Falsche Wolken über der Ukraine? Die Photoshop-Arbeiten des Kreml und die Fehler der Bellingcat-Analyse

Mehrere Satellitenfotos, die das russische Verteidigungsministerium nach dem Abschuss von Malaysia-Airlines-Flug MH17 veröffentlicht hat, sollen gefälscht sein. Die Bürgerjournalisten-Rechercheplattform Bellingcat behauptet, das in einer „forensischen Untersuchung“ nachgewiesen zu haben.

Und wenn Bellingcat das behauptet, behaupten die deutschen Medien das auch. Dabei gibt es erhebliche Zweifel an den Methoden und Schlussfolgerungen. Ausgerechnet der Erfinder der Fotoauswertungs-Software, die Bellingcat benutzte, distanziert sich deutlich von dem Bericht und nennt die Analyse „fehlerhaft“.

Bellingcat gibt mehrere Belege dafür an, dass die Fotos, die die russische Regierung vorgelegt hat, gefälscht sein müssen. Darunter diese:

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1. Aus den Metadaten der Fotos gehe hervor, dass sie nachträglich mit Photoshop bearbeitet wurden.

Ja, bloß: Das bedeutet nichts. Man hätte nicht einmal in die Metadaten der Fotos schauen müssen, um zu wissen, dass sie mit einem Programm wie Photoshop manipuliert wurden. Es wurden nämlich, wie man sieht, nachträglich Beschriftungen hinzugefügt.

Bearbeitet wurden die Fotos auch insofern, als sie für die Veröffentlichung auf der Seite des Verteidigungsministeriums verkleinert werden mussten.

Die Fotos sind also zweifellos nachbearbeitet, und zwar offenbar mit „Creator Tool Adobe Photoshop CS5 Windows“. Dass zusätzlich zu den offensichtlichen Änderungen aber auch Manipulationen im Sinne einer Fälschung des Bildinhaltes vorgenommen wurden, besagen die Metadaten in keiner Weise.

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2. Die Fehlerstufenanalyse („Error Level Analysis“, ELA) eines der entscheidenden Fotos zeige, dass sein Inhalt mit großer Wahrscheinlichkeit verändert wurde. Konkret seien nachträglich Wolken hinzugefügt worden, vermutlich um irgendwelche anderen Bildinhalte zu verdecken.

Die ELA macht verdächtige Stellen in der Komprimierung von Fotos im JPEG-Format sichtbar. Zugegeben: Ich habe die Details dieser Art der Analyse nicht verstanden – aber die Bellingcat-Leuten anscheinend auch nicht. Die behaupten zum Beispiel, bei einem nicht-manipulierten Foto sollten alle Bildinhalte in etwa das gleiche „Fehlerniveau“ haben. Weil das nicht der Fall ist und zum Beispiel für die Wolken auf einem der zentralen Bilder ein anderes Fehlerniveau angezeigt wird, schließen sie daraus, dass diese Wolken „mit hoher Wahrscheinlichkeit digital hinzugefügt“ wurden.

Nur geht die Fehlerstufenanalyse keineswegs davon aus, dass „echte“ Fotos ein konstantes Fehlerniveau haben. Bereiche mit mehr Details haben zum Beispiel ein höheres Niveau als glatte Oberflächen und erscheinen auf den ELA-Bildern deshalb heller.

Bellingcat hat für die ELA-Untersuchung die Seite fotoforensics.com benutzt, bei der jeder Fotos hochladen und testen lassen kann (und die davor warnt, die Aussagekraft dieser Analyse zu überschätzen). Hinter dieser Seite und dieser Analyseform steht der Computerwissenschaftler Neal Krawetz. Eben dieser Neal Krawetz bescheinigt den Bellcat-Leuten unmissverständlich, dass ihre Analyse mit seiner Methode fehlerhaft sei. Er twitterte, es sei ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie man Bildanalyse nicht durchführen sollte.

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3. Der Vergleich mit Satellitenfotos auf Google Earth beweise, dass die Bilder, die das russische Verteidigungsministerium veröffentlicht hat, zu einem anderen Zeitpunkt als angegeben entstanden sein müssen.

Es gibt ein Problem, wenn man Satelliten-Aufnahmen bei Google Earth benutzt, um den genauen Zustand einer Landschaft zu einem exakten Zeitpunkt zu bestimmen: Die Datumsangaben sind unzuverlässig. Teilweise kennt Google selbst nicht den exakten Zeitpunkt, zu dem die Fotos entstanden sind. Bellingcat erwähnt dieses Phänomen nicht einmal und erklärt deshalb auch nicht, warum es womöglich Grund zur Annahme gab, dass die Google-Earth-Angaben im konkreten Fall dennoch zweifelsfrei korrekt sind.

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All das bedeutet nicht, dass der Bericht von Bellingcat, der noch weitere Analysen enthält, insbesondere was die Datierung von Fotos angeht, vollständig falsch ist. Und schon gar nicht bedeutet das, dass die Fotos, die das russische Verteidigungsministerium vorgelegt hat, echt sind.

Aber die so hochtrabend klingende „forensische Untersuchung“ weist einige Ungereimtheiten und haarsträubende Kurzschlüsse auf. Und das in einem Bericht, der Bellingcat zu dem eindeutigen Schluss führt, dass die Satellitenbilder von Russland gefälscht wurden, „in einem eindeutigen Versuch, die Öffentlichkeit, die Weltgemeinschaft und die Familien der Opfer des Fluges MH17 nur Tage nach dem Abschuss in die Irre zu führen“.

Es gibt Anlass, an Details des Bellingcat-Berichts zu zweifeln, Fragen zu stellen, ihn mit Vorsicht zu interpretieren. Stattdessen machen führende deutsche Medien sich seine Aussagen weitgehend zu eigen.

Bei „Spiegel Online“, das groß mit dem Bericht aufmachte, waren die letzten Zweifel, die ein „offenbar“ in der Überschrift und im Vorspann noch ausdrückte …

… am Ende des Artikels verschwunden:

Doch nun haben die Experten von Bellingcat eben diese Aufnahme als Fälschung enttarnt.

In zwei weiteren Artikeln am selben Tag gab es dann keine Zweifel mehr:

(„Spiegel Online“-Korrespondent Bidder* hat dabei übrigens die Bellingcat-Argumentation teilweise offenbar nicht richtig verstanden. Er schreibt über die verschiedenen vermeintlich verdächtigen Bereiche, die Bellingcat auf einem Foto ausgemacht und mit Buchstaben markiert hat:

Die farbige Linie im Bereich B zeige, schreiben die Experten, dass das Foto unten mit einem Streifen überdeckt worden sei. „Oben wurde dieser Streifen an das Foto angesetzt. Der dunkle Bereich E ist wahrscheinlich durch eine Aufhellung bzw. Kontrastverstärkung des Fotos entstanden. Dieser Bereich ist sozusagen überbelichtet.“

Ja, nur: Diese beiden Auffälligkeiten findet Bellingcat nicht besonders problematisch, da sie sich durch den Bildinhalt erklären lassen. Vor allem der Bereich B (das ist der türkis markiert schmale Streifen ganz unten) entsteht einfach durch die graue Fläche, die oben und unten über das Satellitenfoto gelegt wurde. Eigentlich problematisch findet Bellingcat den Unterschied zwischen den Flächen D und C.)

Bei tagesschau.de verschwand die journalistische Distanz noch schneller. Es passierte zwischen Überschrift …

Russland soll Fotos gefälscht haben

… und Vorspann:

Mithilfe von Satellitenfotos wollte die russische Regierung belegen, dass die Ukraine für den Abschuss des Fluges MH-17 verantwortlich ist. Die Recherchegruppe Bellingcat hat nun nachgewiesen, dass die Fotos manipuliert worden sind.

Die „Süddeutsche Zeitung“ machte es genau umgekehrt. Im Text behält Hans Leyendecker Distanz zu den Bellingcat-Urteilen:

Die Investigativ-Plattform Bellingcat, die bislang in diesem Propagandakrieg mit sauberer Recherche aufgefallen ist, hat jetzt in einem Untersuchungsbericht die russischen Fotos auf Echtheit überprüft; und das Ergebnis ist aus Sicht der Prüfer klar: Es handelt sich um Fälschungen. Die Analyse soll „unzweifelhaft“ ergeben haben, dass die Satellitenfotos falsch datiert und durch die Software Adobe Photoshop CS5 „digital verändert“ worden seien.

Aber die Überschrift lautet:

Stümper und Fälscher

Bei der „Frankfurter Rundschau“ blieben erst gar keine Fragen offen:

Manipulierte MH17-Bilder

Die Internet-Recherche-Plattform Bellingcat weist nach, dass Russland Satellitenaufnahmen gefälscht hat

Derselbe Artikel trug bei der „Berliner Zeitung“ die Überschrift:

Das Blaue vom Himmel

Wie Russland Satellitenbilder fälschte, um eine ukrainische Schuld am Absturz von MH17 zu belegen

Die FR- und „Berliner Zeitung“-Autorin glaubt genau zu wissen, wie es war:

Das Verfahren ist alles andere als neu. Photoshop-Verfahren sind als Softwareprogramme im Netz allgemein zugänglich. [sic!] Jedes Urlaubsfoto lässt sich mit ihrer Hilfe verschönern. Im vorliegenden Fall wurde der Himmel über der Ostukraine allerdings nicht nachträglich ein wenig blauer gestaltet, sondern im Gegenteil mit Wolken verhangen, die auf den Originalfoto fehlen.

Auch die „Welt“, die sich durchaus skeptisch mit den Bewertungen von Bellingcat auseinandersetzt, übernimmt die zweifelhafte Foto-Analyse-Bewertung im Indikativ:

Bei näherer Betrachtung der Fehlerstufenanalyse ist tatsächlich ein hochgradig unregelmäßiges Rauschen festzustellen. Ein in Gänze komprimiertes Bild würde diese Unterschiede nicht aufweisen. Wolken wurden also offenbar hinzugefügt, um weitere Details zu verdecken.

„Zeit Online“ hatte keine Fragen:

Kreml manipulierte mit Photoshop. Anhand von Satellitenfotos wollte Russland die Schuld der Ukraine am Absturz von Flug MH17 beweisen. Eine unabhängige Analyse belegt nun: Die Bilder wurden gefälscht.

Das ZDF auch nicht:

MH17-Absturz: Fotos lügen doch

Bemerkenswert ist, wie oft in all diesen Berichten von den „Experten“ von Bellingcat die Rede ist – woher genau die Expertise der Bürgerjournalisten für die konkreten Auswertungen kommt, ist völlig unklar. Es handelt sich in der Regel um interessierte und engagierte Laien. Über den Mann, der für die „forensische Analyse“ zuständig gewesen sein soll, ist nur der Name „Timmi Allen“ bekannt. Auch der WDR, der ihn interviewt hat, erwähnt keinerlei fachlichen Hintergrund, sondern nennt ihn nur „Mitglied“ der Investigativplattform.

Noch einmal: All das belegt nicht, dass die Fotos keine Fälschungen sind, und Bellingcat nennt weitere Indizien dafür als die oben genannten. Aber die Vorgehensweise von Bellingcat hat erhebliche Mängel. Das macht es problematisch, die vermeintlichen Ergebnisse einfach zu übernehmen.

Der Bellingcat-Bericht:

Die Kritik daran:

 

Nachtrag, 10.10 Uhr. „Spiegel Online“ hat jetzt ein Interview mit dem Foto-Forensiker veröffentlicht, in dem der Bellingcat „Fehlinterpretationen“ und „Kaffeesatzleserei“ vorwirft, und plötzlich sind es nur noch „angebliche“ russische Foto-Manipulationen.

Nachtrag, 4. Juni. Im SPIEGELblog räumt „Spiegel Online“-Chefredakteur Florian Harms ein: „Selbstkritisch müssen wir festhalten: Diese professionelle Skepsis im Umgang mit der Quellenlage, das Hinterfragen der Quelle hätten wir bereits in den vorherigen Artikeln stärker zum Ausdruck bringen sollen. Wir lernen daraus und nehmen uns vor, dies in künftigen Fällen zu beherzigen.“

*) Korrektur 9. Juni. Ich habe oben Benjamin Bidder persönlich für einen Fehler kritisiert. Der konkrete Artikel ist aber gar nicht von ihm.

Ein „Woodstock des gezeichneten Witzes“: Das 1. Cartoon-Lese-Festival der Welt sucht Unterstützer

Die Herren Elias Hauck (links) und Dominik Bauer, bekannt als „Hauck & Bauer“ unter anderem aus „Titanic“, „SPAM“, „Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung“ und diesem Blog hier, wollen ein Cartoon-Lese-Festival veranstalten, das angeblich erste Cartoon-Lese-Festival der Welt. Es soll „ein Woodstock des gezeichneten Witzes“ werden. Es gibt schon einen Ort und einen Termin und Zusagen von zweieinhalb Dutzend lustigen Menschen (Joscha Sauer, Ralf König, Til Mette u.v.a.m.). Es fehlt nur: das Geld.

Heute haben die beiden deshalb ein Crowdfunding gestartet. Das Ziel: 30.000 Euro.

Wer ist auf die Idee gekommen, Cartoons vorzulesen? Ist das was Neues? Was soll das?

Hauck: Die erste Cartoonlesung, die ich erlebt habe, war ca. 2001 im Kaffee Burger in Berlin, mit OL und Rattelschneck.

Bauer: Mein erstes Mal war auch mit Rattelschneck! Er hat damals noch einen richtigen Dia-Vortrag gehalten, bei dem ca. jedes fünfte Dia auf dem Kopf stand. Sehr charmant.

Hauck: Uns selbst hat sehr viel später der damalige „Titanic“-Chefredakteur Leo Fischer überredet, doch mal als Gäste bei einer „Titanic“-Lesung aufzutreteten und ein paar Cartoons zu präsentieren.

Bauer: Das kam dann so gut an, dass wir einfach weitermachen mussten. Inzwischen sind viele Kollegen mit Lesungen unterwegs. Das ist immer für alle eine große Freude – auch für die Cartoonisten selbst, die ja sonst eher selten dabei sind, wenn jemand über ihre Zeichnungen lacht.

Ist das Schöne an Cartoons nicht eigentlich, dass ich dazu meinen eigenen Stimmen im Kopf lauschen kann und nicht denen der Zeichner?

Bauer: Ja, wer seine eigenen Stimmen am liebsten hört, sollte da nicht hingehen. Aber das gilt ja für alle Autorenlesungen.

Würdet ihr womöglich eigentlich alle lieber Zeichentrickfilme machen?

Hauck: Oh nein! Zeichentrickfilme sind Arbeit für Leute, die gerne mal fleißig sind. Wir haben ja für „Anke hat Zeit“ ein paar kurze Filme zusammen mit Anke Engelke gemacht, das war ein Knochenjob. Ich erinnere mich noch an den Juli letzen Jahres, an dem ich mittags ein heißes Kneipp-Bad nehmen musste, zur Entspannung.

Sind nicht Cartoonisten eigentlich so öffentlichkeitsscheue Gestalten, die am liebsten vor ihrem Zeichen-, äh, -pult sitzen und am wenigsten gerne auf einer Bühne stehen?

Hauck: Die muss es natürlich auch geben. Da fällt mir aber erstmal nur der Walter Moers ein.

Bauer: Natürlich zieht es nicht jeden auf die Bühne, einige Kollegen mussten wir daher gar nicht erst fragen. Aber die Künstler, die mitmachen, machen gerne mit. Piero Masztalerz hat um seine Cartoons herum ein richtiges Stand-Up-Programm entwickelt. Und jemand wie Til Mette braucht einfach dringend mal eine Bühne. Die Shows werden auf jeden Fall so unterschiedlich wie die Künstler.

Wie haben die Kollegen reagiert, als ihr sie gefragt habt?

Hauck: Die Schnapsidee-Toleranzgrenze ist in unserer Branche sehr hoch.

Gab es Absagen?

Hauck: Von unseren ersten 20 Anfragen gab es 18 Zusagen, das war natürlich sehr ermutigend. Und spätestens als Joscha Sauer zusagte, wussten wir, das könnte was werden.

Bauer: Ingesamt gab es eine Handvoll Absagen. Sehr bedauert haben wir die von Miriam Wurster und Bettina Bexte, die aber versprochen haben, bei einer Neuauflage dabei zu sein. Was hiermit dokumentiert wäre.

Warum ist mein Lieblingscartoonist [hier Name einfügen] nicht dabei?

Bauer: Der kann an dem Wochenende leider nicht. Er hofft aber auch ausdrücklich auf eine Neuauflage.

Gibt es in der Witzbildzeichnerszene (oder bei deren Fans) womöglich Unverträglichkeiten, unterschiedliche Schulen, die gar nicht kompatibel sind?

Bauer: Unterschiedliche Schulen ja, aber man pflegt keine Künstlerfeindschaften in der Branche. Ich hab mal gehört, dass zwei Kollegen nicht zusammen in einem Auto fahren wollten. Das ist aber auch schon die krasseste Geschichte, die ich kenne.

Was ist überhaupt ein Cartoon, im Gegensatz, zum Beispiel, zu einem Comic oder einer Karikatur?

Hauck: Ein Cartoon ist ein Einbildwitz. Ein Comic besteht aus mindestens zwei Bildern. Faustregel: Ein Cartoonist ist ein Comiczeichner, nur tausendmal fauler.

Bauer: Eine Karikatur ist ein Sarg, auf dem DEMOKRATIE steht.

Hauck: Und zur Verwirrung: Beim Deutschen Karikaturenpreis in Dresden werden jedes Jahr ausschließlich Cartoons prämiert.

Warum ist ein Hurzlmeier 50 Prozent teurer als ein Beck?

Hauck: Weil er in München lebt.

Bauer: Bei den Orginalzeichnungen haben wir es den Künstlern überlassen, die Prämienhöhe anzugeben. Wobei man als Sammler da in jedem Fall ein gutes Geschäft macht.

Hauck: Ein Schnäppchen ist auch das Händeschütteln mit Martin Sonneborn für 150 Euro. Dafür nimmt er im EU-Parlament sicher ein Vielfaches.

Ursprünglich hattet ihr das ja ohne Crowdfunding vor. Warum hat das nicht geklappt?

Bauer: Erstaunlicherweise hatte auf Seiten der Unternehmen, die wir angefragt haben, niemand auf unser Festival gewartet. Und für Kulturförderungen hätten wir unser Konzept ein bis zwei Jahre im Voraus einreichen müssen.

Warum ist so eine Veranstaltung so teuer?

Hauck: Es gibt über 30 Künstlerhonorare, Moderationshonorare, Übernachtungen, Saalmiete, Technik, Produktionsleitung, ein Programmheft … und wie uns wohlmeinende Leute versichern, noch viele kleine Überraschungskosten.

Muss ich, wenn ich Euch im Crowdfunding unterstütze, dann auch noch Eintritt zahlen?

Bauer: Du kannst Dir als Prämie auch Tickets fürs Festival auswählen.

Wer hat Euch überhaupt auf die Idee mit dem Crowdfunding gebracht? Ist das nicht total out?

Bauer: Ach ja, richtig, wir haben uns heute noch gar nicht bei Dir bedankt, Stefan. Danke, Stefan!

Werdet ihr 24 Stunden dabei sein? (Also, wach.)

Hauck: Unbedingt! Ich werde auch die 24 Stunden vor der Veranstaltung schon wachbleiben, als Übung.

Bauer: Ich werde ein bisschen mit Drogen experimentieren.

Gibt es ein Rahmenprogramm? Ist da dann alles voller Büchertische und Merchandisingstände?

Hauck: Im besten Falle ja. Im Foyer oder im ersten Stock ist jedenfalls genug Platz für eine Mini-Cartoon-Messe. Und, du wirst lachen, einige Verlage haben auch schon Interesse angemeldet.

Haha! Habt ihr schon verteilt, wer die Schichten von vier Uhr bis acht Uhr machen darf?

Bauer: Nein, das ist noch nicht festgelegt. Aber Hannes Richert, der frischgebackene Fil-Nachfolger bei der „Zitty“, hat sich schon um den 6-Uhr-Termin beworben.

Seid ihr sicher, dass es sowas nicht schon woanders auf der Welt gibt?

Beide: Wer sollte denn auf so eine bescheuerte Idee kommen?

(Offenlegung, falls das nicht deutlich geworden sein sollte: Ich bin den beiden freundschaftlich verbunden, bzw.: Fan.)

Claus Kleber moderiert eine Wirkt-wie-eine-Nachrichtensendung-Sendung im ZDF

Die Sache an sich ist schon traurig genug: Wie die halbe deutsche Medienlandschaft auf die Schweizer „Sonntagszeitung“ hereinfiel, die behauptet hatte, die Schweiz stelle „neuerdings“ Steuersünder an den Pranger. In Wahrheit gibt es die Praxis seit fünf Jahren.

Die deutsche Nachrichtenagentur dpa hatte die Behauptung der „Sonntagszeitung“ übernommen und gemeldet:

Die Schweiz als Steuerparadies: Seit die Fahnder durch den Kauf von Bankdaten-CDs in der Vorhand sind, ist es für Steuerhinterzieher dort brenzlig geworden. Immerhin konnten sie bisher hoffen, dass ihre Namen nicht öffentlich bekannt werden. Doch auch das ist nun vorbei.

Berlin (dpa) – Die Schweizer Steuerverwaltung hat damit begonnen, die Namen möglicher deutscher und anderer ausländischer Steuerbetrüger im Internet zu veröffentlichen.

Am Montag stand das dann in der ein oder anderen Form überall. (Mehr beim BILDblog.)

Irgendwann sickerte dann an manchen Stellen (unter anderem bei dpa) die Erkenntnis durch, dass es sich gar nicht um ein neues Verfahren der Schweizer Behörden handelte. Und irgendwie erreichte diese Information auch Claus Kleber. Zu diesem Zeitpunkt scheint seine Anmoderation des „heute journal“-Beitrags im ZDF zu dem Thema aber schon soweit fertig gewesen zu sein, dass er keine Lust mehr hatte, sie nochmal komplett umzuschreiben.

Jedenfalls sagte er am Dienstagabend (ab 9:06):

Die kleine Schweiz hat mächtig davon profitiert, dass ihre Steuerbehörden und Bankhäuser verschwiegen waren wie … wie halt eine Schweizer Bank. Bekanntlich ist dieses Geschäftsmodell in letzter Zeit vor die Wand gefahren. Und die Schweizer schalten jetzt um auf völlige Öffnung. Und damit riskieren sie den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit. Wenn man genau hinschaut, ist es nicht neu. Aber es wirkt wie neu – und überrascht. Die Finanzbehörden der Schweiz stellen jetzt Namen und Geburtsdaten von Ausländern ins Netz, die Argwohn erregen, weil ihre heimischen Finanzämter die Schweiz nach deren Konten gefragt haben.

Ist nicht neu, wirkt aber neu, da kann man gut also so tun, als wäre es neu. Die Anmoderation Klebers ist dann doch noch trauriger als alles andere an dieser Geschichte.

[via turi2]

Jury aus Aserbaidschan beeindruckt wieder im Synchronabstimmen

Wo gerade wieder über den Unsinn der Jurys beim Eurovision Song Contest diskutiert wird: Die aus Aserbaidschan hat in diesem Jahr wieder eine erstaunliche Leistung in der besonderen Disziplin des Synchronabstimmens erbracht.

Die fünf Juroren, die eigentlich unabhängig voneinander über die Beiträge abstimmen sollen, waren sich in verblüffendem Ausmaß einig, wie jedes der 26 Länder zu bewerten ist. Es gab keinen einzigen Titel, bei dem die Mitglieder der Jury unterschiedlicher Meinung waren, ob er herausragend, unterirdisch oder mittelmäßig war. Es gab keinen einzigen Juror, der mal aus dem Konsens ausbrach und ein Stück gut bewertete, das seine Kollegen schlecht bewerteten.

Das ist bei 26 Titeln schon ein Kunststück.

Nun ist es nicht so, dass die Juroren aus Aserbaidschan allen Titeln dieselbe Punktzahl gaben. Das wäre auch keine gute Idee, denn das drohte wegen des Verdachtes der Manipulation, dass ihr Votum gar nicht gewertet würde. Das ist im vergangenen Jahr in Georgien passiert. (In diesem Jahr annulierte die Eurovision die Voten der Jurys aus Montenegro und Mazedonien.)

Die Juroren aus Aserbaidschan geben allen Titeln nur ungefähr dieselbe Punktzahl. Beim Lied aus Georgien liegt die Spannbreite ihrer Wertungen von Platz 1 bis 5, bei Italien und Slowenien von 2 bis 6, bei Schweden von 6 bis 8, bei Montenegro von 8 bis 11, bei Spanien von 14 bis 16, bei Österreich von 18 bis 20, bei Großbritannien von 22 bis 24.

Lied Juroren Ø σ
Russland 3 4 1 2 1 2,2 1,17
Georgien 1 2 3 4 5 3,0 1,41
Israel 2 6 5 1 4 3,6 1,85
Slowenien 5 3 4 6 2 4,0 1,41
Lettland 7 1 7 3 3 4,2 2,40
Italien 4 5 2 5 6 4,4 1,36
Schweden 6 7 6 7 8 6,8 0,75
Litauen 8 9 10 8 7 8,4 1,02
Montenegro 10 11 8 11 9 9,8 1,17
Ungarn 9 8 11 10 13 10,2 1,72
Estland 12 10 9 9 15 11,0 2,28
Serbien 13 12 13 12 10 12,0 1,10
Rumänien 11 14 12 14 11 12,4 1,36
Albanien 14 13 14 13 12 13,2 0,75
Spanien 16 15 16 16 14 15,4 0,80
Polen 15 16 15 18 16 16,0 1,10
Griechenland 18 18 17 17 17 17,4 0,49
Australien 17 19 19 15 19 17,8 1,60
Belgien 20 17 20 19 18 18,8 1,17
Österreich 19 20 18 20 20 19,4 0,80
Norwegen 21 22 21 22 21 21,4 0,49
Frankreich 22 21 22 21 23 21,8 0,75
Großbritannien 24 23 23 24 22 23,2 0,75
Zypern 23 24 24 23 24 23,6 0,49
Deutschland 25 25 25 25 25 25,0 0,00
Armenien 26 26 26 26 26 26,0 0,00

Votum der 5 aserbaidschanischen Juroren, Durchschnitt (Ø), Standardabweichung (σ).

(Dass alle Juroren Armenien auf den letzten Platz gesetzt haben, ist hingegen so etwas wie traurige staatsbürgerliche Pflicht in Aserbaidschan. Aserbaidschanische Fernsehzuschauer, die vor ein paar Jahren für den Erzfeind abstimmten, bekamen massiven Ärger.)

Dass fünf unterschiedliche Menschen mit ihren 26 Voten so eng beieinander liegen, ist überraschend, wenn sie sich nicht abgesprochen haben oder entsprechend instruiert wurden. Und denselben Effekt gab es in Aserbaidschan auch im vergangenen Jahr schon. Damals war er sogar noch ein bisschen extremer.

Wie sehr das Abstimmungsverhalten in Aserbaidschan – genauer gesagt: die Nähe der Stimmen der einzelnen Juroren zueinander – von dem der anderen Länder abweicht, zeigt sich, wenn man die durchschnittliche Standardabweichung σ bei den 26 Kandidaten mit der der anderen Länder vergleicht. (Die Standardabweichung ist das statistische Maß, das angibt, wie weit die einzelnen Werte im Schnitt vom Mittelwert abweichen. Zur Verdeutlichung: Wenn alle Juroren dieselbe Punktzahl vergeben, ist die Standardabweichung 0. Angenommen, von vier Juroren geben zwei zwei Punkte und zwei vier Punkte, ist der Mittelwert drei Punkte und die Standardabweichung davon 1 Punkt.)

Jury Standard-
abweichung
Aserbaidschan 1,08
Norwegen 2,73
Schweden 2,82
Armenien 2,86
Rumänien 3,04
Serbien 3,05
Österreich 3,10
Niederlande 3,12
Litauen 3,27
Portugal 3,32
Deutschland 3,34
Spanien 3,34
Belgien 3,61
Estland 3,69
Weißrussland 3,71
Island 3,71
Slowenien 3,77
Großbritannien 3,77
Albanien 3,89
Malta 3,98
Schweiz 4,01
Dänemark 4,09
Moldau 4,16
Italien 4,18
Zypern 4,21
Israel 4,26
Polen 4,28
Australien 4,31
Finnland 4,34
Ungarn 4,39
San Marino 4,42
Frankreich 4,45
Tschechien 4,59
Griechenland 4,64
Irland 4,73
Lettland 4,78
Russland 4,96
Georgien 5,10

Übrigens gibt es auch bei der deutschen Jury wieder eine erstaunliche Übereinstimmung: Alle Juroren (die sich, wie gesagt, nicht absprechen dürfen) setzten Lettland an die erste Stelle. Im vergangenen Jahren haben alle damaligen deutschen Juroren den ersten und den zweiten Platz gleich gewählt. Der deutsche Grand-Prix-Chef Thomas Schreiber schert sich traditionell nicht besonders um die Vorgabe, dass die Jury möglichst ausgewogen besetzt sein soll, was Geschlecht, Alter und Hintergrund angeht.

(Hinweis: Eine geringe Standardabweichung beweist nicht, dass das Ergebnis einer Jury in irgendeiner Weise manipuliert wurde. Die statistische Auswertung zeigt nur Auffälligkeiten, vielleicht Indizien. Streng genommen wäre es auch kein Beweis einer Manipulation, wenn alle Juroren eines Landes alle Länder exakt gleich bewertet hätten. Aber doch ein Anlass zum Zweifeln.)

Waterboarding für den gemeingefährlichen Irren! Deutsche Journalisten über Claus Weselsky

Böser noch als Yanis Varoufakis ist natürlich Claus Weselsky. Mein Kollege Tobias Rüther hat für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ Wortmeldungen deutscher Journalisten über den GDL-Chef gesammelt. Es ist ein beeindruckendes Dokument, das man vielleicht auch bei der nächsten Diskussion hervorholen könnte, in der sich Journalisten darüber beklagen, was für ein schlimmer, unsachlicher Pöbelton im Internet herrscht. Es bestärkt den Verdacht, dass das eigentliche Problem, das viele Journalisten mit sogenannten Shitstorms haben, darin besteht, dass sie das Monopol darauf verloren haben.

Eine kleine Auswahl:

Irrlichternd bewegt sich Claus Weselsky durch die Welt, die für ihn eine Bühne ist – bei seinen öffentlichen Auftritten immer mehr ähnelnd jenem „großen Diktator“ aus Charlie Chaplins Schwarzweißfilm – und riesigem Erfolg aus dem Jahre 1940. Irgendwie zum Lachen, aber bitter, sehr bitter. Verwurzelt ist der Chef der Loklenkergewerkschaft GDL natürlich nicht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern eher in den östlichen sechziger oder siebziger Jahren desselben. Was es damals an Streikrecht in der DDR nicht gab (brauchte ja auch keiner im Arbeiterparadies), will der Dresdner nun mit Gewalt nachholen. Wozu hat er all die politischen Seminare gemacht und die Kampfkraft der proletarischen Massen studiert? Da müsste doch nun im Westen mal mindestens der Ehrentitel des Größten Lokführers aller Zeiten herausspringen.

Reinhard Schlieker, ZDF, in seiner Kolumne für „Börse am Sonntag“.
 

#Weselsky ist die ideale Kombination aus SED-Borniertheit und DGB-Hochmut. So findet im 25. Jahr der Einheit zusammen, was zusammengehört

Jan Fleischhauer („Spiegel“) auf Twitter.
 

Würde den Herrn Weselsky ja gerne mal einem Waterboarding unterziehen – allerdings: Bei diesen Zugtoiletten …

Günter Klein („Münchner Merkur“) auf Twitter.
 

Seit 90 Minuten aufm Heimweg. Um es auf den Punkt zu bringen: dem #Weselsky haben sie ins Hirn geschi…!

Florian Witte („Bild“) auf Twitter.
 

Ich sag’s ja nur ungern. Aber dem wahnsinnigen Weselsky sind jetzt alle Sicherungen durchgebrannt. Wer stoppt den gemeingefährlichen Irren?

Christian Deutschländer („Münchner Merkur“) auf Twitter.
 

Der Mann hat es geschafft, innerhalb weniger Monate einen Sympathiewert zu erreichen, der irgendwo zwischen Darth Vader und dem griechischen Finanzminister pendelt. Sollte seine Mission sein, als unbeliebtester Deutscher des neuen Jahrtausends prämiert zu werden, kommt der Mann mit dem sächsischen Dialekt gut voran. Es steckt eben eine Menge Esel in Weselsky. Ich wünsche ihm, dass er bald abgesetzt wird und nur noch daheim mit seiner Lego-Lok Streik spielen kann.

Jürgen Schwandt in der „Hamburger Morgenpost“.
 

Die Geißel des Landes (#GDL) schlägt heute wieder zu. Wer stoppt den Terror des Kommandos Claus #Weselsky? #Bahnstreik

Franz W. Rother („Wirtschaftswoche“) auf Twitter.
 

GDL-Chef Claus Weselsky ist nicht einfach nur der Buhmann. Der Mann hat ein psychologisches Problem. Er braucht Hilfe.

Christoph Rottwilm online im „Manager Magazin“.
 

Claus Weselsky, man muss das leider so krass sagen, führt sich auch im reichlich gesetzten Alter von 55 Jahren nicht wesentlich anders auf als das kleine Arschloch der großen Pause, dem es irgendwann gleichgültig zu sein scheint, dass ihn keiner mag. Er legt es regelrecht darauf an, zur Hassfigur Nummer eins der Republik zu werden. Mister 109 Stunden. Der Mann, der für seine Ziele die Republik stillstehen lässt. So etwas maßt sich sonst keiner an. Wahrscheinlich empfindet sich Weselsky als so etwas wie ein Freiheitskämpfer. Aber das tun die Salafisten auch.

Andreas Hoidn-Borchers auf stern.de.

Der Böse ist immer der griechische Finanzminister

Also doch! Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis hat am Wochenende zugegeben, ein als vertraulich eingestuftes Treffen mit seinen Kollegen aus der Euro-Zone aufgezeichnet zu haben. So melden es aufgeregt die Agenturen, so steht es in den deutschen Medien.

Mann, der Varoufakis. Immerhin leugnet er die Vorwürfe nicht mehr, die … von wem nochmal ursprünglich erhoben worden waren? Ach richtig, von Varoufakis.

Der Minister hatte mit dem Magazin der „New York Times“ gesprochen und dabei Berichte dementiert, dass er beim Finanzministertreffen in Riga im April von seinen Kollegen beschimpft und beleidigt worden sei. Er habe die Treffen aufgenommen, sagte er der Journalistin, könne sie aber wegen der Vertraulichkeit nicht veröffentlichen.

Wenn die deutschen Medien nun also unisono berichten, dass Varoufakis „eingeräumt“, „zugegeben“ oder gar „jetzt doch zugegeben“ habe, die Gespräche mitgeschnitten zu haben, dann meinen sie nicht, wie man als treuherziger Leser und Benutzer der deutschen Sprache denken könnte, dass er auf entsprechende Vorwürfe von irgendwelchen Gegenspielern oder Journalisten reagieren und klein beigeben musste. Sie meinen damit, dass Varoufakis noch einmal bestätigte, was er ohnehin selbst gesagt und in die Öffentlichkeit gebracht hatte.

Man würde das angesichts der Art, wie die deutschen Agenturen und Medien berichten, nicht ahnen. Die Nachrichtenagentur dpa beginnt ihre Meldung am Sonntag mit dem traurigen Satz:

Der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis sorgt wieder einmal für Aufregung: (…).

Und verbrämt die Tatsache, dass es Varoufakis selbst war, der zuerst von den Aufnahmen erzählt hatte, in der Formulierung:

Erste Informationen zu den Aufnahmen waren in der Zeitschrift „New York Magazine“ [sic!] vergangene Woche erschienen.

Bei Reuters heißt es:

Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis hat zugegeben, ein als vertraulich eingestuftes Treffen mit seinen Kollegen aus der Euro-Zone aufgezeichnet zu haben.

Und bei AFP:

Der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis hat eingestanden, vertrauliche Gespräche bei einem Treffen mit seinen EU-Kollegen Ende April mitgeschnitten zu haben.

Über die Frage, woher der vermeintliche Vorwurf der Aufnahme stammte, informiert AFP angestrengt indirekt:

Varoufakis bestätigte mit seinem Blogeintrag Angaben der „New York Times“. Die US-Zeitung hatte am Mittwoch in einem langen Text über den griechischen Finanzminister, der auch Interviewpassagen enthielt, über die Aufzeichnungen in Riga berichtet.

Bei „Spiegel Online“ meinen sie sogar, Varoufakis habe die „Nachricht“, dass er die Aufnahmen „eingeräumt“ habe, in einem Blog-Beitrag „versteckt“ – wie auch immer man sich das vorstellen muss.

Sie alle können oder wollen nicht anders über Yanis Varoufakis berichten. Vermutlich können sie ihn gar nicht mehr anders sehen. Er ist für sie ein eitler Idiot, der dumme Dinge tut, und alles, was er tut, bestärkt sie in dieser Wahrnehmung und Darstellung, und selbst wenn er nur bei seiner eigenen Darstellung eines Sachverhaltes bleibt, schaffen sie es, den Eindruck zu erwecken, er habe – widerwillig, womöglich auf öffentlichen Druck – einen peinlichen Fehler zugegeben.

Wenn dpa schreibt, Varoufakis sorge „wieder einmal für Aufregung“, ist das natürlich Unsinn, denn es ist die Agentur selbst, die für Aufregung sorgt. Die ganze Art, wie die deutschen Medien in den vergangenen Tagen das Mitschneiden der Gespräche skandalisiert haben, ist bezeichnend.

Nehmen wir die „Süddeutsche Zeitung“. Vom ersten Satz an trieft der Bericht des Brüsseler Korrespondenten Alexander Mühlauer von spöttischer Verachtung für Varoufakis:

Die Fotos sind wieder toll geworden, nicht ganz so toll wie jene im Penthouse seiner Frau, aber immerhin sieht Yanis Varoufakis wahrhaft blendend aus. Wie er so über den Syntagma-Platz in Athen schlendert, das Hemd offen und natürlich nicht in die Hose gesteckt, könnte man meinen, er ginge ins Kaffeehaus. Dabei ist er auf dem Weg in sein Ministerium. Dorthin hat ihn ein Fotograf des „New York Times Magazine“ begleitet.

Doch Varoufakis wäre nicht Varoufakis, hätte er es bei den Fotos belassen. Und so erzählte er dem Magazin, wie es ihm als Finanzminister so ergeht.

Kurz innegehalten: Die SZ wirft hier dem Finanzminister vor, dass er nicht nur Fotos von sich machen lässt, sondern dem „New York Times Magazine“ erzählt, wie es ihm als Finanzminsiter so ergeht? Was bildet der Mann sich ein! Der Vorwurf taucht in Variationen übrigens immer wieder in der Presse auf: Dass Varoufakis dauernd mit der Presse spricht. Man könnte das schizophren finden.

Weiter im Text:

Er erinnert sich an das Treffen der Euro-Gruppe im April in Riga, das für ihn nicht gerade optimal verlief. Ihm wurde vorgeworfen, auf Zeit zu spielen. Nun sagt Varoufakis: „All diese Berichte, dass ich beleidigt wurde, als Zeitverschwender bezeichnet wurde und all das: Lassen Sie mich sagen, dass ich das mit jeder Faser meines Körpers dementiere.“ Er könne das beweisen, behauptet er, schließlich habe er die Gespräche in der Euro-Gruppe mitgeschnitten. Doch wegen der Regeln über Vertraulichkeit könne er diese Aufnahmen nicht veröffentlichen.

Ob das stimmt, weiß nur Varoufakis selbst. Aber immerhin schafft er es mit dieser Äußerung, seine Ministerkollegen erneut zu verärgern. Aus deutschen Regierungskreisen verlautete: „Wir erwarten von der Euro-Gruppe, dass der Sachverhalt aufgeklärt wird. Die Vertraulichkeit der Gespräche muss gewahrt bleiben.“

Ist das nicht traurig? Selbst für eine Selbstverständlichkeit, eine Standard-Feststellung, dass vertrauliche Gespräche vertraulich bleiben müssen, fand sich für die SZ als Stichwortgeber nur ein anonymer Irgendwer „aus deutschen Regierungskreisen“?

Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sagte am Donnerstag: „Treffen der Euro-Gruppe sind vertraulich. Wir verlassen uns auf jede anwesende Person, diese Vertraulichkeit zu respektieren.“

Ja. Gut. Schön, das mal hingeschrieben zu haben. Bislang scheint niemand ja diese Vertraulichkeit gebrochen zu haben – ach so, Moment, außer den Gegnern von Varoufakis, die der Presse erzählt haben, dass die anderen Finanzminister ihn dort beschimpft hätten. Komischerweise handelt der Text aber gar nicht von diesem Bruch der Vertraulichkeit, sondern nur dem vermeintlich drohenden durch Varoufakis.

In Brüssel hieß es, dass es keine Regeln gebe, die das Aufnehmen verböten. Theoretisch könne das jeder Teilnehmer tun – allerdings nur für den Eigenbedarf.

Aha! Nach Ansicht von „Brüssel“ hat Varoufakis also gar nichts Verbotenes getan. Das ist aber ein bisschen enttäuschend als Fazit, und so fügt die SZ sicherheitshalber hinzu:

In Deutschland wäre ein solcher Mitschnitt strafbar. In Paragraf 201 des Strafgesetzbuches heißt es unter „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt.“

Es sei Varoufakis eine Warnung für seine nächste Konferenz in Deutschland. Die, um die es geht, fand in Riga statt.

Die „Welt“ berichtet über Varoufakis‘ Mitschnitt unter dem Zitat „Unverschämt, eine Zumutung“ und nennt ihn einen „Affront“. (Online trägt das Stück den Titel: „Dreistigkeit bewahrt Varoufakis vor dem Rauswurf“.) Der Artikel von Jan Dams und André Tauber beginnt damit, allen, die in den vergangenen Monaten womöglich keine deutschen Medien gelesen haben, daran zu erinnern, was dieser Varoufakis für eine erbärmliche Gestalt ist:

Janis Varoufakis ist inzwischen als ein Mann bekannt, der polarisiert. In Griechenland hat der Finanzminister durchaus seine kompromisslosen Fans. Es gibt Plakate, auf denen steht, V für Varoufakis – wie V für Victory eben, also Sieg. Zu seinen Auftritten kommen die Groupies, weibliche Fans jeden Alters. Politisch, unter seinen Kollegen, gilt der Mann dagegen als erledigt. Das allerdings nicht erst seit dieser Woche.

Ein Politiker, den nur ein paar radikale Griechen und sonst nur Frauen „jeden Alters“ mögen. Hahaha.

Varoufakis‘ Äußerungen gegenüber dem „New York Times Magazine“ bezeichnen die deutschen Journalistenmänner als „möglicherweise ebenso unbedacht wie eitel“ und schreiben dann:

Es ist eine Provokation, ein Affront. „Das ist absolut unüblich“, sagt ein europäischer Sitzungsteilnehmer. Das sei „unverschämt, eine Zumutung.“ Und angeblich sogar verboten.

Ein europäischer Sitzungsteilnehmer. Irgendein Unbekannter, der sich nicht einmal traut, mit seinem Namen zu seiner Einschätzung zu stehen. Dessen anonymes Zitat und Beschimpfung von Varoufakis ist für die „Welt“ gut genug, um daraus die Überschrift zu machen.

Danach zählt sie Gründe auf, warum die anderen Minister wahrscheinlich nicht gegen Varoufakis vorgehen werden:

Erstens hat der griechische Minister bislang die Vertraulichkeit nicht gebrochen, Informationen nicht an die Presse gegeben. Er wehrt sich nur gegen die Behauptung, die Kollegen hätten ihn beschimpft.

Tatsache: Varoufakis hat bislang die Vertraulichkeit gar nicht gebrochen. Man würde denken, dass angesichts dessen die Aufregung ein bisschen übertrieben ist. Aber nein.

„Möglicherweise hat er auch – anders als er jetzt behauptet – die Sitzung gar nicht aufgenommen, sondern erzählt es nur, um seine Version der Sitzung zu untermauern“, mutmaßt einer der anderen Unterhändler. Wer weiß das schon bei Janis Varoufakis?

Oho, noch ein anonymer Unterhändler. Vielleicht auch wieder der gleiche. Während Varoufakis vorgeworfen wird, ununterbrochen Interviews zu geben, scheinen die anderen Finanzminister ununterbrochen mit der Presse zu reden, aber im Hintergrund, feige, im Schutz der Anonymität. Komischerweise scheinen die deutschen Journalisten damit kein Problem zu haben.

Toll ist aber auch die Theorie der „Welt“, dass Varoufakis sich das mit den aufgezeichneten Gesprächen womöglich nur ausgedacht hat. Entweder ist der Typ also böse, weil er Gespräche mitschneidet. Oder weil er nur behauptet, Gespräche mitgeschnitten zu haben. Böse ist er in jedem Fall.

Weiter im Text:

Zweitens, heißt es in Verhandlungskreisen: Es gebe keine Bestimmungen, wonach Mitschnitte verboten wären. Und tatsächlich scheinen außer Varoufakis auch andere das Wort „Amateur“ bei dem fraglichen Treffen nicht gehört zu haben. Bleibt tatsächlich die Frage, wer das Ganze damals an die Nachrichtenagentur Bloomberg weitergegeben hat.

Na sowas, „in Verhandlungskreisen heißt es“, Mitschnitte seien gar nicht verboten. Zwei Absätze weiter oben hatte die „Welt“ noch irgendein anderes anonymes Verhandlungskreismitglied erwähnt, das behauptete, es sei verboten. Vielleicht hätte man das dann besser weggelassen? Und, noch einmal, es findet sich wirklich niemand, der nicht Varoufakis heißt, der on the record eine Aussage darüber träfe?

Und nebenbei erwähnt die „Welt“ nun, dass es selbst bei ihren Quellen Zweifel gibt, ob Varoufakis in Riga von seinen Kollegen so kritisiert wurde, wie es deutsche Medien großflächig berichtet hatten.

Wäre das nicht ein Skandal? Wenn irgendwelche Teilnehmer aus der vertraulichen Sitzung Dinge berichten? Dinge, die womöglich nicht einmal stimmen? (Außer der „Welt“ berichteten auch FAZ und „Handelsblatt“ am Freitag, dass Varoufakis‘ Kollegen ihn vermutlich doch nicht als „Spieler, Amateur und Zeitverschwender“ bezeichnet haben.)

Och jö. Die „Welt“ schreibt:

Einerseits ist überliefert: Es gibt inzwischen einige Kollegen des Griechen, die von dessen selbstgefälligen Auftritten und ausschweifenden Referaten genervt sind. Der eine oder andre könnte deshalb schon mal Dinge weitererzählen, die Varoufakis schaden. Andererseits ist allen klar, viel hat der Mann in Athen ohnehin nicht mehr zu sagen. Warum sich also über ihn aufregen?

Kein Affront, kein Skandal. Und alles, was passiert, spricht immer gegen Varoufakis. Den bösen, eitlen Mann, der die Vertraulichkeit des Finanzministertreffens nicht gebrochen hat, anders als die unzuverlässigen anonymen Teilnehmer, denen die deutsche Presse vertraut.

Sie haben bisher immer das falsche Online-Angebot gelesen!

Es gibt Menschen, die alles, aber auch wirklich alles in ihrem Leben falsch machen. Das sind die Leser von „Focus Online“.

Eine Kampfansage an Nachrichtenmöbel

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

„heute+“: Das ZDF erfindet seine Fernsehnachrichten neu – und denkt sie vom Internet her.

Am vergangenen Mittwoch brach beim ZDF eine wilde Twitterei aus. Der Sender hatte ein lustiges Werbevideo online gestellt, in dem Claus Kleber, umgeben von einem Tross von Lakaien, die seine Krawatten und Fernsehpreise tragen, auf Daniel Bröckerhoff trifft, einen der beiden Moderatoren der neuen Nachrichtensendung „heute+“. „Ihnen fehlt noch manches, aber das wird“, sagt Kleber zu dem „jungen Mann“ und reicht ihm gönnerhaft eine Krawatte. Später sieht er Bröckerhoff, wie er frei im sonst leeren Studio stehend moderiert. „Das sind die coolen Neuen“, sagt der Regisseur. „Ohne Krawatte und ohne Tisch?“, staunt Kleber. „Tja, Claus, der hält sich halt an Fakten fest.“ Schlussbild: Kleber sitzt auf dem seinem „heute journal“-Schreibtisch und sägt hektisch das Holz durch.

Die Beteiligten twitterten das Video und lösten damit ein anhaltendes, ausuferndes Gewitzel und Gefrotzel aus, das Kleber nur eine kleine Weile unterbrach, um den ukrainischen Präsidenten fürs „heute journal“ zu interviewen. Und bei aller demonstrativer Selbstironie konnte man den Eindruck bekommen, dass diese neue Welt, in der die Fernsehleute sich alle locker machen und ununterbrochen öffentlich kommunizieren, nicht ganz unanstrengend ist, auch nicht fürs Publikum.

Für die Verantwortlichen ohnehin nicht. Bröckerhoff hat größere Teile der vergangenen Wochen auf Facebook verbracht. Die Redaktion hat Beiträge von „heute+“, die sie für Probesendungen produziert hat, schon online veröffentlicht, und vor allem der Bröckerhoff, der die Sendung im Wechsel mit der Eva-Maria Lemke moderiert, verausgabte sich dabei, mit fast jedem einzelnen Kritiker in dem Netzwerk zu diskutieren, Beschwerden nachzugehen, Beleidigungen zu entschärfen und Anregungen einzusammeln.

Für große negative Aufmerksamkeit sorgte vor allem ein Stück über den Streik bei der Bahn. Die Redaktion hatte die schlechte Idee, ihn als „Geiselnahme“ der Kunden zu inszenieren, entsprechende Filmszenen inklusive. Der Beitrag lieferte keine neue Perspektive oder ungewohnte Einblicke, sondern wirkte wie eine bloße billige populistische Zuspitzung. Nach diversen heftigen Reaktionen veröffentlichte die Redaktion eine Stellungnahme, in der sie einräumte, dass ihr Umgang mit dem Begriff zu wünschen übrig ließ. Sie sagt, sie hat etwas gelernt.

Es war am Ende vielleicht ein Lehrstück dafür, wie man den Dialog mit den „Usern“ ernst nimmt. Aber auch, was dabei herauskommen kann, wenn man sich unbedingt vorgenommen hat, „Nachrichten neu zu erzählen“.

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Von Montag an läuft „heute+“ anstelle von „heute nacht“ im ZDF. Aber dahinter steckt nicht nur eine anders aussehende, präsentierte und benannte Nachrichtensendung im Fernsehen, sondern ein für den Sender erstaunlich radikaler neuer Ansatz. Die Ausstrahlung der Sendung im Fernsehen ist nicht mehr das Zentrum all der Aktivitäten der Redaktion, sondern nur noch ein Schlusspunkt, fast ein Nachtrag. Die Produktion versucht mindestens so sehr das Publikum im Netz zu erreichen. Die Sendung wird werktäglich um 23 Uhr in der ZDF-Mediathek ausgestrahlt – und irgendwann nach Mitternacht, noch einmal live, im sogenannten „Hauptprogramm“ des ZDF im Fernsehen.

Fertige Beiträge werden den ganzen Tag über schon veröffentlicht, teils über Links auf die Mediathek, teils als Videos direkt auf Facebook und in anderen Netzwerken. Jedes Element der Marke „heute+“ soll so gestaltet sein, dass es „auf jeder Plattform funktioniert, auf der es für andere potenziell Interessierte ‚geteilt‘ wird“, sagt Elmar Theveßen, der stellvertretende Chefredakteur.

Durch „heute+“ will das ZDF mehr junge Leute mit seinen Nachrichten erreichen. Wie nötig das ist, daran lässt Theveßen keinen Zweifel. Die „heute“-Sendung um 19 Uhr schauten zwar im Schnitt 3,7 Mio Zuschauer, sagt er, aber davon seien nur 160.000 jünger als 40. Beim „heute journal“ seien es noch ein paar weniger. Dabei erreiche der Sender in den Online-Netzwerken mit seinen Marken jetzt schon mehrere Hunderttausende Menschen in diesem Alter.

Eigentlich wollte die Mainzer Anstalt schon 2009 zum Start ihres Serien-, Comedy- und Wiederholungs-Ablegers ZDF.neo Nachrichten für ein jüngeres Publikum entwickeln – das hat die Politik damals aber abgelehnt. Vor drei Jahren gründete sie dann Arbeitsgruppen mit jungen Mitarbeitern aus verschiedenen Abteilungen, die sich Gedanken über das Thema machen sollten. Dass deren Ergebnis so viel mit dem Netz zu tun hat, sei nicht Auftrag gewesen, sagt Projektleiter Clas Dammann. „Eigentlich hatten wir erst in Richtung Fernsehen gedacht.“ Erst dann sei klargeworden, dass es wichtig sei „extrem in Richtung soziale Medien zu gehen“. Nicht nur junge, sondern auch kritische Menschen sollen hier besonders angesprochen werden.

„heute+“ ist Teil eines größeren ZDF-Projektes, in dem es darum geht, den Sender besser für crossmediales Arbeiten umzustellen – und dafür ein „Katalysator“. Die Redaktion ist durch interne Umschichtungen besser ausgestattet als die Vorgängersendung „heute nacht“, ausgerechnet im Social-Media-Bereich aber noch nicht so, wie es nötig wäre. Im Sommer soll sich das bessern. „Das schlimmste wäre, eine Interaktion anzubieten und dann nicht doch nicht zu antworten“, sagt Theveßen.

Der Aufwand zur Kommunikation mit den Zuschauern ist kein Selbstzweck, oder wie Theweßen es im Anstaltsdeutsch formuliert: „Wie gehen nicht fahrlässig in Mehraufwand.“ Schon in den Probewochen habe sich gezeigt, wie wertvoll und anregend das Feedback des Publikums sei.

Als Beispiel nennen die „heute+“-Leute einen Beitrag über einen syrischen Flüchtling in Oberhausen und die Langeweile, die ihn lähmt, weil er nicht arbeiten darf und nichts zu tun hat. Der Film sei mit relativ wenig Aufwand produziert worden, aber sehr gut angekommen. Doch die emotionale, persönliche Ebene, die dazu beitrug, stieß auch auf Kritik. Und so nahm die Redaktion das Thema ein paar Tage später wieder auf und beantworte viele faktische Fragen, die bei den Zuschauern aufgekommen waren, in einem im Gegensatz dazu sehr nüchternen und sachlichen Beitrag.

Weg vom „Verkündungsjournalismus“, hin zu einer Rolle als Vermittler, das ist das Ziel. Auch die anderen ZDF-Nachrichten versuchten immer wieder, ein Thema „gegen den Strich zu bürsten“, sagt Theveßen, aber bei „heute+“ sei das von vornherein Teil der DNA.

Es sei ein „hoher kommunikativer Aufwand“ betrieben worden, den Mitarbeitern auch in den Landes- und Auslandsstudios die neue Haltung für die Sendung zu vermitteln, sagt Clas Dammann, die gewünschte „Erzählhaltung“ der Beiträge. Die Person hinter einem Bericht darf und soll sichtbar werden. Geplant ist auch, zum Beispiel im Gespräch mit den Korrespondenten, die Bedingungen deutlich zu machen, unter denen ein Bericht entsteht, die Beschränkungen, die Arbeitsweisen.

Es gab Workshops und eine „Werkzeugkiste“ mit möglichen Beitrags-Macharten, und die Studios haben ein Paket bekommen mit all den hippen Gestaltungseffekten, die sie benutzen können – wenn auch idealerweise nach einer gewissen Lernkurve nicht mehr alle gleichzeitig. („Lernkurve“ ist mehr noch als „work in progress“ ein Begriff, der dauernd fällt, wenn man mit ZDF-Leuten über „heute+“ redet.)

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Posted by ZDF heuteplus on Freitag, 24. April 2015

 
„Am Ende kommt es aber immer auf die Substanz an“, beteuert Theveßen, „wir wollen keine Comedy machen oder uns krampfhaft an die Zuschauer ranrobben.“ Auch das wird vermutlich noch eine Lernkurve. Die Versuchung, einen Beitrag einfach durch Gimmicks aufzupimpen, ist sichtlich groß. In einem Stück über die Probleme des großen Fleischkonsums in der Welt halten die Gesprächspartner unmotiviert Teller mit Essen in der Hand. Und auch ein Vorstellungs-Film, in dem die Sendung selbst erklärt, wer sie ist und wie sie so tickt und in erster Person von sich spricht, ist eher ein abschreckendes Beispiel. „Klar, in der Glotze gibt es mich auch“, sagt „heute+“ da. „Aber eigentlich komme ich von online. So wie meine Zuschauer. News sind wichtig. Aber braucht’s diesen Oberstudienrats-Style? Die dunklen Ecken einer Geschichte ausleuchten, das ist mein Ding. Ich will mehr sein als Zappelbilder und Sprüche.“

Und dann heißt es da noch: „Schreibtisch raus, Ganzkörper rein. Raum für Inhalt und Haltung.“ Man könnte fast glauben, ein Möbelstück sei das Hauptproblem der Fernsehnachrichten heute.

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Fotos: ZDF

Der aserbaidschanische Regierungssender TV.Berlin

Es tun sich so viele aufregende Dinge in der Hauptstadt, es gibt ambitionierte Bauvorhaben, Reformen in der Verwaltung, große internationale Veranstaltungen, die viele Besucher anziehen. Der lokale Fernsehsender TV.Berlin widmet sich ihnen beispiellos ausführlich – den aufregenden Dingen in der Hauptstadt Aserbaidschans.

Die Homepage von TV.Berlin sieht schon seit Wochen aus, als stünde die Umbenennung in TV.Baku unmittelbar bevor. Prominenter als jedes andere Format wird die vielteilige Reportagereihe beworben, in der der Sender vor den ersten Europäischen Spielen, die hier im Juni stattfinden werden, über Aserbaidschan berichtet.

Es ist, kurz gesagt, ein beneidenswertes Land, geführt von einer großartigen, modernen Regierung, die unter nicht immer ganz leichten Umständen viele gute Dinge tut und an deren Spitze ein weiser Präsident steht. Aber warum sollte man das kurz sagen, wenn es so viele beeindruckende Details gibt, die Freunde der Regierung gern in die Kamera von TV.Berlin sprechen! Und die Menschen auf der Straße in Baku, aber das ist ja letztlich kein Unterschied. Ein älterer Mann sagt gleich in der ersten Folge:

„Es war eine gute politische Entscheidung vom Präsidenten, dass Aserbaidschan die Spiele austrägt. Ich finde, Baku ist eine der schönsten Städte, und ich muss sagen, dass die Regierung in den vergangenen 20 Jahren viel für den Sport und das Land getan hat.“

Sicherheitshalber fragt Aileen Waurick, die junge TV.Berlin-Reporterin aber nochmal bei der Vize-Präsidentin des (angenehmerweise weitgehend oppositionsfreien) aserbaidschanischen Parlamentes nach. Die ist begeistert.

„Selbstverständlich ist Aserbaidschan in der Lage, dieses Sportereignis auszutragen. Nicht umsonst haben wir uns beworben und den Zuschlag erhalten. Und das war nicht unsere Entscheidung, sondern das Europäische Olympische Kommitte hat Aserbaidschan für würdig empfunden und bringt uns das Vertrauen entgegen, die Spiele auszurichten. Deswegen ist es ganz offensichtlich, dass das IOC weiß, wo die Stärken unseres Landes liegen.

Gut, da ließe sich jetzt einiges zu sagen. Andererseits, wenn man schon mal Gelegenheit hat, mit der Vizepräsidentin der aserbaidschanischen Nationalversammlung ein Interview zu führen, drängen sich natürlich andere Fragen auf. Konkret zum Beispiel diese:

Sind Sie denn selbst auch vor Ort und welche Sportarten finden Sie persönlich ganz spannend?

(Sie schaut mal, was ihr Terminkalender zulässt, ist jetzt nicht Fan irgendeiner bestimmten Sportart, hält sich aber selbst mit Fitnessübungen in Form.)

Die TV.Berlin-Reportagen aus Baku sind Werbefilme für das Land und seine Regierung. Mit der Ausrichtung der European Games will sich das neototalitäre Regime der Weltöffentlichkeit in bester Form präsentieren, und diese Filme wirken, als seien sie Teil der Kommunikationsstrategie. Gezeigt wird nicht nur, wie wunderbar das erstaunlich moderne Land die Ausrichtung eines solchen Großereignisses schultert. Eine ganze Folge lang werden die diese fantastischen neuen Bürgerzentren gerühmt, die es im ganzen Land gibt. Blenden wir uns ein in den faszinierenden Bericht über die Asan-Service-Zentren!

„Dieses mal führt uns uns unser Entdeckungsreise direkt in das Zentrum von Baku“, sagt die Sprecherin. „Genauer gesagt in die Heysan-Aliyew-Straße im Westen der Stadt. Unser Ziel: Eines von insgesamt acht Asan-Service-Zentren in Aserbaidschan. Fasst man es mit zwei Worten zusammen, dann trifft es die Bezeichnung ‚Innovatives Bürgerzentrum‘ wohl am besten.“

Früher habe es bei den Behörden im Land häufig Korruption gegeben. Dieser Willkür habe die aserbaidschanischen Regierung vor zwei Jahren ein Ende gesetzt.

TV.Berlin-Reporterin Waurick konfrontiert den Asan-Direktor Inam Kerimov mit der Feststellung, dass das Projekt ja noch neu, aber doch sehr erfolgreich sei. Er kann das sehr bestätigen, zeigt der jungen Reporterin und uns ausführlich alles und erzählt:

Das Asan-Projekt ist Teil eines umfassenden Modernisierungsprozesses, den unser Präsident ins Leben gerufen hat. Selbstverständlich ist ein Ziel, alle negativen Effekte zu eliminieren.

Die Sprecherin ergänzt:

Die Asan-Center in Aserbaidschan sind Bürgerzentren ganz besonderer Art. Zeitraubende Wege zu mehreren Behörden, wie es in Deutschland üblich ist, entfallen. Denn die Zentren bündeln jeweils 30 Dienstleistungen wie die Ausstellung von Dokumenten, Steuer- und Rentenbescheiden unter einem Dach.

Und die Menschen in Aserbaidschan, sind die dankbar für diese Einrichtungen? Und wie!

Wie groß der Zuspruch der Bürger ist, lässt sich an folgender Zahl erkennen: Allein innerhalb des ersten Jahres nahmen eine Million Männer und Frauen den Asan-Service in Anspruch.

Zu dem Erfolg haben auch maßgeblich die vielen ehrenamtlichen Helfer beigetragen. Von 2013 an bis heute unterstützen mehr als 2000 Freiwillige die Bürger in acht Service-Zentren. Eine von ihnen ist Müjgan Haciyeva. Die 23-jährige musste keine Sekunde nachdenken, als sich die Möglichkeit eines Ehrenamtes bot. Sie ergriff die Chance sofort.

Haciyeva sagt dann, wie glücklich sie ist, und dass sie im Anschluss an ihre ehrenamtliche Tätigkeit sehr gern dort …

(Neinnein, bleiben Sie dran, das kann jetzt wirklich nicht mehr lange gehen. Der Mann von der Verwaltung hat schon über elf Minuten am Stück gesprochen, was deutlich mehr ist als die Gesamtlänge der täglichen Nachrichtensendung auf TV.Berlin, jetzt sind wir sicher gleich durch.)

… weiterarbeiten würde. „Denn ich stehe voll hinter dem Asan-Projekt“, sagt sie. „Ja, deshalb wäre es eine Ehre für mich.“

Natürlich gibt es nicht in allen entlegenen Regionen des Landes solche tollen Zentren. Aber dorthin fahren dann Busse, in denen Bürger ebenfalls ihre staatlichen Angelegenheiten erledigen können. „Der mobile Service erfreut sich großer Beliebtheit“, weiß TV.Berlin. Kein Wunder:

Beamter: Hier ist der Vertrag für Sie.
Bürger: Damit ist alles erledigt, ja?
Beamter: Ja, alles fertig. Sie können gehen.

Geschafft.

Folge 4 widmet sich dem Konflikt mit dem Erzfeind Armenien um die umstrittene Region Berg-Karabach und die angrenzenden, von armenischen Truppen besetzten Gebiete Aserbaidschans. TV.Berlin schildert die langjährigen blutigen Auseinandersetzungen sowie die komplexen Hintergründe des verfahrenen Streits ganz aus aserbaidschanischer Sicht. Die Reporterin besucht eine vertriebene aserbaidschanische Familie, die ihr tragisches Schicksal beklagt, aber gleichzeitig auch die Regierung rühmt, sich so gut um sie zu kümmern. Der aserbaidschanische Parlamentsabgeordnete Azay Goliyew, dem TV.Berlin bescheinigt, „um eine friedliche Lösung (des Konfliktes) bemüht“ zu sein, schildert in langen Monologen die Regierungsposition, kritisiert Armenien und die sogenannte Minsk-Gruppe, die sich um eine Vermittlung zwischen den verfeindeten Ländern kümmert. Sicherheitshalber wiederholt auch die stellvertretende Parlamentspräsidentin noch einmal die Position des Regimes, wobei ihr die TV.Berlin-Reporterin zusieht. Andere Positionen und Haltungen zu dem Konflikt kommen nicht vor.

Nun könnte man den Gedanken abwegig finden, dass sich ein Land, das hinter dem Kaukasus liegt, ausgerechnet den Kleinsender TV.Berlin für solche PR-Aktionen aussucht. Andererseits ist Aserbaidschan bekannt dafür, auf vielfältigen Wegen in ganz besonderer Weise in Deutschland und Europa sein Image zu polieren, auch mit Hilfe von PR-Agenturen wie der Berliner Firma Consultum. Und die freundliche Berichterstattung von TV.Berlin ist wiederum Thema in den aserbaidschanischen Medien.

Der Sender interessiert sich auch sonst auffallend für Aserbaidschan. Also, jetzt weniger für das Schicksal von Bürgerrechtlern, die dort eingeschüchtert, verfolgt, verhaftet und verurteilt werden. Sondern eher für die Bodenschätze und die rasant wachsende Wirtschaft. Als im Januar der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew zum Staatsbesuch in der Stadt war und Bundeskanzlerin Angela Merkel traf, war das für TV.Berlin die Aufmachermeldung in den Nachrichten, mit der aufregenden Information:

Beide sprachen über die bilaterale Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Aserbaidschan. Das Gespräch und das gemeinsame Mittagessen verliefen harmonisch.

(Die dpa-Meldung über das Treffen begann mit den Worten: „Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat von Aserbaidschan die Einhaltung der Menschenrechte verlangt. Bei einem Treffen in Berlin erinnerte sie Staatspräsident Ilham Aliyev am Mittwoch daran, dass sich die ehemalige Sowjetrepublik als Mitglied des Europarats auch zum Schutz der Menschenrechte verpflichtet habe. Zudem müssten deutsche Stiftungen und andere Organisationen die Gewissheit haben, dass sie ‚auf sicherem rechtlichen Grund‘ arbeiten können.“)

Im März zeigte TV.Berlin in einem zweiteiligen „Spezial“ lange Ausschnitte aus einem „Symposium“ über „Perspektiven Deutsch-Aserbaidschanischer Zusammenarbeit“, zu dem der aserbaidschanische Botschafter Freunde des Landes geladen hatte.

Mehrere Anfragen bei der Redaktion von TV.Berlin, wer die Filme produziert und finanziert hat und ob es eine Unterstützung zum Beispiel durch die aserbaidschanische Regierung gab, blieben unbeantwortet. Die Sendungen haben keinen Abspann. Der Vorspann besteht aus Bildern, die bereits in einem früheren Dokumentarfilm verwendet wurden. TV.Berlin wird nach diversen Insolvenzen seit 2013 von der Firma Godd Media Broadcast von Seyhan Yigit betrieben.

© 2024 Stefan Niggemeier