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Zwanziger gegen Zwanziger

Wenig Stoff hier im Moment, tut mir leid, und die nächste Zeit wird es nicht besser. Ich fahre morgen ein paar Tage weg und muss dann auch wieder die Kommentarbürgersteige hochklappen.

Aber vorher muss ich noch über die Sache mit Jens Weinreich geschrieben haben. Das ist der sehr geschätzte Kollege, der es wagte, sich in einem Blog-Kommentar kritisch über den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, Theo Zwanziger, zu äußern — was der mit juristischen Schritten und einer Diffamierungskampagne beantwortete (meine Blog-Beiträge zum Thema). Die Gerichte haben Jens Weinreich zwar in diversen Entscheidungen Recht gegeben. Trotzdem ist die Auseinandersetzung für ihn nicht nur extrem zeitraubend und anstrengend, sondern auch mit erheblichen Kosten verbunden. Ein fünfstelliger Betrag ist inzwischen zusammengekommen. Für einen freien Journalisten (mit Familie) ist das sehr viel Geld.

Nach langem Zögern hat er sich jetzt entschlossen, um Spenden zu bitten, und ich möchte mich dem gerne anschließen. Das hat nicht nur Jens verdient. Das haben auch Theo Zwanziger und seine Leute verdient.

Ich finde es empörend, wie Zwanziger es ausnutzt, dass er es sich leisten kann, die Auseinandersetzung in die Länge zu ziehen und das finanzielle Risiko immer größer werden zu lassen. Ich finde es eklig, wie Zwanziger noch damit kokettiert, dass er im Falle einer Niederlage Geld für einen guten Zweck spendet (aber natürlich nicht für Weinreich, den er bis dahin in den Ruin getrieben haben könnte). Ich finde es widerlich, dass der DFB sich immer noch weigert, seine Lügen zuzugeben, richtig zu stellen und sich dafür zu entschuldigen. Ich finde es skandalös, dass der DFB-Kommunikationsdirektor Harald Stenger noch im Amt ist, obwohl ihm inzwischen Gerichte bescheinigt haben, dass er Unwahrheiten über Weinreich verbreitet hat, und dass der DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach noch im Amt ist, der Stengers Lügen stolz an eine dreistellige Zahl wichtiger Menschen verschickt hat, mit der Aufforderung, sie zu verbreiten.

Wenn man verfolgt hat, wie ungeschickt, dumm und entlarvend der DFB agierte, und wie groß die Sympathiewelle war, die Jens Weinreich (nicht nur) im Internet trug, kann man leicht zu dem Schluss kommen, dass der David in diesem Spiel nur gewinnen und der Goliath nur verlieren kann. Aber der David kämpft gerade ums Überleben, und Goliath und seine Apparatschiks sitzen, mit ein paar blaue Flecken, bräsig und ohne Existenzangst auf ihren Positionen.

Daran werden wir nichts ändern können. Aber wir können verhindern, dass ihre Gegner sogar beim Rechthaben und Rechtbekommen noch auf der Strecke bleiben. Deshalb: Zwanziger gegen Zwanziger! (Über kleinere und größere Beiträge freut er sich aber bestimmt auch.)

Zwanziger droht Gericht mit Rücktritt

Woher kommt eigentlich der Glaube, dass ein guter Ruf vor allem durch anderer Leute Meinungsäußerungen gefährdet wird und nicht durch das eigene Handeln? Nichts hätte der Journalist Jens Weinreich über den DFB-Präsidenten Theo Zwanziger sagen können, was diesem auch nur halb so viel geschadet hätte wie seine eigene Reaktion darauf — die Lügen seines Verbandes, die Klage gegen Weinreich, die immer neuen Demonstrationen von Unbelehrbarkeit und Starrsinn.

Was kaum möglich schien, hat Zwanziger heute geschafft: Die Auseinandersetzung noch weiter zu eskalieren. Am Rande einer DFB-Pressekonferenz drohte er mit dem Rücktritt von seinem Amt, falls er vor Gericht gegen Weinreich unterliegen sollte. Der hatte ihn bekanntlich im Sommer im Zusammenhang mit einem Auftritt einen „unglaublichen Demagogen“ genannt. Die Nachrichtenagentur dpa zitiert Zwanziger mit den Worten:

„Wenn das verfassungsrechtlich zulässig ist, werde ich sehr ernsthaft erwägen, ob ich dieses Amt weiterführe. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Es wird ein Urteil geben. Ich werde meine persönliche Ehre nicht auf dem Altar des Amtes opfern.“

Hinter dieser Aussage steht eine erneute Erhöhung des Einsatzes. Die Logik ist offensichtlich: All die vielen Leute, die ihn für den besten DFB-Präsidenten aller Zeiten halten, sollen auf Linie gebracht und gegen Weinreich eingeschworen werden. Denn der riskiert mit seiner Renitenz und dem Beharren auf das Recht der freien Meinungsäußerung, dass unser Land vielleicht auf diesen fantastischen DFB-Präsidenten verzichten müsste.

In einem Land, in dem es gesetzlich erlaubt ist, ihn unter bestimmten Umständen einen „unglaublichen Demagogen“ zu nennen, möchte Theo Zwanziger nicht DFB-Präsident sein.

Aber dass keiner der grauen Männer in seiner Umgebung es schafft, ihn beiseite zu nehmen und zu sagen: „Theo, das ist gerade ein bisschen kontraproduktiv, was Du hier machst. Wir hatten so viele andere schöne Themen auf unserer Pressekonferenz, und nun beginnt eine Meldung nach der anderen mit diesem Weinreich-Scheiß…“?!

Nachtrag, 18:25 Uhr. Die F.A.Z. kommentiert:

[Zwanziger] macht seine unversöhnliche Sicht in dieser Causa zu einer derart öffentlichen Angelegenheit, dass er damit auch Schaden für sein Amt billigend in Kauf nimmt. Denn nicht jeder muss am Ende so beinhart wie Zwanziger eine Äußerung verurteilen, die zweifellos unangemessen anmutet.

Mit ähnlichen, für Zwanziger unerträglichen Situationen werden auch andere Amts- und Würdenträger immer wieder konfrontiert. Die meisten Politiker, Wirtschaftsbosse oder Sportfunktionäre gehen damit allerdings professioneller und gelassener um. Zwanziger kann und will das nicht. Deshalb ist die Frage erlaubt, ob dieser Präsident bei all seinen Verdiensten dauerhaft für eine Aufgabe geeignet ist, in der manchmal auch die Fähigkeit gefragt ist, souverän zu bleiben, selbst wenn es persönlich weh tut.

Und die „Süddeutsche Zeitung“ urteilt:

DFB-Chef Theo Zwanziger lähmt mit seinem Vorgehen den ganzen DFB, gibt ein weiteres Beispiel für Funktionärshybris und legt ein bedenkliches Rechtsverständnis an den Tag.

Nachtrag, 19:40 Uhr. Die „Frankfurter Rundschau“ hat noch mehr Zitate von Zwanziger:

Es handele sich um eine „klassische Schmähkritik“, so der aufgebrachte Präsident, der sich auch von Medienchef Harald Stenger nicht stoppen ließ: „Demnächst heißt es, ich sei ein Massenmörder, nur hat es keine Leichen gegeben.“

Seine Rücktrittsankündigung für den Fall der Niederlage vor Gericht, ergänzte Zwanziger auf FR-Nachfrage, habe „nichts mit einer Drohung oder einer Einschüchterung“ zu tun, er sei überzeugt, dass der Richter unabhängig vom öffentlichen Scharmützel objektiv entscheiden werde.

Nachtrag, 0:52 Uhr. Das wird ein harter Tag für die Leute, die den DFB-Pressespiegel zusammenstellen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ kommentiert:

Der Jurist Theo Zwanziger offenbart ein schräges Rechtsverständnis: Die Ankündigung des DFB-Präsidenten, von seinem Amt zurück zu treten, falls ein Gerichtsbeschluss nicht nach seinem Gusto ausfällt, ist unfassbar.

Und — nach meiner Wahrnehmung als erster — schafft es der Kommentar, eine direkte Linie von Zwanzigers Verhalten jetzt zum Ausgang des ganzen Streits zu ziehen:

Das Selbstverständnis des DFB und seines Präsidenten offenbaren sich am krassesten in dem Fall, von dem alles ausgeht. Der Verband und die Deutsche Fußball-Liga waren vom Kartellamt wegen des Verdachts auf Absprachen durchsucht worden. Der Verdacht bestätigte sich zwar nicht, aber der DFB ist bis heute zutiefst gekränkt und lässt nicht nach in seinem Bemühen, das Vorgehen des Kartellamtes zu geißeln. In diesem Zusammenhang hat Weinreich gegen Theo Zwanziger die strittige Bezeichnung „unglaublicher Demagoge“ verwendet.

Prüfungen staatlicher Organe muss jeder über sich ergehen lassen, sei es in Steuerfragen, Straßenverkehr oder sonst wo. Wer würde es wagen, sich einer PKW-Kontrolle zu entziehen mit den Worten: „Sie wissen wohl nicht, wen sie vor sich haben? Wie können Sie es wagen, mein Fahrzeug auf Verkehrstauglichkeit und meinen Atem auf Genuss von Alkohol zu untersuchen?“ Wer so etwas tut, macht sich hochgradig lächerlich und zeigt, dass er nicht verstanden hat, für wen Recht gelten muss: für jeden.

Die „Stuttgarter Zeitung“ meint:

Der Vorgang offenbart aber einmal mehr das seltsame Gebahren des Verbands, und vor allem seines Präsidenten, der viel Gutes für den Fußball getan hat, hier allerdings nach Gutsherrenmanier agiert.

Die von Zwanziger so gerne postulierte „Kommunikationsherrschaft“ hat der Verband längst verloren, und mit ihr auch die Kontrolle über einen bislang einmaligen Vorgang im deutschen Sport, der immer stärker Züge einer Posse annimmt.

Im „Tagesspiegel“ heißt es unter der Überschrift „Sein Fehler“:

Unabhängig davon, dass Zwanziger alles andere als ein Demagoge ist, wirft der juristisch-öffentliche Furor, den er in dieser nebensächlichen Frage an den Tag legt, eine viel gewichtigere Frage auf: Ist Theo Zwanziger wirklich ein guter DFB-Präsident?

Bisher fiel als Antwort ein Ja nicht schwer. Bisher.

Zwanziger ./. Zwanziger

DFB-Präsident Theo Zwanziger, 21. November 2008:

Zwanziger: Ich sehe die Äußerung des Journalisten als ehrverletzend an, also mache ich Gebrauch von den rechtsstaatlichen Möglichkeiten, die Angelegenheit zu klären. Wenn Weinreich nun den Begriff „Demagoge“ anders wertet als ich . . .

SZ: Wie haben Sie es gewertet?

Zwanziger: Mit Demagoge ist Volksverhetzer verbunden und damit auch eine Nähe zum Nationalsozialismus.

SZ: Aber den Zusammenhang kann man wirklich nicht herstellen, wenn man den Blog-Eintrag liest.

Zwanziger: Deshalb habe ich auch sofort gesagt, die Sache hat sich erledigt, als mich unser Vizepräsident Rainer Koch auf eine Internetdarstellung von Herrn Weinreich aufmerksam machte, aus der hervorging, dass er mit dem Begriff „Demagoge“ nicht das gleiche Verständnis wie ich hatte. Und dies hat dann sein Anwalt uns gegenüber nochmals klargestellt. Damit war für mich der Vorgang beendet, deshalb haben wir auch keine Unterlassungsklage erhoben.

DFB-Pressemitteilung, 26. November 2008:

DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger wird gegen den Journalisten Jens Weinreich, der ihn als „unglaublichen Demagogen“ diffamiert hat, Klage erheben.

Nachdem Herr Weinreich am 25. November 2008 eine einstweilige Verfügung gegen eine DFB-Pressemitteilung vom 14. November 2008 erwirkt hat, ist aus Sicht des DFB auch der letzte Versuch gescheitert, auf eine gütliche Beilegung des Verfahrens hinzuwirken. Somit muss nunmehr im Hauptsacheverfahren geklärt werden, ob der Journalist im Rahmen der Presse- und Meinungsfreiheit einen berechtigten Grund hatte, Dr. Zwanziger als „unglaublichen Demagogen“ zu diffamieren oder ob er damit die persönliche Ehre des DFB-Präsidenten verletzt hat.

Vielleicht kann mir ein Rechtsanwalt erklären, welche Chancen jemand mit der Klage gegen eine Äußerung hat, der vorher öffentlich erklärt hat, dass sie nun, da er wisse, wie sie gemeint war, kein Grund mehr zur Klage sei? (Meinen eigenen Anwalt kann ich ja schlecht fragen.)

Zwanziger — Weinreich 0:3

Das ist vorläufig alles, was aktuell von der mit Halb- und Unwahrheiten gespickten Pressemitteilung übrig geblieben ist, die der Deutsche Fußballbund (DFB) vor zwei Wochen an zig Politiker, Funktionäre und andere Prominente mit der Bitte um Verbreitung geschickt hat:

Jens Weinreich hat vor dem Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung erwirkt, die es dem Verband verbietet zu behaupten:

  • er habe seinen Präsidenten Theo Zwanziger „ohne Anlass“ einen „unglaublichen Demagogen“ genannt,
  • er habe zur Vermeidung einer Klage eine entschuldigende Erklärung abgegeben,
  • er habe durch die Formulierung „die Grenzen der Meinungsfreiheit eindeutig überschritten“, ohne zugleich darauf hinzuweisen, dass das Kammer- und das Landgericht Berlin in den Äußerungen zulässige Meinungsäußerungen sah.

Mehr natürlich in Jens Weinreichs Blog.

Nachtrag, 17:40 Uhr. Der DFB zeigt sich als schlechter Verlierer, macht erneut eine Kehrtwende und kündigt an, nun Klage gegen Jens Weinreich zu erheben. Nach Ansicht des DFB hätte der Journalist offenbar die über ihn vom DFB verbreiteten Unwahrheiten als Versuch einer „gütlichen Beilegung des Verfahrens“ akzeptieren sollen.

Nachtrag, 19:40 Uhr. Der DFB hat seine alte Pressemitteilung umgeschrieben, um der Einstweiligen Verfügung gerecht zu werden. Vorher und nachher kann man hier vergleichen [via Lobservateur in den Kommentaren].

Ein Preis für Theo Zwanziger

Nachher erhält dann also DFB-Präsident Theo Zwanziger den Preis „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Der gleichnamige Verein würdigt damit „sein überzeugendes Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Rechtsextremismus und die begonnene Auseinandersetzung mit der Geschichte seines Verbandes im Nationalsozialismus“.

Mangels Interesse am Fußball habe ich mich nie ernsthaft mit dem DFB, seiner Geschichte und seinen Präsidenten beschäftigt. Deshalb kann ich die Preiswürdigkeit Zwanzigers nicht fundiert beurteilen. Vieles, was sich von ihm und über ihn lesen lässt, spricht aber dafür, dass sein gesellschaftspolitisches Engagement tatsächlich bemerkens- und preisenswert ist — dass ein DFB-Präsident Schwulenfeindlichkeit im Fußball und überhaupt zum Thema macht, ist ein Beispiel dafür.

Aber den Respekt, den er sich damit verdient, verspielt er, wenn er den Eindruck erweckt, dass es ihm gar nicht um die Sache geht, sondern darum, sich mit der Sache zu schmücken.

Das ist an der ganzen Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Journalisten Jens Weinreich für mich ein besonders ekliger Nebeneffekt: Zu sehen, wie Theo Zwanziger nicht zögert, sein Engagement dazu zu missbrauchen, sich so zu erhöhen, dass Kritik an ihm fast wie Blasphemie wirkt. Er lässt auf diese Weise Kritik an ihm wie Kritik an den guten Sachen erscheinen.

Dieser Reflex durchzieht die Auseinandersetzung fast von Anfang an. Schon in der Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichtes Berlin, das es ablehnte, eine einstweilige Verfügung gegen Jens Weinreich auszusprechen, wies Zwanzigers Anwalt auf die damals noch zwei Monate entfernte Preisverleihung hin. In einem Interview mit Oliver Fritsch betonte Zwanziger, wie zur Rechtfertigung seines harten Vorgehens gegen Weinreich, in Yad Vashem gewesen zu sein. Zusätzlich instrumentalisierte er noch seinen Kampf gegen Homophobie, indem er erklärte, im Falle einer Niederlage an die European Gay & Lesbian Sports Federation (EGLSF) zu spenden, „weil ich dort die Arbeit von Tanja Walther sehr schätze“, und Weinreich aufforderte, es ihm gleich zu tun. An Stelle der EGLSF-Leute hätte ich mich schmutzig gefühlt, dass Zwanziger sich nicht schämte, ihre gute Sache ohne Not durch einen solch billigen PR-Gag zu missbrauchen und ihre Arbeit zu einem Pfand in seinem Feldzug gegen einen Journalisten zu entwerten. Und jeder, der sich auskennt oder ein bisschen googelt, kommt schnell darauf, dass Zwanzigers Lob für Tanja Walther auch ein Lob für sich selbst ist: Im Oktober erst sind sie gemeinsam für ihr Eintreten gegen Homophobie im Sport mit dem „Tolerantia-Preis“ ausgezeichnet worden.

Das DFB-Präsidium hat die Instrumentalisierung der guten Taten des Theo Zwanziger dann in seiner berüchtigten Erklärung auf die Spitze getrieben und den Eindruck erweckt, er sei deshalb sakrosankt: „Wer die Vita und das konsequente Engagement von Theo Zwanziger im Kampf gegen Neo-Nazis kennt“, sagt darin Zwanzigers Stellvertreter Rainer Koch, „versteht selbstverständlich seine Reaktion“, nämlich das juristische Vorgehen gegen Jens Weinreich. In dem Satz steckt die erstaunliche Logik, dass jemand, der sich gegen Rassismus engagiert (ebenso wie jemand, der in der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem war), besonders verletzlich sei und ganz besonders vor Angriffen geschützt werden müsse. Die umgekehrte Logik fände ich überzeugender: Jemand, der von sich selbst weiß, wie engagiert er gegen Volksverhetzung kämpft, und regelmäßig in seinem Pressespiegel nachlesen kann, dass es auch die Öffentlichkeit weiß, müsste doch genügend Selbstbewusstsein haben, eine für ihn unerklärliche Beschimpfung als „Demagoge“ auszuhalten oder sogar zu erkennen, dass sie nicht im Sinne eines Nazi-Vergleichs gemeint sein kann, weil das offensichtlich abwegig wäre. Stattdessen hat Zwanziger mit seinem Verhalten ungewollt den ursprünglichen Vorwurf Weinreichs teilweise bestätigt — indem er gezeigt hat, dass sein Verband bereit ist, nicht nur juristisch, sondern auch durch die Verbreitung von Unwahrheiten gegen Kritiker vorzugehen.

Zwanziger lässt seinen Generalsekretär Wolfgang Niersbach dann in der Presseerklärung auch noch ausführlich darauf hinweisen, dass er den Preis „Gegen Vergessen — Für Demokratie“ bekommen wird, und bringt die Namen Hans-Joachim Vogel und Joachim Gauck in Spiel, fast als wären sie Zeugen gegen Weinreich. Der Verein selbst (der zehnmal so viele Mitglieder hat wie der DFB schreibt) und seine Aufgaben scheinen dem DFB dabei herzlich egal. Er dient nur als Integritätsausweis und Leumundszeuge für Zwanziger. Ligaverbands-Präsident Reinhard Rauball darf das dann besonders plump aussprechen: „Es ist für mich unvorstellbar, wie ein Journalist eine so integre Person wie Dr. Theo Zwanziger als Demagogen diffamieren kann.“ Da zu diesem Zeitpunkt selbst der DFB akzeptiert hat, dass Jens Weinreich den Präsidenten nicht in die Nähe des Nationalsozialismus rücken wollte, kann dieser Satz nur heißen, dass der DFB glaubt, durch das gesellschaftspolitische Engagement des Präsidenten verbiete sich jede harte Kritik an ihm, einer „so integren Person“.

Es mag sein, dass Theo Zwanziger den Preis, den er heute bekommt, verdient hat. Er hat ihn aber bereits entwertet.

Theo Zwanziger als Schießdudenfigur (2)

Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Theo Zwanziger, der nach eigenen Angaben kein Prozesshansel ist, scheint seine Drohung nun wahrzumachen und den Journalisten Jens Weinreich zu verklagen, weil der seine Kritik an einem öffentlichen Auftritt Zwanzigers mit der Formulierung verbunden hatte, er sei ein „unglaublicher Demagoge“.

Nachdem der DFB-Chef vergeblich versucht hatte, beim Landgericht und Kammergericht in Berlin eine einstweilige Verfügung gegen Weinreich zu erreichen, will er nun in Koblenz klagen. Zwanziger selbst war von 1980 bis 1985 Verwaltungsrichter am Oberverwaltungsgericht Koblenz und später ebendort Regierungspräsident.

Weinreichs Anwalt Ulrich Amelung schreibt deshalb Zwanzigers Anwalt:

Sollte Ihr Mandant allerdings Koblenz gewählt haben, weil er dort lange Jahre selbst als Richter und Regierungspräsident tätig war und dort womöglich noch persönliche Kontakte zu Richterkollegen unterhält, wäre dies aus meiner Sicht ein höchst befremdlicher Vorgang, der im Hinblick auf die Position Ihres Mandanten von erheblichem öffentlichen Informationsinteresse sein dürfte.

Ich möchte dringend davor warnen, die Möglichkeit, die in diesem Satz enthalten ist, als Tatsachenbehauptung zu wiederholen.

Mehr im Blog von Jens Weinreich.

Theo Zwanziger als Schießdudenfigur

Theo Zwanziger, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, bereitet eine Unterlassungsklage gegen den freien Sportjournalisten Jens Weinreich vor. Der hatte ihn, wie berichtet, in einem Kommentar in einem Blog als „unglaublichen Demagogen“ bezeichnet. Zwanziger hatte deshalb bereits eine einstweilige Verfügung gegen Weinreich beantragt, war damit aber in zwei Instanzen gescheitert. Das Gericht widersprach der Argumentation seines Anwaltes Christian Schertz, wonach das Wort „Demagoge“ Zwanziger mit dem „menschenverachtenden Verhalten der Nationalsozialisten in Verbindung gebracht“ habe und erklärte: „Dass Diktatoren demagogisch agieren mögen, führt jedenfalls nicht dazu, dass derjenige, den man einen Demagogen nennt, mit einem Diktator gleichzusetzen wäre.“

Auf Initiative des DFB äußerte sich Zwanziger gegenüber dem Blog „Direkter Freistoß“ zu dem Fall und erklärte u.a.:

Zwanziger: Ich bin kein Prozesshansel, ich kann Kritik einstecken. Doch in diesem Fall muss ich darauf verweisen, dass Artikel 5 unseres Grundgesetzes nicht nur die Meinungsfreiheit schützt, sondern auch die persönliche Ehre. Herr Weinreich hat mich Demagoge genannt. Daraufhin habe ich im Duden nachgeschlagen, und der definiert dieses Wort genau wie ich es empfinde: „Volksverhetzung“. Das ist laut § 130 des Strafgesetzbuches eine strafbare Handlung, die mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Und nun will ich von Gerichten geprüft wissen: Darf man mich als Volksverhetzer bezeichnen? (…) Der Prozess muss übrigens nicht sein. Wenn Herr Weinreich nicht will, dass ich mich von ihm als Volksverhetzer denunziert verstehe, dann soll er mir zwei Zeilen schreiben, dann ist die Sache vom Tisch. (…)

df: Sie verlangen von ihm, dass er etwas zurücknimmt, was er nie gesagt hat.

Zwanziger: Das stimmt nicht. Ich kann nicht akzeptieren, dass eine nach dem Duden klare Interpretation plötzlich nicht gelten soll. Dann soll Herr Weinreich mit einem klaren deutschen Begriff sagen, was er meint. Er nimmt die Deutung „Volksverhetzer“ billigend in Kauf.

df: Haben Sie versucht, mit ihm darüber zu sprechen oder Kontakt mit ihm aufgenommen, so wie mit mir?

Zwanziger: Nein, ich erwarte von ihm, dass er auf mich zukommt. Jedenfalls geht die Sache weiter, wir bereiten eine Unterlassungsklage vor. Auf die mündliche Verhandlung freue ich mich schon. Ich werde dem Gericht die Frage stellen, ob Demagogie Volksverhetzung meint. Wenn nicht, dann irrt der Duden.

df: … der ja auch nicht mehr das ist, was er mal war.

Zwanziger: Wenn der Duden unrecht hat, könnte ich auch damit leben.

Womit Zwanziger stattdessen leben muss: dass er selbst unrecht hat. Denn der Duden definiert das Wort keineswegs „genau wie ich es empfinde“ als Beschreibung eines Straftatbestandes. Im normalen Duden („Die deutsche Rechtschreibung“) steht sogar nur:

De|m|a|go|ge der; -n, -n ‹griech.› (Volksverführer, -aufwiegler)

Im Fremdwörterduden heißt es:

De|m|a|go|ge der; -n, -n ‹gr.; „Volksführer“›: (oft abwertend) jmd., der andere politisch aufhetzt, durch leidenschaftliche Reden verführt; Volksverführer;

Die erste Definition bezeichnet genau das, was Jens Weinreich an einem konkreten Beispiel Zwanziger tatsächlich vorwarf: andere politisch aufzuhetzten und durch leidenschaftliche Reden zu verführen.

Im Universalwörterbuch des Duden steht:

De|ma|go|ge, der; -n, -n [griech. dēmagōgós, urspr. = Volksführer, Staatsmann, zu: dẽmos, Demokratie] (abwertend): jmd., der andere durch leidenschaftliche Reden politisch aufhetzt, aufwiegelt; Volksverführer, Volksaufwiegler: das von skrupellosen -n verhetzte Volk.

Der nicht-kursive Halbsatz am Schluss ist, wohlgemerkt, ein Beispiel für den möglichen Gebrauch des Wortes.

Das Herkunftswörterbuch des Duden erklärt:

Demagoge »Volksaufwiegler, politischer Hetzer, Wühler«:
Das Fremdwort wurde Ende des 17. Jh.s aus gleichbed. griech. dēmagōgós entlehnt, das ursprünglich allgemein »Volksführer, Staatsmann« bedeutete. Es ist eine Bildung aus griech. dēmos »Volk« (vgl. demo…, Demo…) und griech. agōgós »führend«. Letzteres gehört zu ágein »führen, treiben« (vgl. Achse). – Dazu: Demagogie »gewissenlose politische Hetze« (17. Jh.; aus griech. dēmagōgía); demagogisch »Hetzpropaganda treibend« (18. Jh.; nach griech. dēmagōgikós, evtl. unter Einfluss von gleichbed. frz. demagogique).

Der „Volksverhetzer“ findet sich beim „Demagogen“ nur im Synonymwörterbuch des Duden — zusammen mit einem halben Dutzend anderer und unproblematischer Synonyme:

Demagoge, Demagogin
Agitator, Agitatorin, Aufwiegler, Aufwieglerin, Hetzer, Hetzerin; (bildungsspr.): Provokateur, Provokateurin; (abwertend): Volksverführer, Volksverführerin, Volksverhetzer, Volksverhetzerin; (bes. Politik abwertend): Scharfmacher, Scharfmacherin.

Zwanziger erklärt, dass er, was das Wort „Demagoge“ angeht, deshalb empfindlicher sei als vielleicht andere Leute oder Jüngere, weil er seinen Vater im Krieg verloren habe und „in Yad Vashem war“.

Trotz der Niederlagen in den einstweiligen Verfügungsverfahren ist er sicher, dass er den Prozess gewinnen wird. Während Jens Weinreich Anwalts- und Gerichtskosten selber tragen muss, übernimmt das Risiko der Prozesslust von Herrn Zwanziger die Rechtschutzversicherung des DFB. Im Fall einer Niederlage will er aber „natürlich“ den gleichen Betrag an die European Gay & Lesbian Sports Federation spenden.

Noch ein Grund, ihm eine Niederlage zu wünschen.

Mehr im Blog von Jens Weinreich.

Nachtrag, 7. November. Bei einer Diskussionsrunde in Gießen warf Zwanziger gestern dem Moderator Herbert Fischer-Solms vor, „demagogische Fragen“ zu stellen. Sein Anwalt ist nicht zu beneiden.

Bis zur WM sollen in Katar 7000 Arbeiter sterben – an was auch immer

7000 ausländische Arbeiter werden in Katar bis zum Beginn der Fußball-WM 2022 ums Leben kommen. Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger hat nicht zuletzt angesichts dieser ungeheuren Zahl die Fans dazu aufgerufen, das Ereignis zu boykottieren.

Diese Meldung zieht seit Freitag Kreise, wird von den Nachrichtenagenturen verbreitet. Kein Wunder: Eine griffige Zahl von Todesopfern, eine plakative Forderung. Es ist ein großer PR-Erfolg für den internationalen Gewerkschaftsbund ITUC. Er basiert auf einer höchst zweifelhaften Berechnung.

Die Zahl 7000 hat der Gewerkschaftsbund einfach auf der Grundlage von Statistiken der staatlichen Gesundheitsbehörde errechnet. Die hat vor mehreren Monaten einen Bericht mit diversen Kennzahlen für das Jahr 2013 veröffentlicht. Unter anderem steht darin auch die Todesrate der Menschen im Land, aufgeschlüsselt nach Einheimischen und Ausländern sowie Altersgruppen.

Bei Ausländern im Alter zwischen 15 und 64 Jahren kommen danach auf 1000 Menschen 0,6 Todesfälle im Jahr. Wenn in Katar ungefähr 1,8 Millionen Gastarbeiter leben, wie der ITUC schätzt, sterben also jährlich davon rund 1000 (1.800.000 * 0,6 ‰). Bis zur Weltmeisterschaft sind es noch sieben Jahre, also werden insgesamt 7000 Gastarbeiter sterben. Bäm, Zahl, Schlagzeile.

Nun umfasst die Zahl von 0,6 Promille aber sämtliche Sterbefälle unter den fast zwei Millionen Menschen im arbeitsfähigen Alter aus dem Ausland in Katar, auch solche, die nichts mit den miserablen Arbeitsbedingungen zu tun haben. Ich habe keine Ahnung, wie viele das sind, aber: der ITUC auch nicht.

Interessanterweise ist die Todesrate in Katar unter Einheimischen im arbeitsfähigen Alter fast dreimal so hoch wie unter Ausländern: 1,7 Promille. Das lässt sich allerdings dadurch erklären, dass die Gastarbeiter relativ jung sind und dass sie, bevor sie einreisen dürfen, auf bestimmte Krankheiten getestet werden. Das senkt natürlich die Todesrate.

Aber Tatsache ist: Menschen sterben, auch Menschen zwischen 15 und 64 Jahren, auch unter besseren Umständen, als sie auf den Baustellen in Katar herrschen. So zu tun, als gingen die 7000 zu erwartenden Todesfälle von arbeitsfähigen Ausländern in Katar alle auf das Konto der furchtbaren Arbeitsbedingungen, ist unredlich.

In Deutschland liegt die Todesrate bei den 18- bis 64-Jährigen übrigens sogar bei rund 2,6 Promille. Auch diese Zahl ist nicht mit den 0,6 Promille unter den ausländischen Arbeitern in Katar vergleichbar, weil die, wie gesagt, nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind. Aber wenn die Zahl von 0,6 Promille skandalös hoch sein soll, ist das mindestens erklärungsbedürftig.

Im Bericht des ITUC wird die bedingte Aussagekraft dieser Zahl zumindest angedeutet. Er erwähnt zum Beispiel auch, dass Verkehrsunfälle eine größere Rolle spielen dürften. Aber der ITUC setzt trotzdem auf das Schlagzeilenpotential der zweifelhaften Zahl 7000 – und fügt sogar noch dramatisch hinzu, dass eine frühere, ebenfalls viel zitierte ITUC-Angabe von möglicherweise 4000 toten Arbeitern, eine „tragische Unterschätzung“ darstelle.

Viele Nachrichtenagenturen griffen die ITUC-Zahl auf, AFP ironischerweise mit dem wohl als Distanzierung gemeinten Zusatz, der Gewerkschaftsbund „erklärte allerdings nicht, wie er auf diese Zahl kommt“. Doch, das tut er. Nur erschüttert diese Erklärung eben die Aussagekraft der Zahl.

Ich habe keine Zweifel daran, dass die Arbeitsbedingungen in Katar furchtbar sind, und es ist gut, wenn Organisationen wie der ITUC und Journalisten sie öffentlich anprangern. Aber der Preis für die Aufmerksamkeit kann nicht darin bestehen, zweifelhafte Horrorzahlen zu verbreiten.

[mit Dank an Guido Haeger]

Blomige Worte über Volksverhetzung

Deutschland will Pleite-Griechen mit bis zu 5 Milliarden helfen! / Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen! / Statt zu sparen, streiken die Pleite-Griechen lieber ihr Land kaputt! / Deutsches Steuergeld für die Pleite-Griechen? / Gestern haben die Pleite-Griechen offiziell Finanzhilfen von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) beantragt. / DIESE PLEITE-GRIECHEN! / BILD gibt den Pleite-Griechen die Drachmen zurück. / Reißen die Pleite-Griechen ganz Europa runter? / Pleite-Griechen: Heute General-Streik. / Ackermann ehrt Pleite-Griechen. / Pleite-Griechen, also doch! / Pleite-Griechen wollen ihre Politiker „fressen“. / Noch mehr Milliarden für die Pleite-Griechen. / Keine neuen Milliarden für Pleite-Griechen? / Schafft die Privilegien ab und hört auf zu randalieren, ihr Pleite-Griechen! / Warum war Rösler so nett zu den Pleite-Griechen? / Die Euro-Staaten wollen den Pleite-Griechen einen Teil ihrer Schulden erlassen. / Zahlreiche Politiker fordern nun den Euro-Austritt der Pleite-Griechen. / Wir bürgen für Hunderte Milliarden Euro, um die Pleite-Griechen zu retten. / Am Mittwochabend hatten Merkel und Sarkozy mit den Pleite-Griechen endlich Klartext geredet! / Heftige Schelte für die Pleite-Griechen! / So denken die Pleite-Griechen über BILD.

Das hier oben ist nur eine kleine Auswahl. 48 Artikel hat die „Bild“-Zeitung (Bundesausgabe) in den vergangenen knapp zwei Jahren veröffentlicht, in denen von „Pleite-Griechen“ die Rede war; 30 waren es allein in den vergangenen sechs Monaten.

Nun gibt es bei den Komposita, die „Bild“ so gerne schöpft und benutzt, häufiger semantische Trennunschärfen, und nicht alle sind beabsichtigt. (Anfangs hatte „Bild“ die rechtsradikalen Mörder aus Zwickau „Nazi-Killer“ genannt, bis jemandem offenbar die Doppeldeutigkeit auffiel und „Killer-Nazis“ das Standard-Synonym wurde.)

Theoretisch wäre es denkbar, dass „Bild“ mit den „Pleite-Griechen“ nur diejenigen Griechen meint, die für die gegenwärtige Krise des Landes verantwortlich sind (dass das Land genaugenommen nicht pleite ist, lassen wir mal als Spitzfindigkeit außen vor). Es wäre ebenso theoretisch auch möglich, dass „Bild“ den Ausdruck ganz nüchtern-faktisch meint: die Mitglieder eines Staates, der vom Bankrott bedroht ist.

Doch beides ist nicht der Fall. „Bild“ benutzt den Begriff ohne Zweifel als Schimpfwort. Und „Bild“ bezeichnet explizit auch die normalen Bürger des Landes, nicht nur die Politiker, als „Pleite-Griechen“. Es gibt für und in „Bild“ de facto keine Griechen mehr, nur noch Pleite-Griechen.

„Bild“ arbeitet seit Monaten systematisch daran, dass niemand an griechische Menschen denken soll, ohne das Wort Pleite mitzudenken. Die Methode ist dieselbe, die Christa Wolfs Kassandra benutzt, wenn sie den verhassten Achill immer und immer und immer wieder als „Achill, das Vieh“ bezeichnet. „Bild“ macht systematisch nicht nur einen Staat, sondern alle seine Angehörigen verächtlich. Es ist eine Form von Volksverhetzung.

Am vergangenen Wochenende hat die „Bild“-Zeitung einen Negativ-Preis für ihre Griechenland-Berichterstattung bekommen. Die „Europa-Union Deutschland“ überreichte ihr die „Europa-Diestel“, weil sie die europäischen Bürger gegeneinander aufbringe. Der Leiter des „Bild“-Hauptstadtbüros und stellvertretende Chefredakteur Nikolaus Blome nahm den Schmähpreis dummstolz entgegen.

„Bild“ widmet seiner Erwiderung heute erstaunlich viel Platz im Blatt. Es ist ein erhellendes, erschütterndes Dokument.

Es beginnt damit, dass er die bloße Kritik an der „Bild“-Berichterstattung als etwas Anrüchiges darstellt und in die Nähe eines Zensurversuchs rückt:

Man kriegt die Distel für etwas, was man besser unterlassen hätte. Für eine Zeitung heißt das: Was sie besser nicht geschrieben hätte. Soll uns der Preis ex post nahelegen zu schweigen, uns also irgendwie „mundtot“ machen?

Und dann nimmt Blome die Zuhörer mit auf eine Reise in die irre Welt, die ein leitender „Bild“-Redakteur für die Wirklichkeit hält.

Was hätten wir also nicht schreiben sollen:

Etwa den Kommentar: Tretet aus, Ihr Griechen! (im April 2010). Nun, die Forderung, sich bitte endlich zu entscheiden, haben sich die Bundeskanzlerin und der französische Präsident zwischenzeitlich ganz offiziell zu eigen gemacht.

So klingt es also, wenn „Bild“ fordert, sich bitte endlich zu entscheiden:

Darum ist die einzige wirkliche Lösung der klare Schnitt: Griechenland muss den Euro verlassen.

Ich wär gern mal bei Blomes zuhause dabei, wenn er sagt: „Uschi, du musst dich jetzt aber mal entscheiden, was du kochen willst: Erbseneintopf.“

Dass „Bild“ den preisgekrönten Nachwuchshetzer Paul Ronzheimer nach Athen schickt, um ihn dort als Deutschen mit Geldscheinen wedeln zu lassen („BILD gibt den Pleite-Griechen ihre Drachmen zurück“), ist in Blomes Welt ein:

Versuch, mit dem medienüblichen Mittel der Straßenumfrage zu erhellen, ob die Griechen ihre alte Währung zurückwollen. Inzwischen vergehen in Griechenland keine sieben Tage, ohne dass eine solche Umfrage gemacht wird.

Blomes Paralleluniversum ist ein glückliches, denn es gibt in ihm keine Häme. Jede Verächtlichmachung ist bloß eine Zustandsbeschreibung, jede hämische Forderung bloß eine Zukunftsprognose. Er zitiert die „Bild“-Schlagzeile „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“ und stellt fest:

Auch hier verspreche ich Ihnen: Exakt so wird es kommen.

„Exakt so“ im Sinne von:

… UND DIE AKROPOLIS GLEICH MIT!

(…)

Wenn wir den Griechen doch noch mit Milliarden Euro aushelfen müssen, sollten sie dafür auch etwas hergeben — z. B. ein paar ihrer wunderschönen Inseln. Motto: Ihr kriegt Kohle. Wir kriegen Korfu.

(Und da wundert sich „Bild“, dass griechische Demonstranten immer wieder auf die Idee kommen, das Deutschland von heute mit Symbolen aus einer noch nicht ganz vergessenen Zeit in Verbindung zu bringen, als Griechenland von Deutschen besetzt war.)

Blome halluziniert, dass „Bild“ bloß anderen, seriösen Zeitungen in der Analyse voraus war. Und an der folgenden Stelle seiner Rede kann ich nur hoffen, dass er so hinter dem Rednerpult stand, dass niemand eine Erektion bemerkt hätte:

Kurzum: Ich gebe zu. Rechthaben macht Spaß. In diesem Maße recht zu haben, und zu behalten, macht fast ein bisschen Angst.

(Ein winziger Realitätscheck dazu beim geschätzten Pleite-Kollegen Pantelouris.)

Ich verdanke Blomes Text aber auch — ganz unironisch — eine brauchbare Kurzformel für die Art von populistischem Pragmatismus, die „Bild“ heute von „Bild“ etwa in den siebziger Jahren unterscheidet — einem ideologischen Kampfblatt in einer ideologischen Zeit. Blome sagt nämlich, „Bild“ hätte „Haltung“ bewiesen. „Haltung“ ist ein schöner, großer Begriff. Wie lautet die „Haltung“, die die Position von „Bild“ in dieser Sache bestimmt, Herr Blome?

Die lautet seit Anfang 2008: Rettet den Euro. Aber nicht so.

Das ist wunderbar und bringt die Postideologie von „Bild“ auf den Punkt. Rettet den Euro, aber nicht so. Rettet die Umwelt, aber nicht so. Rettet den Haushalt, aber nicht so.

Und noch etwas Fundamentales über das Selbstverständnis von „Bild“ verrät Blome, wenn er fragt:

Und glauben Sie im Ernst, BILD hätte die Griechenland-kritische Stimmung gemacht?

Dann drehen Sie es in Gedanken einmal um. Stellen Sie sich vor, BILD hätte von Anfang gesagt: „Ja, gebt Ihnen das Geld, ganz egal was sie angestellt haben, ganz gleich, ob es ökonomisch sinnvoll ist. Das ist europäische Solidarität, das schulden wir Europa.“ Hätte das die Meinung der Deutschen mehrheitlich umgepolt? Ich glaube nicht.

Man möchte lieber mit jedem Vierjährigen in der Trotzphase diskutieren als mit diesem leitenden „Bild“-Redakteur, aber tatsächlich hält man das ja bei seinem Blatt für die Alternative. Am 3. November veröffentlichte das Blatt einen „Wahlzettel zum Volksentscheid“ mit folgenden Antwortmöglichkeiten:

JA, schmeißt ihnen weiter die Kohle hinterher!

NEIN, keinen Cent mehr für die Pleite-Griechen, nehmt ihnen den Euro weg!

Sie trauen der Überzeugungskraft ihrer eigenen, nun ja, Argumente so wenig, dass sie nicht einmal fair Pro und Contra referieren können.

Das schlimmere Fundamentale steckt allerdings in Blomes als Verteidigung gemeinten Satz, dass „Bild“ die „Griechenland-kritische Stimmung“ ja nicht selbst gemacht hätte. Richtig: Das Ressentiment oder wenigstens der Reflex war sicher schon da. „Bild“ hat es nur gehegt, gepflegt und verschärft, um davon zu profitieren. Je mehr „Bild“ hetzte, um so größer wurde das Ressentiment, und je größer das Ressentiment, umso mehr wurde „Bild“ scheinbar zur Stimme des Volkes.

Man denke sich die Argumentation, dass die Hetze nicht so schlimm sei, weil die kritische Stimmung im Volk doch eh schon vorhanden war, übertragen in die zwanziger und dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die Juden-kritische Stimmung war schon da.

Blomes Vortrag endet mit den Worten:

Seien Sie froh, dass es uns gibt.

Nachtrag, 20:40 Uhr. Ganz ähnliche Gedanken in den Worten von Stefan Sichermann stehen nebenan im BILDblog.

Über Abmahnungen

Ich warte auf den Tag, an dem mich jemand verklagt, weil ich ihn klagefreudig genannt habe.

· · ·

Der bekannte Berliner Medienanwalt Christian Schertz möchte nicht mit dem verstorbenen Münchner Rechtsanwalt Günter Werner Freiherr von Gravenreuth verglichen werden. Er meint, dass der Vergleich mit dem als Betrüger verurteilten und für seine umstrittenen Abmahnungen berüchtigten Gravenreuth abwegig ist — das finde ich auch. Und er meint, dass dieser Vergleich deshalb unzulässig ist — das finde ich nicht.

Woher kommt der Gedanke, dass man Dinge, die einem nicht gefallen, mit der Hilfe von Anwälten und Gerichten aus der Welt schaffen lassen kann? Wenn das nicht mit Meinungsfreiheit gemeint ist: dass Leute frei finden und sagen können, an wen ich sie erinnere, egal wie ungerecht mir das erscheinen oder wie unvorteilhaft das für mich sein mag — was denn dann?

Schertz, der sich gerne als Kämpfer für das Gute stilisiert und als Rechtsberater unter anderem die Freiheit der ARD verteidigt hat, einen plumpen Anti-Scientology-Film auszustrahlen, hat in eigener Sache eine besondere Vorstellung von den Grenzen der Meinungsfreiheit. Er hat seinen Dauerfeind, den Gerichtsreporter Rolf Schälike, wegen verschiedener Kommentare hier im Blog abmahnen lassen. Es geht dabei nicht nur um (möglicherweise falsche) Tatsachenbehauptungen. Schälike hatte u.a. kommentiert:

Beide Anwälte [Schertz und Gravenreuth]- der eine post mortal, der andere heute noch – haben einen nachvollziehbaren Grund von der Rechtsprechung enttäuscht zu sein.

Schertz‘ Anwalt forderte deshalb eine Unterlassungserklärung von Schälike:

In diesem Beitrag setzen Sie unseren Mandanten und sein rechtliches Vorgehen mit den Methoden und dem Vorgehen des verstorbenen Rechtsanwalts von Gravenreuth dar [sic]. Dies muss mein Mandant nicht hinnehmen.

Schälike hat mich aufgrund des rechtlichen Vorgehens von Schertz gegen ihn gebeten, alle seine Kommentare unter den entsprechenden Einträgen zu löschen. Doch das ist nicht nur eine Privatfehde. Schertz meint es auch von anderen nicht hinnehmen zu können oder zu müssen, mit Gravenreuth verglichen zu werden.

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Ich hatte in den vergangenen Wochen mehrfach wieder Kontakt zu dem Anwalt von Stephan Mayerbacher, einem Geschäftsmann aus der Call-TV-Branche, der bereits mehrfach juristisch gegen mich vorgegangen ist. Diesmal bekam ich keine Abmahnungen, sondern wurde „im Guten“ auf Kommentare in diesem Blog hingewiesen, die Herr Mayerbacher für unzulässig hält.

Unter anderem wurde ich aufgefordert, den von einem Kommentator geäußerten Verdacht zu löschen, „Herr Mayerbacher durchsuche Internetforen und -blogs nach abmahnfähigen Beiträgen“, denn das sei unwahr.

Man kann das für eine Form von Ironie halten, wenn jemand seinen Anwalt damit beauftragt, den Betreiber eines Blogs darauf hinzuweisen, dass die Behauptung, er durchsuche Blogs nach abmahnfähigen Beiträgen, abmahnfähig ist. Es ist nur nicht so witzig, so lange man davon ausgehen muss, dass das Hamburger Landgericht darüber nicht lachen kann, sondern im Zweifel einen Beweis dafür will, dass Herr Mayerbacher tatsächlich Blogs und Foren durchsucht und sie nicht vielleicht durchsuchen lässt oder, ganz ohne Suche, zufällig immer wieder auf diese abmahnfähigen Beiträge stößt. Weil ich tatsächlich nicht weiß, was Herr Mayerbacher so in seiner Freizeit macht (aktuell weiß ich nicht einmal, was er beruflich macht), habe ich den entsprechenden Kommentar gelöscht.

Der Anwalt hatte mich auch gebeten, einen Kommentar zu löschen, in dem jemand schreibt, dass Mayerbacher seinen Sitz im Verwaltungsrat des Schweizer Fernsehsenders Star TV „abgegeben hat bzw. abgeben durfte“. Die Formulierung suggeriere, Mayerbacher habe seine Verwaltungsratstätigkeit unfreiwillig aufgegeben, was unwahr sei. Das tut sie meiner Meinung nach nicht, weshalb ich den Kommentar nicht gelöscht habe. Wenn selbst eine solche Formulierung nicht erlaubt wäre, eine bloße Umschreibung des „keine Ahnung, warum der gegangen ist, ob’s freiwillig war?“ schon unzulässig wäre, könnten wir’s wirklich gleich lassen mit der Meinungsfreiheit.

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Mayerbachers Anwalt sieht in ein paar kryptischen Beiträgen tief in den Kommentarspalten dieses Blogs ein „Kesseltreiben“ gegen seinen Mandanten, das der sich nicht gefallen lassen müsse. Und er fügte den bemerkenswerten Satz hinzu: „Ich sehe auch nicht, worin der Wert für Ihren Blog liegen soll.“

Diese Leute — nicht nur dieser Anwalt oder sein Mandant, sondern viele andere — haben das elementare Prinzip der Meinungsfreiheit nicht verstanden. Sie haben nicht verstanden, dass sie ein Wert an sich ist. Dass sie auch Beiträge schützt, die nach irgendwelchen subjektiven oder objektiven Maßstäben wertlos sind. Artikel 5, Absatz 1, Satz 1 des Grundgesetzes lautet nicht: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, solange es sich um ein wichtiges Thema handelt und ein Interesse der Öffentlichkeit an dieser Meinung besteht.“

Man kann diesen Leuten das Missverständnis nicht einmal verübeln, denn die Hamburger und Berliner Gerichte, vor die sie in einer langen Karawane ziehen, um ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Ansprüche durchzusetzen, sind dem gleichen Missverständnis erlegen. Seit einigen Wochen haben sie das sogar schwarz auf weiß, formuliert vom Bundesverfassungsgericht. Es erklärte den Berliner Richtern, dass das Persönlichkeitsrecht eines Menschen

seinem Träger keinen Anspruch darauf vermittelt, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es ihm selbst genehm ist (…).

Das Bundesverfassungsgericht fürchtete,

dass die Gerichte den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG grundlegend verkannt haben. Zwar handelt es sich bei dem — hier als gering erachteten — öffentlichen Informationsinteresse um einen wesentlichen Abwägungsfaktor in Fällen einer Kollision der grundrechtlich geschützten Äußerungsinteressen einerseits und der Persönlichkeitsbelange des von der Äußerung Betroffenen andererseits. Dies bedeutet aber nicht, dass die Meinungsfreiheit nur unter dem Vorbehalt des öffentlichen Interesses geschützt wäre und von dem Grundrechtsträger nur gleichsam treuhänderisch für das demokratisch verfasste Gemeinwesen ausgeübt würde.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte schließlich,

dass die Äußerung wahrer Tatsachen, zumal solcher aus dem Bereich der Sozialsphäre, regelmäßig hingenommen werden muss.

Adressat dieser Grundrechts-Nachhilfe waren formal die Berliner Gerichte, de facto aber auch Christian Schertz, der ursprünglich geklagt und zunächst gewonnen hatte. Auf der langen Liste von Dingen, die er glaubt, trotz Meinungsfreiheit nicht hinnehmen zu müssen, steht nämlich auch das wahrheitsgemäße Zitieren aus einer E-Mail, die er als Antwort auf eine bissige Presseanfrage geschrieben hatte und in der er — wie es seine Art ist — gleich wieder mit juristischen Konsequenzen drohte.

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Nun ist es eine schöne Sache, dass die obersten deutschen Gerichte der systematischen Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit durch die Hamburger und Berliner Pressekammern zunehmend widersprechen. Aber der Weg zu diesen obersten Gerichten ist weit und teuer.

Ende vergangenen Jahres hat Stephan Mayerbacher beim Hamburger Landgericht eine einstweilige Verfügung gegen mich erwirkt, die mir praktisch untersagt, eine Verbindung herzustellen zwischen ihm und Vorwürfen, die gegen bestimmte Firmen erhoben werden, für die er in verschiedenen Formen gearbeitet hat. Es bestand aufgrund eines Urteils des Bundesgerichtshofes zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ich diese Auseinandersetzung in letzter Instanz gewinnen könnte. Aber in der ersten und zweiten Instanz in Hamburg waren meine Aussichten gleich null, so dass ich auf den langen, teuren Rechtsstreit (mit natürlich ungewissem Ausgang) verzichtet, den Blogeintrag gelöscht, die einstweilige Verfügung akzeptiert und die Anwalts- und Gerichtskosten von deutlich über 2000 Euro gezahlt habe.

Am ärgerlichsten daran ist, dass das jeden Kommentar zu dem Thema in meinem Blog oder jede künftige Berichterstattung von mir über Mayerbachers Geschäfte äußerst heikel macht. Nicht ohne Grund hängt sein Anwalt an die Mails, die er mir „im Guten“ schickt, immer mal wieder das PDF mit der einstweiligen Verfügung.

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Nun gibt es sicherlich schwerwiegendere Fälle als die hier genannten, in denen irgendwelche mächtigen oder jedenfalls finanzkräftigen Gruppen oder Unternehmen versuchen, Berichterstattung über sich zu verhindern. Aber gerade die Alltäglichkeit, die Abmahnungen und einstweilige Verfügungen geworden sind, finde ich beunruhigend.

Für erstaunlich viele Menschen, Gruppen und Unternehmen scheint es ganz normaler Bestandteil des Repertoires einer Auseinandersetzung zu sein, anderen ihre Äußerungen zu verbieten. Das ist nicht nur ein juristisches Problem, sondern auch ein gesellschaftliches und kulturelles.

Ein Beispiel.

Vor kurzem beklagte sich Alexander Görlach in seinem konservativen Online-Magazin „The European“, dass der neue Chefredakteur Michael Naumann das konservative Print-Magazin „Cicero“ nach links rücken wolle. Görlach war früher selbst bei „Cicero“ und schien sehr, sehr aufgeregt über das, was da bei seinem alten Blatt passierte, das offenbar — unbemerkt von der Öffentlichkeit — bislang eines der erfolgreichsten und wichtigsten Medien der Republik war. Die „Cicero“-Mitarbeiter flüchteten massenhaft vor Naumann und seinen linken Meinungsdiktaten, hyperventilierte Görlach: „Cicero ist erledigt.“ Außerdem habe Naumann einen Dienstwagen erwartet, aber keinen bekommen, was sicher irgendwas beweisen sollte.

Naumann antwortete, dass das „alles Quatsch“ sei, sponn, dass das ein „schlechtes Licht auf den Online-Journalismus“ werfe, und widersprach auch der Sache mit dem Dienstwagen. Aber er beließ es nicht dabei. Er schickte über seinen Anwalt auch eine teure Abmahnung. Der „Berliner Zeitung“ erklärte er: „Geht man gegen solche Artikel nicht juristisch vor, bleiben sie ewig an einem hängen.“

Was für ein Irrsinn. Der Artikel auf „The European“ ist zwar jetzt gelöscht. Aber die Zitate aus ihm in den Fachmedien wirken nun viel überzeugender als in ihrem ursprünglichen, von merkwürdiger persönlicher Gekränktheit durchweichten Gesamttext. Glaubt Naumann wirklich, dass die Menschen nun seiner Version der Dinge glauben, weil Görlach eine Unterlassungserklärung unterzeichnet hat? Hat Görlach das getan, weil er eingesehen hat, dass Fakten falsch waren, oder doch nur, weil er eine noch kostspieligere Auseinandersetzung vor Gericht vermeiden wollte?

Naumann glaubt womöglich, dass er den Anwalt einschalten musste, um zu beweisen, dass die Behauptungen wirklich falsch sind. Als würden Anwälte nicht gerade dann gerne eingeschaltet, wenn Behauptungen wahr sind.

Vielleicht wollte er aber auch nur das gute Gefühl haben, jemandem gezeigt zu haben, wo der Hammer hängt. Das ist als psychologisches Moment sicher nicht zu unterschätzen, diese Genugtuung, dass jemand einem schwarz auf weiß gibt, etwas nicht mehr behaupten zu wollen — und dafür sogar Geld zahlen muss.

Zu einer gerichtlichen Entscheidung kam es in diesem Fall gar nicht mehr, weil Görlach die geforderte Unterlassungserklärung abgab. Aber auch die hätte vermutlich keine Klarheit in der Sache gebracht. Natürlich lässt sich so eine einstweilige Verfügung gut verkaufen. Und womöglich gibt es sogar noch zwei, drei Ahnungslose, die glauben, einer solchen Entscheidung läge eine Art Beweisaufnahme zugrunde, in der die Richter gründlich prüfen, womöglich noch Zeugen anhören und dann quasi ein fundiertes, offizielles Urteil darüber abgeben, welche Version der Wahrheit die richtige ist. (So ist es nicht.)

Es ist traurig, das einem alternden Publizisten wie Naumann erklären zu müssen, aber es gibt etwas, das viel überzeugender ist als die (Fehl-)Urteile komischer Richter: Argumente.

Mir will nicht in den Kopf, warum ausgerechnet Journalisten und Medien, die selbst beste Möglichkeiten haben, ihre Widersprüche zur Darstellung anderer zu veröffentlichen, falsche Tatsachenbehauptungen gerade zu rücken und ungerechtfertigte Unterstellungen zu entkräften, glauben, sie müssten zu einem Gericht rennen. Selbst ein Henryk M. Broder, der ein gewaltiges Arsenal sprachlicher Waffen und Knallkörper zur Verfügung hat und auf sein Recht pocht, davon ohne Rücksicht auf Verluste Gebrauch zu machen, hat keine Hemmungen, anderen mit Hilfe von Anwälten und Richtern den Mund verbieten zu wollen.

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Angenommen, jemand schreibt, „der Niggemeier ist schlimmer als Hitler“. Bestimmt müsste ich das nicht hinnehmen. Aber warum sollte ich dagegen vorgehen? Spricht angesichts eines solchen Vergleichs nicht alles dafür, darauf zu vertrauen, dass auch andere Leute ihn für abwegig halten — und der Vergleich nicht mir schadet, sondern demjenigen, der ihn macht?

Wenn es völlig abwegig ist, die Anwälte Schertz und Gravenreuth miteinander zu vergleichen, muss Schertz nicht dagegen vorgehen. Dadurch, dass er es doch tut, demonstriert er paradoxerweise nicht nur seine Macht, sondern auch fehlendes Selbstbewusstsein. Er könnte den Vergleich sonst einfach aushalten. Oder glaubt er ernsthaft, dass er, sobald er erfolgreich jeden dieser Vergleiche aus dem Internet geklagt hat, von niemandem mehr für so ähnlich wie Gravenreuth gehalten wird? Dass sich Meinungen genauso verbieten lassen wie Meinungsäußerungen? (Ganz abgesehen natürlich von dem schönen Paradoxon, dass er mit jeder dieser Klagen dem Mann ähnlicher scheint, dem er nicht ähnlich sein will.)

Was genau hat sich jemand wie der DFB-Chef Theo Zwanziger davon erhofft, Jens Weinreich zu verklagen, weil der ihn in einem konkreten Zusammenhang als „Demagogen“ bezeichnet hat? Glaubt er, dass seine Kritiker ihn nicht mehr für einen „Demagogen“ halten würden, wenn er ihnen verbietet, ihn öffentlich so zu nennen?

Natürlich schadet es einer Debatte, wenn sie Grenzen überschreitet, wenn Beleidigungen oder Verleumdungen überhand nehmen. Aber im Moment sehe ich unser Diskussionskultur nicht von den Auswüchsen falsch verstandener Meinungsfreiheit bedroht, sondern von den Exzessen einer ausartenden Abmahnunkultur. Im Zweifel ist mir eine Welt lieber, in der zuviel herumkrakeelt wird, als eine, in der jeder damit rechnen muss, dass ihn jedes falsche Wort (und viele wahre) viel Geld kostet.

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Natürlich gibt es Fälle, in denen es legitim ist oder sogar notwendig sein kann, Veröffentlichungen verbieten zu lassen (und es haben nicht einmal alle dieser Fälle mit der „Bild“-Zeitung zu tun). Aber müsste das in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht das letzte Mittel sein? Eine drastische Maßnahme für besonders drastische Fälle — anstatt ein Routinewerkzeug in jeder Auseinandersetzung? Es ist völlig das Bewusstsein dafür abhanden gekommen, was für ein einschneidender Schritt das ist: jemandem zu verbieten, etwas zu sagen.

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Vielleicht ist das bei Leuten wie Christian Schertz auch eine berufliche Deformation. Der Anwalt käme gar nicht mehr auf den Gedanken, dass er einer falschen oder irreführenden Aussage einfach widersprechen und damit Menschen überzeugen könnte. Er lässt sie löschen. Sie muss verschwinden, als hätte es sie nie gegeben.

Es geht diesen Leuten nicht mehr darum, sich Gehör zu verschaffen. Es geht ihnen darum, die anderen zum Schweigen zu bringen.

Das ist eine nachvollziehbare Vorgehensweise bei dubiosen Geschäftemachern, deren Abzockmodelle von jeder öffentlichen Debatte über ihre Hintergründe und Funktionsweisen bedroht sind. Für alle anderen müsste sie sich verbieten.

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Durch den Gang zum Anwalt und zum Gericht wird aus einer Auseinandersetzung um Wahrheit zu einer, in der regelmäßig nicht derjenige gewinnt, der Recht hat, sondern der sich die Auseinandersetzung leisten kann. Der Mächtige gewinnt.

Mich hätte sehr interessiert, wie Springer oder die „Welt“ ihre Abmahnung gegen BILDblog neulich öffentlich begründet hätten. Der Kampf um die Wahrheit oder das Recht auf eine korrekte Darstellung kann es ja nicht sein, dafür hätte es ein Anruf oder eine E-Mail getan. Natürlich war das eine reine Machtdemonstration.

Und so wunderbar es ist, dass unsere Leser uns in einem solchen Maß unterstützt haben, dass uns auch vor weiteren Machtdemonstrationen erst einmal nicht bange sein muss, und so sehr ich mich freue, dass auch Stefan Aigner von regensburg-digital.de für seinen Kampf gegen das Bistum Regensburg viele Tausend Euro bekommen hat — das kann es doch auf Dauer nicht sein, dass die Blogger und ihre Fans und Leser diesen Wahn auch noch selbst finanzieren.

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Dieser Text hat keinen Schluss. Das liegt daran, dass er in den nächsten Tagen weiter geht.