Dann reden wir mal über „Zensur“

Die Präsidenten der deutschen Verlegerverbände haben einen gemeinsamen Brief an die Bundestagsabgeordneten geschickt. Sie beklagen sich darin über die angeblich „irreführenden Aussagen und unbegründeten Behauptungen“, mit denen der Suchmaschinenanbieter Google Stimmung gegen das Leistungsschutzrecht macht. Sie schreiben:

Jeder sollte wissen, Google ist noch zu viel mehr im Stande – ohne sich wie die deutsche Presse der Wahrheit verpflichtet zu fühlen.

Die zweite Hälfte dieses Satzes ist erstaunlich. Die erste aber auch. Was wollen Hubert Burda und Helmut Heinen mit diesem Geraune andeuten? Wovor sollen wir Angst und Panik haben?

Der Text, der gleichzeitig beklagt, dass Google „perfide mit Angst und Panik arbeite“, lässt das bezeichnenderweise offen. Aber einen Hinweis, was gemeint sein könnte, liefert heute das „Handelsblatt“. Es schreibt:

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte wegen der Onlinekampagne von Google indirekt zum Boykott des Suchmaschinenbetreibers aufgerufen: „Es gibt noch andere Suchanbieter als Google“, sagte sie dem Handelsblatt.

Google hat offenbar darauf auf seine Weise reagiert. Auffällig war, dass gestern über Stunden die aktuelle Debatte über das Leistungsschutzrecht und den Boykottaufruf gegen Google der Justizministerin über eine Google-Suche nicht zu finden war. Bei Yahoo hingegen gab es bei gleichen Stichworten sofort Treffer zur aktuellen Debatte. Manch einer im Justizministerium sprach darum gestern von „Zensur“.

Darin steckt ein ungeheurer Vorwurf: Google soll Nachrichten, die dem Unternehmen nicht genehm sind, verschwinden lassen. Das wäre in höchstem Maße alarmierend. Falls das „Handelsblatt“ diesen Verdacht belegen können sollte, wäre es erstaunlich, ihn nur eher unauffällig am Ende eines Textes zu bringen, der die unscheinbare Überschrift „RTL fordert klares Bekenntnis zum Urheberrecht“ trägt.

Ein Google-Sprecher wies die „Handelsblatt“-Behauptung auf meine Anfrage zurück: „Ein solcher Vorwurf ist durch nichts begründet und absurd.“

Aber dann reden wir doch mal über „Zensur“. Oder genauer: über das Verschwindenlassen missliebiger Informationen.

Am Dienstagnachmittag hat der geschäftsführende Direktor des Max-Planck-Institutes für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht eine Pressemitteilung verschickt. Sein Institut, die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) sowie mehrere weitere Wissenschaftler üben in einer Stellungnahme vernichtende Kritik an dem Gesetzentwurf, der heute Nacht in erster Lesung im Bundestag beraten werden soll.

Die führenden deutschen Zeitungen haben ihren Lesern die Existenz dieser Kritik namhafter Fachleute an dem geplanten Gesetz bis heute verschwiegen.

Es ist unwahrscheinlich, dass sie ihnen nicht bekannt ist. Die Nachrichtenagentur dpa hat erstmals gestern Vormittag in einer Meldung darüber berichtet („Wissenschaftler: Leistungsschutzrecht ’nicht durchdacht'“). In mindestens vier weiteren dpa-Meldungen ist die Stellungnahme erwähnt.

Trotzdem steht kein Wort davon in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in der „Süddeutschen Zeitung“, in der „Welt“, im „Handelsblatt“ — alles Blätter, deren Verlage für ein Leistungsschutzrecht kämpfen und deren Redakteure gestern und heute teilweise wuchtigst Google für seine vermeintliche Desinformation kritisiert haben.

Es scheint nicht nur eine Platzfrage gewesen zu sein. Auch auf den Online-Seiten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Welt“ ist nichts von der Kritik zu lesen. (Nachtrag: Ausnahme sind die automatischen Newsticker, die automatisch alle dpa-Meldungen übernehmen.) Immerhin bildet das „Handelsblatt“ hier eine überraschende positive Ausnahme; auch „Spiegel Online“ hat über die Kritik berichtet.

Aber in den überregionalen Zeitungen ist es, als gäbe es diese Stellungnahme gar nicht. Als wäre die missliebige Information „zensiert“ worden.

Das ist kein Einzelfall.

Als vor gut zwei Jahren in einem außergewöhnlichen Schritt 24 Wirtschaftsverbände unter Federführung des Bundesverbandes der Industrie (BDI) eine „gemeinsame Erklärung“ herausgaben, in der sie ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger „vollständig“ ablehnten, berichteten darüber weder die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ noch die „Süddeutsche Zeitung“ noch die „Welt“.

Die Leser der FAZ erfuhren von der Existenz dieser Kritik nur indirekt zwei Monate später. In einem Interview wies der Verlegerpräsident Hubert Burda die Vorwürfe des BDI zurück — Vorwürfe, über die die FAZ nie berichtet hatte.

So ist das: Was den großen renommierten deutschen Zeitungen bei ihrem Kampf für ein Leistungsschutzrecht im Weg steht, findet in den großen renommierten deutschen Zeitungen im Zweifel nicht statt. Eine unabhängige, von Eigen-Interessen unbeeinflusste Berichterstattung kann man von ihnen nachweislich nicht erwarten. Manch einer irgendwo könnte da schon von „Zensur“ sprechen.

PS: Ich habe heute beim Zeitungsverlegerverband BDZV nachgefragt, wie man denn die furchteinflößende Äußerung zu verstehen hat, dass Google „noch zu viel mehr im Stande“ ist als die aktuelle Kampagne. Die Antwort:

Google hat in Deutschland unbestritten eine marktbeherrschende Stellung. Das versetzt das Unternehmen in die Lage, diese Kampagne im eigenen wirtschaftlichen Interesse massenwirksam zu fahren. Zugleich zeigt Google damit das Instrumentarium vor, das nötig ist, jede wie auch immer geartete Kampagne mit höchster Aufmerksamkeitswirkung durch den digitalen Flaschenhals zu lancieren.
 
Man kann das, sehr geehrter Herr Niggemeier, völlig in Ordnung finden, man kann das, wie die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, aufgrund der Vormachtstellung der Suchmaschine im Internet aber auch für einseitig und deshalb bedenklich halten. Unser Ziel ist es, eine ernsthafte Debatte anzustoßen und die von Google gesetzten Bedingungen nicht einfach nach dem Prinzip „Friss Vogel oder stirb“ zu akzeptieren.

Lügen fürs Leistungsschutzrecht (2)

Genau genommen, hätte ich anstelle der „(2)“ im Titel auch „(1)“ schreiben können, denn die Lügen, die Christoph Keese, Außenminister der Axel Springer AG, gerade wieder verbreitet, sind keine neuen Lügen, sondern wieder die alten.

Im Deutschlandfunk diskutierte er heute mit dem Google-Sprecher Kay Oberbeck:

Oberbeck: Sie selber können selbst bestimmen, ob Sie entweder durch Google indiziert werden wollen, ob Sie gefunden werden wollen oder nicht. Sie können selber festlegen, welche Teile von Seiten, welche Teile Ihres Angebotes überhaupt auffindbar gemacht werden sollen oder gar nicht. Also insofern haben hier die Verlage schon jetzt sämtliche Hebel in der Hand, um selber festzulegen, was hier im Internet von ihren Angeboten sichtbar ist oder was auch nicht. (…)

Keese: (…) Was Herr Oberbeck auch gerade sagt, dass man angeblich frei die Möglichkeit hätte einzustellen, was man veröffentlicht sehen möchte: Genau das Gegenteil ist der Fall, und da liegt sozusagen der Kern des Problems. Google bietet einen einfachen Lichtschalter an, und diesen Lichtschalter kann man auf „An“ oder „Aus“ setzen. Wenn man ihn auf „An“ setzt, ist man im Internet sichtbar, erteilt damit nach Interpretation von Google aber die Einwilligung, dass alles kopiert werden darf, was man macht. Umgekehrt kann man sagen, ich möchte den auf Null setzen, ausschalten, diesen Lichtschalter; dann bin ich mit nichts, was ich mache, im Internet sichtbar. Ich bin gar nicht mehr auffindbar, ich bin für niemanden mehr auffindbar, selbst für Google nicht. Es wäre schön, wenn es solche differenzierten Möglichkeiten gäbe, wie Herr Oberbeck sie gerade schildert, aber die gibt es im Augenblick nicht.

Oberbeck hat Recht, Keese hat Unrecht.

Der Schalter, den Google (und die anderen Suchmaschinen) anbieten, kennt nicht nur die Positionen „An“ und „Aus“. Er kennt auch die Position „Nimm meine Inhalte in Deinen Suchindex auf, mach sie auffindbar, aber zeige keinen Textausschnitt daraus an“. Durch diese Vorgabe („no snippet“) können Verlage, wenn sie das wollen, Google veranlassen, keine kurzen Anrisse der Artikel zu zeigen, ohne dass sie unsichtbar werden.

Und diese Vorgaben lassen sich für jeden Artikel einzeln einstellen.

(Ganz abgesehen davon, dass die Position „An“ natürlich nicht bedeutet, dass Google ganze Artikel kopieren und veröffentlichen darf. Es geht immer nur um kurze Ausschnitte.)

Keese weiß das natürlich. Er verbreitet diese Lüge schon länger und macht, wenn er damit konfrontiert wird, verrückte Ausflüchte. Den Punkt, den Keese selbst den „Kern des Problems“ nennt, stellt er immer wieder falsch dar.

Christoph Keese, meine Damen und Herren, Wortführer der deutschen Verlage im Kampf für ein Leistungsschutzrecht, der Wahrheit verpflichtet.

Google-Anzeigen jetzt auch in Print

Der Suchmaschinenkonzern Google unterstützt mit seinem Kampf gegen ein Leistungsschutzrecht die großen Zeitungsverlage finanziell. Er hat heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der „Süddeutschen Zeitung“, in „Welt“, „taz“, „Zeit“, „Berliner Zeitung“, „Tagesspiegel“ sowie in „Bild“ folgende ganzseitige Anzeige geschaltet:

Der Listenpreis für eine solche Anzeige in der FAZ (Seite 5) beträgt 71.810,00 Euro und in der SZ (Seite 9) 75.200,00 Euro. Eine ganze „Bild“-Seite bundesweit zu buchen, kostet laut Anzeigenpreisliste 414.500,00 Euro.

Nachtrag, 13:45 Uhr. Nach Angaben von Google läuft die Kampagne auch in Online-Medien, und zwar:

  • Mobile: Spiegel und Stern
  • Desktop: Spiegel, Stern, Focus, SZ, Handelsblatt, Zeit, WiWo, FTD, FAZ, Neon, Zeitjung, CNN, Berliner Zeitung
  • Soziale Netzwerke und Portale: FB, Jappy, Localisten, Xing, LinkedIn, T-Online, Web.de, freenet, GMX

Google ist nicht das Netz, und Verlage sind nicht der gute Journalismus

Die Kampagne von Google gegen das Leistungsschutzrecht ist, um mal mit dem rein Faktischen zu beginnen, natürlich nicht „beispiellos“, wie Konrad Lischka auf „Spiegel Online“ schreibt.

Der Suchmaschinen-Konzern hatte Anfang dieses Jahres — die Älteren werden sich erinnern — einen schwarzen Balken über sein Logo gelegt und seine Nutzer dazu aufgefordert, gegen zwei Gesetze zu kämpfen. Der amerikanische Kongress plante unter dem Vorwand, gegen Urheberrechtsverstöße zu kämpfen, gravierend ins Internet einzugreifen. Google warnte die Nutzer vor einer angeblich drohenden „Zensur des Netzes“ — und sorgte sich natürlich gleichzeitig ums eigene Geschäft.

Insofern ist es also nichts Neues, dass der Konzern seine Startseite jetzt für eine Kampagne in eigener Sache nutzt. Und auch nicht, dass er beim Versuch, die Nutzer zu mobilisieren, nicht diese eigene Sache in den Vordergrund stellt, sondern die Interessen der Nutzer und sogar die angebliche Sorge um das Gemeinwohl. (mehr …)

Auf den Hund gekommen: Der Wärmestuben-Journalismus der „Zeit“

Die Welt ist nicht gerecht. Die „Financial Times Deutschland“ muss sterben, und Kuschelmagazinen wie „Landlust“ und „Zeit“ geht es bestens.

Die von Giovanni di Lorenzo geleitete Wochenzeitung ist so heimelig und gefühlig geworden, dass sie sich auch als Heizdecke fürs Innere vermarkten ließe. Jan Fleischhauer hat sie neulich als „Führungsblatt des feminisierten Journalismus in Deutschland“ bezeichnet, wobei ich mir gar nicht sicher bin, ob Frauenmagazine überhaupt noch so emotionalisiert und betroffen und flauschigweich daherkommen wie die „Zeit“ heute.

In dieser Woche macht „Die Zeit“ mit der Frage auf, wie guter Journalismus überleben kann, und das illustriert sie natürlich, wie sonst, mit einem süßen Hund.

(Die Frage, ob der Hund die Gefahr oder der Heilsbringer für den Journalismus ist, ist natürlich reine Ketzerei.)

Nun ist es das eine, seinen Lesern ein warmes Gefühl im Bauch zu machen. Was die „Zeit“ aber auch wie kaum eine zweite kann: sich selbst öffentlich ein warmes Gefühl im Bauch machen.

Beides gleichzeitig versucht Giovanni di Lorenzo in seinem Leitartikel, dessen Überschrift schon alles sagt:

Das Blatt wendet sich

Hierzulande gibt es die wohl besten Zeitungen der Welt. Aber keine Branche betreibt so viel Selbstdemontage.

Er schreibt dann erst, worüber er alles nicht klagen will, weil klagen eh nicht hilft, und scheint dann zur „ungemütlichen Prüfung“ überzuleiten, ob ein Teil der Probleme von Zeitungen nicht „hausgemacht“ sei. An dieser Stelle, schreibt di Lorenzo, sei „allerdings ein Wutausbruch fällig“.

Es stellt sich heraus, dass er das zentrale, hausgemachte Problem der Zeitungen darin sieht, dass die sich selbst nicht gut genug finden. Er beschwert sich unter anderem, dass „Journalisten der Printmedien“ zu „manisch“ das Internet lobgepriesen und ihren treuen und teuren Print-Lesern damit suggeriert hätten, dass sie von gestern sind.

Vielleicht bin ich da als Medienjournalist übersensibel, aber ich lese darin, ein bisschen verschleiert, einen Aufruf, dass Print-Journalisten Print-Marketing betreiben sollen. Es setzt den wenigen verbliebenen professionellen Medienredakteuren bei Print-Medien weiter zu, die sich seit über zehn Jahren dafür rechtfertigen müssen, dass sie über die Probleme ihrer Branche so kritisch schreiben wie es ihre Kollegen bei anderen Branchen tun. Journalismus, der Probleme schonungslos benennt, ist offenbar nur dann eine gute Sache und ein fruchtbarer Prozess, wenn er nicht den Journalismus selbst betrifft.

Abgesehen davon wüsste ich gerne, wo di Lorenzo heute einen überkritischen Umgang der Printmedien mit sich selbst ausmacht. Umgekehrt könnte ich ihm Berge von Artikeln schicken, die sich lesen, als seien die Kollegen längst der verlängerte Arm der Marketing-, Lobby- und PR-Abteilungen ihrer Häuser und ihrer Branche.

Am Ende seines Leitartikels schreibt di Lorenzo, was das gedruckte Medium alles brauche:

Vor allem aber braucht es die Leserinnen und Leser, die in aller Regel wissen, was sie gutem Journalismus verdanken. Allerdings müssen sich die Blätter und ihre Macher diese Zuwendung im buchstäblichen Sinne auch verdienen. Wer für sich selbst keine Wertschätzung empfindet, kann sie auch nicht von anderen erwarten.

Das ist allen Ernstes sein zentraler Punkt. Er endet nicht damit, dass Zeitungen besser werden müssen, sondern dass sie sich selbst besser finden müssen.

Entsprechend versteht sich die Qualitätsjournalismus-Ausgabe der „Zeit“ als Wärmestube für die fröstelnden Kollegen.

Götz Hamann schreibt dort:

Das geschriebene Wort steht am Anfang jeder gesellschaftlichen Debatte, doch nun spürt es die volle Wucht der Digitalisierung. Es geht nicht um jedes Wort, sondern um jene, für die auch die ZEIT steht.

Dass das so ungelenk und grammatikalisch heikel formuliert ist, ist vermutlich die Folge davon, dass die „Zeit“ unbedingt ausdrücklich sagen wollte, dass sie nicht sterben darf. Dass das, was sie sagt, Gewicht hat, Relevanz. Auf beinahe elegante Art definiert sie Qualitätsjournalismus als das, was in der „Zeit“ steht.

Das kann man natürlich machen, und womöglich funktioniert es sogar im Sinne der Auto-Suggestion von „Zeit“-Machern und „Zeit“-Lesern. (Auch wenn es natürlich nicht wahnsinnig hilfreich ist, wenn gleich auf der nächsten Seite der „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann falsch geschrieben ist und ein falsches Alter hat.)

Zusammen mit Bernd Ulrich hat Götz Hamann dann noch „sieben Thesen zum Journalismus“ verfasst, von denen man wiederum eigentlich nur die Überschrift lesen muss:

Die Zukunft ist noch lang

Ich möchte trotzdem die letzte, siebte These vollständig zitieren:

Wird es in zwanzig oder dreißig Jahren noch Autos geben? Facebook? iPhones? Wir wissen es nicht. Wird es in zwanzig oder dreißig Jahren noch Zeitungen geben? Das wissen wir auch nicht. Was wir wissen, ist: Auch in Zukunft wollen die Menschen von A nach B, irgendetwas Autoartiges wird ihnen dabei helfen. Auch in Zukunft kann sich nicht jeder über alles selbst informieren, vermag nicht jeder alles einzusortieren, folglich wird es Menschen geben, deren Beruf es ist, dabei zu helfen, vermutlich werden diese Menschen Journalisten heißen. Solange es Worte gibt, wird es schreibenden Journalismus geben. Und so lange wird dieser Beruf einer der schönsten der Welt bleiben.

Mich hat diese hilflos-verzweifelt-verklärende Flucht ins Pathos unter dem Sinnbild des süßen gephotoshoppten Hundes heute depressiver gemacht als alle aktuellen Untergangs-Nachrichten von Print-Medien.

„Es ist manchmal so schlicht, wie man’s unterstellt“

Ich habe jetzt herausgefunden, warum ich schlecht über Markus Lanz schreibe: Weil er vor fünf Jahren die Anfrage, einen Gastbeitrag für BILDblog zu schreiben, abgelehnt hat.

Ich hatte das längst vergessen. Lanz nicht. Und so kam es, als er kurz vor seiner ersten „Wetten, dass“-Sendung beim österreichischen Radiosender Ö3 zu Gast war, zu folgendem Dialog:

[audio:http://www.stefan-niggemeier.de/blog/wp-content/lanz3.mp3]

Claudia Stöckl: Jetzt hast du auch schon in einem „Focus“-Interview gesagt: Eigentlich spürst du schon lange, seit du in der Fernsehbranche bist, man bekommt Dresche. Die Kritik ist hart. Das merkst du jetzt, glaub ich, besonders. Es gibt Leute, die sagen, sie trauen dir das nicht zu. Und da gibt es ja diesen „Spiegel“-Redakteur, den Stefan Niggemeier, der einen ganz bösen Blog über dich geschrieben hat. Zum Beispiel hat er geschrieben: „Es sind ja nicht nur diese Posen, das Finger-an-den-Mund-legen, der Dackelblick, dieses sich Spreizen, die Witzelsucht, die konsequente Unterforderung des Zuschauers, die persönlichen Zudringlichkeiten, die Phrasen, die Wichtigtuerei, das ganze streberhafte Gehabe.“ Ja, also, er hat’s ganz böse über dich geurteilt.

Lanz: Das war ein Pamphlet!

Stöckl: Kann man dich vergiften so? Im Sinne: Trifft dich dieses Gift?

Lanz: Ich beschäftige mich, ehrlich gesagt, nicht damit, aber speziell in seinem Fall habe ich eine Vermutung, diesem Menschen mal wirklich auch das Gewicht zu geben, das er eigentlich in meinem Leben nicht hat. Der hat vor vielen Jahren mich mal angefragt, ob ich an seinem Anti-„Bild“-Zeitungs-Blog mitwirken möchte. Ich hab damals zu ihm gesagt, ich mache das nicht. Ich habe kein Interesse daran, in irgendeiner Form gegen die „Bild“-Zeitung zu hetzen, genauso wenig wie ich ein Interesse daran habe, mich mit der „Bild“-Zeitung gemein zu machen. Ich hab mein journalistisches Handwerk gelernt und versuche immer, so ne gewisse Distanz zu wahren. Und als ich das so gelesen hab, hatte ich schon das Gefühl: Da sind noch ein paar alte Rechnungen offen. Es ist manchmal so schlicht, wie man’s unterstellt.

Ich habe, als ein Kommentator mir diese Stelle vorhielt, natürlich erst alles abgestritten: Lanz, am BILDblog mitwirken, wie lächerlich ist das denn?

Dann fiel mir ein, worauf er sich beziehen könnte. Ende 2007 haben wir viele bekannte und weniger bekannte Persönlichkeiten gefragt, ob sie für uns einen Gastbeitrag schreiben, als „BILDblogger für einen Tag“ für unsere damalige Adventsaktion. Darunter war auch Markus Lanz (oder „Mario Lanz“, wie es auf einer Liste mit über 50 Namen von Wunsch-Teilnehmern steht), damals noch Moderator des RTL-Sprengstoffmagazins „Explosiv“.

Ich habe sogar die Mail wiedergefunden, die ich damals an den RTL-Pressesprecher geschickt hatte:

Von: Stefan Niggemeier [mailto:stefan.niggemeier@bildblog.de]
Gesendet: Donnerstag, 29. November 2007 16:02
An: Körner, Christian [RTL Television]
Betreff: Anfrage für Markus Lanz / BILDblogger für einen Tag

Lieber Herr Körner,

darf ich Sie mal als Boten missbrauchen? Könnten Sie für mich die folgende Anfrage an Markus Lanz weiterleiten? Das wäre supernett!

Vielen Dank,
schöne Grüße
Stefan Niggemeier

Lieber Herr Lanz,

wir brauchen Sie. Für unsere große, natürlich 24-teilige Adventsaktion „BILDblogger für einen Tag“.

Unser Weihnachtswunsch ist es, im Advent jeden Tag einen anderen Gastautor zu präsentieren, der uns einen BILDblog-Eintrag schenkt. Der aufschreibt, was ihm an der „Bild“-Zeitung aufgefallen ist: die kleinen Merkwürdigkeiten oder das große Schlimme. Das können Fehler oder journalistische Entgleisungen des jeweiligen Tages sein, aber auch grundsätzliche Ärgernisse oder Gedanken zur „Bild“-Zeitung, was Sie immer schon mal bloggen wollten — am liebsten natürlich mit Bezug zur aktuellen „Bild“-Ausgabe. Gerne im BILDblog-Stil, gerne aber auch ganz anders: in der Form und Länge, die Sie sich wünschen.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie dabei wären. Können Sie sich das grundsätzlich vorstellen? Wenn Ja: Sagen Sie uns schnell Bescheid, damit wir gemeinsam nach einem passenden Termin suchen können. Und wenn Sie noch zögern, sagen Sie uns, was Sie zweifeln lässt — wir überreden Sie gern (mit guten Argumenten natürlich und mit Details über das Wie, Mit Wem und Warum).

Eine Antwort von Lanz habe ich nicht gefunden, und ich kann mich nicht erinnern, ob Lanz oder der RTL-Pressesprecher telefonisch abgesagt haben. Fest steht nur: Markus Lanz war damals nicht dabei, beim „Hetzen“ gegen die „Bild“-Zeitung.

Und deshalb schreibe ich heute schlecht über Markus Lanz. Woran soll es auch sonst liegen? An seinen Moderationen?

Manchmal ist es so schlicht, wie man’s unterstellt.

Wie die „Wirtschaftswoche“ ARD und ZDF erledigt

Er ist ein großer Hit: Der Online-Artikel, in dem die „Wirtschaftswoche“ die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der GEZ fordert. Auf den Seiten von Gebührengegnern wird er gefeiert. Laut „Wiwo“ war er einer der am häufigsten abgerufenen Artikel auf der Seite im Oktober.

Zwischendurch war er allerdings eine Weile verschwunden. Und als er wieder da war, war er nicht mehr, wie er war. Auf Nachfrage hieß es, er sei „zum Ergänzen“ offline genommen worden; „Kleinigkeiten“ seien geändert worden.

Nach weiterem Drängen, das Hin und Her zu erklären, veröffentlichte „WiWo“-Online-Chefredakteurin Franziska Bluhm einen Eintrag im Redaktionsblog der „WiWo“. „Der Text enthielt missverständliche Formulierungen und einen kleinen Fehler“, schrieb sie. Die Offline-Phase habe man dazu genutzt, „die Argumente des Kommentars noch klarer zu formulieren. Wir haben sie dabei nicht abgeschwächt, sondern eher noch zugespitzt. Dafür haben den Text teilweise inhaltlich gestrafft.“

In Wahrheit hat die „WiWo“ mehrere gravierende Fehler berichtigt, ganze Absätze gestrichen oder umformuliert. Das ist prinzipiell zu begrüßen, denn den ursprünglichen Text hat jemand ohne Sachkenntnis und mit bestürzenden Artikulationsschwierigkeiten geschrieben. Bloß hat die umfassende Überarbeitung daran nicht so viel geändert.

Es lohnt sich, die „Kleinigkeiten“ anzusehen, die die „Wiwo“ geändert hat, und über den Text zu staunen, den das Blatt nun für vorzeigbar hält.

Alte Fassung Neue Fassung
Wen betrifft die neue Rundfunkgebühr?

Sie wird für jeden Haushalt und Betrieb fällig. Es soll auch nicht mehr wie bislang Befreiungen für Hartz-IV-Empfänger von der Beitragspflicht geben. Sie bekämen aber entsprechend mehr Geld vom Staat. Ausnahmen sind nur wegen „ersichtlicher Empfangsunfähigkeit“ oder langer Abwesenheit vorgesehen.

Wen betrifft die neue Rundfunkgebühr?

Sie wird zunächst für jeden Haushalt und Betrieb fällig. Hartz-IV-Empfänger können einen Antrag auf Befreiung stellen. Menschen mit Behinderungen werden mit einem reduzierten Beitrag eingestuft.

(mehr …)

„Die aktuelle“-Bingo (5)

Hammer-Panne diese Woche bei „die aktuelle“: Sie titelt, dass Caroline von Monaco Oma wird, und Caroline von Monaco wird tatsächlich Oma. Ich weiß nicht, was da schiefgelaufen ist.

Dann müssen wir das beliebte „die aktuelle“-Bingo halt mit der kleinen Geschichte oben rechts spielen: Welches „verheimlichte Drama“ hat sich im Weißen Haus abgespielt? Worum trauert seine Familie?

(„die aktuelle“ ist eine Zeitschrift der oft kurioserweise immer noch als seriöser Verlag behandelten WAZ-Gruppe. Alle Bingo-Ausgaben stehen hier.)

Nachtrag, 16:35 Uhr. Auflösung hier.

Der „Stern“ glaubt, ein Monopol auf Fakten zu haben

Der „Stern“ glaubt, er besitze das „Urheberrecht“ an den Ergebnissen seiner Recherche. Er irrt.

Die Hamburger Illustrierte hat eine einstweilige Verfügung gegen die FDP erwirkt. Die Partei hatte einen Fragenkatalog, den ihr der „Stern“ über zweifelhafte Geschäfte von FDP-Tochterfirmen zugeschickt hatte, samt Antworten online veröffentlicht.

Der „Stern“ sieht sich dadurch in seiner Existenz bedroht. Sein Rechercheur Hans-Martin Tillack schreibt:

Wenn wir Journalisten nicht mehr darauf rechnen können, dass wir selbst entscheiden, wann wir unsere Erkenntnisse veröffentlichen, können wir uns aufwändige Recherchen kaum noch leisten — weil dann andere vorgewarnt sind, bis hin zu den Konkurrenzblättern. Wir leben — überwiegend  — vom Geld unserer Leser. Nur wenn wir ihnen neue Informationen bieten können, werden sie für unsere Inhalte bezahlen.

Das mag alles sein. Das gibt dem „Stern“ aber nicht das Recht, anderen zu untersagen, ihnen bekannte Tatsachen der Öffentlichkeit mitzuteilen.

Der „Stern“ hat ein Urheberrecht an seinen Fragen. Er kann der FDP vermutlich untersagen, sie wörtlich zu veröffentlichen. Aber auf welcher Grundlage sollte er die Redefreiheit in Deutschland soweit einschränken können, dass diejenigen, die er etwas fragt, nicht darüber reden dürfen, was er sie gefragt hat?

Nehmen wir an, Herr Tillack hat durch Recherche herausgefunden, dass in meinem Keller eine Leiche sein soll. Wenn er mich, journalistisch korrekt, mit diesem Vorwurf konfrontiert, habe ich natürlich die Möglichkeit, schnell noch in die Offensive zu gehen und selbst der Öffentlichkeit in meinen eigenen Worten mitzuteilen, dass da eine Leiche in meinem Keller ist, um der Enthüllung die Wucht zu nehmen und als erstes die Deutungshoheit zu haben.

Das mag für einen Journalisten ärgerlich und frustrierend sein, aber das ist so.

Es ist selbst dann so, wenn ich von der Leiche in meinem Keller selbst gar nichts wusste und sie erst entdeckte, nachdem der „Stern“-Reporter mich darauf hingewiesen hatte. Was sollte mich daran hindern, mein neues Wissen über die Leichenhaltigkeit meines Kellers mit anderen zu teilen? Womöglich die Sorge, dass der „Stern“, wenn ich ihm so in die Parade fahre, erst recht eine große Leichensuche in meinen Kellern veranstaltet, ja. Vielleicht auch ein Gefühl von Fairness. Aber ein Recht?

Tillack schreibt:

Journalisten haben das Urheberrecht an ihren Fragenkatalogen und an den Rechercheergebnissen, die sich in diese Fragen wiederspiegeln [sic].

Man muss gar nicht, wie Tillack es tut, das Fass der Urheberrechtsdebatte aufmachen, um dem klar zu widersprechen. Es gibt kein Urheberrecht auf Fakten, und das ist auch gut so. Wenn der „Stern“ auf seinem Urheberrecht an der Formulierung der Fragen besteht: Gut, dann muss die FDP die Fragen weglassen oder umformulieren. Aber selbstverständlich hat die FDP das Recht, selbst zu entscheiden, wann und wie sie ihre Antworten auf diese Fragen veröffentlicht.

Und wenn sie damit die Aufmerksamkeits- und Verkaufs-Maximierungsstrategie des „Stern“ durchkreuzt, dann ist das bitter für den „Stern“ und womöglich ein Problem für den investigativen Journalismus insgesamt. Aber es ist nach meinem Rechtsverständnis nichts, das einen Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertigt.

„Stern“-Chefredakteur Thomas Osterkorn lässt sich mit den Sätzen zitieren: „Das Konfrontieren gehört zur journalistischen Sorgfaltspflicht und dient vor allem den Betroffenen, ihre Sichtweise ebenfalls darzustellen. Wenn diese das Verfahren unterlaufen, indem sie Fragen und Antworten veröffentlichen, wird diese Praxis ausgehebelt.“

Die Betroffenen sollen „ihre Sichtweise“ darstellen dürfen, aber ausschließlich unter den Bedingungen, die das recherchierende Medium diktiert. Davon träumen sie noch beim „Stern“, dass sich dieses Monopol und das damit verbundene Geschäftsmodell auf Dauer aufrecht erhalten lässt.

Nachtrag, 14. November. Hans-Martin Tillack antwortet: Mein Vorwurf, der „Stern“ hätte ein Monopol auf Fakten verlangt, sei falsch. Gleichzeitig wiederholt er aber, dass es notwendig sei, den „Rechercheprozess“ schützen zu können.

Wir unterbrechen diese Sätze für eine Werbebotschaft

Neulich hat „Focus Online“ bekanntgegeben, sich nicht am allgemeinen Wettherunterziehen von Bezahlschranken zu beteiligen. Das Angebot soll kostenlos bleiben. Zu groß sei die Gefahr, Stammleser zu verprellen.

Doch die Umsonstheit hat ihren Preis. Die Stammleser müssen dafür an anderer Stelle besonders hart im Nehmen sein (vom Journalismus jetzt mal ganz abgesehen): Sie müssen sich darauf einstellen, dass „Focus Online“-Artikel mitten im Absatz von Werbebotschaften im Fließtext unterbrochen werden.

Nach Angaben des Werbevermakters Tomorrow Focus handelt es sich um einen Test. Die Werbeform werde den Kunden noch nicht angeboten, ob sie bei „Focus Online“ eingeführt wird, sei noch offen, sagt eine Sprecherin. Die ersten Erfahrungen seien aber „sehr positiv“. (Ich hatte konkret nach Reaktionen von Lesern gefragt, halte es aber eher für unwahrscheinlich, dass sich die Antwort darauf bezieht und stimmt.)

Es handelt sich um eine verschärfte Form von In-Text-Advertising. Das besteht sonst in der Regel daraus, dass einzelne Wörter im Text unterstrichen sind und beim Überfahren mit der Maus dazu vermeintlich passende Werbung angezeigt wird. Hier nun schiebt sich die Anzeige auch ohne (absichtliches oder versehentliches) Zutun des Lesers in den redaktionellen Text.

Selbst für den durchschnittlich desinteressierten Online-Medien-Nutzer muss dank solcher und ähnlicher Zudringlichkeiten längst unübersehbar sein, wie groß die Not der Angebote ist. Werbeformen wie diese sind Monumente der Verzweiflung, eine weitere Eskalation im zunehmend gewaltsamen Versuch, die Aufmerksamkeit der ebenso zunehmend abstumpfenden Leser auf die Botschaften der Werbekunden zu lenken.

Vermutlich muss man froh sein, dass die Werbung nicht mitten im Satz steht oder einzelne Wörter unterbricht, aber wahrscheinlich ist auch das nur eine Frage der Zeit. Die Kreativität, die man im deutschen Onlinejournalismus vermisst, sie scheint in die Erfindung solch immer neuer, immer noch aufdringlicherer Werbezumutungen zu fließen.

Sie haben übrigens noch weitere originelle Ideen bei „Focus Online“. Wenn man einen Artikel eine Weile offen lässt, erscheint oben eine Zeile, die einen informiert, dass es seit dem letzten Besuch „neue Artikel von FOCUS Online“ gebe, und dazu auffordert, die Seite „jetzt“ zu „aktualisieren“. Mit einem Klick kommt man dann auf die Startseite.

Die Einblendung erscheint natürlich unabhängig davon, ob tatsächlich in der Zwischenzeit neue Artikel auf „Focus Online“ veröffentlicht wurden. Sie kommt einfach immer automatisch nach zehn Minuten.