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„Journalisten“ im Auftrag der INSM

Wenn Redaktionen Journalisten nicht vernünftig bezahlen, tun es andere.

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), eine von Arbeitgeberverbänden finanzierte Organisation, die Stimmung für neoliberale Ideen und Konzepte macht, hat drei Jounalisten angeheuert, um kritischen Journalismus zu simulieren. Unter dem Namen „Deutschland 24/30“ sollen sie einen Monat lang durchs Land fahren, wichtige Menschen wie Anne Will, die Bundeskanzlerin und „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann treffen und Sachverhalte „durchaus auch kritisch“ hinterfragen. Rekrutiert wurden offenbar gezielt Journalisten, die „der sozialen Marktwirtschaft gegenüber positiv eingestellt und einem unternehmernahen Auftraggeber gegenüber aufgeschlossen sind“. Die drei zu Propagandisten mutierten Kollegen haben durchaus namhafte Medien im Lebenslauf.

Nach Informationen des Vereins „LobbyControl“ sollen diverse Medien über die Protagonisten und die Aktion berichten; aus den einzelnen Reiseberichten solle schließlich eine Fernseh-Reportage produziert werden. Der Berufsverband freier Journalisten, „Freischreiber“, berichtet, dass das Honorar für jeden der drei Journalisten zwischen 6000 und 7000 Euro betragen soll.

Es ist eine Win-Win-Win-Situation: Die freien Journalisten kriegen ein schönes Thema und werden endlich mal ordentlich bezahlt. Die INSM kriegen schöne Berichte, die ihre Ideologie transportieren. Und die Medien kriegen günstige Inhalte, um ihre Seiten und Sendeminuten zu füllen.

Ein echtes Zukunftsmodell.

[Ich bin „Freischreiber“-Mitglied.]

Nachtrag, 27. Juli. Gegenüber dem „Spiegel“ hat die INSM eingeräumt, Fehler gemacht zu haben. Dass „Anne Will“ oder die „Zeit“ über die Aktion berichten würden und Personen wie Angela Merkel als Gesprächspartner zur Verfügung stünden, wie es in einem Arbeitspapier hieß, mit dem die Journalisten angeworben wurden, seien nur „erste Vorüberlegungen“ gewesen, „wen man ansprechen könnte“. In Wahrheit hätten diese Prominenten abgesagt. Einer der beteiligten Journalisten sagte, er habe gegenüber der INSM auf journalistischer Freiheit bestanden. Die merkwürdigen PR-Praktiken der Lobbyorganisation seien ihm nicht bekannt gewesen.

Die VG Wort enteignet Urheber, vernebelt die klare Rechtslage und spielt auf Zeit

Der Streit um die VG Wort betrifft Hunderttausende Urheber, aber das Thema ist abschreckend komplex. Es geht um die Frage, ob die Verwertungsgesellschaft pauschal einfach einen Teil der Tantiemen aus Urheberrechten, die sie einnimmt, an die Verleger überweisen darf. Ein Gericht hat das im Oktober bereits in zweiter Instanz in einem konkreten Fall für unzulässig erklärt. Es stellt damit die langjährige Praxis nicht nur der VG Wort, sondern auch der VG Bild-Kunst und der GEMA in Frage.

In den vergangenen Wochen haben der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sowie die VG Bild-Kunst und die Initiative Urheberrecht, für die der frühere Vorstand der VG Bild-Kunst, Gerhard Pfennig, als Sprecher tätig ist, zu dem Verfahren Stellung genommen. Auch die VG Wort selbst hat ihre erneute juristische Niederlage kommentiert, in Form von „wichtigen Fragen und Antworten“, in denen sich auch der bezeichnend pampige Satz findet: „Die VG WORT hat diesen Rechtsstreit nicht begonnen“ — das hat sie in der Tat nicht; sie hat halt nur, wie es aussieht, das Recht gebrochen. Die Verwertungsgesellschaft nimmt es dem Kläger, dem Urheberrechtler Martin Vogel, übel, dass er — bislang erfolgreich — sein Recht eingeklagt hat, dass Geld, das ihm zusteht, nicht an irgendwelche Verleger weitergeleitet wird.

Ende der kommenden Woche befasst sich eine außerordentliche Mitgliederversammlung der VG Wort mit dem Rechtsstreit und den notwendigen Konsequenzen daraus. Vogel tritt im Folgenden der Rechtsauffassung der VG Wort und damit auch der VG Bild-Kunst und der GEMA entgegen. Es ist auch ein Versuch, die Materie (halbwegs) verständlich aufzubereiten.

 

  • Ein Gastbeitrag von Martin Vogel

In Presseerklärungen und Interviews versuchen die Verantwortlichen der VG Wort und des Börsenvereins (des Interessenverbands der Verleger), die Sach- und Rechtslage, von der die Verteilungspraxis der VG Wort und auch von VG Bild-Kunst und GEMA auszugehen haben, möglichst zu vernebeln. Dabei geht es ihnen vermutlich nicht zuletzt darum, Zeit zu gewinnen, damit die Nachforderungsansprüche der Urheber gegen diese Verwertungsgesellschaften und die Haftungsansprüche gegen die Verantwortlichen möglichst verjähren. Für die Vorstände und die Verwaltungsräte dieser Gesellschaften geht es dabei auch persönlich um den Vorwurf der Veruntreuung und um mögliche Schadensersatzforderungen.

Welcher Autor kennt schon die Hintergründe?

Vielen berufsmäßigen Autoren, vor allem auch Journalisten und Autoren literarischer Werke, erscheint der jährliche Scheck der VG Wort als ein Himmelsgeschenk. Oft genug bringt er Geld, das dringend benötigt wird, um irgendwie weiter über die Runden zu kommen. Vorausgegangen ist das mühselige Ausfüllen der Formulare, mit denen ein Wortautor jeden einzelnen Beitrag bei der VG Wort zu melden hat. Kaum ein Autor weiß, woher die Einnahmen der VG Wort stammen und wie der Anteil eines Autors an den Ausschüttungen ermittelt wird. Die VG Wort tut in der laufenden öffentlichen Diskussion wohlweislich nichts, um die weit über 400.000 Autoren, die sie als Treuhänderin vertritt, einfach und nachvollziehbar über ihr Verteilungsverfahren aufzuklären. Der Scheck oder eine Überweisung mit einer pauschalen Bemerkung zum Grund der Zahlung (etwa „Hauptausschüttung HA2012 für N.N.“, „2011 VG Wort Wissenschaft Zeitschriftenbeiträge xxx EUR“) müssen dem Autor genügen. Deshalb weiß auch kaum jemand, dass sein Scheck sehr viel höher ausfallen würde, wenn sich die VG Wort bei der Verteilung an Recht und Gesetz halten würde.

Wohin ist das Geld, das eigentlich den Autoren zusteht, abgeflossen?

Einen Großteil ihrer Einnahmen schüttet die VG Wort Jahr für Jahr pauschal an Verlage aus, ohne deren Berechtigung zu überprüfen oder auch nur überprüfen zu können. Die VG Wort tut so, als wäre die Beteiligung der Verlage an dem Vergütungsaufkommen ein Naturgesetz. Diese pauschale Verlegerbeteiligung ist grob rechtswidrig. Bereits zwei Gerichte, das Landgericht München I (Urteil vom 24.5.2012) und nunmehr auch das Oberlandesgericht München (Urteil vom 17. Oktober 2013), haben dies der VG Wort in einem Musterverfahren mit klaren und harten Worten bescheinigt.

Um welches Geld geht es?

Der größte Teil der Einnahmen der VG Wort stammt aus der sogenannten Gerätevergütung. Hersteller und Händler von Geräten, mit denen Privatkopien urheberrechtlich geschützter Werke, insbesondere von Wortautoren und Komponisten, hergestellt werden können (Kopiergeräte, Brenner, Drucker usw.), haben diese Gerätevergütung zu bezahlen (§§ 54 ff. UrhG.). Dazu kommt die sog. Betreibervergütung, die für den Betrieb von Kopiergeräten, z. B. in Copyshops, öffentlichen Bibliotheken und Bildungseinrichtungen, zu zahlen ist (§ 54c UrhG.). Im Jahr 2012 hat die VG Wort dadurch 65,19 Mio Euro eingenommen. Nach Abzug der Verwaltungskosten steht dieses Vergütungsaufkommen nach eindeutiger Rechtslage zu 100 Prozent den Autoren zu. Verlage haben daran keinerlei Rechte.

Wie ist die Rechtslage?

Nur selten kann ein Jurist sagen: Die Rechtslage ist eindeutig. Hier ist dies aber so. Unter Juristen kann nicht ernsthaft darüber gestritten werden, dass die pauschalen Ausschüttungen der VG Wort an die Verlage geltendem Recht krass widersprechen. Das ist auch der Grund, warum die VG Wort und der Börsenverein (als Interessenverband der Verlage) schon jetzt, vor dem rechtskräftigen Abschluss des Musterverfahrens, laut nach dem Gesetzgeber rufen. Dieser soll dafür sorgen, dass die Geldflüsse der VG Wort auch weiterhin zu einem Großteil zu den Verlagen abgeleitet werden können.

Rechtliche Ausgangslage

Hauptaufgabe der VG Wort ist es, Rechte der Urheber gegenüber Nutzern ihrer Werke wahrzunehmen, aus dieser Rechtewahrnehmung Erlöse zu erzielen und das Vergütungsaufkommen an die Berechtigten auszuschütten. Die VG Wort darf als Treuhänderin nur Personen an den Ausschüttungen beteiligen, die ihr nachweislich Rechte zur Wahrnehmung übertragen haben. Dies ist selbstverständlich und wird zudem vom Bundesgerichtshof immer wieder bestätigt. So steht es auch in der Satzung der VG Wort (§ 2). Nur hält sich die VG Wort nicht daran.

Das Vergütungsaufkommen der VG Wort stammt zum weitaus größten Teil aus der Gerätevergütung. Nach dem Urheberrechtsgesetz erwerben die Wortautoren die Ansprüche auf die Gerätevergütung schon mit der Schaffung ihrer Werke. Da nicht jeder einzelne Urheber seinen Anspruch auf eine Gerätevergütung bezogen auf sein Werk selbst geltend machen kann, schreibt das Gesetz vor, dass alle diese Ansprüche nur durch eine Verwertungsgesellschaft wie die VG Wort wahrgenommen werden dürfen. Das Vergütungsaufkommen ist dann möglichst leistungsgerecht an diejenigen auszuschütten, die ihre Rechte bei der Verwertungsgesellschaft eingebracht haben.

Verleger schaffen keine urheberrechtlich geschützten Werke. Ansprüche auf eine Gerätevergütung für einzelne Werke könnten sie deshalb nur besitzen, wenn sie solche Ansprüche von den Urhebern vertraglich erworben hätten. Aber genau dies schließen das Recht der Europäischen Union und das Urheberrechtsgesetz aus gutem Grund aus. Dies schützt die Urheber davor, die Vergütungsansprüche, die ihnen kraft Gesetzes zustehen, an die wirtschaftlich weit stärkeren Verleger abtreten zu müssen.

Recht der Europäischen Union

Nach dem Recht der Europäischen Union kann es ein Mitgliedstaat zulassen, dass Privatkopien geschützter Werke ohne Genehmigung der Urheber gefertigt werden. Eine solche Regelung beeinträchtigt die Urheber in ihren Rechten am Werk. Deshalb muss ein Mitgliedstaat, der eine Privatkopieausnahme einführt, den Urhebern dafür einen „gerechten Ausgleich“ sichern. In Deutschland wird dieser gerechte Ausgleich durch die Geräteabgabe gewährleistet. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in zwei Urteilen, dem Luksan-Urteil vom 9.2.2012 und dem Austro-Mechana-Urteil vom 11.7.2013, klar ausgesprochen, dass der Urheber (im damaligen Fall der Hauptregisseur eines Films) „unbedingt“ die Zahlung des Ausgleichs für eine Privatkopieausnahme erhalten müsse. Der EuGH hat deshalb ausdrücklich entschieden, dass der Anspruch des Urhebers auf den gerechten Ausgleich unverzichtbar ist. Dies gilt natürlich auch für die Wortautoren. Deshalb kann sich kein Verleger diesen Anspruch abtreten lassen, wenn es ihm dabei darum geht, den Anteil des Autors an der Gerätevergütung ganz oder teilweise in die eigene Tasche zu stecken.

In einem „Börsenblatt“-Interview vom 13.11.2013 hat der Geschäftsführer der VG Wort, Robert Staats, „erhebliche Zweifel“ daran geäußert, ob die Luksan-Entscheidung des EuGH auf die Konstellation bei der VG Wort übertragen werden könne. Die juristische Fachliteratur teilt diese Bedenken, für die Staats keine hinreichende Begründung nennt, durchweg nicht. Es ist ein bemerkenswertes Beispiel interessengeleiteter Argumentation, dass Staats seine angeblichen Bedenken wiederholt, obwohl der EuGH die Grundsätze seines Luksan-Urteils in der Entscheidung Austro-Mechana ausdrücklich und ganz allgemein für den „gerechten Ausgleich“ (das heißt auf Deutschland bezogen für die Verteilung der Gerätevergütung) bestätigt hat. Dieses erneute Urteil des EuGH wird von der VG Wort und anderen interessierten Kreisen vollständig mit Schweigen übergangen. Die VG Wort weiß nur zu gut, warum sie es, soweit irgend möglich, in der Öffentlichkeit vermeidet, die Rechtsprechung des EuGH, die ihren Standpunkt eindeutig widerlegt, auch nur entfernt anzusprechen.

Soweit das Urteil des OLG München aus der Austro-Mechana-Entscheidung herleitet, dass es generell zulässig sei, Vergütungsansprüche des Urhebers an einen Verleger abzutreten, interpretiert es die Entscheidung erkennbar unzutreffend. Denn der EuGH lässt unmissverständlich eine Abtretung nur zu, wenn der gerechte Ausgleich dem Urheber dadurch zumindest mittelbar zugute kommt. Das ist nicht der Fall, wenn der Verleger die Vergütung aus der Geräteabgabe auch nur teilweise fremdnützig, also für den eigenen Geldbeutel, erhält. Deshalb ist nach Unionsrecht eine Abtretung an den Verleger nur zulässig, wenn dieser die Zahlungen der Verwertungsgesellschaft als Treuhänder für den Urheber in Empfang nimmt. Das kann auch der VG Wort, der VG Bild-Kunst und dem Börsenverein nicht entgangen sein. Trotzdem führen sie zusammen mit den in ihren Aufsichtsgremien und in der „Initiative Urheberrecht“ vertretenen Gewerkschaften DJV (Deutschen Journalistenverband) und ver.di weiterhin die Urheber als ihre Treugeber hinters Licht. Und die staatliche Aufsicht des Deutschen Patent- und Markenamts sieht bei diesem Treiben einfach weg.

Deutsches Urheberrecht

Das deutsche Urheberrecht darf nur in Übereinstimmung mit dem vorrangigen Recht der Europäischen Union ausgelegt werden. In § 63a des Urheberrechtsgesetzes ist zudem klar geregelt, dass der Urheber auf einen gesetzlichen Vergütungsanspruch (wie seinen Anspruch auf die Gerätevergütung) nicht verzichten kann. Er kann diesen Anspruch zwar an einen Verleger abtreten, aber nur zu dem Zweck, dass dieser den Anspruch bei einer Verwertungsgesellschaft wie der VG Wort einbringt. Da die Gerätevergütung aber nach zwingendem Unionsrecht allein dem Urheber zufließen muss, ist eine solche Abtretung, wie oben ausgeführt, allenfalls dann möglich, wenn der Verlag als Treuhänder des Urhebers handelt. Derartige Abtretungen an einen Verlag hat es bisher praktisch nie gegeben; etwas anderes behauptet auch die VG Wort nicht. In jedem Fall wäre der Verlag in einem solchen Fall aber verpflichtet, die gesamte Ausschüttung als Treuhänder an den Urheber weiterzuleiten.

Zu den Ausflüchten der VG Wort

Die VG Wort und der Börsenverein versuchen, die rechtswidrige Begünstigung der Verlage zu bemänteln. Sie verweisen auf die Satzung der VG Wort und darauf, dass die Verteilungspläne von der Mitgliederversammlung beschlossen würden. Das sind jedoch offensichtliche Schutzbehauptungen. Ein Verein wie die VG Wort muss sich bei seiner Satzung und den Beschlüssen seiner Gremien an zwingendes Recht halten. Das sollte gerade im Fall der VG Wort für jeden unmittelbar einleuchtend sein: Die VG Wort ist Treuhänderin von weit über 400.000 Autoren. Nur etwa 350 davon sind bei ihr Mitglied. Die Ansprüche aller Mitglieder und Nichtmitglieder auf eine leistungsgerechte Ausschüttung der erwirtschafteten Beträge dürfen nicht einfach durch Beschluss einer geringen Zahl von Vereinsmitgliedern beschnitten werden, damit einem Teil der Mitglieder (nämlich den Verlagen) ohne rechtliche Grundlage Vorteile zugeschanzt werden können. Abgesehen davon hat der Bundesgerichtshof wiederholt ausgeführt, dass sich die Verteilung der Verwertungsgesellschaften nicht nach den Bestimmungen der Vereinssatzungen zu richten hat, sondern nach dem Wahrnehmungsvertrag. Verteilungsquoten in der Satzung sind deshalb unbeachtlich. Dennoch berufen sich die betroffenen VG Wort und VG Bild-Kunst weiterhin dreist auf ihre Satzungen, wenn sie ihren Berechtigten weis machen, dass die bestehende Rechtslage zu einem nicht zu bewältigenden Verwaltungsaufwand führt.

Tradition

Die rechtswidrige Praxis der VG Wort, die Verlage auf Kosten der allein berechtigten Urheber pauschal an der Gerätevergütung zu beteiligen, hat eine langjährige, traurige Tradition. Rechtmäßig kann sie dadurch nicht werden.

Solidarprinzip

Einmütig erklären VG Wort und Börsenverein, dass Grundgedanke der pauschalen Regelung von Anfang an das Solidarprinzip gewesen sei. Viele Autoren werden sich bei diesen Worten die Augen reiben. Sie erfahren erst jetzt allmählich, wie „solidarisch“ sie über viele Jahre gegenüber den Verlagen gewesen sind, und dass diese „Solidarität“ dazu geführt hat, dass sie als wissenschaftliche Autoren nur 50 Prozent und als nicht-wissenschaftliche Autoren nur 70 Prozent des ihnen eigentlich zustehenden Ausschüttungsbetrags erhalten haben.

Vielen Autoren wird der Verweis auf das Solidarprinzip auch aus anderen Gründen schrill in den Ohren klingen. Die Mehrheit der Autoren macht, gerade im Wissenschaftsbereich, ganz andere Erfahrungen. Was soll ein wissenschaftlicher Autor von der Solidarität seines Verlags halten, wenn er diesem alle wichtigen Rechte abtreten musste und oft genug, statt ein Honorar zu erhalten, für die Drucklegung zahlen musste? Wie es um die Solidarität der Verlage steht, zeigt sich gerade auch in diesen Wochen: Die großen Verlage beginnen damit, sich von der VG Wort abzusetzen. Dies zeigen die Bestrebungen, das Leistungsschutzrecht der Presseverleger nicht durch die VG Wort wahrnehmen zu lassen.

Verwaltungsaufwand

Die VG Wort meint, es werde ihr ein ungeheurer Verwaltungsaufwand zugemutet, wenn sie nur an diejenigen ausschütten dürfte, die bei ihr Rechte eingebracht haben. Sie wäre dann gezwungen, die einzelnen Verträge zwischen Urhebern und Verlagen heranzuziehen und zu überprüfen. Dieser Verwaltungsaufwand sei nicht zu leisten und würde die Erträge weitgehend verschlingen.

Das Gegenteil ist richtig. Bei Beachtung der einfachen Sach- und Rechtslage ist der notwendige Verwaltungsaufwand der VG Wort erheblich geringer als bisher. Nach zwingendem Unionsrecht und deutschem Recht können nur Urheber Inhaber von Ansprüchen aus der Gerätevergütung sein. Diese Ansprüche sind unverzichtbar. Verlage können sie nicht zu eigenem Vorteil erwerben. Die VG Wort darf daher von vornherein nur an die Urheber ausschütten. In Betracht käme allenfalls, dass ein Verlag als Treuhänder für einen Urheber auftritt. Dann könnte die VG Wort den Anteil des Urhebers an den Verlag ausschütten, dies aber nur zu dem Zweck der Weiterleitung an den Urheber. Dass Verlage der VG Wort gegenüber auch nur erklären, Treuhänder von Autoren zu sein, behauptet die VG Wort selbst nicht.

Richtig ist nur, dass es der VG Wort nach ihrer bisherigen Verwaltungspraxis absolut unmöglich ist darzulegen, warum sie überhaupt an Verlage ausschüttet, obwohl diese nicht einmal behaupten müssen, Vergütungsansprüche bei der VG Wort eingebracht zu haben und dementsprechend auch keine Unterlagen dazu einreichen (dazu noch später).

Ausschüttung auf Leistungen der Verlage

Die VG Wort und der Börsenverein meinen, ohne den Beitrag der Verlage zur Veröffentlichung der Werke der Urheber hätten diese keine Einnahmen aus der Gerätevergütung erzielen können. Wegen dieser Leistung hätten es die Verlage verdient, an der Gerätevergütung beteiligt zu werden.

Verlage sind keine Wohltätigkeitsunternehmen. Die Erlöse aus dem Vertrieb der Werke der Urheber sind das Entgelt für die Leistungen der Verlage und der Grund, warum sie überhaupt tätig werden. Eine Beteiligung an der Gerätevergütung ist dagegen ausgeschlossen, weil diese nach dem klaren Unionsrecht und deutschem Recht allein den Urhebern zusteht. In den Topf, der für die Urheber mit der Gerätevergütung gefüllt wird, dürfen die Verleger nicht hineingreifen.

Einen Anspruch auf eine Gerätevergütung haben neben den Wortautoren auch andere Urheber wie Komponisten und Filmregisseure. Werden Tonträger mit geschützter Musik oder ein Film hergestellt, haben die Tonträger- und Filmproduzenten ein eigenes Leistungsschutzrecht. Nur auf diese eigenen Leistungsschutzrechte dürfen die Produzenten Ausschüttungen aus der Gerätevergütung erhalten. Der Urheberanteil an der Gerätevergütung ist dagegen nach zwingendem Recht ihrem Zugriff entzogen. Noch weniger dürfen Verleger, die nicht einmal ein eigenes Leistungsschutzrecht für ihre Druckwerke besitzen, sich aus dem Anteil an der Gerätevergütung bedienen, der allein den Wortautoren zufließen muss.

Bisherige Gerichtsentscheidungen

In dem Musterverfahren über die Verteilungspraxis der VG Wort haben die Gerichte bisher nicht eingehender auf das Unionsrecht abgestellt. Das war möglich, weil schon andere, ganz einfache Rechtsgrundsätze ihre Entscheidung begründen konnten, dass die pauschale Beteiligung der Verleger an den Ausschüttungen der VG Wort willkürlich und damit rechtswidrig ist. Verleger können, wie schon gesagt, keinesfalls Ansprüche auf eine Gerätevergütung erwerben. Aber selbst unterstellt, solche Abtretungen könnten wirksam sein, könnten sich die Verleger nur höchst selten darauf berufen. Das hat einen einfachen Grund bereits darin, dass Abtretungen an Verleger meist ins Leere gingen, weil die Autoren diese Ansprüche schon zuvor in ihren Wahrnehmungsverträgen an die VG Wort abgetreten haben. Nun tun die Verwertungsgesellschaften so, als hätte es diesen Grundsatz für sie nie gegeben. Spätestens das Urhebervertragsgesetz von 2002 hätte bei ihnen letzte Zweifel am bestehenden Abtretungsrecht beseitigen müssen. Denn der damals in Kraft getretene § 63a UrhG ließ zum Schutz des Urhebers eine Abtretung von Vergütungsansprüchen nur noch an eine Verwertungsgesellschaft zu.

Im Verhältnis der wissenschaftlichen Autoren zu den Verlagen sind Abtretungen der gesetzlichen Vergütungsansprüche ohnehin absolut unüblich. Dies schon deshalb, weil es häufig gar keinen schriftlichen Verlagsvertrag gibt. Das weiß auch die VG Wort. Denn die Verlage hatten gar kein Interesse, in schriftliche Verlagsverträge Abtretungsklauseln aufzunehmen, weil das für ihre Beteiligung durch die VG Wort völlig unnötig war. Warum hätten sie die Autoren darauf hinweisen sollen, dass die Verlage die Hälfte der VG Wort-Ausschüttungen einfach so einkassieren?

Verleger müssen gegenüber der VG Wort nicht einmal behaupten, Inhaber wahrzunehmender Rechte zu sein

Wie wenig sich die VG Wort bei ihrer Verteilungspraxis um die Rechtslage kümmert, zeigt ein Blick in ihre Verteilungspläne. Jeder Urheber, der seine Werke bei der VG Wort meldet, hat seine Erfahrungen mit dem mühsamen Ausfüllen der Meldeformulare. Mit diesen Einzelmeldungen belegt der Autor, welche urheberrechtlich geschützten Beiträge er verfasst hat und welche entsprechenden Rechte er damit der VG Wort zur treuhänderischen Wahrnehmung überträgt. Verlage könnten solche Einzelmeldungen im Rahmen ihres Unternehmens sehr viel einfacher erstellen. Von ihnen werden aber Einzelmeldungen nach den Vorschriften der Verteilungspläne gar nicht verlangt.

Dies bedeutet: Verleger müssen der VG Wort gegenüber nicht einmal durch Einzelmeldungen behaupten, dass sie bezogen auf bestimmte Werke von den Autoren Vergütungsansprüche erworben haben. Die VG Wort schüttet an Verleger einfach so aus, blind und pauschal. Entgegen ihren Treuhänderpflichten orientiert sie sich bei den Einzelausschüttungen an Verleger nicht daran, ob und welche Rechte bei ihr eingebracht worden sein sollen. Maßgebend sind für sie vielmehr nach der Rechtslage sachfremde Kriterien wie z. B. bei Fachbüchern deren Aufnahme in das Verzeichnis lieferbarer Bücher.

Würde eine rechtmäßige Verteilungspraxis letztlich doch zum Schaden der Autoren ausschlagen?

Die VG Wort ist durch ihre rechtswidrige Verteilungspraxis in eine schwierige Lage gekommen. Sie hat zu Unrecht große Teile des Vergütungsaufkommens pauschal an Verleger ausgeschüttet. Haftungs- und strafrechtliche Konsequenzen wegen möglicher Veruntreuungen sind nicht ausgeschlossen. Es ist nachvollziehbar, dass die dafür Verantwortlichen äußerst unruhig geworden sind. Die Urheber sollten sich aber von dieser Unruhe nicht anstecken lassen.

Die Behauptung der VG Wort und von Pfennig auf der Website der VG Bild-Kunst, der vom OLG München gerade zu Gunsten des Klägers entschiedene Prozess könne dazu führen, dass ein Großteil der Urheber in Zukunft schlechter als bisher gestellt werde, ist eine grobe Irreführung. Das gegenwärtige Verteilungssystem dient nicht dem Schutz der Autoren, wie VG Wort und VG Bild-Kunst behaupten. Es führt vielmehr zur teilweisen (bis zu hälftigen) Enteignung der Urheber, denen nach dem Unionsrecht zwingend der volle Ertrag des gesetzlichen Anspruchs auf die Gerätevergütung zufließen muss.

Ebenso ist unerfindlich, warum die Schlagkraft der Urheber bei der Durchsetzung der Urheberinteressen leiden müsste, wenn die VG Wort korrekt nur an die Urheber ausschüttet. Die Erfahrung zeigt, dass die Verleger (wie andere Verwerter) schon im eigenen Interesse auf eine Stärkung des Urheberrechts dringen, wenn dies auch für sie nützlich ist. Es ist nicht ersichtlich, dass sie gegenüber dem Gesetzgeber auch tätig werden, wenn das nur im Interesse der Urheber liegt (z. B. beim Urhebervertragsrecht). Selbst dann, wenn die Verleger so weit gehen sollten, die VG Wort zu verlassen, wäre das für die Urheber alles andere als eine Katastrophe: Bereits das Aufkommen aus der Gerätevergütung (2012: 65,19 Mio Euro), das allein den Urhebern zusteht, genügt, um die VG Wort als schlagkräftige Organisation der Urheber zu erhalten. Für die Urheber würde das bedeuten, dass ihre Verwertungsgesellschaft nicht mehr auf ihre Kosten unsinnige Summen ausgibt, um unter Einsatz teurer juristischer Gutachten und unter Ausschöpfung aller Rechtsmittel Prozesse nur zu dem Zweck zu führen, an den Ausschüttungen an Nichtberechtigte wie die Verleger festhalten zu können. Gewonnen hätten die Urheber eine Verwertungsgesellschaft, die nur für ihre Interessen kämpft.

Nachtrag, 25. November. Urban Pappi, geschäftsführender Vorstand der VG Bild-Kunst, antwortet auf Martin Vogels Vorwürfe in den Kommentaren.

Si googlevisses …

Uli Hoeneß meint, Jürgen Klinsmann hätte lieber die Klappe halten sollen.

Leider meinte Uli Hoeneß das auf Latein, und deshalb ist nicht ganz klar, was er wirklich gesagt hat.

„Si tacuisses, philosophus manuisses“,

schreibt der Sport-Informationsdienst SID, was von stern.de, jungewelt.de, Welt Online, „Focus Online“ und dem gedruckten „Wiesbadener Kurier“ übernommen wurde.

„Si tacuisses philosophus manisses“,

buchstabiert die Nachrichtenagentur dpa, was FTD.de plausibel fand.

Und welche Variante wäre richtig?

Überraschung! Keine von beiden.

Die zweite Person Singular Plusquamperfekt Konjunktiv von manere (bleiben) ist bekanntlich mansisses, also heißt „Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben“ natürlich:

„Si tacuisses, philosophus mansisses.“

Viele Medien haben das sogar richtig gemacht. Den anderen und den Agenturen aber rufe ich herzlich zu:

UDMQ!*

*) Utimini damnata machina quaesitoria, engl: UTFSE

[via BILDblog-Leser Sebastian D.; philologische Fachberatung: Alberto G.]

Sport1 interschuht Philipp Lahm

Und dann war da noch „Deutschlands größtes Sportportal“ Sport1.de, das ein Exklusiv-Interview mit Philip Lahm geführt hat, in dem er u.a. über seine Erwartungen an Jürgen Klinsmann und die Ziele für die Rückrunde plaudert. Das Gespräch nimmt kurz vor Schluss eine überraschende Wendung:

Der Link führt, natürlich, hierhin. Autor Michael Gerhäußer ist übrigens aus unerklärlichen Gründen Mitglied im Verein Münchner Sportjournalisten.

[Mit Dank an Robin Heintze!]

Nachtrag, 22.00 Uhr. Nicht dass jemand denkt, das wäre Schleichwerbung. Wir befinden uns mit diesem Sport1-Artikel „an der Nahtstelle zwischen gutem Sport-Journalismus und intelligentem Marketing“.

[via dogfood in den Kommentaren]

Nachtrag, 27. Januar. Das Interview ist spurlos verschwunden.

Unerträglich weniger unerträglich

Sprache ist verräterisch.

Die besorgniserregenden Konsequenzen des von SPD, CDU und CSU im Bundestag verabschiedeten Gesetzentwurfes zur Vorratsdatenspeicherung können andere besser beurteilen als ich. Ich kann es ertragen, dass Abgeordnete für dieses Gesetz stimmen, wenn sie ehrlich überzeugt sind, dass es einen Schutz gegen Terroristen darstellt; dass es die Freiheit, die es zu schützen vorgibt, nicht in einer Art Selbstmord aus Angst vor dem Tod zerstört; dass es mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar ist. Wenn jemand das glaubt, soll er für dieses Gesetz stimmen.

Eine Gruppe von 26 SPD-Abgeordneten1 glaubt das nicht und hat trotzdem für das Gesetz gestimmt. Und die Erklärung, mit der sie sich dafür rechtfertigen, ist erschütternd und für mich im wahren Sinne des Wortes unerträglich. Und ihre politische und logische Bankrotterklärung ist auch eine sprachliche.

Die von dem Münsteraner SPD-Bundestagsabgeordneten Christoph Strässer verfasste und im Bundestag von ihm und den anderen abgegebene „persönliche Erklärung“ beginnt mit dem Satz:

Trotz schwerwiegender politischer und verfassungsrechtlicher Bedenken werden wir im Ergebnis dem Gesetzentwurf aus folgenden Erwägungen zustimmen.

Und schon mit dem scheinbar relativierenden Einschub der sinnlosen Worte „im Ergebnis“ beginnt der Versuch, die Tatsachen zu verschleiern. Aber das ist harmlos im Vergleich zu den mit Sprachmüll betriebenen Maschinen zur Nebelproduktion, die sie dann auffahren:

Grundsätzlich stimmen wir mit dem Ansatz der Bundesregierung und der Mehrheit unserer Fraktion dahingehend überein, dass die insbesondere durch den internationalen Terrorismus und dessen Folgeerscheinungen entstandene labile Sicherheitslage auch in Deutschland neue Antworten benötigt.

Was sind, bitteschön, die Folgeerscheinungen des internationalen Terrorismus und inwiefern machen sie unsere Welt unsicher?

Dabei sind wir uns auch bewusst, dass insbesondere durch die rasante Entwicklung der Telekommunikation auch in diesem Bereich Maßnahmen zur Verhinderung schwerster Straftaten notwendig sind.

Es ist die Telefon- und Computer-Technik, die uns gefährdet? Nicht die Radikalität der Menschen, die sie einsetzen? Welche „rasante Entwicklung der Telekommunikation“ meinen die Abgeordneten? Die Möglichkeit, E-Mails zu schreiben? Die Existenz von Handys? Oder was?

Auf der anderen Seite ist jedoch zu beachten, dass – nicht zuletzt befördert durch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – Freiheitsrechte wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung konstitutiven Charakter für die Existenz unseres Gemeinwesens haben und die Beachtung dieser Rechte immer wieder angemahnt wurde.

Wenn man das Wortgeklingel in der Mitte rausnimmt, steht da: „Es ist zu beachten, dass die Beachtung der Grundrechte immer wieder angemahnt wurde.“ Ja, in der Tat, das ist beachtlich: Dass es Menschen gibt, die finden, dass das, was „konstitutiven Charakter für die Existenz unseres Gemeinwesens“ hat, irgendwie konstitutiven Charakter für die Existenz unseres Gemeinwesens hat. Da kann man als Volksvertreter natürlich nicht einfach drüber hinweggehen, wenn man darüber hinweggeht. Da muss man schon eine „persönliche Erklärung“ abgeben!

In diesem Abwägungsprozess gilt für uns, dass Sicherheit keinen Vorrang vor Freiheit genießen darf, will man beides gewährleisten.

Das wäre ein eindrucksvollerer Satz, wenn er nicht in einem Text stünde, der erklärt, warum die Abgeordneten dafür stimmten, dass Sicherheit Vorrang vor Freiheit genießen müsse.

In den letzten Jahren hat es eine zunehmende Tendenz gegeben, ohne die Effektivität bestehender Gesetze zu überprüfen, mit neuen Gesetzen vermeintlich Sicherheit zu erhöhen und Freiheitsrechte einzuschränken. Der vorliegende Gesetzentwurf befördert diesen Paradigmenwechsel und ist deshalb bedenklich.

„Bedenklich“ also im Sinne von: „wir werden ihm zustimmen, aber nicht ohne öffentlich zu bedenken zu geben, dass es bedenklich wäre, ihm zuzustimmen“.

[Diverse angebliche „hohe Hürden“ bei der Umsetzung der problematischen Einschränkungen] machen den dargestellten Paradigmenwechsel weniger unerträglich.

Das sind doch Volksvertreter aus dem Bilderbuch: „Warum haben Sie für dieses Gesetz gestimmt?“ – „Ich fand es weniger unerträglich als das, was die anderen wollten. Also, auf einer Skala von 0 (schönes Glas Rotwein, Kaminfeuer, nette Musik) bis 10 (Hitler, Brustkrebs, Johannes B. Kerner), stimme ich für alles unter 9 Komma 5.“

Der Gesetzentwurf trägt (…) nach unserer Auffassung nicht den Makel der offensichtlichen Verfassungswidrigkeit auf der Stirn (…)

Entschuldigung, nennen Sie mich Klugscheißer, Wortklauber oder Schlimmeres, aber ich kann nicht ernsthaft mit Menschen diskutieren, die glauben, dass Gesetzentwürfe Stirne haben. Und die, anstatt das eigene Gewissen zu prüfen oder sich schlau zu machen, nur eine oberflächliche Gesichtskontrolle auf offensichtliche Kainsmale durchführen, bevor sie für Gesetze stimmen, die ihrer Meinung nach gut und gerne verfassungswidrig sein könnten, denn:

Eine Zustimmung ist auch deshalb vertretbar, weil davon auszugehen ist, dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfassungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird.

Mit solchen Leuten will man schon nicht zusammenarbeiten („Och, ich dachte, Du schaust eh nochmal drüber, dann muss ich ja nicht so genau…“), geschweige denn, dass man sich von ihnen die Gesetze machen und die konstitutiven Freiheitsrechte nehmen lassen möchte.

[via lawblog und überall]

1) Christoph Strässer, Niels Annen, Axel Berg, Lothar Binding, Marco Bülow, Siegmund Ehrmann, Gabriele Frechen, Martin Gerster, Renate Gradistanac, Angelika Graf, Gabriele Groneberg, Gabriele Hiller-Ohm, Christel Humme, Josip Juratovic, Anette Kramme, Ernst Kranz, Jürgen Kucharczyk, Katja Mast, Matthias Miersch, Rolf Mützenich, Andrea Nahles, Ernst Dieter Rossmann, Bernd Scheelen, Ewald Schurer, Wolfgang Spanier und Ditmar Staffelt.

WM-Fernsehen

Die Welt und ihre Freunde zu Gast bei mir. Mit Beginn der WM fallen bei den Fernsehsendern alle Hemmungen. Ein Selbstversuch.

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Es ist nur ein Gerücht, daß schon alles gesagt sei, aber noch nicht von allen. Im „Frühstücksfernsehen“ am Freitagmorgen sitzt die Sat.1-Hausastrologin und sagt mit der ihrer Berufsgruppe eigenen Ernsthaftigkeit Dinge, die vorher sicher noch nie jemand gesagt hat: „Egal wie es ausgeht, am Wochenende wird erst mal gefeiert“ — eine Prognose, die wir bei einer, sagen wir, 1:5-Niederlage der Deutschen doch gerne überprüft hätten. „Der Klinsmann ist ein Doppellöwe“, sagt sie noch. Und über Miroslav Klose: „Von dem werden wir hören.“ Da lacht sogar die Moderatorin.

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Freitagmorgen. Der Countdown im ZDF zählt schon die Sekunden runter. Es ist der Tag, an dem kein Moderator, kein Experte, kein Studiogast um den Satz herumkommt, daß es nun endlich losgeht. Also, „nun“ im Sinne von: in ein paar Stunden, bald, nicht mehr lange, noch genau: 12 Stunden, 25 Minuten und 4 Sekunden. Dann wird sogar das Endlich-Sagen endlich ein Ende haben. Endlich.

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Bei n-tv läuft um diese Zeit noch ein anderer, interner Countdown. Der, bis man wieder anfängt, frisches Programm zu produzieren. Hier laufen Nachrichtenattrappen, die man offenbar irgendwann kurz vor Mitternacht aufgenommen hat, um sie bis in den Morgen zu wiederholen. Die Wetterfrau sagt immer wieder schönes Wetter für den „morgigen“ Eröffnungsspieltag voraus. Die Nachrichtensprecherin sieht munterer aus als die Kollegin, die seit 5.30 Uhr das ZDF-Morgenmagazin moderiert. Aber sie verabschiedet sich noch um kurz vor sieben mit den Worten: „Kommen Sie gut durch die Nacht!“

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Bei der Konkurrenz von N24 hat man dagegen schon am frühen Morgen einen fast ungesunden Ehrgeiz entwickelt und reiht besinnungslos eine Live-Schaltung an die nächste. Reporter Ulli Köhler steht offenbar schon länger in Sichtweite des Stadions in München und muss dort abwechselnd für N24 und Sat.1 berichten. „Die Sonne, der Planet, scheint auch schon“, sagt er glücklich und erklärt freundlicherweise, die deutsche Nationalmannschaft habe ihr Hotel „im Englischen Garten, das ist ein großer Park mitten in München“.

Alexandra Karle steht für N24 zwischen Reichstag und Brandenburger Tor. „Alex, wie ist die Stimmung“, fragen die Moderatoren ihre Korrespondentin, hinter der ein paar Absperrgitter und ein Grüppchen gelangweilter Sicherheitsleute zu sehen sind. „Ehrlich gesagt“, antwortet Alex, „ist das schwer zu sagen, morgens um sieben.“ Sie berichtet dann immerhin noch, daß die Sicherheitskontrollen schon jetzt total streng seien. Hinter ihr fährt ein Fahrradfahrer unbehelligt durch die Absperrung. Dann ein Bus.

Weiter nach Gelsenkirchen zum N24-Reporter, der aus einem Jugendcamp berichtet. Bis vier Uhr morgens sei hier noch gefeiert worden, sagt er. Deshalb würden jetzt wohl auch noch alle in ihren Zelten schlafen. Aber schön, das mal live gesehen zu haben: Zelte.

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Auch n-tv hat inzwischen jemanden live auf dem Berg gegenüber der „FIFA-WM-Arena München“, wie erstaunlicherweise alle sagen. Frage vom Studio auf den Hügel: „Wieviel Spannung liegt in der Luft, Britta?“

Bei N24 informiert ein Laufband über Neues aus der Politik: Mehrere Politiker wollen an der Warschauer Schwulendemonstration teilnehmen: „Volker Beck und Claudio Roth“.

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Fernsehtechnisch gesehen ist das Schlimmste an so einer WM ja nicht, daß nichts anderes mehr läuft, sondern daß die Sender glauben, sie können uns nun alles zumuten. Das ZDF veranstaltete am Donnerstagabend eine „Fifa-WM-Ticket-Show“. Sie wäre deutlich unterhaltsamer und weniger chaotisch gewesen wäre, wenn man die Menschen einfach vor einen einzelnen Ticketcounter gestellt und den ersten 2000 eine Karte in die Hand gedrückt hätte.

Am Freitagnachmittag strahlte das ZDF eine Sendung aus, die als „Wir warten auf den Anpfiff“ angekündigt war, dann aber doch ohne das „Wir“ am Anfang auskam — vermutlich hatte noch irgendjemand im Sender genug Sinne beisammen, zu erkennen, wie peinlich treffend die Nähe zum Weihnachtsritual „Wir warten auf das Christkind“ war. Der „ZDF-Showtruck“ hatte am Marienplatz in München haltgemacht, und auf der „ZDF-Showbühne“ standen zwei Menschen, die es (ähnlich wie die Zuschauer) nicht fassen konnten, daß sie diese Sendung moderieren durften. Gelegentlich fragten sie jemanden, wer Weltmeister wird, und wenn die Antwort „Deutschland“ lautete, juchzte Moderatorin Yvonne Ransbach. Stargäste der Sendung waren Sibylle Weischenberg, die sonst im Sat.1-Frühstücksfernsehen lebt, Verona Pooth sowie Ramona und Jürgen Drews. Es ist nicht völlig auszuschließen, daß Frau Ransbach noch heute auf dem Marienplatz steht und „großartig, Wahnsinn, Wahnsinn“ ruft.

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Eröffnungsgottesdienst, live. Stellvertretend für die Kinder Afrikas sagt ein Junge: „Wir spielen lieber mit Bällen als mit Waffen.“ Bischof Wolfgang Huber predigt. Seine zentrale These: „Fußball ist ein starkes Stück Leben.“

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ZDF-Moderatorin Babette Einstmann trägt eine niedliche Kette mit drei Fußbällen und droht, wenn ich es richtig verstanden habe, für jede Niederlage der Deutschen einen davon aufzuessen. Zunächst aber schaltet sie ins „ADAC WM-Verkehrsstudio“ und fragt: „Worauf sollte man achten?“ Die Expertin antwortet: „Also, man sollte auf jeden Fall darauf achten: Wie komme ich hin? Das wichtigste ist: öffentliche Verkehrsmittel nutzen.“

Ins Gard-Haarstudio hat das ZDF, soweit ich gesehen habe, nicht geschaltet. Ausschließen möchte ich es aber nicht.

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Thomas Gottschalk hat die Gesprächstechnik des Multiple-Choice-Fragens in Deutschland etabliert: Gästen, die auf dem „Wetten daß“-Sofa Platznehmen, gibt er in einem längeren Monolog mindestens zwei ausführliche Antwortmöglichkeiten vor, zwischen denen sie sich nur noch entscheiden müssen. So bekommt der Zuschauer insbesondere bei maulfaulen internationalen Gästen die Illusion eines flüssigen Gesprächs, auch es wenn natürlich fast ausschließlich der Moderator redet.

Man ahnt also, was Johannes B. Kerner an dieser Fragetechnik gefallen könnte. Am Freitagnachmittag unternahm er einen ersten Versuch, Gottschalks Meisterschaft in dieser Disziplin streitig zu machen und gleichzeitig den als unverwüstlich geltenden Franz Beckenbauer ins Koma zu reden. Er fragte ihn: „Franz, so kurz vor dem Eröffnungsspiel, so kurz vor der Eröffnungsfeier: Kehrt bei Ihnen jetzt Ruhe ein? Daß Sie sagen, Kinder, ab sofort kann ich sowieso nix mehr machen? Freuen Sie sich über diesen Tag? Kommt jetzt die Gelassenheit? Ist jetzt sozusagen die kindliche Naivität eingekehrt in den Körper des Franz Beckenbauer? Oder gibt’s immer noch was zu tun? Und ist immer noch irgendein Stress?“

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Warum können Zeitungen trotz allen Freudentaumels immer noch berichten, dass die Hotelzimmer in München nur gut zur Hälfte ausgebucht sind, während das Fernsehen ununterbrochen den Eindruck erwecken muß, das nächste freie Bett befinde sich ungefähr in Südtirol?

Natürlich ist so ein WM-Eröffnungstag nicht der ideale Tag für kritische Nachfragen. Aber vielleicht hätten die enthusiasmierten Mittagsmoderatoren auf Michael Steinbrechers Thesen zum Zerwürfnis zwischen Ballack und Klinsmann nicht jedes Mal mit der Frage antworten müssen: „Und ist der Bus noch da?“

Und wer eine ZDF-Dokumentation über Beckenbauers Rundreise durch die Teilnehmerstaaten stolz damit beginnt, wie er als letzte Station auch den eigenen Sender besucht, vergibt sich ohne Not noch den letzten Mikrometer mögliche Distanz zu dieser Heilsgestalt.

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Humor könnte eine Möglichkeit sein, die Spannung aufzulösen und aus dem Zwiespalt der Fernsehleute herauszukommen, gleichzeitig als Animateure und Berichterstatter auftreten zu wollen. Oder, wie Kerner es formulierte: mit „journalistischer Distanz und emotionaler Nähe“ zu berichten. Aber Humor geht mit dieser Art Großereignis gar nicht.

Kerner versuchte es tapfer. Als er seine Gesprächsrunde unterbrechen mußte, damit das ZDF zeigen konnte, wie der Mannschaftsbus vom Hotel losfuhr, sagte er: „Das sind natürlich zeitgeschichtliche Ereignisse: Ein Bus fährt durch Deutschland. Da vergißt man, daß wir schon auf den Mond geflogen sind.“ Doch solche Ironie verpufft, wenn der Sender tatsächlich einen Hubschrauber gechartert hat und damit den ganzen Tag schon die „9,6 Kilometer“ zwischen Hotel und WM-Arena abgeflogen ist, gelegentlich auch mit Umweg über das Olympia-Stadion, „in dem Deutschland zum letzten Mal Weltmeister geworden ist — zumindest auf heimischen Boden“, wie der ZDF-Mann im Hubschrauber sagte. Manchmal filmten die Kameraleute vom Hubschrauber aus die Kameraleute auf dem Boden, und die vom Boden filmten zurück, und es war ein großes Hallo.

Die ARD, die gestern Vormittag übernahm, hat als Humorbeauftragten den Kabarettisten Fritz Eckenga in die eigene WM-„Wohngemeinschaft“ einziehen lassen, aber der setzte gegen das allgegenwärtige Zu-Wichtig-Nehmen auch keine Lockerheit, sondern Griesgrämigkeit, die auch nicht halt.

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Das große Talent von Johannes B. Kerner ist es, aus dem Stehgreif scheinbar druckreife Sätze formulieren zu können. Als Füllwörter fügt er nicht „äh“ oder „öhm“ ein, sondern Begriffe wie „sehr herzlich“ oder „ganz außerordentlich“. Wie Stuck kleben wichtigtuerische Substantivkonstruktionen in seinen Sätzen. Das Nichts ist mit eindrucksvollen, kompetenzheischenden Ornamenten dekoriert.

Das große Talent von Jürgen Klopp ist es, dass er es merkt. Der Mainzer Trainer ist nicht nur deshalb so ein Glücksgriff für das ZDF, weil es schafft, Kompetenz und Verständlichkeit zu kombinieren, sondern auch, weil er der ideale Sidekick für Kerner ist. Mit einem einzigen Laut kann er die Luft aus einer Kerner-Frage herauslassen. Wenn der fragt, ob es nicht ein Fehler war, daß die Nationalmannschaft noch nie in der neuen Münchner Arena gespielt hat, macht Klopp ein Geräusch wie „öapf“, was klingt wie: „Ja, Gott, man kann natürlich in alles etwas hineininterpretieren, aber für diesen Kindergartenkram sucht Euch bitte jemand anderen.“ Als Kerner eine lange Reihe von Statistiken zitiert und nach der „Magie“ von Eröffnungsspielen fragt, sagt Klopp: „Mir ist das scheißegal, wie die alle gespielt hatten“, und das Publikum in der „ZDF-Arena“ applaudiert.

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Es gibt Ideen, die sind nur theoretisch gut. Wie die von RTL, sein WM-Studio im Berliner Fernsehturm einzurichten. Klingt toll — bedeutet aber in der Praxis nur, daß die RTL-Leute bei ihren nächtlichen Zusammenfassungen vor zwei dunklen Fenstern mit Neonröhren stehen. Billiger sieht nur das Studio der Tochter n-tv aus, wo der Sportmoderator in eine Art Abstellkammer umziehen mußte.

Die Zeiten, in denen die Privatsender den Öffentlich-Rechtlichen zeigten, wie man eine Fernsehsendung state of the art inszeniert, sind ohnehin vorbei. Ich möchte lieber nicht wissen, was die „ZDF-Arena“ im Sony-Center am Potsdamer Platz gekostet hat — aber genau so muß heute ein WM-Studio aussehen und genau so muß man das Studio, die Spiele und die Analysen in Szene setzen.

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Und zu Ingolf Lücks witzig gemeinter Sendung „Nachgetreten“, in der Karl Dall sagte, er hätte gedacht, Ecuador würde als Hauptexporteur von Guano auch „Scheiße spielen“, und selbst das hoffentlich alkoholisierte Publikum auf mehrere Holländerwitze mit Totenstille reagierte, nur soviel: Ich habe mir die Namen aus dem Abspann notiert. Die merk ich mir. Alle.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung