Genau solche Auseinandersetzung entlang religiöser Grenzen wollen wir NICHT. Wir wollen sie nicht führen, nicht befördern und nicht herbeischreiben. Denn sie enden immer verheerend – das hat die Geschichte oft genug gezeigt!
All das, was Diekmann da aufzählt, hatte Nicolaus Fest in einem Leitartikel in der heutigen „Bild am Sonntag“ getan. Er schrieb:
Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: nicht immer. Aber beim Islam wohl ja. Das sollte man bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen!
Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.
Deutlicher kann man die pauschale Ablehnung einer Religion und ihrer Gläubigen kaum formulieren. Es geht Fest nicht nur um „Zwangsheiraten, ‚Friedensrichter‘, ‚Ehrenmorde'“, die es im Islam zweifellos gibt. Es geht ihm um den Islam als ganzes. Er geht soweit, zu suggerieren, dass man doch vielleicht das Gewähren von Asyl auf Nicht-Muslime beschränken könnte, was nicht nur viel über sein Bild von Moslems sagt, sondern auch über seine Vorstellung, was das Grundrecht auf Asyl eigentlich bedeutet.
Fests Aufruf zu weniger Toleranz folgt für ihn offenkundig unmittelbar aus dem plakativen Appell der „Bild“-Zeitung am vergangenen Freitag, Antisemitismus in Deutschland nicht schweigend hinzunehmen. Viele Prominente und Politiker hatten sich in die entsprechende „Bild“-Kampagne einspannen lassen. Einzelne davon forderten „Bild“ heute immerhin auf, sich für Fests Äußerungen zu entschuldigen.
Der Grüne Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu nennt den „Bild am Sonntag“-Kommentar Fests in einem Gastkommentar für die morgige „Bild“-Zeitung „Rassismus pur“:
Die Hasstiraden des Autors schüren ohne Not Vorurteile, Ängste und Menschenfeindlichkeit.
Nicolaus Fest hatte sich vorher auf Twitter noch über die Aufmerksamkeit gefreut:
#Antisemitismus #Homophobie Herrlicher Shitstorm! Offensichtlich finden viele Homophobie, Antisemitismus & Ehrenmorde völlig ok.
— Nicolaus Fest (@NicolausFest) 27. Juli 2014
Auch Marion Horn, die Chefredakteurin der „Bild am Sonntag“, hatte Fests Kommentar zunächst noch mit dem Hinweis auf „Meinungsfreiheit bei Springer“ verteidigt und behauptet, Fest sei „kein Islamhasser“ und „nicht hasserfüllt!!!“:
@OezcanMutlu Ich verstehe seinen Kommentar so: Religion ist ihm egal, er braucht sie nicht. Aber er hat was gg Intoleranz/Rassismus…/2
— Marion Horn (@marionhorn) 27. Juli 2014
Erst Stunden später schwenkte sie dann auf die Linie Kai Diekmanns um und twitterte:
.@BILDamSonntag hat Gefühle verletzt. Ganz deutlich: Wir sind nicht islamfeindlich! Ich entschuldige mich für den entstandenen Eindruck
— Marion Horn (@marionhorn) 27. Juli 2014
Warum sie sich bloß für den „entstandenen Eindruck“ entschuldigte und nicht einfach für den Kommentar um Entschuldigung bat, der diesen „Eindruck“ nicht nur provozierte, sondern unzweifelhaft islamfeindlich war, weiß ich nicht.
Dann reden wir mal über Nicolaus Fest. Der Sohn des bekannten früheren FAZ-Herausgebers Joachim Fest arbeitet seit Jahren daran, sich einen Ruf als kompromissloser Hardliner und vermeintlicher „Klartext“-Sager zu erarbeiten, leider bislang ohne die öffentliche Aufmerksamkeit dieses Sonntags.
Die rechte Szene rund um das Hetzblog „Politically Incorret“ hat ihn schon vor Jahren für seine Bild.de-Texte gefeiert. In seiner früheren Kolumne „HIEB- UND STICHFEST“ polemisierte er immer wieder gegen Zuwanderung und Integration von Ausländern in Deutschland. Um aus dem BILDblog von 2008 zu zitieren:
Vorläufiger Höhepunkt war sein Beitrag in der vorigen Woche, in den man, wenn man wollte, fast ein Lob des Völkermordes lesen konnte. Fest rühmt darin die „Vorteile homogener Gesellschaften“ und argumentiert, dass die Beseitigung von kultureller Vielheit Gesellschaften „Frieden und Stabilität“ bringen könne.
Die preisgekrönte Reporterin und Autorin Carolin Emcke urteilt über seinen Text: „Das gab es so explizit wirklich lange nicht mehr zu lesen von Autoren, die nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Es ist ein pseudohistorisch verkleideter Rassismus und eine gar nicht verkleidete Aufforderung zur Homogenisierung unserer offenen Gesellschaften.“
Ihr Gastbeitrag ist gerade auch im Kontext der aktuellen Diskussion um Fest lesenswert. Seine radikalen Ansichten waren kein Geheimnis. Er veröffentlichte sie auf Bild.de.
Nun wäre es falsch, Nicolaus Fest auf seine Ablehnung des Islam zu reduzieren. Man sollte auch seine Kaltblütigkeit und Ahnungslosigkeit würdigen, mit der er die Exzesse der Berichterstattung nach dem Amoklauf von Winnenden verteidigte (in Anwesenheit der Mutter eines der dabei getöteten jungen Frau). Oder die Art, wie er gegen die Resozialisierung ehemaliger Terroristen wetterte.
Fakten sind auch nicht so seins. Oder Textverständnis.
Er formuliert mit einer Schärfe, Gnadenlosigkeit und Übertreibung, die selbst im „Bild“-Kosmos gelegentlich auffällt. Eine spätere Kolumnenreihe von ihm hieß „Fest(e) drauf“.
Vor der Umstellung der Gebühren für ARD und ZDF kündigte er 2010 an, dass das neue System die Zahler jährlich „einige Milliarden mehr“ kosten würde. 2013, als sich herausstellte, dass es tatsächlich Mehreinnahmen in Höhe von 0,3 Milliarden Euro jährlich wurden (die ARD und ZDF nicht behalten bzw. verwenden dürfen), sprach er von einem „Betrug“.
Zur Debatte um die Skandal-Rede von Sibylle Lewitscharoff twitterte er:
Amüsante Debatte um #Lewitscharoff, Tenor vorhersehbar: Menschen-Experimente der Nazis schlecht, die der Gegenwart gut. So einfach!
— Nicolaus Fest (@NicolausFest) 7. März 2014
Aber das ist natürlich Kinderkram im Vergleich zu seiner Ablehnung von Integration und seinen Ressentiments gegen Moslems. Die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus kann er nicht nachvollziehen. Damit und mit seinem „BamS“-Leitartikel straft er Kai Diekmann Lügen, der behauptet, „für BILD und Axel Springer gab und gibt es bei all diesen Debatten eine klare, unverrückbare Trennlinie zwischen der Weltreligion des Islam und der menschenverachtenden Ideologie des Islamismus“.
Eben nicht. (Den „BamS“-Artikel, der Anlass für den Kommentar ist, erwähnt Diekmann mit keinem Wort.)
Ob Fests Durchbrechen dieser „unverrückbaren Trennlinie“ irgendwelche Konsequenzen hat, wollte Diekmann heute nicht sagen. Meine Feststellung, dass er sich, wenn Diekmann es ernst meinte mit seinem „Kein Platz für“, nun einen neuen Arbeitgeber suchen müsste, konterte Diekmann mit: „So ein Quatsch!“
Nachtrag, 3. August. „Bild am Sonntag“-Chefredakteurin versucht in der heutigen Ausgabe den vielfachen Rittberger:
Es ist der Eindruck entstanden, dass sich BILD am SONNTAG gegen den Islam stellt. Das ist nicht so! Dass dieser Eindruck entstanden ist, bedaure ich sehr. (…)
Aber in unserem Verlag ist es möglich, unterschiedliche Meinungen zu haben. Deshalb habe ich mich als Chefredakteurin für den Abdruck entschieden. Wohl eine Fehleinschätzung, denn wir haben mit diesem Kommentar viele Menschen verletzt. (…)
Ich bitte alle Menschen um Entschuldigung, die sich durch uns gekränkt fühlen.
Mittlerweile bin ich dankbar für die heftigen Reaktionen, die wir ausgelöst haben. In der Öffentlichkeit, in Politik, Verlag, in unserer Redaktion, in unseren Familien. Lange ist über dieses wichtige Thema nicht mehr so offen und kontrovers diskutiert worden.
Vielleicht sorgt unser Kommentar am Ende dafür, dass Missverständnisse ausgeräumt werden und wir lernen, eine offene Debattenkultur zu entwickeln. Das muss unsere demokratische Gesellschaft aushalten, das muss BILD am SONNTAG aushalten.