Mit Geld, aber ohne Auftrag? Das komische PR-Engagement von Platoon für arte

Die Mail begann mit den Worten:

Hier ist (…), wir kennen uns leider noch nicht persönlich, aber natürlich weiß ich, dass du einer DER TV-Blogger in Deutschland bist.

Ein bisschen unglücklich war, dass sie an meinen Kollegen Peer adressiert war, aber mit den Worten „Hallo Peter“ begann. Und dass es etwas später in ihr hieß:

Vielleicht passt es in den FAZ Fernsehenblog, oder eine andere Platform für die du, oder Stefan schreibst.

(Das FAZ-Fernsehblog gibt es seit fast einem halben Jahr nicht mehr, und ich war sogar schon seit Herbst 2011 nicht mehr dabei.)

Der Absender, ein Mitarbeiter der PR-Agentur Platoon (Berlin/Seoul), schrieb, seine Aufgabe sei es, dem Start der Serie „Real Humans“ auf arte „ein wenig mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen“. Er habe einen Trailer und Informationen. Und:

Außerdem gibt es ein Budget mit dem ich arbeiten kann, falls dies von Interesse sei.

Ein ebenso rätselhafter wie verheißungsvoller Konjunktiv, da am Ende. Auf die Nachfrage, um was für ein Budget es sich handele, kam als Antwort:

Nun, dieses Projekt ist ein kleineres. Hier habe ich die Möglichkeit einen Tagessatz von 250.- Euro für einen Blogpost auszugeben. Aber im direkten Anschluss wird eine größere Sache für den gleichen Sender anlaufen. Vergleichbar mit dem BBC Science Format. Mehr kann ich dazu leider zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Aber darüber würde ich mich ebenfalls gerne mit dir unterhalten…

Ich hoffe die 250.- sind erstmal OK. Ich würde dir dann gleich das uns zur Verfügung stehende Material zusenden…

250 Euro sind mehr, als die meisten Tageszeitungen oder Online-Medien für eine Rezension der Sendung bezahlen würden.

Lässt arte Blogger oder Journalisten dafür bezahlen, dass sie über arte-Programme schreiben?

Die Pressestelle bestreitet das:

Nein, wir bezahlen keine Journalisten, um über ARTE zu schreiben. Blogger sprechen wir genau so wie andere Journalisten über klassiche Wege an: Meldung, Pressekonferenzen, Telefon. Nicht mehr und nicht weniger. Von Bezahlung war in der Pressestelle noch nie die Rede.

Die Marketingleute von arte hätten zwar Kontakt mit Platoon gehabt. Die Agentur sollte „Vorschläge für Marketing- und Socialmedia-Aktionen für ‚Real Humans‘ entwerfen“, aber „es gab und es gibt keinen Auftrag“.

Auch ein Schreiben von Platoon an andere Blogger, das scheinbar im Auftrag von arte auf die Sendung hinweist, aber auf den „Budget“-Hinweis verzichtet, sei nicht im Auftrag von arte verschickt worden und wäre vom Sender nicht autorisiert worden, sagt Paulus G. Wunsch, Leiter für Marketing und Sponsoring bei arte.

Auf Nachfrage bei Platoon, in wessen Auftrag sie tätig sind und von wem das Geld kommt, antwortet Agentur-Inhaber Christoph Frank:

wir versuchen gerade die marketing abteilung von ARTE als neu-kunden im bereich online-PR zu gewinnen.

dazu haben wir den freien mitarbeiter (…), in unser team genommen um pro-aktiv (ohne beauftragung) eine online PR-strategie zu erarbeiten und auszuprobieren.

ARTE hatte uns dafür bisher nicht beauftragt, sondern wir wollten uns positiv ins spiel bringen.

dieser schuss ging offensichtlich nach hinten los.

Meine Fragen, ob das Angebot, für Blogbeiträge zu zahlen, üblich sei und andere Journalisten das Angebot angenommen hätten, lässt er unbeantwortet.

Was für eine merkwürdige Geschichte. Platoon ist keine unbekannte Firma. Sie hat mit den Containern, aus denen sie in Berlin-Mitte arbeitet, von sich reden gemacht, und spielte in der arte-Reihe „Durch die Nacht mit…“ in einer Folge mit den Politikberatern Uwe-Carsten Heye und Michael Spreng eine größere Rolle. Die Agentur nennt sich heute „Platoon Cultural Development“ oder auch „Platoon Kunsthalle“.

Und die wollen so dringend mit arte ins Geschäft kommen, dass sie sogar eigenes Geld in die Hand nehmen und auf eigene Faust aktiv werden? Und stellen sich dabei, andererseits, so sensationell ungeschickt an, vom fehlerhaften Anschreiben bis zum plumpen Wedeln mit Geldscheinen?

Kann mir das jemand erklären?

Harald Martenstein sieht sich als Opfer der Opfer

Ich habe Mitleid mit Harald Martenstein.

Das ist vermutlich in seinem Sinne. Seit Monaten schon schreibt er mitleiderregende Kolumnen ins „Zeit Magazin“. Aber anscheinend ist so immer noch nicht genug Mitleid für ihn zustande gekommen.

Martenstein fühlt sich benachteiligt, weil er keiner benachteiligten Minderheit angehört.

Er ist damit nicht allein. Er schreibt stellvertretend für die sich für schweigend haltende Mehrheit weißer, heterosexueller, alter Männer, die die Welt nicht mehr verstehen.

Martenstein hält sich sicher für liberal, aufgeschlossen, aufgeklärt. Er ist bestimmt für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung. Aber er hat offenbar das Gefühl, dass es jetzt langsam mal reicht. Dass ihm und Seinesgleichen die Welt entgleitet.

Er schreibt gegen diesen Machtverlust an und benutzt dabei regelmäßig die stärkste stumpfe Waffe, die ihm zur Verfügung steht: Ignoranz.

In der vergangenen Woche hat er sich darüber geärgert, dass die Berliner Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg beschlossen hat, in öffentlichen Gebäuden neben Toiletten für Männer und Frauen auch Unisextoiletten einzurichten — für Menschen, die sich entweder keinem der beiden Geschlechter zuordnen können oder wollen oder aber einem Geschlecht, das sichtbar nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht.

Martenstein schreibt:

Mir ist klar, dass Inter- und Transsexuelle sich in einer schwierigen Situation befinden und dass solche Menschen Anspruch auf Respekt und Toleranz haben.

Das ist bloß eine Variante des klassischen Satzes „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber.“ Martenstein fährt fort:

Warum man deswegen Toiletten umbauen muss, ist mir hingegen unklar.

Der Witz ist: Man muss deswegen gar keine Toiletten umbauen. Jedenfalls hat die Bezirksverordnetenversammlung nichts dergleichen beschlossen. Beschlossen hat sie, prüfen zu lassen, wo es möglich ist, eine bereits vorhandene Toilette pro Gebäude durch schlichte Änderung der Beschilderung in eine Unisextoilette umzuwidmen. Das kostet fast nichts.

Martenstein hat das nicht interessiert. Die behauptete Geldverschwendung ist sein Scheinargument, um gegen die ihm bizarr vorkommenden Spezialinteressen einer Minderheit anschreiben zu können.

Schon über seinem Text steht:

Inter- und Transsexuelle bekommen in Berlin-Kreuzberg eigene Toiletten. Harald Martenstein meint: Mehr Respekt für die Not kommunaler Haushalte würde auch nicht schaden.

Er kontert die Forderung, dass er „Respekt und Toleranz“ für Inter- und Transsexuelle aufbringen soll, mit der Forderung, dass Inter- und Transsexuelle „Respekt und Toleranz für die Lage der kommunalen Haushalte aufbringen“ sollen, indem sie auf einen teuren Umbau von Toiletten verzichten.

Gleich dreimal benutzt er in seiner Kolumne das Wortpaar „Respekt und Toleranz“ und demonstriert, dass er es für eine Zumutung hält, dass das jetzt dauernd von ihm gefordert wird — sogar auf (von ihm selbst imaginierte) Kosten des Haushaltes.

Und er beweist, wie wenig ihn die Nöte und Befindlichkeiten anderer Menschen tatsächlich interessieren, indem er erzählt, wie unkompliziert die Welt sein könnte, wenn nur alle so normal wären wie er oder sich wenigstens so normal gäben.

Er erzählt: „Wenn die Männertoilette kaputt war, bin ich immer auf der Frauentoilette gewesen. (…) Ich habe gelächelt und habe gesagt: ‚Tschuldigung. Das andere Klo ist kaputt.'“ Er schlägt vor, dass Inter- und Transsexuelle beim Gang auf die Toilette diese „kleine Notlüge“ benutzen sollen: „Was kostet es denn, zu sagen: ‚Das andere Klo ist kaputt‘?“

Die Antwort auf die Frage, was die Betroffenen eine solche Notlüge denn koste, interessiert ihn genauso wenig wie die Antwort auf die Frage, was es die Kommune kosten würde. Sonst wäre er vermutlich selbst darauf gekommen, was es für das Leben, die Selbstachtung, eines Menschen bedeuten kann, wenn er etwas so Alltägliches wie einen Toilettengang nur unter Rückgriff auf eine „kleine Notlüge“ absolvieren kann. Er hätte, wenn ihm schon die Empathie fehlt, sich das selbst auszumalen, auch in der Stellungnahme des Ethikrates nachlesen können, in der „das Verstecken der eigenen Intersexualität, die tägliche Entscheidung zwischen den Geschlechtern (zum Beispiel auf öffentlichen Toiletten)“ ausdrücklich als „Hürde im Alltag“ für die Betroffenen erwähnt wird.

Natürlich ist es eine Utopie, dass sich alle „Hürden“, die von einer speziellen Gruppe von Menschen im Alltag beklagt werden, beseitigen ließen. Und natürlich ist es auch richtig, eine Abwägung vorzunehmen, ob die Kosten, die für eine bestimmte Beseitigung von Hürden anfallen, in einem akzeptablen Verhältnis zu deren Größe stehen.

Aber Martensteins dummstolzes Ich schaff das doch auch zeigt, dass er sich für beides gar nicht interessiert.

Er hat die Haltung von jemandem, der eigentlich nicht dagegen war, öffentliche Gebäude — auch für teures Geld — für Rollstuhlfahrer zugänglich zu machen, das aber im Nachhinein bereut, weil er sieht, wohin das führt, wenn alle möglichen Leute plötzlich Rampen durchs Leben gebaut bekommen wollen, das normale Menschen doch eigentlich ganz gut bewältigen können.

Er hat eine Form gefunden, dem bürgerlichen „Zeit“-Publikum, das sich eigentlich ungern mit der „Bild“-Zeitung identifizieren möchte, dieselbe Mischung aus Ignoranz, Intoleranz und Desinteresse an Fakten zu servieren. In „Bild“ war der Kommentar zum Thema Unisextoiletten überschrieben mit: „Wir haben andere Sorgen.“ Das Wir, das sind Martenstein, „Bild“ und die dröhnende Mehrheit der Normalen.

Harald Martenstein meint, sich Respekt und Toleranz nicht mehr leisten zu können, nicht einmal dann, wenn sie so wenig kosten wie im Fall des Beschlusses der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Das ist keine Frage des Geldes. Er hat einfach das Gefühl, dass sein Respekt-und-Toleranz-Konto als normaler Mensch längst über Gebühr belastet wurde und die anderen jetzt erstmal ohne seinen Beitrag auskommen müssen.

Vielleicht hilft es, wenn wir ihm alle Mitleid spenden. Meins hat er.

„Die Subjektivität der Blogger als Qualitätsmerkmal“

Morgen soll ich auf den 11. Frankfurter Medienrechtstagen einen Vortrag mit dem Thema halten: „Berufsethik und Rollenverständnis — Nur sich selbst verpflichtet? Die Subjektivität der Blogger als Qualitätsmerkmal“. Weil ich mal wieder spät dran bin und nicht nur meine üblichen Beispiele nennen möchte, frage ich mal vage in die Runde:

  • Welche (journalistisch relevanten) Blogs sind für Sie und Euch beispielhaft dafür, dass die subjektive Perspektive einen Gewinn darstellt?
  • Und warum ist das so?

Katja Riemann verursacht Auflaufunfall auf dem roten Sofa

Der NDR-Moderator Hinnerk Baumgarten hat viel gelernt, gestern bei der Arbeit. Er hat gelernt, dass Schauspieler ihre Haarfarbe und Frisur und damit ihren ganzen Typ verändern können, indem sie sich eine Perücke aufsetzen. Er hat gelernt, dass nicht jeder Gast, der sich aus PR-Gründen neben ihn aufs rote Sofa setzt, gleichermaßen willig und geeignet ist für diese Art Scheinunterhaltung in der Vorabendhölle des deutschen Fernsehens. Und vor allem hat er gelernt, dass nichts mehr hilft, wenn ein Gespräch erst einmal so entglitten ist, dass das Gegenüber mit verschränkten Armen dasitzt und nur noch zwischen Hass und amüsiertem Unglauben schwankt — nicht einmal plumpe Schleimerei, ganz besonders nicht plumpe Schleimerei.

Katja Riemann war zu Gast bei „Das!“.

Den Gedanken, dass sie im falschen Film ist, scheint sie erstmals nach ziemlich genau sechs Sekunden zu haben. Danach sinkt ihre Mitmachbereitschaft von fast gar nicht in den negativen Bereich.

Es ist ein grandioser, klassischer Zusammenstoß zwischen einer schwierigen Schauspielerin und einem überforderten Sachenwegmoderierer. Halb lustvoll, halb verzweifelt lässt sie ihn auflaufen, während er immer hilf- und hoffnungsloser in seinem Repertoire aus Floskeln und Standardsituationen kramt.

Im Original entwickelt sich das über 45 Minuten mit der verstörenden Faszination eines grausamen Autounfalls in Zeitlupe: Man will nicht hinsehen, aber weggucken geht erst recht nicht.

Es ist mir nicht gelungen, das auf weniger als elf Minuten zu kondensieren. Andererseits lebt es auch gerade von der Schrecklichkeit der Länge. Aber denken Sie daran, zwischendurch den Mund wieder zuzumachen.

Günther Jauchs gebührend finanzierte Gehaltlosigkeit

So sprach Günther Jauch, als er vor Jahren neben Carsten Maschmeyer vor einem großen AWD-Logo auf der Bühne stand:

Ich mach solche Veranstaltungen relativ selten. Zum einen, weil ich ja relativ viel zu tun habe, und zum anderen, weil man natürlich dann ja immer fragt: Was kommen da für Leute, wer ist da der Chef, in welchem Rahmen ist das?

In diesem Fall war das furchtbar einfach. Weil: Ich frage zu diesem Zweck immer den Kollegen Thomas und sage: „Pass mal auf. Da hat jemand angerufen und hat gefragt.“ Und dann runzelte er so ein wenig die Stirn. Und als ich ihm dann erzählte, wo ich da hingehe und mit wem das ist und für wen das ist, sagte er: „Kenn ich, kenn ich. War ich auch schonmal. Hab ich doch selber schon gemacht. Kannste hingehen, überhaupt kein Problem. Die Leute sind prima, und der Chef“ — hat er mir zumindest gesagt, ich weiß nicht, wie gut Sie sich kennen — hat er gesagt, „ist auch in Ordnung.“

Günther Jauch war jung, brauchte aber mutmaßlich damals schon nicht mehr das Geld. (Ich weiß natürlich nicht, ob er überhaupt Geld für diesen Auftritt vor AWD-Mitarbeitern bekommen hat, aber als reiner Freundschaftsdienst wäre es ja noch schlimmer.)

Das Video von diesem Besuch Günther Jauchs bei Carsten Maschmeyer machte in den vergangenen Tagen die Runde, als bekannt wurde, dass Carsten Maschmeyer zu Besuch bei „Günther Jauch“ sein würde. Es trägt bei YouTube die Überschrift „Auch Günther Jauch stand auf der Payroll des Drückerkönigs“.

Wer es gesehen hatte, fragte sich, wie Jauch in der Sendung mit seiner so dokumentierten eigenen Rolle umgehen würde, insbesondere weil das Verhältnis zwischen Jauchs Sender, dem NDR, und Maschmeyer sonst einigermaßen zerrüttet ist.

Jauch tat es fast beiläufig und mit einer Flucht in eine Achtelwahrheit. Nachdem er einen Film von einem Auftritt Maschmeyers gezeigt hatte, sagte er:

Ich hab selber mal vor mehr als 20 Jahren bei Ihnen erlebt, wie Sie da Leute motivieren.

Das war alles. Jauch hielt es offenbar für notwendig, die Sache nicht ganz unangesprochen zu lassen, aber nicht für zweckdienlich, irgendetwas zu sagen, das eine ehrliche Erklärung seiner eigenen Befangenheit dargestellt hätte.

Ich kann das schon verstehen. Er möchte nicht Thema seiner eigenen Talkshow werden. Das Problem ist nur: Er ist es längst.

Er war es schon, als er mit Peer Steinbrück über Transparenz redete, der ihn auf seinen eigenen geheimen Vertrag mit der ARD ansprach und Jauch sich in die Unwahrheit flüchtete, zu behaupten, der sei öffentlich.

Gestern in der Sendung mit dem Titel „Den Managern ans Gehalt! Brauchen wir ein Gesetz gegen die Gier?“ ging es sechzig Minuten lang um Chefs, die unfassbar viel mehr verdienen als ihre Mitarbeiter, um die Frage, unter welchen Voraussetzungen das gerecht sein könnte, und darum, wer darüber bestimmen sollte.

Im Englischen gibt es die schöne Redensart vom „Elefanten im Raum“: einer großen, eigentlich unübersehbaren Wahrheit, die trotzdem von allen ignoriert wird. Der Elefant in Günther Jauchs Studio war Günther Jauch: die Tatsache, dass all die kritischen Fragen, was denn jemand verdienen dürfe, nicht zuletzt ihm selbst gestellt werden müssten.

Jauch spielte den millionenschweren Anwalt des kleinen Mannes gegenüber den Millionären — mit der besonderen Ironie, dass er seinen unbekannten, aber mutmaßlich üppigen Lohn für diese Sendung von uns Zuschauern und Nicht-Zuschauern bekommt. Maschmeyer sprach das einmal kurz an, als er fragte, was wohl dabei rauskäme, wenn die Gebührenzahler über sein Honorar abstimmen dürften, aber zum Glück für Jauch fiel ihm jemand ins Wort, bevor er hätte antworten können oder müssen, und führte das Gespräch von ihm weg. Es gab auch später noch eine Situation, in der Jauch wirkte, als müsste er die Richtung fürchten, in die Maschmeyer den Ball dribbelte.

Wäre es nicht schön, wenn der Moderator der am wichtigsten gemeinten öffentlich-rechtlichen Talkshow im deutschen Fernsehen einem Carsten Maschmeyer frei von Angst und Interessenskonflikten gegenübertreten könnte? Wäre das nicht, genau genommen, das Mindeste?

Natürlich wäre es populistisch, Jauch zu fragen, ob es nicht gut wäre, wenn er mit der Sendung nicht mehr als das 20-fache eines Cutters verdienen würde. Aber genau das ist die Frage, die bei Jauch verhandelt wurde, und wo, wenn nicht bei einem von Gebührengeldern finanzierten Programm, wäre es legitim, sie zu stellen?

Jauch hat offenbar in keiner Weise das Gefühl, dass er seinen Zuschauern und den Finanzierern seines ARD-Einkommens Rechenschaft schuldig ist. Das ist schon traurig genug. Besonders scheinheilig wird es aber, wenn er glaubt, stellvertretend für seine Zuschauer anderen solche heiklen Fragen stellen zu können.

Ich weiß nicht, ob das Kalkül ist oder nur Selbstblindheit, weil er als einziger den Elefanten im Raum wirklich nicht sieht: Dass es eine Unmöglichkeit ist, als jemand, dessen mutmaßlich exorbitantes Einkommen in der Diskussion ist, über exorbitante Einkommen zu diskutieren, ohne die eigene Rolle in irgendeiner Weise zu thematisieren, und sei es, wenn schon nicht mit Transparenz, dann wenigstens mit einem Augenzwinkern und einem Hinweis auf die eigene Befangenheit.

Aber wenn er es nicht einmal schafft, offen und ehrlich mit einem zwanzig Jahre alten Werbe-Einsatz für Carsten Maschmeyer umzugehen, ist das natürlich viel zu viel erwartet.

Kollektiver Kinderwahnsinn: Herzogin Kate im Verhör der internationalen Presse

Wir müssen einmal kurz über den britischen Thronfolgerfolgerfolger reden.

Am Dienstag war Herzogin Kate zu Besuch in Grimsby. Sie schüttelte ein paar Schaulustigen die Hand und nahm einen Stoffbären als Geschenk entgegen. Eine Frau in der Menge meinte gehört zu haben, wie sie sagte: „Is this for our d-“ („d“ wie „daughter“), bevor sie sich schnell korrigierte und auf Nachfragen beteuerte, sie kenne das Geschlecht ihres Babys nicht.

Tatsächlich hat sich die Frau, um die Pointe gleich vorwegzunehmen, bloß verhört. Kate sagte, wie sich später herausstellte: „Is this for us, awww.“

Keine große Geschichte, oder?

Nun:


Die Geschichte war auch auf den Titelseiten von „Daily Mail“ und „Daily Express“. Und denen von „Times“ und „Telegraph“:


Und es war nicht bloß britischer Kinderwahnsinn. Am Mittwochvormittag „meldete“ die Agentur AP:

Kate und das T-Wort: Spekulationen über Geschlecht des Babys

London (AP) — Ein unbedachter Halbsatz der Herzogin von Cambridge — und schon brodelt es in der Gerüchteküche: „Es ist ein Mädchen!“ prangte am Mittwoch als Schlagzeile über britischen Zeitungen. Dabei haben Kate und Prinz William erklärt, sie sagten nichts über das Geschlecht ihres erwarteten ersten Babys.

Die Konkurrenz von AFP berichtete:

Ist es ein Mädchen? – Schwangere Herzogin Kate soll sich verplappert haben

Bei dpa hieß die Überschrift:

Er oder sie? Spekulation um Kate und Prinz Williams Baby

Und später:

Buchstabe auf der Goldwaage — Medienhype um Kates Babybauch

Der Hauch von Unsicherheit, die Flucht auf die vermeintlich sichere Meta-Ebene, war aber für viele Medien zu seriös. „Bild“ verkündete am Donnerstag auf der letzten Seite:

Die schwangere Herzogin Kate (31) verplapperte sich beim Besuch der Hafenstadt Grimsby, verriet ihr süßes Babygeheimnis:
ES WIRD EIN MÄDCHEN!

Die „Berliner Morgenpost“ riss die News sogar auf ihrer Titelseite an. Im Inneren brach dann Thomas Kielinger, der Londoner Axel-Springer-Korrespondent und vermeintliche Königshaus-Experte, in Ausrufezeichen aus:

Rosa Babywäsche

William und Kate bekommen ein Mädchen. Die Schwangere versprach sich bei einem Ortstermin

London – Endlich! Jetzt ist es heraus! Es ist ein Mädchen! Die werdende Mama hat es ausgeplaudert, Kate, alias Catherine Middleton, Ehefrau des britischen Thronfolgers William. Es geschah im trist-grauen Hafenstädtchen Grimsby an der englischen Ostküste. Die Herzogin von Cambridge — sie sollte eine neue Gesamtschule einweihen — hatte sich um mehr als eine Stunde verspätet, es herrschte Nebel, ihr Hubschrauber konnte zunächst nicht starten. Dafür wurden die Wartenden mit einer Exklusivnachricht entlohnt, die sie für alles Frieren reichlich entschädigte.

Als Kate endlich da war (…), reichte die 41-jährige Diana Burton der Herzogin einen großen weißen Teddybär, den die Beschenkte lachend quittierte: „Thank you, I will take that for my d…“ („d“ für daughter, Tochter), um sich dann rasch zu korrigieren: „… for my baby.“ Damit aber wollte die danebenstehende Sandra Cook, 67, den königlichen Gast nicht davonkommen lassen. Als es an ihr war, die Hand von Kate zu schütteln, schoss sie mutig zurück: „Da sind Sie aber eben fast ausgerutscht, Sie wollten doch ‚daughter‘ sagen, oder?“ Kate fand sich in der Lage von Petrus, der seinen Herrn verleugnete, und sagte: „Was meinen Sie? Wir wissen noch nicht.“ Cook bohrte beharrlich nach: „Oh, ich glaube aber doch!“ Worauf Kate „Wir sagen nichts“ antwortete.

Das war so gut wie ein Geständnis. Sie hätte leicht den ersten Kommentar wiederholen können, „Wir wissen noch nicht“, aber das hätte sich zu einer Lüge hochgeschaukelt, denn natürlich wissen die Eltern fast alles, was sich im Mutterleib der im fünften Monat Schwangeren ankündigt, ob Junge oder Mädchen. So zog sie sich mit einem Allerweltswort wie „Wir sagen nichts“ aus der Affäre — und hatte doch alles gesagt, ganz unprotokollarisch.

In der „Welt“ steht Kielingers Bericht unter der Überschrift:

Kate hat sich verplappert

Wird es ein Mädchen? Eine Schaulustige entlockt der schwangeren Herzogin von Cambridge ein ungewolltes Geständnis

Und beginnt so:

Der Zug rollt, die Hysterie ist in voller Fahrt: Es ist ein Mädchen! Doch weder hat ein Paparazzo oder Societyreporter die Nachricht über das Geschlecht des erwarteten Babys der Herzogin und des Herzogs von Cambridge erlauert, noch haben Insider am Hof den Mund nicht halten können – nein, die künftige Mama selber hat es ausgeplaudert, Kate, alias Catherine Middleton, die Ehefrau des künftigen britischen Monarchen.

Das „Darmstädter Echo“ überrascht mit einem Artikel, der mit Zweifeln beginnt:

Jetzt fragt sich das Königreich: Können wir uns wirklich auf rosa Babywäsche einstellen?

… und nach Schilderungen von erschütternder Ausführlichkeit gegen Schluss mit der Wendung schockiert:

Und jetzt gibt es eine Gegendarstellung zu dem, was Sandra Cook bezeugte. Katy Forrester, die die Herzogin im lokalen Fischerei-Museum sprach, gab gegenüber dem „Grimsby Telegraph“ an: „Ich schwöre, sie sagte, dass es ein Junge wird. Entweder habe ich es falsch verstanden oder Kate will uns alle verwirren.“ Das Rätselraten geht weiter.

Die „Berliner Zeitung“ bringt die unklare Nachrichtenlage dazu, ein weiteres Fass aufzumachen. Sie berichtet heute ausführlich über „uralte Mythen“, die darüber, ob Kate nun Mutter eines Sohnes oder einer Tochter wird, Auskunft geben könnten — „oder auch nicht“.

Bindet man den Ehering an einen Faden und lässt ihn vor dem Bauch baumeln, so die Überlieferung, schlägt er bei einem Mädchen nach links und rechts aus, bei einem Jungen beschreibt er hingegen Kreise. Diese Variante ist natürlich nur für Paare geeignet, die über den notwendigen Ring verfügen. (…)

So erwartet eine Schwangere dem Mythos nach ein Mädchen, wenn sie auf der rechten Seite schläft. Einen Jungen kann man pränatal erahnen, wenn die rechte Brust größer ist als die linke. (…)

Begegnet die Schwangere auf dem Weg ins Gotteshaus zuerst einem Mann, so die aus Bayern stammende Theorie, wird es auch einer. Und andersherum.

Und dann ist da noch das Morgenmagazin des ZDF, in dem aus irgendeinem Grund eine Frau namens Nadja Al-Chalabi herumsitzt, die als „Gesellschaftsreporterin“ vorgestellt wird.

Lustigerweise zeigt die ZDF-Moderatorin vorher deren Notizzettel in die Kamera, und Al-Chalabi sagt:

Das ist ja nur die Essenz dessen, was man vorher recherchiert. Weil ja alle immer denken: Ach, dieser Promi-Kram, der wird so rausgerotzt — so ist es nicht!

Dann rotzt sie den ganzen Promi-Kram so raus, und fasst ihre Erkenntnis zusammen: „Es wird also ein Mädchen.“

(Das „Morgenmagazin“ des ZDF trägt zum hohen „Informations“-Anteil des Senders bei, der das öffentlich-rechtliche Programm von der privaten Konkurrenz unterscheidet.)

Und das alles, weil eine ältere Frau in Grimsby sich verhört hat. Das hier ist übrigens das Video, das den verräterischen Versprecher nach Ansicht der internationalen Medienmeute belegen sollte.

Keine weiteren Fragen.

„Die Zeit“ muss Piraten-Dossier wegen Rufraub löschen

Die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann hat vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen die „Zeit“ erwirkt. Die Wochenzeitung darf vorerst nicht mehr behaupten, die Direktorin des Alexander-von-Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft halte das Urheberrecht für „überflüssig“ und stelle sich „eindeutig auf die Seite derer, die mit illegalen Filmkopien Geld verdienen“.

Das große Raubkopien-Dossier aus der „Zeit“ vom 7. Februar 2013, ist deshalb nicht mehr online und in den Archiven gelöscht.

Die „Zeit“ hatte Hofmann für eine perfide Pointe in einer dreiseitigen Titelgeschichte „Der gestohlene Film“ benutzt. Kerstin Kohlenberg, die stellvertretende Leiterin des 2011 gegründeten „Investigativ-Ressorts“, beschreibt darin am Beispiel von „Cloud Atlas“, wie illegale Kopien von Kinofilmen entstehen und verbreitet werden und das Geschäft der Produzenten bedrohen.

Es ist ein Artikel, der mit größtem Aufwand zweifelhafte Ergebnisse produziert. Die „Zeit“ ist zum Beispiel eigens nach Belize in Zentralamerika gereist, um die dortige Flugpiste („staubig“), eine Straße („löchrig“) und das Innere einer Suite („weiß gefliester Boden, schwere dunkle Holzmöbel, Bilder von der Akropolis“) beschreiben zu können. Hier ist die Firma registriert, die einen Server betreibt, auf dem viele illegale Film-Kopien liegen. Ergebnis der Vor-Ort-Recherche, Überraschung: Hier sitzt gar keine Firma, sondern nur jemand, der seinen Briefkasten für dubiose Firmen zur Verfügung stellt.

Über mehrere Absätze beschreibt die „Zeit“ mit größter Detailfreude, wann und wie ein „Internetpirat“ in Moskau in einem Kino eine Vorführung von „Cloud Atlas“ abfilmt, um dann den Satz hinzuzufügen: „So in etwa muss es gewesen sein.“ Hinterher rät die Autorin noch, wie der Mann, den sie nicht kennt, sich dann zuhause am Computer gefühlt hat, während er den Film bearbeitet: „Womöglich ist er ein wenig aufgeregt, vielleicht stolz.“

Alles in dem Artikel suggeriert, dass hier keine Kosten und Mühen der Recherche gescheut wurden, um den Leser gut zu informieren. In Wahrheit ist der Text voller Ungenauigkeiten, Fehler und zweifelhaften Behauptungen, die Torsten Dewi in seinem Blog ausführlich aufgelistet hat.

Vor allem ist die zentrale Behauptung des Dossiers nicht haltbar: dass die illegalen Kopien verhindert hätten, dass „Cloud Atlas“ ein Erfolg wurde; dass der teure Film nur deshalb gefloppt sei. Schon in der Unterzeile über dem Artikel heißt es entsprechend:

Der Produzent Stefan Arndt hat mit „Cloud Atlas“ den teuersten deutschen Film aller Zeiten herausgebracht. Er braucht Zuschauer, die Kinokarten und DVDs kaufen. Das Geschäft funktioniert — bis Piraten illegale Kopien des Films ins Internet stellen. Aufzeichnung eines Raubzugs

Das „Zeit“-Dossier opfert eine differenzierte Darstellung der Tatsachen der Absicht, die behauptete zerstörerische Kraft der illegalen Kopien zu demonstrieren. Das Werk der Piraten ist auch für den Produzenten Stefan Arndt, dem die „Zeit“ vollständig auf den Leim geht, eine bequeme Erklärung für den Misserfolg seines Filmes.

Am Schluss des Textes kommt die „Zeit“ auf Google:

Auf der Piratenwebsite moviez.to findet sich der Name eines weiteren bekannten Unternehmens. Es ist der des mächtigsten Internetkonzerns der Welt. Google.

Das Unternehmen schaltet allerdings keine Werbung bei den Piraten. Sein Name findet sich lediglich im versteckten sogenannten Quelltext der Website. Zwei Tochterunternehmen von Google sind dort als Werbevermittler aufgeführt. Der Internetkonzern hilft den Filmpiraten dabei, Unternehmen zu finden, die bei ihnen Werbung schalten. (…) Nach einer Untersuchung der Universität von South Carolina in den USA verdient weltweit kaum ein anderes Unternehmen so viel Geld mit der Vermittlung von Werbung auf Piratenseiten wie Google.

Google wollte sich gegenüber der „Zeit“ angeblich nicht äußern, aber das Blatt fand eine Art Strohmann: Jeanette Hofmann.

Hofmanns Hauptthema ist das Urheberrecht. Es geht um eine der größten Veränderungen in der Geschichte der Marktwirtschaft. Bisher basierte dieses System darauf, dass ein Produkt demjenigen gehört, der es hergestellt hat, egal, ob es sich um ein Auto handelt, eine Glühbirne oder einen Kinofilm. Die Hersteller dieser Produkte wurden vom Gesetz geschützt, vom Eigentumsrecht, vom Urheberrecht. Wenn es gut lief, wurden sie reich mit dem, was sie geschaffen hatten.

Jetzt werden auf einmal Leute mit Dingen reich, die sie illegal kopiert haben.

Das ist es, womit sich die Politikwissenschaftlerin Hofmann beschäftigt. Sie hat dazu eine pointierte Meinung: Man brauche gar kein Urheberrecht. Sie sagt, es existiere ja auch kein Urheberrecht für Witze oder Kochrezepte. Dennoch bestehe auf der Welt kein Mangel an Witzen und Kochrezepten, sie habe das selbst untersucht. Außerdem gebe es eine Studie, wonach ohnehin kaum ein Künstler von seiner Kunst leben könne. Trotzdem werde weiterhin Kunst pro- duziert. Warum muss man Künstler also schützen? Warum ist es schlimm, ihre Produkte zu kopieren?

Man kann es überraschend finden, dass die Wissenschaftlerin Hofmann sich so eindeutig auf die Seite derer stellt, die mit illegalen Filmkopien Geld verdienen. Allerdings nur für einen Moment. Bis man feststellt, dass Hofmann und die 26 weiteren Forscher des im vergangenen März gegründeten Instituts nicht von der Humboldt-Universität bezahlt werden, obwohl sie ihre Büros in deren juristischer Fakultät bezogen haben. Sondern von einem großen internationalen Unternehmen. Von Google. Der Konzern ist derzeit der alleinige Geldgeber des Instituts, 4,5 Millionen Euro hat er investiert, für die ersten drei Jahre. Man kann sagen, ein Teil des Geldes, das Google mit den Raubkopien erwirtschaftet, fließt in wissenschaftliche Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass Raubkopien keine schlechte Sache sind.

Es ist eine kalkulierte Rufschädigung, die die „Zeit“ hier vornimmt. Sie unterstellt, dass Google Einfluss hat auf die Forschung des Humboldt-Institutes — obwohl die Konstruktion der Finanzierung dessen Unabhängigkeit sicherstellen soll. Sie unterstellt, dass die renommierte Wissenschaftlerin Hofmann sich von Google hat kaufen lassen und bestellte wissenschaftliche Ergebnisse liefert. Und sie reduziert die differenzierte Haltung Hofmanns zum Urheberrecht auf eine plumpe, falsche Formel, damit sie als perfekte Pointe für ein plump einseitiges Dossier taugt.

Das Landgericht Hamburg hat der „Zeit“ einstweilig untersagt, zu behaupten:

  • „(Jeanette Hofmann forscht zum Urheberrecht.) Sie hält es für überflüssig.“
  • „(Jetzt werden auf einmal Leute mit Dingen reich, die sie illegal kopiert haben. Das ist es, womit sich die Politikwissenschaftlerin Hofmann beschäftigt.) Sie hat dazu eine pointierte Meinung: Man brauche gar kein Urheberrecht.“
  • „Man kann es überraschend finden, dass die Wissenschaftlerin Hofmann sich so eindeutig auf die Seite derer stellt, die mit illegalen Filmkopien Geld verdienen.“

Außerdem darf die „Zeit“ nicht mehr den Eindruck erwecken, Jeanette Hofmann habe an Studien zu illegalen Filmkopien mitgewirkt.

Die „Zeit“ hat die Möglichkeit, Widerspruch gegen den Beschluss einzulegen.

Nachtrag, 24. April. Fortsetzung hier.

Lügen fürs Leistungsschutzrecht (6)

Bleibt noch die Einschätzung von Burda-Rechtsvorstand Robert Schweizer nachzutragen. In seiner Hausillustrierten „Focus“ wird seine Meinung zum neuen Leistungsschutzrecht für Presseverlage wie folgt zusammengefasst:

„Die Zeit des kostenlosen Abgebens ist vorbei“, betont der Jurist. Mit dem Gesetz, das einen Rechtsanspruch von Verlagen gegen Suchmaschinen und Aggregatoren schaffe, nehme Deutschland eine „echte Vorreiterrolle“ ein. „Vorher war die Leistung der Autoren und Verlage für die Katz“, hebt Schweizer hervor.

Prof. Dr. Robert Schweizer ist für alle Zeitschriftenverlage der federführend Verantwortliche zur Durchsetzung des Leistungsschutzrechts.

Ich schreibe das sicherheitshalber nochmal hin: Prof. Dr. Robert Schweizer ist für alle Zeitschriftenverlage der federführend Verantwortliche zur Durchsetzung des Leistungsschutzrechts. Er meint also, dass die Leistung der Autoren und Verlage „für die Katz“ war, solange die Verlage nicht glaubten, ein Recht zu haben, die ungenehmigte Anzeige von kurzen Vorschauen in Suchergebnissen zu verhindern.

Mir fällt dazu keine Kommentierung mehr ein, die dem Ausmaß der Beklopptheit angemessen wäre.

Den Inhalt des vom Bundestag verabschiedeten Gesetzes gibt Daniel Goffart, der Leiter der Hauptstadtredaktion des „Focus“, im selben Artikel wie folgt wieder:

Nach einem zähen Ringen zwischen dem Internet-Giganten Google und den Pressehäusern stimmte die Koalition schließlich einem Kompromiss zu. Danach dürfen Internet-Suchmaschinen und andere Dienste wie etwa Aggregatoren künftig nur noch „einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“ von Presseerzeugnissen unentgeltlich anzeigen, wie es im neuen Gesetz heißt. Für die vollständige Nutzung eines Artikels hingegen sollen Google & Co. in Zukunft bezahlen.

An welcher Stelle Google Artikel vollständig anzeigt und inwiefern eine solche Nutzung erst „in Zukunft“ kostenpflichtig wird und es nicht längst ist, lässt Goffart offen. Er liegt damit aber natürlich ganz auf der Desinformationslinie seines Chefredakteurs Jörg Quoos.

Goffart weiter:

Die ursprüngliche Forderung der Medienkonzerne nach einer noch umfassenderen Leistungspflicht war vor allem am Protest der jüngeren Koalitionsabgeordneten gescheitert. Die mussten heftigen Gegenwind aus der Internet-Wirtschaft und den sozialen Netzwerken ertragen.

Zugegeben: Ich weiß nicht, ob das nun auch Ausdruck der „Focus“-Propaganda ist, um den gut begründeten Protest der Netzpolitiker der Koalitionsparteien kleinzureden. Oder doch nur die Unfähigkeit der leitenden „Focus“-Redakteure, zwei Sätze aneinanderzureihen, ohne einen falschen inhaltlichen Bezug herzustellen. Gut, dass auch diese Fehlleistungen in Zukunft noch stärker durch ein eigenes Gesetz geschützt werden.