Im Frühling 2013 saß ich in der FAZ-Redaktion in Frankfurt in seinem Büro. Ich wollte herausfinden, ob ich wieder willkommen wäre, wenn ich zurückkehren wollte.
Eineinhalb Jahre vorher war ich zum „Spiegel“ gegangen, der mir ein tolles Angebot gemacht hatte. Ich erinnere mich daran, dass mir damals graute vor dem Telefongespräch mit Frank Schirrmacher, in dem ich ihm davon erzählen musste. Ich wusste nicht, wie er reagieren würde; ob er es undankbar oder unverständlich finden würde, nach all den Freiheiten, die ich bei der FAS genoss; ob es gelingen würde, im Guten zu gehen, ohne böses Blut.
Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen. Er war ungemein warmherzig und großzügig am Telefon, er hatte Verständnis, wünschte mir Glück und versprach, wenn ich wieder zurückkommen wollte, wäre immer ein Platz für mich in der Zeitung: Ich könnte weitermachen, wo ich aufgehört hatte, unter den gleichen Bedingungen, wie auch immer, jederzeit.
Eineinhalb Jahre später stellte sich heraus, dass das kein leeres Versprechen war. Ich saß in seinem Büro, er freute sich, dass ich zurückkommen wollte und erzählte sofort von großen Dingen, die geschehen müssten, und von den Sorgen, die er sich machte, um die Zeitungen, um die Zeitung.
Irgendwie kam das Gespräch darauf, ob ich in Berlin in der Redaktion arbeiten wolle, und ich sagte, dass das schon deshalb schwierig sei, weil ich einen Hund hätte und bei einem Besuch vergeblich versucht hatte, damit am Pförtner vorbeizukommen. Die Hausordnung sei da unmissverständlich und ganz streng.
Das könne gar nicht sein, sagte Schirrmacher, und das wisse er ganz genau, denn er selbst sei schon ein paar Mal mit dem Dackel seiner Frau in der Redaktion gewesen. Es brauchte eine ganze Weile, bis es gelang, ihm zu erklären, dass die Tatsache, dass ein Herausgeber in der FAZ etwas tun darf oder jedenfalls nicht daran gehindert wird, nicht bedeutet, dass andere es auch tun dürfen. Es war nicht so, dass er je auf einem Privileg bestanden hätte, seinen Hund mitnehmen zu dürfen. Er wusste gar nicht, dass er von einer Vorzugsbehandlung profitierte. Er konnte es sich, als er es erfuhr, kaum vorstellen.
Nun sponn er mit einer großen Lust Pläne, wie man meinen Hund trotzdem in die Redaktion schmuggeln könnte, denn dass das nicht gehen könnte, war keine Möglichkeit für ihn. Blindenhunde!, meinte er, als Blindenhund müsste man ihn doch mitnehmen können, ob ich nicht sagen könnte, dass das mein … oder, nein, so müsste es gehen: Wenn der Pförtner sich nicht traut, den Herausgeberhund des Hauses zu verweisen, dann müsste ich eben meinen Hund als seinen ausgeben. Wenn mich jemand fragt, sollte ich sagen: Das ist der Hund von Schirrmacher. So würde es gehen.
Es war sehr albern und lustig und es hatte zugleich so ein ernstes Bemühen, irgendwelche Hindernisse aus dem Weg zu räumen, denn dafür waren Hindernisse schließlich da.
Ich habe dann später doch, wenn ich in der Redaktion vorbeischaute, den Hund immer irgendwo anders gelassen, aber ich verließ sein Büro an diesem Tag mit dem guten Gefühl, dass es an dem Hund nicht scheitern würde und an allem anderen auch nicht.
Wunderbare Anekdote, wirklich ein toller Mann.
Was mir beim Lesen der ganzen Nachrufe aber auffällt: Die Medien scheinen für Journalisten ein Dorf zu sein, wo jeder jeden kennt oder zumindest einmal begegnet ist. ;-)
Der Mann war gut. Ach … ist gut. Lasst ihn uns einfach lebendig halten!
Einfach den Hund hinter einer gedruckten Ausgabe verstecken und wenn jemand fragt, was dahinter ist: Ein kluger Kopf.
Das ist wirklich eine sehr schöne und anrührende Geschichte.
Das ist eine wunderschöne Geschichte. Danke fürs teilen.
Der gewiss beste Nachruf, den ich bisher gelesen habe.
Was nicht so schwer ist.
Aber trotzdem.
Danke!
@Muriel (6): Ich habe schon einige schöne Nachrufe gelesen – u.a. auch bei der FAZ. Insofern verstehe ich die Bemerkung „Was nicht so schwer ist“ nicht.
Sei’s drum: wirklich ein schöner und anrührender Nachruf, Herr Niggemeier. Danke dafür.
@Muriel: Ich habe viele außergewöhnliche und außergewöhnlich treffende Nachrufe gelesen. Die FAZ vom Samstag ist voll davon, die FAS ist es auch.
Ein wirklich bemerkenswerter, schöner Nachruf. Kein Saldabern sondern ein scharfer, beleuchtender Strahl auf sein ICH. Und er strahlt das „danke, dich zu kennen“.
Chapeu !
sorry, in Chapeau fehlte das a.
Hier beräuchert sich eine geschlossene Kaste. Lasst mal die Kirche im Dorf. Der Mann hat seinen Job gemacht. Und den möglicherweise besser und ernsthafter als andere. Darüberhinaus ist natürlich jeder Tod mit Anfang 50 zu früh und tragisch. R.I.P.
Da gucke ich mal nach Jahren wieder hier vorbei und finde diesen anrührenden Text vor. Schirrmacher wusste offensichtlich um die besondere soziale Eigenschaften von Hunden die Mensch am Arbeitsplatz mitbringt. Und recht hat er gehabt. Hunde am Arbeitsplatz geben dem Teamwirken eine besondere Note mit. So ein Hund ist ein kommunikativer Faktor, der vieles mehr bewegt, als Menschen das nur unter sich können! Sollte so manchen hartleibigen Unternehmen wo es normal möglich wäre, den Hund mitzubringen klar gemacht werden. Ich glaube dazu gibt es einige Studien.Schirrmacher kannte sie offenbar……..
alte Journalistenweisheit: Kinder und Tiere gehen immer. Niedlich…
Jedenfalls schöner und persönlicher als der unterkühlte Nachruf in der SZ, der ungefähr 7-mal so lang war.
Wunderschön.
Einfach alles umdefinieren. <3
Nun ja, es gibt einen Nachruf im Tagesspiegel, der doch etwas anders klingt:
http://www.tagesspiegel.de/kultur/zum-tod-von-faz-herausgeber-frank-schirrmacher-ein-wunderkind-mit-freude-am-experiment/10036708.html
Man hat im Leben nicht nur Freunde, und Schirrmacher scheint bei all seinen Verdiensten auch einigen ziemlich auf die Füße getreten zu sein.
danke für stefan. mustest wohl auch erstmal die nachricht selbst verdauen.
@claudia: schätze, als freigeist wird man auch einigen ab und an mal auf die füsse latschen. „tyrannei“, naja, whatever *that* means…
Tolle Geschichte!
Die Nachrufe in den großen Zeitungen (naturgemäß eher nicht in die in der FAZ) zeichnen ein sehr differenziertes Bild Schirrmachers, auch und gerade von seinen Schwächen, siehe Süddeutsche Zeitung, was ich gut finde. Ich mag keine Nachrufe als Lobeshymnen, das wird den Toten nicht gerecht. Ich lese ja auch keine geschönten Biographien, ich will die ganze, auch schwache und ungerechte Person sehen, warts and all, wie es so schön heißt. Herrn Niggemeiers Geschichte ist sehr privat und eher eine persönliche Reminiszens als ein Nachruf – und das ist ja auch nachvollziehbar.
@Stefan Niggemeier: Ich habe vor deinem nur zwei oder drei gelesen, weil zugegebenermaßen mein Interesse irgendwo begrenzt ist, und war von denen ziemlich erschüttert.
Aber es kann natürlich sein, dass ich einfach mit der Auswahl Pech hatte. Danke für den Hinweis jedenfalls.
Frank Schirrmacher ging uns voraus, wir sollten ihm folgen, wenn wir etwas gegen das Methusalem-Komplott ausrichten wollen!
@Weihrauch:
Hab´ ich mir gedacht, daß die Stänkerer sich auch noch zu Wort melden.
Also ich hätte es damals ja wenigstens einmal ausprobiert um zu sehen, ob die der Herausgeber wirklich so weit hinter einem steht oder das Ganze nur Theorie war.
[…] zu schenken, die das Schreiben brauchte. Stefan Niggemeier veröffentlichte erst am Sonntag seine Erinnerung an Frank Schirrmacher. Bezeichnenderweise kündigt er sie mit „Kein Nachruf“ […]
eitel mit hund. schade: ich, ich, ich. und dann der tote.
[gelöscht]
Nein, diese Geschichte ist nicht eitel, aber die erste, die ich zu Schirrmacher in SpOn las, war es. Ich sach nur „baden gehn“….
[…] Volker Zastrow, Michael Seemann, Kutter, Titel, Thesen, Temperamente, Nico Hofmann, Niklas Maak, Stefan Niggemeier, Nicola Wessinghage, Juli Zeh.Was nicht fehlt? Die heutige Frühkritik von Günther Jauch. Mein […]
Schirrmacher mochte Niggemeier.
[…] Stefan Niggemeier | Schirrmacher und der Hund – Wenn der Pförtner sich nicht traut, den Herausgeberhund des Hauses zu verweisen, dann müsste ich eben meinen Hund als seinen ausgeben. Wenn mich jemand fragt, sollte ich sagen: Das ist der Hund von Schirrmacher. So würde es gehen. […]
Sehr netter Artikel über einen Mann, den ich sehr verehre. Wirklich schade – er hätte uns noch um vieles bereichern können. Und den „Hund von Schirrmacher“ hätte ich unbedingt mal mitgebracht. Nur um zu sehen, ob das klappt ;-)