Seit gestern Nachmittag ist bekannt, dass die Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren gegen die Verantwortlichen von netzpolitik.org wegen des Verdachts auf Landesverrat und die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen eingeleitet hat. Das entsprechende Schreiben, in dem der Generalbundesanwalt Markus Beckedahl diese Tatsache mitteilt, kann man sich seit gestern Nachmittag ansehen.
Aber der vermeintliche Sicherheitsexperte des vermeintlich seriösen Deutschlandfunks, ein verfassungsschutznaher Mann namens Rolf Clement, erzählt den Hörern noch heute Morgen, dass gar nicht gegen netzpolitik.org ermittelt werde, sondern gegen Unbekannt. Und dass die ganze Aufregung darüber, dass nach Jahrzehnten in Deutschland wieder gegen Journalisten wegen „Landesverrates“ ermittelt wird, schon deswegen unbegründet sei, weil gar nicht gegen Journalisten ermittelt werde und es dem Verfassungsschutz und der Bundesanwaltschaft nur um die Quellen der vertraulichen Dokumente gehe.
Lesen und staunen Sie. Deutschlandfunk, heute früh, 7:38 Uhr, die Sendung „Informationen (sic!) am Morgen“ (Hervorhebungen von mir):
Moderatorin: Es wurden Ermittlungen eingeleitet, genau genommen gegen Verantwortliche des Internetblogs „Netzpolitik“, und zwar wegen des Verdachtes auf Landesverrat. Der Paragraph stellt nicht nur die Weitergabe von Staatsgeheimnissen an eine, so wörtlich, fremde Macht unter Strafe, sondern auch, wenn man diese öffentlich bekannt macht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen, Zitat Ende. Unser Korrespondent für Sicherheitsfragen, Rolf Clement, hatte diese Geschichte schon vor einigen Wochen recherchiert und wir sind jetzt mit ihm verbunden. Herr Clement, was genau ist jetzt der Hintergrund für dieses Strafverfahren?
Clement: Also, es ist zunächst einmal ein Strafverfahren gegen Unbekannt, nicht gegen Journalisten, weil es nämlich um folgenden Sachverhalt geht: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz hat festgestellt, dass geheime Unterlagen, die operative Rückschlüsse zulassen, in der Öffentlichkeit aufgetaucht sind. Und da geht es also um Fragen des Haushaltes, und aus dem Haushalt ablesen kann man Arbeitsweisen des Verfassungsschutzes, wenn man solche Haushalte richtig lesen kann.
Und das kann man nicht, wen man einfach über ein solches Papier berichtet, das kann man aber, wenn man das Papier selber in der Hand hat. Die Zielrichtung dieses Verfahrens – angeregt, wie gesagt, durch den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz – ist nicht so sehr die Presse an sich, sondern ist derjenige, der uns informiert. Also sozusagen die Stufe vorher. Dass wir, wenn wir solche Informationen haben, diese verbreiten, ist sicherlich etwas, wo die Politiker und die Leute in der Administration sagen: „Das ist euer Job, das müsst ihr machen“, aber die Weitergabe, das ist das Problem, und das ist auch das, was den Präsidenten des Bundesamtes für den Verfassungsschutz sehr ärgert. Und soweit ich weiß, spielt das eine Rolle, dass manchmal oder sehr häufig solche Informationen in dem Moment weitergegeben werden an Medien, in dem sie im Bundestag angekommen sind. Das ist der Eindruck, den viele im Verfassungsschutz und in anderen Gremien haben. Und da vermutet man, dass aus dieser Ecke die Weitergabe erfolgt und das möchte man mal aufgeklärt haben.
Moderatorin: Sie sagen, Ermittlungen gegen unbekannt, zunächst einmal. Weshalb lesen wir jetzt überall, dass Strafanzeige eben gegen genau diese Verantwortlichen dieses Blogs erhoben wurde?
Clement: Also, ich habe die Sache, wie gesagt, recherchiert. Und mir haben alle gesagt, mit denen ich darüber gesprochen habe, die Strafanzeige geht gegen Unbekannt. Weil man nämlich genau herausbekommen will, wo sind denn die Löcher? Und das führt dazu, dass die Generalbundesanwaltschaft anfängt zu ermitteln, zunächst einmal bei dem, der das Papier erstellt hat, also im Verfassungsschutz. Dann, wohin geht ein solcher Haushaltsplan dann. (…) Und diesen ganzen Weg sollten nach dem Wunsch des Verfassungsschutzes und auch nach normalen Ermittlungsmethoden die Ermittler dann durchgehen.
Und die werden, daraus schließe ich nun die jetzige Bekanntgabe oder die jetzige andere Zielrichtung, die werden an die Kollegen von dem Internetdienst herangegangen sein und gesagt haben: „Sacht mal Leute, sagt ihr uns denn woher ihr das habt?“ Denn das wäre natürlich das Einfachste, wenn man es über die bekäme. Und daraufhin haben die [bei Netzpolitik] geschlossen: Mensch, die ermitteln gegen uns. Das ist nicht die erste Zielrichtung, soweit ich das bisher beobachtet habe, aber uns Journalisten steht ja auch ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Wir sagen auch nicht, woher wir sowas haben.
Moderatorin: Es geht einerseits um die Quellen; auf der anderen Seite um diejenigen, die sie verbreiten. Was könnte denn Journalisten drohen, die das veröffentlichen?
Clement: Naja gut, wenn man solche Unterlagen veröffentlicht und man zu dem Ergebnis kommt, das ist Geheimnisverrat, dann kann natürlich daraus ein Strafverfahren entstehen. Und dann kann man theoretisch deswegen auch verurteilt werden. Aber wie gesagt, ich glaube nicht, dass die Gefahr konkret besteht in diesem Fall. Wobei es immer noch etwas anderes ist, wissen Sie, wenn wir Informationen bekommen, wo auch mal ein Stempel drauf ist, dass das vielleicht geheim ist, dann erschrecken wir da nicht vor. Sondern dann sagen wir, das berichten wir auch. Ich würde es aber nie machen, dass ich ein ganzes Dokument irgendwo veröffentliche, sondern ich würde über das Dokument berichten. Und das ist immer noch was anderes, als wenn ich das Dokument selber reinstelle. Denn Experten, Fachleute, auch andere Dienste, können daraus Dinge lesen, die für die Operation von Geheimdiensten ganz wichtig sind und in operative Abläufe dann eingreifen.
Der Deutschlandfunk-Experte für Sicherheitsfragen hat also völlig verpasst, was seit gestern Nachmittag passiert ist und dass seine Meldung von vor vier Wochen, wonach sich die Ermittlungen nicht gegen die Medien richten, hinfällig ist. Wenn nun überall zu lesen ist, dass doch gegen Journalisten ermittelt wird, muss das für den Deutschlandfunk-Korrespondenten ein Fehler sein, ein Missverständnis der jungen Blogger-Kollegen, die nicht kapiert haben, dass die Ermittler einfach nur mal freundlich bei ihnen nachhören wollten, ob sie ihre Quelle nicht einfach verraten wollen, spart ja allen viel Arbeit sowas. Und am Ende distanziert er sich noch von den netzpolitik.org-Leuten, weil die Dokumente einfach veröffentlichen, anstatt das zu tun, was erfahrene Kollegen wie er täten, wenn sie sie bekämen: Nur darüber zu berichten. Und dagegen könne ja niemand etwas haben.
Der Deutschlandfunk-Experte Rolf Clement ist schön früher auffällig geworden. Im vergangenen Jahr hat er fälschlicherweise behauptet, es habe „massive“ Verletzungen des „europäischen Luftraums“ durch russische Flugzeuge gegeben. Der DLF-Intendant hat sich dafür später entschuldigt. Clement vertritt auch sonst durchaus extreme Positionen.
Im Mai hat Clement ein Symposium des Verfassungsschutzes moderiert.
Auf Twitter verbrämt der Deutschlandfunk die ausdauernd und systematisch falsche Darstellung Clements als „Versprecher“.
Hereingefallen auf die Falschdarstellung des Deutschlandfunks ist übrigens Kai Diekmann, Chefredakteur der „Bild“-Zeitung. Auf Twitter antwortete er heute früh auf die Frage des Grünen Politikers Malte Spitz, warum sich „Bild“ zurückhalte bei der Berichterstattung über den Fall:
Nachtrag, 16:30 Uhr. Der Deutschlandfunk hat eine Stellungnahme veröffentlicht:
Zur Kritik am Gespräch mit Rolf Clement in den „Informationen am Morgen“
Der Deutschlandfunk hat Kritik und verschiedene Anfragen erhalten zu einem Gespräch, das die Moderatorin der „Informationen am Morgen“ heute mit unserem Sicherheitsexperten Rolf Clement geführt hat. Thema waren die Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen zwei Journalisten des Blogs „Netzpolitik.org“ und gegen Unbekannt. Grund der Kritik ist, dass Rolf Clement mehrfach und anders als die Moderatorin lediglich von einer „Strafanzeige gegen Unbekannt“ gesprochen hat.
Diesen Fehler bedauern der Deutschlandfunk und Herr Clement sehr. Rolf Clement ist ein erfahrener und respektierter Kollege mit einer großen sicherheitspolitischen Expertise. Wir werden die Situation intern besprechen und Rückschlüsse für die redaktionelle Arbeit ziehen.
Seit Bekanntwerden der Ermittlungen gegen „Netzpolitik.org“ gestern am späten Nachmittag hat der Deutschlandfunk ausführlich darüber berichtet. Es war ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Thema in unseren Nachrichten, in unserem übrigen Programm und auf unserer Seite deutschlandfunk.de.
In der gesamten Berichterstattung hat der Deutschlandfunk durchgängig auf die Ermittlungen gegen Journalisten verwiesen. Die Nachrichtenmeldung von gestern, 19:00 Uhr, etwa begann mit dem Satz „Zum ersten Mal seit Jahrzehnten ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts auf Landesverrat gegen Journalisten“. Im Internet war dieser Meldung als Bild ein Screenshot von der Seite von Netzpolitik.org beigefügt, mit dem Text, in dem die Kollegen des Blogs über die Ermittlungen gegen sie informieren. Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass der Deutschlandfunk bis auf diese Ausnahme korrekt berichtet hat. Das gilt auch für die heutigen „Informationen am Morgen“ – bis auf dieses eine Kollegengespräch.
Herr Clement berichtet seit Jahren als festangestellter sicherheitspolitischer Korrespondent u.a. über Themen der Inneren Sicherheit. In dieser Funktion pflegt er selbstverständlich professionelle Kontakte sowohl zum Bundesamt für Verfassungsschutz wie zu den Landesämtern für Verfassungsschutz.
Im Mai hat Herr Clement im Rahmen einer Nebentätigkeit mit Genehmigung von Deutschlandradio ein Fachsymposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz unter dem Titel „Islamistischer Terrorismus in Europa“ moderiert. Es handelte sich dabei um eine Folgeveranstaltung aus dem Jahr 2014. Deutschlandradio sieht hierin keinerlei Grund zu der Annahme, Herrn Clements journalistische Unabhängigkeit stünde infrage.*
Deutschlandradio hat interne Richtlinien für Aufträge an Journalisten, die sicher stellen, dass einheitliche Standards bei Recherche und Berichterstattung gewahrt bleiben. Deutschlandradio wird diese Richtlinien in Form eines „Journalistischen Selbstverständnisses“ in Kürze veröffentlichen.
Das erklärt meiner Meinung nach nichts.
Nachtrag, 19:20 Uhr. Mehr über Rolf Clement hier.
*) Nachtrag, 1. August. Dieser Absatz fehlte in der Antwort, die mir der Deutschlandfunk geschickt hat, zunächst.