Die eigenen schärfsten Kritiker: Wie die BBC mit ihren Skandalen umgeht

Wenn bei der BBC etwas schiefläuft, setzt ein bemerkenswerter Reflex ein. Brutal schonungslos berichtet sie über ihre eigenen Fehler und gibt ihren Kritikern breiten Raum. Das hat fast etwas Masochistisches, ganz sicher jedenfalls etwas Kathartisches: als solle die Schmach — soweit möglich — dadurch wettgemacht werden, dass sie in brutaler und journalistisch vorbildlichster Offenheit aufgearbeitet wird.

Es ist eine Art Überkompensation im Dienst der eigenen Glaubwürdigkeit: Niemand soll der BBC vorwerfen können, dass sie mit sich selbst weniger hart ins Gericht geht als mit anderen.

Das Ergebnis ist im Sinne des Publikums: Die BBC ist ein guter Ort, sich über Vorwürfe über die BBC zu informieren. Ich kenne keine andere journalistische Institution, für die das in diesem Maße gilt.

Am vergangenen Freitag musste sich „Newsnight“, das wichtige werktägliche Nachrichtenmagazin der BBC, entschuldigen. Die Sendung hatte einen hochrangigen Politiker fälschlicherweise in Verbindung mit einem Kindermissbrauchsfall gebracht. Erst vor wenigen Wochen war bekannt geworden, dass „Newsnight“ im vergangenen Jahr eine Bericht über die Vorwürfe gegen den legendären BBC-Moderator Jimmy Savile aus dubiosen Gründen nicht ausgestrahlt hatte.

Die „Newsnight“-Sendung vom Freitag hätte einen Platz in den Wörterbüchern verdient, unter cringeworthy. Es ist gleichzeitig schwer anzusehen und unmöglich wegzusehen. Ich bin mir nicht sicher, ob der Moderator sich hinterher etwas angetan hat.

Oder anderen.

Und hier kann, nein: muss man das Radio-Interview hören, das BBC-Star-Moderator John Humphrys am Samstagmorgen in der „Today“-Sendung auf Radio 4 mit dem Generaldirektor der BBC, George Entwistle, führte, der vor der Sendung offenbar noch glaubte, seinen Job behalten zu können.

Von Zombies und hohlen Kürbissen

Halloween nervt. Aber nichts nervt an Halloween so sehr wie Walter Krämer.

Diese lächerlichen Rituale. Dieses Zombietum. Sie passen gut zueinander, das amerikanische Fest und der Vorsitzende des Vereins Deutsche Sprache VDS.

Halloween ist eines der wichtigsten Feste für den VDS. Es ist der Tag, an dem er an die Türen der Menschen klopft und fordert, dass man tut, was er sagt, und von den Medien dafür mit kostbarer Aufmerksamkeit beschenkt wird.

Es droht nichts weniger als der Untergang der deutschen Kultur und Sprache.

Der Dortmunder Verein Deutsche Sprache e.V. protestiert gegen die republikweite Übernahme des amerikanischen Kinderfestes Halloween. „Wir haben nichts gegen fremde Feste und Kulturen,“ erklärte der Vereinsvorsitzende Krämer gegenüber dpa. „Aber die gegenwärtige Amerikanisierung unserer eigenen Kultur geht uns zu weit.“

(2003)

„Jedes Land pflegt seine eigenen Bräuche und seine eigene Kultur“, so der VDS-Vorsitzende Prof. Walter Krämer gegenüber dpa. „Wir in Deutschland brauchen diesen amerikanischen Kürbisfasching nicht.“

(2006)

„Warum äffen wir gedankenlos die Amerikaner nach?“, fragt der VDS-Vorsitzende, Walter Krämer.(…) Bundesbürger, an deren Haustüren am 31. Oktober Kinder um Geschenke bitten, sollten an die christliche Tradition des Martinssingens am 10. und 11. November erinnern, so Krämer.

(2008)

Der US-Import Halloween hat nach Ansicht des Vereins Deutsche Sprache (VDS) in Deutschland nichts zu suchen. Der „inhaltsleere Geisterkult“ sei eine „Frontalattacke gegen deutsche Sprache und Kultur“. „Natürlich wissen wir, dass diese Sitte aus dem keltischen Europa kommt. Aber noch näher steht uns unsere eigene Kultur, die etwa mit dem Reformationstag verbunden ist“, sagte der Vorsitzende Walter Krämer laut einer Mitteilung am Dienstag in Dortmund.

(2012)

Die diesjährige Reinkarnation des Genöles ist besonders schön. Darin doziert Krämer nicht nur, dass in dieser Jahreszeit gefälligst Besinnung zu herrschen habe und für „ausgehöhlte Kürbisse“ darin kein Platz sei. Er fügt auch, scheinbar hilfreich, hinzu:

„Und wer gerne mit Kindern und Laternen durch die Straßen zieht, kann das am hergebrachten St. Martinstag genauso tun.“

Ich mag mich täuschen — ich bin ja, wie Krämer, kein Experte für deutsche Sprache. Aber nach meinem Verständnis bedeutet sein Satz, dass die Kinder es eben auch „genauso“ am Halloween-Fest tun können. Jeder wie er mag. Ein freies Land.

Das hat Krämer sicher nicht gemeint. Er und sein Verein sind Kämpfer gegen die Freiheit. Die Leute sollen gefälligst Reformationstag feiern, ob sie nun evangelisch sind oder nicht.

Und sie sollen gefälligst so reden, wie es dem VDS gefällt. Sogar die — vermeintlich — falsche Aussprache von Landesnamen vom anderen Ende der Welt wird vom Verein abgemahnt.

Und die Medien berichten sogar darüber und stellen Krämer Fragen wie:

Ihr Verein hat bundesweit 16 000 Mitglieder, eine erstaunlich hohe Zahl. Was tun die Mitglieder, um die Ziele praktisch durchzusetzen?

Und Krämer gibt Antworten wie:

Ganz einfach: Die deutsche Sprache benutzen und diejenigen, die durch extreme Sprachilloyalität auffallen, auf diese peinliche Illoyalität hinweisen. Denn im Ausland wird dieses Anbiedern an andere genau als das empfunden, was es ist: eine peinliche Missachtung der eigenen Heimat und Kultur. Die Londoner „Times“ hat das einmal typisch deutsche „linguistic submissivness“ genannt.

Das ist auf so vielen Ebenen verkorkst, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Vielleicht beim falsch geschriebenen Wort „submissiveness“. Krämer meint, dass europäische Kinder in der Schule als erste Fremdsprache nicht Englisch lernen sollen, denn das würden sie im Laufe ihrer Ausbildung ohnehin lernen. Q.e.d., nehme ich an.

Kann natürlich auch sein, dass der „Tagesspiegel“ das verbockt hat. Denn Krämer müsste eigentlich wissen, wie sich „linguistic submissiveness“ schreibt, weil er und sein Verein nicht müde werden, den Begriff zu benutzen, als habe er eine Relevanz.

Er stand tatsächlich in der „Times“. Einmal, in einer kruden Glosse ihres Deutschland-Korrespondenten, erschienen am 16. Juni 1960:


So genau erwähnt Krämer das auf seiner seit vielen Jahren andauernden Medientournee mit dem Schlager „Weg mit dem Denglisch“ aber lieber nicht. (Dass der „Times“-Korrespondent den vermeintlichen sprachlichen Minderwertigkeitskomplex „peinlich“ fand, wie Krämer behauptet, ergibt sich auch nicht aus seinem Artikel. Er meint stattdessen, die Niederlage der Deutschen 1945 könnte auch eine Niederlage des Deutschen gewesen sein.)

Und wenn es tatsächlich typisch deutsch sein sollte, Wörter aus anderen Sprachen mit übertriebener Offenherzigkeit zu übernehmen — warum müssen wir das bekämpfen, und dann auch noch im Namen der Verteidigung des typisch Deutschen? Logisch ist das nicht.

Das Tollste an Krämers Argumentation ist, wie sie sich in den Schwanz beißt. Er meint, wir sollten uns nicht an das Ausland anbiedern, weil das im Ausland gar nicht ankomme. Mit anderen Worten: Wir sollten uns dem Ausland dadurch anbiedern, dass wir uns nicht anbiedern.

Dass die Frage, was Leute aus einem anderen Sprachraum über unseren Sprachgebrauch denken, einfach gar keine Rolle spielen könnte, weder im Sinne einer bewussten Übernahme von fremden Wörtern noch den bewussten Verzicht, darauf kommt Krämer nicht. Undenkbar für ihn, dass die Deutschen alberne Wörter wie „Handy“ möglicherweise nicht deshalb benutzen, weil sie den Amerikanern gefallen könnten, sondern weil sie ihnen selbst gefallen.

Aber wenn man das annähme, käme man womöglich auch auf den Gedanken, dass die Fragen, um die sich der VDS mit soviel Wucht, Redundanz, Todessehnsucht und Unkenntnis kümmert, eher Fragen des Geschmacks sind.

Aber der sympathische Krämer verdankt seinen groebelhaften Aufstieg in den Medien natürlich nicht der Rolle eines Meinungshabers und Geschmacksjuroren, sondern seinem zugeschriebenen Expertenstatus.

Es ist nicht ganz klar, was den Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Technischen Universität Dortmund dafür qualifiziert. Schlimmer noch: Der Expertenstatus von Leuten wie Krämer in den Medien wird auch durch erwiesene Unzuverlässigkeit nicht bedroht — es gibt (neben der „Times“-Sache) genug Anlässe, ihn in Sprachfragen eher als Scharlatan zu behandeln.

Und nicht nur da.

Die Kollegen von „Spiegel Online“ zum Beispiel haben gerade die unangenehme Erfahrung gemacht, was passiert, wenn man sich auf Krämer verlässt und deshalb einen ganzen Artikel lang vom „Durchschnitt“ spricht, wenn eigentlich der „mittlere Wert“ gemeint ist, was nicht dasselbe ist (vgl. Berichtigung hier).

Aus irgendeinem Grund hat DRadio Wissen Krämer jetzt das Mikro hingehalten und einen Beitrag über „Panikmache in deutschen Medien“ gesendet, der ausschließlich auf seinen Aussagen und seinem im vergangenen Jahr erschienenen Buch „Die Angst der Woche“ beruht.

Seine These, dass die Medien uns Angst machen, wo die Risiken in Wahrheit klein sind, und das, was uns wirklich beunruhigen soll, dagegen zu kurz kommt, ist sicher richtig. Aber auf seine Beispiele sollte man sich lieber nicht verlassen.

DRadio Wissen erzählt ein Beispiel Krämers nach:

Viele Zeitungen titelten im März 2012, dass der Farbstoff in Cola und Pepsi krebserregend sei. Allerdings müsste man täglich etwa 1000 Dosen Cola trinken, um sich der Gefahr auszusetzen.

Ja. Und genau so stand das auch in den Medien, die darüber berichteten.

Oder die Sache mit dem Föhn-Test, eine Lieblingsgeschichte, die Krämer gern erzählt. DRadio Wissen beschreibt sie so:

Es gab einmal Schlagzeilen über Haartrockner, die bei einem Test plötzlich Feuer fingen. Walter Krämers genauere Recherche ergab: Es war lediglich ein Haartrockner und der entflammte erst nach 70 Stunden Dauerbetrieb.

Beim unmittelbaren Aufeinanderfolgen der Wörter „Walter Krämer“ und „genauere Recherche“ sollte man stutzig werden.

In diesem Fall hat Krämer gar nicht recherchiert.

Er bezieht sich auf einen Artikel in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“:

„Gerade mal drei Sekunden föhnte eine Testperson beim Vergleich von 16 Haartrocknern ihre Haare mit dem Elta Germany HAT 352, als dieser mit einem lauten Knall durchschmorte.“ Da hat sich die Testperson sicher sehr erschrocken. „Auch im Dauertest brannte das 10-Euro-Gerät nach 72 Stunden lichterloh, vom Gehäuse blieb nichts übrig.“ Da kann ich nur sagen: Danke, liebe „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, dass ihr mir so deutlich zeigt, was alles passieren kann, wenn man einen Föhn 72 Stunden lang ununterbrochen laufen lässt. Das mache ich schließlich fast gewohnheitsmäßig.

Ja, so lustig ironisch ist der Walter Krämer.

Hätte er aber genauer recherchiert (hier in der Bedeutung von „einmal kurz gegoogelt“), hätte er gewusst, dass sich die Testperson keineswegs bloß erschrocken hat. Nach Angaben der Stiftung Warentest drang aus dem Gerät „eine 20 Zentimeter lange Stichflamme“, im Bad fiel der Strom aus, und es roch nach verbranntem Haar und Kunststoff.

Sicher, das ist nichts im Vergleich zu den Gefahren eines Atomkrieges, könnte einem aber doch den Tag versauen und bei der Wahl des Haartrockners ein nicht unwesentliches Argument sein.

Und was den 72-Stunden-Dauerbetrieb angeht: Der bestand nicht, wie Krämer uns glauben machen will, aus ununterbrochenem 72-Stunden-Dauergeföhne. Wie im Testbericht angegeben, wurden die Geräte abwechselnd 15 Minuten lang auf volle Stufe gestellt und durften dann 15 Minuten lang ausruhen.

Das entspricht aber natürlich auch nicht dem Alltag im Hause Krämer. Da hört die Produktion heißer Luft eigentlich nie auf.

Happy Halloween!

Sterben hautnah — eine AZ-Media-Reportage und ihre Folgen

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) will die Zusammenarbeit mit Filmteams, die seine Helfer bei Einsätzen begleiten, überprüfen. Anlass ist eine Blaulicht-Reportage von AZ Media auf RTL vor zehn Tagen.

„Ein 46-jähriger Mann gibt keine Lebenszeichen mehr von sich. Seine Ehefrau hat den Notruf abgesetzt.“ So nüchtern beschreibt der Sprecher den Fall, zu dem ein Rettungswagen des Hamburger Roten Kreuzes gerufen wurde. Aber die Filmemacher wissen, was für ein Hingucker die Aufnahmen sind, die sie in den folgenden Minuten gemacht haben. Deshalb haben sie sie gleich am Anfang ihrer Reportage schon gezeigt. Und dann noch einmal vor der Werbepause, um die Zuschauer vom Umschalten abzuhalten.

Die Filmemacher sind dabei, als die beiden Rettungsassistenten zum Einsatzort fahren. Sie laufen hinter ihnen die enge Treppe hinauf in das Zimmer, in dem der Mann auf einem Bett liegt. Sie zeigen, wie die Helfer fühlen, ob er noch warm ist. Sie zeigen, wie sie versuchen, ihn vom Bett auf den Fußboden zu tragen. Sie zeigen, wie die Ehefrau mit anfassen muss, weil der Mann stark übergewichtig ist. Sie zeigen, wie der Sanitäter im Rhythmus auf das Brustbein des Mannes presst, um ihn wiederzuleben.

Wir hören, wie die Frau im Hintergrund stöhnt und schreit, und sehen, wie der Sanitäter weiterpumpt, während er zu ihr sagt: „Wir geben jetzt unser Bestes. Setzen Sie sich hin. Beruhigen Sie sich. Ok?“

Dann übernimmt seine Kollegin, und während sie mit beiden Händen sein Herz massiert, sagt sie zu den Fernsehleuten, die neben ihr stehen: „Wir drücken jetzt auf jeden Fall so lange weiter, bis der Notarzt kommt.“

Der Notarzt kommt, und der Sprecher sagt aus dem Off: „Der Patient hat es nicht geschafft. Todesursache: Vermutlich Herzversagen. Todeszeitpunkt …“ Der Satz wird von der Sanitäterin im Bild vervollständigt: „… elf Uhr zwölf.“

Gesicht und Teile des Körpers des Mannes sind unkenntlich gemacht. Aber die Aufnahmen sind auch so drastisch und schockierend. Ein Glücksfall. Wie man den Arm des Sterbenden im Rhythmus des Pumpens seiner Brust rudern sieht. Wie seine Frau wimmert. Wie sie mit anfassen muss, um den schweren Körper vom Bett zu hieven.

„Die Retterinnen“ heißt die Sendung. Sie lief in der Reihe „Die große Reportage“. Angefloskelt wurde sie mit den Worten: „Drei Frauen gehen täglich an ihr Limit, im Kampf ums Überleben. Von Null auf Hundert innerhalb kürzester Zeit. Adrenalin pur.“

Die Sendung läuft im Fensterprogramm der Produktionsfirma AZ Media, das RTL laut Rundfunkstaatsvertrag zeigen muss. Solche Zwangsausstrahlungen von irreführend „unabhängige Dritte“ genannten Firmen dienen vorgeblich der Sicherung der Meinungsvielfalt, tatsächlich aber ausschließlich als Mahnmal für die Idiotie des deutschen Rundfunkrechts. Sie müssen eigentlich „einen zusätzlichen Beitrag zur Vielfalt … insbesondere in den Bereichen Kultur, Bildung und Information leisten“.

AZ Media steht nach den Worten von AZ Media „für exzellente Information und Unterhaltung mit dem Anspruch, wahrheitsgetreu und glaubwürdig zu berichten unter Beachtung der journalistischen Grundsätze, die der Rundfunkstaatsvertrag vorgibt“.

Ich habe die Firma angesichts der Aufnahmen gefragt:

  • Hatte das Filmteam das Einverständnis der Ehefrau, mit den Rettungsassistenten in die Wohnung zu kommen und die Reanimation zu filmen?
  • Hat die Frau nachträglich die Erlaubnis gegeben, die Aufnahmen zu verwenden?
  • Glauben Sie, dass man es, wenn man selber in einer solchen Notlage ist, hinnehmen muss, dass man selbst sowie die Retter dabei gefilmt werden?
  • Gab es Auflagen vom DRK Hamburg-Harburg, was den Einsatz des Kamerateams angeht?
  • Hat AZ Media selbst Richtlinien, die festlegen, wie weit Kamerateams in solchen Situationen gehen dürfen und welche Aufnahmen gezeigt werden?

Die Antwort von AZ-Media-Chefredakteur Markus Engelhart auf diese Fragen lautet vollständig:

Wir können Ihnen versichern, dass alle für die Dreharbeiten der Reportage „Die Retterinnen“ notwendigen Genehmigungen rechtzeitig eingeholt wurden.

Der Sender RTL hat zwar keinerlei redaktionellen Einfluss auf die Fensterprogramme, betrachtet aber anders als die im Dienste der Meinungsfreiheit privilegierten AZ-Media-Verantwortlichen nicht schon das Beantworten kritischer Fragen als Zumutung. Ein Sprecher erklärt:

Wir haben interne redaktionelle journalistische Richtlinien für die Arbeit unserer Redaktionen von infoNetwork [der RTL-Magazin- und Nachrichtentochter]. Sie sind Leitfaden für das journalistische Vorgehen und Umsetzen insbesondere kritischer Situationen wie dieser. Für Auflagenprogramme gelten die Richtlinien nicht. In diesem Fall ist das Thema jedoch aus unserer Sicht angemessen und mit der nötigen Sorgfalt dargestellt worden. Dass Rettungssanitäter bzw. -Assistenten Menschen in Notsituationen medizinisch erstbehandeln, ist Titel und somit auch Gegenstand der Reportage. Reanimationen gehören zum Alltag der dargestellten Berufsgruppe dazu. Die Angehörige wurde im Bild nur kurz und hier auch verpixelt gezeigt.

Richtig: Reanimationen gehören zum Alltag von Rettungsassistenten. Das beantwortet aber ebenso wenig die Frage, ob sie deshalb auch im Fernsehen gezeigt werden müssen, wie die, ob wir wirklich wollen, dass in einer solchen Extremsituation plötzlich nicht nur Retter, sondern auch Fernsehleute in unserem Wohnzimmer stehen, und die Retter neben ihrer Arbeit den Fernsehleuten noch erklären, was sie da tun. Es gibt Rettungsdienste, die das Filmen von Reanimationen und das Filmen in Wohnungen untersagen.

Der Kreisverband Hamburg-Harburg des DRK, für den die gezeigten Sanitäter arbeiten, erklärte mir: „Das Filmteam hat die Ehefrau des Verstorbenen bei Betreten der Wohnung gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn in der Wohnung gefilmt wird.“

Man stelle sich das kurz praktisch vor.

Die gezeigte Assistentin habe versichert, so das DRK Hamburg-Harburg weiter, „dass sie und ihr Kollege durch die Kamera und das Filmteam zu keinem Zeitpunkt in ihrer Arbeit beeinträchtigt wurden. Das Filmteam hatte von uns die Vorgabe, Personen unkenntlich zu machen, keine Namen und Adressen zu nennen und die Arbeit der Rettungsdienstmitarbeiter nicht zu stören.“

Zusätzlich werde das DRK-Harburg aber in Zukunft darauf hinweisen, „dass Filmteams keinen Zutritt zu Privaträumen erhalten“.

Das ist vermutlich eine Reaktion darauf, dass die Szene in der Berliner Zentrale des DRK gar nicht gut angekommen ist. „Wir sind der Auffassung, dass die angesprochene Reportage-Szene die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet und so nicht hätte gesendet werden dürfen“, sagt der Kommunikationschef Jörg Angerstein. Und weiter:

Das DRK regelt diese spezielle Form der Zusammenarbeit zwischen Medien und Einsatzeinheiten bisher nicht. Wir unterstützen und wertschätzen die Arbeit der Medien —  und verlassen uns darauf, dass die Medien den Pressekodex einhalten. Die vorliegende Kooperation zeigt uns aber, dass das nicht immer der Fall ist. Daher werden wir den Fall zum Anlass für eine verbandweite Diskussion über die Grenzen von Medienkooperationen nehmen.

Nachtrag, 25. Oktober. Ein Kommentator weist darauf hin, dass auch Spiegel-TV keine Hemmungen hat, solche Aufnahmen zu drehen und zu zeigen.

Fakten sind nicht der GEMA liebstes Kind

Die GEMA hat eine Pressemitteilung veröffentlicht. Sie trägt den Titel: „Umfrage bestätigt: Musik ist der Deutschen liebstes Kind“, und natürlich könnte man hier schon wegen Beklopptheit aufhören zu lesen. Aber die Art, wie die GEMA dann die Ergebnisse einer Meinungsumfrage, die sie bei TNS Infratest in Auftrag gegeben hat, manipuliert, ist durchaus subtil und perfide.

Die GEMA fasst die Ergebnisse so zusammen:

Eine Umfrage von TNS Infratest im Auftrag der GEMA bestätigt, dass Musik in Deutschland einen hohen Stellenwert genießt. Für 38 Prozent der Befragten steht Musik an erster Stelle der Kulturbereiche. Auch der Wert der Musik wird anerkannt: 90 Prozent halten es für wichtig, dass Musikschaffende angemessen für ihre schöpferische Leistung bezahlt werden. Als angemessene Vergütung bei Veranstaltungen nennen die Deutschen im Durchschnitt 30 Prozent der Einnahmen aus Eintrittskarten.

Auf die „liebstes Kind“-Formulierung kommt die GEMA, weil sie den „persönlichen Stellenwert“ von „Musik“ im Vergleich zu „Literatur“, „Film“ und „Bildender Kunst“ verglichen hat. Dass sich 90 Prozent der Deutschen für eine „angemessene“ Vergütung der „Musikschaffenden“ ausgesprochen haben, stimmt genau genommen übrigens nicht. Sie haben bloß gesagt, dass sie es „angemessen“ finden, dass Komponisten und Texter eine Vergütung bekommen. Aber darum soll es hier gar nicht gehen.

Um sich ihre umstrittene Tarifreform scheinlegitimieren zu lassen, hat die GEMA die Menschen gefragt:

Wenn Sie eine Musikveranstaltung besuchen, welcher prozentuale Anteil am Eintrittsgeld sollte für die Komponisten und Textdichter bestimmt sein?

Die angeblichen Antworten fasst die GEMA wie folgt zusammen:

30,1 Prozent des Eintrittsgeldes halten die Befragten für eine angemessene Vergütung der kreativen Leistung der Urheber. Auch hier messen die Jüngeren der Musik den höheren Stellenwert bei: Die 14- bis 29-Jährigen fordern mit 33,7 Prozent mehr als der Durchschnitt aller Befragten.

Diese Sätze sind falsch. Die Prozentangaben beziehen sich nämlich nicht auf die Gesamtheit der Befragten, sondern nur auf diejenigen, die eine Frage zuvor angegeben hatten, dass sie es grundsätzlich für angemessen halten, dass Komponisten und Texter für ihre Arbeit entlohnt werden.

Die 9 Prozent der Befragten, die gar nicht der Meinung waren, dass Komponisten und Texter entlohnt werden müssten, sind praktischerweise in der Berechnung des durchschnittlich für „angemessen“ gehaltenen Anteils vom Eintrittsgeld gar nicht mehr enthalten. Mit anderen Worten: Die GEMA gibt einen Durchschnittswert an, der all jene, die die von ihr unerwünschte Antwort „null“ gegeben haben, gar nicht berücksichtigt. Bei den 14- bis 29-jährigen, die der Musik angeblich einen ganz besonderen Stellenwert beimessen, sind das sogar 12 Prozent der Befragten.

Schaut man sich die Angaben im Detail an, wird die Behauptung, es gebe eine Art Konsens unter den Deutschen, dass gut 30 Prozent des Eintrittsgeldes bei einer Musikveranstaltung an die Urheber gehen sollte, noch weniger tragfähig. Immerhin 56 Prozent der Befragten haben nämlich Anteile von weniger als 31 Prozent genannt. 15 Prozent machten gar keine Angaben. Dem stehen gerade einmal 29 Prozent der Befragten gegenüber, die für eine Beteiligung von mehr als 30 Prozent plädierten.

Hinzu kommt natürlich die fundamentale Frage, wie viele Befragte überhaupt verstanden haben, worum es geht und wie fundiert sie darüber Auskunft geben können. Wussten die relativ große Zahl, die offenbar pauschal „50 Prozent“ als angemessener Anteil für Komponisten und Texter genannt und damit den Durchschnittswert in die Höhe gezogen hat, dass damit nicht der Anteil für die Interpreten gemeint ist? Und wie sinnvoll ist es überhaupt, alle Arten von „Musikveranstaltungen“, Konzerte wie Club-Veranstaltungen, über einen Kamm zu scheren?

Wie viele Befragte würden auf die Frage: „Finden Sie, dass die GEMA die Einnahmen aus Musikveranstaltungen lieber an die Komponisten und Texter ausschütten sollte anstatt sie für Meinungsumfragen auszugeben“ wohl mit Ja antworten?

Okay, das war billig. Aber fest steht: Die Zahlen, die die GEMA in ihrer Pressemitteilung veröffentlicht hat, ergeben sich nicht aus ihrer eigenen Umfrage. Ich würde wetten, dass sie trotzdem von den Medien so weitergetragen werden.

Die Löwenmutter und der böse Wolf

Anfang der Woche bekam ich eine Interview-Anfrage vom Medienmagazin „Zapp“. Sie wollten sich in der Sendung in dieser Woche Frau Kachelmann widmen und ihrer Rolle im Medienspektakel um Herrn Kachelmann: „Wie tritt sie auf, warum, woher nimmt sie ihre Selbstsicherheit, warum macht sie seine Sache zu ihrer?“ In den gemeinsamen Interviews der beiden sei den „Zapp“-Leuten unter anderem aufgefallen, dass Frau Kachelmann oft das Wort ergreife, wenn Herr Kachelmann gefragt werde.

Das geht natürlich gar nicht: Dass Ehefrauen einfach für ihre Ehemänner antworten. Sowas hätte es früher nicht gegeben, und wenn es das heute gibt, ist das natürlich ein dringender Auftrag für das Medienmagazin des NDR, dieser Absonderlichkeit auf den Grund zu gehen.

Ich habe „Zapp“ geantwortet, dass ich Miriam Kachelmann nicht kenne. Dass ich über alle in der Anfrage genannten Fragen spekulieren müsste. Dass ich aber nicht wüsste, warum ich das tun sollte.

Es haben sich dann glücklicherweise andere Leute gefunden. Christopher Lesko, der Leiter der Pferdeakademie Berlin. Und ein Experte für Krisenkommunikation. (mehr …)

Was Günther Jauch alles egal ist

Vielleicht könnten wir uns als Mindestanforderung für öffentlich-rechtliche Moderatoren darauf einigen, dass sie nicht so ahnungslos sein sollten wie Hans-Hermann Tiedje. Das Problem ist, dass Günther Jauch selbst diese Latte reißt.

Ich wünschte mir, man könnte ein Experiment machen und jemandem, der das deutsche Fernsehen nicht kennt, die „Günther Jauch“-Sendung vom vergangenen Sonntag zeigen. Und ihm dann sagen, dass der Moderator der berühmteste deutsche Fernsehmoderator ist, und dass die ARD Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, um ihn diese Show auf diesem Sendeplatz moderieren lassen zu können. Und dann sehen, wie groß der Unglaube ist.

Am Montag sagte der ARD-Chefredakteur Thomas Baumann zu dpa, man werde aus dem kritischen Echo auf die Jauch-Sendung mit Jörg Kachelmann „keine Lehren ziehen, weil wir unsere redaktionelle Linie für richtig erachten“.

Andreas Zaik, Chefredakteur und Geschäftsführer von Jauchs Produktionsfirma, suggerierte, dass man aus Kritik ohnehin nichts lernen könnte, weil unterschiedliche Kritiker ja unterschiedliche Meinungen hätten. Und gerade die Diskussion um den Fall Kachelmann habe gezeigt, dass es „keine allgemeingültige ‚Wahrheit‘ gibt und jeder Standpunkt einem bestimmten Blickwinkel geschuldet ist. Diese Argumente, durch den Moderator strukturiert, gerade in ihrer Widersprüchlichkeit zuzulassen, ist Aufgabe der Sendung.“

Ach?

Am Sonntag behauptete der Boulevard- und PR-Mann Hans-Hermann Tiedje bei „Günther Jauch“, dass der Fernsehmoderator Andreas Türck im Gegensatz zu Jörg Kachelmann vom Vorwurf der Vergewaltigung wegen erwiesener Unschuld freigesprochen wurde. Kachelmann widersprach. Und Strukturator Jauch ließ beide Argumente in ihrer Widersprüchlichkeit zu.

Die Wahrheit, sie liegt hier nicht irgendwo in der Mitte. Sie ist auch nicht einem bestimmten Blickwinkel geschuldet. Kachelmann hat Recht, Tiejde hat Unrecht.

Wäre es zuviel verlangt, wenn ein Moderator das wüsste? In einer Diskussion zum Thema „Was ist ein Freispruch wert“, zwei Tage, nachdem Andreas Türck seine Rückkehr auf den Bildschirm angekündigt hat?

Kachelmann sagte, er habe „Hundert und noch mehr Verfahren“ gegen Medien geführt. Tiedje sagte, es waren „höchstens fünf“, weil Kachelmann jeden einzelnen Fall mit der Zahl der Medien multipliziert habe. Tja, das muss man wohl in seiner Widersprüchlichkeit so stehen lassen, wenn das die Aufgabe der Sendung ist (und gerade nichts passendes auf der Moderationskarte steht). Sonst könnte man das Buch von Kachelmann gelesen haben und wissen, dass es sich tatsächlich um viele Dutzend verschiedene einstweilige Verfügungen handelt.

Wäre es zuviel verlangt, von der am wichtigsten gemeinten Talkshow im deutschen Fernsehen zu erwarten, dass sie ihre Zuschauer ein bisschen klüger machen will? Der Jauch-Sendung vom vergangenen Sonntag ist das in spektakulärer Weise nicht gelungen, und die Äußerungen von Baumann und Zaik verstärken den Eindruck, dass sie es nicht einmal versuchen wollte.

Man hätte sonst zum Beispiel darauf verzichtet, einen Heini wie Hans-Hermann Tiedje einzuladen, der nichts mit dem Fall zu tun hat, der Wenigerwissen durch Lautermeinen kompensiert und der die bequeme Position hat, stellvertretend für seine Kumpel von „Bild“ Kachelmann angreifen zu können, ohne sich für das Handeln von „Bild“ rechtfertigen zu müssen.

Aber das Problem ist natürlich nicht Tiedje. Das Problem sind Jauch und seine Redaktion. Jauch erweckte zum Beispiel in der Sendung den Eindruck, Kachelmann dürfe das angebliche Opfer nicht der „Falschbeschuldigung“ bezichtigen, dabei gibt es nach Angaben von Kachelmanns Anwalt bisher kein entsprechendes Verbot.

Jauchs Redaktion machte nicht nur den Fehler, den falschen Anwalt von Kachelmanns Beschuldigerin Claudia D. einzublenden. Sie stellte auch die Ergebnisse einer Studie falsch dar, mit der Jauch die Behauptung Kachelmanns widerlegen wollte, dass Falschbeschuldigungen von Frauen in Vergewaltigungsfällen ein weit verbreitetes Problem seien.

In einem Einspielfilm sagte der Off-Sprecher:

Die Fakten: Eine von der EU in Auftrag gegebene Studie der London Metropolitan University geht für Deutschland davon aus, dass nur etwa vier Prozent aller angezeigten Vergewaltigungen Falschbeschuldigungen sind.

Das ist falsch. Das sagt die Studie nicht, und das sagt insbesondere die Grafik aus der Studie nicht, die „Günther Jauch“ zeigt. Die eingekringelte „4“ steht in einer Tabelle, die die Überschrift trägt: „Why cases were discontinued before court across case-tracking samples“.

Es geht hier also ausschließlich um (echte oder angebliche) Vergewaltigungsfälle, die eingestellt wurden, bevor sie ein Gericht erreichten. Bei vier Prozent davon war die explizite Begründung der Behörden, dass die Vorwürfe falsch seien. Das besagt die Zahl „4“.

Die Studie weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich nicht um eine Schätzung der tatsächlichen Fälle von Falschbeschuldigungen handelt, sondern nur um offiziell als solche gekennzeichnete. Und sie weist auch darauf hin, dass unklar ist, wie viele Falschbeschuldigungen nicht eindeutig als solche erkannt wurden und sich in der Kategorie von Verfahren verbergen, die wegen „ungenügender Beweise“ eingestellt wurden. Das sind (in der gleichen Tabelle angegeben) in Deutschland immerhin 19 Prozent der eingestellten Verfahren.

Tatsächlich kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Öffentlichkeit und auch die Ermittlungsbehörden die Zahl von Falschanschuldigungen eher überschätzten, und widerspricht insofern deutlich Kachelmanns These. Was die Redaktion von „Günther Jauch“ ihm aber als „Fakten“ entgegenhält, ist schlicht unwahr.

Man könnte das als Schlamperei abtun, aber nach den Aussagen von Zaik nehme ich an, dass es Desinteresse an der Wahrheit ist, die ja für die Verantwortlichen der ARD-Sendung doch eh nur relativ ist.

Der Sprecher im Einspielfilm sagt weiter:

Im Gegenteil: Die Hemmschwelle, eine Vergewaltigung überhaupt anzuzeigen, sei gewaltig.

Das wird, auch im weiteren Verlauf der Diskussion, als Widerspruch zur Position der Kachelmanns dargestellt. Das ist es aber gar nicht. Jörg Kachelmann behauptet zwar: Eine Mehrzahl der angezeigten Vergewaltigungen hat nicht stattgefunden. Aber er sagt gleichzeitig: Eine Mehrheit der Vergewaltigungen, die stattgefunden haben, wird nicht angezeigt.

Das steht auch so in seinem Buch:

Es ist eine furchtbare Schere: Die Mehrheit der Vergewaltigungen wird nicht angezeigt — die Mehrheit der Anzeigen sind Falschbeschuldigungen.

Hier sind wir nun tatsächlich in einem Bereich, in dem sich die „Wahrheit“ nicht einfach ermitteln lässt. Aber es ließen sich Anhaltspunkte, Annäherungen, Zeugen auftreiben und, ja: widersprüchliche Argumente austauschen. Dazu müsste man aber als Redaktion entsprechende Studien richtig lesen, verstehen und wiedergeben können. Und überhaupt müsste man Kachelmanns These verstehen und richtig wiedergeben. Günther Jauch und „Günther Jauch“ haben das nicht geschafft.

Deshalb mussten sich Miriam und Jörg Kachelmann die Sendung lang nicht nur für das rechtfertigen, was sie behaupten, sondern auch für das, was sie nicht behaupten. Ein guter Moderator, eine gute Redaktion, hätten das verhindert.

Es musste dem unbefangenen Zuschauer auch so scheinen, als seien Kachelmanns Angriffe auf das Mannheimer Gericht nur Auswüchse einer blinden Rachsucht. Das liegt auch an Kachelmann selbst, der sicher nicht der beste Kämpfer in eigener Sache ist. Aber es gibt handfeste Gründe dafür, die Prozessführung skandalös zu finden. Man muss, wenn man sie kennt, nicht Kachelmanns Wut teilen. Aber man muss sie kennen, um über Kachelmanns Wut fundiert urteilen zu können. Ist der Gedanke völlig abwegig, dass eine Talkshow das versuchen könnte? Dass die Vorzeige-Talkshow der ARD das versuchen müsste?

Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass Jauch und seine Redaktion sich für die Wahrheit interessieren und an Tatsachen glauben: Als Grund, auf dem man stehen kann, und von dem aus man dann über Folgen, Ursachen, Interpretationen streitet.

Die Kachelmann-Sendung war vielleicht auch deshalb besonders schlimm, weil Jauch nicht einmal auf dem Gebiet des Menschelns Tritt fand. Er fragte Miriam Kachelmann angesichts der Tatsache, dass sie nach der Festnahme ihres damaligen Freundes erfahren musste, dass er noch andere Frauen hatte, zu Beginn der Sendung allen Ernstes: „Kam Ihnen nicht der Gedanke, naja, wenn der mich schon so belogen hat, dann wird er möglicherweise demzufolge auch eine Vergewaltigung leugnen?“

Die Kachelmann-Sendung war vielleicht besonders schlimm, aber sie war auch typisch. Typisch für die zutiefst unjournalistische Art, eine Sendung zu machen und zu moderieren. Ich habe vor einem Jahr im „Spiegel“ über Jauchs erste Sendungen geschrieben:

Gelegentlich liest er mit großem Ernst Zuschriften von Zuschauern vor wie den Hinweis eines Mannes, man müsse die Frau Merkel doch auch mal loben für ihre Konstanz: „Fragen Sie doch mal zwei Wirtschaftsexperten, und Sie bekommen drei Meinungen.“ Diese Kapitulation vor einem gemeinschaftlichen Versuch, zu verstehen und im Streit die beste Lösung zu finden, steht dank Jauch und seiner Redaktion stolz am Ende einer einstündigen Gesprächssendung mit der Kanzlerin.

Bei dieser Kapitulation ist es bis heute geblieben.

Always believe in your soul

Heute neu am Kiosk:

So sieht’s aus: Wer Verstand hat, kauft Gold, wer nicht, bloß „Focus Money“.

Die Zeitschrift aus dem Hause Burda ist das Fachblatt für Hysteriker mit Alzheimer. Wie ein hilfsbereiter Nachbar mit Zwangsstörung gibt „Focus Money“ seinen Lesern immer wieder dieselben Empfehlungen, die die dann entweder sofort vergessen oder ignorieren oder längst befolgt haben, in jedem Fall aber anscheinend immer wieder gerne lesen. (mehr …)