Bräsig und verlogen: Die Tricks des „Stern“

Eigentlich wollte ich mich nur ein bisschen über die „Stern“-Titelgeschichte von vergangener Woche mokieren und die Frage stellen, ob sie darauf hindeutet, dass die Illustrierte sich aufgegeben hat — oder doch nur ihre Leser.

Die Zeitschrift, die in den vergangenen Monaten deutlich Abo- und Kiosk-Käufern verloren hat, machte mit einer beschlagenen Brille und der Schlagzeile „Die Tricks der Optiker“ auf. (Achtung, Spoiler: Die versuchen gerne mal, unnötige Zusatzleistungen zu verkaufen, und machen Superschnäppchen-Angebote, die in Wahrheit teurer sind. Ja, echt.)

Ein Button wies darauf hin, dass es sich um den Auftakt einer Serie handelt, mit der der „Stern“ auf die „Check“-Welle aufspringt. Der brisante Titel: „JETZT MAL EHRLICH!“

Eigentlich wollte ich mich bloß über die sensationelle Bräsigkeit dieses ganzen Arrangements lustig machen, die mit dem Titel anfängt und bei den Worten nicht endet, die neben dem Autorenbild unter der Geschichte stehen:

Ein schöner Lernerfolg: Während der Recherche zu dieser Geschichte erstand Silke Gronwald drei Brillen. Am besten sitzt die, die sie am Schluss gekauft hat.

Mit der Schwafeligkeit eines Erzählers, der davon ausgeht, dass sein Publikum in diesem Jahr eh nichts mehr vorhat, wird dazwischen alles erzählt, was man immer schon über Brillen fragen wollte, aber nicht zu wissen wagte.

Lady Gaga trage eine Brille. Heute sei die Brille ein Fashion-Statement. Die Brille entscheide sogar über den Verlauf von Politiker-Karrieren: „Als sich etwa Außenminister Guido Westerwelle 2011 von seinem randlosen Modell lossagte und stattdessen eine Fassung mit Kontur wählte, galt dies als Beleg für die neue Ernsthaftigkeit des einstigen Spaßpolitikers.“ Das halte ich vom zeitlichen Zusammenhang für eindeutig falsch, es spricht jedenfalls nicht für die Brille: Im selben Jahr musste Westerwelle sein Amt als FDP-Vorsitzender aufgeben.

Ein Thomas Truckenbrod vom Zentralverband der Augenoptiker (ZVA) hat einen spektakulären Gastauftritt in der Mitte des Textes, um ausschließlich den offenbar ihm persönlich am Herzen liegenden Satz zu sagen: „Die zehn größten deutschen Ketten erzielten 2012 fast 40 Prozent des Gesamtumsatzes.“

Zwischendurch wird der Artikel zu einer drögen Stadtführung: „Beginnen wir mit einem kleinen Bummel durch die Optikerläden vor Ort“, steht — keineswegs am Anfang des Textes.

Wenn Sie mir versprechen, dass Sie, wenn Sie wieder aufgewacht sind, diesen Blog-Eintrag weiterlesen, verrate ich Ihnen, wie packend diese Titelgeschichte anfängt:

Wann haben Sie zum letzten Mal ein Pfund Kaffee gekauft? Und wie viel haben Sie dafür bezahlt? Wahrscheinlich um die fünf Euro — wenn es ein Sonderangebot war, vielleicht auch nur vier. Und was glauben Sie, wie viel ihr Lebensmittelhändler daran verdient hat? Rund fünf Prozent, also etwa 20 Cent.

Jetzt zum Vergleich: Wissen Sie noch, wie teuer Ihre Brille war? Vermutlich lag der Preis bei etwa 400 Euro. So viel gaben die Deutschen im vergangenen Jahr im Schnitt beim Fachhandel für ihre Sehhilfen aus.

Und wie viel, glauben Sie, sind davon in den Taschen Ihres Optikers gelandet? Über 260 Euro. Zum Nachrechnen:

Bei einem Einkaufspreis von 133 Euro ist das ein Plus von sagenhaften 200 Prozent. Manche Optiker verkaufen gerade mal eine Brille am Tag, eine einzige. Und überleben.

Wie kann das sein? Warum kostet ein einfaches Stück Plastik mit zwei runden Kunststoffpresslingen drin mehr als eine Digitalkamera? Warum ist die Optiker-Gilde eine der letzten Branchen im Einzelhandel, in der es keine öffentlich zugänglichen Preislisten gibt? Und wie kommt es, dass ausgerechnet hiezzzzzzzzzzzzzzz

HEY!

Das jedenfalls wollte ich aufschreiben. Ich wollte fragen, für wie blöd der „Stern“ seine Leser hält. Also, nicht als rhetorische Frage, sondern wirklich. Wenn er ihnen etwa erklärt, dass es sich beim Brillenkauf lohnt, Preise zu vergleichen.

(Weiter vorne im Heft haben sie mit einem Experten vom ADAC gesprochen, der den „Stern“-Lesern auf einer halben Seite und samt Zeichnung auf der Serviette erklärt, wie man günstig tankt. Lösung: Indem man tankt, wenn es billig ist. Und vielleicht nicht auf Autobahnen. Und besser bei Freien Tankstellen. Lesen Sie im nächsten „Stern“: Warum man besser in den Urlaub kommt, wenn man Staus vermeidet. Und: Wie man an das schmackhafte Innere einer Banane gelangt.)

Also, über all das wollte ich mich mokieren. Aber dann habe ich bei einem Blick ins neue Heft noch etwas anderes entdeckt: Mit welchen Tricks der „Stern“ seinen Lesern vortäuscht, für seriös gehalten zu werden.

Im neuen Heft druckt das Blatt vier Leserbriefe zu der Optiker-Geschichte ab: Einen positiven groß, drei negative klein. Es wirkt, als würde der „Stern“ offensiv mit der Kritik an der Geschichte umgehen, die anscheinend — natürlich — vor allem von den Angegriffenen kam. Unter der Zeile „Es stand im ‚Stern'“ schreibt die Redaktion:

Eine Zunft in Aufruhr: Zahlreiche Optiker äußerten per Facebook, Mail, Brief oder Telefon [Anm. von mir: die haben wirklich zuviel Platz in dieser Zeitschrift] ihre Empörung über das Bild, das der stern von ihrer Branche zeichnete. Der Zentralverband der Augenoptiker schrieb uns: „Mit Ihrer Titelstory verunglimpfen Sie pauschal einen ganzen Berufsstand.“ Vorwürfen, der Artikel sei schlecht recherchiert, schloss sich der ZVA jedoch nicht an.

Ach. Nicht?

In Wahrheit widersprach der ZVA in einer Pressemitteilung mehreren Behauptungen des Artikels, sprach vom „berechtigterweise negativen Feedback der Augenoptiker“ und nannte es „extrem bedenklich“, dass „der ’stern‘-Ressortleiter im RTL-Fernsehen Tipps und ‚fachmännische‘ Ratschläge zum Brillenkauf gibt“. Und weiter:

Es wird nicht der letzte Artikel dieser Art gewesen sein, nicht in der Augenoptik und über die nun sechs folgenden Brachen-Checks im erwähnten Magazin hinaus. Sieben Wochen lang, das hört sich dann irgendwie doch stark nach einem Sommerloch an, vielleicht erklärt sich auch auf diese Weise die lange Recherche, die von den Augenoptikern — und ziemlich sicher auch von vielen deren Kunden — als besonders schlecht empfunden wird.

Das ist sprachlich zwar mittelschwer verunglückt, aber ich würde aus diesen Sätzen sehr wohl lesen, dass der ZVA dem „Stern“ vorwirft, schlecht recherchiert zu haben.

Und dann ist da noch Wolfgang Hirt, der Sachverständige für das Augenoptiker-Handwerk, den der „Stern“ im Artikel als eine Art Kronzeuge zu Wort kommen lässt, um vor den Tricks der Optiker zu warnen. Er hat sich schon am Tag des Erscheinens der Ausgabe in drastischen Worten öffentlich gegen den „Stern“ gewandt. Er schreibt:

Ich distanziere mich mit Nachdruck von diesen Darlegungen und glauben Sie bitte nicht, daß dieser Artikel in grundlegenden Dingen dem Wissensstand eines vereidigten Sachverständigen — auch nur im Ansatz — entsprechen würde.

Die getätigten Aussagen sind fachlich in überwiegender Mehrheit falsch und entsprechen auch nicht meiner Ansicht.

Die Nennung meiner Person (des vereidigten Sachverständigen) erweckt beim Leser den Eindruck, daß ich den Aussagen der Autorin inhaltlich zustimmen würde oder zugestimmt hätte. Das ist grundsätzlich falsch.

Auf insgesamt acht Seiten „entzieht“ er nach eigenen Worten den „Darstellungen im Artikel des Stern die Grundlage“, bezeichnet dessen „Tipps“ als „Humbug aus Hamburg“, nennt einzelne Darstellungen „grob falsch“ und bestreitet die Kernaussage des Textes, dass es am „Willen der Augenoptiker-Branche mangelt, Transparenz zu schaffen“.

Dass dieser Sachverständige, der im Artikel selbst eine größere Rolle spielte, sich in deutlichsten Worten von dem Text distanziert und ihm in zahlreichen Punkten sachliche Fehler vorwirft, erfährt der „Stern“-Leser: nicht. Irgendwie schien das der Redaktion keine Information, die relevant genug war, um sie unter der Rubrik „Echo“ zu erwähnen. Die sah ja so auch wirklich selbstkritisch genug aus, ohne dass es nun ernsthaft wehtun müsste.

(Scheinbar hatte die Autorin des Stücks schon am Freitag vergangener Woche auf stern.de eine „Antwort“ auf die Kritik der Optiker an ihrem Stück verfasst. Tatsächlich war darin aber weder konkrete Kritik erwähnt, noch wurde auf sie geantwortet. Stattdessen erzählte die Verfasserin, dass sie „nicht durch Einkaufsstraßen gehen will, wo sich eine H&M-, Zara-, Media-Markt und Kaufhof-Filiale an die andere reiht“, was auch immer das mit irgendwas zu tun hat.)

Das sind also, jetzt mal ehrlich!, die Tricks des „Stern“.

Unter der „Es stand im Stern“-Rubrik zur Optiker-Geschichte im neuen Heft heißt es übrigens noch:

In den weiteren Folgen der Serie „Jetzt mal ehrlich“ wird sich die Redaktion mit der gleichen Gründlichkeit andere Branchen vornehmen.

Mit der „gleichen Gründlichkeit“, das steht da wirklich. Gut, da verspricht man den Leuten wenigstens nichts.

Wo die Lokalzeitung gar nicht mehr sterben kann

Einer der erstaunlichsten Sätze zum Quasi-Abschied der Axel Springer AG aus dem Zeitungs- und Zeitschriftengeschäft steht auf den Seiten des unaussprechlichen „Think Tanks zur Medienkritik“ namens „Vocer“. Janko Tietz schreibt dort, der Verkauf der diversen Print-Produkte werde sich für Springer rächen. Es sei nämlich ein Irrglaube, dass das Geschäft mit gedruckten Medien tot sei. Dann folgt der Satz:

Auch in zwanzig Jahren werden die Menschen noch Zeitung lesen, werden sich in ihren Regionalausgaben informieren, welcher Eckladen schließt, wie die Öffnungszeiten des Freibades sind, welcher Künstler in der Stadt auftritt.

Wer behauptet zu wissen, wie die Menschen in zwanzig Jahren Medien nutzen werden, muss ziemlich bekloppt oder größenwahnsinnig sein. Aber ich halte den Satz nicht nur als Prognose für die Zukunft gewagt, sondern auch als Beschreibung der Gegenwart.

Ich lebe in Friedrichshain, einem Berliner Ortsteil mit 120.000 Einwohnern. Es gibt für diese Menschen de facto keinen Lokaljournalismus.

„Berliner Morgenpost“, „Berliner Zeitung“, „Tagesspiegel“ und „taz“, „B.Z.“ und „Berliner Kurier“, sie alle haben zwar den Anspruch, über das zu berichten, was in Berlin passiert. Aber das ist in aller Regel Regionalberichterstattung: Es geht politisch um den Regierenden Bürgermeister, den Senat und das Abgeordnetenhaus, inhaltlich um Themen wie den Schloss-Neubau, den neuen Flughafen, die BVG. Was in den einzelnen Bezirken passiert, Gebieten mit mehr Einwohnern als die meisten Großstädte, kommt hier nur in kurzen Notizen oder zufälligen Schlaglichtern vor. Von meinem persönlichen Kiez mit den gefühlt stündlich wechselnden Eckläden ganz zu schweigen.

Reden wir nicht von Eckläden und Freibädern. Reden wir von einer gewaltigen Brachfläche, deren Bebauung den zukünftigen Charakter der Gegend, in der ich lebe, entscheidend beeinflussen wird. Es handelt sich um den Block 74, das sogenannte Freudenberg-Areal, benannt nach der Firma, die hier bis vor wenigen Jahren angesiedelt war. Das Gelände ist 26.000 Quadratmeter groß, nun sollen hier 550 Wohnungen entstehen. So will es der Investor; einer Gruppe von Anwohnern ist das viel zu viel.

Es gibt heftige Diskussionen, lautstarke Bürgerversammlungen, überzeugende und weniger überzeugende Versuche, die Anwohner in die Planungen einzubeziehen, Kompromissvorschläge.

Was es nicht gibt: eine kontinuierliche Berichterstattung über all das in der Zeitung.

Im Januar war ich bei einer Versammlung in der Aula der Grundschule. Die über 200 Anwohner fanden kaum alle Platz. Sie stritten mit dem Investor und dem Bezirksbürgermeister, forderten größere Grünflächen und mehr erschwingliche Wohnungen, ließen sich die aktuellen Pläne und die echten oder vermeintlichen Zugeständnisse erklären.

Nur die „taz“ berichtete zwei Tage später über die Veranstaltung, in einem ausführlichen und grundsätzlichen Bericht. Im Mai gab es, ebenfalls in der „taz“, einen Artikel über die weiteren Entwicklungen. Die anderen Tageszeitungen haben in diesem Jahr noch nicht über dieses für Friedrichshain entscheidende Bauprojekt und die Diskussionen darum berichtet.

Womöglich werden sie das irgendwann wieder tun. Der „Tagesspiegel“ zum Beispiel hatte Ende vergangenen Jahres einen größeren Artikel. Aber ist das die Idee einer Lokalzeitung, dass ich sie Tag für Tag kaufen soll, in der Hoffnung, dass irgendwann, vielleicht nach Wochen, etwas Relevantes aus meiner Umgebung darin steht?

Ich weiß nicht, wie typisch Berlin ist. Aber ich möchte behaupten, dass in dieser Stadt auch heute schon die Menschen nicht Zeitung lesen, um sich zu informieren, welcher Eckladen schließt, schon deshalb, weil ihre Zeitung sie nicht darüber informiert, welcher Eckladen schließt.

Zu einem gewissen Anteil haben diese Aufgabe immerhin noch die Anzeigenblätter „Berliner Woche“ (Springer) und „Berliner Abendblatt“ (Dumont Schauberg) übernommen. Aber die Redaktion des „Berliner Abendblattes“ wurde im vergangenen Jahr komplett entlassen, und ich bin mir nicht sicher, ob Janko Tietz mit seinem Postulat vom dauerhaften Bestand des gedruckten Lokaljournalismus ausgerechnet auf das berufen wollte, was kostenlose Anzeigenblätter darunter verstehen.

Und sollte die Zukunft der Tageszeitung wirklich davon abhängen, dass es auf Dauer genug Menschen gibt, die die Öffnungszeiten des Freibades oder die Auftrittsdaten von Künstlern zuhause auf Papier nachlesen wollen? — Informationen, für die es, egal ob sie nun umständlich gedruckt und durchs Land gekarrt werden oder nicht, jedenfalls keine Journalisten braucht, um sie zusammenzutragen.

Den beiden Berliner Stadtmagazinen „Tip“ und „Zitty“ geht es übrigens miserabel. Der Berliner Verlag hat den „Tip“ gerade an eine kleine Servicejournalismus-Agentur verkauft.

Ich wünschte mir, es gäbe dort, wo ich lebe, einen Lokaljournalismus, der diesen Namen verdient. Vielleicht wird irgendwann jemand kommen, der es versucht. Mein Tipp wäre aber eher, dass es ein Online-Projekt wird, ähnlich wie es die „Prenzlauer Berg Nachrichten“ versuchen.

Der Gedanke, dass Zeitungen schon deshalb nicht sterben werden, weil in ihnen steht, was mich angeht, weil es in meiner Nachbarschaft passiert, erscheint jedenfalls aus der Perspektive eines Bewohners von Berlin-Friedrichshain doppelt weltfremd.

In Berlin wurden 2010 pro 100 Einwohner 26 Zeitungen verkauft. Zwei Jahre später waren es noch 23,3. Wenn es eine Hoffnung für lokale Tageszeitungen gibt — hier lebt sie nicht.

„die aktuelle“-Bingo (8)

An schlechten Tagen kann ich mich sehr hineinsteigern in meine Verachtung für die Menschen, die bei der WAZ-Schwesterillustrierten „Die aktuelle“ arbeiten und ein Verkaufsmodell entwickelt haben, das in dieser Woche darauf beruht, so zu tun, als hätte Fürstin Charlene eine Fehlgeburt erlitten. Im Inneren klärt das Blatt auf, um welche „furchtbare Tragödie“, die „auf ihrer Seele lastet“ es sich wirklich handelt: Ein Adoptivkind der Tochter ihres Arztes sei ertrunken. Drei Monate zuvor hätte Charlene die Leute bei einem Besuch noch darauf hingewiesen, dass der Pool nicht kindersicher sei.

In den Worten der „aktuellen“:

Ein Kind, tot — ein Alptraum. Zu Tode gekommen ausgerechnet im Wasser, in Charlenes Element.

Vielleicht kein gutes Thema für ein lustiges „aktuelle“-Bingo. Also widmen wir uns stattdessen einer anderen Titelgeschichte, dem Teaser rechts in der Mitte.

Verona Pooth: Eiszeit! Traurige Familienszenen.

Die Frage lautet wie immer: Was ist passiert? Welche (womöglich wahre) Begebenheit, die die „Aktuelle“ im Inneren erzählt, verbirgt sich hinter dieser aufregenden Schlagzeile? Ist eigentlich ganz leicht.

(Mehr über diese Art von „Journalismus“ im Topf voll Gold.)

Nachtrag, 22. Juli. Auflösung hier.

Wahlwerbung in Springer-Blättern: Die Linke muss draußen bleiben

Der Springer-Verlag wird auch in diesem Bundestagswahlkampf keine Anzeigen der Linkspartei akzeptieren. In einer internen Anweisung heißt es, dass Werbeschaltungen der Linken „in jedem Fall abgelehnt werden“.

Die Linke befindet sich damit in einer Gruppe von acht zur Bundestagswahl zugelassenen Parteien, bei denen die die Springer-Blätter Werbung unbesehen ablehnen:

Parteien, deren Werbeschaltungen in jedem Fall abgelehnt werden
Name der Partei Ausrichtung –
Erklärende Hinweise
Bürgerbewegung pro Deutschland (pro Deutschland) rechtspopulistisch, islamfeindlich
Deutsche Kommunistische Partei (DKP) linksextremistisch
DIE LINKE (DIE LINKE) sozialistisch, teilweise linksextremistisch
DIE RECHTE rechtsextremistisch
DIE REPUBLIKANER (REP) rechtspopulistisch, ausländerfeindlich
Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) linksextremistisch
Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) linksextremistisch
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) rechtsextremistisch
Quelle: Axel Springer AG

Bei den anderen 30 zur Wahl zugelassenen Parteien ist eine Anzeige in „Bild“ und den den anderen Zeitungen des Verlages nicht von vornherein ein Tabu. Dazu gehören u.a. auch:

  • Bündnis 21/RRP (Springer-Einschätzung: „nationalkonservativ“)
  • Bürgerrechtsbewegung Solidarität BüSo („Verschwörungstheorien“)
  • Christliche Mitte („national-konservativ“)
  • die PARTEI („Satire-Programm (Wiederaufbau der Mauer etc.)“)
  • Partei für Soziale Gleichheit, Sektion der Vierten Internationale („sozialistische Orientierung“)

Es gelte aber grundsätzlich: „Alle Werbeschaltungen zur Bundestagswahl sind der Rechtsabteilung und der Abteilung Marktanalyse vor Veröffentlichung zur inhaltlichen Prüfung vorzulegen.“

Eine Sonderrolle nimmt die Partei Alternative für Deutschland AfD ein, die Springer als „rechtspopulistisch“ bezeichnet. Ob sich die innerhalb des von Springer akzeptierten politischen Spektrums befindet, hatten die Verantwortlichen im Konzern zumindest vergangene Woche offenbar noch nicht abschließend entschieden.

Werbeschaltungen der AfD seien nicht ausgeschlossen, aber „sehr kritisch“ zu prüfen, heißt es in dem internen Papier. „Über die grundsätzliche Behandlung dieser Partei wird noch entschieden.“

Auch in den vergangenen Jahren hatte die Springer-Anzeigenabteilung die Linke, wie zuvor schon die PDS, boykottiert. Die Unternehmenssprecherin begründete das damals mit der Beobachtung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz.

Der „Spiegel“ rafft sich nicht zu einer Aufarbeitung seiner dunklen Aids-Zeit auf

Man kann darüber streiten, ob es eine gute Idee war, den „Spiegel“ und „Spiegel Online“ für ihre Berichterstattung über Schwule und Lesben auszuzeichnen. Ein guter Anlass war es sicher.

Ein guter Anlass für Kritiker (wie mich), auf die furchtbare Aids-Berichterstattung des „Spiegel“ in den achtziger Jahren hinzuweisen. Und ein guter Anlass für den „Spiegel“, sich mit dieser Berichterstattung und der Kritik daran auseinanderzusetzen.

Der „Spiegel“ hat diese Chance nicht genutzt.

Markus Verbeet, der stellvertretende Deutschlandchef der Zeitschrift, hatte bei der Preisverleihung gesagt:

„Es war nicht alles gut, was wir damals geschrieben haben. Es gab Grenzüberschreitungen. Es gab nicht nur zugespitzte Darstellungen, sondern auch verletzende Worte. Manches hätten wir auch damals besser wissen müssen und ich ahne, was für Verletzungen wir hervorgerufen haben.“

Das hat vielen Zuhörern imponiert.

Verbeet hatte auch gesagt, dass er sich die alten Aids-Artikel aus der fraglichen Zeit aus dem Archiv suchen ließ. Manche verstanden das als Auftakt für eine öffentliche Aufarbeitung.

Ein paar Tage später veröffentlichte Verbeet unter der treuherzigen Frage „Sind wir preiswürdig?“ einen Eintrag im „Spiegel“-Blog, in dem er über den Preis und die Kontroverse berichtete und dies und jenes verlinkte. Einen Hinweis, was konkret der „Spiegel“ (oder Verbeet persönlich) im Rückblick an der „Spiegel“-Berichterstattung über HIV, Aids und homosexuelle Männer falsch und verletzend fand, gab der Text nicht.

Der Blogger und Aktivist Marcel Dams hatte in seiner bewegenden Laudatio auf den „Spiegel“ gesagt:

Ich finde auch, dass es Zeit für eine längst überfällige Entschuldigung ist. Nicht nur hier und heute, sondern am besten auch am Ort des Geschehens — im Blatt.

Am Ort des Geschehens erschien in dieser Woche stattdessen dies:

Das schwule Netzwerk Nordrhein-Westfalen hat SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE die “Kompassnadel” verliehen, eine Auszeichnung für die Förderung der Akzeptanz von Homosexuellen: Die SPIEGEL-Berichte zeichneten ein “ausgewogenes und realistisches Bild von schwulem Leben in Deutschland und vor allem auch in anderen Ländern, in denen Homosexuelle unterdrückt, verfolgt und ermordet werden”. Die Nominierung hatte Proteste hervorgerufen; Kritiker verwiesen auf die von ihnen als tendenziös empfundene Aids-Berichterstattung des SPIEGEL in den achtziger Jahren.

Das ist aus „Spiegel“-Sicht ganz normal. Ganz hinten im Heft sammelt die Redaktion, was irgendwo irgendwer Positives über den „Spiegel“ gesagt hat. Und in diesem Fall hat sie, obwohl es sich um eine „Ehrung“ handelt, sogar die Kritik erwähnt.

Oder genauer: So getan als ob.

Dams nannte die damalige „Spiegel“-Berichterstattung in seiner Laudatio „menschenverachtend“ und „homophob“. Die deutsche Aids-Hilfe nannte sie „unsäglich“ und „an die Grenze zur Hetze reichend“. Martin Dannecker nannte sie „fragwürdig“ und „eine regelrechte antihomosexuelle Kampagne“, die „niedrige Affekte bediente“. Ich nannte sie „infam“ und „apokalyptisch“.

Und der „Spiegel“ glaubt allen Ernstes, das angemessene Wort, diese Attribute zusammenzufassen, wäre „tendenziös“?

Der „Spiegel“ tut so, als gebe er ehrlich die Kritik an sich wieder und beschönigt sie dabei. Mir fiele dazu das Wort „unverfroren“ ein, aber vermutlich ist es viel schlimmer: Gedankenlos.

Fast ein halbes Jahr hätte der „Spiegel“ Zeit gehabt, sich damit auseinanderzusetzen, dass die Deutsche Aids-Hilfe, die ja nun nicht irgendein souverän zu ignorierender Quatschverein ist, ihm vorwirft, den „Grundstein für die Stigmatisierung der Menschen mit HIV“ gelegt zu haben. Betroffene hätten bis heute unter den Folgen dieser Skandalisierung zu leiden.

Trotz der positiv aufgenommenen Worte von Markus Verbeet bei der Preisverleihung hat er sich seitdem nicht zu mehr als einem vagen Es-war-nicht-alles-Gut durchringen können. Jedem anderen würde gerade der „Spiegel“ eine solche Form der Vergangenheitsscheinbewältigung um die Ohren hauen.

Marcel Dams, der Laudator, nennt die Notiz im Blatt, „um es nett auszudrücken, absolut unverständlich“. Er schreibt:

Das was (…) abgedruckt wurde, ist nicht nur zu wenig. Nein. Es ist sogar ein Schlag ins Gesicht derer, die die damalige Zeit miterleben mussten.

Was mich nämlich am meisten stört ist folgendes: Das geschrieben wird, es gehe um ein Empfinden. Es liest sich so, als ob die Berichterstattung nicht homophob oder tendenziös war, sondern nur ein paar Schwule — die sich nun aufregen — es so empfinden.

Das Fazit, das der 24-jährige Blogger dem 66-jährigen Nachrichtenmagazin mitgibt, lautet:

Zu jeder Biographie gehören Narben. Wir alle haben keine weiße Weste. Nobody’s perfect. Sich den Fehlern zu stellen, diese zu erkennen, sie zu benennen und daraus zu lernen. Das erwarte ich.

Das ist zuviel verlangt vom „Spiegel“.

[Offenlegung: Ich habe eineinhalb Jahre für den „Spiegel“ gearbeitet.]

Wenn Angela Merkel Kassiererin im Supermarkt wäre

Kunde: Was kosten die Nudeln?

Merkel: Der Preis berechnet sich aus dem Einkaufspreis und der Handelsspanne. Es können auch weitere Überlegungen noch eine Rolle spielen.

Kunde: Und was kosten die Nudeln jetzt?

Merkel: Für die Festsetzung des Preises ist letztendlich die Zentrale in Essen zuständig.

Kunde: Hier klebt kein Preisschild drauf!

Merkel: Dafür ist meine Kollegin verantwortlich. Wir werden über das fehlende Preisschild reden.

Kunde: (ohne Ironie) Ich muss zugeben, Sie wirken kompetent! Ich nehme acht Packungen von den Nudeln.

Es ist gar nicht so leicht, die Methode zu greifen zu bekommen, mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel — wie vergangene Woche in der „Zeit“ zum Abhörskandal — nichts sagt. Jaheira hat es in den Kommentaren mit dieser Parodie geschafft. Danke!

Was Angela Merkel alles nicht weiß und deshalb auch nicht bewerten wird

Mir ist bewusst, dass das Interview, das die Bundeskanzlerin der „Zeit“ gegeben hat, jetzt schon ein paar Tage alt ist und dass sie in der Zwischenzeit längst ein weiteres gegeben hat. Aber ich kann das alte, das aus der „Zeit“, noch nicht ganz fassen.

Die Interviewer stellen ihr eine Reihe von Fragen zu dem Abhörskandal. Angela Merkel sagt daraufhin jeweils mehrere Sätze, die aus großer Ferne betrachtet fast wie so etwas ähnliches wie Antworten wirken könnten.

Antworten gibt sie nicht.

Zum Beispiel:

ZEIT: Sind Sie nicht überrascht über das Ausmaß, in dem uns ausländische Dienste offenbar ausspähen?

Merkel: Dass Nachrichtendienste unter bestimmten und in unserem Land eng gefassten rechtlichen Voraussetzungen zusammenarbeiten, entspricht ihren Aufgaben seit Jahrzehnten und dient unserer Sicherheit. Von Programmen wie Prism habe ich durch die aktuelle Berichterstattung Kenntnis genommen. Inwieweit die Berichte zutreffend sind, wird geprüft.

Testfrage: Ist Angela Merkel überrascht über das Ausmaß, in dem uns ausländische Dienste offenbar ausspähen, oder nicht?

Weiter:

ZEIT: Ist der Verzicht auf Privatsphäre in Ihren Augen der Preis für die Sicherheit?

Merkel: Freiheit und Sicherheit müssen immer in der Balance gehalten werden. Deshalb muss alles dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehorchen. Mit immer neuen technischen Möglichkeiten muss die Balance zwischen dem größtmöglichen Freiraum und dem, was der Staat braucht, um seinen Bürgern größtmögliche Sicherheit zu geben, immer wieder hergestellt werden. Die Diskussion darüber, was verhältnismäßig ist, müssen wir deshalb ständig führen und gleichzeitig alles tun, um uns vor terroristischen Anschlägen bestmöglich zu schützen, was ohne die Möglichkeit einer Telekommunikationskontrolle nicht ginge.

Merkel redet darüber, worüber man reden müsste, ohne darüber zu reden. Sie sagt, dass man die Diskussion führen muss, was verhältnismäßig ist, um nicht die Diskussion führen zu müssen, was verhältnismäßig ist. Das haben an dieser Stelle sogar die Interviewer von der „Zeit“ gemerkt und haken nach:

ZEIT: Was ist denn „verhältnismäßig“?

Merkel: Ein Vorgehen, das den Schutz der Privatsphäre mit dem Schutz vor Terror im Gleichgewicht hält und beiden Zielen bestmöglich dient. (…)

Ah: Verhältnismäßig ist, was verhältnismäßig ist.

ZEIT: Die Behauptung, 50 Anschläge seien verhindert worden, ist schwer überprüfbar. Können Sie den amerikanischen Aussagen vertrauen?

Merkel: Amerikanische Hinweise haben ohne jeden Zweifel im Ergebnis zu Verhaftungen geführt und damit nach menschlichem Ermessen großen Schaden verhindert. Jeder Anschlag wäre einer zu viel.

Keine Antwort auf die Frage.

Gut, vielleicht lässt sich das indirekt wenigstens als eine Antwort auf eine Frage weiter vorne lesen. Wenn jeder Tote im Straßenverkehr einer zuviel wäre, wären Autos womöglich verboten. Ganz sicher gäbe es viel strengere Geschwindigkeitsbegrenzungen.

Wenn jeder Anschlag einer zuviel wäre, dann müsste man alles tun, um auch den einen zu verhindern. Jede Aufgabe der Privatsphäre wäre dafür hinzunehmen. Dann heiligt der Zweck auch die Mittel. (In der ARD hat sie heute das Gegenteil gesagt, aber wer wäre überrascht, wenn sie übermorgen wieder das Gegenteil sagt und überübermorgen, dass wir unbedingt eine Debatte darüber führen sollten, unter welchen Voraussetzungen der Zweck die Mittel heiligen würden könnte; eine Debatte, an der sie natürlich selbst nicht teilnähme.)

ZEIT: Haben Sie nach Ihren Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten den Eindruck, dass die Geheimdienstaktivitäten nach den Anschlägen auf das World Trade Center aus dem Ruder gelaufen sind?

Merkel: Nach meinem Eindruck nimmt der amerikanische Präsident die Sorgen in Europa ernst. Ich warte jetzt die Ergebnisse der Expertengespräche in Washington ab. Dann werden sie bewertet, dann folgen die nächsten Schritte.

Tja. Hat die Kanzlerin den Eindruck, dass die Geheimdienstaktivitäten aus dem Ruder gelaufen sind? Man weiß es nicht. Man wird es nie erfahren. Es ist aussichtslos, sie zu fragen.

ZEIT: Edward Snowden bekommt nun vermutlich Asyl in Venezuela. In Deutschland hat man das aus formalen Gründen abgelehnt. Es gäbe aber auch andere Begründungen, ihn nach Deutschland zu holen. Hätten Sie das nicht tun müssen, wenn Ihnen wirklich so viel an Aufklärung gelegen ist?

Merkel: Das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt sind nach ihrer Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für politisches Asyl oder eine Aufenthaltsgewährung aus anderen Gründen nicht vorlagen.

Andere Leute haben da geprüft und sind zu irgendwelchen Ergebnissen gekommen. Was soll Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, da noch eine Haltung zu entwickeln?

ZEIT: Es gab in der Vergangenheit Fälle wie Lew Kopelew oder Alexander Solschenizyn, in denen Bundeskanzler aus übergeordneten Interessen oder humanitären Aspekten an formalen Kriterien vorbei anders entschieden haben.

Merkel: Ich kann nur wiederholen, dass nach Prüfung der beiden Ministerien die Voraussetzungen im aktuellen Fall nicht vorlagen.

Andere Leute haben da geprüft und sind zu irgendwelchen Ergebnissen gekommen. Was soll Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, da noch eine Haltung zu entwickeln?

ZEIT: Was denken Sie über Edward Snowden?

Merkel: Ich erlaube mir kein persönliches Urteil über einen Mann, über den ich lediglich das eine oder andere lese.

Was für eine Wohltat, diese Antwort. Weil Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, sich immerhin dazu herablässt, relativ unverschlüsselt zu sagen: Ich gebe Ihnen darauf keine Antwort. Ich sage Ihnen nicht, was ich von dem Mann halte.

Es ist natürlich völlig absurd anzunehmen, dass sich die Kanzerlin keine persönlichen Urteile erlaubt über Menschen wie Edward Snowden oder wenigstens eine Bewertung seiner Handlungen. Aber so anspruchslos bin ich inzwischen geworden: Ich freue mich, dass sie immerhin sagt, dass sie dazu nichts sagt, ohne dass man selbst das nur mühsam zwischen den Zeilen herauslesen oder aus ihren Nicht-Antworten-Antworten interpretieren muss.

ZEIT: Halten Sie es für verhältnismäßig, dass mehrere europäische Länder dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales wahrscheinlich auf Betreiben der Amerikaner Überflugrechte verwehrt haben?

Merkel: Ich kenne die Hintergründe dieses Vorgangs nicht und werde ihn deshalb auch nicht bewerten.

Okay, ich nehm’s zurück. Ich bin raus. Da hilft jetzt auch nicht mehr die unverstellte Klarheit, mit der die Bundeskanzlerin sagt: Mir doch egal.

Mir doch egal, was da passiert ist.

Mir doch egal, ob Sie mir abnehmen, dass ich mich nicht über die Hintergründe dieses bizarren und empörenden Vorganges kundig gemacht habe.

Mir doch egal, ob ich gerade noch gesagt habe, dass wir über Verhältnismäßigkeiten reden müssen.

Mir doch egal, wie da mit Staatspräsidenten umgegangen wird und mit Whistleblowern und überhaupt.

Geht mir am Arsch vorbei, sagt die Bundeskanzlerin.

Natürlich würde man sich wünschen, dass die Interviewer an dieser Stelle sagen würden: „Wissen Sie was, Frau Bundeskanzlerin, bei allem Respekt: Aber wenn Sie sich nicht äußern wollen über diese Themen, wenn Sie uns Ihre konkrete Einschätzung dieser außerordentlichen Vorgänge nicht sagen wollen, dann brechen wir das Interview an dieser Stelle ab. Dann stellen wir fest: Die Bundeskanzlerin weiß nicht, was unsere Verbündeten so machen, und wenn sie es weiß, dann sagt sie es nicht. Und in jedem Fall weigert sie sich, ihre Haltung dazu der Öffentlichkeit mitzuteilen, weshalb ein Interview mit ihr sinnlos ist.“

Im Zweifel würde aber natürlich auch ein Interviewer von einer geringeren Geschmeidigkeit als Giovanni di Lorenzo nicht so reagieren. Und tatsächlich ist ja das Interview immerhin insofern sachdienlich, als es die fehlende Bereitschaft der Kanzlerin, Antworten zu geben, für jeden, der sie sehen will, sichtbar macht.

Vielleicht ist meine Empörung an dieser Stelle auch abwegig. Genauso gut hätte ich mich vermutlich auch beim vorletzten, vorvorletzten oder vorvorvorletzten Interview mit Angela Merkel empören können. (Tatsächlich habe ich auch vor drei Jahren schon über ihre bizarr blutleere, abstrakte Sprache geschrieben, mit der sie uns alle in die Besinnungslosigkeit redet.)

Aber dies war der Punkt, an dem mein Kragen geplatzt ist. Natürlich vermeiden viele Politiker klare Aussagen. Aber dass es so normal geworden ist, dass eine Kanzlerin sich systematisch und dreist der kleinsten inhaltlichen Festlegung verweigert, dass so ein Interview wie das in der „Zeit“ gar keinen Schluckauf in dieser Hinsicht mehr auslöst. Und dass diese Kanzlerin größte Zustimmungswerte im Volk genießt und mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, die zukünftige Regierung zu führen. Das bestürzt mich dann doch.

Die VG Wort gibt 8 aufs Wort. Aufs Geld und aufs Recht vielleicht nicht so.

Erinnern Sie sich an die merkwürdige Kampagne, die die VG Wort vor einigen Wochen zum Urheberrecht gestartet hat, über die sie keine Auskunft geben wollte? Es stellt sich heraus: Das lag an mir.

· · ·

Anfang Juni bin ich nach München gefahren, zur Versammlung der Wahrnehmungsberechtigten der VG Wort. Einmal im Jahr stellen sich die Verantwortlichen bei dieser Veranstaltung mit sichtlichem Widerwillen den Leuten, für die sie theoretisch arbeiten.

Ich bin dorthin gefahren, um auf diesem Wege zu versuchen, doch noch Antworten zu bekommen.

Und tatsächlich. Robert Staats, geschäftsführender Vorstand der Verwertungsgesellschaft, beantwortete meine Fragen. Die Kampagne „Wir geben 8 aufs Wort“ habe bisher „knapp unter 40.000 Euro“ gekostet, sagte er. Das seien „keine besonders hohen Kosten“. Die Kampagne sei „sehr erfolgreich“, habe „erhebliche Klickzahlen“: „über 10.000 — das sind doch viele Aufrufe!“

(Zum Vergleich: Dieses Blog hatte im gleichen Zeitraum 335.228 Seitenaufrufe. Das Video mit dem Beitrag des nicht völlig unprominenten Kolumnisten Harald Martenstein zur Kampagne, das vor fünf Wochen veröffentlicht wurde, ist seitdem 2-mal täglich angesehen worden.)

Konzipiert wurde die Aktion mit dem Titel „Wir geben 8“ nach Staats Worten von einer Arbeitsgruppe der VG Wort, die paritätisch mit Urheber- und Verlegervertreter besetzt gewesen sei. Die Initiative dazu sei vom Verwaltungsrat ausgegangen.

Bleibt die Frage, warum diese Informationen so geheim waren, dass ich eigens nach München reisen musste, um sie zu bekommen. Staats Antwort:

Es war vielleicht ein bisschen die Form der Frage, mit Verlaub, die uns etwas hat zurückhaltend sein lassen.

Wenn Sie sich selbst ein Bild davon machen wollen, wie unziemlich ich meine Anfrage formuliert hatte, können Sie sie hier im Wortlaut nachlesen. Meinen Wortwechsel mit Herrn Staats auf der Versammlung können Sie hier nachlesen.

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Dass die VG Wort schon auf eine so läppische Anfrage wie meine durch Totstellen reagiert, sagt viel aus über die allgemeine Kommunikationsunfähigkeit und -unwilligkeit dieses Vereins. Die Versammlung Anfang Juni im Künstlerhaus am Lenbachplatz war in dieser Hinsicht eine eindrucksvolle Veranstaltung.

Die VG Wort ist so etwas wie die Gema für Texte. Sie kassiert zum Beispiel von Copy-Shop-Betreibern, Festplattenherstellern und Bibliotheken Pauschalen und verteilt diese als Tantiemen an Urheber und Verlage, deren Werke vervielfältigt oder verbreitet werden. Knapp 170.000 Schriftsteller, Journalisten und Wissenschaftler profitieren davon; gut einhundert „Wahrnehmungsberechtigte“ waren gekommen.

Entscheiden konnten sie nichts, aber Fragen stellen an die Verantwortlichen. Die erste war so naheliegend wie abwegig: Könnte man vielleicht diese schlechte Laune abstellen? „Ihr macht uns wirklich nicht glücklich“, rief eine extrovertierte Frau mittleren Alters den Griesgramen auf dem Podium zu. „Es kommt von euch nichts Herzliches, Verbindliches, Warmes.“ Die Angesprochenen reagierten mit Lächelversuchen, die die Frau so kommentierte: „Jetzt wird ein bisschen geschmunzelt, das ist aber bloß Unsicherheit.“

Das war richtig, aber nicht hilfreich.

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Die VG Wort ist 1958 von Verlegern und Journalisten gegründet worden und versucht gerade, im 21. Jahrhundert anzukommen. Seit kurzem verschickt sie zur Ausschüttung der Tantiemen nicht mehr Schecks in sechsstelliger Zahl mit der Post durch das Land, sondern hat ein modernes Verfahren entdeckt, das sich „Banküberweisung“ nennt. Weiters gab der Vorstand bekannt, dass die VG Wort Anfang des Jahres eine „Arbeitsgruppe Zukunft“ ins Leben gerufen habe.

Die Zukunft scheint, verglichen mit der Vergangenheit, generell nicht der beste Freund der VG Wort zu sein. Dabei ist das Modell, das ihr zugrunde liegt, eigentlich gerade in digitalen Zeiten attraktiv: Als „eine Art ‚Kulturflatrate'“ bezeichnet sie selbst das Modell, dass Kopien von Werken für private Zwecke erlaubt sind und durch Pauschalen abgegolten werden.

Doch diese Pauschalen müssen mit jedem Industriezweig, mit jedem potentiellen Ort der Vervielfältigung verhandelt werden. Der Geschäftsbericht, den Geschäftsführer Robert Staats vortrug, war im Kern eine Aufzählung von teils jahrelang anhängigen juristischen Verfahren, endlosen Verhandlungen und kaum einem Anlass für Optimismus.

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Der größte Schlechte-Laune-Generator aber ist ein Prozess, der das Vorgehen der VG Wort grundsätzlich in Frage stellt. Martin Vogel, ein Patentrichter und Experte der komplexen Materie, wirft dem Verein vor, das Geld der Urheber zu veruntreuen, indem er pauschal eine Hälfte der Vergütungen den Verlegern gibt. In erster Instanz bekam er recht. Die VG Wort ist in Berufung gegangen.

Wegen des unsicheren Ausgangs hat die VG Wort die Ausschüttung der Tantiemen erst einmal wieder verschoben, was nicht zur guten Stimmung der Empfänger beiträgt, die auf ihre jährlichen Schecks — oder neuerdings gar Überweisungseingänge — warten müssen und überwiegend Vogel als Bösewicht in dem Drama ausgemacht haben, obwohl der sich als Kämpfer für die Sache der Urheber versteht.

Vogel war erstaunt, dass sie ihn überhaupt in den Saal gelassen hatten, und nutzte die Gelegenheit zu ein paar provozierenden Fragen. Zum Beispiel der, wieviel Geld die VG Wort bisher für Gutachten ausgegeben hat, die ihre Position in dem Prozess stützen sollen. Es ist Geld, das die Ausschüttungen mindert, und zwar möglicherweise um einen deutlich sechsstelligen Betrag.

Vogel meint, dass die VG Wort Geld nimmt, das eigentlich den Urhebern zusteht, um damit eine rechtliche Position zu stützen, die den Interessen der Urheber schadet. Selbst wenn man diese Meinung nicht teilt, könnte man die Frage nach den Kosten für die Gutachten für legitim halten. (Insbesondere auch, weil Vogel seinerseits den Rechtsstreit ganz allein, ohne solchen Etat und ohne Rückgriff auf eingekaufte Expertise bestreitet.)

Die Herren von der VG Wort hielten sie nicht für legitim. Sie redeten sich in Rage. Sie meinten, Vogel als Kläger in diesem Prozess hätte nun wirklich kein Recht, diese Frage zu stellen. (Als ich die Frage dann hilfsweise wiederholte, schien das aber auch nicht zu helfen.)

Nein, die VG Wort sah keine Veranlassung, Rechenschaft abzulegen. Lutz Franke, der Vorsitzende des Verwaltungsrates, kündigte aber düster an: „Hinterher werden wir abrechnen, und dann werden Sie sehen, wieviel Geld Ihnen verloren gegangen ist.“

(Verloren gegangen, so die Insinuation, durch die Boshaftigkeit eines einzelnen Querulanten. Nicht dadurch, dass ein Fachmann und Betroffener den legitimen Weg gegangen ist, auf sein Recht zu pochen, und damit offengelegt hat, wie erstaunlich wackelig die verlegerfreundliche Rechtsgrundlage der VG Wort ist.)

Als ein Kollege und Delegierter der Wahrnehmungsberechtigten versuchte, die Gemüter zu beruhigen, aber sagte, dass auch er die Geheimniskrämerei nicht verstehe, musste er sich vom VG-Wort-Mann abkanzeln lassen: „Sie sind hinter den Diskussionsstand zurückgefallen.“

Was für ein sympathischer, kommunikativer Verein.

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Das Oberlandesgericht München will sein Urteil über die Klage von Martin Vogel gegen die VG Wort am 25. Juli verkünden.

Mehr über die Hintergründe des Prozesses habe ich im vergangenen Jahr fürs „Medium Magazin“ aufgeschrieben.

Was steht den Urhebern vom Leistungsschutzrecht zu? Ungefähr nichts.

Von dem Geld, das die Presseverlage durch ihr neues Leistungsschutzrecht einnehmen, müssen sie den Urhebern praktisch nichts abgeben. Zu diesem Ergebnis kommen zwei verlegernahe Rechtsanwälte in einem Fach-Aufsatz.

Bevor das Gesetz verabschiedet wurde, hatten die Verlage den gegenteiligen Eindruck erweckt. Auch Journalisten würden unmittelbar davon profitieren, wenn Suchmaschinenbetreiber und Aggregatoren für die Verwendung kleiner Textschnipsel zahlen müssen. In einer vermeintlichen Informationsbroschüre, die die Verlegerverbände VDZ und BDZV vor der Abstimmung an alle Bundestagsabgeordneten verschickten, hieß es:

Journalisten sollen laut Gesetzentwurf sogar an den möglichen Erlösen des neuen Rechts beteiligt werden; die Verlage haben dies selbst vorgeschlagen.

Tatsächlich lacht aus dem Gesetz freundlich winkend ein Absatz, in dem es heißt:

§ 87h
Beteiligungsanspruch des Urhebers

Der Urheber ist an einer Vergütung angemessen zu beteiligen.

Aber was heißt schon „angemessen“?

Die Rechtsanwälte Robert Heine und Felix Stang kommen in ihrem „Beitrag zur Klärung ausgewählter Rechtsfragen“ des neuen Leistungsschutzsrechts für Presseverleger („AfP Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht“, 3/2013, S. 177ff.) zu einem verblüffenden Ergebnis: Wenn es um kurze, etwa von Suchmaschinen angezeigte Textschnipsel geht, sogenannte Snippets, haben die Urheber keinen Anspruch auf eine Beteiligung an der Vergütung. Sie schreiben:

Grundlage des Beteiligungsanspruchs ist die Verwertung eines Werkes. Auch der Beteiligungsanspruch des Urhebers scheidet demnach aus, wenn nicht sein Werk, sondern nur ein urheberrechtlich nicht relevanter Teil davon genutzt wird, der die Anforderungen an die Schöpfungshöhe nach § 2 Abs. 2 UrhG nicht erfüllt. Erhält ein Presseverleger also lediglich eine Vergütung für die Nutzung von Snippets, die aufgrund ihrer Kürze keinen Werkcharakter haben, scheidet ein Anspruch der Urheber der Presseartikel auf Beteiligung aus.

Anders sei die Lage nur bei der Übernahme kompletter Artikel. Dann hätten die Urheber zwar einen Anspruch darauf, an der Verlegervergütung beteiligt zu werden. Aber der ihnen zustehende Anteil sei sehr überschaubar.

Eine Aufteilung der Erlöse im Verhältnis 50:50, wie sie etwa bei Tonträgern Praxis ist, sei vom neuen Presseleistungsschutzrecht „nicht gefordert“, weil Journalisten im Vergleich zu den ausübenden Künstlern auf Tonträgern viel mehr eigene Verwertungsrechte hätten. Die Ansprüche der Journalisten lägen auch „weit unterhalb“ der „gemeinsamen Vergütungsregeln“, die zwei Journalistengewerkschaften mit den Verlegern vereinbart haben.

Also noch einmal: Die Urheber haben laut Heine und Stang keinen Anspruch, an möglichen Einnahmen beteiligt zu werden, die Verlage zukünftig von Aggregatoren und Suchmaschinen durch die Übernahme von Snippets erzielen. Und der ihnen zustehende Anteil aus der Lizenzierung kompletter Artikel sei minimal.

Heine und Stang sind Rechtsanwälte in der Kanzlei Raue LLP in Berlin. Die Kanzlei Raue LLP berät die Verlegerverbände VDZ und BDZV bei urheberrechtlichen Fragen.

Die Schwulen bringen uns allen den Tod: Die Lust des „Spiegel“ an der Apokalypse durch Aids


Ausriss „Spiegel“ 47/1987

Wenn Hans Halter im „Spiegel“ über Aids schrieb, konnte man die Frustration fast mit Händen greifen: dass die Sprache keine angemessenen Wörter hergibt, den bevorstehenden Horror zu beschreiben, und er auf so läppische Begriffe und Konzepte wie „Apokalypse“ oder „Holocaust“ zurückgreifen muss.

Im November 1987 etwa veröffentlichte er im „Spiegel“ einen Artikel, der mit dem Weltuntergang begann und sich dann langsam steigerte. Er zitierte eingangs die Offenbarung von Johannes:

Und ich sah ein fahles Pferd; und der darauf saß, des Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach.

Und endete so:

Wenn der Aids-Erreger wie ein Schnupfen- oder Grippevirus ohne Hautkontakt von Mensch zu Mensch gelangen könnte, wäre es mit uns allen über kurz oder lang vorbei. Nur auf ganz fernen Inseln oder in den Weiten Sibiriens könnten ein paar einsame Menschen überleben. Die Steinzeit käme zurück. Worst case?

Mutter Erde wird sich freuen.

Kein Konjunktiv.

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Hans Halter und die „Spiegel“-Berichterstattung über Aids in den achtziger und neunziger Jahren, sie hätten einen Platz in den Wörterbüchern verdient: unter Panikmache, als schwer je zu übertreffende Referenzgröße. WIR WERDEN ALLE STERBEN, rief das „Nachrichtenmagazin“ der Nation zu, und das nicht nur so als vage Idee, die klassisch mit in der Luft rudernden Armen vorgetragen wird. Halter malte sich und uns im „Spiegel“ ganz konkret das von Schwulen verursachte bevorstehende Ende der Menschheit aus.

Die Aids-Berichterstattung jener Jahre gehört wie die jahrelange Kampagne gegen Flüchtlinge (samt gefälschtem Titelfoto) zu den besonders dunklen Flecken in der Geschichte des „Spiegel“. Diese Vergangenheit holt das Magazin jetzt wieder ein, weil es morgen für seine inzwischen angeblich vorbildliche Berichterstattung über schwules Leben mit der „Kompassnadel“ des Schwulen Netzwerkes NRW ausgezeichnet werden soll.

Ausgerechnet.

Die Deutsche Aids-Hilfe hat bereits vor einem halben Jahr „mit Entsetzen“ auf die Entscheidung reagiert und sich mit deutlichen Worten von der Auszeichnung distanziert: Sie sei ein „Schlag ins Gesicht“ für die „Aids-Veteranen“. Die „unsägliche Berichterstattung des ‚Spiegel‘ zu Zeiten des Höhepunktes der Aids-Krise“ habe den Grundstein für die Stigmatisierung der Menschen mit HIV gelegt. „Betroffene haben bis heute unter den Folgen dieser Skandalisierung zu leiden.“

Nun eskaliert die Sache weiter. Der Sexualwissenschaftler und schwule Aktivist Martin Dannecker, der die „Kompassnadel“ im vergangenen Jahr erhielt, will sie nicht, wie sonst üblich, an den neuen Preisträger überreichen. Er nennt die damaligen Berichte des „Spiegel“ zum Thema Aids „außerordentlich fragwürdig“ und „eine regelrechte antihomosexuelle Kampagne“.

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Man muss es gelesen haben, mit welcher Lust Hans Halter seine „Spiegel“-Berichte über die todbringenden Schwulen parfümierte, wie den vom November 1987:

Der große Blonde ist unvergessen. Dreieinhalb Jahre nach seinem frühen Tod erinnern sich die Stewardessen der „Air Canada“ noch immer voller Wehmut des schönen Kollegen Gaetan Dugas. Er trug die Hemden eng, die Haare lockig. Sein Charme hat jede Crew betört.

Hundertfach hat Gaetan die Welt umrundet, ein Jet-setter aus Beruf und Neigung. Seide kaufte er in Hongkong, das dunkle Tuch bei Harrod’s in London. Gern machte er in der Karibik Station, in San Francisco und Paris. Wenn die fröhliche, swingende „gay community“ ein Fest steigen ließ, war der Franko-Kanadier mit dem sanften Quebec-Akzent dabei. Irgendwo, vermutlich in Paris, hat er sich mit dem Virus infiziert, schon Mitte der siebziger Jahre.

Dem mobilen Junggesellen blieb fast ein Jahrzehnt, um den Todeskeim weiterzugeben. Er starb, 32 Jahre alt, am 30. März 1984 an Bord eines Flugzeugs auf dem Weg zur amerikanischen Westküste. Neben ihm saß sein allerletzter Liebhaber, ein junger Dressman aus Vancouver.

Klingt fast zu schaurig-schön, um wahr zu sein. Ist auch nicht wahr. Dugas starb (31 Jahre alt) im Kreis seiner Familie in Quebec.

Weiter im „Spiegel“:

Gaetan Dugas hat vielen Menschen den Tod gebracht. In medizinischen Fachblättern wurde er noch zu Lebzeiten als der „Aids-Patient Nummer Null“ vorgestellt — als die erste identifizierte Ansteckungsquelle der neuen Seuche. Nummer Null hatte, Jahr für Jahr, rund 250 Intimpartner. Von den ersten 248 US-amerikanischen Homosexuellen, die Aids zum Opfer fielen, haben sich nachweislich 40 bei Dugas oder einem seiner Sexualpartner angesteckt.

Vereinzelte Fälle von Aids-Infektion hat es in den USA wohl schon früher gegeben. So wurde anhand von tiefgefrorenen Blutproben kürzlich festgestellt, daß der 1969 in St. Louis gestorbene, damals 15jährige Robert R. mit HIV-Viren infiziert war. Aber zu einer Epidemie hat sich Aids erst entwickeln können, als Leute wie Gaetan Dugas die Szene betraten.

Bis zu seinem Tod hoch über den Wolken blieb der Todgeweihte ein attraktiver Mann, begehrt als erster Preis. „Ich werde Sex niemals aufgeben“, hat Gaetan Dugas seinen Ärzten erklärt, „denn irgend jemand hat schließlich auch mich angesteckt.“

Dugas‘ Rolle bei der Ausbreitung von Aids war nicht so groß, wie sie damals geschildert wurde. „Aids-Patient Nummer Null“ war er nie; er war in dem Netz sexueller Kontakte, das Wissenschaftler ermittelten, bloß „Patient O“ — der Buchstabe O, nicht die Zahl 0.

Aber Dugas war — nicht nur im „Spiegel“ — der Inbegriff des Teufels: des todbringenden, auf Sex fixierten, hemmungslosen, skrupellosen Schwulen.

Schöne Männer, „den Männern zugetan“, und ihr zügelloser Lebensstil waren schuld daran, dass die „Ausrottung ganzer Nationen“ droht, wie Halter aufgeregt notierte. Die Seuche „wird die Bevölkerungsexplosion beenden und auf allen Kontinenten demographische, ökonomische und kulturelle Umwälzungen bewirken, für die es in der Geschichte kein Beispiel gibt“, zitierte er die schlimmsten Prognosen im eindrucksvollen Indikativ.

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Hoffnung? Gibt es nicht. Es gibt sie nicht. Es gibt keine Hoffnung. Lasst sie alle fahren.

Der riesengroße Zellklumpen Mensch wird mit seinen winzig kleinen Feinden auf keine Weise fertig. Aids ist eine Krankheit zum Tode.

Über die Zahl der HIV-Infizierten gibt es nur Spekulationen. Allein in der Bundesrepublik sind es mindestens 100000. Tendenz: stetig steigend. Ganz vorsichtig geschätzt kommen in Deutschland jeden Tag 100 neue HIV-Infizierte hinzu.

Sie alle werden — bei hundert Prozent Krankheitspenetranz und hundert Prozent Mortalität — weit vor der Zeit sterben.

Die Zahlen, die Halter als Fakten ausgab, waren grandios übertrieben. Im Jahr 2011, also 24 Jahre, nachdem er diese Worte in den „Spiegel“ schreiben durfte, schätzte das Robert-Koch-Institut, dass insgesamt in Deutschland 100.000 Menschen mit HIV infiziert wurden.

Aber Halters Endzeitfantasien kannten keine Grenzen:

Die Pest, der „schwarze Tod“, ließ jeden zweiten überleben. Von Pocken oder Cholera, Tuberkulose und Syphilis sind in den alten Zeiten die meisten Kranken ganz von allein genesen. Wer heutzutage einen Herzinfarkt erleidet oder an Krebs erkrankt, der muß nicht sterben. Nur Aids läßt niemand eine Chance: Bei wem die Krankheit ausbricht, der ist des Todes.

Gegen das „Acquired Immune Deficiency Syndrome“, den erworbenen Mangel an körpereigener Abwehrkraft, gibt es kein Heilmittel. Eine Früherkennung ist nicht möglich, der Verlauf schmerzhaft, das Ende voller Qualen. An Aids sterben junge und schöne Menschen, ein jeder vor seiner Zeit.

Man kann sich ausmalen, was für eine Wirkung solche Texte auf die Betroffenen hatten in jener Zeit.

Die größten Apokalyptiker zitiert Halter als die einzigen Realisten. Einen Münchner Infektionsepidemiologen lässt er sagen:

„Den deutschen Risikogruppen droht der Holocaust.“

Später zitiert er ihn nicht nur mit dem Satz:

„Wenn in den nächsten Jahren kein wissenschaftlicher Durchbruch erzielt wird, werden zur Jahrtausendwende weite Teile von Afrika, und möglicherweise auch von Mittel und Südamerika, weitgehend entvölkert sein.“

Er fügt in der Mitte des Zitats, bezogen auf den möglichen wissenschaftlichen Durchbruch sicherheitshalber auch noch hinzu: „– und dafür gibt es keinen seriösen Hinweis –„.

Und damit auch kein Leser auf die Idee kommt, dass dieser Professor womöglich übertreiben könnte, leitet Halter das Zitat ein mit dem Satz: „Professor Frösner spricht öffentlich aus, was seine Kollegen nur heimlich tuscheln“.

Und fasst sicherheitshalber noch einmal zusammen:

Genozid, Holocaust, die Apokalypse … der Weg in die Aids-Katastrophe ist vorgezeichnet, zumindest für die Dritte Welt.

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Man kann, mit sehr viel Wohlwollen, diese Hysterie mit der Verzweiflung und Empörung des „Spiegel“-Redakteurs erklären, dass niemand etwas gegen die Gefahr tut. Es stimmt ja auch: Wenn die Verantwortlichen auf die Warnungen gehört hätten, wären nicht weit über Tausend Menschen allein in Deutschland über Blutkonserven mit HIV infiziert worden.

Dennoch ist es schwer, in der Aids-Berichterstattung des „Spiegel“ dieser Zeit einen Ausdruck von Verantwortung zu sehen — und nicht von rasender Verantwortungslosigkeit. Dazu trägt die offenkundige Lust bei, mit der Halter die grausamen Mechanismen aufs Gruseligste ausmalt:

Aids scheint immer noch ganz weit weg. Detlef der positive Strichjunge, interessiert nicht. Er steht am Bahnhof, weil er kein Zuhause hat; er nimmt Geld für den ungeschützten Analverkehr weil er ohne Lehrstelle ist, aber schließlich von irgendwas leben muß, er ist Hetero und bringt pro Jahr ein Dutzend Homos um, vorsichtig gerechnet. Niemand hindert ihn daran, keiner gibt ihm eine Alternative für seine letzten Jahre.

Würden wir dem sterbenskranken Jungen eine Kalaschnikow mit 30 Schuß in den Arm legen? Würden wir ihm sagen: „Detlef, du hast jetzt die Lizenz zu töten. Bitte sieh zu, daß du nur jüngere Männer triffst“?

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Schon im ersten Text des „Spiegel“ über die Seuche, die damals noch nicht „Aids“ hieß, fand das Nachrichtenmagazin es eine gute Idee, jemanden zu zitieren, der den Schwulen selbst die Schuld an ihrem Verderben gab:

„Vielleicht ist das die Lustseuche des 20. Jahrhunderts, nur nicht so harmlos“, mutmaßt der Berliner Professor Franz Fehrenbach, ein Bakteriologe. Einen moralischen Merksatz fügt er gleich noch an: „Für die Homosexuellen hat der Herr immer eine Peitsche bereit.“ (…)

Die nächsten Erkrankungen erwarten Experten in den Ballungsräumen der Homosexualität: Athen, Rom, London und Berlin.

Dort hat sich die Hiobsbotschaft von drüben schon herumgesprochen. „Manchen Freunden“, sagt ein Berliner Professor, „sitzt der Schrecken schon in allen Gliedern, in allen.“

Jaha, auch in der Apokalypse hat man beim „Spiegel“ noch Muße für ein lustiges Penis-Wortspiel.

Viele Schilderungen Halters lassen sich als Ausdruck übler Schwulenfeindlichkeit lesen; sie müssen auf die Öffentlichkeit damals auch so gewirkt haben.

Sie trugen Überschriften wie „Ich bin en Tunt, bin kernjesund“ (und berichteten lustigerweise über die Aktivitäten von „Homosexuelle[n] und Lesben“). Sie gaben der Logik der „Lustseuche“, die womöglich eine gerechte Strafe für sündiges Leben ist, breiten Raum:

Dieser Tod kommt nie als Freund. Immer drängt er sich auf obszöne Weise zwischen die Lust und das Leben. Den, der die Liebe besonders geliebt (oder doch Eros und die Handreichungen dazu), nimmt Aids in seine Arme. Deshalb sterben an der Seuche vor allem die homosexuellen Männer. 4690 Aids-Kranke sind in den USA gezählt, 2074 von ihnen schon gestorben.

Wenn erst Kinder an Aids sterben werden, Frischoperierte, Unfallopfer, Krankenhauspatienten ohne jedes Stigma also, spätestens dann wird der Gedanke nicht mehr tragen, der jetzt noch für Ruhe sorgt. Es ist christliches Gedankengut, Leiden, Schmerz und Tod seien die gerechte Strafe für ein liederliches Leben, das angemessene Opfer für all das, was der Kranke mit der Welt und mit sich selbst angestellt hat. Kurzum: Wen Aids heimsucht, der habe es verdient.

Die alttestamentliche Vorstellung von der Krankheit als Strafe Gottes ist so faszinierend, daß ihr auch einige Opfer erliegen. Schon wird unter Homos diskutiert, ob Aids nicht doch ein Zeichen des göttlichen Zorns sei, weil durch die „schwulen Lebensumstände die natürliche Ordnung ins Wanken geraten ist“. Das Stichwort heißt Sittenverfall, genauer: „Promiskuität“. Dort, wo der schnelle Wechsel von Mann zu Mann seine Heimstatt hat, im Klo, steht an der Wand schon die Bitte um Barmherzigkeit: „Domine, cum veneris iudicare, noli me condemnare“ — Herr, wenn du kommst zu richten, verdamme mich nicht.

Dabei prangerte Halter durchaus an, dass die Politik nur deshalb nicht (in seinem Sinne) handele, weil die Seuche nur Menschen betreffe, die der breiten Öffentlichkeit eher egal sind:

Mal angenommen, Aids hätte zuerst die Pfadfinder und die Pfeifenraucher (und nicht Homos, Fixer und Prostituierte) heimgesucht, das Virus griffe Herz und Leber an und sein Vehikel sei der Geldschein — wer zweifelt daran, daß die Seuche nach den Regeln der Infektionsprophylaxe bekämpft würde?

Aber Halter schrieb auch:

Wenn, wie die Wissenschaftler einhellig sagen, Promiskuität wirklich das Vehikel der Seuche Aids ist und die Krankheit sich über kurz oder lang auch unter der heterosexuellen Mehrheit ihre Opfer suchen sollte, dann wird es bald keine homosexuelle Subkultur mehr geben. Keine Bars und Badestuben mehr, keine Klappen, Backrooms und Sauna-Liegewiesen.

Hat kein Verantwortlicher damals in der „Spiegel“-Redaktion das Gefühl gehabt, dass diese Ausrottungsfantasien, die Halter wieder und wieder formulierte, etwas zutiefst Beunruhigendes haben? Ist ihm niemand in den Arm gefallen?

Es war die Zeit, wohlgemerkt, in der es Politiker wie Peter Gauweiler gab, die den Eindruck machten, dass ihnen diese Krankheit durchaus nicht ganz ungelegen kam, als Munition, um gegen die „homosexuelle Subkultur“ vorgehen zu können. „Keine Bars und Badestuben mehr, keine Klappen, Backrooms und Sauna-Liegewiesen“, das war nicht nur bloß die Wirkung der Krankheit, sondern auch ein politisches Programm.

Gauweiler war Halters Verbündeter. Seine Gegner: Die Leute, die Aids durch Aufklärung und Safer Sex bekämpfen wollten. Für Rita Süßmuth hatten seine Artikel nur Häme und Verachtung übrig:

Und Frau Süssmuths Kondome? Die Ministerin behauptet keß, „Kondome sind sicher“, sie seien „die einzige Lebensversicherung gegen Aids“. O heilige Einfalt! Als die Kondom-Kampagne zu Beginn dieses Jahres mit großem Trara losging, konnte man noch hoffen, das sei nur ein Feuerwerk, um die Bürger für das Thema Aids zu interessieren. Weit gefehlt. Der dünne Gummi gilt seinen Fürsprechern ganz im Ernst als verläßlicher, stabiler Schutz. In Wirklichkeit, das weiß nicht nur die „Medical Tribune“, „schützen Kondome miserabel“.

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Der „Spiegel“ war stolz auf seinen Beitrag zur Aids-Hysterie. 1985 nahm er eine Serie über „die großen Seuchen“ ins Heft, nannte sie „Sterben, bevor der Morgen graut“, und schrieb in der Hausmitteilung:

Allein in der Bundesrepublik sind mindestens 100 000 Menschen jetzt schon mit Aids infiziert, weltweit sind es Millionen, und dabei fängt es gerade erst an. Die Infizierten, sagen die Ärzte, seien Tote auf Urlaub. (…)

„Eine Epidemie, die erst beginnt“ lautete die Überschrift des ersten SPIEGEL-Titels über Aids (23/1983).

Er eröffnete die allgemeine Diskussion über die tödliche Abwehrschwäche — und trug dem SPIEGEL massive Kritik von prominenten Homosexuellen („Schwulenhatz“) und einigen Professoren („Panikmache“) ein. Die glaubten damals fest daran, daß die Gefahr nicht vom Virus, sondern von der Berichterstattung über ihn ausgehe.

Eine infame Formulierung, denn natürlich ging die Gefahr von beidem aus. Aber der „Spiegel“ setzte noch einen drunter:

Mancher, der damals schon für sich Konsequenzen zog, entging der tödlichen Infektion. Einige haben sich inzwischen dafür bedankt. Sie leben, anderen graut vor dem Morgen.

Der erwähnte erste Titel, auf den der „Spiegel“ so stolz war, begann mit einem Zitat aus Camus‘ „Pest“ und fragte dann:

Droht eine Pest? Wird Aids wie ein apokalyptischer Reiter auf schwarzem Roß über die Menschheit kommen? Ist eine moderne Seuche in Sicht, die sich zu Tod, Hunger und Krieg gesellen wird, wie einst im Mittelalter?

Oder werden nur die homosexuellen Männer daran glauben müssen? Vielleicht (wie es Bakteriologe Fehrenbach formuliert) weil „der Herr für die Homosexuellen immer eine Peitsche bereit hat“?

Ja, vielleicht? Wenn man dieses Zitat nur oft genug wiederholt?

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1987 sagte Halter voraus: „Zur Jahrtausendwende wird jedwede Untergangsstimmung Konjunktur haben, diese ganz besonders.“

Rückblickend lesen sich die Texte manchmal, weniger wohlwollend interpretiert, als wollte der „Spiegel“ unbedingt sichergehen, bei diesem prognostizierten und selbst herbeigeschriebenem Untergangstrend uneinholbar in Führung zu liegen. Vielleicht waren die „Spiegel“-Leute auch besoffen davon, wie krass geil wirkungsvoll diese Seuche ist — eine Seuche, die quasi ihre Seuche war, über die der „Spiegel“, wie er nicht müde wurde zu betonen, angeblich als erstes in deutscher Sprache berichtet hat, noch vor den Fachmedien.

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Zum fünfzigsten „Spiegel“-Jubiläum 1997 ließ das Nachrichtenmagazin Halter noch einmal all das über Aids schreiben, was er vorher schon geschrieben hatte. Zum dritten Mal durfte er seinen Lieblingssatz zum Besten geben: „HIV trägt nicht die Trompete vor sich her.“

Noch einmal wurde Gaetan Dugas dämonisiert.

Noch einmal durfte er den Infizierten jede Hoffnung nehmen:

Hoffnung gibt es nicht. Nur der Tod heilt Aids. Erst stirbt der Mensch, dann sterben auch die Viren in ihm.

Nocheinmal durfte er seine „Hellsichtigkeit“ in der Berichterstattung rühmen.

Noch einmal durfte er gegen die Promiskuität der Homosexuellen, gegen „Darkrooms, Orte des anonymen Sex und der Infektion“, wettern und gegen Kondome als Mittel im Kampf gegen Aids. Noch einmal warb er für „Untersuchungszwang, Meldepflicht und, als Ultima ratio, Quarantäne“ als Mittel der Seuchenbekämpfung.

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Die Berichterstattung des „Spiegel“ über Aids in den achtziger und neunziger Jahren war durchaus vielstimmig und bestand nicht nur aus Hysterie und frivolen Ausrottungsfantasien. Aber wenig davon wird eine ähnliche Wirkung gehabt haben wie Halters apokalyptische Texte.

Die Deutsche Aids-Hilfe urteilte Anfang dieses Jahres:

Der „SPIEGEL“ befeuerte damit die Forderungen nach einer repressiven Aids-Politik, die ganz in der Manier einer „Bundesseuchenpolizei“ auf die Ausschaltung von möglichen Infektionsquellen gerichtet war. Dadurch wurden übelste Ressentiments gegen schwule Männer befördert.
 
Der Deutschen AIDS-Hilfe will sich nicht erschließen, warum der „SPIEGEL“ ausgerechnet mit dem Akzeptanzpreis eines Schwulenverbandes ausgezeichnet werden soll, zumal eine Entschuldigung oder ein Bedauern der Verantwortlichen bis heute aussteht. Vielmehr wird die Intention des Preises ad absurdum geführt.

Markus Verbeet, der stellvertretende Deutschlandchef des „Spiegel“, der den Preis morgen (von wem auch immer) entgegennehmen wird, sagte in einem Interview auf die Frage, ob der „Spiegel“ diesen Teil der Berichterstattung heute bereut?

Dazu werde ich Stellung nehmen, wenn der Preis in Köln übergeben wird. Dem will ich nicht in einem Interview vorgreifen, bitte haben Sie dafür Verständnis. Seien Sie versichert: Wenn wir Ressentiments verbreitet haben, dann ist das zu kritisieren — und ich werde es kritisieren.

Es wäre an der Zeit.

[Offenlegung: Ich habe von Oktober 2011 bis Mai 2013 für den „Spiegel“ gearbeitet.]

Nachtrag, 6. Juli, 16 Uhr. Marcel Dams ist in seiner Laudatio auf den „Spiegel“ auf die Kontroverse eingegangen:

(…) Die Debatte hat auch gezeigt, dass der Schmerz und das Trauma von damals für viele Schwule, HIV-positive und an Aids Erkrankten keine entfernten Begriffe sind, sondern immer noch zur Gegenwart gehören. Ich weiß nicht, wie es sich damals angefühlt haben mag, dazu bin ich zu jung. Aber wenn ich die alten Artikel lese, dann macht das was mit mir. Es lässt mich verstehen, warum es für einige unerträglich ist, dass ein Magazin ausgezeichnet wird, das damals mit für Diffamierung und Ausgrenzung verantwortlich war. (…)

Ich finde auch, dass es Zeit für eine längst überfällige Entschuldigung ist. Nicht nur hier und heute, sondern am besten auch am Ort des Geschehens – im Blatt. Auch wenn es nicht Sie und ihre heutigen Kollegen direkt waren, das möchte ich ausdrücklich betonen, die diese Artikel geschrieben haben. Dennoch wäre es ein wichtiges Zeichen der Versöhnung. (…)