Warum Anke Engelke keine Shows mehr moderieren will — und es jetzt doch macht

Anke Engelke moderiert in diesem Jahr den deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest. Am Montag hatte ich die Gelegenheit, ihr telefonisch ins Gewissen zu reden.

Stimmt es, dass du total überredet werden musstest, den Vorentscheid zu moderieren?

Anke Engelke: Ja, das stimmt.

Warum?

Ich fand den Eurovision Song Contest 2011 in Düsseldorf so schön, schöner geht es nicht. Als mir im Jahr danach der Vorsitz der deutschen Jury angeboten wurde, dachte ich sofort: „Logo, das wollte ich immer schon mal machen!“ Das ist doch eigentlich das perfekte Doppelpack. Da hätte man gut sagen können: Das war so schön, das reicht jetzt. Andererseits habe ich sehr ernst genommen, dass da ein paar Leute waren, die gesagt haben, sie wünschen sich so sehr, dass ich das mache.

Es heißt, dass du grundsätzlich ungern Fernsehshows moderieren willst.

Ich hasse das.

Warum?

Ich hasse das, weil ich das nicht kann. Hallo? Können wir mal kurz über „Anke Late Night“ sprechen?

Das ist doch überhaupt nicht vergleichbar. Wenn du heute eine Fernsehshow moderierst, sagen hinterher alle: War das fantastisch! Und wenn du’s nicht machst, sagen alle: Kann die das bitte wieder machen!

Aber ich hab’s doch gemacht. Ich habe es 78 mal gemacht. Ich kann das nicht. Ich will das nicht. Seit einigen Jahren mache ich nur noch Sachen, die ich wirklich will und die ich selber mag. Es muss live sein, das ist schon mal eine wichtige Bedingung. Nehmen wir mal die Berlinale-Eröffnung, die ich jetzt wieder moderiere. Guckt scheinbar kein Mensch, da fühle ich mich sehr sicher, internationales Publikum, ich darf auf englisch moderieren und Witze machen. Kosslick ist ein Spitzenentertainer, er ist unberechenbar und der braucht mich ein bisschen als Stütze, weil ich den Ablauf kenne. Den European Film Award moderiere ich, der ist auch durchgeschrieben, aber auch da kann alles schiefgehen und ich muss mein Zeug können und spontan reagieren. Ich habe bei der letzten Berlinale mit Jury-Mitglied Jake Gyllenhaal gesprochen, der hat vorher nur gesagt: „Ich habe keinen Bock auf ein Interview. Stell mir ne Frage, deren Antwort fünf ist.“ Dann mach ich das, das war super. Aber wie oft hast du das, dass da einer ist, bei dem du denkst: Der versteht mich, und ich versteh den, und der will nicht groß reden, aber der hat Bock auf Spaß — machen wir jetzt einfach mal.

Aber das heißt, wenn wir jetzt einen Aufruf machen: Wir brauchen das richtige große Fernsehshow-Format für Frau Engelke, das live ist, eventuell auf englisch und du darfst dir noch drei bis sieben Sachen wünschen, dann würde da noch was gehen mit der Moderatorenkarriere?

Machen wir uns nichts vor: Das war eigentlich die Prämisse bei der Late-Night. Da hat mein Produzent Jörg Grabosch vorher auch gesagt: Anke, was willst du? Aber dann kamen halt von außen immer mehr Einwände: Nee, das wollen die Leute nicht, Quote, Achtung, nehmt bitte nicht soviel Musik, nicht soviel Talk, und wenn der Vater von Michael Jackson kommt, darfst du ihn das und das aber nicht fragen.

Aber das ist ja hundert Jahre her mit dieser komischen Late-Night-Show und überhaupt nicht vergleichbar! Reden wir lieber über den Vorentscheid. Was hast du da für ein Gefühl? Geht es nach dem Hype um Lena und dem Ende der Casting-Euphorie nun wieder in die Mühen der Ebene?

Ich sehe das als große Möglichkeit und als Abenteuer. Das ist wie Reset, von Null. Ich finde das richtig. Ich bin kein Stratege, ich kenn mich mit Show – wie bereits erwähnt – nicht aus. Aber ich finde es ganz richtig, jetzt das Casting-Prinzip zu verlassen. Ich hatte erst ein bisschen Angst, dass dadurch, dass die Plattenfirmen da mitentschieden haben, es zu sehr aufs rein Kommerzielle fokussiert ist. Aber die Mischung ist ganz gut gelungen. Ich habe den Eindruck bei den Kandidaten, dass da auf Musik geachtet wurde und darauf, verschiedene Genres zu haben. Es sind zwei oder drei Songs dabei, wo ich glaube, da hat sich jemand überlegt: Was ist ein Eurovision-Song? Es sind Songs dabei, die sagen: Nee, kein Bock, das machen wir ganz anders. Und es sind Songs dabei, die einfach für sich selbst stehen. Das finde ich als Mischung gut.

Hast du etwas Besonderes geplant für die Show?

Nein, das möchte ich nicht. Der Fokus soll auf den Kandidaten liegen. Und Lena und Loreen sind da, das finde ich total sexy.

Du machst nur die Ansagerin.

Ja. Ich habe Lust auszuprobieren, ob man eine anspruchsvolle Show machen kann, die keine Angst vor Entertainment hat. Ich bin auch gespannt, ob es funktioniert, dass es diese Drittelaufteilung in der Abstimmung gibt zwischen Jury, Fernsehpublikum und Radiohörern. Ich weiß für mich persönlich noch nicht genau, wie ich diese Aufteilung finde. Mal sehen.

Und du hast jetzt, nachdem du dich lange geziert hast, die Moderation für zehn Jahre zugesagt.

Neee, ich muss doch erstmal gucken, ob mir das gefällt!

„Unser Song für Malmö“, 14. Februar, 20.15 Uhr, Das Erste.

Programmhinweis (43)

Ich habe mir auf die Schnelle jetzt mal das Werbebanner vom „Freitag“ ausgeliehen. Der „Autor von hier“ ist natürlich der Autor von da: Matthias Dell, Kulturredakteur bei der Wochenzeitung und kein Fan der Münster-„Tatorte“ mit Thiel und Boerne. Er hat ein kleines kluges Büchlein geschrieben: „‚Herrlich inkorrekt'“, in Anführungszeichen wohlgemerkt. „Mit den Folgen aus Münster hat in markanter Weise die Diskussion um ‚politische Korrektheit/Inkorrektheit‘ Einzug am gesellschaftlichen Lagerfeuer gehalten, das der TATORT ist“, schreibt Dell, und so verkorkst diese Diskussion ohnehin ist, so unglücklich ist regelmäßig auch die vermeintlich rebellisch-humorige Art, in der sie die erfolgreichen Münster-„Tatorte“ prägt.

Statt einer Lesung wird Matthias Dell heute Abend im Literaturhaus Berlin anhand einiger „Tatort“-Ausschnitte den Umgang mit Literatur und Künstlertum in der Reihe erklären. Und hinterher spreche ich mit ihm darüber, über den „Tatort“ und über die „Political Correctness“, die es seiner Meinung nach nie gegeben hat.

Heute, 20 Uhr, Großer Saal des Literaturhauses Berlin. Eintritt 5 Euro / 3 Euro.

Dschungeltexter Jens Oliver Haas: „Ein Jahr Pause wäre jetzt gut für das Format“


Georgina, Olivia Jones. Fotos: RTL

Am vergangenen Wochenende lief das Finale von „Ich bin ein Star — holt mich hier raus“. Jens Oliver Haas, der seit der ersten Staffel die Moderationstexte für die Dschungelshow schreibt, ist schon auf dem Rückflug nach Hause. Unterwegs hat er mir noch einige Fragen per E-Mail beantwortet.

Im Rückblick: War 2013 ein guter Jahrgang?

Es war ein wunderbarer Jahrgang. Die Hanglage der Kandidaten hat sich ausgezahlt — aber trotzdem fehlte mir das Gefälle. Um im Bild zu bleiben: Es war mir zu ausgewogen. Da fehlte das intellektuelle Gefälle und der clash of cultures, wie wir es zum Beispiel bei meinen persönlichen Lieblingsstaffeln zwischen Rainer Langhans und Sarah Knappik oder zwischen Ingrid van Bergen und Giulia Siegel hatten. Da hatte ich mir speziell von Helmut Berger, Arno Funke und Olivia Jones mehr erwartet. Aber Helmut hat uns verlassen, bevor er zu sich kam, Arno hat sich als sehr farblos erwiesen und Olivia war einfach zu sehr damit beschäftig Olivia zu sein, um den Oliver mal punkten zu lassen.

Die Zahl der echten Prominenten schien in diesem Jahr besonders klein zu sein. Die Viert- oder Fünftplatzierten von DSDS, „Germanys Next Topmodel“, „Der Bachelor“… Anscheinend tat das dem Interesse an der Show und ihrer Unterhaltsamkeit aber gar kein Abbruch. Hat Dich das überrascht? Braucht die Show gar keine echten Stars, um zu funktionieren?

Ich glaube, es gibt keine falschen Kandidaten — es gibt nur falsche Mischungen. Im letzten Jahr hatten wir zum Beispiel ausgezeichnete Kandidaten — jeder für sich war ein Knaller. Aber in der Masse hatten wir einfach zu viele Camper, die schlecht oder gar nicht Deutsch sprachen. Der Dschungel lebt zum größten Teil nicht von den Prüfungen und Schatzsuchen, sondern von dem, was zwischen den Kandidaten passiert und sich entwickelt. Und das beginnt, entwickelt sich und endet immer in Dialogen.

Ansonsten ist es ein Trugschluss, dass man Kandidaten kategorisieren kann. Es gab relativ unbekannte Kandidaten wie zum Beispiel Nico Schwanz, die im Format hervorragend funktioniert haben. Es gab andere wie Rocco Stark, die nur für das Format funktioniert haben — hier durch die Liebesgeschichte mit Kim Debkoswki oder seine Halbbrüder. Und es gibt Kandidaten wie Arno Funke, die nur für ein paar gute Wortspiele zum Auftakt gut sind und dann in aller Stille verpuffen. Da jetzt eine Erkenntnis draus ziehen zu wollen, die sich auf den nächsten unbekannten Aspiranten anwenden lässt, ist sinnlos.


Helmut Berger, Olivia Jones

Die Quote war hervorragend. Während fast alle anderen langjährigen RTL-Shows gerade (zugegeben: auf hohem Niveau) absacken, hat der Dschungel Rekorde gefeiert. Woran liegt das? Hat da der Name Helmut Berger gezogen?

Der Dschungel hat sich seinen Event-Charakter bewahrt. Zum einen, weil er einfach zu teuer ist, um ihn im Stile der Casting-Shows so oft zu duplizieren, bis sich das Genre erschöpft hat. Zum zweiten, weil es ihn — abgesehen vom medialen Vorgewitter — wirklich nur in 16 Tagen im Jahr gibt. Und zum dritten, weil es immer mal wieder eine Auszeit gab, die wieder großen Appetit auf die Show gemacht hat. So ungern ich das auch sage — jetzt wäre mal wieder ein Jahr Pause gut für das Format.

Und die Frage nach Helmut Berger beantwortet sich aus sich selbst heraus: Die Rekord-Quoten kamen erst, als Helmut schon gegangen war. Der Dschungel weckt nach wie vor das Gefühl: Wenn ich jetzt diese zwei Wochen nicht regelmäßig zuschaue… dann verpasse ich was. Dieser Eventcharakter, verbunden mit der Tatsache, dass wir innerhalb von 60 Minuten fast das gesamte Spektrum der aktuellen Fernsehunterhaltung abdecken, macht den Dschungel immer wieder so interessant.

Was ist ein „guter“ Kandidat für „Ich bin ein Star…“? Worauf kommt es an?

Ein gewisser Leidensdruck ist schon von Vorteil. Und er sollte kein zu großer und kontrollierter Medienprofi sein. Ein verzerrtes Selbstbild und eine damit verbundene Fallhöhe sind auch ganz hilfreich. Kleinere Störungsbilder werden gerne genommen, sollten aber nicht krankhaft oder akut sein. Ansonsten gilt wie bei allem: Nenn mir den Namen und ich sage dir, ob und warum ich ihn für einen guten Kandidaten halte. Es kann zwei Promis mit identischer Vita geben, von denen einer ein Traumkandidat und der zweite ein Totalausfall ist.

In früheren Staffeln gab es Anzeichen, dass sich das Prinzip langsam abgenutzt haben könnte, dass zum Beispiel die Kandidaten sich zu kalkuliert verhalten oder auch das Prinzip der ganzen Show sich abnutzt. Wie erklärst Du, dass das stattdessen immer noch funktioniert?

Das Prinzip der Show ist die Überraschung. Wenn ein Star gar nicht so ist, wie wir oder er selbst es gedacht haben. Wenn sich einer ganz anders entwickelt, als geplant, gehofft oder befürchtet. Das zuzulassen und zu begleiten ist die Show. Je mehr man glaubt, das im Griff zu haben oder im Griff haben zu müssen, desto weniger Spielraum gibt man der Sendung, sich selbst immer wieder neu zu erfinden.

Der Übergang von Dirk Bach zu Daniel Hartwich – wie wichtig war es, das in der ersten Folge richtig zu inszenieren? War womöglich die Neugier auf Hartwich auch ein Grund für die Leute einzuschalten?

Ich weiß bis heute nicht, ob wir es wirklich richtig inszeniert haben. Wir — also Autoren, Sonja und RTL — haben uns selbst vorgenommen, die erste Sendung erst vor Ort und mit den Eindrücken vor Ort zu bauen. Letztlich ist uns das nicht gelungen, weil Fernsehen halt doch von Planern gemacht wird und zu viele technische und organisatorische Dinge im Vorfeld entschieden werden mussten. Ich selbst wollte in der ersten Sendung viel mehr die bekannten und mit Dirk verbundenen Strukturen brechen und vielleicht sogar ganz beerdigen. Nicht nur, um Dirk zu ehren, sondern um der Sendung und Daniel Platz für eine Neuanfang zu schaffen. Das war das eine Extrem, das andere war der Vorschlag, einfach wie gewohnt weiter zu machen.

Am Ende wurde es ein Kompromiss, mit dem ich nicht glücklich war — ich hätte zumindest in der ersten Sendung den Begrüssungs-Schrei auf der Brücke weg gelassen und das Studio auf einem anderen Weg als gewohnt betreten. Aber vielleicht war es gerade dieses Ritual, dass als Signal funktioniert hat. Letztlich ist modernes Fernsehen ja immer die Kunst, den Kompromiss zu finden, der am besten funktioniert.

Überhaupt: Daniel Hartwich. Der wahre Gewinner dieser Staffel?

Der Gewinner ist die Sendung. Sie hat bewiesen, dass sie die Summe von ganz vielen richtigen Entscheidungen und ganz vielen guten Fernsehmachern in den richtigen Positionen ist. Daniel hat sich da so nahtlos eingegliedert, dass wir alle Lügen strafen konnten, die uns den totalen Absturz prophezeit haben. Das soll aber auf keinen Fall die Leistung von Daniel schmälern — sich so in ein dermassen komplexes und gut funktionierendes System einzupassen, zeugt von höchster Professionalität und Teamgeist. Das ist etwas, das vielen nicht bewusst ist: Die Leistung der Moderatoren, die ja gerne mal für die Geschichte als bessere Textableser dargestellt werden, ist sensationell! Was die in der Kürze der Zeit und mit der Masse an Text leisten — ich kenne in Deutschland keine Handvoll Moderatoren, denen ich das in der Perfektion zutraue.

Dazu muss man sich nur mal die Reunion-Show anschauen: Diese Sendung haben wir drei Stunden nach dem Finale aufgezeichnet — mit Texten und Fragen, die wir ihnen 20 Minuten vorher frisch aus dem Drucker noch zugesteckt haben. Ohne Probe, ohne Ablauf, ohne viele der MAZen überhaupt gesehen zu haben, haben die beiden eine perfekte Show hingelegt, die viele ausgeschlafen und mit vier Tagen Vorlauf nicht halb so gut gestemmt hätten.


Sonja Zietlow, Daniel Hartwich, Joey Heindle.

Hatte irgendjemand von Euch Joey und Claudelle auf dem Zettel als Favoriten fürs Finale?

Ich habe am dritten Tag bei der Teamwette meine fünf Dollar auf Claudelle gesetzt. Und den Jackpot für Joey teilen sich auch ein paar Kollegen — der geht nicht an einen einzigen.

Was war das mit den ganzen persönlichen Familiendramen und Schicksalsgeschichten, die die Kandidaten da preisgegeben haben im Camp? Spielt bei Eurem Umgang damit auch eine Rolle, inwiefern ihr die für wahr oder für inszeniert haltet? Oder ist die unausgesprochene Spielregel: Alles, was da gesagt wird, darf auch als Material und ggf. Vorlage für Witze verwendet werden?

Das ist wieder etwas, das man nur am jeweiligen Beispiel erläutern kann. Einen Witz, den ich über Gundis Zambo machen kann, die ein Buch über ihre Bulimie geschrieben hat, kann ich nicht über ein ausgemergeltes Model machen, das vehement abstreitet, eine Essstörung zu haben. Ich glaube, wir haben oft bewiesen, dass wir bei allem Brachialhumor auch sensibel mit sensiblen Themen umgehen können. Das Blöde ist, dass ich das nicht beweisen kann, weil es genau die ungesagten Dinge, die ungesendeten Szenen und die ungemachten Witze sind, die das belegen.

Vielleicht nur soviel: An dem Format arbeitet ein fantastisches Team, das viel mehr von den Stars weiß und erfährt, als es jemals einsetzen würde. Und die fast schon inflationäre Zahl an Beichten war mir in der Masse und Inszenierung zu viel und zu aufgesetzt. Man muss das Format nicht schon zum siebten Mal machen, um mit relativ sicherem Gespür zu wissen, wann die Kameras in den Köpfen der Camper präsent sind und wann nicht. Und wenn ich mir sicher bin, dass ein Star das Format benutzt, dann darf das Format auch ihn benutzen.


Patrick Nuo, Iris Klein.

Hattest Du ein persönliches Moderationshighlight in diesem Jahr?

Ja! Mal wieder die Zusammenarbeit mit Micky Beisenherz. Die Moderations-Bücher entstehen innerhalb von vier Stunden, in denen wir noch Sitzungen haben und ständig zwischen Büro und den Schnittplätzen pendeln, um die parallel entstehenden MAZen zu sichten. Nebenbei wird dann gerne noch mal der Ablauf geändert, eine MAZ gekippt und ich synchronisiere noch Dr. Bob. Dazu kommen Gespräche mit Story-Producern, Show-Producern, Regisseur und die ständige inhaltliche Abstimmung mit [RTL-Redakteur] Markus Küttner. Ach ja… und ein täglicher Teaser und eine Dschungelprüfung müssen auch noch geschrieben werden. In der letzten Stunde des Schreibens sind dann auch schon die Moderatoren vor Ort und werden, wo es geht, auch noch in den Prozess mit eingebunden. Kurzum: Es ist unmöglich — und deshalb geht es nur mit Micky Beisenherz. Weil wir tatsächlich 18 bis 20 Stunden täglich fast symbiotisch aufeinander hängen und nur die Sendung leben. Teile der Show entstehen so immer schon auf der Fahrt zum Camp oder in den zwei Stunden, die wir uns täglich für Sport und zwei Bier im Pool abknappsen. Und das iPhone ist in Notiz-Funktion immer dabei.

Ihr nutzt Selbstironie in den Moderationen inzwischen fast wie eine Teflonschicht, an der jede Kritik gar nicht mehr haften bleibt. Das betrifft zum Beispiel die — berechtigten, oder nicht? — Zweifel an den Temperaturen bei Euch da unten und dem Grund für Helmut Bergers vorzeitigen Auszug. Dadurch, dass ihr Jörg Kachelmanns Vorwürfe in ironischer Form zum Thema gemacht habt, habt ihr sie lächerlich gemacht. Ganz anderes Beispiel: Wenn Daniel sich über die freizügige Kleidung von Sonja lustig macht und sie sich spielerisch darauf einlässt, macht sie das in gewisser Weise immun gegen Kritik daran. Wie erlebst Du die Macht und Möglichkeiten von Selbstironie in einem solchen Format? Was sind die Grenzen? Und warum wird das sonst so selten eingesetzt?

Wir haben die Selbstironie ja nicht als Waffe entwickelt sondern nur als Werkzeug entdeckt. Ein Werkzeug, das für jeden frei zugänglich ist — aber nur in Australien darf ich es in der Form auch benutzen. Und ganz ehrlich: Wie anders als mit Ironie soll ich mit Menschen umgehen, die mir aufgrund von Wetterdaten sagen wollen, wie warm es bei mir ist. Komischerweise hat keiner der Journalisten vor Ort jemals die aktuellen Temperaturen mal gemessen oder durchgegeben. Selbst die Kollegen vor Ort haben aus den Daten aus der Heimat zitiert oder irgendwelche „Fachleute“ vor Ort zitiert.

Die traurige Wahrheit ist: In dem Talkessel, in dem das Camp liegt, war es im Schatten viel heißer, als die Wetterwarte Murwillumbah gemessen hat. Und leider befinden sich weite Teile des Camps und der Trial-Area nicht im Schatten. Die Temperaturen, denen die Stars und auch die Moderatoren ausgesetzt waren, liegen sogar noch weit über den Werten, die uns keiner geglaubt hat. Und Kritik perlt tatsächlich an uns ab, weil sie teilweise so hanebüchen und verlogen ist, das es nicht wert ist, sich damit ernsthaft auseinander zu setzen. Nur als Beispiel: Seit acht Jahren schreiben die sogenannten „Journalisten“ einen Bericht von Frontal 21 ab, der massive Fehler und Unsauberkeiten enthält. Aber es ist einfacher, als sich mal selbst schlau zu machen. Ich kann den Quatsch von Dschungelgeräuschen vom Band, Nebelmaschinen und der angeblichen Bananenplantage nicht mehr hören. Man kann übrigens während des Sommer offizielle Führungen buchen und sich das Camp und alles anschauen. Aber das würde ja so viele der schönen Skandal-Geschichten kaputt machen.

Mit der Kritik an sich gehe ich viel entspannter um, seitdem das Spektrum von Trash bis Nietzsche, von Müll bis Kunst und von Gladiatoren- bis Tagesschau-Vergleichen geht.

Und die Frage, warum wir unsere gutfunktionierende Selbstironie und den speziellen Dschungelhumor nicht in den deutschen TV-Alltag hinüber retten können… das ist ein langes Gespräch für sich. Da gibt es ganz viel Hindernisse und leider keine Lösung.

Die „Lex Google“ wird ohne Google beraten

Am kommenden Mittwoch steht im Rechtsausschuss des deutschen Bundestages das geplante Leistungsschutzrecht für Zeitungs- und Zeitschriftenverleger auf der Tagesordnung. Zu der öffentlichen Anhörung sind neun Sachverständige geladen: Vier Juristen von Universitäten, zwei Anwälte, zwei Verlagsvertreter und ein Journalistenvertreter.

Ein Vertreter von Google ist nicht dabei.

Dabei ist Google der Hauptbetroffene des neuen Gesetzes. Es ist kein Zufall, dass es den Spitznamen „Lex Google“ bekommen hat. Auch die Verlegerverbände machen kein Geheimnis daraus, dass es ihnen mit diesem von ihnen geforderten Gesetz vor allem um den Suchmaschinenkonzern geht. In einer Broschüre pro Leistungsschutzrecht, die sie gerade an die Bundestagsabgeordneten verschickt haben, findet sich die erklärte Absicht, den Marktanteil von Google mithilfe des Gesetzes zu reduzieren.

Es geht um ein Gesetz, das — nüchtern und neutral formuliert — vor allem das rechtliche Verhältnis zwischen Google und den Verlagen neu regeln soll. Und der Bundestagsausschuss, der darüber berät, lädt von den betroffenen Parteien nur eine ein? Beruft als Sachverständige zwei Verlagsvertreter, einen verlegerfreundlichen Journalistenvertreter und niemanden von Google?

Warum?

Ich habe Burkhard Lischka gefragt, den SPD-Obmann im Rechtsausschuss. Sein Sprecher antwortete mir:

Es ist richtig, dass der Regierungsentwurf in erster Linie auf Dienste wie Google News abzielt. Daher sehen wir primär die Bundesregierung in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass die Hauptbetroffenen dieser Gesetzgebung Gelegenheit bekommen, im Rahmen der Anhörung zum Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Den Koalitionsfraktionen, die insgesamt fünf Sachverständige benennen können, wäre es möglich gewesen, diesem Umstand Rechnung zu tragen.

Wenn die Bundesregierung (auf Druck der Verleger) ein Gesetz will, das sich vor allem gegen Google richtet, soll die Bundesregierung auch gefälligst Google als Sachverständigen benennen? Das klingt für mich eher nach einer Kindertrotzargumentation, aber gut: Warum also hat zum Beispiel die Union niemanden von Google als Sachverständigen nominiert?

Die Antwort von CDU/CSU-Obmann Thomas Silberhorn lautet,

dass selbstverständlich alle Fraktionen im Deutschen Bundestag jeweils Sachverständige für eine öffentliche Anhörung benennen können. Im Übrigen gab es bereits vielfältig Gelegenheit, um die Stellungnahmen von Google in hinreichender Weise zur Kenntnis zu nehmen. Darüber hinaus wird Herr Silberhorn am kommenden Montag an einem Gesprächstermin mit Kent Walker, Senior Vice President & General Counsel der Google Inc, zum Thema Urheberrecht teilnehmen.

Ich möchte nicht wissen, an wieviel Gesprächsterminen mit Verlegervertretern Herr Silberhorn schon teilgenommen hat, ohne das Gefühl zu bekommen, dass es „bereits vielfältig Gelegenheit gab“, deren Positionen „in hinreichender Weise zur Kenntnis zu nehmen“. Aber deren Positionen kann man anscheinend gar nicht genug zur Kenntnis nehmen. Neben Springer-Außenminister Christoph Keese ist deshalb noch ein zweiter Verlegervertreter als Experte geladen: Holger Paesler, Geschäftsführer der Verlagsgruppe Ebner. Paesler war früher Leiter Medienpolitik beim Zeitungsverlegerverband und bis 2008 Geschäftsführer des Verbandes Bayerischer Zeitungsverleger.

Von Google hingegen ist niemand geladen.

(Um gleich einen möglichen Einwand der Keeses vorwegzunehmen: Auch der Rechtsanwalt Till Kreutzer, der als Sachverständiger geladen ist, spricht vor dem Ausschuss nicht für Google. Kreutzer hat die Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht IGEL ins Leben gerufen, mit der ich offen sympathisiere. IGEL wird von Google finanziell unterstützt, hat aber nach Kreutzers Angaben völlige redaktionelle Freiheit garantiert, was eine Voraussetzung gewesen sei, die Unterstützung anzunehmen.)

Der Suchmaschinenkonzern ist nicht zur Anhörung geladen, obwohl ihn das Gesetz erheblich betrifft. Das macht man eigentlich nur mit bösen Kindern und nicht, wenn man einen Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen schaffen will. Aber das entspricht ja vielleicht nicht zufällig der Art, wie die Verleger den Konflikt darstellen, mit Google als Dieb und Räuber.

Das „Handelsblatt“ gegen ARD und ZDF: Wenn Ahnungslose Kampagnen machen

Dies ist das Niveau, auf dem die Kampagne des „Handelsblatts“ gegen ARD und ZDF angekommen ist:

Ein Dossier bläst auf zehn Seiten annähernd alles, was der Medienredakteur Hans-Peter Siebenhaar in den vergangenen Tagen und Jahren schon über ARD und ZDF ins „Handelsblatt“ sowie in sein Buch „Die Nimmersatten“ geschrieben hatte, noch einmal neu auf und schafft damit das Kunststück, selbst das Sommerprogramm des Hessischen Fernsehens an Wiederholungen zu übertreffen.

Es recycelt erneut eine angebliche „Studie“ für den Autovermieter Sixt, wonach die Gebühreneinnahmen von ARD und ZDF durch die neue Haushaltsabgabe um 1,6 Milliarden Euro jährlich steigen. Sixt hatte im Oktober 2010 ein zufällig vorbeikommendes Milchmädchen gebeten, das zu errechnen. Seitdem wird die Zahl vom „Handelsblatt“ und anderen Gegnern von ARD und ZDF benutzt, eine Gebetsmühle anzutreiben. Dass seriöse Schätzungen dieser Zahl widersprechen und nachvollziehbar erläutern, warum sie sich nicht so leicht errechnen lässt wie es Sixt behauptet, erwähnt das „Handelsblatt“ ebenso wenig wie die Tatsache, dass ARD und ZDF diese Einnahmen, wenn sie wider Erwarten tatsächlich realisiert würden, nicht behalten dürften.

Zur umfassenden Desinformation packt das „Handelsblatt“ die Zahl nun sogar in eine Statistik mit offiziell wirkender Quellenangabe:

Die Dossier-Artikel selbst prägt die inzwischen bekannte Denkverweigerung. Das „Handelsblatt“ wirft es ARD und ZDF ebenso vor, bloß auf die Quoten zu schauen, wie Programme zu machen, die keine großen Quoten haben. Wenn die Öffentlich-Rechtlichen den Privaten Sportrechte wegkaufen, hält das „Handelsblatt“ das für verwerflich; wenn sie im Kampf um teure Filmrechte den Privaten das Feld weitgehend überlassen, hält das „Handelsblatt“ das auch für verwerflich.

Immerhin ist mir nach dem Lesen dieser zehn Seiten klar geworden, warum das „Handelsblatt“ sich so ausdauernd an den Öffentlich-Rechtlichen und ihrer neuen Finanzierung abarbeitet: nicht nur aus ideologischen Gründen, wegen des Konkurrenzverhältnisses, aus Neid, Populismus oder weil es nichts kostet (vor allem keine Recherche). Offenkundig gehören die Leute, die im „Handelsblatt“ übers Fernsehen schreiben, zu denen, die nie Fernsehen schauen und jetzt trotzdem zahlen müssen. Anders lässt sich die Flut von sachlichen Fehlern kaum erklären:

Die ARD, die den Vorabend bis dahin [gemeint ist der Start der RTL-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“] mit biederen Familienserien bestritten hatte, zog nach: mit dem Liebes-und Intrigenstadel „Verbotene Liebe“ rund um das Schloss der Familie von Anstetten. (…) Bald legte die ARD „Marienhof“ und „Rote Rosen“ nach.

„Verbotene Liebe“ ging erst 1995 auf Sendung, „Marienhof“ schon 1992.

An den Erfolg von Casting Shows wie „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL) oder „Popstars“ (Sat1), versuchte das ZDF mit dem Polit-Klamauk „Ich kann Kanzler“ oder dem „Musical Show Star“ anzuknüpfen.

„Popstars“ lief auf RTL 2 und ProSieben, aber nie auf Sat.1.

Die Wirklichkeit sieht dann so aus: Der Erfolgsregisseur Bora Dagetkan etwa hat für die ARD die Vorabendserie „Türkisch für Anfänger“ entworfen. Die sorgte zwar nicht für tolle Quoten, laut Kritikern aber für Überraschung, Esprit und Witz. Dinge, die bei
ARD und ZDF nicht gerade im Überfluss vorhanden sind. Eine Zukunft hatte die Serie dennoch nicht.

Der Mann heißt Bora Dağtekin, und „Türkisch für Anfänger“ brachte es, trotz durchwachsener Quoten, immerhin auf drei Staffeln mit insgesamt 52 Folgen.

Die US-Erfolgsserien „Mad Men“ und „West Wing“ wurden gleich in den Spartenkanal ZDF neo verbannt.

„West Wing“ läuft nicht auf ZDFneo.

Als sich die Diskussion über die Haushaltsabgabe immer stärker zuspitzte, entschloss sich das ZDF zu einem in der Sendergeschichte einmaligen Experiment. Die Anstalt machte sich erstmals selbst zum Thema.

Das ZDF hat eine lange Tradition, sich selbst im Programm zum Thema zu machen. Es tat das zum Beispiel in Sendungen wie „Gespräch mit dem Intendanten“ (1963-1976) und „Wir stellen uns“ (1984-1992). Übrigens hat auch die ARD schon den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Kritik daran in einer Talkshow am Hauptabend zum Thema gemacht: Im Januar 2006 diskutierten bei „Hart aber fair“ unter anderem Privatfernsehlobbyist Jürgen Doetz und Henryk M. Broder mit Senderverantwortlichen über Kommerzialisierung, Schleichwerbung, Volksmusikwahn.

Samstag, 20.15 Uhr, beste Sendezeit im deutschen Fernsehen. Die ARD zeigt „Das Winterfest der fliegenden Stars“. Am kommenden Samstag sieht es ähnlich aus: Die ARD zeigt, wieder am Samstag, 20.15 Uhr, die Sendung „Servus, Hansi Hinterseer“. Beim ZDF heißt es am16. Februar, natürlich auch ein Samstag, 20.15 Uhr: „Willkommen bei Carmen Nebel“. Drei Sendungen, ein Programm. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen zeigt zur Primetime am Wochenende Volksmusik.

„Willkommen bei Carmen Nebel“ ist keine Volksmusiksendung. In der letzten Sendung traten auf: Eros Ramazzotti, Il Divo, Rolando Villazón, Unheilig, Pur, Andreas Gabalier, Chris de Burgh, Patricia Kaas, Peter Cornelius, Nik P., Linda Hesse, Wolfgang Trepper, Leo Rojas, Sir Roger Moore.

In der Rangliste der beliebtesten Fernsehformate kommt Volkstümliches laut Allensbach mit elf Prozent erst auf Rang 18 — noch hinter Daily Soaps und Talentshows. Nur eins boomt in dem Genre: die TV-Präsenz am Samstagabend.

Die Zahl der volkstümlichen Sendungen am Samstagabend geht zurück.

Hin und wieder zeigen sich die Sender einsichtig. Der MDR etwa hat kürzlich den Wernesgrüner Musikantenstadl eingestellt.

Die Sendung hieß „Wernesgrüner Musikantenschenke„. Ihre Einstellung hat übrigens zu zahlreichen Protesten von Politikern, Musikern und Zuschauern geführt.

Als das ZDF vor einiger Zeit moderner werden wollte, kündigte Programmdirektor Thomas Bellut an, weniger Volksmusik und stattdessen mehr Schlager zeigen zu wollen. Verbessert hat das die Lage nur unwesentlich.

Das ZDF hat in den vergangenen zehn Jahren „Weihnachten mit Marianne & Michael“ abgesetzt, „Liebesgrüße mit Marianne & Michael“, den „Grand-Prix der Volksmusik“, „Lustige Musikanten on Tour“ und „Das ZDF-Wunschkonzert der Volksmusik“. Es würde mich überraschen, wenn das „Handelsblatt“ auch nur eine Volksmusik-Sendung im ZDF benennen könnte.

Der Kabarettist Volker Pispers wagte, im öffentlich-rechtlichen WDR auszusprechen, was viele denken: „Von meinen GEZ-Gebühren dürfen keine Volksmusik-Sendungen finanziert werden.“

Ja, das wagte er. Aber vielleicht hätte die Berufsbezeichnung „Kabarettist“ den eifrigen Strohhalmklammerern des „Handelsblattes“ eine Warnung sein sollen. Der Kontext des Satzes von Pispers lautet nämlich so:

Was die unsachgemäße Verwendung Ihrer Gebühren angeht, möchte ich Sie an dieser Stelle einmal beruhigen. Ich selber lege großen Wert darauf, dass meine Honorare ausschließlich aus den Gebühren derjenigen Hörerinnen und Hörer bezahlt werden, die meine Beiträge mögen. Schließlich bin ich selber Gebührenzahler und fände es unerträglich, wenn von meinen Gebühren Sendungen oder Moderatoren bezahlt würden, die ich über Gebühr schrecklich finde. So habe ich zum Beispiel verfügt, dass von meinen GEZ-Gebühren keine Volksmusiksendungen finanziert werden dürfen. Auch die Honorare der Herren Reinhold Beckmann, Wolf-Dieter Poschmann und Peter Hahne dürfen unter gar keinen Umständen aus Geldern bestritten werden, die ich zwangsweise überwiesen habe.

Das habe ich der GEZ unmissverständlich klar gemacht. Natürlich kann die GEZ Ihre kostbaren Gebühren, liebe Hörerinnen und Hörer, nur dann korrekt verwenden, wenn in der dortigen Gebührenverteilungsstelle ihre persönlichen Vorlieben bzw. Abneigungen auch bekannt sind. Da reicht übrigens ein formloses Schreiben. Es ist zwar für die GEZ ein Riesenaufwand, die eingehenden Gebühren auf die verschiedenen Töpfe, aus denen bestimmte Sendungen nicht finanziert werden dürfen, zu verteilen. Aber das machen die da gerne. Genauso wie mein Finanzamt ohne mit der Wimper zu zucken zur Kenntnis genommen hat, dass ich nicht möchte, dass von meinen Steuergeldern die Diäten von Abgeordneten der FDP bzw. Polizeieinsätze bei Castor-Transporten oder Fußballspielen des FC Bayern München bezahlt werden.

Es immer schwierig mit der Ironie. Aber kann man wirklich so dumm sein, diese Sätze als Forderung zu verstehen, keine Volksmusik mehr mit den Rundfunkgebühren zu finanzieren, und nicht als Kritik an genau der Art von Ignoranz, wie sie das „Handelsblatt“ demonstriert?

Aber ja. Man muss nur dumm genug sein wollen.

Post von Wagner

— von Jens Oliver Haas, z. Zt. Australien* —

Berlin, 16.15 Uhr: Franz Josef Wagner wirkt erfrischt, nach fünf Stunden komatösem Schlaf. Das Sodbrennen ist heute mal erträglich, und die Stimmen im Kopf schweigen noch. Er lächelt. Sein Arzt hat ihm gesagt, dass er wohl bald eine neue Niere braucht — aber bis dahin funktioniert der Aquarien-Feinfilter von OBI sehr gut.

Beschwingt öffnet sich Wagner eine gute Flasche französischen Landwein. Ein feines Tröpfchen von 2011, gute Lage, nicht zu viel Tannin. Vorsichtig gießt er das Weißbierglas voll und setzt sich an die Schreibmaschine.

Liebe Annette Schavan! Es ist mir peinlich, Sie wegen des angeblichen Doktorklaus anzusprechen. Es ist, wie wenn man eine liebe, nette, ältere Dame an der Kasse bei Lidl verdächtigt.

Na, das ist ihm doch schon mal gut gelungen. Grinsend greift Wagner nach rechts und ins Leere. Nanu? Wann hat er denn das Weißbierglas zerschlagen. Und wo ist der gute Landwein? Und warum ist er nackt und riecht so komisch? Und warum ist es schon dunkel?

Fahrig greift Wagner nach dem Tetrapak mit billigem, italienischen Traubenurin und lässt sich die Plörre in den Hals laufen. Er hat schon mit 17 gelernt, den Schluckreflex zu unterdrücken — das kommt ihm jetzt zugute. Beim Absetzen schneidet er sich leicht an den zerbissenen Kanten des Tetrapaks. Irgendwann muss er sich eine neue Schere kaufen — auch wenn sie sie ihm sowieso sofort wieder weg nehmen. Da war doch was? Ach, richtig: Der Brief!

Mühsam fokussiert Wagner auf das Blatt… Wer hat denn den Mist geschrieben? Wer ist Schavan? Und wer ist dieser Doktor Klaus? Der Pfuscher, der ihm den Aquarienfilter eingesetzt hat? Die Schmerzen sind mörderisch. Konzentrier dich! Du kannt es doch, Hans-Jürgen! Ähhh… Franz Josef…

Sie haben ein wunderbares, unverheiratetes Lehrerinnengesicht. Ihre Frisur ist bubihaft. So kämmten sich Frauen vor 30 Jahren. Sie sind wie eine Cousine, die keinen Mann bekommen hat.

Wagner bricht weinend über der Maschine zusammen und staucht sich eine Rippe an der leeren Scharlachberg-Flasche. Er wirft sie zu den anderen. Alles kommt wieder hoch… die Familienfeier vor 30 Jahren… die unverheiratete Cousine mit dem Bubi-Kopf… der Apfelkorn… das Kind mit seinem Gesicht… die Schande.

Er schickt den Nachbarsjungen zu Lidl, zwei neue Flaschen Queen-Margot-Whisky kaufen. Warum kann er sich nur diesen Namen merken? Es gibt so gute Sachen da… zum Beispiel diesen einen Cognac… oder den mit dem Wildschwein… aber er kommt nur auf Queen Margot.

Endlich kommt der Junge wieder. Die Tür ist blockiert… Wo kommt dieses Fässchen her? Wirf das Ding doch einfach durch die Scheibe! Wagner schneidet sich an einer Scherbe — aber Queen Margot streichelt ihm sanft die Schmerzen weg.

Um 23 Uhr kommt die korsische Putzfrau. Sie wischt die Kotze weg und bringt die Flaschen zum Container. Es ist nicht weit, Wagner hat ja seit 2003 einen eigenen im Hof.

Sie rollt Wagner ins Badezimmer und kärchert ihn ab, bevor sie den Notarzt ruft. Dann schreibt sie, wie immer, schnell die Kolumne zu Ende. Sie kann nur wenig Deutsch, aber dafür reicht es immer.

Ein paar Kolumnen hat sie ja auch schon komplett selbst geschrieben und es hat keiner gemerkt. Man muss nur einfach das aufschreiben, was man beim Einkaufen zuletzt gehört hat. Und vielleicht noch ein paar Sätze aus der Zeitung auf der Treppe. Wenn es zu lang wird, streicht der Drucker einfach was weg.

Wahrscheinlich essen Sie gerne Ziegenkäse.

Ich glaube nicht, dass Sie eine Betrügerin sind.

Wissenschaftler müssten untersuchen, ob ein Doktortitel ein Ersatz für Liebe ist.

Fuchs auf Schwanenjagd in Kanal erfroren.

Melanie mag ihren Popo.

Herzlichst, Ihr F. J. Wagner

*) Jens Oliver Haas ist einer der beiden Moderations-Autoren der RTL-Show „Ich bin ein Star — holt mich hier raus“, was offenbar kein tagesfüllender Job ist. Der Text stammt von seiner Facebookseite. Veröffentlichung hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Lügen fürs Leistungsschutzrecht (3)

Unter dem Namen „Verteidige dein Netz“ hat Google vor einigen Wochen eine große Kampagne gegen das geplante Leistungsschutzrecht für Zeitungs- und Zeitschriften-Verlage begonnen. Vor einigen Tagen veröffentlichte der Verband der Zeitschriftenverleger unter dem Titel „Verteidige deine Presse“ eine Antwort. Punkt für Punkt werden darin die Behauptungen von Google „dekonstruiert“.

Zum Beispiel die Aussage: „Das geplante Leistungsschutzrecht wird auch innerhalb der schwarz-gelben Koalition in Berlin kritisch gesehen.“ Das ist zwar zweifellos wahr. Aber der VDZ erwidert:

Letztendlich übersteigt die Zahl der Befürworter die Zahl der Kritiker. Sowieso wäre ohne Kritik eine politische Debatte nicht möglich. Dank der Pro- und Contra- Meinungen im politischen Feld wurde letztendlich ein Konsens erzielt, der sich im befürwortenden Votum des Bundestags für das Leistungsschutzrecht ausspricht. Wer, wenn nicht die Abgeordneten, ist repräsentativer dafür?

Moment: Es gibt ein „befürwortendes Votum des Bundestages“ für das geplante Leistungsschutzrecht?

Der VDZ scheint davon überzeugt, denn er wiederholt das später noch einmal in anderer, aber ähnlich pathetischer Form, nämlich um der Google-Aussage zu widersprechen, dass das Leistungsschutzrecht „von weiten Teilen der deutschen Gesellschaft abgelehnt“ werde:

Wenn Google die angeführten Beispiele für repräsentativer hält, als der vom deutschen Volk gewählte Bundestag, der sich für das Leistungsschutzrecht in einem Votum ausgesprochen hat, dann weist der Suchmonopolist hier eine gehörige Verzerrung bezüglich seines Gesellschaftsbild aus.

Die Verleger suggerieren, dass Google undemokratisch handelt, weil der Konzern einen Beschluss des deutschen Parlaments ignoriere, nur: Welchen Parlamentsbeschluss? Wann hat der vom deutschen Volk gewählte Bundestag sich in einem Votum für das Leistungsschutzrecht ausgesprochen?

Auf meine entsprechende Frage antwortet mir der Sprecher des VDZ:

Der Bundestag hat sich in der ersten Lesung mit dem Gesetzentwurf beschäftigt und dann in die Ausschüsse überwiesen. Bei der Debatte in der ersten Lesung überwogen positive Bewertungen.

Mit anderen Worten: Es gibt kein Votum. Der Deutsche Bundestag hat über das geplante Leistungsschutzrecht noch nicht abgestimmt. Er hat es nur, wie vorgesehen in unserem Gesetzgebungsverfahren, in die Ausschüsse überwiesen. Dabei hat keine Abstimmung stattgefunden, schon gar nicht in der Sache.

Und selbst wenn die überwiegende Zahl von Bewertungen in der Aussprache zur ersten Lesung schon gleichbedeutend wäre mit einem „Votum“ (was sie nicht ist), hätte der VDZ unrecht. Für das Leistungsschutzrecht sprachen sich drei Redner aus (Max Stadler, Ansgar Heveling, Thomas Silberhorn), dagegen bzw. für Alternativen fünf (Martin Dörmann, Petra Sitte, Tabea Rößner, Lars Klingbeil, Jimmy Schulz).

Und wir merken uns: Die deutschen Zeitschriftenverleger erfinden im Kampf für ihr eigenes Gesetz ein parlamentarisches Votum, das es nicht gibt, um die angeblichen Unwahrheiten und die Demokratiefeindlichkeit von Google anzuprangern.

Nachtrag, 17:50 Uhr. Der VDZ hat seine falsche Darstellung auf Twitter mit der Formulierung „Wenn der Wunsch Vater des Gedankens ist“ erklärt und die betreffenden Stellen jetzt so verändert:

Dank der zahlreichen Pro- und Contra- Meinungen im politischen Feld wird auf einen Konsens hingearbeitet, der sich hoffentlich im befürwortenden Votum des Bundestags für das Leistungsschutzrecht ausspricht. (…)

Wenn Google die angeführten Beispiele für repräsentativer hält, als der vom deutschen Volk gewählte Bundestag, der in der Entscheidung letztendlich das letzte Wort haben wird, dann weist der Suchmonopolist hier eine gehörige Verzerrung bezüglich seines Gesellschaftsbild aus.

(Hervorhebungen von mir.)

Das ergibt zwar weder sprachlich, noch als Erwiderung auf Google Sinn, ist aber wenigstens nicht mehr komplett falsch.

Die „Westfälische Rundschau“ wird vor dem Tod schon stumm gemacht

In der vergangenen Woche gab die WAZ-Gruppe bekannt, aus der „Westfälischen Rundschau“ einen Zeitungszombie zu machen. Die komplette Redaktion mit 120 Redakteuren und einer noch größeren Zahl freier Mitarbeiter wird geschlossen, aber die Hülle bleibt erhalten. Gefüllt wird sie von Februar an mit Inhalten anderer, teils bisher konkurrierender Blätter.

Politiker und Leser protestierten gegen die Entscheidung. Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Guntram Schneider sagte, er könne sich nicht vorstellen, dass das dadurch entstehende „Meinungsmonopol“ auf dem Dortmunder Zeitungsmarkt im Interesse der Dortmunderinnen und Dortmunder sei. Hermann Hupe, Bürgermeister in Kamen, hätte sich „angesichts der Finanzkraft der WAZ-Gruppe“ gewünscht, dass nicht 120 Existenzen in Frage gestellt werden: „Die Rigorosität dieser Entscheidung ist nicht zu verstehen.“ Die SPD-Bundestagsabgeordneten aus der betroffenen Region sprachen von einem „Schlag gegen Meinungsvielfalt und guten Journalismus“.

So stand es am Donnerstag auch in der „Westfälischen Rundschau“:

Doch zu sehen bekam diese Seite nur ein kleiner Teil der Leserschaft: jene, die die Zeitung per Post zugeschickt bekommen. Diese Ausgabe hat einen besonders frühen Redaktionsschluss. Danach wurde offenbar ein Aufpasser, vielleicht in der Zentrale des Konzerns in Essen, aufmerksam auf die Berichterstattung — und ließ sie aus den späteren Ausgaben entfernen. Dort wich der Artikel der brisanten Nachricht, dass Autofahrer bei Schnee mehr Zeit für den Arbeitsweg brauchen, es aber nach Angaben der Behörden aktuell für die Jahreszeit nicht übermäßig viele Unfälle gibt:

Die Seite war abends, als die Redakteure der „Westfälischen Rundschau“ schon zu Hause waren, ausgetauscht worden. Sie sollen das erst am nächsten Morgen bemerkt haben. (mehr …)

Rundfunkbeitrag bald fast so schlimm wie Hitler

Es gibt allem Anschein nach nichts, was dem „Handelsblatt“ zu falsch oder zu dumm ist, um es im Kampf gegen ARD und ZDF zu verwenden. Den vorläufigen (und schwer zu untertreffenden) Tiefpunkt markiert ein Gastbeitrag der früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld, den die Zeitung gestern auf ihrer Internetseite veröffentlichte.

Ich fürchte, man muss das lesen, um eine Ahnung davon zu haben, auf welchem Niveau inzwischen die — an sich nicht nur legitime, sondern auch notwendige — Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geführt wird. (mehr …)

Super-Symbolfoto (93)

Vielleicht täusche ich mich, aber kann es sein, dass das Online-Angebot des „Handelsblatts“ um Wieder-Aufnahme in diese kleine Reihe bettelt?

Und als Bonus die Frage: Wie, glauben Sie, hat Handelsblatt.com den Artikel mit der Überschrift „Wie die Inflation die Renten frisst“ illustriert?

Richtig.