Ich bin neulich über Google im Online-Angebot des Berliner „Tagesspiegel“ gelandet. Es empfing mich mit diesem Artikelfragment:
Der ganze Text wird erst angezeigt, nachdem man die gelb markierten Wörter eingetippt hat.
Immerhin antizipiert tagesspiegel.de, dass diese Praxis Fragen auslöst. „Geht’s noch?“, wäre eine der wenigen naheliegenden, die ohne Verwünschungen auskommen. Zur Not ist aber natürlich auch der „Tagesspiegel“-Vorschlag „Warum diese Art der Werbung?“ hilfreich.
Also: Warum diese Art der Werbung? Der „Tagesspiegel“ schreibt:
Verlage stehen im Internet vor besonderen Herausforderungen. Die Leser zahlen gerne für eine gedruckte Zeitung, im Internet ist die Bereitschaft für Nachrichten zu zahlen aber meist nicht vorhanden, obwohl die Kosten für die Verlage in vergleichbaren Größenordnungen liegen. Einige Nachrichtenanbieter fühlen sich bereits gezwungen, auch für ihr Internetangebot Gebühren zu verlangen, um sich finanzieren zu können.
Nun, dem ließe sich jetzt einiges erwidern, aber lassen wir das mal so stehen. Weiter im Text.
Wir wollen Ihnen weiterhin die Qualität bieten, die Sie vom Tagesspiegel kennen.
Für ein kostenloses Angebot sind wir deshalb stark auf die Werbevermarktung angewiesen.
Derzeit testen wir eine neue für den Werbetreibenden attraktive Werbeform. Damit sehen wir eine weitere Möglichkeit, dass wir mit diesen Einnahmen unsere Kosten refinanzieren und langfristig das Gesamtwerbeaufkommen auf unseren Seiten reduzieren.
Ah, das „Gesamtwerbeaufkommen“, gut dass die Kollegen das selbst erwähnen. Es ist nämlich so, dass ich beim Besuch auf tagesspiegel.de in Wahrheit gar nicht von dem Artikelfragment begrüßt wurde, sondern von der Lufthansa:
Je nachdem, welche Werbung gerade eingeblendet wird, macht der Artikel beim Aufruf der Seite den hier rechts grün markierten Teil aus. Alles andere ist Zeug, Gerümpel, Werbegetöse.
Da fühlt man sich als Besucher doch gleich willkommen und denkt sich: Mensch, wie die hier wohl ihren schönen Qualitätsjournalismus finanzieren?
Die tatsächlichen Einnahmen, die der „Tagesspiegel“ mit dieser „für den Werbetreibenden attraktiven Werbeform“ generieren, sind im konkreten Fall aber vermutlich überschaubar, weil der „Werbetreibende“ im Prinzip der „Tagesspiegel“ selbst ist. Qiez.de ist ein Angebot, das im Wesentlichen daraus besteht, Artikel aus dem „Tagesspiegel“ so wiederzuverwerten, dass man beim flüchtigen Blick beinahe denken könnte, es handele sich um eines dieser „hyperlokalen Angebote“, um die neuerdings Wind gemacht wird.
Es trifft ungefähr so zuverlässig meinen Kiez wie jemand, der mit Dart-Pfeilen auf eine Landkarte von Asien wirft, und wirkt dabei fast so belebt wie die Fußgängerzone von Oer-Erkenschwick morgens um halb vier. Aber wenn erstmal genügend Menschen auf tagesspiegel.de Q – I – E – Z – punkt – D – E eingetippt haben, wird sich das bestimmt ändern.
„Brandwall“ nennt der Vermarkter diese Art der Unterbrecherwerbung. Die Firma „Brand Interactive“ ist ganz stolz darauf, sie angeblich erfunden zu haben und nennt sie — ohne erkennbare Ironie — eine Möglichkeit für Verleger, „ihre Inhalte endlich auch im Internet ohne Hürden für den Leser angemessen zu monetarisieren“.
50 Cent bis 1,50 Euro soll der Werbekunde für jeden Leser zahlen, der den geforderten Text eingibt.
Etwas besseres kann sich Peter Neumann, der Gesamtleiter Online der „Tagesspiegel“-Gruppe, gar nicht vorstellen:
„Die brandwall ist die perfekte Lösung zur Monetarisierung unserer Premium-Inhalte im Internet. Danach haben wir seit langem gesucht.“
Dann gratuliere ich herzlich, und biete kostenlos einen Vorschlag, wie man diese perfekte Werbeform noch attraktiver machen könnte: Indem man den einzutippenden Namen in einem lustigen Ratespiel erst entziffern muss, wie bei den beliebten Captchas.
Gern geschehen.