Ich weiß nicht, ob der „Welt“-Reporter in Brüssel übernächtigt war oder zuviel vom Riesling probiert hat oder doch nur die Tastatur seines Laptops klemmte, bevor er dies bloggte:
Ich würde das nicht aufspießen, wenn „Welt Online“-Oberchef Christoph Keese nicht vor ein paar Wochen so getönt hätte:
Im Journalismus gibt es keinen Einhandbetrieb, sondern Autoren, die Texte schreiben, und Redakteure, die Texte bearbeiten, oft in einem vielstufigen Verfahren. Erst dadurch entsteht professioneller Journalismus.
Gute Redaktionen lesen Texte in drei, vier oder fünf unterschiedlichen Stufen gegen, bevor diese veröffentlicht werden. Was am Ende in der Zeitung oder online erscheint, ist Teamarbeit.
[… Künftig werden] alle Blogs eigener Redakteure vor der Veröffentlichung gegengelesen.
Lustigerweise hat die „Welt“ gestern sämtliche Blog-Einträge, die Keese selbst in seinem „Welt Online“-Blog „Im Newsroom“ geschrieben hat, per RSS-Feed noch einmal verschickt:
Quasi als Abschiedsgruß, denn die Einträge sind nicht mehr da. Und das Blog auch nicht. Wer auf die Links klickt, bekommt nur eine Fehlermeldung. Der „Welt Online“-Chef bloggt nicht mehr vom „Balken hoch über Berlin“, wie er das am 24. April in seinem ersten von insgesamt drei Einträgen nannte.
Das ist vielleicht ein bisschen peinlich, aber nicht sehr. Denn das ist (unter anderem) so schön am Bloggen: Man kann es einfach ausprobieren, es kostet nichts, und wenn man merkt, dass es nicht funktioniert — warum auch immer — lässt man es wieder.
Schlimm ist aber, dass die „Welt“ sich wieder nicht traut, mit ihren Lesern zu kommunizieren. Keeses Blog-Einträge sind einfach gelöscht worden, zusammen mit schätzungsweise ein paar Dutzend Leserkommentaren. Ohne Spuren, ohne Erklärung, nur mit einer Meldung, die den Fehler beim Leser sucht. Welcher Zacken wäre Keese aus der Krone gebrochen, wenn er seinen Lesern noch einen kurzen letzten Eintrag geschenkt hätte, mit ein, zwei Sätzen der Erklärung (Keine Zeit / Aufwand überschätzt / Vielbeschäftigter Chefredakteur / Nur ein Experiment / Trotzdem Dank an die Leser / Verweis auf andere lesenswerte „Welt“-Blogs)?
Zum Relaunch von „Welt Online“ schrieb Keese den Lesern:
Wir wollen uns von einem Sendemedium zu einem Dialogmedium wandeln.
Und zum Start von „Welt Debatte“ hatte sein Kommentarchef Vollzug verkündet:
Damit entwickelt sich WELT ONLINE endgültig vom sender- zum dialogorientierten Medium und ermöglicht den Nutzern ein Höchstmaß an Interaktivität und Offenheit.
„Endgültig“ ist sowieso ein, ääh, blöder Wort. Endgültig ist , ähm, nur der Tod. ;-)
Die Welt kommt mir mitlerweile so vor, als ob sie Riesling – um im Bild zu bleiben – predigen, aber dann doch nur Wasser ausschenken. Kenne ich eigentlich nur andersrum. Und ist andersrum auch schon ziemlich bescheuert.
Keese ist ein wirklich großartiger Kommunikator. Und ich habe den echt mal geschätzt. So kann man sich täuschen.
Wenn ich eine E-Mail an einen Kollegen schreiben würde, und solche Fehler hineintippen würde, wie der fröhliche
WeinreporterWeltreporter ich würde mich schämen. Aber ist ja nur für die Leser.Ich stelle mir oft die Frage, ob ich in einer solchen Situation ähnlich gehandelt hätte. Ich weiß es nicht, aber wenn ich mir doch „Dialog“ auf die Stirn schreibe, und dann das Maul nicht aufbekomme, kann ich doch nur mit solchen reaktionen rechnen, oder?
Ich befürworte ja nicht, dass man sein Leben dem Internet verschreiben muss, aber ein wenig die Geschichten im Internet zu betrachten schadet doch nicht. Dann würde man aber schnell auf den Trichter kommen, das gar nix sagen immer falsch ist, oder?
kann es nicht sein, dass die welt sich nicht traut. dass es gar nicht die entscheidung von herrn keese war, sondern eine entscheidung, sich nicht auf das glatte parkett des dialogmediums zu wagen, weil die resonanz so groß war und der dialog zu gewagt?
ich liebe übrigens solche vertipper, weil ich denke, in solchen vertippern liegt immer auch ein stückweit eine wahrheit :-) – wobei ich riesling die falsche wahl für eine überzeugungsrunde finde!!
[…] Das ging aber schnell: Ich sah noch die verbleibenden Reste des Blogs, die Kollegen Turi und Niggemeier schon nicht mehr. Das Newsroom-Blog ist abgeschaltet. Ehrlich gesagt ärgert mich das, weil solche […]
Bemerkenswert !
Das Zitat:
„Erst dadurch entsteht professioneller Journalismus.
Gute Redaktionen lesen Texte in drei, vier oder fünf unterschiedlichen Stufen gegen, bevor diese veröffentlicht werden. Was am Ende in der Zeitung oder online erscheint, ist Teamarbeit.“
Wenn ich unter ‚professionellem Journalismus‘ gleich ‚lobbyistische Mediendienstleistungen‘ verstehen darf, aber nicht ‚Aufklärung im Sinne der 4. Gewalt‘, und bei der Teamarbeit diejenige ‚zwischen dem Auftraggeber und den Redakteuren‘ gemeint ist, ist schon klar, was er meint.
Genauso klar ist dann allerdings auch, warum wir uns deshalb zunehmend durch die Berichterstattung in Blogs informieren, und weshalb die ‚elaborierten Platzhirsche‘ im Pressewald es langsam mit der Angst zu tun bekommen, wenn sie merken, woher beim ‚wisdom of the masses‘ der Wind tatsächlich weht.
Sorry, aber da kann ich mir ein dickes Grinsen nicht verkneifen.
*fg
Das ist ein Tippfehler: Setze statt ‚Riesling‘ vielleicht einfach ‚Fiesling‘; das liegt auf der Tastatur wirklich nah beieinander. Vielleicht wechselt die Merkel ja in der zweiten Halbzeit den Pofalla ein …
Vielleicht hat Herr Keese einfach nur zu früh auf den Veröffentlichen-Button gehauen und schämt sich jetzt wie Sau. Wer weiß, was er der Welt so großartiges mitteilen wollte..?
Ein Feature des Internets hat Keese nun echt begriffen: Löschmechanismen! Im Entfernen von Unstimmigkeiten ist die „Die Welt“ bekannterweise groß. Muss bei denen mehr Legitimität besitzen als redigieren. Dumm aber, wenn die Artikel auch nach fünfmaligem Gegenlesen nicht besser werden (wir erinnern uns an Dowideits Aussage „Der iPod kann kein MP3-„, diesen Welt-Artikel gibt es auch nur noch als Screenshot). Egal, Keese wäre ein guter Protagonist für den TV-Spot eines Haushaltstuchherstellers: einmal wischen, einmal weg! Das kann er ja …
Die gröberen Fehler sind schon wieder verschwunden. Scheinbar ist die Welt-Kontroll-Armada wieder erwacht.
Es melde sich bitte der Webseitenbetreiber (Blogger), der noch nie unliebsame Kommentare gelöscht hat.
Hm. Wo geht’s denn hier um das Löschen unliebsamer Kommentare?
@10 (Kola): Bin ich zu hart, oder warum sehe ich in der Schreibweise „zweienhalb“ statt „zweieinhalb“ einen schon recht groben Schnitzer, der sich nicht mit Tippfehler, sondern mit dem guten alten „Schreib’s, wie du’s sprichst“ erklären läßt?
Schweigen war doch Gold? Also sicherheitshalber Welt online bashen und keine Kontroversen Themen für die kommenden zwei Wochen. Augen zu und Juhuu einschalten.
@3: Das glaube ich nicht. Die Diskussionen brennen nur deshalb weiter, weil alle zu allem noch was sagen haben. Wer nach einem grandiosen Pfusch erstmal Ruhe braucht, hält einfach das Maul. Siehe studiVZ: Solange Ehssan versucht hat, seine Sicht im Blog zu erläutern (was ich, nebenbei bemerkt, ganz sympathisch fand), wurde auf Teufel komm raus drauf rumgehackt. Holtzbrinck hat als erstes den Blog dichtgemacht. Ich glaube nicht, daß der Laden ein Stück professioneller geworden ist. Aber jetzt titelt die FAZ: „studiVZ überflügelt alle“.
@poomerang: Schon vergessen, dass sich Keese nicht in seinem Blog lächerlich gemacht hatte, sondern mit Hilfe eines Interviews? Bist du jetzt also der Meinung Keese wird in Zukunft keine Interviews mehr geben? Ich glaube nicht.
Und zu studiVZ: Nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich.
@Mil: Ja, er *hat* sich lächerlich gemacht. Der Zug ist abgefahren. Mir geht’s aber um was anderes: Schadensbegrenzung. Und in den allermeisten Fällen ist Maulhalten die beste Schadensbegrenzung. Ich will das nicht bewerten oder behaupten, das sei besonders ehrenhaft. Aber ich stelle fest, daß es fast immer funktioniert. In ganz hanebüchnen Fällen (Trauerreden etc.), muß an prominenter Stelle noch etwas kommen, das wie eine Entschuldigung klingt, z.B. „es tut mit Leid, daß Sie so denken“. Für Keese jedenfalls wär die Strategie, zum Thema Blogs und Web ein Weilchen zu schweigen.
Ich habe das dunkle Gefühl, in der Blogwelt lohnt sich Schweigen besonders. Denn jede Stellungnahme ist ja eine Einladung für weitere Blogeinträge. Und Blogeinträge über Blogeinträge. Und Kommentare über Blogeinträge über Blogeinträge… (vielleicht sollte ich jetzt schweigen, aber das würde mir zu rekursiv). Bei solchen Diskussionsstrohfeuern übrigens gibt es einen interessanten Unterschied zum Usenet: in Blogs wird überwiegend in ganzen Meinungsbeiträgen auf ganze Meinungsbeiträge geantwortet. Jeder gibt also dem andern die Möglichkeit, ein Bild aufzubauen. Im Usenet werden die Diskussionsbeiträge häufiger sätzeweise zerpflückt. Beides kann beliebig fruchtlos werden. Ich muß aber zugeben, daß mich das rechthaberische Phrasenzerlegen mehr nervt.
PS: Für die Dilbertleser: „Bist du jetzt also der Meinung Keese wird in Zukunft keine Interviews mehr geben?“ ist ein schönes Beispiel für die Wieselargumentationstechnik 1, die Aussage des Opponenten in eine bizarre Absolutheit zu wandeln.
@poomerang: Ich würde dir ja zustimmen, aber er hat es danach in „öffentlichen“ Veranstaltungen auch noch mal geäußert. Und ich denke, er wird es wieder tun. Daher glaube ich nicht, dass er Schadensbegrenzung betreibt.
Vielleicht war er wirklich überfordert, eventuell fände er es komisch sich selbst kontrollieren zu müssen, vielleicht möchte er auch nur einfach konsequent seine Meinung zu Blogs vertreten.
Schweigen lohnt sich auch in Blogs nicht. Vielleicht fällt dir ja auf, was hier gerade geschieht, man schreibt darüber. Genauso wie man über Esshan auch danach noch schrieb.
Poomerang, tut mir leid, dass du meinen Kommentar so persönlich genommen hast. Vielleicht solltest du die Diskussion hier mit etwas Distanz mehr betrachten.
Ich hatte für onlinejournalismus.de um Stellungnahme von Springer zum Thema gebeten. Die lakonische Antwort (kein Wort zu den Gründen):
„Herr Keese schreibt nach wie vor viel für Online. Den Blog führt er hingegen nicht fort.“
[…] von onlinejournalismus.de haben mal beim Verlag Axel Springer nachgefragt, was denn aus dem plötzlich verschwundenen Blog von „Welt am Sonntag”-Chef Christoph Keese geworden ist. Sie bekamen folgende […]
Die Welt-Debatte dient nur der Klickrate wegen Anzeigenfinanzierung und dem Image. Es ist eine Einbahnstraße: Ein Artikel wird gebloggt, dazu gibt es Kommentare, das erhöht w.g. die Klickrate und sichert dem Blatt u.a. das Einkommen. Ich habe es selbst erlebt – habe die Redaktion mehrfach angeschrieben – keine einzige Reaktion. Man will nicht wirklich kommunizieren mit Leuten, die ein Anliegen haben, das gerade nicht in den Plan passt.
Ist doch alles Keese…
Was ich sagen wollte: Hinter den Worten steht keine Philosophie, die über Marketing-Absichten hinaus geht.
Was erwartet man da an Aktionen und Reaktionen der Welt – und erst recht von ihrem Obersten?
[…] Nachdem wir hier und anderswo mehrfach Debatten über das Selbstverständnis von Bloggern einer- und Journalisten andererseits verfolgen […]
media coffee in Köln: Ulrich Reitz (WAZ-Chefredakteur) äußert sich zu “Online first” ablehnend…
Über die media coffee-Veranstaltung, bei der u.a. Ulrich Reitz, der Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) und Thomas Knüwer vom Handelsblatt-Blog Indiskretion Ehrensache zu Gast waren, habe ich in dem Beitrag WAZ und die B…