Und die EBU sagt nichts dazu

Der Euroclub ist der offizielle Party-Ort des Eurovision Song Contest. Hinein kommt man nur mit einer ESC-Akkreditierung. Hier veranstalten verschiedene Delegationen eigenen Partys, hier findet heute Abend die offizielle Eröffnung des diesjährigen Grand-Prix statt — und hier darf keine Musik aus Armenien gespielt werden.

Der Veranstalter, die Europäische Rundfunkunion EBU, sagt zu diesem Tabu: nichts.

Von dem Verbot erfuhr einer der DJs vergangene Nacht, als er einen Remix von „Apricot Stone“, dem armenischen ESC-Beitrag von 2010, auflegte. Eine halbe Stunde später, schreibt er im „Prinz“-Blog, sei der Euroclub-Chef gekommen und habe ihm ausdrücklich das Abspielen armenischer Musik untersagt: „Dann bekommen wir ein richtiges Problem.“ Eine entsprechende Ansage sei dann an alle DJs gegangen.

Armenien und Aserbaidschan befinden sich de facto im Krieg. Armenien hält nicht nur Berg-Karabach, sondern auch ausgedehte umliegende aserbaidschanische Gebiete besetzt.

Aber der Eurovision Song Contest ist ja angeblich eine unpolitische Veranstaltung. Er ist angeblich ein „Event, das Brücken baut“. Da wäre es doch ein kleiner, symbolischer Akt, wenn die EBU wenigstens dafür sorgte, dass im Euroclub ihres Eurovision Song Contest alle Grand-Prix-Hits aufgelegt werden können. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man denken.

Ich habe der EBU folgende Fragen gestellt:

  • Does such a ban exist?
  • Did you know about the ban?
  • Does the EBU agree with such a ban?

Sietse Bakker, der für alles außerhalb der Show verantwortliche Supervisor des Eurovision Contest, antwortet mir:

Such ban does not exist from our side, I am not aware of such ban and we would not support such ban either. For your information, we have not been approached by any of the EuroClub DJs about such ban either.

Die EBU behauptet also, nichts von so einem Verbot zu wissen. Und wenn sie nichts davon weiß, muss sie sich auch nicht dazu verhalten.

Die EBU sagt nicht, dass sie den Berichten über das Verbot nachgehen wird. Und sie sagt auch nicht, dass sie dafür sorgen wird, dass — im behaupteten unpolitischen und brückenbauenden Geiste des ESC — armenische Grand-Prix-Songs in ihrem Euroclub laufen dürfen.

Es ist eine Schande.

Nachtrag, 20. Mai. Gegenüber dem „Prinz“-Blog hat Sietse Bakkers später gesagt: „Ich habe eben mit dem Manager des Euroclub gesprochen, und (er) bestätigte nochmals, dass alle Lieder des Eurovision Song Contest gespielt werden können.“ Dem widerspricht allerdings der aserbaidschanische ESC-Sprecher Kamran Agasi. Der hatte gegenüber der Nachrichtenagentur dapd das Verbot bestätigt und so begründet: „Armenien hat ohne Entschuldigung kurzfristig die ESC-Teilnahme abgesagt. Wie können wir da den freiwilligen Helfern erklären, dass plötzlich armenische Musik läuft.“

Wie die Eurovision Schwulenfeinden nicht entgegentritt

Ich hatte eigentlich nicht erwartet, dass sich meine Verachtung für die Europäische Rundfunkunion (EBU) nach ihrem Kotau vor der aserbaidschanischen Regierung noch steigern lassen könnte. Tatsächlich ist das gerade passiert.

Heute haben Hacker die Grand-Prix-Nachrichten-Seite esctoday.com zerstört. Sie hinterließen unter anderem eine Grafik mit folgendem Text:

“Was bringen Schwule nach Aserbaidschan? Was wird in aserbaidschanischen Familien nach der Gay Parade passieren? Es gibt keinen Platz für unmoralische Schwule in Aserbaidschan. Verlasst unser Land. Kein Platz in Aserbaidschan für Schwule, die aussehen wie Tiere.”

Das Eurovisions-Blog von „Prinz“ hat daraufhin die EBU als Veranstalterin des Eurovision Song Contest um eine offizielle Stellungnahme gebeten. Die Kollegen erhielten folgende Antwort:

„Es ist natürlich sehr bedauerlich für diese Websites und die engagierten Leute, die sie betreiben, dass sie die Angriffe von Hackern erleiden. Diese sehen den Grund für ihre Taten in unkorrekten Informationen. Wir sind hier, um den Eurovision Song Contest zu organisieren, und nicht eine Gay Parade. Wie immer existiert ein solides Sicherheitskonzept für den Eurovision Song Contest, und wir haben bereits im vergangenen Jahr entsprechende Garantien von den relevanten Behörden erhalten, unterschrieben vom Premierminister Aserbaidschans. Wir haben Vertrauen in ihre Arbeit und freuen uns auf einen erfolgreichen Eurovision Song Contest 2012 in Baku.“

Mal abgesehen von der holprigen Übersetzung:

Das Problem besteht nach Ansicht der EBU nicht darin, dass Leute etwas gegen Schwule haben und tun, sondern dass sie den Eurovision Song Contest mit einer schwulen Veranstaltung verwechseln?

Die EBU verurteilt nicht die Homophobie, sondern bedauert das (nur bedingte) Missverständnis, den Grand-Prix für schwul zu halten?

Die EBU ruft nicht: „Lasst uns gemeinsam gegen Schwulenfeinde und für Toleranz und Akzeptanz kämpfen“, sondern: „Wir sind gar nicht schwul“?

Und dann ist es ihr nicht einmal peinlich, dem noch das übliche PR-Gewäsch hinzuzufügen, dass ja nichts passieren kann, weil es ihr die Regierung Aserbaidschans ja versprochen hat?

Der Tag kann nicht mehr fern sein, an dem die EBU sich bei ihrem fortschreitenden Bemühen, sich zu nichts zu verhalten, auch von sich selbst distanziert. Dann wird sie erklären, nichts mit sich zu tun zu haben, aber darauf zu vertrauen, dass irgendwelche Regierungen zu ihren Garantien stehen, dass alles gut sein wird. Mit etwas Glück löst sie sich zeitgleich auf.

Die EBU ist eine Vereinigung von Rundfunkanstalten mit öffentlichem Auftrag. Deutsche Mitglieder sind ARD und ZDF.

Mein Mulm in Baku

Das Konzert „Sing for Democracy“, mit dem Bürgerrechtler und Oppositionelle im Vorfeld des Eurovision Song Contest für Meinungsfreiheit in Aserbaidschan werben wollen, wird nicht in der Öffentlichkeit stattfinden. Die Regierung in Baku hat entsprechende Anträge abgelehnt. Gleich acht verschiedene Plätze hatten die Organisatoren vorgeschlagen — ohne Erfolg. Nun muss die Veranstaltung am kommenden Sonntag in einem Musikclub stattfinden.

Damit ist ungefähr nichts übrig von der Illusion, die Aufmerksamkeit rund um den ESC werde das autoritäre Regime in Baku dazu bewegen, sich wenigstens ein bisschen kompromissbereit, friedlich oder demokratisch zu geben. Natürlich hätte die Regierung auch ein Zeichen setzen können und einige politische Gefangene freilassen. Aber sie wusste wohl, dass das nicht nötig war.

Die Regierung zeigt, was sie darunter versteht, einen guten Eindruck zu machen: Nicht das Zulassen von Widerspruch. Sondern die möglichst umfassende Illusion, es gäbe keinen.

Die Fassaden stehen.

„Hübsch“, lautete das erste öffentliche Urteil von Jan Feddersen, der für den NDR über den ESC bloggt, über die Stadt nach einem knappen Tag Anwesenheit und einer Fahrt im Shuttlebus. „Wahrscheinlich darf man das nicht offen aussprechen“, fügte er hinzu, „weil wir doch in Deutschland so heftig über Boykott, Ächtung bis hin zur Disqualifikation debattiert haben.“ Als sei Deutschland das Land, in dem man Dinge nicht offen aussprechen darf. Und als sei es die Schönheit der Fassaden, die heftig debattiert wurde, und nicht der Dreck dahinter und die Brutalität, mit der sie errichtet wurden.

Die Logik, auf die sich viele Journalisten, Fans und Kritiker im Vorfeld einigen konnten, lautete: Es sei gut, wenn möglichst viele Leute nach Baku fahren und sich vor Ort ein eigenes Bild machen. Aber die Leute, die jetzt in Baku sind, sehen natürlich vor allem: die Fassaden.

Genau dafür wurden sie ja errichtet. Und sie sind wirklich eindrucksvoll. Baku ist überwältigend spektakulär. Die weiten Parks, die aufs Adretteste renovierte Altstadt, die Licht- und Wasserspiele überall, die Protzbauten aus unterschiedlichsten Epochen. Die Kontraste hier waren immer schon eindrucksvoll, jetzt ist die Stadt auch eine Leistungsschau für modernste, gewaltigste Architektur.

Unfassbar, wie die drei gerade fertig gestellten Flammentürme über der Stadt thronen. Sie wirken, als hätten Riesen sie einfach aus der Luft in die Stadt geworfen. Nachts zaubern zehntausende LEDs auf die Fassaden lodernde Flammen oder die Silhouette von Menschen, die die aserbaidschansiche Flagge schwenken. Die Kristallhalle leuchtet und glitzert nicht nur; riesige, bewegte Scheinwerfer markieren ihre Position im Himmel über Baku.

Ähnlich wie die Olympischen Spiele in Peking ist der Eurovision Song Contest in Aserbaidschan auch Werbung für ein politisches System, in dem die Verwirklichung großer und größter Visionen nicht durch lästige rechtsstaatliche Hürden behindert wird. Staunend flanieren Einheimische und Besucher auf dem prachtvollen Boulevard, der sich jetzt das ganze Ufer an vielen spektakulär herausgeputzten alten und neuen Gebäuden entlang bis hin zur Kristallhalle erstreckt. Sie sehen, was enorm viel Geld und fast uneingeschränkte Macht möglich machen.

Den Preis, der dafür gezahlt wurde, sieht man nicht.

Es ist ja nicht so, dass sich dieses Land für einen Besucher unmittelbar anfühlen würde wie eine Diktatur oder jedenfalls ein repressiver Staat. Es ist nicht so, dass Unrecht und Korruption einem beim Streifen durch die neuen alten Straßen mit den ganzen Läden internationaler Designer das Leben schwer machen würden, im Gegenteil.

Natürlich freuen sich auch die Bewohner Bakus, dass ihre Stadt sich so herausputzt; dass sie alles tut, um sich der Weltöffentlichkeit strahlend und modern und wohlhabend und europäisch zu zeigen. (Jedenfalls, wenn sie nicht zu den Tausenden gehören, die mit ihren Wohnungen oder ihren Geschäften dieser Verschönerung im Wege stehen.) Die Menschen freuen sich über die Aufmerksamkeit, sie sind stolz, diesen Grand Prix ausrichten zu dürfen, und in gewisser Hinsicht ist das alles sicher auch Teil der umwerfenden Gastfreundschaft, die die Aseris pflegen.

Die Summen, die Aserbaidschan direkt oder indirekt für den Wettbewerb ausgegeben haben sollen, sind atemberaubend. Einiges davon hätte die Stadt natürlich ohnehin in ihrem Modernisierungsprogramm ausgegeben; andererseits kommt anscheinend ein Teil der Mittel zum Beispiel für die Kristallhalle auch aus Etats, die eigentlich für grundlegende Sanierungsarbeiten reserviert war.

Die Innenstadt Bakus scheint vollständig dem Wettbewerb gewidmet zu sein. Überall hängen ESC-Poster und -Plakate, die kürzlich angeschafften Londoner Taxis fahren alle mit dem ESC-Logo, in den Straßen blinken aufwändige ESC-LED-Installationen.

Der Eurovisions-Zirkus, der um die Welt zieht, findet natürlich in einer Blase statt. Die Fans und Berichterstatter verbringen ihre Zeit hier in Shuttlebussen, bei Proben und auf Pressekonferenzen, auf denen es um nichts geht, schon gar nicht darum, wie die Polizei am Montag gegen Demonstranten vorgegangen ist, die für das Recht zu demonstrieren demonstrieren wollten.

Ich will das niemandem vorwerfen, ich bin ja selbst Teil davon. Es ist nur desillusionierend, in welchem Maße das Kalkül der regierenden Clique aufgeht.

Alle Teilnehmer, die auf den Pressekonferenzen gefragt werden, sagen, wie beeindruckt sie von der Stadt und allem sind. Und sie haben ja auch recht.

Ich habe ein mulmiges Gefühl hier. Nicht weil ich in irgendeiner Weise um meine Sicherheit fürchtete — als akkreditierter Journalist scheint man hier tatsächlich eine Vorzugsbehandlung zu genießen. Sondern weil es so schwer ist, nicht selbst Teil der Inszenierung zu werden, wenn man sich auf den Spaß an diesem bekloppten Wettsingen einlässt. Und weil es der Opposition so wenig gelingt, Anlässe zu schaffen, die sie sichtbar machen, kleine Störungen in der glatten Fassade, die das aserbaidschanische Regime und die Europäische Rundfunkunion EBU gleichermaßen bewahren wollen.

Dieser Eurovision Song Contest ist natürlich eine Veranstaltung, die der aserbaidschanischen Regierung dient. Wenn die EBU ihn in ihrer Mischung aus Kalkül, Feigheit und Naivität als „unpolitisch“ bezeichnet, entspricht das den Interessen der Regierung.

Die Zahl der Menschen, die hier versuchen zu demonstrieren, die Rechtsverstöße anprangern und für Bürgerrechte kämpfen, ist klein. Die Regierung hat den Menschen das Interesse an politischem Engagement systematisch ausgetrieben. Die Botschaft ist klar: Man kann gut leben in Baku, womöglich sogar immer besser dank des Ölreichtums, über den das Land seit wenigen Jahren selbst verfügen kann, wenn man sich nicht mit den Mächtigen anlegt.

Die wenigen Leute, die sich engagieren und die die Anwesenheit so vieler internationaler Gäste und Journalisten zu nutzen versuchen, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen, scheinen überfordert oder überlastet. Vielleicht sind sie aber auch nur chancenlos gegen die Professionalität des Apparates.

Human Rights Watch hatte die schöne Idee, einen Stadtplan von Baku für Touristen zu produzieren, auf dem nicht nur touristische Höhepunkte eingezeichnet sind, sondern auch Orte, an denen Oppositionelle überfallen oder Proteste niedergeschlagen wurden. Ich habe noch keine dieser Karten hier in Baku gesehen; ich wüsste auch nicht, wo sie zu finden sein könnten. Vielleicht ist die Regierung so erfolgreich, solche Versuche der Gegenöffentlichkeit zu unterbinden. Vielleicht muss sie sie gar nicht unterbinden, weil ihre Gegner so schlecht organisiert sind.

Überall ist Polizei. Als wir nach unserem Flug über Istanbul nach Baku gegen drei Uhr morgens in unserem kleinen Hotel ankommen, sitzen im winzigen Foyer vier Uniformierte. Ich weiß nicht, ob sie da sind, um uns zu beschützen oder andere vor uns, aber einer ist immer da. Meistens fläzen sie sich auf den Sofas und beobachten uns beim Ein- und Auschecken, mindestens einer lungert vor dem Haus herum und unterhält sich mit Kollegen. In jedem Shuttle-Bus sitzt vorne ein Beamter, auf jeder größeren Straßenkreuzung steht ein Streifenwagen, jeder Delegationsbus wird von einem Polizeiauto begleitet, Sicherheitsleute patroullieren durch die Parks, schreiten beim Filmen von Sehenswürdigkeiten ein, stehen zu Dutzenden an neuralgischen Umsteigepunkten herum.

„Vor Uniformierten muss man in Aserbaidschan keine Angst haben“, sagt der dapd-Korrespondent vor Ort, und für ihn gilt das bestimmt. „Baku ist eine sehr sichere Stadt“, lobt der Grand-Prix-Oberverantwortliche Jon Ola Sand, und das trifft zweifellos zu. Wie man auch in Polizeistaaten gewöhnlich Kriminalität nicht fürchten muss, solange man damit nicht die des Staates meint.

Ich will das Land nicht dämonisieren. Das hier ist nicht eine Art Nordkorea mit Geld. Und darin, dass Aserbaidschan seine Zukunft in Europa sucht, steckt ja eine große Chance, wenn Europa umgekehrt das Land nicht nur als Öl-Lieferanten und Geschäftspartner sieht, sondern selbstbewusst für seine Werte und Fundamente wirbt und einsteht. Das müsste man dann aber auch tun.

Gestern hat in Baku eine Konferenz stattgefunden, zu der die Opposition eingeladen hatte. Ich war leider nicht vor Ort, aber es muss ein Spektakel gewesen sein. Überraschend hat die Regierung mehrere Vertreter geschickt, was sensationell ist, weil beide Seiten seit Jahren nicht an einem Tisch gesessen haben. Andererseits sagt die Art, wie sie dann miteinander geredet haben, viel über den trostlosen Zustand der politischen Kultur im Land aus. Vertreter der Regierung und regierungstreue Journalisten beschimpften die Kritiker und Bürgerrechtler und griffen auch den deutschen Vertreter von Reporter ohne Grenzen an.

„Es sollte aussehen wie ein Dialog, aber es war kein Dialog“, fasste der Moskauer ARD-Korrespondent Georg Restle die Veranstaltung in der „Tagesschau“ zusammen.

Die Blogger vom „Vorwärts“ waren vor Ort und berichteten über den bezeichnenden Umgang mit der Journalistin Khadijah Ismayilova, die mit heimlich in ihrer Wohnung aufgenommenen intimen Bildern erpresst wurde. Kurz darauf wurde ein entsprechendes Video ins Netz gestellt, regierungsnahe Zeitungen machten es bekannt.

Khadijah Ismayilova hatte aufgedeckt, dass die Präsidentengattin, der laut aserbaidschanischem Recht Firmenbeteiligungen untersagt sind, in Panama unter 5 Firmen registriert ist. Sie ist sich deshalb sicher, dass hinter der Diffamierungskampagne das Ministerium für nationale Sicherheit beziehungsweise die Staatskanzlei des Präsidenten stecke.

An dieser Stelle gab es lautstarke Tumulte der Regierungsfreunde im Saal; ein Vertreter des Justizministeriums erdreistete sich nicht, der Journalistin die Schuld an dem Video selbst zuzuschieben, indem er betonte, wie konträr ihre moralische Einstellung doch zum Rest der Frauen des Landes stünde.

Ihr Privatleben sei ihre Sache, konterte die Journalistin. Nein, erwiderte ein Vertreter des Regierungssenders, sie habe schließlich auch über die Familie des Präsidenten geschrieben.

Aber wer will diese Geschichten hören? Das Thema Menschenrechte ist durch. Leute wie Jan Feddersen haben es ohnehin fast ausschließlich auf abstrakte Art behandelt. Er verbrämt die menschlichen Schicksale hinter kunstvollen Formulierungen wie: „Dass da einige Häuser auf demokratisch unschöne Weise geräumt werden mussten… “ Er schreibt von der „miesen Menschenrechtslage“ und dass er es „ziemlich verdienstvoll“ findet, „menschenrechtlich Kritik zu üben“. Er spricht unkonkret vom „Anliegen der Menschenrechte“ und davon, dass „kein Land zuvor, gerade was die menschenrechtspolitischen Belange anbetrifft, so sehr mit Aufmerksamkeit bedacht worden“ sei. Er verspricht, die „Menschenrechtsangelegenheiten in Aserbaidschan, ja, in der ganzen Welt heftig im Auge (zu) behalten“. Die Menschenrechtsangelegenheiten!

Feddersen nennt die Fixierung auf das Thema Menschenrechte einen „Medienhype“ und entsprechende Journalisten „politisch beinah Übersensibilisierte“. Er plädiert dafür, Länder wie Aserbaidschan am ESC teilnehmen zu lassen, weil man dann „bis zum Finale alle Probleme und Missstände prima erörtern kann“. Wenige Absätze weiter fragt er dann: „Täuscht mich der Eindruck oder ist es nicht so, dass von nun an alle vor allem Glamour und Entertainment in den Berichten erwarten (…)?“

Thomas Mohr, der für NDR 2 vom Grand-Prix berichtet, kommentiert in Feddersens Blog: „Ich lass mir die Freunde am ESC auch nicht verbieten, so sehr mir das Wohlbefinden aller Menschen in Aserbaidschan natürlich am Herzen liegt.“ Ich wüsste gerne, woher diese Leute das Gefühl haben, dass sie es sind, denen in Aserbaidschan etwas verboten wird.

Ich kann und will niemandem etwas verbieten (außer vielleicht diese „Darf man nicht mal mehr Freude haben“- oder „Darf man Baku hübsch finden“-Rhetorik, die auf perverse Weise uns zu Opfern macht). Ich stelle nur fest, dass meine Freude an dieser wunderbar albernen Veranstaltung in diesem Jahr getrübt ist. Es hat mir niemand das Feiern verboten und ich darf auch mit dem kindlichem Staunen, mit dem ich immer schon vor LED-Wänden stand, die Flammentürme bewundern. Es gelingt mir einfach nicht so gut, das unbeschwert zu tun.

Das ist die Mulmigkeit, die ich meine. Und die ein eigentlich unbeschwertes, vierteljournalistisches Format wie unser Videoblog vom Grand-Prix zu einer Gratwanderung macht.

Die umfangreiche Berichterstattung aus Anlass des Grand-Prix über die wahre Natur des Regimes hat sicher dazu beigetragen, dass die Arbeit der PR-Agenturen und Lobbyisten, die international für die aserbaidschanische Regierung arbeiten, eher schwerer geworden ist. Andererseits sieht es nicht so aus, als ob der Grand-Prix den Anstoß für irgendwelche demokratischen Fortschritte im Land geben würde. Vielleicht wäre es ein erster Schritt, sich von dieser Illusion zu verabschieden.

Der Shuttle-Bus, der uns von unserem Hotel über die brandneue, achtspurige Straße an den Rand des Geländes mit dem Nationalen Flaggenmast und der Kristallhalle bringt, hält exakt an der Stelle, an der die Häuser standen, deren verzweifelt um ihr Recht kämpfende Bewohner ich im Januar kennen lernen durfte (und aus dem das Foto oben entstand). Die Tefloniker von der EBU sagen, sie hätten sich sogar Satellitenbilder zeigen lassen, die beweisen, dass dort, wo jetzt die Halle steht, vorher nichts war. Was dort war, wo jetzt die Zufahrtsstraße zu dieser Halle ist, hat sie nicht interessiert.

In der Tasche, die alle hier bei der Akkreditierung im Pressezentrum bekommen, steckt ein Briefbeschwerer mit etwas Öl im Inneren — eine freundliche Aufmerksamkeit des Eurovisions-Sponsors Socar, der staatlichen Ölgesellschaft Aserbaidschans. Das ist dieselbe Firma, deren Sicherheitsleute im April in den beinahe tödlichen Angriff auf einen bekannten kritischen Journalisten verwickelt waren.

Nachtrag, 20. Mai. Jan Feddersen hat eine Art Antwort auf diesen Eintrag geschrieben, obwohl er nichts davon verstanden hat.

Der subversivste Song Contest aller Zeiten?


Zeichnung: Martin Reinl

Ich bin so gespannt. Ich habe gehört, dass ich die Stadt kaum wieder erkennen würde, dabei ist es keine vier Monate her, dass ich da war. Baku, das sich schon in den Jahren davor vermutlich schneller verändert hat als fast jede andere Stadt der Welt, hat noch eine Turbopolitur bekommen, Blumen, Herzen, die fantastisch aussehende Kristallhalle natürlich. Und Fassaden, die trotzdem noch unansehnlich sind, wurden einfach hinter anderen Fassaden verborgen.

Das Haus in der Agil-Gulijew-Straße 5, das im Januar noch mit brutalen Methoden entmietet wurde und mit dessen verzweifelten Bewohnern unter anderem meine Kollegen Till Krause, Peter-Philipp Schmitt und ich gesprochen haben, wird jetzt verschwunden sein. Dort ist jetzt wohl eine prächtige Straße, über die die Besucher und Berichterstatter des Eurovision Song Contest zur Halle gelangen. (Wenn Sie jemanden wie Sietse Bakker fragen, den der Grand-Prix-Event-Chef, wird der ihnen erzählen, dass der Abriss dieses Hauses und der daneben nichts, aber auch gar nichts mit dem ESC zu tun hat. Sietse Bakker hat ein Motivationsbuch namens „How To Live WOW?!“ geschrieben, und so tritt er auch auf. Ich schweife ab.)

Jedenfalls bin ich nachher dann mit Lukas in Baku, und hier im Blog wird sich zwei Wochen lang wenig tun, dafür hoffentlich umso mehr auf Bakublog.tv und auf „Spiegel Online“, dessen gewaltige Leserschaft uns und unser kleines Videoblog in diesem Jahr kennenlernen soll.

Die Show in Baku wird zweifellos spektakulär werden, aber vielleicht geht ja auch der Traum von Emin Milli wenigstens ein bisschen in Erfüllung. Milli ist ein junger Blogger, der es gewagt hatte, über die aserbaidschanische Regierung zu spotten, und verprügelt, verhaftet und verurteilt wurde. Milli lebt heute in London und wünscht sich, dass dieser Grand-Prix das „subversivste Ereignis in der Geschichte des Eurovision Song Contest“ wird.

In diesem Sinne:

Achim Achilles muss Fersengeld zahlen

Vielleicht ist es doch so, dass die Menge dessen, was sich über das Laufen erzählen lässt, endlich ist. Und womöglich hat allein Hajo Schumacher schon ein Vielfaches davon zu diesem Thema publiziert.

Einfach loslaufen                    .Unter dem Pseudonym „Achim Achilles“ schreibt der Publizist seit Jahren Kolumnen, veröffentlicht Bücher, lädt zum gemeinsamen Laufen, verkauft Mittelchen und Hilfsgeräte, organisiert eine ganze Community und füllt dieselben Tipps und Gedanken in immer neue Gefäße. Doch im März ist die Zahl seiner Publikationen um eins gesunken. Schumacher musste sein E-Book „Einfach loslaufen“ vom Markt nehmen. Er hatte darin nämlich auch Inhalte recycelt, die gar nicht von ihm sind.

Längere Passagen stammen, nur minimal verändert, aus dem 2005 erschienenen Buch „Joggen in Berlin“ von Jens Karraß:

Jens Karraß:
Joggen in Berlin
Hajo Schumacher:
Einfach loslaufen
Die Zauberformel für optimale Fitness: trainieren – und zwar regelmäßig. Ausdauer kommt „aus der Dauer“ – fleißigem, regelmäßigen Lauftrainings. Die Zauberformel für Fitness heißt: trainieren – und zwar regelmäßig. Ausdauer kommt „aus der Dauer“ fleißigen, kontinuierlichen Lauftrainings.
Genießen Sie es, in der Natur zu sein. Denken Sie nie an mehr, als an diesen 3 Tagen in der Woche in der Natur zu sein, sich zu bewegen. Können Sie sich an den traditionellen Sonntagsspaziergang oder an den Urlaub mit Wanderausflügen erinnern? Obwohl beides Ewigkeiten zurückliegt? Gut! Mehr müssen Sie zu Beginn wirklich nicht tun: Bewegen Sie sich an Ihren Ausdauertagen ganz locker und (fast) gemütlich in einem Tempo, wo es Ihnen eigentlich schon fast komisch vorkommt, es noch Sport zu nennen. Genieße es einfach, draußen zu sein. Denke nie an mehr, als in der Natur zu sein, dich zu bewegen. Kannst du dich an den Sonntagsspaziergang mit der Familie oder an den Urlaub mit Wanderausflügen erinnern, obwohl beides Ewigkeiten zurückliegt? Gut. Mehr musst du anfangs wirklich nicht tun: Bewege dich an deinen Ausdauertagen ganz locker, fast gemütlich, in einem Tempo, bei dem es dir eigentlich schon komisch vorkommt, es noch „Sport“ zu nennen.
Mein dritter Tipp für Sie heißt Abwechslung. Planen Sie Ihre z. B. vier Laufeinheiten der Woche im Vorfeld so, dass Sie darin den schnellen, einen etwas längeren, einen sehr lockeren und einen moderaten Lauf integrieren. Damit sorgen Sie dafür, dass ihr Körper und ihr Herz- und Kreislaufsystem regelmäßig unterschiedliche Trainingsreize erhalten. Damit es nicht langweilig wird, baue Abwechslung in dein Training ein. Bei drei Einheiten in der Woche empfiehlt sich ein schneller, ein etwas längerer und ein sehr lockerer kurzer Lauf. So sorgst du dafür, dass Körper und Herz-Kreislauf unterschiedliche Trainingsreize erhalten.
Egal welches Laufniveau Sie haben, ein Trainingslager – die Kombination aus Sport und Ferien in reizvoller Landschaft und angenehmem Klima – lohnt sich immer. Egal, welches Laufniveau du hast, ein Trainingslager – die Kombination aus Sport und Ferien in reizvoller Landschaft und angenehmem Klima – lohnt sich immer.
Schon bei Laufanfängern macht eine Fitnesswoche Sinn, viele Teilnehmer berichten von Leistungssprüngen oder von wertvollen Tipps, die jahrelanges Fehlverhalten (und damit verbundene Schmerzen oder Frustrationen) korrigieren konnten. (…) Sie sind konzentriert und werden neue Grenzen ausloten, weil Job und Alltagsstress wegfallen. Schon bei Laufanfängern macht eine Fitnesswoche Sinn. Viele Teilnehmer berichten von Leistungssprüngen oder von wertvollen Tipps, die Fehlverhalten und damit verbundene Schmerzen oder Frustrationen korrigieren. Du bist konzentriert und lotest neue Grenzen aus, weil Job und Alttagsstress wegfallen.
Kleine Trainingslager können Sie leicht selbst planen. Mieten Sie sich an der Ostsee oder in den Alpen in eine Pension ein und holen Sie sich vorher bei Ihrem Trainer oder Ihrem Lauftreff Empfehlungen, wie Sie die Tage gestalten. Das ist nicht so schwer und auch nicht teuer. Kleine Trainingslager kannst du leicht selbst planen. Miete dich an der Ostsee oder in den Alpen in eine Pension ein und hole dir vorher bei deinem Trainer oder Lauftreff Empfehlungen, wie du die Tage gestaltest. Das ist nicht so schwer und auch nicht teuer. Ein paar gute Kumpels senken die Kosten und heben die Stimmung.
Eine Super-Woche ist also immer umrahmt von lockeren Tagen davor und danach. Lassen Sie Ihren Körper die nötige Kraft sammeln, Ihre verstärkten Bemühungen während des Trainingslagers gut zu verarbeiten. Dann sind Sie auch aufgrund der größeren Entspannung in der Lage, trotz der viel höheren Belastungen mit Spaß zu trainieren. Eine Woche Trainingslager sollte immer von lockeren Tagen umrahmt werden. Lass deinen Körper die nötige Kraft sammeln, um das Trainingslager zu verarbeiten. Wer für ausreichend Entspannung sorgt, kann auch anspruchsvollere Läufe mit Spaß bewältigen.
Große Bedeutung haben Phasen, in denen Sie entweder ganz wenig laufen oder auch gar nicht. Sie geben so ganz automatisch Ihren Beinen und Muskelzellen die Chance, sich zu regenerieren. In Zeiten, in denen du wenig oder gar nicht läufst, gibst du deinen Beinen und Muskelzellen die Chance, sich zu regenerieren.
Aber ebenso wichtig ist der anschließende Reiz in die andere Richtung – nämlich langsam, wenig oder gar nicht laufen. Haben Sie Mut dazu, Sie verlieren an einem Tag nicht Ihre Form. Im Gegenteil, Sie werden sehen, wieviel besser Sie am nächsten Tag trainieren können. Es gilt: An einem Tag verliert man noch lange nicht seine Form. Im Gegenteil, am nächsten Tag läuft es sich oft besser.
Selbst zwei lauflose Wochen nach einer langen Saison gefährden Ihre Form nicht, geben dem Körper aber die Chance, die kleinen Zipperlein auszukurieren. Selbst zwei lauflose Wochen nach einer langen Saison gefährden die Form nicht, geben dem Körper aber Gelegenheit, die Zipperlein auszukurieren.
Nach besonders harten Trainingseinheiten – bei Anfängern kann das der erste 60-Minuten-Lauf sein – ist es ratsam, zu Hause ein warmes Entspannungsbad zu nehmen. Sie helfen Ihrer Muskulatur mit der erneuten Durchblutung, Abfallprodukte der Milchsäuregärung aus Ihren Muskeln abzutransportieren. Nach besonders harten Trainingseinheiten – das kann der erste Lauf über 45 Minuten sein oder die schnelle 20-Minuten Runde, ist ein warmes Entspannungsbad ratsam. Durch die erneute Durchblutung können die Abfallprodukte der Milchsäuregärung aus den Muskeln besser abtransportiert werden.
Die Abfolge: guter Trainingslauf mit persönlichem Rekord (Dauer oder Tempo), Erfolgserlebnis, warmes Bad zur Entspannung, kann Ihnen ein wunderbares Gefühl von Ausgeglichenheit geben. Sie nehmen sich nach einem tollen Sporterlebnis die Zeit abzuschalten. Für viele ist das richtiger Luxus! Die perfekte Abfolge für ein wunderbares Gefühl von Ausgeglichenheit:
– guter Trainingslauf (Dauer- oder Tempolauf) mit persönlichem Rekord
– Erfolgserlebnis auskosten
– warmes Bad zur Entspannung
Nimm dir Zeit abzuschalten, manchmal reichen schon 5 Minuten, damit du dich wieder frisch fühlst.
Eine wichtige Regenerationsphase ist der Schlaf. Der Körper stößt vermehrt Wachstumshormone aus, die die Umbauprozesse im Körper steuern. (…) Das funktioniert aber nur, wenn er genügend Zeit und Ruhe erhält. Also ganz wichtig: ausreichender Schlaf. Eine wichtige Regenerationsphase ist der Schlaf. Der Körper schüttet vermehrt Wachstumshormone aus, die die Umbauprozesse im Körper steuern. Das funktioniert aber nur, wenn er genügend Zeit bekommt. 7 Stunden sollten es mindestens sein, 8 sind besser.
Es mag für Anfänger etwas ungewohnt klingen, aber man sollte sich vor jedem Wettkampf einen Plan zurechtlegen. Der gibt Sicherheit und Spielraum. Und er hilft bei der Konzentration. Dazu gehen Sie am Vortag Ihre bisherige Trainingsvorbereitung im Kopf durch. Selbsteinschätzung: Wie sieht die bestmögliche Endzeit aus? Wie wollen Sie das Rennen angehen? Beim ersten Marathon sollten Sie verhalten planen, die erste Hälfte eher langsam ansetzen. Wenn Sie im Verlauf des Rennens merken, dass Sie Kraft haben, können Sie sich zum Ende hin nach Lust und Laune steigern. Es mag für Anfänger etwas ungewohnt klingen, aber man sollte sich vor jedem Wettkampf einen Schlachtplan zurechtlegen. Dieser gibt Sicherheit und Spielraum. Und er hilft bei der Konzentration. Schätze Dich selbst ein: Wie sieht die bestmögliche Endzeit aus? Wie will ich das Rennen angehen? Beim ersten Mal nicht zu optimistisch planen, du kannst dich immer noch nach Lust und Laune steigern.
Am Start gehen die Pferde durch. Aber bei Ihnen nicht. Sie sind cool. Denken Sie stur nur an sich, lassen Sie sich von Ihren Nebenleuten nicht irritieren. Die sehen Sie später alle wieder. Am Start gehen die Pferde durch. Aber nicht mit dir. Du bist cool. Denke stur nur an dich, lass Dich nicht von den anderen irritieren. Die siehst du später alle wieder.
Die Kunst, am eigenen Tempo und Plan festzuhalten, muss geübt werden. Ihre Renntaktik sollte auch unterschiedliches Wetter in Betracht ziehen. Ist es zum Beispiel wider Erwarten sehr warm, müssen Sie Ihre Taktik ändern können. Versuchen Sie an alle Einflussfaktoren im Vorfeld zu denken. Sie brauchen ein Repertoire von verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten – schon, um Ihre psychische Stabilität zu erhalten. Die Kunst, am eigenen Tempo und Plan festzuhalten, muss geübt werden. Deine Renntaktik sollte aber auch auf das jeweilige Wetter abgestimmt sein. Ist es zum Beispiel wider Erwarten sehr warm, musst du deine Taktik ändern können. Versuche, im Vorfeld an alle Faktoren zu denken. Du brauchst ein Repertoire von Reaktionsmöglichkeiten – schon, um Ihre psychische Stabilität zu erhalten.
Wenn Sie um Platzierungen kämpfen, wobei schon Sekunden über Glanz und Gloria entscheiden, und gegen Ihnen bekannte Konkurrenten antreten, dann müssen Sie mental besonders stark sein. Ihr eigener Plan nämlich kollidiert mit dem Ihres Gegners. Was ist, wenn der bei Kilometer 25 plötzlich anzieht? Blitzschnell müssen Sie erkennen, ob Sie ihm folgen können, da Sie selbst gut drauf sind. Oder ob Sie ihn im Moment ziehen lassen, weil Sie ahnen, dass er sich übernimmt. Wenn Du um Platzierungen kämpfst, wobei schon Sekunden über Glanz und Gloria entscheiden, und du gegen bekannte Konkurrenten aus dem Lauftreff antrittst, musst du mental besonders stark sein. Dein eigener Plan kollidiert mit dem des Gegners. Was ist, wenn der wenige Kilometer vor dem Ziel plötzlich anzieht? Blitzschnell musst Du erkennen, ob Du ihm folgen kannst, da du selbst gut drauf bist. Oder ob du ihn im Moment ziehen lässt, weil du ahnst, dass er sich übernimmt.
Spannend wird es auf den letzten zwei bis drei Kilometern. Sie und Ihr Gegner hecheln schon wild. Sie können den Rhythmus gerade noch halten. Aber das weiß Ihr Konkurrent nicht. Zum Glück. Beobachten Sie ihn. Ist er kaputt? Sieht er gut aus? Blufft er? Konzentrieren Sie sich. Atmen Sie für eine Minute extrem ruhig. Dann müssen Sie sich trauen: Setzen Sie zu Ihrer Tempoverschärfung an. Die muss beeindruckend aktiv erfolgen. Wenn Sie dann noch kurz in die Augen Ihres Gegners schauen und lächelnd übermitteln: Komm’ wir rennen jetzt mal, dann haben Sie ihn eventuell taktisch schon erlegt. Leider nur eventuell. Spannend wird es auf den letzten 1.000 Metern. Du und dein Gegner hecheln wild. Du kannst den Rhythmus gerade noch halten. Aber das weiß dein Konkurrent nicht. Zum Glück. Beobachte ihn. Ist er kaputt? Sieht er gut aus? Blufft er? Konzentriere dich. Atme Sie für eine Minute extrem ruhig. Dann musst Du dich trauen: Setze zur Tempoverschärfung an. Die muss beeindruckend aktiv erfolgen. Wenn du dann noch kurz in die Augen deines Gegners schaust und lächelnd übermittelst: Komm‘ wir rennen jetzt mal, dann habst du ihn eventuell schon taktisch erlegt. Vielleicht auch nicht
Wenn er nun doch wieder aufschließt, hilft Ihnen nur das mentale Spiel: „Das ist toll, jetzt haben wir Spaß, ich bleibe locker an ihm dran“. Konzentrieren Sie sich auf die nächsten vier Minuten, um den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Er revanchiert sich gerade, na und? Wenn Sie es schaffen, dranzubleiben, dann kann die nächste Runde beginnen: Noch ein Kilometer bis ins Ziel, und noch einmal richtig aktiv Tempo machen. Und nicht vergessen: das überlegene Lächeln. Leider kommt dein Gegner auch zurück, seinerseits lächelnd. Wenn er wieder aufschließt, hilft Dir nur das mentale Spiel: „Das ist toll, jetzt haben wir Spaß, ich bleibe locker an dir dran“. Setze dein bestes Pokerface auf, und lass den Kontakt nicht abreißen. Er revanchiert sich gerade? Na und. Wenn Du es schaffst, dranzubleiben, dann kann die nächste Runde beginnen: Noch einmal richtig aktiv Tempo machen. Und nicht vergessen: das überlegene Lächeln.

 
Auch diverse Trainingspläne, die im Buch abgedruckt sind, stammen von Karraß.

Karraß ließ Schumacher abmahnen. Schumacher hat daraufhin die geforderte Unterlassungserklärung abgegeben und sich verpflichtet, das E-Book nicht mehr zu verbreiten und Karraß Schadensersatz zu zahlen.

Es klingt wie die Geschichte eines besonders dreisten Plagiats, doch der Fall ist komplizierter. Denn Karraß und Schumacher kennen sich und haben lange zusammengearbeitet. In dem Buch von 2005, aus dem Schumacher jetzt abgeschrieben hat, steht klein auch Schumachers Name — als Ideengeber.

Jens Karraß war Spitzensportler und arbeitet jetzt als Lauftrainer mit eigener Firma. Die Zusammenarbeit mit Hajo Schumacher geht bis ins Jahr 2003 zurück. Damals schrieben beide eine Lauf-Serie für den „Tagesspiegel“, in der prominente Läufer und ihre Lieblingsstrecken vorgestellt wurden. Schumacher protokollierte die Erlebnisse der Prominenten, Karraß gab Tipps zum besseren Laufen.

Inhalte dieser Serie bildeten dann auch die Grundlage für das Buch „Joggen in Berlin“, das auf dem Cover unmissverständlich Jens Karraß als Autor nennt. Gemeinsam tauchten beide auch auf Spiegel Online auf, wo Hajo Schumacher als Achim Achilles eine Laufkolumne schreibt. Karraß lieferte Inhalte für Schumachers Seite achim-achilles.de. Und auch als Schumacher und seine Mitarbeiter 2010 noch einmal die Inhalte neu verpackten und anreicherten, diesmal für eine Serie in der „Berliner Morgenpost“, lieferte ihnen Karraß einen Teil der Inhalte.

Es muss lange Zeit eine Zusammenarbeit gewesen sein, von der beide Seiten profitierten: Karraß lieferte Schumacher fachliches Know-How und Kontakte zu Läufern, Schumacher machte Karraß bekannt und warb für sein Unternehmen.

Doch Karraß hatte wohl schon länger das Gefühl, von Schumacher ausgenutzt zu werden. Beide hatten nicht mehr viel miteinander zu tun. Aber als Karraß sich im Januar das neue Achilles-E-Book kaufte, musste er feststellen, dass Schumacher ganze Passagen von ihm verwendet hatte, ohne zu fragen. An ein Versehen glaubt er nicht: „Ihm muss beim Schreiben klar gewesen sein, dass ihm das nicht gehört.“

Schumacher bestreitet nicht, dass die Texte von Karraß stammen. Er meinte offenbar nur, sie verwenden zu dürfen — so wie er Texte von Karraß auf achim-achilles.de verwenden durfte.

Schumacher kann nicht verstehen, dass Karraß sofort einen Anwalt eingeschaltet hat. Er hat versucht, im Nachhinein die Rechte von Karraß zu kaufen, um die Sache möglichst glimpflich aus der Welt zu schaffen. Er rechnet vor, wie lächerlich gering die Einnahmen aus dem E-Book sind: Es sei 750 mal heruntergeladen worden, was Erlösen für seine Firma von rund 375 Euro entspräche. Die Anwaltskosten übersteigen das Geld, um das es geht, mühelos.

Doch Karraß sagt, es gehe ihm gar nicht um das Geld. Es geht ihm ums Prinzip, um Schumacher und seinen Umgang mit ihm. Deshalb habe er den Anwalt eingeschaltet: „Ich wollte Augenhöhe haben.“ Karraß fragt: „Warum gibt der ein Buch heraus mit einer Kompetenz, die nicht seine ist?“

Dass Karraß sich nicht auf einen Kompromiss einlassen will — „Ich bin Leistungssportler“, sagt er, „ich will gewinnen. Wenn’s los geht, geht’s los“ — ist bitter für Schumacher, der formal im Unrecht ist. Er musste deshalb mühsam das E-Book bei den diversen Online-Händlern löschen lassen. Werbung für das nun nicht mehr erhältliche Werk steht zum Beispiel immer noch x-fach unter seinen „Spiegel Online“-Kolumnen.

Die Sache ist peinlich für Schumacher. In welchem Maß böse Absicht oder nur Fahrlässigkeit oder ein schlichtes Missverständnis dahinter steckt, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht ist es einfach so, dass in der großen Text- und Gedanken-Wiederverwertungs-Maschine, die er unter dem Pseudonym Achim Achilles zum eigenen Gewinn aufgebaut hat, ein Fehler passiert ist. Ein Fehler, der nicht hätte passieren dürfen, der aber nicht zufällig passierte.

Der Fall wirft auch in anderer Hinsicht ein Licht auf die Arbeitsweise des Marathon-Publizisten Hajo Schumacher. In einem Schreiben an den Anwalt von Jens Karraß legt er anhand von E-Mails die „tatsächliche Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen der Achim-Achilles GmbH und Jens Karraß bzw. jk running“ dar. Dazu gehörte ein Vorschlag Schumachers, der darauf hinausläuft, seine „Spiegel Online“-Kolumne für Werbung für Karraß zu missbrauchen.

Es ging darum, dass Schumacher Karraß nicht mehr ein monatliches Fixum für seine Mitarbeit an achim-achilles.de zahlen konnte oder wollte. Als Ausgleich dafür wurde über neue Formen der Kooperation nachgedacht, die Karraß einen geschäftlichen Vorteil bringen sollten. Schumacher schrieb:

ich mache für dienstag was [auf „Spiegel Online“] über trainingspläne. verlinkung zur achilles-seite (kostenlose pläne), von da muss es dann aber schnell zu jk gehen. kann man zb gleich im vorpsann [sic] machen. „wer sich was richtig Gutes gönnen will, versucht ein persönliches online coaching.“ oder so. dann müßte man allerdings noch eine neue frage dazustellen: Was ist der Unterschied zwischen den kostenlosen plänen und dem nicht gerade billigen personal coaching?

Karraß Firma sollte also offenbar möglichst stark von Schumachers Achilles-Kolumne profitieren, indem Schumacher darin möglichst zielgenau für das warb, was Karraß anbietet, nämlich persönliches Coaching und individuelle Trainingspläne. Schumacher sollte von seiner Kolumne aus auf seine eigene Seite achim-achilles.de verweisen, von dort aus sollten möglichst viele Leute zu jk running weitergelockt werden.

Das ist vielleicht im engeren Sinne keine Schleichwerbung. Man würde sich aber als Leser doch wünschen, dass Kolumnisten sich beim Verfassen vermeintlich journalistischer Texte nicht davon leiten lassen, wie sie die Umsätze ihrer Geschäftspartner möglichst positiv beeinflussen können.

Doch mit der Freundschaft und Geschäftspartnerschaft ist es endgültig vorbei. Hajo Schumacher stichelt auf der Facebook-Seite von Achim Achilles in vielfacher Form gegen Karraß und seine Methoden. Und postet Einträge wie:

thema des nächsten achilles-e-books: peinliche, kleinliche rechtstreitigkeiten von läufern. wer hat gute beispiele? wir sammeln und haben schon ein paar knaller.

„Mutwillig blind“: Die Menschenrechts-Blamage der Eurovision

„Wir stehen für Veränderung zum Besseren und für demokratische Grundrechte. Dafür kämpfen wir in Europa. Aber wir nehmen nicht aktiv teil an dem Prozess, das lassen wir andere machen.“

Jørgen Franck, Fernsehdirektor der EBU

Neuerdings hat Ingrid Deltenre immerhin eine Antwort auf die Frage, bei welcher Gelegenheit die von ihr geführte Europäische Rundfunkunion (EBU) denn die aserbaidschanische Regierung mal auf die massiven Verletzungen der Presse- und Meinungsfreiheit im Land angesprochen habe. Der EBU, besser bekannt als Eurovision, liegt die Presse- und Meinungsfreiheit nämlich angeblich besonders am Herzen. Sie hat sogar in Baku vor zwei Jahren schon ein Papier mit Forderungen dazu verabschiedet.

Jedenfalls kann Frau Deltenre nun antworten: am Mittwoch vergangener Woche. Da hat die EBU nämlich an ihrem Sitz in Genf ein Symposium über Medienfreiheit in Aserbaidschan veranstaltet. Eingeladen waren unter anderem aserbaidschanische Bürgerrechtler, internationale Menschenrechtsgruppen und die aserbaidschanische Regierung, die einen hochrangigen Vertreter schickte: den Präsidentenberater Ali Hasanov.

Glaubt man Frau Deltenre, war die Veranstaltung ein großer Erfolg. Sie habe Hasanov deutlich auf die jüngsten Übergriffe auf Journalisten angesprochen, und er habe versprochen, sich um Aufklärung zu bemühen. Entsprechend harmonisch klingt die Pressemitteilung.

Die Menschenrechtler waren weniger begeistert.

Sie waren so entsetzt über den Verlauf der Veranstaltung, dass sie am Montag einen offenen Brief an die EBU schickten. Sie äußern sich enttäuscht über das Versagen der EBU, „die aserbaidschanischen Behörden öffentlich zu kritisieren oder in irgendeiner Weise herauszufordern, was Pressefreiheit, Menschenrechte und Meinungsfreiheit angeht“. Sie hatten den Eindruck, die Eurovision sei „mutwillig blind gegenüber der repressiven Politik der Regierung“.

Der Brief ist unter anderem von den Vertretern von Amnesty International und Human Rights Watch unterschrieben. Er enthält sehr konkrete Kritik an der Veranstaltung. Schon die Zusammensetzung der eingeladenen Aseris sei massiv zugunsten der Regierung ausgefallen. Und anstatt das repressive Klima für die Presse in Aserbaidschan zu behandeln, sei über die notwendige Professionalisierung der Presse gesprochen worden — als sei das Hauptproblem der Presse die Presse selbst.

Fassungslos verfolgten die Nichtregierungsorganisationen, dass die EBU in der Pressekonferenz im Anschluss an die Konferenz nur der Regierung das Wort erteilte:

Die beiden Parteien, die während der Pressekonferenz ein Podium bekamen, waren die EBU und die aserbaidschanische Regierung. Obwohl ein unabhängiger aserbaidschanischer Menschenrechtsverteidiger als einer der Teilnehmer zu Beginn der Pressekonferenz angekündigt worden war, bekam er schließlich keine Erlaubnis zu sprechen und musste am Rand sitzen.

Die Rede ist von Rasul Jafarov, der auch die Kampagne „Sing for Democracy“ organisiert. Er nennt die Pressekonferenz eine „Schande für die EBU“, weil sie den Forderungen der aserbaidschanischen Regierungsvertretern nachgab, seine Rede abzusagen. Er hatte den Eindruck, die EBU arbeite für die aserbaidschanische Regierung.

Hugh Williamson, Europa- und Zentralasien-Chef von Human Rights Watch, sagt, seiner Organisation sei versprochen worden, dass Jafarov auf der Bühne sein würde. Die EBU habe massivem Druck von Seiten der aserbaidschanischen Regierung nachgegeben: Der angeblich so gesprächsbereite Herr Hasanov hätte damit gedroht, den Raum zu verlassen, wenn Javarov sprechen würde.

Nach Ansicht von Williamson hat die EBU dem aserbaidschanischen Regime mit der Veranstaltung eine Bühne geboten. In einer Pressemitteilung erklärt er: „Die schiere Existenz der Rundfunkunion hängt von der Meinungsfreiheit ab. Dass sie sich gestern nicht eindeutig, klar und deutlich zu der sich verschlechternden Lage der Medienfreiheit in Aserbaidschan geäußert hat, stellt ihr Bekenntnis zu diesem Prinzip in Frage.“

Zu den Unterzeichnern des Protestbriefes gehört auch die Organisation Article 19, die für Meinungsfreiheit kämpft. In ihrem Statement während der Konferenz hatte sie gesagt, dass das aserbaidschanische EBU-Mitglied Ictimai, das den Grand Prix in diesem Jahr ausrichtet, ihrer Meinung nach elementare Bedingungen nicht erfüllt. Die Berichterstattung von Ictimai vernachlässige Nachrichten, die negativ für die Regierung sind, und stelle das Regime überdurchschnittlich positiv dar.

Article 19 forderte die Eurovision auf, ihre „Politik des Schweigens“ über schweren Verstöße gegen die Meinungsfreiheit in Aserbaidschan zu beenden.

In dem offenen Brief äußern die Menschenrechtsorganisationen die Sorge, dass die Sicherheit ihrer Kollegen in Aserbaidschan nicht gewährleistet ist und sie Racheakten ausgesetzt sein werden. Sie fordern die EBU und andere internationale Institutionen auf, genau zu beobachten, wie die Bürgerrechtler, die es wagten, an der EBU-Veranstaltung teilzunehmen, in Zukunft behandelt werden.

Ich fürchte, wenn sie sich auf die EBU verlassen, sind sie verlassen.

In einem Interview mit mir sagte EBU-Generaldirektorin Ingrid Deltenre, sie glaube „null“, dass das Image der Eurovision unter alldem leiden könnte. Ich hoffe sehr, dass sie unrecht hat.

Medienlexikon: Kentern

Der Spiegel

Kentern, das: Untergang in der Flut nautischer Sprachbilder über die Piratenpartei.

Es hätte, wie immer, schlimmer kommen können. Wenn etwa eine Partei in unser Bewusstsein und die Parlamente drängte, die sich „Die Schlümpfe“ nennen würde. Dann würden wir jetzt auf Jahre hinaus jeden Morgen mit Schlagzeilen aufwachen, in denen jemand ein beliebiges unschuldiges Verb durch das Wort „schlumpfen“ ersetzt hätte.

Die Realität ist kaum besser. Man würde so gerne formulieren, dass der Aufstieg der Piratenpartei auch die Fantasie der Journalisten angeregt hat. Tatsächlich scheinen sie sich eher zu einem Marathon herausgefordert zu fühlen, in dem derjenige gewinnt, der am längsten braucht, um von einer totgerittenen Metapher abzusteigen.

Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die Piraten jemandem in einer Meldung „davonsegeln“, auf einer „Erfolgswelle“ oder „mit Rückenwind“, manchmal „trotz Sturmböen“. Gute Umfragewerte führen zur Überschrift: „Mehr als eine Handbreit Wasser unter dem Kiel“, und wenn einer über eine unbedachte Bemerkung stolpert, lassen die Piraten ihn „über die Planke gehen“.

Man möchte die Piraten schon dafür verfluchen, dass sie durch ihren Namen, ihre Symbolik und einen Slogan wie „Klarmachen zum Ändern“ den politischen Journalisten einen Zugang zu dieser aufregenden Welt voller bunter Sprachbilder geschenkt haben. Nun glauben die, sie könnten mit einem schnellen Griff in diese Wörterkiste aus jeder tristen Politikmeldung einen Mini-Abenteuer-Roman machen.

Kommt es zur „Meuterei“ gegen den Piraten-Chef, lautet die Schlagzeile: „Segel gesetzt: Kapitänswechsel auf der Piratenbrücke“ oder auch: „Bundes-Bernd auf Kaperfahrt“. Je nachdem, wie die Partei mit Extremisten umgeht, heißt es: „Piraten zeigen Flagge gegen rechts“ oder: „Augenklappe rechts“. Eine Nachrichtenagentur meldet: „Auf dem Piratenschiff knarzt es ordentlich im Gebälk. … Der Kahn der Freibeuter hat eine derart rasante Fahrt aufgenommen, dass manche Spitzenkräfte völlig überlastet die Segel streichen.“

Vermutlich ist es nur gescheiterten Honorarverhandlungen zu verdanken, dass bei Anne Will zum Thema „Piraten entern Berlin – Meuterei auf der ‚Deutschland'“ nicht auch Johnny Depp als Experte mitdiskutierte. Aber für den Sieg in der inoffiziellen Metaphernmischmeisterschaft hätte es eh nicht gereicht. Vorne müsste „Bild“-Mann Nikolaus Blome liegen, Erfinder des Wortes von den „Freibier-Freibeutern“.

Aserbaidschanische Diplomatie

Es lohnt sich, die Pressemitteilung zu lesen, mit der die aserbaidschanische Botschaft in Berlin sich über eine „systematische Kampagne gegen Aserbaidschan“ beklagt, die von deutschen Politikern und deutschen Medien — namentlich die ARD und der „Spiegel“ — geführt werde. Sie vermittelt einen winzigen, aber aufschlussreichen Einblick in die Denkweise und Kommunikationsstrategie der Regierung in Baku.

Zu denjenigen Politikern, die Aserbaidschan in der Erklärung namentlich kritisiert, gehört Christoph Strässer. In der Pressemitteilung wird er nur als „deutscher Abgeordneter im Europarat“ bezeichnet. Er ist allerdings auch, was in diesem Zusammenhang nicht ganz unwesentlich ist, Beauftragter des Europarates für die Lage der politischen Gefangenen in Aserbaidschan. Das Land erteilt ihm allerdings in dieser Funktion kein Visum.

Strässer schreibt:

Für Anfang Mai war eine Reise nach Aserbaidschan geplant. Eine Einladung der aserbaidschanischen Delegation wurde mit inakzeptablen Bedingungen versehen und sollte auf die Begriffsdefinition des politischen Gefangenen begrenzt werden. Damit soll ein Schwerpunkt des Mandates komplett ausgeblendet worden: nämlich die Lage inhaftierter Journalisten, Oppositionspolitiker und friedlicher Demonstranten in Aserbaidschan, die zu teilweise langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden sind. Eine Einladung auf Grundlage des erteilten Mandates wurde abschließend verweigert.

Die Weigerung, mit einem gewählten Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zu kooperieren, sei ein „so nie dagewesener Vorgang“, sagt Strässer.

Bemerkenswert an der Pressemitteilung der Botschaft ist aber auch ihr vorgeblicher Anlass: Äußerungen des deutschen Botschafters in Aserbaidschan, Herbert Quelle. Der hat kürzlich für „Yeni Azerbaycan“, die Zeitung der Regierungspartei, einen Gastbeitrag geschrieben. Darin heißt es:

Ich bin zuversichtlich, dass die kritischen Töne in der deutschen Berichterstattung über Aserbaidschan bald verschwinden werden. Warum? Nun, die aserbaidschanische Regierung hat die Grundlagen dafür skizziert: Sie bestehen in der Umsetzung der Maßnahmen gegen Korruption, die Staatspräsident Ilham Aliyev Anfang 2011 verkündet hat. Das Bekenntnis zur Demokratisierung und Herstellung der Rechtsstaatlichkeit, das der Staatspräsident in seiner Rede am 27.05.2011 zum Tag der Republik erneuert hat, wird auf allen Ebenen ernst genommen. Das am 28.12.2011 verkündete Menschenrechtsprogramm wird implementiert. Aserbaidschan steht zu seinen politischen Verpflichtungen aus der Europaratsmitgliedschaft. Verfassungsmäßig garantierte Eigentumsrechte werden respektiert und konfliktive Einzelfälle von Zwangsvertreibungen werden in geordneten Gerichtsverfahren entschieden.

Es gibt viele Hinweise darauf, dass das, was der Botschafter da so, sagen wir: diplomatisch als Errungenschaften und Tatsachenbehauptungen formuliert, bestenfalls Absichten und Ziele sind. Sein Text ist jedenfalls ein Beitrag, der entschlossen ist, das Gute in der Entwicklung in Aserbaischan und den deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen zu sehen.

Und trotzdem fühlt sich die aserbaidschanische Botschaft vor den Kopf gestoßen. Quelle hatte nämlich auch formuliert:

Ich kann nachvollziehen, dass viele Aserbaidschaner die Berichterstattung über ihr Land als einseitig negativ empfinden, darüber verärgert sind und urteilen, dass die positive Gesamtentwicklung Aserbaidschans seit 20 Jahren Unabhängigkeit nicht ausreichend gewürdigt werde. Ich kann die daraus entstehende Verstimmung verstehen, kann aber als deutscher Botschafter die Medienberichterstattung genauso wenig ändern wie mein aserbaidschanischer Kollege in Berlin. Ich bezweifle auch die Behauptung, dass die Bundesregierung die Möglichkeit
hätte, die Aserbaidschan-Berichterstattung in den unabhängigen und mächtigen deutschen Medien in eine bestimmte Richtung zu lenken. Falls die aserbaidschanische Regierung Einflussmöglichkeiten auf die oben genannten aserbaidschanischen Medien hat, könnte sie diese nutzen.

Schon dieser eine Satz, der mit einem „Falls“ beginnt, sich unter anderem auf die Zeitung bezieht, in der er schreibt, und die den Namen der Regierungspartei trägt, war für die Demokraten in der aserbaidschanischen Botschaft in Berlin zuviel:

Diese Reaktion der deutschen Botschaft löst Erstaunen aus. Zunächst ist die Presse in Aserbaidschan, wie in Deutschland frei. Das bedeutet, dass die Regierung keine Befugnisse besitzt, auf die Medien Einfluss auszuüben.

Die Erklärung endet mit den Worten:

Aber dennoch sind wir der Ansicht, dass diese Kampagne voll von Verleumdungen und Täuschungen nichts an der Beziehung des deutschen Volkes gegenüber Aserbaidschan verändern kann. Diejenigen, die diese Kampagne führen, können ihr Ziel nicht erreichen, den seit Jahren gefestigten aufrichtig freundschaftlichen Beziehungen und der Kooperation zwischen Aserbaidschan und Deutschland einen Schaden zuzufügen.

Wenn es so wäre, hätte diese Pressemitteilung nicht geschrieben werden müssen.

[Offenlegung: Ich arbeite für den „Spiegel“. Dies ist meine persönliche Meinung.]

Medienlexikon: Imagekampagne

Der Spiegel

Imagekampagne, die: Verzweiflung in Reklameform

Die GEMA hat ein Imageproblem. An guten Tagen ist sie fast so beliebt wie Wanderwarzen, Dauerbaustellen und Darmspiegelungen. Vermutlich werden nur Krebs, Hitler und die GEZ in Deutschland mehr gehasst als die GEMA.

Aktuell sorgt eine neue Gebührenordnung, die vom kommenden Jahr an gelten soll, für Schlagzeilen, in denen nichts weniger als die „Existenz der deutschen Clublandschaft“ in Frage gestellt wird. Die „Sächsische Zeitung“ fragt: „Müssen die Partys sterben?“

Vor eineinhalb Jahren entstand der Eindruck, dass die GEMA das gemeinsame Singen von Liedern im Kindergarten verbieten wollte. Das stimmte zwar nicht, war aber ungemein plausibel. Wenn morgen das Gerücht aufkäme, dass man in Zukunft für Musiktitel, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt, eine zusätzliche GEMA-Pauschale bezahlen müsste – jeder würde es glauben.

Insofern ist es nachvollziehbar, dass die GEMA jetzt „Image-Maßnahmen“ ergriffen hat. Gemeint ist damit aber natürlich nicht, mögliche Ursachen für ein schlechtes Image zu beseitigen, sondern bloß eine Werbekampagne.

Ein Slogan lautet: „Ohne Komponisten gäbe es sonntags nicht 8.420.000 Tatorte.“ Darunter steht klein, dass Klaus Doldinger, von dem die „Tatort“-Titelmusik stammt, GEMA-Mitglied sei. Rätselhaft. Ein anderes Motiv zeigt eine ältere Frau glücklich in ihrer Küche neben einem Glas Wasser und dem Satz: „Ohne Textdichter hätte mein Leben nicht mit 66 angefangen.“ Das bezieht sich auf Wolfgang Hofer, von dem der Text zu dem Udo-Jürgens-Hit stammt.

Fast könnte man in der Kampagne den Versuch sehen, die emotionale Beziehung, die Menschen zu Musik haben, durch spröde Bürokratenbegriffe wie „Textdichter“ zu konterkarieren. Laut Pressemitteilung zeigen die Motive den Menschen, „dass es ihre persönlichen musikalischen Sternstunden ohne die kreativen Leistungen von Textdichtern und Komponisten nicht gäbe.“ Die Botschaft lautet also ungefähr: Ohne Musik gäbe es keine Musik.
Nun hat Musik aber eigentlich im Gegensatz zur GEMA gar kein Imageproblem. Es ist, als würde die Vereinigung der Tsunamis eine Imagekampagne starten, die für die Nützlichkeit von Wasser wirbt.

Unten in den Anzeigen steht: „Musik ist uns was wert. GEMA.“ Das „uns“ ist natürlich etwas verwirrend. Aber die treffendere Variante wäre wohl nicht hilfreich gewesen: „Wir lassen Euch Musik was kosten.“

„Die aktuelle“-Bingo (4)

Lange kein Bingo mehr gespielt!

Dies ist das Cover der aktuellen „aktuellen“:

Und die Frage lautet natürlich: Warum ist Charlene — zum Schock in Monaco — keine Prinzessin mehr?

Als Hilfe für alle, die nicht wissen, wie der Journalismus der „aktuellen“ funktioniert, verrate ich gerne, was hinter den beiden anderen dramatischen Titelgeschichten steckt.

„Oh nein! Samuel Koch: Dramatischer Sturz aus dem Rollstuhl!“ bedeutet, dass Koch in seiner gerade erschienenen Autobiographie unter anderem auch beschreibt, wie er einmal aus seinem Rollstuhl gefallen ist.

Und „Also doch! Nicolas Sarkozy & Carla Bruni: Steht ihre Ehe vor dem Aus“ hat den faktischen Hintergrund, dass Sarkozy die erste Runde der Präsidentschaftswahlen verloren hat und die „aktuelle“ sich nicht vorstellen kann, dass die Bruni mit einem Verlierer zusammen sein will.

Also noch einmal die Frage: Inwiefern ist Charlene keine Prinzessin mehr?

(„die aktuelle“ ist eine Zeitschrift der oft kurioserweise immer noch als seriöser Verlag behandelten WAZ-Gruppe. Die ersten drei Bingo-Ausgaben stehen hier, hier und hier.)

Nachtrag: Auflösung hier.