Sat.1: Selbstmord aus Angst vor dem Tod

Wenn ich noch einen Artikel lesen muss, in dem jemand Mitleid mit Sat.1 äußert, weil die Zuschauer zu dumm sind, das ehrgeizige Programm des Senders zu goutieren, schreie ich (treffenderes Verb nach Belieben einfügen).

Die ersten beiden Folgen des viel gelobten Vierteilers „Blackout“ hatten jeweils rund 1,7 Millionen Zuschauer. Ja, das viel zu wenig, um sich zu rechnen. Aber es sind immerhin 1,7 Millionen Zuschauer, die nach dem Ansehen der restlichen zwei Folgen wahrscheinlich begeistert gewesen wären von dem ungewöhnlich guten Thriller. Einige davon wären womöglich richtige Fans von Sat.1 geworden.

Aber Sat.1 entschied sich, auf diese Zuschauer zu verzichten (treffenderes Verb nach Belieben einfügen) und die restlichen zwei Folgen in die Nacht zu verschieben. Teil drei begann sogar noch nach den „Witzigsten Werbespots der Welt“ und „Planetopia“. Von den 1,7 Millionen „Blackout“-Zuschauern verabschiedeten sich vier Fünftel: Folge drei hatte nur noch 0,37 Milionen Zuschauer.

Anstelle von „Blackout“ zeigte Sat.1 in der Primetime die üblichen Sonntagsserien „Navy CIS“ und „Criminal Minds“. Sie hatten schlechte Quoten und kamen im Schnitt auf 2 Millionen Zuschauer. 300.000 mehr, als „Blackout“ an dieser Stelle hatte. Glückwunsch. Das hat sich ja gelohnt! Und wieviele der 1,7 Millionen „Blackout“-Fans werden das nächste Mal noch einschalten, wenn Sat.1 wieder einen ehrgeizigen Mehrteiler ankündigt, und sich nicht denken: „Das kommt dann eh ab Folge 3 wieder nur in die Nacht, wenn überhaupt“?

Vor genau einem Jahr zeigte Sat.1 die wunderbare Serie „LiebesLeben“. In dreizehn Teilen erzählte sie modern und innovativ die Geschichten einer Gruppe junger Leute zwischen Singleglück und Beziehungselend, Singleelend und Beziehungsglück. Ich fand die Serie grandios, aber die Quoten waren nicht gut. Ehrlich gesagt waren sie schlecht. Aber eine Dreiviertelmillion Zuschauer sah fast immer mindestens zu, eine halbe Million davon aus der wichtigen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen.

Sie verfolgten die, wie gesagt, fortlaufenden, aufeinander aufbauenden Geschichten. Bis die achte Folge wegen eines Fußballspiels ausfallen musste. Und was zeigte Sat.1 in der nächsten Woche? Folge neun.

Folge 8 wurde nie nachgereicht. Und die Folgen 12 und 13 ließ Sat.1 ganz weg. Nach Folge elf hörte der Sender einfach auf, tat so, als sei das die letzte Folge gewesen. Obwohl auch sie, wie die davor, mit einem Cliffhanger endete. Auf Nachfrage bestritt der stellvertretende Geschäftsführer und Programmplaner von Sat.1, Volker Szezinski, noch Monate später, dass die Serie überhaupt eine fortlaufende Handlung habe.

Ein Sender, der so mit seinen Zuschauer umgeht, darf sich nicht wundern, wenn er irgendwann keine Zuschauer mehr hat, die gute Serien zu schätzen wissen. Und Mitleid hat nicht er verdient, sondern wir.

PS: Am Samstag hat Kabel 1, das die „Blackout“-Folgen jeweils ein paar Tage nach Sat.1 wiederholt, versehentlich nicht Teil 2 gezeigt, der an der Reihe gewesen wäre und angekündigt war, sondern erneut Teil 1.

Kann bitte jemand unser Fernsehen aus den Händen dieser Leute befreien?

25 Replies to “Sat.1: Selbstmord aus Angst vor dem Tod”

  1. Um die Schelte der zukünftigen Berlusconi-Sendergruppe komplett zu machen: Pro7 hat mitten in der 2. Staffel von Nip/Tuck Schluss gemacht. Hallo? Dort denkt wohl niemand an die armen Abhängigen, die dann schnell DVDs besorgen müssen.

    Früher gab es wenigstens noch Ansagerinnen, die solche Aktionen erklärt haben. Heute muss man Quotenlisten lesen, um sich selbst zu erklären, warum sowas passiert…

  2. Auch ich gehörte zu den Zuschauern des ersten Teils.

    Den zweiten Teil konnte ich dann nicht „live“ sehen und freute mich über die Wiederholung bei Kabel1. Jetzt kann ich diese Aufzeichnung wohl ungesehen von der Platte löschen. Teil3 und 4 brauche ich dann ja auch nicht mehr.

  3. Ein geringer Trost: Dem amerikanischen Publikum geht es stellenweise nicht viel besser. Die vielgelobte Science-Fiction-Serie „Firefly“ wurde vom Sender FOX so stiefmütterlich behandelt, dass die erste Staffel nach 12 Folgen eingestellt wurde. Dort wurden auch die Episoden ohne Rücksicht auf die Story wild durch den Sendeplan jongliert. Mittlerweile wurde das DVD-Set millionenfach verkauft und jemand bei FOX beißt sich in den Arsch …

  4. @rossi:
    kabel eins zeigt den zweiten Teil nun doch noch am nächsten Mittwoch um 22:00 Uhr, den dritten Teil dann im Anschluss gegen 0 Uhr. Du musst also nichts löschen ;-)

  5. Das alte Problem bei den Privaten. Aus welchen Gründen auch immer investiert man von Zeit zu Zeit in „hochwertigere“ Programmware. Die funktioniert dann regelmässig nicht. Meist – wie hier jetzt wieder – weil das ganze auf wenige Folgen angelegt ist, keine riesengrosse Werbekampagne zur Begleitung geplant wird (ganz im Gegenteil dazu Pro7 zu seinen Sonntagsspielfilmen ;-)…

    … und vor allem, weil dazu Programmplätze genommen werden, auf denen man zuvor ziemlich inkompatibles Programmmaterial gesendet hatte.

    Ich fände es schön, wenn mal irgendjemand zu der Erkenntnis kommen würde, dass Action-US-Krimis mit „feinsinnigen“ deutschen Produktionen vielleicht doch unterschiedliche Bedürfnisstrukturen hervorrufen…?!

    Aber die Krönung ist in der Tat, dass Ding mittendrin abzusetzen (das ist es, was die Verschiebung de facto bedeutet hat). Ich möchte unterstellen, hätte man einfach die vier Abende durchgehalten, hätte man wohl immer noch keine gute Quote erzielt. Aber man hätte Schlüsse für die Zukunft ziehen können, die jetzt natürlich kaum feststellbar sind.

    Was soll’s: die Dummen sterben wohl nie aus. Hauptsache, das Geld für die Produktion wurde voll in den Sand gesetzt.

    By the way: das Chaos mit den Ausstahlungen hat aber ganz lange Tradition: ich denke hier nur an Wiseguy auf RTL… vor fast schon Jahrzehnten ;-)

  6. Heilige Wut passt da gut. Stell dir mal vor du hast einen guten Film gemacht und der wird so versendet, ist doch scheisse.
    Was kann man tun?

    4400 – kann sich jemand erinnern?

  7. Re: „und vor allem, weil dazu Programmplätze genommen werden, auf denen man zuvor ziemlich inkompatibles Programmmaterial gesendet hatte.“

    Ich denke das Problem ist eher, dass das Fernsehvolk durch 100%ige Durchformatierung und Audienceflow faul wurde und nun schlichtweg nicht damit rechnet, ungewohnte Ware vorzufinden und entsetzt wegrennt bzw. gar nicht erst sonntagabends um 20h15 auf SAT.1 mit etwas anständigem rechnet.

    opfer der eigenen strukturen.

  8. @dogfood: da gebe ich dir recht. (Auch ich habe die ersten Teile verpasst, weil ich auf SAT.1 schlichtweg nichts, was mich interessieren hätte können, erwartet hätte.)
    Aber ich kenne niemanden in verantworlicher Position (auch Ö-R), der wenn überhaupt, davon träumen würde, das wieder zurückfahren zu wollen… geschweige denn, entsprechend zu handeln.

    Manchmal wünsche ich mir scho die Tage von Thoma, Klatten & Co. zurück.

  9. Das ist wirklich eine Frechheit. Ich habe den Eindruck, daß Sat 1 das mit Absicht gemacht hat, und zwar um ihr Maxdome Projekt zu pushen. Denn wer sich jetzt bei Maxdome (ich lasse absichtlich die URL weg) kostenlos und unverbindlich registriert, kann den Vierteiler dort anschauen. Bescheuerter gehts eigentlich kaum.

  10. […] Stefan Niggemeier, Mit-Autor des BILDBlogs, ärgert sich überkritisiert in einem Eintrag seines persönlichen Blogs das deutsche Fernsehen, allen voran SAT.1, das aus “Quotengründen” häufig gute Serien frühzeitig absetzt oder diese ins Nachtprogramm verschiebt. Ein Sender, der so mit seinen Zuschauer umgeht, darf sich nicht wundern, wenn er irgendwann keine Zuschauer mehr hat, die gute Serien zu schätzen wissen. Und Mitleid hat nicht er verdient, sondern wir. (…) Kann bitte jemand unser Fernsehen aus den Händen dieser Leute befreien? zitiert aus: Stefan Niggemeier. Sat.1: Selbstmord aus Angst vor dem Tod (6. November 2006, 13:51) […]

  11. Einerseits mag so eine Sendepolitik ärgern, andererseits bezahle ich für den Privatsender keine direkten Gebühren. Nerviger finde ich, wenn sowas die ÖR machen. Da ist dann gar keine Regulierung über den Markt möglich.

  12. War es nicht ein gewisser Stefan Niggemeier, der in der FAS vom 29.01.2006 geschrieben hat, die Zeiten, dass uns Programmverantwortliche vorschreiben können, was wir wann zu sehen haben, seien vorbei? – Lasst sie doch weitermachen, es geht vorbei.

  13. @marcc: du bist in den letzten drei jahren der erste mensch,den ich sagen höre, dass die öffentlich-rechtlichen sich komplett der regulierung durch den markt a.k.a. quoten, entzieht.

    meistens geht das gequengel eher in die andere richtung: ÖRs zu quotengeil.

  14. Meiner Meinung nach, liegt das Problem darin, dass der
    durchschnittliche Bürger mit einem gewissen Anspruch,
    zurecht wenig Fernsehen schaut und so die Perlen verpasst. Ich habe Blackout gestern Nacht durchzufall gesehen und bin nur auf Sat1 hängengeblieben da ich den gestrigen Artikel über Blackout in der FAS gelesen habe.

  15. „Blackout“ war aber doch gar keine Perle. Das entschuldigt natürlich den Verschiebebahnhof nicht, macht aber die mancherorten geäusserte Publikumsverdammung noch ärgerlicher. Gebrochene Figuren, Undercover“cops“, Großstadt und viel fahles Licht machen noch kein interessantes Programm. DAS wär auch etwas, was die Fernsehleute mal lernen könnten.

  16. danke!
    ich hab selten so ne gute „serie“ (ist denn 4x mal zu viel für den mündigen Video-Besitzer?!) gesehen. Endlich hätte sat1 die Chance gehabt, sich vom ….(dieses Wort das mit Pr.. anfängt und mit ..iat aufhört) abzusetzen.. naja, da wird dann lieber der 08/15 sch… geboten. Ich war Kabel 1 zumindest dankbar, dass sie es fast geschafft haben, alles nach normalem Programm zu senden…
    Und, sobald die DVD zu Blackout rauskommt, werd ich sie sogar kaufen, obwohl ich´s ja – gezwungenermaßen – schon auf Video hab!!!

  17. Sat.1 hat durch die Absetzung der längerlaufenden Serien wie Wolffs Revier, SK Kölsch etc. seine komplette Substanz an eigenproduzierten Serien vernichtet.
    Diese irrsinnige Entscheidung auf einen Schlag Tabularasa zu machen ist schon deswegen verrückt weil man nicht annehmen konnte das alle neuen Formate einschlagen würden. Stattdessen tarnte man die Einsparung dieser Serien als Qualitätsoffensive, die sich mit Bis in die Spitzen lediglich auf eine Stundenserie und ein paar Halbstünder beschränkte und sich nach dem Flop der ersteren auch ganz schnell wieder vom Tisch war.
    Die in diesem Programmjahr geplanten bzw. hergestellten Serien erwiesen sich alle als grandiose Flops, Unter den Linden kam nicht mal mehr in die Primetime und was aus Blackout wurde wissen wir ja…
    Die letzte dieser Serien ist Allein unter Bauern, welche vom Sender wohl noch bis ins nächste Programmjahr zurückgehalten wird, da man sich einen weiteren Flop wohl momentan ungern noch leisten will.
    Also geht man ganz ohne eine einzige eigenproduzierte Serie durch dieses Programmjahr, sieht man vom biederen Bulle-von-Tölz-Klon Stadt, Land, Mord ab, nachdem man die anspruchsvolleren Reihen Inspektor Rolle und Blond – Eva Blond ja schon vorher eingestampft hat.
    Übrigens: Eigentlich war Blackout ja als 8-teilige Serie geplant, konnte man auch zu Beginn jeder Folge sehen, wurde dann aber zum Vierteiler komprimiert.
    Ich persönlich fand die Kritiken zu gut, da es besonders in den ersten Teilen an Spannung mangelte, allerdings habe ich trotzdem bis zum Ende geschaut. Die Auflösung hingegen war arg überhastet.

  18. Es scheint nicht nur das Problem von SAT.1 zu sein. wenn der Eintrag der Wikipedia stimmt, dann zeigt das ZDF gerade von „Kommissar Beck“ die dritte Folge aus der zweiten Staffel, nachdem es im November die Folgen 1-4 der dritten Staffel gezeigt hatte und dann letzten Sonntag — Kerner sei Dank — eine Woche Pause machte. Dann geht es in die Winterpause („Sportler des Jahres“, Heiligabend & Sylvester).

    Und ich wundere mich schon, warum das Team eine andere Besetzung hat…

    [1] http://de.wikipedia.org/wiki/Kommissar_Beck

  19. Manchmal finde ich meinen Job richtig Scheisse, manchmal ist es aber auch toll, Journalist zu sein. Etwa dann, wenn man „Blackout“ vorab auf DVD zugeschickt bekommt und sich den Vierteiler an einem Stück anschauen kann.

  20. Unterhalten wir uns doch mal über „Veronica Mars“ auf ZDF. Das lief erst Samstag mittags um 14 Uhr (oder so) quasi als Vorläufer zu Smallville. In den USA auf UPN bzw. in der letzten Saison auf The CW läuft die Serie, wie Smallville, um 20 Uhr.

    Als die Quoten fies und fieser wurden, hat das ZDF die Sendung in die Nacht verfrachtet – ich glaube Dienstagnacht, 0 Uhr irgendwas, je nachdem, wann gerade die Nachrichten liefen.

    Die Serie (gerade die erste Staffel) ist grandios, und unsereiner in Deutschland wird nie davon erfahren wenn solche Programmier-Idioten ihre Hände im Spiel haben.

    Mittlerweile hat The CW die Serie auch abgewürgt. Und ähnliche Beispiele findet man bem Fox Network zu Hauf. Vor allen Dingen aber sind die Leichen der letzten Winter-Saison fast unzählbar – „The Nine“, „Kindnapped“, „Drive“, „3lbs“ etc. etc. etc. – alles Serien, die mindestens 13 Folgen hatten und zum Teil nur für 3 Folgen im Abendprogramm gezeigt wurden. Bei Mißerfolg: Reality-TV als Ersatz. Billig produzierbar und alles gleich.

    Ich fand Liebesleben übrigens auch Grandios. Die erste wirklich mit US-Material vergleichbare Serie dieser Art aus Deutschland. Ich wollte es fast nicht glauben, dass die Sendung wirklich aus Deutschland kommt, weil ich es weder deutschen Schauspielern noch Produzenten noch Dialogschreibern zugetraut hätte.

    Ich hab nach einer Folge aber aufgegeben.

    Die Alternative ist und bleibt wohl das Internet / iTunes mittlerweile. Wenn man weiß, wie BitTorrent funktioniert braucht man nur noch jemanden, EINE PERSON, die sich die Mühe macht, den Rotz zur richtigen Zeit aufzunehmen.

    Und werbefrei ist das Zeug dann auch noch – quasi als Bonus. Klar, illegal. Aber wie lange will man sich denn eigentlich noch verarschen lassen? Bei den öffentlich rechtlichen muss ich dafür ja sogar noch 18 Euro im Monat lassen.

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